Ökologie und Konsum - Winter 2013 Nr. 669 4,50 € Zeitung für soziale Dreigliederung, neue Lebensformen, Umweltfragen
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Winter 2013 Nr. 669 4,50 € Zeitung für soziale Dreigliederung, neue Lebensformen, Umweltfragen Ökologie und Konsum
Schwerpunkt Seite 10 Ökologie und Konsum Inhalt Gegen eine Welt der Konzerne Schwerpunkt: von Dieter Koschek 3 Ökologie und Konsum Direkte Demokratie 4 Der Natur die Treue halten Projektwerkstatt von Anton Kimpfler 10 Solidarität ist alles was und bleibt Kaffeekauf schützt Regenwald von Lisa Mittendrein 5 von Barbara Wagner 15 Die Resilienz von Währungen Individuelle Menschenbildung und von Roland Alton 6 Massensuggestion Bio- und Projekteladen von Andreas Pahl 16 Mitgliederladen!? 7 Naturwesen und Erdheilung Rundgespräche eine Buchbesprechung von Zwischen Haupt und Gliedern 8 Andreas Pahl 18 BAF Anthroposophie & jedermensch Harald Gmeiner, Jos Diegel und Woran vieles krankt Kathrin Lampert, baf 9 von Anton Kimpfler 20 Eulenspiegels Kulturraum 22 harald gmeiner freies land 24 Wochenendseminar Freitag, 11. April 2014, 20 Uhr bis Sonntag, 13. April 2014, mittags Was förderlich wirkt zwischen uns und der Welt Vom Finden eines schöpferischen Gleichgewichts Mit Anton Kimpfler (Schriftsteller), Ansgar Liebhart (Psychotherapeut) und Inga Gessinger (Eurythmie). Bei- träge, psychologische Gesprächsarbeit und eurythmisches Bewegen (leichte Schuhe mitbringen). Oft pendeln wir heftig zwischen Einseitigkeiten: mal in äußere Turbulenzen gerissen, dann wieder zu sehr in Eigenprobleme verstrickt. Doch kann auch gelernt werden, eine stets gesündere, ja schönere Mitte dazwisch- en aufzubauen. Mit liebevollem Herzgehör hängt dies zusammen sowie einem lebendigen Interesse für Zeit- notwenigkeiten. Kostenbeitrag 50 Euro, ohne Übernachtung und Verpflegung, Ermäßigung möglich. Übernachtung ist in unserem Holzhaus mit eigenem Schlafsack im Mehrbettzimmer für 12 Euro pro Nacht möglich. Im Café besteht die Möglichkeit zum gemeinsamen Mittagessen (Samstag und Sonntag). Frühstück und Abendessen in Selbstorganisation (Gaststätte oder Selbstversorgerküche). Bitte bei Anmeldung angeben! Anmeldung: Eulenspiegels Kulturraum, Dorfstr. 25, D-88142 Wasserburg, Tel.: 08382 - 89056 Impressum Alle Zahlungen bitte an: Jedermensch-Verlag, Konto-Nr. 13 70 70–206, Herausgeber: Jedermensch-Verlag, Brutschin & Koschek GbR, Dorfstr. 25, 88142 Wasserburg(B) Postbank Hamburg (BLZ 200 100 20} . Vertrieb und Redaktion: Jedermensch-Verlag, Dorfstr. 25, Internationale Bankverbindung: 88142 Wasserburg (B), Telefon: 08382/89056 IBAN DE18 2001 0020 0137 0702 06; BIC PBNKDEFF Redaktion: Dieter Koschek (ViSdP) und Anton Kimpfler Der jedermensch erscheint vierteljährlich, jeweils März, Juni, September Gestaltung: Dieter Koschek; Titelblatt gestaltet von Klaus Korpiun; die und Dezember. Einzelexemplare kosten 4.50 €, Abonnement jährlich 18 € Vorlage dafür und die Skizzen im Inneren stammen von Renate Brut- (einschl. Porto und Versand). schin. Handschriften von Barbara Wagner. Druck: digitaldruck leibi, Burlafingerstr. 11, 89233 Neu-Ulm Freie Mitarbeiter: Alte und neue Freunde des jedermensch und des Der jedermensch wird auf Umweltschutzpapier gedruckt. Modell Wasserburg e.V. Die Auflage beträgt 250. ISSN 0949 – 3247 589-53247-0310-1072 869-53247-0409-0753 weitere Infos: www.leibi.de/klima 2
Zeitkommentare Gegen eine Welt der Konzerne! Die zwischen der EU und den USA angestrebte Han- ILO-Normen betreffend gewerkschaftlicher Organi- dels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) ist ein neu- sationsrechte nicht unterzeichnet. In Teilen der USA er Angriff auf die öffentlichen Güter und das Selbst- herrscht eine regelrecht gewerkschaftsfeindliche Po- bestimmungrecht der Menschen und ihrer Staaten.. litik. Die TTIP könnte bei einer Angleichung entspre- Die Pläne zur Schaffung der größten Freihandels- chender Standards eine erhebliche Schwächung der zone der Welt dient nur den Konzernen. Auch wenn ArbeitnehmerInnen in der EU bedeuten. der EU-Kommissar De Gucht die TTIP als eine Art Kultur: Kulturelle Vielfalt kann es ohne Förderung kostenloses Konjunkturpaket preist - die zu erwar- und Schutz nicht geben. Die TTIP gefährdet zum Bei- tenden Wachstums- und Beschäftigungseffekte sind spiel die Filmförderung und die Buchpreisbindung. gering. So geht sogar die freihandelsfreundliche und Die Kultur nur dort sich entwickeln zu lassen, wo sie selbst an dem Abkommen interessierte Bertelsmann- nach Marktkriterien profitabel ist, bedeutet kulturelle Stiftung beispielsweise für Deutschland je nach Sze- Verarmung. nario lediglich von einem Anstieg der Beschäftigung Öffentliches Beschaffungswesen: Durch eine voll- um 0,12 bzw. 0,47 Prozent aus – verteilt über einen ständige Öffnung des öffentlichen Beschaffungs- Zeitraum von fünfzehn Jahren. Demgegenüber steht wesens für Anbieter des jeweils anderen TTIP- vor allem die Gefahr einer weiteren Vertiefung des Partners würde es künftig schwerer werden, ökolo- Standortwettbewerbs, einer Verringerung demokra- gische und soziale Aspekte bei der Auftragsvergabe tischer Gestaltungsmöglichkeiten und eines Abbaus einzubeziehen. Genau darauf pocht die EU in den sozialer und ökologischer Standards. Unsere Be- Verhandlungen. sorgnis bezieht sich hauptsächlich auf die folgenden Die TTIP-Verhandlungen sind daher eine Bedrohung Bereiche: für soziale Rechte, Verbraucherschutz und Umwelt. Investitionsschutz: Laut dem Verhandlungsmandat Die Verhandlungen werden ohne demokratische der EU-Kommission soll ein Investitionsschutz- Kontrolle durchgeführt. Vorbereitet wurden die Ver- abkommen Teil des Vertrags werden. Konzerne handlungen von der transatlantischen „High Level sollen das Recht bekommen, die Vertragsstaaten Working Group on Jobs and Growth“. Kein einziges vor einem Schiedsgericht zu verklagen, wenn eine Mitglied dieser Gruppe hatte ein demokratisches „direkte oder indirekte Enteignung“ droht. Einerseits Mandat. Dass ein übergroßer Anteil der externen wird dadurch eine parallele Rechtsstruktur jenseits Expertise von Unternehmen und Wirtschaftsverbän- demokratischer Kontrolle geschaffen, die die Stan- den kam, während Sozial-, Umwelt- und Verbraucher dards unseres modernen Rechtssystems untergräbt. schutzverbände kaum Einfluss nehmen konnten, Andererseits können Investor-Staat-Klagen demo- machte ein ausgeglichenes Verfahren zu allseitigem kratische Entscheidungsspielräume schmälern, wenn Nutzen völlig unmöglich. Die Verhandlungen selbst Konzerne entsprechende Regulierungsmaßnahmen werden seitens der EU von der Kommission geführt, Umweltstandards, Sozialstandards etc. wegklagen die hierzu ein wenig konkretes, aber weitreichendes können. Mandat des Europäischen Rates erhielt. Demokra- Finanzmarktregulierung: Die globale Finanzmarkt- tisch gewählte VertreterInnen der Mitgliedsländer und Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass unregulierte sind an den Verhandlungen nicht beteiligt. Der Ein- Finanzmärkte eine Gefahr für Wirtschaft und Gesell- fluss der Parlamente beschränkt sich allein darauf, schaft bedeuten. Auch fünf Jahre nach dem Kollaps dem Verhandlungsergebnis zuzustimmen oder von Lehman Brothers ist nicht ausgeschlossen, dass nicht. weitere Finanzkrisen mit ähnlichen Dominoeffekten Der aktuelle Prozess zu einer transatlantischen wie 2007ff eintreten. Viele notwendige Maßnahmen Freihandelszone ist demokratisch organisierten Ge- wurden nicht ergriffen. Lediglich einige zaghafte sellschaften nicht würdig. Die potenziellen Folgen Ansätze wurden auf den Weg gebracht. Alles deutet eines ratifizierten Freihandelsvertrages sind äußerst darauf hin, dass die EU-Kommission es in den Frei- Besorgnis erregend und widersprechen gesellschaft- handelsverhandlungen billigend in Kauf nimmt, dass lichen Interessen fundamental. diese Ansätze wieder ausgehebelt werden. Die TTIP-Verhandlungen müssen sofort gestoppt Vorsorgeprinzip und Verbraucherschutz: Zwischen werden. der EU und den USA gibt es erhebliche Unterschiede Informieren Sie sich auf der Website von attac: bei Produktstandards, Kennzeichnungspflichten, Ge- http://www.attac-netzwerk.de/index.php?id=12920 sundheitsstandards u.v.m. Bei der TTIP-Verhandlung Protestiert, demonstriert, verbreitet die Informationen soll eine möglichst weitreichende Angleichung her- weiter. Wir haben schon mal ein ähnliches Abkom- beigeführt werden. Die TTIP könnte so dem um- men, das MAI verhindert. Das wird uns auch ein weltschädlichen Fracking, gentechnisch veränderten zweitesmal gelingen. Nahrungsmitteln u.v.m. Tür und Tor öffnen und die Dieter Koschek gesundheitliche Grundversorgung weiter aushöhlen. Die Informationen stammen von der attac-website ArbeitnehmerInnenrechte: Die USA haben zentrale 3
Zeitkommentare Bundesweite Volksentscheide Eine aktuelle Emnid-Umfrage hat ergeben, dass sich 83 Prozent der Wähler/innen von CDU und CSU für bundesweite Volksentscheide aussprechen. Innerhalb der Gesamtbevölkerung sind 84 Prozent dafür. Bayern: Bürgerentscheid gegen Olympia Berlin: Energietisch-Volksentscheid knapp am Zustimmungsquorum gescheitert Am 10.11.13 stimmten die Bayern in den vier betrof- fenen Gebieten gleichzeitig über eine Bewerbung Insgesamt 2.483.756 abstimmungsberechtigte Ber- für die Olympischen Winterspiele 2022 ab. Bei einer liner/innen waren am 3. November per Volksent- hohen Wahlbeteiligung votierten die Bürger/innen scheid dazu aufgerufen, auf direktdemokratischem mehrheitlich dagegen. Die Gründe für das Votum der Wege zu entscheiden, ob die Stadt Berlin wieder Bürger/innen sind vielseitig. Von herausragender Be- Betreiber des Berliner Stromnetzes werden soll und deutung scheint dabei eine Kritik an den Geschäfts- welche Mitbestimmung die Bürger/innen über ihre praktiken des Internationalen Olympischen Komitees Energieversorgung in Zukunft haben werden. Laut (IOC) gewesen zu sein, mit der die „NOlympia“-Akti- dem amtlichen Endergebnis stimmten 83 Prozent der visten für ein „Nein“ bei der Abstimmung warben. Ne- Teilnehmenden für die Gesetzesvorlage des Energie- ben dem Vorwurf der intransparenten „Knebelverträ- tisches. Allerdings wurde das Zustimmungsquorum ge“ wurde auch auf eine befürchtete Kostenexplosi- von 25 Prozent nicht erreicht. on und mögliche Umweltschäden in der sensiblen Al- „Die Strategie der Berliner Regierung, die Beteiligung penregion verwiesen. Anderen Einschätzungen nach durch eine Abkopplung des Abstimmungstermins von sind die Münchner den stetigen Trubel in ihrer wach- der Bundestagswahl im September möglichst gering senden Stadt zunehmend leid und das allgemeine zu halten, ist damit leider voll aufgegangen“, sagt He- Interesse an sportlichen Großveranstaltungen halte lena Stange vom Landesvorstand Mehr Demokratie sich gegenwärtig ohnehin in Grenzen. Berlin/Brandenburg. Wie bei Wahlen auch sollte die Mehrheit der abgegebenen Stimmen über Erfolg oder Erfolg für „Unser Hamburg - Unser Netz“ Misserfolg einer Vorlage entscheiden.“ Die Hamburger haben sich per Volksentscheid mehr- heitlich dafür ausgesprochen, dass die Hansestadt ihre Energienetze vollständig zurückkauft. Mit 50,9 Stuttgart erleichtert Volksentscheide zu 49,1 Prozent der Stimmen erreichte die Initiative „Unser Hamburg - Unser Netz“ die notwendige Ab- Die Regierungs- und Oppositionsfraktionen im baden- stimmungsmehrheit von mehr Ja- als Nein-Stimmen württembergischen Landtag haben sich nach langen und auch eine zweite, sehr kritikwürdige Bedingung, Verhandlungen auf eine Verfassungsänderung zur Er- wurde erfüllt: Denn die Anzahl der Ja-Stimmen muss leichterung von Volksentscheiden geeinigt. Dazu ist größer sein als die Hälfte der Zweitstimmen, die bei eine Zweidrittelmehrheit im Parlament notwendig. Ba- der Bundestagswahl in Hamburg auf die Parteien ab- den-Württemberg hatte – im Vergleich mit allen ande- ren Bundesländern – bislang die höchsten Hürden für gegeben wurden, die mindestens ein Bundestags- Volksentscheide. Für einen gültigen Volksentscheid mandat erhalten haben. Beispielrechnung: Würden musste bislang ein Drittel der eingetragenen Wahlbe- in Hamburg bei der Bundestagswahl 920.000 Zweit- rechtigten ihre Stimme abgeben, das sind in Baden- stimmen abgegeben und entfielen davon 20.000 Württemberg etwa 2,5 Millionen Menschen. Grüne und Stimmen auf Parteien, die an der 5%-Hürde schei- SPD sowie die Oppositionsparteien CDU und FDP wol- tern, müssten für einen erfolgreichen Volksentscheid len das Zustimmungsquorum nun auf 20 Prozent der mindestens 450.001 Ja-Stimmen vorliegen (900 000: Wahlberechtigten senken. Die Grünen wollten das Quo- 2 = 450 000; Mehrheit: 450.001). Da jedoch auch di- rum ursprünglich abschaffen und dem bayerischen Vor- ese zweifelhafte Hürde übersprungen wurde, ergeht bild folgen. Auch Volksbegehren werden erleichtert: an Bürgerschaft und Senat nun der Auftrag, die Kon- Künftig können hierfür sechs Monate Unterschriften ge- trolle über die Hamburger Strom- und Gasverteil- sammelt werden und auch außerhalb der Rathäuser. netze sowie die Fernwärmeversorgung wieder voll- Außerdem soll es künftig Volksinitiativen geben: Wenn ständig in die kommunale Hand zu überführen. Die 40 000 Bürger unterschreiben, muss der Landtag das Netze werden derzeit von E.on und Vattenfall betrie- gewünschte landespolitische Thema behandeln. Bei ben. Die Hamburger/innen haben damit beschlossen, Verfassungsänderungen bleibt es bei einem Zustim- dass die Energienetze als Instrumente der kommu- mungsquorum von 50 Prozent. Bei kommunalen Bür- nalen Energiepolitik und der Energiewende einge- gerbegehren ist künftig ein Quorum von sieben Prozent setzt werden sowie die Gewinne aus dem Netzbe- einheitlich für alle Kommunen vorgeschrieben. trieb und dem Fernwärmegeschäft in Hamburg blei- Das Quorum für kommunale Bürgerentscheide wird von ben sollen. 25 Prozent auf 20 Prozent gesenkt. aus der F.A.Z., 07.11.2013 4
Eulenspiegels Projektwerkstatt Solidarität ist alles, was uns bleibt Griechenland befindet sich derzeit in einer erschre- hilfe: Mit Hilfe der Solidarischen Ökonomie findet nicht ckenden ökonomischen, politischen und sozialen Situa- nur materielle, sondern auch immaterielle (psycholo- tion. Unternehmensschließungen, Entlassungen, Lohn- gische, soziale) Selbsthilfe statt, und diese Selbsthil- kürzungen, Privatisierungen, die Streichung öffentlicher fe ist dabei immer kollektiv. Mit der zunehmenden Ver- Leistungen und unzählige Steuererhöhungen sind nur schärfung der Krise gewinnt der Aspekt der Krisenbe- einige der vielen Elemente von Krise und Austeritätspo- wältigung innerhalb der Projekte an Bedeutung. Meine litik, mit denen die GriechInnen tagtäglich zu kämpfen Einschätzung ist dennoch die, dass die Krisenbewälti- haben. Die Folgen dieser Politik: Arbeitslosigkeit, Armut, gung und die Selbsthilfe in den Motiven für die Projekte gesellschaftliche Desintegration und verstärkter Zulauf und deren Potenzialen nach wie vor nicht dominieren. zu rechtsextremen Ideologien. In keinem der von mir besuchten Projekte können die Griechenland erlebt in dieser furchtbaren Krisensituati- Beteiligten durch die Mitarbeit oder Teilnahme ihren Le- on gerade das Aufleben einer neuen Bewegung Soli- bensunterhalt bestreiten – und nur ein Projekt hat dies darischer Ökonomie. Quer durchs Land entstehen fast überhaupt zum Ziel. Viele Initiativen leisten einen Bei- täglich neue Tauschkreise, Gemeinschaftsgärten, Alter- trag zur Befriedigung ungedeckter materieller Bedürf- nativwährungen, kooperative Läden, soziale Zentren, nisse, dies geht aber selten so weit, dass dieser Aspekt Umsonstläden, selbstverwaltete Cafés und viele andere der bestimmende ist. Arten von Projekten. Solidarische Ökonomie ist also in Griechenland auch Die Solidarische Ökonomie Griechenlands ist in vieler Selbsthilfe, sie ist jedoch und vor allem viel mehr. Über Hinsicht besonders, ihre Eigenschaften, Formen, Dy- die kollektiven Identitäten, die Emanzipation und An- namiken und Potenziale sind beindruckend. Einige As- eignung, den Wertewandel, die Bildung neuer Bezie- pekte treten jedoch als bemerkenswert hervor. Nicht nur hungen und die Entstehung von Solidarität, die Inspira- ist das Feld der Solidarischen Ökonomie bunt und viel- tion und schließlich die Integration von Wirtschaft und fältig, dies trifft auch auf die einzelnen Projekte zu. In anderen Lebensbereichen trägt die Solidarische Ökono- fast allen von mir besuchten Initiativen finden nicht nur mie ein transformatives Potenzial in sich. eine oder zwei Aktivitäten statt, sondern viele verschie- Wie auch die Frage nach dem Bestehen über die Krise dene. So wird im Gemeinschaftsgarten nicht nur Gemü- hinaus kann der Beitrag des Feldes zur Transformati- se angepflanzt, sondern die Mitglieder versuchen mit ih- on erst im Nachhinein beurteilt werden. Auch wenn ich rer Tätigkeit auch, Menschen in Not zu unterstützen. die Selbsthilfe häufig der Transformation gegenüber- Daneben betreiben sie Informationsarbeit zur biolo- stelle, so sind diese beiden Potenziale keine Gegen- gischen Landwirtschaft und Selbstversorgung und set- sätze. Kollektive Selbsthilfe kann Solidarität und kollek- zen sich für den Erhalt und Ausbau öffentlicher Räume tive Identitäten hervorbringen, welche wiederum über ein. Ein anderes Projekt beginnt wiederum als Alter- die konkrete Situation hinausgehen und transformatives nativwährung, eröffnet ein Gemeinschaftszentrum mit Potenzial haben. Und auch die Transformation, die Ver- Tauschbasar, macht Öffentlichkeitsarbeit und plant den änderung bestimmter Lebensbereiche, kann einzelnen selbstorganisierten Anbau von Obst und Gemüse. Die Beteiligten helfen, ihre materiellen und immateriellen verschiedenen Projekte entstehen oft aus einer kon- Bedürfnisse zu befriedigen. kreten Idee, reagieren auf die Wünsche des Umfelds, Viele meiner InterviewpartnerInnen sind jedenfalls fest wandeln sich aber rasch und erweitern ihre Tätigkeits- vom transformativen Potenzial ihrer Projekte überzeugt bereiche. und äußeren den Wunsch, gemeinsam den Wandel in Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt betrifft die große Bewegung zu setzen. Sie wollen über ihr konkretes Tun Bedeutung von Gemeinschaft innerhalb der Solida- neue alternative Wege aufzeigen und so zur Lösung ge- rischen Ökonomie. Der Wunsch nach Gemeinschaft ist sellschaftlicher Probleme beitragen. Oder wie es ein In- – wenn auch indirekt – eines der am stärksten hervor- terviewpartner ausdrückt: tretenden Motive der AkteurInnen im Feld. In den mei- „Wenn man nicht experimentiert, wenn man nicht ver- sten Fällen kommen die Beteiligten über die wirtschaft- sucht eine andere Art zu Leben zu finden, und man ein- lichen Aktivitäten zu den Projekten – was sie jedoch fach erwartet, dass etwas von hoch oben herab kommt, dort hält sind die sozialen Beziehungen und das Gefühl dann wird es nie passieren.“ der Zugehörigkeit. Die dritte besondere Eigenschaft der Solidarischen Lisa Mittendrein, leicht überarbeitetes Kapitel aus dem Ökonomie in Griechenland ist: ihre Integrationskraft. Die Buch: Lisa Mittendrein Zusammenführung von Wirtschaft, Politik und Gemein- Solidarität ist alles, was uns bleibt schaft ist eine große Herausforderung und eine Lei- Solidarische Ökonomie in der griechischen Krise stung mit besonderem transformatorischen Potenzial. AG SPAK Bücher I ISBN 978-3-940865-55-7 I 2013 I Die Geschichte hat gezeigt, dass Projekte alternativen 208 Seiten I 16 € I www.agspak-buecher.de Wirtschaftens oft nicht über Krisenzeiten hinaus beste- hen konnten, wenn sie primär der Selbsthilfe dienten. Eine erste Differenzierung betrifft die Form der Selbst- 5
Eulenspiegels Projektwerkstatt Die Resilienz von Währungen Bernard Lietaer auf Besuch in Vorarlberg In Brasilien fand die Regierung den Mut, 200 Banken Dieter Koschek, der auch Regionale Ansprechperson bei der Etablierung einer komplementären Währung für Talente Vorarlberg ist, besuchte den Workshop im zu unterstützen. In einigen Städten Grossbritanniens Bildungshaus St. Arbogast in Götzis. wie in Bristol etablieren sich tragfähige Komplemen- Der folgende Text stammt von Roland Alton, der in tärwährungen. Lietaer hat die Einführung der Torekes der Allmendagenossenschaft Vorstandsmitglied ist in Gent begleitet: nur wer Torekes durch Gemeinwe- und dort für It-Lösungen und das Change Lab zu- senarbeit verdient, kann einige Quadratmeter Boden ständig ist. pachten, um dort Gemüse anzubauen: ein echtes Bedürfnis vieler migrantischer Familien, die so freiwil- Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat eine systemische lig aktiv werden. Ursache: das Festhalten an einem antiquierten Geld- Das C3 System (Commercial Credit Circuit) schafft system mit jeweiliger Monopolstellung. Von 1970 bis seit 2005 in Uruguay oder Brasilien Vertrauen zwi- 2010 crashten 208 Währungen, mit schweren Op- schen regionalen Unternehmen, die so mehr unter- fern bei der jeweils betroffenen Bevölkerung. Wo liegt einander Handel betreiben. Der Handelskreis be- die Ursache? Mehr als 100 Personen folgten Ber- zahlt gemeinsam 1% Versicherung für künftige, in- nard Lietaers Ausführungen bei einer Veranstaltung terne Verbindlichkeiten an einen externen Versiche- am 4.11.2013 vor Vorarlberger Ökoprofit Betrieben, rer (beim C3U in Urugay ist es die Weltbank). Jeder weitere 40 Personen diskutierten mit ihm tags darauf Teilnehmer profitiert von 2-3% Skonto bei den Lie- seine Thesen bei einem Workshop der TALENTE feranten. Eine Bank ausserhalb des Handelskreises Akademie. Er besuchte auch die ALLMENDA Genos- bietet die Möglichkeit die Währung zu wechseln, mit senschaft, liess sich den aktuellen Stand der emit- einem Abschlag von 1-2%. Über ein Liegegeld von tierten Lokalwährungen zeigen und kommentierte di- etwa 0,5% pro Jahr kann sich das System finanzie- ese in einem Videostatement. ren. Lietaer würde das Konzept, das von der STRO Zum Beginn des Workshops versucht Lietaer das Foundation mitentwickelt worden ist, gerne auf euro- Geldsystem nach dem Muster der Ökologie zu erläu- päischer Ebene umgesetzt sehen. tern. Das Kennzeichen eines gesunden Ökosystems Auf die Frage nach der Relevanz von Bitcoin antwor- ist die Balance zwischen Effizienz und Resilienz. tet Lietaer, dass dies technisch interessant umge- Letztere bezeichnet die Robustheit vor Störungen, in setzt sei, aber im Wesentlichen der Spekulation mit der Natur wären das etwa Trockenperioden. Nur mit einer intransparenten Währung dient. ausreichender Diversität und Verbindungsfähigkeit Auf das Kunstprojekt OCCCU (Occupy Currency) lassen sich Krisen meistern. Das heutige Finanzsy- von Studierenden der FH Vorarlberg angesprochen, stem ist jedoch eine Monokultur: zugegebenermaßen meint er, dass die Verquickung einer Währung mit ziemlich effizient, aber instabil und anfällig bei Stö- einem Grundeinkommen eine interessante Idee sei. rungen etwa bei Blasenbildungen im Markt. Roland Alton Was wir brauchen ist eine Mischkultur an Währungen: regionale Komplementärwährungen, Tauschsysteme und Zeitbörsen. Idealerweise wird die jeweilige Leit- währung (US Dollar oder Euro) auch abgelöst von einer globalen Referenzwährung, wie Lietaer sie mit dem Terra beschrieben hat. Doch allen globalen Un- ternehmen und Finanzinstituten ist dieses Thema zu heiss, man könnte ja die US-Amerikaner vergrä- men, die viel Energie aufwenden, damit der Dol- lar die globale Leitwährung bleibt, mit dem etwa das Barrel Erdöl gehandelt wird. "Währungen müssten Gemeinwohlökonomie wie ein Gemeingut organisiert sein, inklusive demo- Bodenseee-Oberschwaben kratischer Kontrolle, wie sie die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrum als eines der sieben Prinzipien lokaler Anfang Dezember trafen sich die Koordinatoren der Allmenden beschreibt", meint Lietaer. Energiefelder Bodensee-Oberwaben und Vorarlberg Vorarlberg ist in Europa eine Vorzeigeregion, mit im Eulenspiegel, um über ein gemeinsames Wirken einem gut etablierten Tauschkreis und Regionalwäh- bzw. über Synergieeffekte zu sprechen. Ziel ist es rungen auf Ebene von Dörfern oder Regionen. von einander zu lernen! 6
Bio- und Projekteladen Mitgliederladen!? Für unseren kleinen Laden suchen wir neue Wege Die Mitgliedsbeiträge sollen die Grundkosten decken, des Wirtschaftens, denn die üblichen können wir also Miete, Nebenkosten und eventuell sogar Löhne. nicht gehen. Die kleinen Bioläden unter 100 qm müs- Bei fast allen Mitgliederläden zahlt man ein einma- sen weichen. Immer mehr BioSupermärkte oder liges Startdarlehen pro Person: Richtung 50 €, das große Läden entstehen und bieten eine große Viel- man bei Austritt wieder zinslos erhält. Die monatli- zahl an Produkten an. Das können wir mit 60 qm gar chen Beiträge laufen zwischen 16 und 19 € für die er- nicht bieten. Seit in Lindau ein großer Laden aufge- ste Person, die Beiträge für die 2. Person und mehr macht hat, ist unser Umsatz um 10 Prozent gesun- sowie für Kinder werden unterschiedlich gehandhabt. ken und es gab keine Zuwächse mehr. Nur in einem Laden unterscheidet sich der Beitrag Wir arbeiten in unserem Laden sowieso schon ehren- nach Einkaufsgrößen. Die recherchierten Läden ge- amtlich, weil wir überzeugt sind, dass die Biolandwirt- ben einen durchschnittlichen Rabatt von 20 %. schaft und die kleinen regionalen Landwirte diejeni- Wir werden in diesem Winter diese Idee erst mit den gen sind, die die Lebensmittelversorgung der Men- Mitarbeitern diskutieren, im Eulenspiegel Haustref- schen, ja letztlich der Menschheit (siehe Welternäh- fen vorstellen und in einem öffentlichen Treffen dies rungsbericht) sichern. auch mit interessierten Kundinnen besprechen. Ger- Wir kommen bisher ohne Zuschüsse und Subventi- ne können sich auch Leserinnen des jedermenschen onen aus - doch weil der Umsatz so klein ist, brau- daran beteiligen. chen wir neue Ideen. Wir werden die Einbindung in den Eulenspiegel verdichten und vielleicht gemein- Unser derzeitiger Vorschlag für einen Mitgliederladen same Veranstaltungen organisieren. Leider können lautet: wir die Öffnungszeiten nicht mit dem Lokal gleichset- • die Mitglieder erhalten 20 % Rabatt zen, um Essengehen und Trinken mit dem Einkauf zu • einmalige zinslose Einlage, die bei Austritt wieder verbinden. ausbezahlt wird 50 € Wir beginnen einen Lieferservice aufzubauen und • pro erwachsene Person bis 100 €(Verkaufspreis) Menschen in unserer Umgebung mit unseren Pro- Einkauf 10 darüber 15 €, d.h. ab einem Einkauf dukten zu beliefern. von 50 € beginne ich zu sparen Wir wollen auch die Identität der Einkäufer mit dem • pro Haushalt bis 200 € (Verkaufspreis) Einkauf Laden verstärken. Eine Möglichkeit dazu kann ein 18 darüber 26 €, d.h. ab einem Einkauf von 100 € Mitgliederladen sein. beginne ich zu sparen. Mitgliederladen heißt, dass regelmäßige Kunden Können wir so den zunehmenden Indivualismus in einen Mitgliedsbeitrag zahlen und dann 20 % Ra- eine Gemeinschaft führen, die anderes Wirtschaften batt auf alles erhalten, also Einkaufspreis plus 5 % für richtig und wichtig hält? Wir werden sehen. Schwund plus Mehrwertsteuer. Dieter Koschek 7
Rundgespräche Zwischen Haupt und Gliedern Sozialpolitisches Forum 2013 Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können Sie nur in Inklusion von Menschen mit Handicaps der gedruckten Ausgabe lesen. – Trends, Kritik, Alternativen – Unsere Tagung fand zu einer Zeit statt, in der die Zei- . chen auf Stigmatisierung, Ausgrenzung und Patho- logisierung von abweichendem Verhalten steht.Wir sahen durch die Referate, dass die eine Gesellschaft nicht mehr einfach zu haben sein wird. Schöne Aussichten der Inklusion werden pervertiert: Obwohl seit 10 Jahren die ambulanten Dienste ge- stärkt werden sollen, steigen die stationären Unter- bringungen unaufhörlich. Unser fünfgliedriges Schul- system stagniert und verändert sich kaum. Die Be- troffenen struktureller Arbeitslosigkeit erleiden eine Pathologisierung und Psychologisierung. Die deutsche Tendenz der Verwaltung von Erwerbs- losigkeit, Armut, Behinderung und Krankheit nimmt zu. Dies wurde veranschaulicht durch beispielhafte Fälle Betroffener. Einher mit dieser Pathologisierung und Bürokratisie- rung geht das Kontrollsystem. Die technische veral- tete E-Card wird nahtlos in den Überwachungsstaat einverleibt. Dass die Ausgegrenzten nicht ausgehen, dafür sorgt die Entwicklung im neoliberalen Kapitalismus. Wäh- rend Arbeitskraft zunehmend nicht gebraucht wird, führt dieses Wirtschaftssystem zu Konkurrenz - auch um den nutzbaren Boden, was sich gerade in den Städten mit steigenden Mieten, Zwangsräumungen und Sprengung ganzer Nachbarschaften zeigt. Gegenstrategien sind vor allem die Stärkung der Selbsthilfekräfte der Betroffenen und die Organisie- rung in Gruppen und deren Netzwerke, die sich wie- derum vernetzen und eine starke Gegenbewegung darstellen. Eine Lösung könnte ein Grundeinkommen, parallel zu existenzsichernden Löhnen sein. Ein Grundein- kommen könnte die aufwendige Verwaltung der Er- werbslosen, Kranken und Alten überflüssig machen und das Selbstbewusstsein, zumindest das Aushal- ten extremer Lebensbedingungen erleichtern. Auch wenn dieses Grundeinkommen in existenz- sichernder Höhe gegeben sein wird, müssen die Leistungen für Menschen in besonderen Lebensla- gen erhalten bleiben. Die kapitalistische Konkurrenz und Ausgrenzungs- gesellschaft muss durch eine solidarische Wirt- schaftsweise, die der Bedürfnisbefriedigung, dem Gemeinwohl und insbesondere der Erhaltung der Naturgrundlagen dient, ersetzt werden. Hier müssen Schritte getan werden, die diese lebensbejahende Wirtschaftsweise fördert. In sechs Arbeitsgruppen wurden Beispiele diskutiert und Entwicklungen aufgezeigt. dk 8
baf/café harald gmeiner freies land 25.November 2013 bis 6. Januar 2014 und 7. März bis 26. April 2014 Café Eulenspiegel Harald Gmeiner zeigt Landschaften. Dabei ist „Landschaft“ mehr als eine visuelle Erscheinung. Sie ist ein Topos, ist freies Land, in dem sich äußere und innere Bilder verschränken. „das abstrakte werk, das ein konkretes ´herauslesen` verweigert, erfordert ein `hineinsehen`, erwartet ein aktives schauen, was fantasie,besinnung und selbstbefragung vom betrachter verlangt.“ (cornelia wolf-wieczorek) selten hat sich eine austellung mir sofort erschlossen, landschaften...landkarten...geisteskarten...geistschaften. harald gmeiner hat es wunderbar geschafft, die verschiedenen ebenen deutlich zu machen, das konkrete im auge des künstlers, seine vorstellungskraft, seine erinnerung und - und - seltsam rückwärts meine erinnerung...meine vorstellungskraft...das konkrete in meinem auge...das freie land...die freiheit des geistes. was kommt ist die vernichtung der preisliste und das freie spiel des preises zwischen künstler und sammler.........dk siehe dazu die letzte seite dieses jedermenschen baf Die beiden Stipendiaten des baf Jos Diegel und Kathrin Lampert (siehe letzter jedermensch) haben mit ih- ren Präsentationen stark beeindruckt. Jos hat auch zwei Bilder dem Eulenspiegel gewidmet, die Grundbilder hat er in der ASH gekauft und dann neu gestaltet. Kathrin Lampert hat die „eulenspiegel klanglandschaften“ gestaltet, die wir hier nicht wiedergeben können, die aber im Internet nachgehört werden können (ichbinbaf.de). der baf raum gestaltet von Kathrin Lampert Jos Diegel Bebraeske Wortinstallation mit Phrasenabzug und weiteren wortgewaltigen Klassikern. 11. - 30. Oktober 2013 Eine manipulierbare Wortinstallation für jedermensch, gestalten von der Gruppe baf und Freunden. Bodensee Art Fund | BAF I mehr Bilder auf ichbinbaf.de 9
Ökologie und Konsum Der Natur die Treue halten Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können Sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen. 10
Ökologie und Konsum Einiges in Umorientierung Diesen Beitrag von Jürgen Kaminski können Sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen. Nahrung nicht wichtig genug? Der Satz „Ich habe kein Handy, das kann ich mir nicht leisten“ existiert nicht - weltweit. Den Satz „Ich kann mir Biolebensmittel nicht leisten“ spricht man vom Bildungsbürgertum aufwärts mit traumwandle- rischer Sicherheit aus, auch wenn man gerade eine Einkaufstüte randvoll mit überteuertem Junkfood in der Hand hat. Eva Stegen, Freiburg, Leserbrief in “die tageszeitung” 11
Ökologie und Konsum Schutz vor Krebs Diabetes im Vormarsch Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können Sie nur in Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können Sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen. der gedruckten Ausgabe lesen. . 12
Ökologie und Konsum Verlust an Weltvertrauen Gerade nicht todsicher In der heutigen Netzwerkgesellschaft wird der Tast- Diesen Beitrag von Anton Kimpfler können Sie nur in sinn immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Viele der gedruckten Ausgabe lesen. sehen im Internethandel, wo die sinnliche Erfahrung bei der Kaufentscheidung ganz wegfällt, die Zukunft. . Nun haben Konsumforscher hervorgehoben, dass das Anfassen doch eine wichtige Rolle spielt. Ein- geschweißtes Obst hat schlechte Karten gegenüber einer Präsentation, die unmittelbaren Zugriff erlaubt. Ersteres hinterlasse „Unsicherheit und Frust“. Probanden bekamen Wasser in einem Plastikbecher gereicht und danach in einem Glas. Aus dem soliden Gefäß schmeckte dasselbe Wasser “besser”. All dies veranlasst mich zu der Frage, ob nicht die steigende seelische Unsicherheit vieler Menschen auch mit einem Zurückdrängen der Tasterfahrungen zusammenhängt. Ansgar Liebhart Mehr eigener Eiweißpflanzen- anbau Diesen Beitrag von Michael Hufschmidt können Sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen. 13
Ökologie und Konsum Ein Leben der Verschwendung Wir haben unsere alten, spirituellen Götter geopfert und rungsverhandlungen und routinierter Langeweile wohl den Tempel dem Gott des Marktes überlassen. Nun klimatisierter Großraumbüros hin und her. Ständig und organisiert dieser Gott uns Wirtschaft und Politik, Leben immer träumt er von Urlaub, Freiheit und Vertragsab- und Alltagsgewohnheiten. In Raten und per Kreditkarte schlüssen, bis eines Tages sein Herz zu schlagen auf- finanziert er uns den Anschein von Glückseligkeit. Kon- hört und “Tschüss!” ... Sofort wird es einen anderen sum scheint der Sinn des Lebens zu sein, und können Soldaten geben, der das Maul des Marktes füllt und die wir nicht konsumieren, sind wir frustriert, fühlen uns Gewinnmaximierung sicherstellt. arm und ausgeschlossen. Wir verbrauchen und hinter- Die Ursache für die heutige Krise liegt in der Unfähig- lassen Abfall in solchen Mengen, dass die Wissenschaft keit der Politik begründet. Die Politik hat nicht begrif- meint, wir bräuchten drei Planeten, wenn die gesamte fen, dass die Menschheit das Nationalgefühl noch nicht Menschheit leben wollte wie ein Mittelschichts-US-Ame- überwunden hat und sich nur schwer davon lösen kann, rikaner. Unsere Zivilisation basiert also auf einer verlo- denn es ist tief verankert in unseren Genen. Dennoch genen Versprechung. Der Markt stilisiert unseren heu- ist es heute notwendiger denn je, den Nationalismus zu tigen Lebensstil zur allgemeingültigen Kultur, obwohl es bekämpfen, um eine Welt ohne Grenzen zu schaffen. niemals für ALLE möglich sein wird, diesen angeblichen Die größte Herausforderung heute ist, das Ganze im “Sinn des Lebens” zu finden. Wir versprechen ein Le- Blick zu haben. Doch die globalisierte Wirtschaft wird ben der Verschwendung und Freigiebigkeit und stellen nur von Privatinteressen einiger weniger gesteuert, und es zukünftigen Generationen und der Natur in Rech- jeder Nationalstaat hat nur seine eigene Stabilität im nung. Unsere Zivilisation richtet sich gegen alles Natür- Blick. Als wäre das nicht schon genug, werden die pro- liche, Einfache und Schnörkellose. duktiven Kräfte des Kapitalismus auch noch gefangen Aber das Schlimmste ist, dass uns die Freiheit beschnit- in den Tresoren der Banken, die letztendlich der Aus- ten wird, Zeit zu haben für zwischenmenschliche Be- wuchs der Weltmacht sind. ziehungen, für Liebe, Freundschaft und Familie; Zeit für Veränderungen sind dringend notwendig, setzen aber Abenteuer und Solidarität, Zeit, um die Natur zu erfor- voraus, dass das Leben und nicht die Gewinnmaximie- schen und zu genießen, ohne dafür Eintritt zu zahlen. rung kursbestimmend wird. Ich bin allerdings nicht so Wir vernichten die lebendigen Wälder und pflanzen naiv zu glauben, dass Veränderungen leicht zu errei- anonyme Wälder aus Zement; Abenteuerlust begeg- chen wären. Uns stehen noch viele unnötige Opfer be- nen wir mit gepflegten Wanderwegen, Schlaflosigkeit vor. Die Welt von heute ist nicht in der Lage, die Globa- mit Tabletten, Einsamkeit mit Elektronik... Können wir lisierung zu regulieren, weil die Politik zu schwach ist. überhaupt glücklich sein, wenn wir uns dem zutiefst Eine Zeitlang werden wir uns an den mehr oder weni- Menschlichen entfremdet haben? · ger regionalen Abkommen, die einen Freihandel vor- Wie benommen fliehen wir vor unserer eigenen Natur, gaukeln, beteiligen. Dann wird sich zeigen, dass sie in die das Leben selbst als letzten Grund für das Leben Wahrheit von notorischen Protektionisten erdacht wur- definiert, und ersetzen sie durch nur dem Markt dien- den. Wir lassen uns trösten von wachsenden Indus- liche Konsumorientierung. Und die Politik, ewige Mutter trie- und Dienstleistungszweigen, die sich der Rettung des menschlichen Schicksals, hat sich längst der Wirt- der Umwelt widmen. Gleichzeitig wird die skrupellose schaft und dem Markt unterworfen. Gewinnsucht zum Wohlwollen des Finanzsystems wei- Nach und nach ist Selbsterhalt zum Ziel von Politik ge- ter existieren. Weiterhin werden Kriege stattfinden, die worden, weshalb sie auch die Macht abgab und sich Fanatismus schüren, bis endlich die Natur unserer Zi- einzig und allein mit dem Kampf um Regierungsmehr- vilisation Grenzen setzt. Vielleicht sind meine Vision heiten beschäftigt. Kopflos marschiert die Menschheit und mein Menschenbild grausam, aber für mich ist der durch die Geschichte, alles und jedes kaufend und ver- Mensch die einzige Kreatur, die in der Lage ist, gegen kaufend, Mittel und Wege findend, selbst das Unver- die Interessen der eigenen Spezies zu agieren. Die käufliche zu vermarkten. Es werden Marketingstrate- ökologische Krise des Planeten ist die Konsequenz des gien für Friedhöfe und Beerdigungsunternehmen, ja überwältigenden Triumphs menschlichen Strebens. Die selbst für das Erlebnis Schwangerschaft erdacht.Ver- ökologische Krise wird dem menschlichen Streben aber marktet wird von Vätern über Müttern, auch Großeltern, auch ein Ende setzen, wenn die Politik unfähig ist, ei- Tanten und Onkeln bis hin zur Sekretärin, Autos und nen Epochenwechsel einzuläuten. Ferien, alles. Alles, alles ist Geschäft. Marketingkampa- gnen fallen sogar über unsere Kinder und ihre Seelen José Mujica, uruguayischer Präsident in seiner Rede her, um über sie Einfluss auf die Erwachsenen nehmen vor der 68. Vollversammlung der Vereinten Nationen im zu können und sich ein zukünftiges Terrain abzuste- September dieses Jahres. Karl-Heinz Dewitz hat auf die cken. Übersetzung in presente 4/13, der Zeitung der Christ- Der Mensch unserer Tage taumelt zwischen Finanzie- lichen Initiative Romero hingewiesen. 14
Ökologie und Konsum Kaffeekauf schützt Regenwald Diesen Beitrag von Barbara Wagner können Sie nur in der gedruckten Ausgabe lesen. 15
Ethischer Individualismus Individuelle Menschenbildung u Für den Menschen auf seinem Lebensweg und in Gottesbezug haben könne (wie der Materialismus seinem Werden auf der Erde ist es letztlich einzig in- vorschnell fehlinterpretiert), welche er im Gegenteil teressant, was für Bildungseinflüsse auf ihn einwir- sehr wohl haben kann und sehr individuell. Sondern ken und wie förderlich sie für seine werdende Indi- das Erlebnis der „Stille“ bezeichnet das „Lauschen vidualität sind. Denn er kann gar nicht anders, als Gottes“, welcher nur gleichsam auf die Taten des frei- dieses einzige Individuum zu sein, welches es wahr- en Menschen wartet. haftig nur einmal gibt und welches mit keinem ande- Goethe lässt im „Faust“ nicht nur den freigelassenen, ren identisch ist und seine ureigenen Erfahrungen suchenden Menschen auftreten, sondern gibt ihm macht. Mit „Der Einzige und sein Eigentum“ themati- auch noch „den Gesellen zu, der reizt und wirkt und sierte Max Stirner diesen unverwechselbaren Wer- muss als Teufel schaffen“. Nicht nur in eine neutrale degang jedes einzelnen Menschen, der sich in kein Unbestimmtheit wird der Mensch hier entlassen, son- gleichmachendes Gruppen- oder Gemeinschaftsmo- dern auch noch in ein Versuchungsszenario (weshalb dell integrieren lässt, ohne darunter an irgendeiner die Bitte „führe uns nicht in Versuchung“ berechtigt Stelle naturgemäß leiden zu müssen. Eine „Gesell- ist), in ein Experiment: „Und steh’ beschämt, wenn du schaft“ erwachter Individualitäten ist also immer eine erkennen musst: ein guter Mensch in seinem dunkeln Gemeinschaft freier Individuen, und keine abstrakte Drange ist sich des rechten Weges wohl bewusst!“ Macht, sei es Staat, Kirche oder welches Konstrukt So belehrt der Schöpfer im „Prolog“ noch seinen auch immer, kann über ihnen stehen. Diese ab- „Knecht“ Mephisto über die Gediegenheit des Men- strakten Institutionen sind Relikte einer Zeit, in der schen. der Mensch tatsächlich noch nicht sein freies, indivi- duelles Ich, zu dem er heute erwachen kann, hat- Hässliche Schönheit te, sondern dieses Ich in einem Gruppengeist, einer Wie steht es nun heute mit dieser Gediegenheit, das Gruppenseele eingebettet sich befand, deren Spre- „Bewusstsein des rechten Weges“? Der Mensch cher ein Häuptling, Anführer und dergleichen war. kann seine Freiheit und Autonomie nur dann bewah- Diese Verhältnisse heute in moderner Zeit fortbeste- ren, wenn er sich nicht zum blinden oder trancear- hen lassen zu wollen, bedeutet einen Rückschritt in tigen Mitwirkenden an undurchschauten und unbe- die Vergangenheit, bedeutet, vor den Gegenwartstat- wussten Konzepten degradiert. Dazu gehört auch, sachen die Augen zu verschließen. dass er Gedanken oder Gedankensysteme zu hin- Sehr vielfältig sind die Konzepte, den Menschen terfragen lernt, die in mannigfaltiger Art auf ihn ein- auch heute noch zu etwas Individualitätslosem, zu stürmen, ihn regelrecht umzingeln. Diese Gedanken einem Gruppentier, einem „Herdenschaf“ machen können ihm nur dann förderlich sein, wenn sie das zu wollen. Diese alten Konzepte können allesamt Werden und die Entfaltung seiner einzigartigen Indi- demjenigen nicht gefallen, der die Tatsache seiner ei- vidualität unterstützen. Und derart gibt es viele Kon- genen und einzigartigen Individualität in sich entdeckt zepte, die nicht nur den Einzelnen in seiner Einzigar- hat – er kann sie nicht anders, und das mit Recht, als tigkeit nicht unterstützen, sondern ihn z.B. mit Wer- Vernebelung von Tatsachen und Augenstreuerei be- tungssystemen regelrecht zunichte machen wollen. trachten. Die freie Individualität kann nichts über sich Als einfaches Beispiel mögen etwa Schönheitsidea- gelten lassen, ja sie kann nicht einmal Gott über sich le genannt sein. Es ist nichts dagegen einzuwen- gelten lassen, denn sie muss davon ausgehen, dass den, wenn ein allgemeines Schönheitsideal heraus- Gott eben diese freie Individualität gewollt hat und zufinden versucht wird. Wird dieses jedoch dann seine Oberhoheit sozusagen insofern aufgegeben als Maßstab für den Einzelnen genommen, dessen hat, als dass er die freie Entscheidungsfähigkeit die- sozialer Wert fälschlich daran gemessen wird, wie ser geschaffenen Individualität vollkommen respek- nahe er diesem Schönheitsideal in seiner ererbten tiert und unbeeinflusst gelten lässt. Dieses Seelener- Erscheinungsform kommt, so wirkt hier irreführend lebnis verfasste Angelus Silesius schon im 17. Jahr- eine vollkommene Illusion. Es ist nicht nur für den hundert im „Cherubinischen Wandersmann“: sozialen Wert eines Individuums vollkommen gleich- “Wir beten, es gescheh’, mein Herr und Gott, dein gültig, wie nahe er im Detail oder im Ganzen ir- Wille! gendeinem Schönheitsideal kommt, sondern es ist Und sieh: er hat nicht Will’, er ist ein ew’ge Stille.“ auch für eine Gesamtverschönerung der Mensch- heit ebenso egal, an welchem Individuum er Bemü- Es hat dies Erlebnis nichts damit zu tun, dass der hungen zur Verschönerung anwendet (es muss gar Mensch deswegen keine Gottesfurcht oder keinen nicht an sich selbst geschehen!). Obwohl dies eigent- 16
Ethischer Individualismus und Massensuggestion lich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, sieht man Denn das ihm zugrunde liegende Phänomen geht auf genügend an verzweifelten Versuchen, irgendeinem künstliche Faktoren zurück wie den Industrialismus, Schönheitsideal nachzueifern, wie schwach es oft der vor der Automatisierung einer hohen Zahl billi- um die Selbstakzeptanz bestellt ist. Und dies ent- ger Arbeitskräfte bedurfte und diese an den Produkti- steht aus einer ungenauen Vermischung der ewigen onsstätten in unnatürlicher Akkumulation zusammen- Individualität des „Ich bin“ mit der ererbten Körper- zog, wodurch das ursprünglich natürliche Verhältnis form, die nur eine zeitlich begrenzte Erfahrungsba- des Menschen zu den ihn ernährenden Naturreichen sis zur Verfügung stellt. Das Ich-bin ist hingegen als (Subsistenzwirtschaft) in zweifacher Hinsicht gestört ewiger Funke Teil einer überzeitlichen geistigen Welt, wurde (eine ausführliche Studie dazu gab Jeremy welche gleichsam nur temporär zum Zwecke der Er- Rifkin in „Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft“). Die kenntnis und des Bewusstseinspiegels in die zeitlich melanesische Insel Tikopia ist ein bekanntes Mu- begrenzte Form hineintropft. Daher ist aller Schön- sterbeispiel dafür, dass eine unbeeinflusste Urein- heitskult nur solange gut, als er in einer spielerischen wohnerschaft ihre Anzahl über Tausende von Jah- Form Ausdrucksmöglichkeiten üben lehrt (ähnlich ren konstant zu halten in der Lage war. Es ist also einem verlängerten Verkleidungsspiel der Kindheit), eine völlige Selbsttäuschung, typischerweise wieder wird aber dort bedenklich und untauglich, wenn er des egozentrisch-betriebsblinden und erkenntnisre- ein Individuum zu Selbstzweifeln oder gar Selbsthass sistenten „Weißen Mannes“, dass native Völker vor verführt, indem es zu hoch gesteckten und unprak- allem „Schuld“ an einer vermeintlichen Überbevölke- tischen Zielsetzungen nicht Genüge tun zu können rung seien. Der eigene Eingriff in solche jahrtausen- vermeint. Dies gilt auch ganz allgemein für die Ideale delang stabilen und naturverträglichen Kulturen wird des „Erfolgreichen, Glücklichen, Reichen, Beliebten, dabei vollkommen ausgeblendet, während die eigene Tüchtigen“ usw. schlechthin. Zeigen sich diese Ideale zivilisatorische naturausbeutende und naturzerstö- als „unerreichbar“ für den Einzelnen, so entfalten sie rende Tätigkeit eigentlich überdeutlich ist. negative Kraft und beweisen damit nur, dass sie nicht Unabhängig von der sachlichen Richtigkeit oder Un- allein förderlich sind. Denn wie sollte derjenige, der richtigkeit eines Gedankens stellt sich die Frage: sich „zu dick, zu hässlich, zu schlapp, zu erfolglos“ „Was macht der Gedanke mit mir?“, also welchen und dergleichen fühlt, jemals mit diesen Idealen mit- fördernden oder hemmenden Wert hat er in Bezug halten können? Hier nun gibt z.B. der Darwinismus auf meine Einzigartigkeit (also die eines Jeden)? Soll in seiner plumpen und populistischen Variante (die etwa der darwinistische Auslese-Gedanke dazu füh- Darwin selbst stets fragwürdig war) noch eins drauf, ren, dass „ich“ also zu schwach zur durchsetzungs- indem er das „Schwache, Schlechte“ usw. einem fähigen Existenz (im sozialen Miteinander) sei und „natürlichen Ausleseprozess“ unterwirft, ihm also die daher zu „verschwinden“ habe? Erst unter einer sol- Daseinsberechtigung abspricht. Es können daher im chen kernbezogenen Fragestellung entpuppt sich Seelenleben nicht nur die Selbstvernichtungsgedan- das Verheerende und Mörderische solcher Gedan- ken auftreten, sondern es kann darin sogar noch et- ken, solcher „kreidefressenden Wölfe“, in Bezug auf was „Berechtigtes“ gesehen werden, was aber voll- den Menschen. Soll der Überbevölkerungs-Gedanke kommen illusionär mit der inneren immanenten Exi- dazu führen, dass ich mich – oder irgendein anderes stenzberechtigung jedes Einzelnen kollidiert. Ich sich – auf diesem Planeten überflüssig fühlen soll, wie es Malthus, der „christliche Pfarrer“, noch in „Auslese“ und „Überbevölkerung“ einer später gestrichenen Passage der Erstausgabe Ebenso wie der Auslese-Darwinismus ist auch der „Essay on the Principle of Population“ schreibt: „Überbevölkerungs“-Gedanke eine Attacke auf das „Ein Mensch, der in einer schon occupierten Welt ge- Menschentum schlechthin. Ausgerechnet ein Pfarrer, boren wird, wenn seine Familie nicht die Mittel hat, Thomas Malthus, hat ihn aufgebracht, aber ihn sicher ihn zu ernähren oder wenn die Gesellschaft seine nicht auf sich selbst bezogen, der nebenbei Anteils- Arbeit nicht nötig hat, dieser Mensch hat nicht das eigner und als Dozent noch Kostgänger der lukra- mindeste Recht, irgend einen Teil von Nahrung zu tiven britischen Ostindien-Gesellschaft war – nach verlangen, und er ist wirklich zu viel auf der Erde. Bei heutigen Begriffen also ein „Schreibtischtäter“. Der dem großen Gastmahle der Natur ist durchaus kein Überbevölkerungs-Gedanke, der allein das Maßver- Gedecke für ihn gelegt. Die Natur gebietet ihm abzu- hältnis einer menschlichen Besiedelung im Verhält- treten, und sie säumt nicht, selbst diesen Befehl zur nis zur gebietsbezogenen landwirtschaftlichen Pro- Ausführung zu bringen.“ duktivität beschreibt, ist in vieler Hinsicht fragwürdig. Schnell sollte deutlich werden, dass die von außen 17
Ethischer Individualismus Naturwesen und E an den Menschen herantretenden Gedanken sehr Auch wenn es dem Menschen nicht bewusst ist: Es „mit Vorsicht zu genießen“ sind, dass sie sorgfäl- ist das Lebendige, die lebendigen Qualitäten in sei- tig auf ihre Herkunft und ihren Bezug hin zu prüfen ner Nahrung, die ihn am Leben erhalten. Auch wenn sind, und dass sie im Grunde unnütz sind, wenn sie die zivilisierte Menschheit noch weit von einer Le- nichts zur Entwicklung und zur Wohlfahrt des nun benswissenschaft entfernt ist, so sind es wenigstens einmal existenten individuellen Menschen beitra- gute und richtige Instinkte, die sie zur Ökologiebe- gen. So sind die Gedanken der „Auslese der Tüch- wegung und zum Ausbau der biologischen Landwirt- tigsten“ sowie der „Überbevölkerung“ beispielswei- schaft geführt haben. Um das „Od“, den lebendigen se feindlich gegen das Individuum gesinnt. Es rührt Äther in den Nahrungsmitteln unmittelbar wahrzuneh- daher, dass sie aus nicht-menschlichen Bereichen men, muss man hellsichtig sein. Die Keime dazu lie- stammen, in denen es kein geistiges Individuum und gen in jedem Menschen, und er rührt sie an, wenn er sein immanentes Existenzrecht gibt. Der Darwinis- etwa vom „Charisma“ oder der „Ausstrahlung“ eines mus ist der Beobachtung der Naturreiche entnom- Menschen spricht, die ja physisch nicht sichtbar sind. men und der Malthus’sche Gedanke der politischen In der Ernährung äußern sich höhere Qualitäten z.B. Ökonomie, also einer Bodenwirtschaftsbetrachtung. im Aroma, im Duft, auch in der natürlichen Haltbar- Beide berücksichtigen nicht die Realität der geistigen keit ohne Konservierungsstoffe, in der Sättigungsfä- Existenz des Menschen, sein ewiges und unzerstör- higkeit. Das „Verhungern an vollen Tischen“ ist ein bares „Ich bin“, können also nur dessen Umgebungs- typisches Zeichen industrieller Massenproduktion bedingungen thematisieren. Dieses individuelle Ich- von „Lebensmitteln“, die diesen Namen nicht mehr bin ist jedoch der essentielle innerste Existenzgrund verdienen. Ekkehard Wroblowski, ein Eingeweih- des Menschen, und also muss es selbstverständlich ter der Erde, unterschied etwa zwischen „Lebens- zur Ausgangsbasis einer jeglichen Sozialgestaltung mittel, Nahrung, Futter, Stoff“ – einer stufenweisen gemacht werden, als einer Gemeinschaft freier Indi- Skala des Verlustes von Lebenskräften. Durch die viduen, innerhalb derer es keine mehr oder weniger industrielle Produktion sind viele Nahrungsprodukte „daseinsberechtigten“ Individuen geben kann. Pla- auf die „Futter“-Ebene herabgesunken, wenn nicht nungen einer Zukunftsvorsorge oder Gegenwarts- gar – auch durch das reine Stoff-Denken beeinflusst regelung dürfen niemals gegen ein vorhandenes – schon völlig auf die lebensschwache bis leblose Ich-bin gerichtet sein, andernfalls trügen sie nicht- „Stoff“-Stufe. Es wird dies durch Zusatz von anrei- menschlichen, unmenschlichen Charakter. (Dies zenden „Geschmacksverstärkern“, künstlichen Aro- spricht z.B. nicht gegen eine verantwortungsvolle mastoffen usw. zu vernebeln und zu vertuschen ver- „Geburtenkontrolle“, die besser Vermehrungskontrol- sucht. Jedoch schaffen diese Zusatzstoffe meist ne- le hieße.) ben dem ersten Problem noch ein zweites, und ste- hen vielfach wohl nicht zu Unrecht im Verdacht der Andreas Pahl Cancerogenität. All dies nur, um sich über den Rück- Der 2. Teil erscheint in der nächsten Ausgabe. gang der Lebenskräfte in nicht naturgerechter Bear- beitung zu betäuben. Ein Aufwachen zur natürlichen Lebenswelt wäre besser. Die Entwicklung objektiver Hellsehens-Fähigkeiten ist gewiss nicht einfach und „von heute auf morgen“ zu erledigen. Das größte Hindernis ist aber meist der Unglaube und die Angst vor den eigenen Fä- higkeiten. Möglicherweise sitzen hierbei den Men- schen noch Erinnerungen an die eigenen Schand- taten tief im Unterbewusstsein, die etwa zum „Un- 18
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