KOMMUNALER ZUKUNFTSBERICHT 2019 - Der Österreichische ...
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INHALTS- VERZEICHNIS Für mehr Selbstbewusstsein Alfred Riedl der ländlichen Räume 02 Die liebe Not Walter Leiss mit den Normen 08 Sonja Ottenbacher Vizepräsidentinnen im Gemeindebund Der „Kommunale Zukunftsbericht“ ist eine Publikation des Roswitha Glashüttner Mein Weg an die Spitze 16 Österreichischen Gemeindebundes, die jährlich erscheint. 100 Jahre Frauenwahlrecht Er ist ein offener publizistischer Thinktank, in dem Menschen aus Sibylle Hamann Das Ende des Duldens 24 vielen unterschiedlichen Bereichen über Zukunftsfragen für Gemeinden nachdenken. Kontroversielle Meinungen und Beiträge Evelyn Regner Sozialer Wohnbau sind dabei erwünscht, nicht jeder Beitrag entspricht der Meinung Michaela Kauer im europäischen Spannungsfeld 32 oder Position des Österreichischen Gemeindebundes. Regionale Entwicklung Dieser Bericht hat eine Auflage von rund 3.500 Stück in gedruckter Gerald Mathis Ignoranz der Politik spaltet das Land 40 Form und ergeht so an zahlreiche Meinungsträger/innen und Meinungsbildner/innen in unserem Land. Die Zukunft Simon Rosner des ländlichen Arbeitsmarkts 48 Chancen & Grenzen Christian Härting der Zusammenarbeit 62 Ein Plädoyer für den Verena Konrad kulturellen Wert des Gebauten 70 Wohnraummodelle für junge Erwachsene Johann Lefenda im ländlichen Raum 76 Mit intelligenter Verschwendung Nikolaus Lienbacher die Welt retten 82 Titelbild: Bernhard Wimmers Aufnahme des Skywalks in der Der Österreichische Gemeindebund 90 Gemeinde Hohe Wand hat sich unter fast 1.200 beim Fotowettbewerb des Österreichischen Gemeindebundes Was unsere Gemeinden leisten 102 eingereichten Fotos durchgesetzt. Dieses Foto wurde von den Kommunalnet-User/innen zum schönsten Foto gewählt. Impressum, Bild- und Quellennachweis 104 2 1
FÜR MEHR SELBSTBEWUSSTSEIN DER LÄNDLICHEN RÄUME Stadt gegen Land? Stadtregio- mehr Orte, die sich mit innova- Mit der allgegenwärtigen Verfüg- nen gegen ländliche Regionen? tiven Ideen neues Leben einge- barkeit und Vernetzung von Infor- Glasfaser und schnelles Internet haucht haben. Dass diese Ent- mationen zu jeder Zeit an jedem auch am Land? Oder doch ländli- wicklung nicht einfach ist und es Ort scheint die Welt immer mehr che Räume aufgeben, was deut- kein Patentrezept dafür gibt, das zu einem „globalen Dorf“ zusam- sche Wissenschaftler schon für im Waldviertel genauso gilt wie menzuschrumpfen. Ob in Wien den Osten Deutschlands emp- in der Südoststeiermark, ist klar. oder in Andau, ob in Salzburg fohlen haben? Als Kommunalpo- Aber die Entwicklungen rund um oder in Gramais – der Wohnort litiker heißt es heute, besonders uns zeigen, dass gerade im länd- ist heute nicht mehr relevant, wachsam zu sein und dagegen- lichen Raum auch viele Chancen wenn es um Information, Aus- zuhalten: Die Landgemeinden, liegen, die es in den nächsten tausch und Teilhabe geht. Und die ländlichen Regionen sind Jahren zu nutzen gilt. die fortschreitende Digitalisie- heute mehr denn je gefordert, rung, die Verfügbarkeit schneller sich in der täglichen politischen Heutzutage verschwimmen die Internetanschlüsse, wird auch Debatte Gehör zu verschaffen. Grenzen zwischen Stadt und immer mehr Menschen die Mög- Wenn Ökonomen offen über das Land immer stärker. Die „Speck- lichkeit bieten, dort zu arbeiten, Aufgeben der Peripherie nach- gürtel“ rund um die Städte wo sie leben wollen. denken, weil sich deren Erhalt wachsen immer mehr ins weite wirtschaftlich nicht lohne, gilt Land hinaus, mit all den Her- Betrachtet man das Zusammen- es, besonders selbstbewusst ausforderungen, die durch den wachsen der Ballungsräume aufzutreten. Denn bei der Frage Zuzug entstehen. Man muss in den letzten Jahren und Jahr- der ländlichen Räume geht es heute im politischen Alltag die zehnten, so sieht man, dass die um eine Existenzfrage für die Regionen rund um die Städte als Menschen die Nähe zur Stadt Gemeinden, für die Bürgerinnen „Regiopole“ sehen: Räume und als Arbeitsplatz und die Gemein- und Bürger. Gemeinden, die auf eine Stadt de am Land als Lebensort schät- hin ausgerichtet sind. Denn öf- zen und lieben gelernt haben. Wir sehen es deutlich, wenn wir fentlicher Verkehr und auch gut Mit all den unterschiedlichen Bgm. Mag. Alfred Riedl in die Städte und Gemeinden bli- ausgebaute Straßennetze ver- Herausforderungen, die durch Präsident des cken: Das Leben pulsiert nicht binden Städte und Regionen und den Zuzug in den Regionen ent- Österreichischen Gemeindebundes nur in den Städten. Immer mehr schaffen damit eng verknüpfte stehen, spüren wir, dass diese Gemeinden in den ländlichen Re- Ballungsräume. Entwicklung noch lange nicht zu gionen blühen auf. Es gibt immer Ende ist. Im Gegenteil: Ich bin 2 3
FÜR MEHR SELBSTBEWUSSTSEIN DER LÄNDLICHEN RÄUME davon überzeugt, dass viel mehr unseres Landes. Gleichzeitig gender Flächen. Die Bürgermeis- auf der anderen Seite immer we- Grund auf bestimmt. In der Ver- zur Fertigungsstraße liefern und Menschen als heute eigentlich kommen die Vorzüge des Land- terinnen und Bürgermeister sind niger bereit, sich für andere zu gangenheit hat man dort gelebt, mit Robotern das neueste Auto am Land leben wollen, wenn lebens immer öfter direkt in die hier besonders in der Pflicht, engagieren. Die Bürger verlieren wo es Arbeit gab und wo man vom Band schicken. Man kann sie auch dort arbeiten könnten. Stadt: von begrünten Hausfas- verantwortungsbewusst mit den auch immer mehr die Geduld mit geboren wurde. Im Mittelalter diese Entwicklung jetzt gut oder Oder, wenn ihnen dort, wo sie le- saden und Dächern über städti- Ressourcen umzugehen. der Politik: Sie rufen zwar nach etwa wanderte nur etwa ein Pro- schlecht finden. Klar ist aber: ben, Angebote aus den Städten sche Imkerei bis hin zu „Urban tiefgreifenden Reformen, geben zent der Bevölkerung vom ange- Sie hat bereits begonnen und rasch geliefert werden und sie Gardening“. 90 Prozent der Weltbevölkerung aber denen, die sie regieren, kei- stammten Territorium aus und wird sich immer schneller fort- diese in der Nähe auch selbst konzentrieren sich auf Metropol- ne Zeit für die Umsetzung. blieb das ganze Leben lang dort, setzen, ob wir wollen oder nicht. erreichen können. Klar ist, dass Städte und Regi- regionen und „Megastädte“ mit wo es die Arbeit verlangte. Die onen unterschiedliche Heraus- zig Millionen Einwohnern. Mit Aber gerade in den kleineren Ge- Konzentration von Wirtschaft, In- Mit dem Fortschritt verändert Diese Veränderungen werden forderungen und auch verschie- dem Blick auf diese Metropolen meinden, im ländlichen Raum, dustrie, Absatzmarkt und Dienst- sich auch unsere Arbeitswelt. sich nicht aufhalten lassen: dene Aufgaben haben. Dennoch wirken unsere Herausforderun- finden die Menschen noch die leistungsangeboten haben aus Gab es 2004 noch zwei Prozent Wenn wir nur zehn Jahre zurück- gilt es, Metropolregionen ge- gen, unsere Diskussionen zwi- Gemeinschaft, die sie in den Dörfern und Siedlungen im Lauf Telearbeitsplätze, arbeiteten im denken, dann hat es in diesen meinsam zu denken. Denn die schen den Ballungsräumen und Städten immer stärker vermis- der Jahrhunderte Städte und Jahr 2016 schon 16–20 Prozent zehn Jahren mehr Innovationen Menschen denken schon lange den Regionen, vergleichsweise sen. Dort, wo Brauchtumsver- Großstädte geformt. der Arbeitnehmer weltweit ganz und technischen Fortschritt ge- nicht mehr in Gemeindegrenzen unbedeutend. Dennoch sind un- eine, Feuerwehren und Sport- oder teilweise von zu Hause aus. geben als in den 70 Jahren da- und sind heute mobiler denn je. sere 2.096 Bürgermeisterinnen vereine zu regelmäßigen Festen Aber vieles, was diese urbane Dank des Fortschritts können vor. Und in den letzten Jahren hat Wenn wir etwa über die Finanzie- und Bürgermeister tagaus, tag- laden und Heurigen und Wirts- Konzentration bisher gerecht- die Menschen immer öfter dort es auch gegenüber dem „Land“ rung der Kommunen diskutieren, ein gefordert. Wir spüren, dass häuser die Menschen zusam- fertigt hat, ist heute auf jedem arbeiten, wo sie leben wollen. einen Einstellungswandel gege- müssen alle Seiten die unter- sich unsere Welt, unsere Wer- menbringen, findet man heute Smartphone vereint. Die alte Man wird nicht mehr 40 Stunden ben. War man vor zwanzig, drei- schiedlichen Bedürfnisse und te immer mehr verändern. Die noch die Heimat, die so viele su- Ökonomie der Produktion vor Ort an einem Ort im Büro verbrin- ßig Jahren noch ein „Provinzler“, Anforderungen berücksichtigen. Digitalisierung schreitet voran chen. Aber auch diese Heimator- in Verbindung mit einem nahen gen, sondern über Cloud-Syste- wenn man eine Stunde von der Klar ist aber auch, dass Gemein- und bestimmt unser Arbeiten, te sind gefordert, auf die neuen Absatzmarkt ist heute schon me mit den Kollegen kommuni- nächsten mittleren und größe- den in den „Speckgürteln“ auch unser Zusammenleben immer Entwicklungen zu reagieren, die längst überholt. Die digitale zieren und international vernetzt ren Stadt entfernt gewohnt hat, immens gefordert sind, was mehr. Obwohl die digitalen Mög- zum Beispiel die Digitalisierung Ökonomie bricht alte Strukturen arbeiten. so ist das Landleben heute zum den Flächenbedarf für die vielen lichkeiten die Menschen immer mit sich bringt. auf. Handelszentren und der sta- Sehnsuchtsort vieler Städter Menschen betrifft, die am Land rascher und schneller vernetzen, tionäre Handel werden immer Junge Menschen bevorzugen geworden. Das Zweithaus, die leben wollen. Hier braucht es nehmen Individualismus und Die Entstehung der Metropolen mehr durch den Onlinehandel immer mehr das Leben auf dem Zweitwohnung am Land, zählt auch in Zukunft einen besonne- Egoismus zu und fordern unsere und Städte ist eng verknüpft mit abgelöst und Industriebetriebe Land. Sie suchen nach Sinn in heute fast schon zur Grundaus- nen Umgang mit dem zur Verfü- gewachsenen Gemeinschaften. Handel, Handwerk und Industri- können durch künstliche Intel- der Arbeit, beim Konsum und stattung der bürgerlichen Mittel- gung stehenden Boden wie auch Die Menschen verlangen immer alisierung. Die Arbeit hat lange ligenz Autoteile aus der ganzen beim Tourismus. Damit gibt es schicht in den größeren Städten die sinnvolle Nutzung brach lie- mehr nach Solidarität, sind aber das Leben der Menschen von Welt zum richtigen Zeitpunkt mehr Chancen der Re-Regio- 4 5
FÜR MEHR SELBSTBEWUSSTSEIN DER LÄNDLICHEN RÄUME nalisierung der Wirtschaft. Der Im Jahr 1980 waren weltweit Oberösterreich anführen, wo sie haben, das Beste machen. Wunsch zum Einkauf direkt beim 400 Millionen Touristen unter- abwechselnd ganze Regionen Damit sie gemeinsam mit ihren Produzenten hat auch schon wegs. Im Jahr 2030 werden es erfolgreich touristisch neu ge- Bürgerinnen und Bürgern ihre in Österreich Unternehmer auf schon zwei Milliarden Reisende dacht werden und auch dement- Kommunen gestalten können die Idee gebracht, Kunden und sein. Dabei konzentrieren sich sprechend investiert wird. Das und damit auch den ländlichen Produzenten noch enger zu ver- heute 95 Prozent der Touristen beginnt bei interessanten Aus- Regionen, den Kraftzentren un- netzen und direkt ab Hof die ge- auf fünf Prozent aller Reisezie- stellungen, geht über gastrono- seres Landes, neue Chancen wünschten Produkte zu liefern. le. Jede Region, jede Stadt und mische Angebote und reicht bis und Perspektiven geben. jedes Dorf muss sich die Frage zum Ausbau des Radwegenetzes Um Arbeiten von zu Hause aus zu stellen, was sie für Touristen ein- im Umkreis der Landesausstel- erleichtern und neue Start-ups zigartig macht. Seien es histori- lung. Ganze Regionen schließen in der Peripherie zu ermöglichen, sche Wurzeln, die Landschaft, sich dabei zusammen, ziehen an brauchen wir auch eine flächen- Brauchtum, Kultur, Kunst oder einem Strang, gewinnen neues Alfred Riedl, 65, deckende digitale Infrastruktur, die Menschen: Touristisches Selbstbewusstsein und stärken die dem steigenden Bedarf nach Potenzial hat jede Gemeinde in ihre regionale Identität. ist Präsident des Österreichi- Download- und Uploadleistun- unserem Land. schen Gemeindebundes und gen nachkommt. Glasfaser ist Für die Zukunft gilt nun: Mehr seit 29 Jahren Bürgermeister deswegen auch klar ein Ele- Damit einhergehend ist natürlich Mut für neue Ideen. Mehr ge- seiner Heimatgemeinde Gra- ment der Daseinsvorsorge, wie auch der Ausbau der Infrastruk- stalterische Spielräume für die fenwörth in Niederösterreich. Wasser, Kanal und Strom. Zur tur wichtig. Denn ohne Verkehr- Regionen. Und mehr (Eigen-) Finanzierung soll etwa ein Glas- sanbindung sind auch alle guten Verantwortung für die Gemein- faserfonds, wie der Wasserwirt- touristischen Ideen nicht zu er- den. Die Gemeinden brauchen schaftsfonds, eingerichtet wer- reichen und damit uninteres- sich nicht zu Sklaven des Zeit- den, damit die Gemeinden nicht sant. Das ist auch eine wichtige geistes zu machen und jeder alleine dastehen. Verantwortung der Politik: Impul- vermeintlichen „Innovation“ der se in den Regionen zu setzen, In- Städte hinterherhecheln. Mit Mit dem Blick auf die steigen- frastrukturen zu optimieren und einer gehörigen Portion Selbst- den Tourismuszahlen weltweit die Bewohner der Provinz vom bewusstsein und Selbstvertrau- wird klar: Der ländliche Raum gemeinsamen touristischen Pro- en müssen die Gemeinden und in unserem Land hat noch eini- jekt zu überzeugen. Beispielhaft ländlichen Räume ihre Chancen ges an Potenzial, obwohl schon kann ich hier die Landesausstel- erkennen und aus den Res- vieles erfolgreich genutzt wird. lungen in Niederösterreich oder sourcen und Möglichkeiten, die 6 7
DIE LIEBE NOT MIT DEN NORMEN Unser ganzes Leben besteht Während der einzelne Bürger im einen wird das Zustandekom- aus Normen. Wir schreiben auf Alltag die Normen kaum spürt, men der Normen abseits der genormtem Papier mit einem obwohl sie omnipräsent sind, gesetzlichen Wege kritisiert, genormten Bleistift oder Kugel- haben sie für die Wirtschaft eine zum anderen werden Normen schreiber und stecken einen ganz wichtige Funktion: Sie ma- sehr oft in Gerichtsverfahren als Brief in ein genormtes Kuvert, chen die Erzeugung effizienter Richtschnur (Stand der Technik) der vom Empfänger aus einem und in weiterer Folge auch kos- von Sachverständigen herange- genormten Postkasten heraus- tengünstiger. Daher ist es in der zogen und nicht mehr auf den geholt wird. Über diese kleinen Praxis vor allem die Wirtschaft, Einzelfall eingegangen. Beides Dinge hinaus ist auch festgelegt, die sich sehr aktiv am Normie- führt dazu, dass die Grenzen wie wir bauen, wie wir unsere Ab- rungsprozess beteiligt: Nur rund zwischen Normen und Gesetzen wasserwirtschaft organisieren fünf Prozent aller normierenden zunehmend verschwinden. und vieles mehr. Organisationen sind Universitä- ten, Schulen oder die Forschung. Das Besondere an Normen ist, Fast 23.000 Normen haben in Bund, Länder und Gemeinden dass sie nämlich weder vom Ge- Österreich Gültigkeit. Rund sie- machen fast sieben Prozent der setzgeber als Gesetz noch von ben Prozent sind rein nationale über 2.100 teilnehmenden Or- Verwaltungsbehörden als Ver- Normen. Der Rest ist aufgrund ganisationen aus. Überwiegend ordnung erlassen wurden. Jede der Globalisierung entweder in- große und einige kleine Unter- Baubehörde wendet sie jedoch ternational (ein Prozent) oder nehmen hingegen stellen fast in den Bauverfahren an, weil in europäisch (92 Prozent). Dazu 80 Prozent der Experten für Nor- vielen Baugesetzen steht, dass kommen mit 0,3 Prozent die so- mierungsgremien. nach dem „letzten Stand der genannten DIN-Normen. Dabei Technik“ gebaut werden soll. handelt es sich um freiwillige Während Normen für viele Tei- Als einzige Richtschnur dienen Normen, die vom Deutschen Ins- le der Wirtschaft und damit am hier nur die Normen. Kommt es titut für Normen erstellt wurden. Ende auch für die Bürger sehr zu Gerichtsverfahren, setzt sich Die Zahl der nationalen Normen positiv sind, weil sie Technik ei- auch kein Sachverständiger über Dr. Walter Leiss ist seit einigen Jahren wieder ner breiten Bevölkerungsschicht sie hinweg. Gestützt auf die Ver- Generalsekretär des leicht rückläufig, weil internati- zugänglich machen, häufen sich kehrssicherungspflichten oder Österreichischen Gemeindebundes onale Normen rein österreichi- gleichzeitig die Klagen über die Bauwerkshaftung nach § 1319 sche ersetzen. „Normenwut“. Diese läuft vor ABGB wird von den Gerichten allem auf zwei Ebenen ab: Zum geurteilt, ob Gebäude ordnungs- 9
Normenwesen Das Normwesen imim Überblick Überblick Erste Norm 20 ‐ 350 € 1921 Metrische Gewinde kostet eine Norm (in Paketen Euro ÖNORM DIE LIEBE NOT 1 kann sich dies bis Euro senken) kostet es, sich an der Normung zu beteiligen M 1501 MIT DEN NORMEN 4% Normierende aller gemäß errichtet und erhalten werden. Maßstab für die ge- Gleichzeitig werden Normen er- arbeitet, die immer weitreichen- vorprogrammiert. Beispielswei- se neue Stiegen wegen geänder- Organisationen: ÖNORMEN richtlichen Entscheidungen ist dere Folgen für die Gesellschaft ter Stufenhöhe, neue Geländer 3.000 die Beurteilung durch Sachver- haben: Die Ö-Norm B 1300 wird, oder ein Fenstertausch und eine Fast sind gesetzlich ständige. Für diese ist der Stand vereinfacht gesagt, so verstan- Wärmedämmung etc., weil der der Technik, d. h., die Einhaltung den, dass alle Gebäude jeweils bisherige Zustand nicht mehr verbindlich der aktuellen Normen, relevant. dem Stand der Technik entspre- den Normen entspricht. Dass ternehm Normen sind dem Dabei wird auf den Unterschied chen und laufend adaptiert wer- damit dem für das Bauverfahren n zwischen Stand der Technik und den müssen. geltenden Grundsatz, dass ein 80% Bereich „Bauen“ en Normen nicht mehr eingegan- Objekt dem Zustand entspre- 7% U rein nationale gen. Für die Haftung ist es nicht „Daraus resultieren zahlreiche chen müsse, wie es bewilligt zuzurechnen entscheidend, ob das Vorhaben Prüf-, Kontroll- und Überwa- wurde, widersprochen wird, stört Quelle: austrian-standards.at. Grafik: Putzkers Grafikteam/Max Fabigan Normen dem Gesetz entspricht, sondern chungspflichten, um für den si- nicht. 22.751 ob die Normen eingehalten sind. cheren Zustand des Gebäudes Sorge zu tragen und den vom Der „Häuslbauer“ wird davon son s t . 7% Eine Lösung für diesen Teu- Gebäude ausgehenden Gefah- weniger betroffen sein, aber Meistverkauft: felskreis scheint nicht in Sicht. ren entgegenzuwirken sowie eine besondere Bedeutung Normen gesamt Zum einen bräuchte es wahr- erkennbare Gefahren zu verhin- kommt dem im großvolumigen ÖNORM scheinlich eine grundsätzliche dern“, heißt es auf der Home- Bau zu. Man darf gespannt sein, 7% Gemeinden, Entrümpelung der fast 3.000 page des TÜV. wie in Wien der überwiegende Länder, Bund Normen allein im Baubereich, Altbestand an Häusern saniert B 2110 außerdem eine Definition, was Eine Menge an Form- und Re- wird und welche Kosten dann unter „Stand der Technik“ zu gelblättern wurde entwickelt, auf die Mieter und Eigentümer 4.146 4.343 verstehen ist, und zum anderen um diesen Vorgaben zu ent- zukommen. bräuchte es hier eine gesetz- sprechen. Diese unterstützen Allgemeine. 2018 2017 liche Klarstellung, ob wirklich zwar den Eigentümer oder die Die zweite Dimension der Pro- Vertragsbestimmungen immer der Stand der Technik zu beurteilen ist oder ob vielmehr Hausverwaltung, zeigen aber gleichzeitig auch auf, dass die bleme in der Normensetzung passiert im Prozess selbst. Da Anstieg der Teilnehmenden in Komitees und für Bauleistungen auf den Einzelfall eingegangen Gebäude nicht mehr dem Stand Normen ähnlich wie Recht be- Werkvertragsnorm werden müsste. der Technik – was sie auch nicht handelt werden, in einzelnen Ge- Arbeitsgruppen müssen – entsprechen. Kost- richtsverfahren sogar den Geset- spielige Sanierungen sind damit zen übergeordnet werden, muss 11
Wie WieNormen entstehen Normen entstehen In diesen Phasen kann sich jede/r Bürger/in einbringen en Pr o ko jek mm ta DIE LIEBE NOT er isi en ntra MIT DEN NORMEN Id a tie ee Pr r u oj , g kt ek fa en tan ar tra ed g iB man sich die Frage stellen, ob überschritten. Diese Norm stellt sches Defizit zu erkennen. In der Ko be sich hier nicht ein juristisches sich mit ihrem Inhalt über Lan- Praxis jedoch schon: Denn hin- mi rm tee Paralleluniversum aufgetan hat. des- und Bundeskompetenzen. ter einem Normvorschlag steht No Neben einer drastischen Kos- in der Regel ein konkretes Inter- era In manchen Fällen verschwim- tensteigerung für die Gemein- esse. Auch die Erarbeitung über- rbei men offenbar für die Normenge- de hätte die Beweislastumkehr nehmen, wie eingangs schon tet No ber selbst die Grenzen zwischen außerdem eine Verlangsamung ausgeführt, hauptsächlich Ver- Gesetz und Norm, wie dies jüngst von Genehmigungsverfahren zur treter der Wirtschaft. Es sind rmvorschlag bei der ÖNORM S 2411, in der es Folge. zwar zu einem geringen Prozent- Erfahrungen einbringen um die Identifikation und Bewer- satz auch die Öffentlichkeit und tung von Risiken im Boden von Um sich eine Meinung dazu zu die Wissenschaft daran betei- Liegenschaften geht, der Fall ist. bilden, lohnt sich ein Blick auf ligt, doch fehlen der öffentlichen Quelle: austrian-standards.at. Grafik: Putzkers Grafikteam/Max Fabigan Dabei werden von Gemeinden die Entstehung von Normen. Hand die Ressourcen, dies flä- umfangreiche Erhebungen und Grundsätzlich kann nämlich chendeckend zu tun. Anders ist deren Dokumentation im Zuge jede und jeder eine Idee für eine dies bei Gesetzen, wo gewählte von Widmungsverfahren pro Par- Norm einreichen. Anschließend Vertreter des Volkes über Geset- zelle verlangt, was bisher kein kann die Allgemeinheit den Pro- ze verhandeln und versuchen, rf en Baugesetz vorschreibt und eine jektantrag kommentieren, in alle Meinungen zu einem Thema twu tier Beweislastumkehr zu Ungunsten weiterer Folge bildet sich ein einzuholen. Natürlich muss auch ko rmen en der Gemeinden bedeuten würde. Komitee und erarbeitet einen hier am Ende eine Entscheidung No mm Bisher müssen solche Analysen Normvorschlag, der wiederum gefällt werden, die nicht immer No rm bei Bedarf nämlich die Grund- kommentiert werden kann. In ei- allen gefällt. wi stückseigentümer selbst vorneh- nem Komitee kann jeder kosten- rd men. los mitwirken und seine Experti- Der nächste demokratiepolitisch an w ge en se einbringen. In weiterer Folge schwierige Punkt ist, dass Nor- de Mit dieser Norm wird nicht wird die Norm finalisiert und men anders als Gesetze nicht t rt lisie nur die Wertsteigerung durch publiziert und kann von allen, frei zugänglich sind. Das be- ina die Widmung privatisiert und die sie kaufen, angewendet wer- deutet, wenn eine Gemeinde df No rm wir das gesamte Kosten- und Haf- den. Nach einiger Zeit kann die beispielsweise selbst über die wird publiziert Norm tungsrisiko auf die Gemeinden Norm aufgrund der Erfahrungen Normen bei einem Bauprojekt übertragen, sondern auch die aktualisiert werden. Hier ist kein Bescheid wissen möchte, dann Kompetenz der Normengebung grundlegendes demokratiepoliti- kostet dies einmal ordentlich: 12 13
ag i be rm No DIE LIEBE NOT MIT DEN NORMEN Die Spannweite reicht hier von grieren? Wahrscheinlich nicht, des Handeln, denn die Auswir- 20 bis 350 Euro pro Norm. Na- da weder Politik noch der öffent- kungen und Unzufriedenheiten türlich gibt es mittlerweile Pake- liche Dienst über so viele Ex- wachsen. Ein erster Schritt ist Erfahrungen te für Klein- und Mittelunterneh- perten verfügen. Daher ist eine zumindest getan: Austrian Stan- einbringen men und sogar für Gemeinden. Einbindung der Experten aus der dards hat in Zusammenarbeit Aber der Grundsatz, dass Ge- Praxis sinnvoll, effizient und hat mit der Wirtschaftskammer Ös- setze den Bürgern kostenlos auch in der Vergangenheit durch- terreich das „Dialogforum Bau“ zugänglich sein sollen, wird aus erfolgreich funktioniert. gestartet, in dem eine erste bei Normen nicht angewendet. Normen schaffen eine gewisse Bestandsaufnahme der fast Dies ist der Tatsache geschul- Sicherheit, setzen Standards 3.000 Baunormen mit dem Ziel det, dass das Normungsinstitut und dadurch können Entwick- der Reduktion erfolgt ist. Auch Austrian Standards neben einer lungsprozesse schneller und eine erste Annäherung an das staatlichen Förderung auch ei- effizienter abgewickelt werden. Thema Haftungen ist erfolgt. Es Walter Leiss, 61, gene Einnahmequellen braucht, Es geht eher darum, eine klare bleibt zu hoffen, dass es hier um sich und seine Tätigkeiten Abgrenzung zwischen Normen nicht beim reinen Reden bleibt, ist seit 2011 Generalsekretär auf österreichischer und interna- und Gesetzen zu finden und ein sondern auch wirkungsvolle des Österreichischen Gemein- tionaler Ebene zu finanzieren. „Zuviel“ zu verhindern. Maßnahmen erarbeitet werden. debundes. Denn wie oben beschrieben: Fin- Wäre es daher ein Ansatz, die Die Ausführungen machen deut- den manche dieser Normen wirk- Normengebung komplett in den lich: Lösungen sind schwer zu lich Anwendung, dann haben wir Gesetzgebungsprozess zu inte- finden, aber es braucht dringen- größere Probleme. No 14 15 rm
VIZEPRÄSIDENTINNEN IM GEMEINDEBUND MEIN WEG AN DIE SPITZE Als ich 1993, nach 15 Jahren „Könntest Du dir vorstellen, mir in der Stadt Salzburg, wieder als Bürgermeisterin nachzufol- in meine Heimat Stuhlfelden gen?“ Mit diesen überraschen- zurückgezogen bin, um eine ei- den Worten bat mich Lang- gene Praxis für Psychotherapie zeit-Bürgermeister Rudi Hakel im aufzumachen, waren sehr we- Frühjahr 2018, seine Nachfolge nige Frauen in unserer Region im Bürgermeisteramt der Stadt in der Kommunalpolitik tätig. Liezen anzutreten. Er beabsich- Meinen Einstieg in die Kommu- tigte zum damaligen Zeitpunkt, nalpolitik habe ich nur der Frage, der Kommunalpolitik nach mehr warum in unserer Gemeinde so als 18 Jahren als Bürgermeister wenige Frauen politisch tätig „Adieu“ zu sagen. Überraschend sind, in einer gemütlichen Run- waren seine Worte für mich de zu verdanken. Die Antwort deshalb, da ich mich beruflich lautete, dass ich mich gleich bereits in Pension befand und selbst bewerben sollte. Da ich plante, mein Leben und meine niemand bin, der nur redet und Zukunft stärker der Familie zu dann nichts tut, habe ich 1998 widmen. begonnen, mich politisch zu en- gagieren. 1999 konnten wir bei Ich habe meine Entscheidung den Gemeinderatswahlen ein für das Bürgermeisteramt nach Mandat gewinnen. So wurde ich reiflichen Überlegungen mit viel – ohne jegliche politische Erfah- Zuversicht und Freude getroffen. rung – nicht nur Gemeinderats- Vom ersten Moment an war für mitglied, sondern gleich Vizebür- mich klar, diese große Aufgabe germeisterin. und Verantwortung mit Kontinui tät und neuen Ideen für unsere Bgm. Sonja Ottenbacher Ich muss ehrlich zugeben: An- Stadtgemeinde im Gleichklang Bgm. Roswitha Glashüttner Vizepräsidentin des Österreichischen fangs war natürlich alles neu zu besetzen. Vizepräsidentin des Österreichischen Gemeindebundes und für mich fast unverständlich, Gemeindebundes wofür eine Gemeinde alles zu- Langeweile und Stillstand sind ständig ist. Aber ich hatte große zwei Begriffe, die in meinem 16 17
VIZEPRÄSIDENTINNEN IM GEMEINDEBUND MEIN WEG AN DIE SPITZE Freude an dieser Tätigkeit und die Wahl gegen einen Gegenkan- tion bleibt einem Bürgermeister Leben wenig Platz finden. Mein deutende Unternehmen. In der Was habe ich aus all den Heraus- bekam viel Unterstützung von didaten mit 81 Prozent. oft auch nur die Hilflosigkeit. Alltag war – und ist es jetzt mehr damaligen VOEST Alpine und da- forderungen gelernt? Aufgaben den Kollegen in der Gemeinde- Meine Erfahrung zeigt aber: Am denn je – immer mit Aufgaben nach in der Firma Plansee konn- formen und mit seinen Aufgaben vertretung und großen Zuspruch Seither arbeite ich mit Überzeu- Ende geht es ums Zusammen- ausgefüllt, die mich geformt und te ich als Chefsekretärin meinen kann man wachsen – wenn man aus der Bevölkerung. Im Pinzgau gung und noch immer mit gro- halten und Zusammenarbeiten. geprägt haben, die aber auch Beitrag zum Erfolg leisten. Ich dies zulässt! war es damals eine richtige Rari- ßer Freude als Bürgermeisterin, Das prägt eine Gemeinde und viele positive Eindrücke hinter- erhielt in weiterer Folge auch die tät, als Frau in der vorderen Rei- obwohl ich festhalten möchte, ihre Bewohner. lassen haben. So konnte ich in Chance für eine berufliche Wei- Die Gemeindepolitik hat mich he zu stehen. dass es trotz meiner Vorerfah- all den Jahren viele Kontakte terentwicklung und war letztlich schon als junge Frau und Mutter rung als Vizebürgermeisterin Was braucht es also, um dieses knüpfen, ein Netzwerk aufbau- als Sachbearbeiterin in der Ar- interessiert. Durch die Tätigkeit Als sich mein Vorgänger 2003 kaum vorstellbar ist, welches umfangreiche Aufgabenspekt- en, die unterschiedlichsten Be- beitsvorbereitung tätig. als Betriebsrätin hatte ich schon – nach 36 Jahren an der Spitze Ausmaß dieses Amt mit sich rum zu bewältigen? Aus meiner gegnungen mit Menschen erle- früh Kontakt zu Funktionärin- – dazu entschieden hat, nicht bringt. „Learning by doing“ wäre Sicht stellen kompetente und ben und auch eigene Akzente Soziale Gerechtigkeit und deren nen und Funktionären, die sich mehr zu kandidieren, wurde ich wohl die beste Beschreibung, loyale Mitarbeiter/innen, Fach- setzen. Durchsetzung standen für mich im Interesse der Gemeinde für von der Bevölkerung und auch denn es gibt so viele verschie- kräfte zur Beratung, aber auch immer im Vordergrund, daher die Bevölkerung einsetzten. So von einigen Mandataren gefragt, dene Aufgabengebiete, auf die eine Gemeindevertretung, in Als jüngstes von drei Kindern engagierte ich mich auch über sagte ich im Jahr 1994 zu, bei ob ich nicht als Bürgermeis- man nicht vorbereitet sein kann. der – über die Parteigrenzen wuchs ich in einem sozialdemo- 13 Jahre lang als Betriebsrätin. der nächsten Gemeinderatswahl terin kandidieren wolle. Man Finanzen, Infrastruktur, Kinder- hinaus – zusammengearbeitet kratischen Umfeld auf, in dem Dieses Engagement war die zu kandidieren, jedoch – wegen muss dazu sagen, dass es zu betreuung, Pflege sowie Raum- wird, wo Wertschätzung gelebt Disziplin und Verantwortung be- Basis dafür, dass ich mich mit meiner noch zu versorgenden dem Zeitpunkt noch keine ein- ordnung, Gewerbe, Arbeits- und und Zusammenhalt gezeigt wird, sonders wichtig waren. Gestärkt 47 Jahren entschloss, beruflich Kinder – an nicht wählbarer Stel- zige Bürgermeisterin im ganzen Wohnmöglichkeiten zu schaffen die zentralen Faktoren dar. Wenn durch meine Familie wurde der noch einmal durchzustarten, um le. Bundesland Salzburg gab. Ei- – das alles heißt es anzugehen das funktioniert, kann man auf Grundstein für mein politisches, in der Funktion der ÖGB-Regio- gentlich war ich auch nicht die und zu bewältigen. kommunaler Ebene sehr viel und aber auch soziales Interesse nalsekretärin für den gesamten Der entscheidende Schritt für Wunschnachfolgerin meines Vor- sehr rasch etwas bewirken. Die und schließlich für meine Le- Bezirk wirken zu können. Diese meine politische Zukunft wur- gängers, der schon einen Mann Vor allem aber sind es die sozia sogenannte Bürgernähe wird in benslaufbahn gelegt. Neben al- Tätigkeit durfte ich bis zu mei- de bald gesetzt, als ich im Jahr für den Posten auserkoren hatte. len, emotionalen Bereiche, die den Gemeinden ausnahmslos len beruflichen und politischen ner Pensionierung im Jahr 2014 1998 zur Gemeinderätin ange- Bei Umfragen in der Bevölkerung oft eine große Belastung darstel- gelebt und gepflegt, da man ja Agenden musste ich als allein- ausüben. Nebenbei wurde mei- lobt wurde und ich das Sozial- und Diskussionen in der Frakti- len. Akutsituationen bei Katas immer Ansprechperson vor Ort erziehende Mutter von drei Kin- ne Rolle in der Kommunalpolitik referat übernehmen durfte. Für on kam aber klar heraus, dass trophen, Tragödien im Ort, Ver- ist. dern permanent den Spagat zwi- gestärkt, und ehrenamtliche Tä- mich war immer schon wichtig, die Bevölkerung mich als Kandi- luste und Krankheiten und vieles schen Beruf und Familie finden. tigkeiten für die Volkshilfe und die Menschen im Mittelpunkt zu datin wollte. Mit diesem starken mehr, brachten auch mich als Überregional ist mir die Vernet- das Rote Kreuz sind für mich bis sehen. Bei der Gemeinderats- Rückhalt wurde ich als Kandida- ausgebildete Psychotherapeutin zung aber ebenso wichtig. Frü- Mein beruflicher Weg führte heute nicht wegzudenken. wahl im Jahr 2000 erhielt ich tin aufgestellt und gewann 2004 oft an die Grenzen. In der Situa- her war ich Bezirksleiterin der mich in für unsere Region be- das Stadtratsmandat und seit 18 19
VIZEPRÄSIDENTINNEN IM GEMEINDEBUND MEIN WEG AN DIE SPITZE ÖVP-Frauen und Bezirksobfrau kann man nicht immer wissen, sieht, dass sich die Anzahl der 2011 war ich als 1. Vizebürger- serer Gesellschaft einsetzen, der Vizepräsidentin anzutreten? der ÖVP in unserer Region, eh- was auf einen zukommt. Aber weiblichen Gemeindevorsitzen- meisterin an der Seite von Bür- Zusammenhalt und Vertrauen Als Bürgermeistern habe ich nun renamtlich führe ich nach wie vor man wird es auch nie erfahren, den in Österreich seit 2004 fast germeister a. D. Rudi Hakel in vermitteln zu können und Verant- die Chance, Teil dieses wichti- die Funktionen der Bezirksleite- wenn man es nicht ausprobiert. verdreifacht hat. der Stadtregierung. wortung für unsere Stadt über- gen Gremiums zu sein und so rin des Salzburger Bildungswer- Daher möchte ich allen den Mut nehmen zu dürfen. überregional mitgestalten zu kes und des Vorstandsmitglieds geben, einfach einmal „Ja“ zu Als sich Präsident Alfred Riedl Das Amt der Bürgermeisterin können. Mich inspiriert auch die sowie der Aufsichtsratsstellver- sagen und auszuprobieren, ob entschieden hat, zwei weibliche habe ich am 2. Jänner 2018 mit Mit dem Amt der Bürgermeis- Rolle, die ich als Frau – in einem treterin von Pro Mente Salzburg es einen nicht doch erfüllt, die Vizepräsidentinnen in den Vor- der Zusage angetreten, dass ich terin ist man natürlich auch in durchwegs männerbesetzten Be- aus. Mein erster Schritt in die In- eigene Umgebung zu gestalten. stand aufzunehmen, habe ich mich weiterhin und verstärkt für vielen Gremien vertreten. Dazu reich – mit all meinen Erfahrun- teressenvertretung der Gemein- es als Anerkennung gesehen, diese Stadt und ihre Menschen gehört auch der Österreichische gen und Fähigkeiten einnehmen den erfolgte 2014 in Salzburg, Der Österreichische Gemein- gefragt zu werden, so eine Posi- mit Freude und mit voller Kraft Gemeindebund als bedeutende kann. wo ich in den Vorstand des Ge- debund unterstützt seit vielen tion zu übernehmen. Es ist mir einsetzen werde, mit Möglich- Interessensvertretung der Ge- meindeverbands gewählt wurde. Jahren sehr stark das Anlie- ein Anliegen, zu zeigen, dass keiten, zu gestalten, nach guten meinden. Für mich heißt dies, Ich möchte an dieser Stelle gen, mehr Frauen für die Kom- das Amt als Bürgermeisterin bei Lösungen für die Herausforde- die Gemeinden in allen Belangen auch anderen Frauen gezielt Mut Warum ich mich nun für das Amt munalpolitik zu gewinnen. Ge- all den Unsicherheiten und gro- rungen unserer Stadt zu suchen bei der Gesetzgebung im Bund zusprechen und sie bestärken, der Vizepräsidentin des Öster- meindebund-Präsident Helmut ßen Herausforderungen etwas und bestmögliche Entscheidun- und in den Ländern bestmöglich dass sie die gleichen Chancen reichischen Gemeindebundes Mödlhammer unterstützte mich ganz Spannendes und Schönes gen zu treffen. Dabei liegt mir zu vertreten, Herausforderungen haben, wenn es darum geht, ein entschieden habe, ist ganz klar 2007 bei der Organisation des ist und die Menschen spüren, besonders am Herzen, weiterhin anzunehmen und gemeinsam Amt, so wie es etwa das Bürger- zu beantworten: Ich habe „Ja“ ersten Bürgermeisterinnentref- wenn man mit Wertschätzung, das Vertrauen der Bevölkerung Lösungen mit einem kompe- meisteramt ist, anzunehmen. gesagt, als ich gefragt wurde. fens. Seither haben die jährli- Echtheit und Verbundenheit die zu gewinnen sowie das Gemein- tenten Team zu entwickeln und Wichtig dabei ist, dass die Struk- Es war für mich eine Ehre, dass chen Zusammenkünfte, um sich Arbeit macht. Ich möchte ge- same zu fördern und in den Vor- umzusetzen. Dass ich nun auch turen für eine frauenfreundliche ich mich künftig für Österreichs auszutauschen, zu diskutieren, meinsam mit unseren Vertretern dergrund zu stellen! die Möglichkeit habe, im Öster- Besetzung von politischen Äm- Gemeinden stark machen kann. um Mut zu machen, immer in der Gemeindeverbände aller reichischen Gemeindebund als tern angepasst und die Frauen Mit der Zusage für dieses Amt einem anderen Bundesland Bundesländer für die Gemein- Natürlich ist der Alltag einer Vizepräsidentin mitwirken zu bei ihrer Organisation und letzt- möchte ich aber auch ein Zei- stattgefunden. Nicht nur für uns den mitreden und mitbestimmen Bürgermeisterin nicht immer dürfen, zeugt nicht nur von gro- endlich in ihrer Funktion unter- chen für alle Frauen setzen, Bürgermeisterinnen persönlich, dürfen, um das Beste für die eine einfache Aufgabe, und die ßem Vertrauen, sondern bedeu- stützt werden. die gefragt werden, in die Kom- sondern auch in der medialen kommunale Ebene zu erreichen. Erfahrungen der letzten Mona- tet auch Zutrauen, und das er- munalpolitik einzusteigen. Wir Aufmerksamkeit sind die drei Denn es ist nicht nur unsere te haben mir gezeigt, dass die- füllt mich mit großer Freude und Erschwerend kommt oft hinzu, überlegen oft und berechtigter- Tage einmal im Jahr ein wich- Aufgabe, sondern auch unsere ses Amt mit der Überwindung macht mich stolz. dass die Erwartungshaltung an weise, ob sich das neben all den tiges Zeichen. Wichtig ist mir Pflicht, verantwortungsbewusst von Hürden verbunden ist. Der Bürgermeisterinnen anders ist Verpflichtungen, die wir ohnehin auch, dass man nicht immer nur und behutsam mit den Men- Lohn dafür ist die Genugtuung, Was motiviert mich, neben mei- als an die männlichen Kollegen. schon haben, ausgeht. Natürlich jammert, sondern auch einmal schen und unseren Gemeinden sich für die Menschen in un- nem ausgefüllten Alltag das Amt So wird viel mehr Augenmerk auf 20 21
VIZEPRÄSIDENTINNEN IM GEMEINDEBUND MEIN WEG AN DIE SPITZE umzugehen, die uns anvertraut sind, aber dafür werden sie nicht ihr Äußeres und ihren Stil bei der Daher mein Appell, an Euch, lie- sind. gebaut.“ – Politiker sind beque- Führung des Amtes gelegt. Aber be Frauen: Traut Euch das zu! mer, wenn sie sich ruhig verhal- wir alle sind Menschen mit un- Denn Frauen und Männer sind Und so wird mich auch weiterhin ten, aber dafür werden sie nicht terschiedlichen Schicksalen, Zu- gleichermaßen für alle Tätigkei- mein Motto begleiten: „Schiffe gewählt! gängen und Möglichkeiten, und ten bestimmt, dies auch, oder sind sicherer, wenn sie im Hafen es sollte daher selbstverständ- sogar besonders, in der Kommu- lich sein, auch Frauen in den nalpolitik, der Basis der Demo- Mittelpunkt zu stellen. kratie! Sonja Ottenbacher, 58, Roswitha Glashüttner, 62, ist seit 2004 Bürgermeiste- ist seit 2018 Bürgermeisterin rin der Gemeinde Stuhlfelden der Stadt Liezen in der Steier- im Bundesland Salzburg. Von mark. 1998 erfolgte ihr Ein- 2009 bis 2013 war sie im stieg in die Kommunalpolitik Salzburger Landtag tätig, seit als Gemeinderätin, 2011 wur- 2014 ist sie im Vorstand des de sie zur Vizebürgermeisterin Salzburger Gemeindeverban- angelobt. Seit März 2019 ist des. Seit März 2019 ist sie sie außerdem Vizepräsidentin außerdem Vizepräsidentin des Österreichischen Gemein- des Österreichischen Gemein- debundes. debundes. 22 23
100 JAHRE FRAUENWAHLRECHT DAS ENDE DES DULDENS Große historische Entwicklungen Die traditionelle Ordnung aus mit 40.000 Beschäftigten zum spielen sich immer auch im Klei- Friedenszeiten war kaputt. Milli- größten Industriebetrieb der ge- nen ab. Auf den Straßen der Dör- onen Familien waren zerrissen. samten Monarchie. Jede Woche fer, in der Kirche, im Wirtshaus, Es gab neue Prioritäten, neue wurden hier bis zu sieben Milli- in den Familien. Auch dass Frau- Nöte. Damit verschob sich auch onen Schuss Infanteriemunition en vor 100 Jahren das Recht er- das Verhältnis zwischen Män- und zusätzlich bis zu 107.000 kämpften, in der neu gegründe- nern und Frauen – mit weitrei- Schuss schwere Artilleriemuniti- ten Republik endlich wählen zu chenden politischen Folgen. on erzeugt. dürfen, war keine isolierte poli- tische Entscheidung. Es war das Zunächst hatte der Krieg einen Die Nachfrage nach ungelernten Ergebnis dramatischer gesell- rasanten Industrialisierungs- Arbeitskräften war deswegen rie- schaftlicher und wirtschaftlicher schub gebracht. Im niederöster- sig. Doch die meisten Männer, Umwälzungen, die überall in Ös- reichischen Industrieviertel etwa die arbeitsfähigen zumindest, terreich Tag für Tag im Kleinen gab es seit dem 19. Jahrhundert waren im Feld und lagen in den stattfanden. Am Beispiel einiger schon Baumwollspinnereien, Schützengräben. Deswegen niederösterreichischer Gemein- Elektroindustrie und Lokomotiv mussten die Frauen an die Werk- den möchte ich den Ereignissen fabriken. Mit der fieberhaften bänke. „Die Front ist die Domä- von damals hier nachspüren. Aufrüstung der Armee setzte nun ne jeden waffenfähigen Mannes, ein wahrer Boom ein. Auf dem während die für das Heer arbei- Als der Erste Weltkrieg seinem Flugfeld von Wiener Neustadt tende Frau den Soldaten des Ende zuging, und die Zivilbe- wurde die Luftfahrt erprobt, die Hinterlandes darstellt“, prokla- völkerung bereits den dritten traditionellen Textilfabriken stell- mierte das Kriegsministerium Hungerwinter in Folge erlebte, ten auf Uniformen und Stiefelher- 1915. Bauerntöchter, Handwer- müssen viele bereits geahnt stellung um, die Region wurde kergattinnen, Soldatenwitwen, haben, dass eine bittere Nieder- zum Zentrum der Rüstungsin- Mägde, arbeitslos gewordene lage bevorstand – und nachher dustrie. In Blumau, bei Dynamit Dienstmädchen – sie alle gingen nichts mehr so sein würde wie Nobel, wurde Sprengstoff pro- nun in die Fabrik. Nähten dort vorher. Der Krieg hatte nicht nur duziert, in Hirtenberg Patronen, Uniformen, schraubten Gewehr- Mag.a Sibylle Hamann die Landkarte Europas und vie- in Berndorf Blech, Draht, Kon- teile zusammen. Sie sortierten Journalistin in Wien le Grenzen verschoben. Er hatte serven und Blechnäpfe für die verwertbare Altstoffe wie Me- auch das wirtschaftliche Gefüge Soldaten im Feld. Die k.u.k. Mu- tall, Papier, sogar Knochen und der Monarchie radikal verändert. nitionsfabrik Wöllersdorf wuchs Haare. 24 25
100 JAHRE FRAUENWAHLRECHT DAS ENDE DES DULDENS Im Vergleich der Bundesländer Jugendliche blieben im Wachs- dort, wo der Arbeitskräfteman- stieg in Niederösterreich der tum zurück.“ Die unpraktische gel besonders krass war, Frau- Frauenanteil an der gesamten Kleidung – speziell „die weiten en nämlich aus weit entfernten Arbeiterschaft am meisten: Vor Röcke, die sich häufig in den Ma- Gegenden herangeschafft und dem Krieg war er noch bei einem schinen verfingen“ – stellte ein mussten dann auf dem Werks- Luftaufnahme der k.u.k. Munitionsfabrik Wöllersdorf um 1916. Das halbrunde Gebäude ist das einzige, das heute noch Viertel gelegen, bis Kriegsende zusätzliches Risiko dar. gelände schlafen. Das machte steht. Dort ist eine Firma für Systembauteile aus Beton untergebracht. stieg er auf 40 Prozent. Die Be- sie noch verwundbarer. „In Bara- triebe konnten damit sogar ihre Besonders gefährlich war die cken, wo Strohsack neben Stroh- Profite erhöhen, denn trotz glei- Arbeit in den Munitionsfabriken. sack lag, drei Arbeiterinnen auf cher Produktivität wurden Frauen Blausäure, ein Bestandteil von zweien, oft bei offenen Türen, grundsätzlich schlechter bezahlt Sprengstoffen, ist hochgiftig. um den patrouillierenden Sol- als Männer. Und auch die Explosionsge- daten die Möglichkeit zu geben, fahr war groß: Am 18. Septem- die Schlafräume zu überwachen. „Beim Deckeldrehen für Wurf- ber 1918, wenige Wochen vor Gesunde lagen bei Kranken, Ver- minen bekommen männliche Kriegsende, brannte eine Ferti- wahrloste neben Reinlichen“, Dreher einen Taglohn von zehn gungshalle in der Wöllersdorfer schrieb Popp. Zu essen gab es Kronen, Frauen acht Kronen bei Munitionsfabrik vollkommen bloß „schlechten schwarzen Kaf- derselben Leistung“, klagte eine aus. 423 Arbeiterinnen, die fee, schlechtes Brot, Kraut, Rü- zeitgenössische Ausgabe der Ar- meisten von ihnen zwischen 15 ben, Bohnen.“ Das sogenannte beiterinnen-Zeitung. und 25 Jahre alt, erstickten oder „Kriegsleistungsgesetz“ machte verbrannten qualvoll. Es war die diese Frauen zeitweise de facto Die Frauen in den Fabriken ar- größte zivile Katastrophe der zu Zwangsarbeiterinnen: In den beiteten zwölf oder 13 Stunden Monarchie, mit mehr Toten als für den Krieg wichtigen Unter- am Tag, auch sonntags, viele der Ringtheaterbrand, der 1881 nehmen galt Streikverbot, jeder nachts, um tagsüber ihre Kinder die Residenzstadt Wien erschüt- Widerstand wurde mit Arrest- betreuen zu können. Die Histo- tert hatte. strafen belegt. rikerin Gertrude Langer-Ostraw- sky schreibt: „Die körperliche Die Frauenrechtlerin Adelheid All das musste weitreichende Schwerstarbeit, Lärm und Popp machte die schrecklichen Folgen für das Familienleben Schmutz führten zu Erschöp- Lebens- und Arbeitsbedingun- haben. Denn wer den ganzen fungszuständen, Blutarmut, gen der Arbeiterinnen zum po- Tag in der Fabrik steht, kann Erzeugung der Granathülsen in der Metallwerkstätte in Wöllersdorf. Tuberkulose und Fehlgeburten; litischen Thema. Oft wurden nicht kochen, Kinder und alte 26 27
Elendsquartier zur Zeit des 100 JAHRE FRAUENWAHLRECHT Ersten Weltkriegs DAS ENDE DES DULDENS die täglich zigtausende Portio- etwas zum Tauschen zu haben? Berufsschranken zu überwin- der Organisation und Verteilung nen Essen ausgaben – in Baden Was verkaufen wir, was behalten den“, schreibt die Historikerin völlig überfordert. Die Qualität etwa, in Herzogenburg, Sto- wir, wenn nichts mehr zum Es- Gertrude Langer-Ostrawsky. „Sie der Lebensmittel wurde immer ckerau, Krems, Oberhollabrunn sen da ist? Soll man die Kinder hatten umfassendere Entschei- schlechter, die Kalorienzuteilun- und Leesdorf. Diese Küchen wegschicken, bei wem könnten dungen zu treffen als in Frie- gen wurden permanent herabge- erfüllten mehrere Funktionen sie leben, wenn das Haus nicht denszeiten, sie trugen mehr Ver- setzt. gleichzeitig. Sie stellten sicher, mehr steht? Lässt man sich mit antwortung und sie bekleideten dass die Menschen an der Hei- einem neuen Mann ein? Was tun zahlreiche öffentliche Funktio- „Es waren die Frauen, die nahe- matfront überhaupt regelmäßig im Fall einer Schwangerschaft? nen. Sie waren in Männerdomä- zu allerorts die Initiative ergrif- warme Mahlzeiten bekamen, an- Wann ist, in akuter Lebensge- nen tätig – ob sie das nun selbst fen und gegen die zunehmende dererseits versprach man sich in fahr, der richtige Zeitpunkt, um angestrebt hatten oder ob das Verknappung protestierten“, den Großküchen eine effiziente- zu fliehen, und wo geht man von den Behörden erzwungen schreibt der Historiker Klaus-Die- re Verwertung der Nährstoffe. dann hin – zu Verwandten in ein wurde. Frauen wurden im Krieg ter Mulley, und listet eine Viel- Um Kinder in Abwesenheit der anderes Dorf, in die Stadt, in die in vielen Bereichen sichtbar, ins- zahl spontaner Frauenprotest- Mütter nicht ganz unversorgt zu Fremde? besondere auf der politischen aktionen in Niederösterreich auf lassen, wurde in einigen Orten Ebene, wo sie jetzt vehement – in Waidhofen/Thaya, Neuleng- auch die Kinderbetreuung kollek- Frauen gewöhnten sich in den ihre Forderungen vorbrachten.“ bach, Atzgersdorf, Kirchberg an tiv organisiert. Kriegsjahren daran, im Namen der Pielach, Obergrafendorf, Wil- ihrer Familien zu verhandeln, Speziell, wo es Hunger gab, ge- helmsburg, Baden oder Türnitz. Selbstverständlich veränderte bei Ämtern vorzusprechen, ihre wöhnten sich Frauen ab, immer Hunderte gingen gegen die Kür- diese aus der Not geborene Kol- Forderungen zu formulieren. nur still zu dulden, und lernten zung von Milchrationen auf die lektivierung ganz grundlegend Vieles, was vor dem Krieg noch stattdessen, das Gesetz des Straße, verlangten die Ausgabe Angehörige versorgen. Kinder- auch Felder, Gärten und Stäl- die Aufgabenteilung in den Fa- als „unschicklich“ gegolten hät- Handelns selbst in die Hand von Kohlen und Brot, rotteten arbeit wurde wieder zur Selbst- le unbestellt – was die Versor- milien. In Abwesenheit der Män- te und gesellschaftlich verpönt zu nehmen und gegen die Ob- sich vor den Ausgabestellen der verständlichkeit. Arbeiterinnen gungsengpässe mit Lebensmit- ner übernahmen die Frauen die gewesen wäre, war aus der Not rigkeit aufzubegehren. Wegen Lebensmittel zusammen, griffen fehlte die Zeit, um einkaufen teln weiter verschärfte. Versorger- und Ernährerrolle. heraus nun unvermeidbar: allein der Versorgungsengpässe und Brotwagen an. zu gehen oder sich gar – mit Sie trafen alle Entscheidungen reisen, sich in der Öffentlichkeit der steigenden Preise hatte die zunehmend prekärer werdender Um dennoch ein Mindestmaß an im Alltag allein, häufig auch exponieren, sich organisieren, staatliche Verwaltung ja Bezugs- Beispielhaft schildert Mulley Versorgungslage – stundenlang Versorgung für die Zivilbevölke- sehr weitreichende, existenziel- laut die Stimme erheben. karten für Grundnahrungsmittel eine Frauendemonstration in Hof vor den Geschäften anzustellen. rung zu garantieren, wurden in le. Womit verdienen wir unser eingeführt – kurz vor dem mili- am Leithagebirge: Am 26. Juni In Abwesenheit vieler weiblicher mehreren Industrieregionen da- Geld? Was stellen wir am Hof „Frauen hatten im Ersten Welt- tärischen Zusammenbruch an 1917 wurde im Gemeinderat bäuerlicher Arbeitskräfte blieben her „Kriegsküchen“ eingerichtet, oder in der Werkstatt her, um krieg geschlechtsspezifische allen Fronten war sie jedoch mit über die Mehlrationen verhan- 28 29
Frauenwahlrecht in Europa Jahr der Einführung 1984 Liechtenstein 100 JAHRE FRAUENWAHLRECHT DAS ENDE DES DULDENS 1971 Schweiz delt – die seit Monaten schon reich. Die alten Autoritäten hat- der Zwischenzeit ohne sie wei- viel zu knapp bemessen waren, ten ihre Glaubwürdigkeit verlo- tergeführt hatten. 1962 Monaco um damit Familien ernähren zu ren. Ihre Machtbasis war weg. 1960 San Marino können. Die Frauen des Ortes Die staatlichen Institutionen der Was geschehen war, ließ sich wollten von den dauernden Ver- einst so prächtigen Monarchie nicht mehr rückgängig machen. tröstungen und Durchhaltepa- konnte ihre ureigensten Aufga- Eine alte Ordnung war zusam- rolen der Obrigkeit nichts mehr ben – Sicherheit, Ordnung, Ver- mengebrochen. Familien, Dör- wissen. 20 Frauen drangen bis sorgung – nicht mehr gewährleis- fer und Städte im ganzen Land Quelle: Wikipedia. Grafik: Putzkers Grafikteam/Caroline Klima, Lukas Kaspar 1952 Griechenland in den Raum der Gemeinde- ten. Damit hatten sie, zumindest hatte dieser Krieg so sehr ver- 1948 Belgien ratssitzung vor, beschwerten in den Augen der Frauen, die die- ändert, dass an der politischen sich. Der Bürgermeister wandte ses Versagen aus allernächster Mitbestimmung von Frauen kein 1946 Italien, Portugal sich mit abfälligen Bemerkun- Nähe mitanschauen mussten, Weg mehr vorbeiführen konnte. 1945 Bulgarien, Slowenien, Ungarn gen über „die Weiber“ ab, der ihre gesamte Existenzberechti- Sibylle Hamann, 53, 1944 Frankreich Pfarrer versuchte zu beschwich- gung verloren. tigen. Eine Demonstration von Journalistin in Wien 150 Frauen und Kindern folgte Damit war aber auch eine Herr- in der Dämmerung schließlich schaftsform an ihrem Ende an- Anmerkung: 1934 Türkei dem Bürgermeister bis zu sei- gelangt, in der Männer allein Für die Opfer der Brände in den nem Wohnhaus und belagerte das Sagen hatten. Eine ganze Fabriken gibt es eine Gedenk- 1931 Spanien es. Erst die Polizei setzte der Generation von Männern, die stätte in Winzendorf. 1928 Vereinigtes Königreich Demonstration ein Ende. nach der Niederlage von den Fronten des Krieges zurückkam, „Der Einfluss der Frauen auf brachte massive Beschädigun- Literatur: den Fortgang der sogenannten gen nach Hause mit: Sie waren Nie wieder Krieg! 1921 Schweden ‚österreichischen Revolution‘ verwundet, verstümmelt, körper- Die Situation der Frauen im und 1919 Niederlande ist noch nicht ausreichend er- lich und seelisch krank. Manche nach dem Ersten Weltkrieg. 1918 Deutschland, Lettland, Lux., Österreich, Polen forscht“, resümiert der Histori- waren von ihren Erlebnissen Zum Gedenken an die 423 Op- 1917 Estland ker. Man kann jedoch vermuten: traumatisiert, manche von ih- fer der Brandkatastrophe in der 1915 Dänemark, Island Was in Hof am Leithagebirge ren eigenen Taten verroht. Viele k.u.k. Munitionsfabrik Wöllersdorf geschah, geschah 1918/1919 fanden nie wieder in das Leben vom 18. September 1918, 1913 Norwegen gleichzeitig wahrscheinlich an zurück, das sie vor dem Krieg Autor: Gerhard Kofler, erschienen 1906 Finnland vielen anderen Orten in Öster- geführt und das ihre Frauen in im RenMai Verlag. 30 31
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