Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt - MITTELDEUTSCHE MITTEILUNGEN - SCHWERPUNKT - VDI

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Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt - MITTELDEUTSCHE MITTEILUNGEN - SCHWERPUNKT - VDI
MITTELDEUTSCHE
MITTEILUNGEN
INFORMATIONEN AUS WIRTSCHAFT | WISSENSCHAFT | GESELLSCHAFT
31. JAHRGANG | 1/2022

SCHWERPUNKT

Innovative
Medizintechnik
aus Sachsen-Anhalt

forum der technisch-wissenschaftlichen
Vereine und Verbände Sachsen-Anhalts
Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt - MITTELDEUTSCHE MITTEILUNGEN - SCHWERPUNKT - VDI
Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt - MITTELDEUTSCHE MITTEILUNGEN - SCHWERPUNKT - VDI
EDITORIAL

                                                    Liebe Leserinnen,
                                                    Liebe Leser,

                                                    bei der Erforschung, Entwicklung und        Der Supraleiter: Ein MRT funktioniert nur im Zustand
                                                    Herstellung innovativer medizintechni-       der Supraleitung. Einige der dazu nutzbaren Sub-
                                                    scher Produkte ist Sachsen-Anhalt vorn       stanzen sind zwar hervorragende Supraleiter, aber
                                                    dabei. Dank der Expertise der hiesigen       keineswegs ein schöner Wickeldraht. Sie ähneln eher
© regiocom

                                                    Universitäten, Hochschulen und zahlrei-      einer Schokoladenstange mit hohem Kakaogehalt,
                                                    chen exzellenten Forschungseinrichtun-       oder gar dem Belag eines Streuselkuchens. Es ist eine
                                                    gen sowie der rd. 120 kleinen, mittleren     hohe Maschinenbau- und Handwerkskunst, daraus
             Klemens Gutmann                        und größeren Unternehmen entsteht            einen Magneten zu wickeln.
                                                    hier modernste Medizintechnik der Bild-     Die Bildverarbeitung: Die beeindruckenden 3D-Bil-
                                   gebung, der Health-IT sowie der Autonomie im Alter            der mancher Tomographen bestehen o aus Hunder-
                                   für die Bereiche Prävention, Diagnostik, Therapie und         ten hochauflösender Einzelbilder. Und dieses 3D-Bild
                                   Service. Und gerade bei den bildgebenden Verfahren            gibt es dann nicht nur einmal, sondern z. B. 30-mal
                                   und der dazugehörigen Technik passiert aktuell Be-            pro Sekunde. So kommt Bewegung in die Tomogra-
                                   merkenswertes – insbesondere in der Magdeburger               phie. Das führt aber die bestehende Rechentechnik
                                   Region.                                                       an ihre Grenze und zu »reizvollen fachlichen Heraus-
                                      Die modernen »Durchleuchtungsgeräte« vereinigen            forderungen« für jeden interessierten Informatiker.
                                   in sich Spitzenanforderungen – und Spitzentechnolo-
                                   gien – aus einer ganzen Reihe von Disziplinen. Immer        Die hier erforderliche Fähigkeit zum Hochleistungs-
                                   wieder geht es hier an die Grenzen des Machbaren. Vor       wettknobeln verschiedener Disziplinen passt offen-
                                   noch kaum 30 Jahren war grade mal das CERN in Genf          sichtlich ganz gut zum Magdeburger Wissenschasmix.
                                   und ein paar wenige Kollegen in der Lage, ein einsames,     Es ist vermutlich kein Zufall, dass sich verschiedene
                                   hochenergetisches Photon zu erkennen und auszumes-          Akteure in diesem doch sehr speziellen Segment der
                                   sen. Heute gibt es radiologische Geräte, die tun das        Medizintechnik hier niedergelassen haben und erste
                                   ganz selbstverständlich, und zwar serienmäßig und           Ausgründungen und Start-ups am Markt angekommen
                                   bei Bedarf rund um die Uhr. Physiker, Mediziner und         sind. Die merken allerdings auch eines: Medizintech-
                                   Ingenieure haben innerhalb vermutlich etwa zweier           nik muss nicht nur entwickelt und pilotiert, sie muss
                                   Jahrzehnte Teamarbeit aus der aufwendigen und o            auch zugelassen werden. Und Letzteres erfordert von
                                   einmaligen Großversuchstechnik eine vergleichsweise         den neuen Unternehmen noch einmal viel Zeit und die
                                   unspektakuläre Serientechnik entwickelt.                    entsprechende Finanzierung – und beides ist dort chro-
                                      Die Magnetresonanztomographie (MRT) liefert be-          nisch knapp.
                                   eindruckende Beispiele vom Zusammenspiel der Spit-            Ungeachtet dessen sind die Ergebnisse beeindru-
                                   zenleistungen mehrerer Disziplinen:                         ckend. Wir haben Ihnen hier ermutigende Beispiele
                                    Die Kühlung: Da werden Hunderte Liter flüssigen            beschrieben. Ich hoffe, Sie haben Freude, das zu lesen.
                                     Heliums über Jahre hinweg verlässlich auf 4 °Kelvin,
                                     also 4 Grad oberhalb des absoluten Nullpunkts, ge-
                                     kühlt.                                                    Ihr
                                    Das Vakuum: Die ganze Konstruktion liegt in einem
                                     ringförmigen Vakuumbehälter, der pro Volumenein-
                                     heit nur ein 10-milliardstel der normalen Lukon-
                                     zentration haben darf. Das ist näher am Weltraum          Klemens Gutmann
                                     (10-16 bis 10-18) als an der normalen Raumlu (als 1      Vorsitzender VDI-Landesverband Sachsen-Anhalt
                                     festgelegt).                                              Verwaltungsratsvorsitzender regiocom SE

             MITTELDEUTSCHE MITTEILUNGEN 1/2022                                                                                                   3
Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt - MITTELDEUTSCHE MITTEILUNGEN - SCHWERPUNKT - VDI
INHALT

Inhalt

SCHWERPUNKT // Innovative Medizintechnik                               VDI-Magdeburger Bezirksverein
aus Sachsen-Anhalt                                                     36 Fördernde Unternehmen und Institutionen
 5 Bildgebende Verfahren in der Medizin                                38 Neujahrsgrüße 2022
 6 Versuch einer Übersicht                                             39 Kreuz und quer durch Sachsen-Anhalt auf Achse
 8 Vielfalt der Forschungsziele                                        40 Ordentliche Mitgliederversammlung 2021
10 Wo und wer sind die Akteure in Sachsen-Anhalt?                      43 Ausschreibung VDI-Förderpreis 2022
    Forschungscampus STIMULATE | LIN | OVGU | RayDiax | MiniMRT |      44 VDI-Magdeburger BV | Vorstandsmitglieder und weitere Funktionsträger |
    InLine-Med GmbH | Neoscan Solutions GmbH                               Arbeitskreise (AK) | Bezirksgruppen (BG)
17 Weitere Anwendungsgebiete                                           46 Von hölzernen Beinen und goldenen Zähnen
18 Projizierte VR für das Training von minimalinvasiven Operationen    47 Kolloquien zu Fragen der Automation
20 Schrittgeschwindigkeit voraus: Medizinische Ultraschallphantome     48 NEWS Fördernde Unternehmen || Neue Funkmesstechnik am ifak |
    für Ausbildung und Qualitätssicherung                                  Erfolgreicher Abschluss des Parkplatz-Forschungsprojekts PAMIR |
21 Nichtinvasive Bestimmung des Hirndrucks in Patienten                    Nachhaltigkeit – Bürokratiemonster oder Zukunsmodell?
    durch neuartige zeitharmonische Elastographie                      51 Online-Veranstaltungen des VDI-Netzwerks deutschland(welt)weit
    Sensorik in der Medizin                                            52 VERANSTALTUNGSTIPPS
22 Durch »Hören« am Instrument zu mehr Sicherheit bei
    minimalinvasiven Operationen
    Materialien in der Medizin                                         VDE Bezirksverein Magdeburg
23 Maßgeschneiderte Wundauflagen aus Tropoelastin                       54 Auf die Goldwaage gelegt – Hochauflösende Röntgenbildgebung
24 Innovative Technologien der Endbearbeitung als Basis                    mit Nanopartikeln
    für verbesserte Endoprothesen
    Sowarelösungen in der Medizin
26 Zwei Beispiele mobiler Apps für den medizinischen Einsatz           Ingenieurkammer SACHSEN-ANHALT
    Start-up-Beratung in der Medizin                                   56 Junge Talente fördern – Ingenieurnachwuchs
28 Vom Studium zum Start-up                                            57 Sachverständige immer mehr gefragt
29 Ehemaliger Handwerkerhof wird zum MedTech Innovation Hub

                                                                       RKW Sachsen-Anhalt GmbH
VDI-Landesverband Sachsen-Anhalt                                       58 Social Corporate Responsibility
30 26. Fest der Technik – Ball der Ingenieure Sachsen-Anhalts          59 Jetzt Zukun gestalten! –
33 Förderung der technisch orientierten Allgemeinbildung an Schulen        Förderprogramm »Gestärkt durch die Krise« hil
    mit Sitz in Sachsen-Anhalt
33 3D-Druck an der IGS Willy Brandt in Magdeburg durch den VDI
34 Neue Konstruktions- und Elektronikbaukästen für den Unterricht       3 Editorial
34 Fördernde Unternehmen und Institutionen des VDI in Sachsen-Anhalt   43 Impressum

   4                                                                                                        MITTELDEUTSCHE MITTEILUNGEN 1/2022
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SCHWERPUNKT // Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt

Innovative Medizintechnik aus
Sachsen-Anhalt
Bildgebende Verfahren | Sensorik | Materialien | Softwarelösungen | Start-up-Beratung

Bildgebende Verfahren
in der Medizin

Genau betrachtet, entdeckte Wilhelm Conrad Röntgen im Jahr
1895ff. zwei Dinge auf einmal: eine steuerbare Quelle für eine ener-
giereiche, kurzwellige Strahlung und ein Visualisierungsverfah-
ren. Während damals die Aufmerksamkeit vor allem den geheim-
nisvollen – und gefährlichen – Strahlen galt, schaut die heutige
»durchleuchtende« Medizin mindestens genauso aufmerksam auf

                                                                                                                            © www.wikimedia.org
den Prozess der Bildgebung. Hier kommen physikalische Erkennt-
nisse ebenso wie mathematisch Verfahrene und aktuelle IT-techni-
sche Entwicklungen zum Tragen.

                                                                                                                                                                 © www.wikimedia.org
Fast immer dabei: die Durchleuchtung mit
unterschiedlichsten Wellen bzw. Strahlen                                Wilhelm Conrad Röntgen
                                                                        * 27.03.1845 in Lennep/Remscheid
Alle Untersuchungsformen nutzen eine kurz- oder sehr kurzwellige        † 10.02.1923 München
Strahlungsquelle, vom Ultraschall bis zur Elektronen-, Photonen- oder
Positronenquelle. Das Bild ist das Ergebnis unterschiedlicher Durch-                                       Röntgenaufnahme: Albert Köllikers Hand (mit
lässigkeit der verschiedenen Gewebe- und Materialarten im Körper.                                      Ring), aufgenommen von Conrad Röntgen am 23.
  Einzige Ausnahme ist die Magnetresonanztomographie (MRT).                                                                                       Januar 1896.
Hier wirken ausschließlich Magnetfelder, die Erkennung erfolgt
vergleichsweise indirekt, in dem mit Funkwellen die Kerne von
Wassermolekülen im Körper zum Schwingen angeregt werden.
Spezielle Antennen im MRT wiederum erfassen diese Schwingun-
gen. Unterschiedliche Gewebetypen geben dabei ein jeweils indivi-
duelles Bild ab.

Die Durchleuchtung liefert nur 2D – der Computer dann 3D

Die meisten Verfahren nennen sich »Tomographie«. In diesem Wort
steckt das altgriechische Wort τομή (tomé, zu Deutsch: Schnitt). Es
                                                                                                                                                                  © www.wikimedia.org

handelt sich in der Praxis bei den meisten Verfahren um einen virtu-
ellen, also nicht-invasiven zweidimensionalen Schnitt durch den zu
untersuchenden Körper. Ein dreidimensionales Bild kann nur durch
Zusammensetzen vieler zweidimensionaler Bilder gelingen. Diese
»Schnitte« können in Form parallel liegender Bildebenen gewonnen
werden, oder aber indem die Sensoren oder Kameras um den Körper         Röntgens Laboratorium im ehemaligen Physikalischen Institut der Universität
herum angebracht sind oder sich um ihn herumbewegen.                   Würzburg, 1895.

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SCHWERPUNKT // Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt

Bildgebende Verfahren in der Medizin

Versuch einer Übersicht
Klemens Gutmann

Die Fachwelt unterscheidet die verschie-      geortet werden. Soll aber zusätzlich der      oder der natürliche Herzschlag zum ech-
denen Technologien und Verfahren grund-       Stoffwechsel in der Niere untersucht wer-     ten »Störfaktor«. Das Herz selbst wiederum
legend anhand ihrer physikalischen Mess-      den, dann wird dazu die zu verstoffwech-      kann in der Bewegung am besten sonogra-
methoden. Spätestens dann, wenn der reale     selnde Substanz mit radioaktiven Nukliden     phisch, also mit Ultraschall beobachtet wer-
Mensch und sein o komplexes Untersu-         markiert – und wir sind bei einer Positro-    den. Aussagefähige Standbilder werden mit
chungsbedürfnis auf den Plan kommen,          nen-Emissions-Tomographie      (PET)   oder   einer sogenannten Kardio-CT und einem
werden die Grenzen zwischen den Tech-         einer Single Photon Emission Computed         Kontrastmittel erzeugt.
nologien und Systemen zumindest »kom-         Tomography (SPECT). Die wiederum liefert          Der Erfolg eines bildgebenden Verfah-
plexer«.                                      Aussagen über die Funktionsfähigkeit der      rens in der Medizin ist also eng mit dem
  Ein Beispiel: Ein leistungsfähiger Mag-     Niere über der Zeit aber eine weniger gut     Untersuchungsziel verbunden. Selbst bei
netresonanztomograph kann praktisch alle      aufgelöste Abbildung der Gewebestruktu-       ein und demselben »Untersuchungsobjekt«
wasserhaltigen Gewebearten in hoher Auf-      ren. Beide Verfahren sind nur für möglichst   – dem menschlichen Körper – gibt es aus
lösung abbilden. Ungewöhnliche Gewebe-        absolut stillstehende Objekte geeignet.       Sicht eines erfahrenen Radiologen meist
strukturen etwa in einer Niere können effi-   Bei einer Hirnuntersuchung im hochauf-        verschiedene Wege zu den ebenso verschie-
zient, präzise und ohne Strahlenbelastung     lösenden MRT werden bereits die Atmung        denen Untersuchungszielen.

Computertomographie (CT)                                             Positronen-Emissionstomographie (PET)

Sie wurde auch als »Schichtröntgen« bezeichnet, bereits 1971 ka-     Der »Treibstoff« für dieses bildgebende Verfahren sind die positiv
men die ersten Geräte in die Anwendung. Erstmals wurde ein Com-      geladenen Antiteilchen des Elektrons, die Positronen. Ein Posi-
puter zum zentralen Bestandteil eines (damals) modernen Rönt-        tron ist ein Elementarteilchen, welches bis auf die Ladung in al-
gengeräts – nur so konnten aus den Projektionsbildern, in denen      len Parametern mit dem Elektron übereinstimmt. Ein Positron ist
die Tiefeninformation komplett verloren geht und die Organe          Antimaterie des Elektrons und wie es im Physikunterricht und bei
überlagert dargestellt werden, Schichtbilder erzeugt werden, die     Raumschiff Enterprise gelehrt wird, löschen sich Materie und Anti-
eine exakte Abbildung einer axialen Schicht darstellten.             materie bei direkter Begegnung aus, zurück bleibt reine Energie.
  Die Schichten wurden erzeugt, indem die Strahlenquelle und           So auch hier: Genutzt werden Substanzen, die Positronen aus-
der Empfänger auf einem großen Ring um den Patienten her-            senden, sogenannte Radionuklide. Sie werden speziell für die PET
umliefen und bspw. immer nach einem Winkelgrad Rotation ein          hergestellt (siehe Kasten). Sobald die Positronen ihr Radionuklid
Projektionsbild erzeugt wurde. Der Rechner errechnete (rekon-        verlassen und durch das Gewebe dringen, kollidieren sie in un-
struierte) aus den 360 Aufnahmen dann ein 3-dimensionales Bild       mittelbarer Nähe mit einem Elektron und senden dabei zwei
des untersuchten Körpersegments. In der jüngsten Generation von      Photonen aus – eine Art Blitz mit zwei Lichtstrahlen. Diese beiden
Computertomographen sind Strahlenquelle und Detektoren fest          Photonen strahlen genau in entgegengesetzter Richtung ab und
montiert. Die Strahlen werden durch Magnetfelder umhergelenkt        werden dann außerhalb des Körpers detektiert. Das ermöglicht ein
und Detektoren sind dank günstigerer Herstellung in ausreichen-      gutes Erkennen des Punkts, an dem die Kollision von Positron und
der Zahl ringförmig verbaut. Allerdings hat sich diese komplexe      Elektron stattfand. Was die Kontrastbildung angeht, stellt das PET-
Technik (noch) nicht am Markt durchgesetzt. Zusätzlich wird in       Bild die Konzentration des Radionuklids dar. In der Praxis wird die
einem System mit Strahlen unterschiedlicher Frequenz gearbeitet,     PET meist mit einem CT oder einem MRT integriert. Die erhaltenen
sodass feinere Unterschiede in der untersuchten Substanz detek-      Kontrastbilder werden dann im Rechner miteinander verbunden
tiert werden können (z. B. zur Knochendichtemessung). Die Auf-       und die strukturellen Bilder des CT oder MRT unterstützen die Be-
lösung ist vergleichsweise hoch und die Röntgenbelastung um ein      rechnung der PET-Bilder.
Vielfaches niedriger als in früheren Generationen. Jährlich werden
in Deutschland mehrere Millionen Menschen mit CT untersucht.

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SCHWERPUNKT // Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt

Single Photon Emission Computed Tomography (SPECT)                         Ein wichtiger Treibstoff für PET und SPECT: Radionuklide

Sie ist eine Art »Schwester« der PET. Die verwendeten Radionuklide         Bei der PET kommt die Strahlenquelle in den Körper. Dazu werden von
                                                                           stoffwechselgängigen Elementen die gewünschten radioaktiven Isotope,
senden hier keine Positronen, sondern Gammastrahlen aus. Gam-
                                                                           die Radionuklide, genutzt. Am gängigsten ist hier Fluor (18F, also 18-wertig,
mastrahlen sind mit 10 Picometer Wellenlänge sehr kurz (1 Pico-            anstatt 19), aber auch Kohlenstoff (11C), Stickstoff (13N) und Sauerstoff (15O).
meter entspricht einem milliardstel Millimeter bzw. 10-12 Meter). Sie      Da alle Isotope eines Elements chemisch gleich reagieren, können sie auch
liegen im Spektrum unterhalb der Röntgenstrahlen. Gleichzeitig             in körperübliche Verbindungen – etwa Glucose – eingebracht und bei der
weisen sie genauso wie die Photonenblitze der PET eine hohe Ener-          Anwendung dann vom Körper verstoffwechselt werden. Die Strahlenquelle
gie auf und werden außerhalb des Körpers detektiert. Da nur ein und        befindet sich dann im Körper und bei geschickter Wahl der Substanz auch
                                                                           und vor allem in dem zu untersuchenden Organ. Bei Halbwertszeiten
nicht zwei gleichzeitige Lichtblitze erfasst werden, ist die räumliche
                                                                           (HWZ) zwischen typischerweise 10 Minuten und 2 Stunden lässt die Strah-
Auflösung etwas geringer als bei der PET. Die SPECT wird vor allem
                                                                           lenbelastung dann auch innerhalb von Stunden wieder nach.
bei Untersuchungen von Herz, Hirn, Knochen und bestimmten Tu-
moren angewendet, dann auch fast immer in Kombination mit den              Radionuklide Made in Magdeburg
Daten aus einer CT-Untersuchung. Es gibt Geräte, die beide Unter-          Der Medizincampus der Magdeburger Universität verfügt über einen
suchungsarten kombinieren (ebenso wie PET und CT).                         eigenen Teilchenbeschleuniger (Zyklotron), der vornehmlich auch der
                                                                           Herstellung von Radionukliden für die PET dient. Damit können nicht
                                                                           nur die vergleichsweise »haltbaren« Fluor-Isotope (HWZ 2 Stunden) er-
                                                                           zeugt und eingesetzt werden, sondern auch deutlich schneller zerfallen-
Magnetresonanztomographie (MRT)                                            de Substanzen, wie etwa Kohlenstoff (HWZ 20 Minuten) oder Stickstoff
(auch Kernspintomographie)                                                 (HWZ 10 Minuten). Wenn das PET-Gerät quasi »neben« dem Zyklotron
                                                                           steht, verliert man auf dem Transportweg keine unnötige Zeit und keine
Grundlage der MR-Tomographie ist, dass Atomkerne – also die                wertvollen Substanzen.
                                                                              Für die SPECT-Untersuchungen grei man auf Elemente und Isotope
meist recht stabile Ansammlung von Protonen und Neutronen –
                                                                           zurück die etwas »schwerer« sind und im Periodensystem weiter oben an-
selbst ein magnetisches Momentum haben. Der Wasserstoffkern                gesiedelt. Dazu zählen Technetium und Jod, aber auch Xenon und Indium.
gleicht mit nur einem Proton (positiv) einem »magnetischen Ex-
zenter«. Dieser Atomkern lässt sich vergleichsweise gut zur Bewe-
gung anregen, und er kommt in fast allen interessanten Objekten
vor, insbesondere in Lebewesen und dem darin enthaltenen Was-            griff untersuchen. Der Wasser-basierte Kontrast reicht ihnen aus,
ser. Erfreulicherweise ist es dem Wassermolekül H2O recht »egal«,        da kein Gewebe wie das andere ist. Die Radiologen sind routiniert
ob sich die Kerne seiner zwei Wasserstoffatome irgendwie drehen.         im Identifizieren und Zuordnen der Muster und Graustufen. Dort,
Das Wassermolekül ändert bei der Anregung durch einen MRT-               wo sie etwas Verdächtiges, aber nicht ausreichend Identifizier-
Magneten weder seine Chemie noch seine Temperatur und auch               bares sehen, arbeiten sie ggf. mit anderen bildgebende Verfahren
nicht seine Ausrichtung. Das führt zu ersten – vereinfachten – Aus-      nach und scannen dann bspw. den Stoffwechsel mithilfe einer PET-
sage: Die MR-Tomographie ist in erster Linie eine Untersuchung           Untersuchung.
des im Untersuchungsobjekt vorhandenen Wassers, genauer: der               Die Forscher hingegen treibt es zu den »superstarken« Magneten.
Atomkerne seiner Wasserstoffmoleküle.                                    Sie wollen dem Wasserstoff auch in weniger häufigen Substanzen
  Um die Atomkerne zum Schwingen anzuregen, muss man sie                 nachspüren, und nicht dauernd »aufs Wasser gucken« müssen. Ihr
elektromagnetisch mit ihrer Resonanzfrequenz anregen. Das ge-            Ziel ist es, eine größere Vielfalt an Substanzen im MRT in möglichst
schieht durch Wellen im gängigen Radiobereich. Bei dem Gerät             guter örtlicher und zeitlicher Auflösung zu beobachten. Dabei hil
von Neoscan Solutions mit seinen exakt 1,46 Tesla liegt die Reso-        die Stärke des Magnetfelds. Sie führt in erster Linie zu einer deut-
nanzfrequenz des Wasserstoffkerns bei 62 Megahertz – das liegt           lichen Verbesserung des Signal-Rausch-Abstands beim Empfang der
etwas unterhalb eines gängigen UKW-Radios. Wenn man die Re-              Resonanzschwingungen. Bei klarerem Signal verläu die Messung
sonanzfrequenz des Wasserstoffkerns ganz genau misst, stellt man         deutlich schneller. Dadurch kann man in gleicher Zeit deutlich mehr
fest, dass es ganz kleine Unterschiede gibt. Je nachdem, in welcher      Messpunkte abarbeiten und die Auflösung erhöhen. Das bei Prof.
Art Molekül das Wasserstoffatom gebunden ist, liegt die Resonanz-        Speck beheimatete 7-Tesla-Gerät hat bereits die 100-fache Auflösung
frequenz einige Millionstel höher oder niedriger. Die Wasserstoff-       gegenüber einem kliniküblichen 3-Tesla-Gerät erreicht.
kerne in dem Molekül Kreatin (ein Bestandteil der Zellmembran)             Stark vereinfacht dürfen wir festhalten: Es ist beim MRT dann
hat seine Resonanzfrequenz bspw. ein Millionstel unterhalb der           doch wie beim Radiohören. Wer früher mit Kurzwelle dem Gewand-
Resonanz im Wasser. Gute Messgeräte können das erkennen und              hausorchester zugehört hat, ist für ein Hi-Fi-UKW-Radio mit deutlich
auswerten. Allerdings dominiert die Resonanz des Wassers die             besserer akustischer »Auflösung« durchaus dankbar. Alles »Große«
ganze Szenerie. Kreatin ist zwar kein »Exotenstoff«, kommt aber          erkennt man auch in der Kurzwelle, aber der deutlich weitere Fre-
hunderttausendmal seltener im Körper vor als Wasser.                     quenzgang und der bessere Signal-Rausch-Abstand ermöglichen es,
  Die Mediziner haben sich an die Leistungsparameter der gän-            auch den Triangel in Brahms 4. Symphonie noch in seiner Feinheit
gigen MRT-Technik vergleichsweise gut »gewöhnt«. Sie können              heraushören zu können. 
damit den ganzen Körper ohne ionisierende Strahlung oder Ein-

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Bildgebende Verfahren in der Medizin

Vielfalt der Forschungsziele
Klemens Gutmann

Die Forschung und Entwicklung von bildgebenden Verfahren in            Schwingungsfrequenz sind auch die sog. Relaxationszeit der ange-
der Medizin wird dadurch ermöglicht und erleichtert, dass interes-     regten Atomkerne je nach Gewebe unterschiedlich (z. B. reagieren
sierte Naturwissenschaler und Techniker auf ebenso interessier-       Tumore hier anders als gesundes Gewebe).
te Mediziner treffen. Erstere machen die Technologien verfügbar,
Letztere erzeugen realitätsnahe Testfelder und ermöglichen eine         Die Optimierung direkt hin auf die Anwendung
Clusterung der Aufgabenstellungen. Für die eigentlichen Entwick-       Wenn von Neurowissenschalern ein Gehirn eines Freiwilligen
ler der Technologien und Verfahren entstehen dadurch verschiede-       über eine gewisse Zeit in hoher Auflösung beobachtet wird, dann
ne Ebenen, auf denen Fortschritte erreicht werden können.              wird das Bild durch die natürliche Atmung und die damit verbun-
                                                                       dene Bewegung des Kopfes verfälscht oder gar unbrauchbar. Die
                                                                       Bildverarbeitung kann das kompensieren, benötigt dafür aber zu
                                                                       jedem Zeitpunkt die exakte Position des Schädels. Diese wiederum
                                                                       kann mithilfe einer »einfach« wirkenden kleinen Systemlösung si-
                                                                       cher und in hoher zeitlicher Auflösung generiert werden: Dem Pa-
                                                                       tienten werden für die Zeit der Untersuchung auf den Zähnen des
                                                                       Oberkiefers einige »Marker« angebracht – ähnlich wie ein Geodät
                                                    © Viktoria Kühne

                                                                       fest montierte Messmarken. Diese können vielfach pro Sekunde
                                                                       per Kamera im Raum geortet werden. Da der Oberkiefer fest mit
                                                                       dem Schädel verbunden ist, wird nun eine sehr exakte Positions-
                                                                       bestimmung des Schädels und Hirns bei jedem Scanvorgang mög-
Prof. Dr. rer. nat. habil. Oliver Speck                                lich. Das Verfahren wird als »Moiré Phase Tracking« bezeichnet.
Abt.-Leiter Biomedizinische Magnetresonanz am Institut für Physik      Allerdings ist dies hier eine hirnspezifische Optimierung – schon
der Fakultät für Naturwissenschaen der OVGU Magdeburg                 ab den Schultern nach unten braucht es andere intelligent ange-
                                                                       passte Verfahren zur Verortung und zu Kompensation der natür-
                                                                       lichen Bewegung.
Prof. Oliver Speck skizziert die »Erfolgsleiter« der Forschung an
und mit bildgebenden Verfahren in der medizinischen Radiologie          Die Zusammenarbeit
wie folgt. Er fokussiert dabei auf die Magnetresonanztomographie:      Der »Cluster« der buchbaren Forschungs-MRT in Magdeburg ist
                                                                       eine echte Stärke des Standorts. Die Anwender kommen zu einem
 Der Messgerätebau                                                    größeren Teil aus der Region, es herrscht eine gute Auslastung.
Die Anforderungen und Optimierungsrichtungen sind nicht über-          Aber nicht nur das ist eine Stärke: Es geht auch um den Austausch.
raschend. Die Geräte müssen flexibel einsetzbar und gut konfigu-         Bei vielen Untersuchungen führt erst das fachübergreifende
rierbar sein. Die Schnittstellen zur Einbindung in den Versuchsauf-    Suchen nach einem idealen Versuchsaufbau zu einem guten oder
bau müssen vorhanden und gut nutzbar sein. Hinzu kommen die            gar bestmöglichen Untersuchungsverfahren, was dann wieder an
klassischen Leistungsparameter wie etwa Auflösung und Abtast-           die spezielle Fachcommunity weitergegeben wird.
rate.                                                                    In Kürze kommt das neue »Deutsche Zentrum für psychische
                                                                       Gesundheit (DZPG)« der Helmholtz-Gemeinscha hinzu. Insgesamt
 Die Messmethoden müssen umfassend verfügbar und                      wird die MRT-Infrastruktur des Forschungsstandorts Magdeburg
  zielgerichtet eingesetzt werden.                                     (OVGU, LIN, DZNE) etwa zu 90 Prozent für humane Anwendungen
Herz(schlag)frequenz (HF)-Pulse, Gradientenpulse; »interakti-          und zu 10 Prozent für technisch-naturwissenschalich Fragen ge-
ve« Anregung der Protonen; Fokussierung auf Wasserstoff nur in         nutzt.
Fett und Wasser – oder auch in anderen Substanzen; Erfassung
der Zielbereiche bzw. Zielpunkte nach Position und anderen phy-
sikalischen Größen wie etwa der Temperatur; neben der exakten

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SCHWERPUNKT // Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt

                                                                                  o müssen Teile der Soware – und sogar der Hardware – durch
                                                                                  selbst entwickelte Applikationen ergänzt werden, weil die Last auf
                                                                                  den Systemen kontinuierlich zunimmt.

                                                                                   Die Umwandlung wellenförmiger Abtastsignalen in Bilder
                                                                                  Jedes noch so »erratische« gemessene (stetige) Signal einer gewis-
                                                     © Viktoria Kühne

                                                                                  sen Länge und Amplitude kann als Summe entsprechend parame-
                                                                                  trisierter trigonometrischer Funktionen (also den Winkelfunktio-
                                                                                  nen Sinus und Kosinus dargestellt werden. Ingenieuren ist dies aus
                                                                                  den Anfangsvorlesungen noch als »Fourier-Reihe« bekannt. In der
Prof. Dr. rer. nat. Georg Rose                                                    Praxis der Signalverarbeitung wird dies als sog. Fourier-Zerlegung
Lehrstuhlleiter Medizinische Telematik und Medizintechnik am Institut für         praktiziert. Diese kann als fertige Soware in Verbindung mit spe-
Medizintechnik der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik der OVGU   zialisierten Chips zugekau werden.
Magdeburg und Vorstandsmitglied Forschungscampus STIMULATE                          In der eigentlichen Auswertung und deren Optimierung und
                                                                                  Beschleunigung müssen die Forscher dann doch immer wieder
                                                                                  selbst in den algorithmischen »Maschinenraum« hinabsteigen –
Prof. Georg Rose verlängert die Auflistung der Forschungsziele im                  sonst bekommen sie immer nur den Stand der Technik, der am
Gespräch mit der Redaktion wie folgt:                                             Markt verfügbar ist. Da in der schnellen Fourieranalyse von bild-
                                                                                  gebenden Verfahren sehr datenreiche Signale aus dem Messsystem
 Generierung eines 3D-Bildes                                                     kommen, sind die nach Fourier zerlegten Ergebnisse in Form gro-
Jeder »Scan« eines Körpers, ob mithilfe von Röntgenstrahlen, Posi-                ßer Matrizen sehr aufwendig in der Weiterverarbeitung. Matrizen-
tronen- oder Gammablitzen, oder aber mit dem MRT liefert Mess-                    operationen eignen sich wiederum vergleichsweise gut für eine
daten, welche mit dem eigentlichen Bild nur wenig zu tun haben.                   Parallelverarbeitung. Daher blickt Prof. Rose mit großen Erwar-
Um die gewünschten Schnittbilder zu erhalten, müssen diese                        tungen auf die Entwicklung der Quantencomputer. So könnte eine
Signale zunächst mithilfe komplexer mathematischer Methoden                       realzeitnahe Bereitstellung auch von dichteren Bildfolgen, z. B. für
umgerechnet (rekonstruiert) werden. Die meistens erforderliche                    den OP-Einsatz einen deutlichen Entwicklungsschub erfahren.
3-dimensionale Darstellung wird durch die Zusammensetzung die-
ser Schnitte im Rechner generiert.                                                 Die Reduzierung der Strahlenbelastung
   So rotieren beim CT die Röntgenstrahlenquelle und der Detek-                   Eine MRT-Untersuchung ist immer der Königsweg zur Vermeidung
tor um den Patienten herum und nehmen dabei rund 1 000 Pro-                       von ungewünschten Strahlendosen. Im Fall der Nutzung von Gam-
jektionsbilder auf. Bei diesen Projektionsbildern geht die Tiefen-                mastrahlen in SPECT-Geräten sind die Detektoren heute in der
information verloren, d. h. alle Organe, unabhängig davon, ob sie                 Lage, jedes einzelne Gamma-Photon zu detektieren. Pro Bildpunkt
sich vorn oder hinten befinden, werden auf einem 2D-Bild über-                     sind weniger als einhundert Photonen erforderlich, um ein gutes
lagert. Der Computer muss dann die Aufgabe lösen, alle Organe                     Bild zu gewinnen. Dabei liegt die Bildpunktgröße durchaus zwi-
wieder an ihre richtige Position im Raum zu bringen und ein kor-                  schen 1 und 10 Quadratmillimeter. 
rektes 3D-Bild zu erzeugen. Wenn nun zusätzlich eine zeitsequen-
zielle Bilderserie erzeugt werden muss, kommen hier sehr große
Datenmengen zusammen. Der Rechner muss in der Lage sein, die
1 000 Bilder in bspw. einer Sekunde zu einem Bild zu verdichten
und dazu entscheiden, welche Daten gespeichert werden müssen
– und welche nicht. Bei steigender Auflösung und immer schnelle-
ren Messzyklen kommt dann mit einiger Regelmäßigkeit auch das
Rechnersystem an seine Grenzen und muss ersetzt werden. Und

MITTELDEUTSCHE MITTEILUNGEN 1/2022                                                                                                               9
Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt - MITTELDEUTSCHE MITTEILUNGEN - SCHWERPUNKT - VDI
SCHWERPUNKT // Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt

Bildgebende Verfahren in der Medizin

Wo und wer sind die Akteure
in Sachsen-Anhalt?
Klemens Gutmann

Die größte Konzentration von Fachleu-               ten geeignete Methode, die Vorgänge im                           leistungsfähige MRT. Parallel hierzu wer-
ten zur Entwicklung der bildgebenden                Hirn in hoher Auflösung zu verfolgen.                             den auch andere Formen der Tomographie
Verfahren und ihrer Geräte befindet sich             Auch in anderen Bereichen der Forschung                          entwickelt, ein vor sechs Jahren ins Leben
in Magdeburg. Wichtige »Impulse« hier-              haben sich sinnvolle Anwendungen erge-                           gerufener sog. »Forschungscampus« für
zu kommen aus der neurobiologischen                 ben, etwa bei Gewebeproben, in der Bio-                          bildgebende Verfahren ist hier ein wich-
Forschung, die in der Stadt seit Langem             logie oder der Strömungslehre. Es gibt in                        tiger Ankerpunkt. Nachfolgend eine kurze
verwurzelt ist. Für Hirnforscher ist die            der Magdeburger Region also einen gut                            Übersicht über die wichtigsten Akteure:
Magnetresonanztomographie die am bes-               ausgeprägten »Forschungs-Markt« für

Forschungscampus                                                                              entwickeln, die mit Kleinstwerkzeugen und mit bildgebenden Ver-
STIMULATE                                                                                     fahren aus der Radiologie durchgeführt werden. Solche Eingriffe
                                                                                              (sog. »Interventionen«) kommen mit extrem kleinen Schnitten aus
STIMULATE (Solution Center for image guided local therapies)                                  und belasten den Patienten minimal, sodass die Erholungszeiten
ist eine öffentlich-private Partnerscha zwischen der Ot to-von-                              nach der OP deutlich verkürzt werden und z. T. sogar ambulant
Guericke-Universität Magdeburg, Siemens Healthineers und dem                                  durchgeführt werden können. Besonders im Fokus stehen neuro-
STIMULATE-Verein (s. u.). Ins Leben gerufen wurde STIMULATE im                                logische und onkologische Erkrankungen.
Jahr 2013 mit der Bewilligung einer Forschungsförderung, die bis                                Spiritus Rector von STIMULATE ist Prof. Georg Rose. Er wurde
zu 15 Jahre andauern soll. Die Mission lautet: »Für gesellschalich                           2006 als Professor für Medizintechnik an die Ot to-von-Guericke-
höchst relevante Krankheitsbilder neue patientenschonende, qua-                               Universität Magdeburg berufen. Der Lehrstuhl ist Teil der Fakul-
litativ hochwertige und konkret benötigte Diagnose- und Thera-                                tät für Elektro- und Informationstechnik. Er lebt seit 15 Jahren in
pieverfahren zu entwickeln.« Ziel ist es, neuartige Operationen zu                            Magdeburg, vorher arbeitete und forschte er u. a. an der Universität
                                                                                              Düsseldorf und bei Philips in Aachen.
                                                                                                Prof. Rose ist promovierter Physiker. Tatsächlich finden sich in
                                                                                              dem Bereich der Radiologie und ihren bildgebenden Verfahren und
                                                                                              der sie umgebenden Medizintechnik recht häufig Physiker. Sehr o
                                                                                              ergeben sich bei radiologischen Systemen Fragestellungen, in denen
                                                                                              physikalische Phänomene und insbesondere die Erzeugung und
                                                                                              Messung von Wellen und Schwingungen an Grenzbereiche kommen.
                                                                                              Da wiederum fühlt sich der Physiker »durchaus Zuhause«. Selbst-
                                                                                              verständlich sind auch interessierte Mediziner in den Projekten mit
                                                                                              dabei, ebenso Informatiker und Elektrotechniker.
                                                                                                Weitere Vorstände sind Dr. Stefan Röll, ebenfalls promovierter
                                                                                              Physiker und Gründer der hiesigen Neoscan Solutions GmbH, und
                                                                        © OVGU/J. Dünnhaupt

                                                                                              Dr. Joachim Reiss, Elektrotechniker und Informatiker und leitender
                                                                                              FuE-Verantwortlicher bei Siemens Healtineers.
                                                                                                Formal ist der Forschungscampus ein Teil der Ot to-von-
                                                                                              Guericke-Universität Magdeburg. Getragen wird er durch die
                                                                                              Universität, die Siemens Healthineers und den STIMULATE e. V.
MRT-Suite des Forschungscampus STIMULATE – klinischer 3-Tesla-MRT vom
Typ Siemens MAGNETOM Skyra.                                                                                          www.forschungscampus-stimulate.de

   10                                                                                                                         MITTELDEUTSCHE MITTEILUNGEN 1/2022
SCHWERPUNKT // Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt

Der Verein STIMULATE e. V.                                           Institut für Physik
                                                                     der Ot to-von-Guericke-Universität Magdeburg (OVGU)
Der STIMULATE e. V. verbindet diejenigen spezialisierten Unter-
nehmen und Forschungseinrichtungen, die aus den Ergebnissen          Die Abteilung für »Biomedizinische Magnetresonanz« besteht seit
des Forschungscampus weitere Erkenntnisse oder technologischen       2007. Sie wurde von Prof. Oliver Speck gegründet, der sie bis heute
Nutzen ziehen können. Insgesamt 24 Unternehmen und 5 Institute       leitet. Ein Magnetresonanztomograph ist letztendlich eine kom-
sind hier vereint. Fast die Häle der Mitglieder kommt aus der       plexe Maschine, deren Teilsysteme immer wieder die Grenzberei-
Region, eine weitere große Gruppe aus Baden-Württemberg und          che des physikalisch Machbaren berühren, so etwa bei der Kühlung
Bayern. Auch zwei ausländische Unternehmen sind Mitglied.            des Magneten nahe dem absoluten Nullpunkt, beim Betrieb extrem
  Diese 29 Akteure bilden über den STIMULATE e. V. die »dritte       starker Magnetfelder oder bei der Anwendung neuer supraleiten-
Säule« des Forschungscampus STIMULATE, neben der OVGU und            der Materialien. Es ist kein Zufall, dass in den Teams rund um die
Siemens Healthineers. Vereinsvorsitzender ist Dr. Stefan Röll.       eigentliche Entwicklung bildgebender Verfahren und ihrem Ma-
                                                                     schinenpark die Physiker die personalstärkste Fachgruppe bilden.
                                      www.stimulate-verein.org      Dazu kommen typischerweise Informatiker und Elektrotechniker,
                                                                     Mediziner sind in der Entwicklung weniger stark vertreten aber
                                                                     wichtige Anwender in der Forschung.

                                                                                                                www.bmmr.ovgu.de
Leibniz-Institut für
Neurobiologie (LIN) Magdeburg

Das 1981 gegründete Institut für Neurobiologie und Hirnforschung
der damaligen Akademie der Wissenschaen wurde 1992 als IfN          Fakultät für Informatik
in der Leibniz-Gesellscha wiedergegründet. Verschiedene bild-       der Ot to-von-Guericke-Universität Magdeburg (OVGU)
gebende Verfahren sind hier unverzichtbarer Teil der Untersu-
chung von Vorgängen im Hirn, dem zentralen Forschungsinhalt          Eine »Hinstimmung« zum Thema ist schon in der Struktur
des heutigen LIN. So hat das LIN u. a. Europas ersten 7-Tesla-MRT    der Fakultät erkennbar: Es gibt einen eigenen Studiengang und
mit 32 Empfangskanälen für hochauflösende Bildgebung. Für Tie-        Fachbereich für Computervisualistik. Und der enthält schon im
re gibt es einen physisch deutlich kleineren, aber sehr starken      Grundstudium Vorlesungen und Prüfungen zum Anwendungsfach
9,4-Tesla-Tomographen. Auch die klassische Mikroskopie spielt        »Medizin«. In der modernen Radiologie finden sich eine Reihe an-
eine wichtige Rolle. Der Betrieb des 7-Tesla-Forschungs-MRT geht     spruchsvoller Forschungsbereiche für Informatiker:
2022 an die Ot to-von-Guericke-Universität Magdeburg über.            der klassische Bereich der Umwandlung von analogen Sensor-
                                                                       signalen in digital hochaufgelöste Bilder und der Entwicklung
                                        www.lin-magdeburg.de          digitaler Filter,
                                                                      die Generierung eines dreidimensionalen Bildes aus den vielen
                                                                       zweidimensionalen Schnitten wird immer aufwendiger, bedingt
                                                                       durch immer höhere Auflösungen und dichtere Bildfolgen
                                                                      bei der Erkennung von Objekten und Mustern (z. B. auffälliges
Deutsches Zentrum für                                                  oder krankes Gewebe) kommen Künstliche Intelligenz und
Neurodegenerative Erkrankungen                                         andere Verfahren der Mustererkennung immer stärker zum
                                                                       Tragen
Magdeburg ist einer der Standorte des bundesweiten Helmholtz-         die schiere Datenmenge erfordert neue Strategien und Ver-
zentrums DZNE, welches sich mit den für eine alternde Gesellscha      fahren zur Reduzierung und zum gezielten »Wegwerfen« von
wichtigen Fragen neurodegenerativer Erkrankungen wie etwa Alz-         weniger relevanten Daten.
heimer befasst. In dieser Forschung werden intensiv nicht-invasive
bildgebende Verfahren wie die MRT und die PET vom DZNE betrie-                                                     www.inf.ovgu.de
ben und eingesetzt, um frühzeitige Veränderungen im Gehirn zu
identifizieren und die Wirkung von Therapien auf den Verlauf der
Erkrankung zu verfolgen. Das DZNE betreibt das erste und einzige
kombinierte MRT-PET Gerät in Sachsen-Anhalt.

                                                  www.dzne.de

MITTELDEUTSCHE MITTEILUNGEN 1/2022                                                                                                  11
SCHWERPUNKT // Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt

Erste Unternehmen, die neue innovative und marktfähige
Geräte entwickeln
                                                                                                 Das »Mini-MRT«:
Etwa ein Dutzend Magdeburger Unternehmen hat sich dem For-
                                                                                                 Ein MRT zur Untersuchung
schungscampus und seinem Unterstützerverein angeschlossen.
Hieraus haben sich auch ganz neue Konzepte und Prototypen für
                                                                                                 von Gewebeproben
radiologische Techniken entwickelt. Dazu zählen u. a. die Neoscan
Solutions GmbH, RayDiax, MiniMRT und die InLine-Med GmbH.                                        Klemens Gutmann

RAYDIAX:
Ein CT zur Therapie-
assistenz
Klemens Gutmann

                                                                                                                                                                                                  © Christian Rößler
                                                                                                 Das MR System Engineering Team 2020, Ivan Fomin, Marcus Prier und David
                                                                                                 Schote, mit dem Tabletop MRT: Steuerungssoware (l.), OCRA Konsole (Mitte o.),
                                                                                                 Gradientenverstärker (Mitte u.) und Magnetbox inkl. der RF-Elektronik (r.).
                                                                          © IMG Sachsen-Anhalt

                                                                                                 Wissenschaler der OVGU haben im Forschungscampus STIMU-
                                                                                                 LATE ein MRT »für den Schreibtisch« entwickelt, von der Größe
                                                                                                 etwa eines Homeoffice-Laserdruckers. Es soll die Untersuchung
                                                                                                 von Proben unterstützen, etwa Zellen, Blut- und Gewebeproben
                                                                                                 sowie Lebensmittelproben. Auch das Fließverhalten von Flüssig-
Das RAYDIAX-Team (v. l.): Benjamin Fritsch, Robert Frysch, André Mewes,                          keitsproben kann untersucht werden, was bspw. Dialysepatienten
Thomas Hoffmann und Galina Steinke (n. i. Bild: Tim Pfeiffer und Tizian Mehl).                   zugutekommen kann.

Am Forschungscampus STIMULATE entwickelt ein Start-up-Team
unter dem Namen »RAYDIAX« einen neuartigen Computertomo-
graphen (CT) zur Therapieassistenz bei minimal-invasiven Be-
handlungen von Tumorerkrankungen. Besonders der Einsatz und
die Unterstützung während einer Operation stehen im Vorder-
grund. Die eingesetzte Röntgenstrahlung soll dabei um 40 Prozent
                                                                                                                                                                               © OVGU/STIMULATE

gegenüber bisherigen Systemen reduziert werden. Dabei konnte
das Team auf Vorarbeiten aus dem Forschungscampus STIMULATE
zurückgreifen, in deren Zusammenhang die Arbeitsgruppe von
Prof. Georg Rose das Projekt KIDs-CT durchführte. Ein CT mit deut-
lich reduzierter Röntgenbelastung und daher besserer Verträglich-
keit für Kinder. Die Arbeiten hatten 2017 begonnen. Im Sommer                                    Die OCRA Tabletop-Soware bietet alle wesentlichen Funktionen eines MRT, wie
2021 wurde eine sog. »Pre-Seed«-Förderung des Bundes erfolgreich                                 Spektroskopie, Materialuntersuchungen und Bildgebung von Reagenzglasproben.
eingeworben. Damit wird das Team nun zum Unternehmen.                                           Im Bild: Schnittbild eines 3D-gedruckten Wasserverdränger-Phantoms in Stern-
                                                                                                 form. Die Auflösung liegt im Submillimeterbereich. Die Soware ist Open Source
                                                        www.raydiax.com                         und wird daher stetig verbessert.

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SCHWERPUNKT // Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt

                                              Die InLine-Med:
                                              Optimierung bildgesteuerter
                                              Eingriffe
                                              IMG/Manuela Bock (auszugsweise)

Für eine gute Bildauflösung genügt dem          FlexLine-Nadelführung
System eine Feldstärke von 0,4 Tesla, deut-   zur Unterstützung einer
lich weniger als die bei Patienten-MRT be-       Schmerztherapie (r.).
nötigten 1,5 bis 3 Tesla. Durch die nur Re-    InPlan-Interventionelle
agenzglas-kleinen Proben, die dem System                Soware (u.).
zugeführt werden, ist auch der Energiebe-
darf sehr gering. Da das Magnetfeld durch
Permanentmagnete erzeugt wird, ist hier
keine Energiezufuhr und damit auch keine
nennenswerte Kühlung erforderlich. »Die
Herausforderung bestand vor allem darin,

                                                                                                                                            © InLine-Med
die zwei extrem starken Permanentmag-
nete, die sich gegenseitig mit 1,2 Tonnen                 © InLine-Med

anziehen, in einer Trägerkonstruktion auf
einem Abstand von nur wenigen Zentime-        Die InLine-Med GmbH entwickelt Assis-          Unter dem Namen FLEXSPINE fasst InLine-
tern zu halten und zu fixieren«, so Mar-      tenzgeräte, die nadelbasierte Eingriffe si-    Med Produkte für die interventionelle – also
cus Prier, Wissenschalicher Mitarbeiter      cherer machen. Ihre Mission ist: Innovative    operative – Radiologie zur Krebsdiagnose
am Forschungscampus STIMULATE. Auch           Produkte für sichere, genaue und einfache      bzw. -therapie und die interventionelle CT-
die Entwicklung der komplexen Elektronik      Interventionen – wie die Krebsdiagnose         basierte Schmerzbehandlung zusammen.
wurde vor Ort, in einem der Gründerlabore     durch Biopsien sowie zur Schmerz- und          »Wir setzen auf eine einfache Anwendung
der OVGU entwickelt und gefertigt.            Krebstherapie – zur Verfügung zu stellen.      für Ärzte und Krankenschwestern, auf Werk-
  Bemerkenswert: Die gesamten Pläne           Unterstützung kommt vom Forschungs-            zeuge, die universell einsetzbar sind und
und die Soware des Mini-MRT wird             campus STIMULATE, klinischen Partnern          sich gut in Arbeitsabläufe integrieren las-
zukünig nach dem Open Source-Prin-           und der bmp Ventures AG als Finanzierer        sen«, erklären die Gründer Sonja Lagotzki
zip weltweit online gestellt. Jeder In-       des Start-ups.                                 und Juan Sebastián Sánchez López. Die Me-
teressierte (und Befähigte!) kann das           In der radiologischen Bildgebung werden      thode soll massentauglich werden. Das be-
»MRT für den Schreibtisch« dann selbst        mithilfe von Magnetresonanztomographie         deutet: kleine Geräte, hohe Benutzerfreund-
nachbauen, anpassen und optimieren.           (MRT), Computertomographie (CT) oder Ultra-    lichkeit und mehr Einsatzmöglichkeiten
An der OVGU sind inzwischen mehrere           schall-Hohlnadeln für die Entnahme von         statt teurer Spezialroboter für nur einen
Exemplare des Gerätes im Einsatz, unter       Gewebe eingesetzt. Für die richtige Positio-   Eingriff. Dank eines von InLine-Med entwi-
anderem bei den Chemikern und Metal-          nierung der Nadeln brauchen Kliniken der-      ckelten Computerprogramms, das als Mobi-
lurgen.                                      zeit speziell geschultes Personal, und die     le-App auf dem Tablet laufen kann, wird die
                                              Prozeduren sind voller Risiken. Darum hat      Planung des Radiologen direkt vom Bild-
                                              InLine-Med Assistenzgeräte entwickelt, mit     schirm auf den Patienten übertragen – ohne
                                              denen Radiologen nadelbasierte Eingriffe       teure und komplizierte Systeme. So können
                                              einfacher, präziser und sicherer durchfüh-     die gewünschten Regionen im Körper fehler-
                                              ren können. Die Vorteile: Die Assistenz-       frei getroffen und unnötige Mehrfachpunk-
                                              geräte, Sowarelösungen und Instrumente        tionen vermieden werden. Das kommt bei
                                              lassen sich in gängige Verfahren integrie-     Medizinern gut an. Die meisten loben, dass
                                              ren, lösen die Platzprobleme beim MRT, ver-    durch die InLine-Med-Produkte Prozeduren
                                              ringern die Strahlenbelastung für Radio-       mit einfachen Mitteln optimiert werden. 
                                              logen beim CT und sparen Zeit durch eine
                                              schnelle Ausrichtung der Nadel.                                  www.inline-med.com

MITTELDEUTSCHE MITTEILUNGEN 1/2022                                                                                                 13
SCHWERPUNKT // Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt

Bildgebende Verfahren in der Medizin

Neoscan Solutions GmbH:
Ein kleines MRT für unsere Kleinsten
Wie technisches Downscaling zu einer neuen Leistungskategorie führt.

Klemens Gutmann

                                                                                                               © Neoscan Solutions/Alexander Liebing
Die in medizinischen Einrichtungen zur Verfügung stehenden
»Durchleuchtungsgeräte« sind für Säuglinge und Kleinkinder nur
bedingt geeignet. Speziell bei Frühgeborenen und dann vor allem
bei der Identifizierung und Behandlung von Fehlbildungen oder
organischen Fehlfunktionen sind diese bildgebenden Systeme aus
folgenden medizinischen Gründen nicht immer perfekt geeignet:
 Ultraschallbilder geben Sachverhalte und Details in vielen
  Bereichen nur begrenzt gut wieder.
 Röntgenstrahlung ist bei Kleinkindern nach Möglichkeit ganz
  zu vermeiden.
 Die Strahlenbelastung durch ein CT und das notwendige                                                                                               Dr. Stefan Röll,
  Kontrastmittel sind ebenfalls sehr bedenklich.                                                                                                       Geschäsführer
 Die großräumigen Installationen eines klassischen MRT                                                                                               Neoscan Solutions GmbH
  (Magnetresonanztomograph) mit großem Heliumkreislauf
  passen nicht in eine bestehende Kinderklinik oder gar in eine      Diese bewussten Reduzierungen führen zu wichtigen Verkleine-
  Frühchenstation. Transporte von Frühgeborenen von der              rungen und Vereinfachungen:
  Station zur Radiologieabteilung und zurück sollten zudem
  möglichst vermieden werden.                                         kein flüssiges Helium im Magneten

Hinter der technologischen Idee eines kleinen MRT steht die per-     Darin besteht der vermutlich wichtigste Unterschied zwischen
sönliche Erfahrung des Gründers von Neoscan, der beim eigenen        Neoscan und klassischen MRT-Geräten. Beim klassischen MRT
Kind als Frühgeborenem die Unzulänglichkeit der verfügbaren          müssen die Tieemperatur-Supraleiter auf fast 3 bis 4 °Kelvin
Durchleuchtungsgeräte miterleben musste. Nicht irgendwo, son-        heruntergekühlt werden, um die für den MRT-Betrieb notwendige
dern im Raum Nürnberg-Erlangen, also einer der »Welthauptstäd-       Supraleitung des Magneten zu erreichen. Das wird erreicht, indem
te« von Radiologie-, CT- und MRT-Forschung sowie -Herstellung.       der ganze Magnet in flüssigem Helium »badet« – was einen gro-
Einige Jahre später entwickelte besagter Vater, selbst bei Siemens   ßen Heliumumlauf zur Folge hat. Nicht so bei Neoscan: Hier wird
mit der Entwicklung von MRT-Geräten befasst, das Konzept für ein     die Wärme durch fast normale Kupferscheiben abgeführt, die an
kleines kompaktes MRT für »kleine Patienten« – auch weil er das      einem Ende einen Kaltkopf haben. Nur dieser wird mit einer Kälte-
Anwendungspotenzial und den Markt erkannte.                          maschine auf die bekannten 3 bis 4 °Kelvin heruntergekühlt. Am
                                                                     anderen Ende der Kupferscheiben ist es dann natürlich etwas
Die drei zentralen »Reduktionen« hierbei waren:                      weniger kalt – das macht aber nichts. Bis zur 25 °Kelvin-Grenze ist
                                                                     genug Spielraum. Dieser recht einfach klingende Mechanismus ist
1. Eine kleinere Patientenröhre mit nur 30 cm Durchmesser, damit     die wichtigste Voraussetzung für das angestrebte Downscaling.
  der gesamte Magnet signifikant kleiner und leichter wird.             Ganz wichtig dabei ist: Ein MRT mit vielen Hundert Litern flüs-
2. Die Nutzung eines speziellen Supraleiterdrahtes zum Bau des       sigem Helium benötigt eine umfangreiche Notfallinfrastruktur.
  Magneten. Dadurch muss der Magnet »nur« auf etwa 25 °Kel-          Sollte das Magnetfeld zusammenbrechen und sich die gespeicherte
  vin, das entspricht etwa –248 °Celsius, heruntergekühlt werden.    Energie mit einem Schlag entladen, so verdamp das gesamte He-
  Der Draht wird von der japanischen Sumitomo hergestellt und        lium in kürzester Zeit. Dazu benötigt das Gebäude einen gesicher-
  basiert auf einem keramikartigen Material aus den Elementen        ten, völlig separierten und großen Gasauslass (»quench pipe«) über
  Wismut, Strontium und Calcium, verbunden mit Kupferoxid.           das Dach ins Freie. Würde sich das Helium im Gebäude ausbreiten,
3. Die Reduzierung der Leistung auf eine Feldstärke von 1,5 Tesla.   droht Erstickungsgefahr. Diese Sicherungsinfrastruktur ist groß,
                                                                     sie ist baulich aufwendig und kostenintensiv. Bei Neoscan ist diese
                                                                     Infrastruktur nicht notwendig.

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SCHWERPUNKT // Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt

                                                                                                                                                      © Neoscan Solutions/Alexander Liebing
Ein kompaktes MRT: Entwickelt, um strahlungsfreie Bildgebung dort zu ermöglichen, wo sie gebraucht wird.

 »Halb so wild« – nur 1,5 statt 3 Tesla, bei halbem                                Der Magnet im Vakuum – ein Tiefsee-U-Boot
  Durchmesser.                                                                       an der Elbe

Die in dem stabilen Magnetfeld gebundene Energie ist bei Neoscan                   Alle Magnetsysteme in MRT arbeiten im Vakuum. Denn es muss
deutlich geringer als beim klassischen MRT. Dadurch sind auch die                  unbedingt ausgeschlossen werden, dass im direkten Umfeld des
benötigten Ströme speziell zum Anfahren des Magneten viel gerin-                   Magneten irgendwelche bipolaren Moleküle mitschwingen, die gar
ger. Weniger Energiezufuhr reduziert dann auch den Aufwand bei                     nicht zum Patienten gehören. Bei Neoscan hat man sich bei Fach-
der Energieabführung, also der Abführung der Wärme. Das Außen-                     leuten für Tiefsee-U-Boote Unterstützung geholt. Die stählerne
teil der Kühlanlage hat zwei gängige Kühlmittelanschlüsse. Es ist                  Hülle, der sogenannte Kryostat, wird wie ein umgestülptes U-Boot
etwa so groß wie eine handelsübliche Klimaanlage eines Ferien-                     betrachtet. Nur ganz wenige Teilchen dürfen pro Stunde hinein-
häuschens auf Mallorca – also keine Baumaßnahme, sondern eine                      diffundieren. Besucher können das spüren: Die sogenannte Mole-
Installation.                                                                      kularpumpe zieht im Normalbetrieb pro Minute nur einige weni-
   Ganz wichtig: Wer schon einmal in der Nähe des Magdeburger                      ge Moleküle aus dem Vakuum. Voraussichtlich kann der Kryostat
7-Tesla-MRT war, hat es am eigenen Leib verspürt. Der Gleichge-                    sogar ohne Pumpe ausgeliefert werden, nur alle paar Jahre muss
wichtssinn leidet, es kann einem sogar übel werden. Der Raum                       dieser bei der Grundwartung wieder leergepumpt werden. Da-
eines solchen MRT muss durch einen Faradayschen Käfig auf-                          durch wird den Patienten das durchaus »nervige« Geräusch einer
wendig abgeschottet werden. Bei 3 Tesla ist dieser Effekt relativ                  MRT-Pumpe eines klassischen MRT erspart. Ein Subsystem entfällt
schwach, aber immer noch vorhanden. Bei 1,5 Tesla spielt das kei-                  – Ot to von Guericke wäre (hoffentlich) beeindruckt.
ne Rolle mehr, die Abschirmung im Gerät selbst genügt. Und übel
sollte hier niemandem werden – weder dem Kleinstkind, noch den
Eltern.

MITTELDEUTSCHE MITTEILUNGEN 1/2022                                                                                                           15
SCHWERPUNKT // Innovative Medizintechnik aus Sachsen-Anhalt

 Die gesamte Hülle – keine Kanten, keine Knicke,                                                                     Die Bedienung: eine Hand am Panel,
  kein Koloss                                                                                                          eine Hand beim Patienten

Auf den Stationen für Frühgeborene, speziell bei den besonders                                                       Ein MRT für Frühgeborene ist dazu da, gefährliche oder gar lebens-
früh Geborenen oder denen mit Fehlbildungen und Krankheiten,                                                         bedrohliche Fehlbildungen zu beobachten oder wichtige Organe,
herrschen Reinraumbedingungen. Anders als im normalen Kran-                                                          Adern oder Muskeln und Sehnen zu scannen. Der dazu notwendi-
kenhausbetrieb ist hier die Anzahl der Keime und Fremdmoleküle                                                       ge Funktionssatz konnte zu einer vergleichsweise einfachen und
pro Kubikmeter Lu stark begrenzt und wird kontinuierlich über-                                                      bildgeführten Nutzeroberfläche verdichtet werden, die über ein
wacht. Der Besuch ist stark eingeschränkt, alle Personen tragen                                                      einziges Panel mit einer Hand bedienbar ist. Die Bedienung kann
Schutzkleidung. Geräte und Einrichtungen müssen leicht zu reini-                                                     von den qualifizierten Fachkräen einer Frühchenstation inner-
gen sein. Sie dürfen keine Spalten und Knicke aufweisen, in denen                                                    halb weniger Tage erlernt werden. Die radiologischen Fachkräe
sich Bakterien oder andere Biomasse halten oder gar vermehren                                                        können, müssen aber nicht zwingend vor Ort sein – eine weitere
kann. Die Oberfläche muss antibakteriell beschichtet sein. All dies                                                   wichtige Vereinfachung im Alltagsbetrieb.
ist bei Neoscan gegeben, bei den klassischen MRT ist dies nicht Teil
der Anforderungsliste.                                                                                               Eine weitere erfolgsrelevante Innovation gehört untrennbar zum
   Und eine weitere wichtige Vereinfachung: Der neue Säuglings-                                                      technischen Projekterfolg: Supraleitende Materialien sind o sehr
MRT ist etwa 2 × 2 × 1 Meter groß, wiegt weniger als zwei Tonnen                                                     empfindlich und auch spröde wie etwa »Streuselkuchen«. Sie zu
und kann mit einem guten Hubwagen in jedem Lastenaufzug                                                              langen Spulen zu verarbeiten, verlangt viel mechanisches Geschick.
eines Krankenhauses transportiert werden. Er arbeitet mit zwei                                                       Hier ist es dem Magdeburger Unternehmen gelungen, das eher sprö-
380 Volt/32 Ampere-Anschlüssen. Seine Anlieferung und sein Ein-                                                      de auf Band aufgewalzte Material zu großen scheibenartigen Mag-
bau verursachen also kein aufwendiges Bauprojekt, sondern sind                                                       netspulen zu wickeln. Kilometerlanger Banddraht, der in gleicher
eher als Installation realisierbar. Kurz und gut: Der Neoscan-MRT                                                    Qualität, mit gleicher Festigkeit und mit fein ausgesteuerter Zug-
»passt« in jede Frühchenstation.                                                                                     kra zu einer Spule verarbeitet wird. Das hat Neoscan in der Hei-
                                                                                                                     matstadt des Verseilmaschinenbaus mit hoher Präzision entwickelt.
                                                                                                                       Eine Reihe von »mittelgroßen« Innovationen bilden also in
                                                                                                                     ihrer Gesamtheit einen neuartigen Magnetresonanztomographen,
                                                                                                                     der, so sind die Gründer und Mitarbeiter überzeugt, einen eigenen
                                                                                                                     Markt eröffnet. Schätzungen auch aus den Häusern etablierter
                                                                                                                     MRT-Hersteller gehen davon aus, dass in der klinischen Neonato-
                                                                                                                     logie und Pädiatrie weltweit ein Bedarf an über 1 000 MRT-Geräten
                                                                                                                     besteht. Auf genau diesen Markt zielt Neoscan.
                                                                                                                       Die Neoscan Solutions GmbH wurde 2017 in Magdeburg gegrün-
                                                                                                                     det und hat sich im Wissenschashafen Magdeburg angesiedelt.
                                                                                                                     Sie logiert im Nachbargebäude des Forschungscampus Stimula-
                                                                                                                     te, von dessen Nähe sie sehr profitiert, ebenso von der ständigen
                                                                                                                     Zusammenarbeit im SIMULATE e. V. Seit 2019 ist der Prototyp in
                                                                                                                     Erprobung und Zulassung, das System erwartet im Laufe des Jah-
                                                                             © Neoscan Solutions/Alexander Liebing

                                                                                                                     res 2022 die erfolgreiche Zulassung für die medizinische Anwen-
                                                                                                                     dung. Zu Forschungszwecken kann das Gerät bereits heute genutzt
                                                                                                                     werden. Zwei deutsche Kliniken hatten im letzten Jahr Projektmit-
                                                                                                                     tel zur Anschaffung bzw. zum Leasing von Neoscan-Geräten bean-
                                                                                                                     tragt. Zu Weihnachten sind beide Anträge positiv beschieden wor-
                                                                                                                     den, was bei dem inzwischen 26-köpfigen Neoscan-Team für beste
                                                                                                                     Weihnachtsstimmung gesorgt hat. 

Das Gehäuse des Neoscan-MRT, in dem der konduktiv gekühlte Magnet in einem
Vakuum arbeitet – der sog. »Kryostat«.

                                                                                                                             Neoscan Solutions GmbH
                                                                                                                             Joseph-von-Fraunhofer-Straße 6 | 39106 Magdeburg
                                                                                                                             Tel. +49 (0) 391 5639-8540
                                                                                                                             info@neoscan-solutions.com | www.neoscan-solutions.com

   16                                                                                                                                                     MITTELDEUTSCHE MITTEILUNGEN 1/2022
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