KOMPASS 10I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
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ISSN 1865-5149 © [M] 2010 Bundeswehr / Stollberg I Schrift: WHISKHEELS – stock.adobe.com I Hintergrund: RATOCA – stock.adobe.com Soldat in Welt und Kirche Die Zeitschrift des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr 10I21 KOMPASS
INHALT Rubriken Titelthema 15 zum LKU: Menschenbild Möge die Macht mit dir sein – und die Verantwortung auch 16 Kolumne der Wehrbeauftragten 4 Innere Führung – ein regulierter Machtkonflikt von Klaus Naumann 20 Auf ein Wort: Ob ihr also esst oder trinkt oder etwas anderes tut ... 6 Interview mit Arnold Eiben, Präsident des Truppendienstgerichts Süd 25 Film-Tipp: WONDERS OF THE SEA 3D 10 Kann es gerechten Frieden geben? – Offizierweiterbildung 26 Buch-Tipp: Wie du erfolgreich wirst, ohne die Gefühle von Männern zu verletzen 12 Was macht Macht mit uns? Was machen wir mit Macht? von Heinrich Dickerhoff 27 VORSCHAU: Unser Titelthema im November TIPP: 18 Auslegeware: Mächtig gewaltig – Die Bibel 28 Rätsel Doppelseitiger Kompass-Kalender in der Mitte des Heftes: Aus der Militärseelsorge als Einhefter zum leichten 9 Taschenkalender für Soldatinnen und Entnehmen © Domschatz Essen / Foto: Christian Diehl Soldaten 2022 Glaube, Kirche, Leben 14 #WIRFÜREUCH Hilfen für Bundeswehrfamilien in den Flutgebieten 22 MUTIG | HEILIG | SELBSTBEWUSST Superheldinnen des Mittelalters: Ein Gespräch mit Andrea Wegener 22 Titelbild: © [M] 2010 Bundeswehr / Stollberg I Schrift: WHISKHEELS – stock.adobe.com I Hintergrund: RATOCA – stock.adobe.com Impressum Herausgeber Hinweis KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche Der Katholische Militärbischof Die mit Namen oder Initialen gekennzeich- ISSN 1865-5149 für die Deutsche Bundeswehr neten Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für das Redaktionsanschrift Druck unverlangte Einsenden von Manuskripten und KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche ARNOLD group Bildern kann keine Gewähr und für Verweise Am Weidendamm 2 Am Wall 15 in 14979 Großbeeren in das Internet keine Haftung übernommen 10117 Berlin werden. Bei allen Verlosungen und Preisaus- schreiben in KOMPASS. Soldat in Welt und Telefon: +49 (0)30 20617-421 Kirche ist der Rechtsweg ausgeschlossen. E-Mail: kompass@katholische- soldatenseelsorge.de Internet www.katholische-militaerseelsorge.de Chefredakteurin Friederike Frücht (FF) Redakteur Jörg Volpers (JV) Social Media Bildredakteurin, Layout Doreen Bierdel Lektorat Schwester Irenäa Bauer OSF Leserbriefe Bei Veröffentlichung von Leserbriefen behält sich die Redaktion das Recht auf Kürzung vor. 2 Kompass 10I21
EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, was löst das Wort „Macht“ bei Ihnen aus? Ist dieser kraftvolle Begriff eher positiv besetzt, oder denken Sie sofort an die Macht, die jemand anderes über Sie ausübt, an Gewalt, die Sie erlitten haben oder erleiden müssen? In den nachfolgenden Artikeln zum Titelthema wird viel über die Bedeutung dieses Wortes nachgedacht, mit ihm „gespielt“. Ich denke an „Was macht Macht mit uns?“ oder „Mächtig gewaltig“. Jedenfalls passt es – egal, woran man spontan denkt – in das Spannungs- © KS / Doreen Bierdel verhältnis zwischen der Kirche und der Bundeswehr, der deutschen „Streitmacht“. Der Richter Arnold Eiben bekennt zu Beginn seines Interviews: „Für mich ist Macht im Grunde nichts Schlechtes, sondern ein neutraler Begriff.“ Und auch Gewalt-Anwendung oder -Ausübung muss nicht negativ sein, wie das nebenstehende Zitat aus dem Grundge- „Alle Staatsgewalt setz der Bundesrepublik Deutschland zeigt. Lassen Sie sich ruhig auf dieses nicht ganz einfache Themenfeld ein, denn wir traktieren Sie weder mit geht vom Volke aus. „Alle Staatsgewalt geht gewalttätigen Bildern noch mit Gewaltverherrlichung in den Texten. Und wenn Sie dazu Fragen oder weite- re Ideen haben, melden Sie sich gerne bei uns! Wir Sie wird vom Volke vom Volke aus. in Sie Wahlen und freuen uns auf Briefe von Leserinnen und Lesern und eine Fortsetzung der Diskussion. wird vom Volke in Abstimmungen und Wahlen und Abstimmungen durch besondere und durch besondere Jörg Volpers, Redakteur Organe Organeder der Gesetzgebung, Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt derund vollziehenden der Rechtsprechung Gewalt und der ausgeübt.“ Rechtsprechung Grundgesetz, Artikel 20,2 ausgeübt.“ Kompass 10I21 3
TITELTHEMA Innere Führung – ein regulierter Machtkonflikt Ein Beitrag von Klaus Naumann, Militärhistoriker und Mitglied im 15. Beirat für Fragen der Inneren Führung des BMVg V on Macht und Machtverhältnissen zu sprechen gilt oft als wie das Amt der Wehrbeauftrag- anrüchig. Doch Macht als Vermögen der Durchsetzung ist ten, die Beschwerdeordnung oder nicht auf ihre „dunkle Seite“ (Star Wars) beschränkt; sie ist Mitwirkungsrechte sorgen dafür, dass allgegenwärtig und vielgestaltig. Die demokratische Ordnung die Organisationsmacht des Militärs rechtlich ist ein rechtlich gebändigtes Macht- und politisch eingebunden system, das auf Wahlen, Mehrheits- ist. Erstmals ist der Soldat als bildung, Minderheitenschutz und Staatsbürger in Uniform zum vollgül- parlamentarischer Kontrolle der Regie- tigen Rechtssubjekt geworden. Jede renden beruht. Von anderer Art ist das Einschränkung seiner Rechte bedarf Machtgefüge in der Bundeswehr. Die Die Streitkräfte sind ein der ausdrücklichen gesetzlichen Re- militärische Ordnung beruht auf Befehl gelung. und Gehorsam, Hierarchie und Büro- „Instrument der Politik“, kratie, Verhaltensregeln und Pflichten. Gleichwohl ist das Militär eine an- Aufgrund der hohen Regelungsdichte, der Soldat und die spruchsvolle und fordernde Ein- die das Militär kennzeichnet, wird die richtung. Oft genug steht der Armee gelegentlich als eine „totale Soldatin sind es nicht. Organisationszweck in einem Span- Institution“ (Erwin Gofman) beschrie- nungsverhältnis zu den öffentlichen ben. Damit soll ausgedrückt werden, oder politischen Zuwendungen (oder dass die innermilitärische Durchset- eben Nicht-Zuwendungen), die dem zungsmacht ein Höchstmaß an Kon- Sie sind Treuhänder der Militär entgegengebracht (oder ver- trolle, eine ausgeprägte Hierarchie weigert) werden. Auch dies ist eine und erheblichen Anpassungsdruck Staatsmacht und ihrer „Machtfrage“, die mit parlamenta- mobilisiert. Ziel ist es, einen Sozial- rischen, politischen, medialen und typ heranzubilden, der seine letzte Zwecksetzungen, kommunikativen Mitteln ausgetragen Erfüllung in Effizienz und Effektivität wird. Auf der anderen Seite üben die findet. Beispiele dieser Vorstellung aber keine willenlosen Verpflichtungen und Erwartungen, die konnte man in der alten Armee des von der Organisation an die Soldatin Kaiserreichs oder in der Wehrmacht Vollstrecker. und den Soldaten gerichtet werden, der NS-Zeit besichtigen. „Kadaverge- einen nicht unbeträchtlichen Druck horsam“, „unbedingter Gehorsam“ aus. Ob im Familienleben oder im Ein- oder ein verselbstständigter Kult der satz, bei dienstlichen Anforderungen Härte waren Ausweis dieser Praktiken. oder Regelversetzungen – zugemutet werden Eingriffe, die weit in die private Die Militärreformer der Bundeswehr und die bundesdeutsche Lebensführung hineinreichen. Wehrordnung haben mit diesem Modell gebrochen, weil sie aus historischer Erfahrung um die Gefahren des Machtmissbrauchs Nicht zu Unrecht kann man die Streitkräfte als eine „greedy wussten. Die Streitkräfte wurden rechtlich vollständig in den institution“ (Lewis Coser) beschreiben, die vieles in ihren Bann demokratischen Staat integriert und der parlamentarischen zieht. Auch deshalb ist eine innere Ordnung notwendig, die Ge- Machtkontrolle unterworfen. Verschiedene Zusatzmaßnahmen gengewichte schafft. Sie hat in der Inneren Führung Ausdruck 4 Kompass 10I21
TITELTHEMA gefunden. Die Führungsphilosophie ver- bindet Maximen der Auftragstreue, der militärischen Schlagkraft und Professio- nalität mit Prinzipien der Menschenwür- de, der Persönlichkeitsentwicklung und der ethisch-politischen Urteilsbildung. Die Streitkräfte sind ein „Instrument der Politik“, der Soldat und die Soldatin sind es nicht. Sie sind Treuhänder der © Bundeswehr / Marco Dorow Staatsmacht und ihrer Zwecksetzungen, aber keine willenlosen Vollstrecker. Wä- ren sie das, müsste man sie als „ins- trumentum vocale“ (stimmbegabtes Werkzeug) bezeichnen – aber so spra- „Die Streitkräfte chen nur die Römer von ihren Sklaven. Die Innere Führung lässt sich begreifen wurden rechtlich vollständig als eine Machtbalance zwischen den Ansprüchen einer ausgreifenden und fordernden Institution und der Selbstbe- in den demokratischen Staat hauptung des mündigen Soldaten. Diese „Machtfrage“ reicht vom Parlament bis integriert und der parlamentarischen in den Dienstalltag. Machtkontrolle unterworfen.“ Kompass 10I21 5
TITELTHEMA © 2010 Bundeswehr / Stollberg „Macht wird nur dann zu einem Problem, wenn sie missbraucht wird.“ Interview mit Arnold Eiben, Präsident des Truppendienstgerichts Süd Kompass: Was ist aus Ihrer Sicht Macht? Kompass: Welche Rolle spielen dabei faktor dar, der auch Einfluss auf die In- Arnold Eiben: Wenn man von der gängigen die Streitkräfte? nenpolitik nahm. Insofern geht von der Definition ausgeht, dann bedeutet Macht Arnold Eiben: Beim Thema Macht spielen Bundeswehr, weil dies nun anders gere- die Fähigkeit, Einfluss auszuüben und die Streitkräfte insofern eine bedeutende gelt ist, trotz ihrer Bewaffnung und mili- gegenüber anderen überlegen zu sein. Rolle, als sie in der Regel den größten tärischen Ausrüstung keine Gefahr aus. Für mich ist Macht im Grunde nichts Machtapparat darstellen, den ein Staat Schlechtes, sondern ein neutraler Be- zur Verfügung hat. Sie sind der stärkste Kompass: In welchem Zusammenhang griff. Bis vor Kurzem sprach man ja auch und effektivste Teil der Exekutive auf- steht das Prinzip der Inneren Führung? noch ganz normal von elterlicher Gewalt, grund ihrer Bewaffnung, ihrer Truppen- Arnold Eiben: Die Grundsätze der Inneren von Disziplinargewalt, oder man sagte, stärke und auch des Prinzips von Befehl Führung schützen die der Macht Unter- Soldaten und Beamte oder auch Strafge- und Gehorsam. Allerdings darf die Bun- worfenen, also die Befehlsempfänger, fangene, Schüler, Studenten stünden in deswehr, diese Macht nur zum Zwecke vor Übergriffen und Machtmissbrauch einem besonderen Gewaltverhältnis. Das der Landes- und Bündnisverteidigung durch die Inhaber der sogenannten Be- war nicht negativ gemeint. Heutzutage entfalten, also nur nach außen, wenn fehlsgewalt. Rang und Dienststellung ge- wird es wohl vielfach anders gesehen, von dort Gefahr droht. Im Inneren darf ben Vorgesetzten Macht und Befugnisse insbesondere in eher linksalternativen militärische Gewalt grundsätzlich nicht gegenüber Untergebenen in die Hand. Kreisen. Bei diesen ist der Begriff inzwi- zum Einsatz kommen. Diese sollen nicht zum Nachteil oder zum schen eindeutig negativ belegt. Aber die- Schaden der Unterstellten eingesetzt se Auffassung teile ich nicht. Und wichtig ist: werden. Die Regeln der Inneren Führung sollen den Vorgesetzten möglichst ein- In einem Rechtsstaat – wie dem fach und klar aufzeigen, wo die Grenzen Macht gibt es unter den Menschen und unseren – unterliegen die der zulässigen Machtausübung liegen. im täglichen Leben. Sie wird nur dann zu Streitkräfte sowohl einem Problem, wenn sie missbraucht parlamentarischer als auch Ich nehme immer gerne das Beispiel als wird. Weil die Macht nun aber in die gerichtlicher Kontrolle. Grundsatz, das ich auch beim Zentrum Hände von Menschen gegeben ist, die Innere Führung in Koblenz gehört habe, bekanntermaßen nicht vollkommen sind, Sie sind somit Recht und Gesetz un- die sogenannte Goldene Regel: kann es leider immer wieder zu Konflik- terworfen und es ist ihnen untersagt, ten und Machtmissbrauch kommen. Einfluss auf die innenpolitische Lage „Was du nicht willst, Davor sollten wir aber nicht grundsätz- Deutschlands zu nehmen. Das war bei dass man dir tu, das füg auch lich zurückschrecken und Angst haben, der Reichswehr in der Weimarer Republik keinem andern zu.“ sondern das ist etwas ganz Normales. noch anders. Sie stellte einen Macht- 6 Kompass 10I21
TITELTHEMA Disziplinararrest Der Arrest als höchste Maßnahme einfacher Art, kann von drei Tagen bis zu drei Wochen dauern. Da es sich um eine freiheitsentziehende Ich finde, wenn man sich daran hält, Maßregel handelt, bedarf sie der dann kann viel Unheil vermieden werden. Zustimmung des zuständigen Truppendienstrichters. Erwähnen möchte ich, dass es gerade zum Schutz und der Durchsetzung der Ausgangsbeschränkung Inneren Führung die Wehrdienstgerichte Diese gliedert sich in eine einfache und eine gibt. verschärfte Ausgangsbeschränkung. Verstöße gegen die Regeln der, Disziplinarbuße wie man auch sagt, Sie kann bis zu einem Monat Sold lauten. modernen Menschenführung sind in der Regel auch strenger Verweis Dienstvergehen und werden mit Disziplinarmaßnahmen Verweis geahndet. einfache Disziplinarmaßnahmen Kompass: Sie sprachen schon die Ge- Sie werden grundsätzlich von den Disziplinarvorgesetzten verhängt. richte an. Welches ist Ihre Rolle? Arnold Eiben: Ich bin Präsident des Truppendienstgerichts Süd, das heißt: Nach den Vorstellungen des Verteidi- nach außen sichtbaren Neuanfang do- Kompass: Es ist in der Öffentlichkeit gungsministeriums bin ich zur Hälfte als kumentieren. Und dann hat es auch sta- relativ unbekannt, was Truppendienst- Dienststellenleiter – wenn man so will tusrechtliche Gründe. In der verfassungs- gerichte tun. der Gerichtsbehörde – tätig und also zu- rechtlich vorgegebenen Unabhängigkeit Arnold Eiben: Da haben Sie recht. ständig für Personalführung, Verwaltung, der Gerichte müssen in Deutschland die Liegenschaftswesen, für militärische Si- Berufsrichter in einem Richterverhältnis Kompass: Welche Formen und Sanktio- cherheit, Arbeitsschutz, Datenschutz und stehen. Und die Berufsrichter sind nun nen innerhalb der Bundeswehr gibt es? was alles einem Dienststellenleiter der mal in der Bundesrepublik grundsätzlich Arnold Eiben: Nun, die Sanktionen hei- Bundeswehr so aufgetragen ist. Und zur Zivilisten. Das hat auch mit der Gewal- ßen bei uns Disziplinarmaßnahmen, anderen Hälfte bin ich Kammervorsitzen- tenteilung zu tun, die Wesenselement nicht Disziplinarstrafen. Dadurch will der wie jeder Richter eines Gerichts, also eines freiheitlichen und demokratischen man schon sprachlich verhindern, dass leite ich die erste Kammer und übe dort Rechtsstaats ist. wir mit dem Strafrecht vermengt werden. eine richterliche Tätigkeit aus. Dann hätte man ein Problem, nämlich Die Soldaten gehören zur Exekutive eben- das Verbot der Doppelbestrafung. Man Kompass: Sie sind aber Zivilist. Wie so wie die Beamten. Und die Richter, die darf nicht wegen derselben Tat zweimal fänden Sie es, wenn Richter und die gehören eben zur Judikative. zur Verantwortung gezogen werden. anderen Mitarbeiter, militärisch wären? Nun, die Disziplinarmaßnahmen, die es Arnold Eiben: Nun, ich denke, es wäre Viel wichtiger als Zivil oder nach unserer Rechtsordnung gibt, das nicht besser, aber auch nicht schlechter, Uniform ist für mich aber, sind zum einen einfache und zum ande- wenn wir Soldaten wären – aber anders. dass die Truppendienstrichter ren gerichtliche Disziplinarmaßnahmen. In den meisten Ländern der Welt, übri- unabhängig und allein Recht gens auch in unseren westlichen Nach- und Gesetz unterworfen sind. Kompass: Haben Sie dann auch Stufen, barstaaten, sind die Angehörigen der Darauf kommt es an. also Instanzen? Militärgerichtsbarkeit im Soldatenstatus. Arnold Eiben: Ja, wir haben Instanzen. Jedoch muss man unterscheiden, ob Dass dies in Deutschland anders ist, hat Kompass: Also gibt es keine Weisungen es sich um Beschwerdeverfahren oder mehrere Gründe. Zum einen geschichtli- von oben? um Beschwerden gegen einfache Diszip- che. Weil die Wehrmachtgerichtsbarkeit Arnold Eiben: Genau. Unabhängig heißt linarmaßnahmen handelt. Da ist zumeist in der Nachkriegszeit in ein schlechtes weisungsunabhängig. Und schon gar erst eine militärische Beschwerdeinstanz Licht gerückt wurde, meines Erachtens nicht Weisungen aus anderen Gewalten, vorhanden: Also der nächsthöhere Kom- teilweise zu Unrecht, wollte man einen also zum Beispiel von der Exekutive. mandeur entscheidet zunächst über die >> Kompass 10I21 7
TITELTHEMA >> Beschwerde gegen eine einfache Dis- Aber mir ist aufgefallen, dass Frauen © Anna-Maria Eiben ziplinarmaßnahme. Und dann geht es dann doch daran gemessen eher über- ans Truppendienstgericht. Dort gibt es durchschnittlich vertreten sind, zum Bei- eine gerichtliche Instanz. Und bei den spiel bei Betrugsdelikten. Bei Körperver- gerichtlichen Disziplinarmaßnahmen gibt letzungsdelikten gibt es eigentlich nur es zwei gerichtliche Instanzen. An erster Verfahren gegen Männer, wenn ich das Stelle liegen die Truppendienstgerichte. richtig überblicke. Und die zweite und auch höchste Instanz Arnold Eiben, Präsident des Truppendienstgerichts Süd sind dann die Wehrdienstsenate des Kompass: Wann werden Delikte, Verfeh- Bundesverwaltungsgerichts. Also von lungen auch vor die zivilen Strafgerichte uns führt es direkt zu einem obersten gebracht? Und in bestimmten Fällen kann ein Dis- Bundesgericht. Und dort ist dann auch Arnold Eiben: Grundsätzlich immer dann, ziplinarvorgesetzter nur dann von einer Schluss, denn mit Verkündung eines Ur- wenn das Fehlverhalten des Soldaten Abgabe an die Staatsanwaltschaft aus- teils wird die Sache rechtskräftig. oder der Soldatin zugleich eine Straftat nahmsweise absehen, wenn er zuvor darstellt. Für diese Fälle gibt es bei der den für ihn zuständigen Rechtsberater Kompass: Gibt es signifikante Unter- Bundeswehr eine eindeutige Vorschrift, befragt hat und dieser zugestimmt hat. schiede zwischen Männern und Frauen? den sogenannten Abgabeerlass, der in Und nach erfolgter Abgabe des Sach- Arnold Eiben: Grundsätzlich nein. Ent- der ZDv enthalten ist. Dort ist genau ge- verhalts an die Staatsanwaltschaft läuft sprechend der geringeren Anzahl weib- regelt, wann ein Disziplinarvorgesetzter dann parallel auch ein Strafverfahren. licher Personen in der Bundeswehr gibt einen Sachverhalt an die Staatsanwalt- es weniger Verfahren gegen Soldatinnen. schaft abgeben muss und wann nicht. Die Fragen stellte Jörg Volpers. Entfernung aus dem Dienstverhältnis oder Aberkennung des Ruhegehalts bei ehemaligen Soldaten Das ist die existenziell einschneidendste Höchstmaßnahme. Dienstgradherabsetzung (auch Degradierung genannt) Herabsetzung in der Besoldungsgruppe Beförderungsverbot Dieses kann von einem bis zu vier Jahren ausgesprochen werden. In der Zeit kann der Kamerad oder die Kameradin nicht befördert werden. Kürzung der Dienstbezüge oder bei ehemaligen Soldaten die Kürzung des Ruhegehalts Sie können von einem Zwanzigstel bis einem Fünftel betragen und für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren verhängt werden. gerichtliche Disziplinarmaßnahmen Sie dürfen grundsätzlich von von Gerichten verhängt werden. 8 Kompass 10I21
TITELTHEMA Haben Sie „das Herz am richtigen Fleck“? Taschenkalender für Soldatinnen und Soldaten 2022 „Mit dem neuen Taschenkalender lade ich Sie herzlich ein, Tag für Tag darauf zu achten, was Sie persönlich fördert und stärkt, damit die Liebe groß werden kann.“ So lädt Militärbi- schof Franz-Josef Overbeck alle ein, © Wikimedia / gemeinfrei im nächsten Jahr sich von diesem Ka- lender „zur eigenen Herzensbildung“ anregen zu lassen. Format, unempfindlicher Kunststoff- Einband und farbliche Gestaltung sind in der aus den vergangenen Jah- ren bewährten und bekannten Form Das Truppendienstgericht Süd in München angelegt. Einige Stichworte zu den Besonderheiten des neuen Soldaten- Die Truppendienstgerichte sind im Ge- die Disziplinarverfahren gegen Soldaten Taschenkalenders 2022 mit dem © 2021 Bundeswehr / Carsten Borgmeier schäftsbereich des Bundesministeriums und Soldatinnen nach der Wehrdiszip- Thema „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8): der Verteidigung als Dienstgerichte für linarordnung und für Entscheidungen • über 1.000 Namen nach dem gerichtliche Disziplinarverfahren gegen in Wehrbeschwerden nach der Wehr- katholischem Namenstagskalender Soldaten und Soldatinnen und für Ver- beschwerdeordnung zuständig. Dieses • für jeden Tag des Jahres etwa fahren über Beschwerden von Soldaten bezieht sich auf alle Dienststellen mit drei bis vier Namensheilige und Soldatinnen errichtet worden. Dazu Sitz in Baden-Württemberg, Bayern, hat das BMVg die Errichtung zweier Trup- Hessen, im Regierungsbezirk Köln, in pendienstgerichte (Nord und Süd) mit Rheinland-Pfalz, im Saarland, in Sach- insgesamt 22 Kammern verordnet. sen, Thüringen; es ist ferner zuständig Das Truppendienstgericht Süd mit Sitz für Truppenteile und Dienststellen, die © KS / Doreen Bierdel in München ist als Wehrdienstgericht für sich im Ausland befinden. Zwei Wandplaner der Katholischen Militärseelsorge 2022 In der Mitte dieses Heftes bieten wir Ihnen den doppelseitigen Kompass- Kalender im Format DIN A 3 an: als Einhefter zum leichten Entnehmen. Und dann gibt es unseren Wandpla- ner im Querformat 98x68 cm mit viel Platz für Eintragungen und Termine. Der Kalender im praktischen Ta- schenbuchformat und der große Wandplaner sind bei den jeweiligen Katholischen Militärpfarrämtern in den Bundeswehr-Standorten erhält- lich. Franz J. Eisend / Jörg Volpers Kompass 10I21 9
TITELTHEMA Offizierweiterbildung Kann es gerechten Frieden geben? F ür gewöhnlich ist Major Konstantin Paar der militärische Füh- rer. Er ist Kompaniechef der 2. Kompanie des Aufklärungs- lehrbataillons 3 in Lüneburg. Doch in dieser Woche tauscht er sein Büro mit dem Konferenzgebäude der Henning-von- Tresckow-Kaserne in Oldenburg. Als einer von 23 Kompanie- chefs nimmt er an der Offizierweiterbildung der 1. Panzer- division teil. „Kann es gerechten Frieden geben?“ lautet die Frage, mit der sich die Chefs bei der diesjährigen Offizierweiterbildung in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis) eine Woche lang intensiv auseinan- dersetzen. „Ich hoffe, dass wir bei dieser Veranstaltung ethi- sche Fragestellungen in den Streitkräften aus verschiedenen Blickwinkeln erörtern, um einer gewissen Betriebsblindheit entgegenzuwirken“, erzählt Major Paar. „Diese Blindheit eignet man sich nämlich manchmal ungewollter Weise an“, ergänzt er schmunzelnd. In keinem anderen Berufsfeld werden Menschen im Alltag so intensiv und so direkt mit friedensethischen Fragen konfrontiert wie Soldatinnen und Soldaten. Ihr Handeln, ihre Entschei- dung hat direkte Auswirkung auf Krieg und Frieden, Leben und Tod, Recht und Unrecht. Besonders Führungskräfte, wie Paar, treffen Entscheidungen mit außerordentlichen Auswirkungen, Klitschnass aber glücklich: Generalmajor nicht nur im Auslandseinsatz. Ein ausgeprägter moralischer Kompass und die Fähigkeit, Entscheidungen auf der Basis von Wissen zu treffen, wird stets von ihnen verlangt und unterstützt verschafft es Ihnen einen Vorteil“, erklärt der Theologe und sie bei ihrer verantwortungsvollen Aufgabe. Hierfür schöpfen Historiker. „Und nicht nur das. Manchmal hilft es auch, ein die Entscheidungsträger bei der Bundeswehr ihre Kompetenz Problem von anderen Positionen zu betrachten, um es lösen aus vielerlei, oft alltäglichen Quellen. Eine davon ist die Teil- zu können“, ergänzt Dickerhoff weiter. nahme an einer Offizierweiterbildung. Nicht nur geistig fordernd Friedensethik mal anders Dass die Offizierweiterbildung nicht nur geistig, sondern auch Zusammen mit Expertinnen und Experten aus Politik, Theologie körperlich fordernd ist, wird den Kompaniechefs spätestens und Erziehungswissenschaften versuchen die Teilnehmer das bei der Militärpatrouille deutlich. Hierbei müssen sich die Teil- Thema der Friedensethik aus verschiedenen Perspektiven zu nehmer, eingeteilt in vier Teams, etwa bei einem dynamischen beleuchten. Dabei sind die Vorträge der Dozierenden alles Schießen beweisen, zerlegte Waffen schnellstmöglich wieder andere als konventionell. So dürfen die Kompaniechefs unter zusammensetzen und sich nach einem Lufttransport mit dem Anleitung von Dr. Heinrich Dickerhoff im wahrsten Sinne des Mehrzweckhubschrauber NHNATO-Helicopter-90 insgesamt Wortes „das Schwert in die Hand nehmen“. Was auf den ers- 700 Meter durch den Wasserlauf der Hunte, einem westlichen ten Blick nach einem Schwertkampf aussieht, ist eigentlich Nebenfluss der Weser, kämpfen. Eins wird deutlich: Bei dem eine besondere Art der Vortragstechnik. Mit den Schwertern Wettbewerb ist durchgängig Teamarbeit gefragt. Das Team in den Händen der Kompaniechefs schlägt er Brücken zur um Paar erreicht den dritten Platz. „Ich habe mich besonders Friedensethik und Herausforderungen im Dienstalltag einer gefreut, dass der Divisionskommandeur in meinem Team war. Führungsposition. „Genau wie beim Schwertkampf ist Angriff Wann bekommt man schon mal die Gelegenheit, so einen auch im Beruf manchmal die beste Verteidigung. Wenn Sie Parcours mit seinem Divisionskommandeur zu durchlaufen?“, den Angriff abwehren und sich in eine andere Position bringen, berichtet der Offizier. 10 Kompass 10I21
TITELTHEMA „Zugegeben, vielleicht ist die Vorstellung von ganzheitlichem Frieden auf der Welt utopisch. Aber ich bin der festen Meinung: Ohne Utopie © Bundeswehr / Waldemar Zorn können wir nicht leben.“ Entscheidungen treffen mit Wissen Eine intensive und facettenreiche Woche liegt hinter den Kompaniechefs. „Kann es gerechten Frieden geben?“ – eine schwierige Frage, die sich pauschal nicht so einfach beantwor- ten lässt. „Wenn Sie in einer späteren Verwendung zu einem Thema gefragt werden, dann müssen Sie Entscheidungen treffen. Und ich möchte, dass Sie Entscheidungen treffen, die auf vielfältigem Wissen basieren“, resümiert Divisionskomman- Jürgen-Joachim von Sandrart (M.) und Major Konstantin Paar (l.) deur Generalmajor Jürgen-Joachim von Sandrart und ergänzt: nach 700 Metern Schwimmen durch die Hunte. „Wir sind Soldaten. Wenn wir nicht an Frieden glauben, wer denn dann?“ Eine Frage des Glaubens Aileen Tina Hufschmidt Bei der Frage nach richtig und falsch spielt auch Spirituali- tät eine starke Rolle. So geht es bei der Offizierweiterbildung insbesondere auch darum, die Frage nach einem gerechten Frieden aus dem Blickwinkel verschiedener Glaubensrichtun- gen zu betrachten. So steht jeden Tag ein anderer religiöser Tageseinstieg auf dem Plan. Die Offiziere erleben jüdische, muslimische und christliche Gebete und erweitern ihren spiri- tuellen Horizont. Ein besonderer Gast ist Zsolt Balla. Er ist der erste Militärrabbiner der Bundeswehr. Zusammen mit Prof. Dr. Doron Kiesel, Direktor des Zentralrats der Juden in Deutsch- land, referiert Balla über den Friedensbegriff in der Tora. „Zuge- geben, vielleicht ist die Vorstellung von ganzheitlichem Frieden Das Capstone-Seminar war auf der Welt utopisch. Aber ich bin der festen Meinung: Ohne eine erstmalige Kooperation Utopie können wir nicht leben.“ Der jüdische Militärseelsorger des Zentrum für ethische Bil- gewährt den Kompaniechefs umgekehrt auch einen Einblick dung in den Streitkräften mit in seinen Dienstalltag. „Ich finde es besonders interessant der 1. Panzerdivision. Es wa- zu sehen, mit welchen speziellen Problemen sich unsere jü- ren ausgewählte Kompanie- dischen Kameraden im Dienst auseinandersetzen. Das hilft chefs sowie Vertreter der nie- mir ganz besonders dabei, ein entsprechendes Verständnis derländischen, polnischen und zu entwickeln“, erzählt Paar nach dem Vortrag. britischen Armee eingeladen. Kompass 10I21 11
TITELTHEMA Was macht Macht mit uns? Was machen wir mit Macht? In manchen Kreisen ist Macht ein Unwort geworden, gleich- bedeutend mit Gewaltausübung und Unterdrückung. Aber auch Jesus wird in den Evangelien nicht machtlos geschildert, sondern als einer, der „in Vollmacht“ machtvoll auftritt, wenn auch anders als die üblichen Machthaber. Nein, Macht ist nicht böse. Böse ist Machtmissbrauch. Das Gegenteil von Macht ist Ohnmacht, und die wünscht sich niemand. Macht gründet in der Fähigkeit und Bereitschaft, etwas zu machen, etwas zu bewegen und zu beeinflussen. Wer nicht völlig fremdbestimmt leben will, der muss Eigen-Verantwortung üben und wagen, und die ist immer auch Eigen-Mächtigkeit. Macht wird signalisiert und demonstriert. Wer Macht verantwortungsvoll gebraucht, macht gut, Durch Büros und Dienstwagen. Durch Kleidung, nicht nur durch was auch anderen gut tut. Uniformen. Am besten durch souverän wahrgenommene Auto- rität. Mir ist es nur recht, wenn mein Arzt, Bergführer oder Vor- Macht ist auch Kompetenz. Gut eingebrachte Kompetenz ist gesetzter seine Rolle annimmt und mir gelassen signalisiert, Macht für andere. Menschen sollen, was sie gut können, ein- dass er weiß, was er tut. Je angestrengter Macht demonstriert setzen für die, die das nicht können. Als Ärztin. Als Lehrer. Als wird, desto weniger wirkt sie vertrauenswürdig. Versuchen Handwerker. Bei der Polizei und bei der Bundeswehr. Doch gibt Macht-Haber gar, andere einzuschüchtern, gewinnen sie nicht es auch Macht über andere. Auch die ist nicht grundsätzlich die Autorität, die im Krisenfall für das verlässliche Mittun der böse. Denn wo immer es ein Verantwortungsgefälle gibt, im Anvertrauten oder Untergebenen wichtig ist. Leider gibt es zu Privaten, im Beruflichen, im Politischen, da gibt es auch ein oft noch alberne Machtspiele, etwa wenn jemand nicht aus Machtgefälle. Hierarchien können flach sein, Befehlsgewalt sachlichen Gründen, sondern nur zur Machtdemonstration über andere ist nie absolut, aber Erziehung, Anleitung oder einen anderen kommen oder warten lässt. Wer angibt, hat Führung bedeutet immer Macht über andere. Diese Macht es nötig. kann missbraucht werden. Aber oft wird sie auch sehr sinnvoll eingesetzt. Grenzen der Macht © 2016 Bundeswehr / Christian Thiel Macht ist nicht böse, aber verführerisch, Gewiss muss Macht begrenzt und kontrolliert werden. Absolute zumindest für Menschen, die Freude daran haben, etwas zu be- Macht ist kontra-produktiv. Darum gibt es in einem Rechtsstaat wegen. Es gibt wohl drei Versuchungen der Macht, die sich ein- Gegengewichte zu jeder Macht – „checks and balances“. Aber stellen können. Eine erste ist die Überheblichkeit und Arroganz Machtmissbrauch ist auch, wenn jemand die ihm anvertraute der „Mächtigen“, das Gefühl. „Ich bin etwas Besseres als an- Macht, Leitungs-Verantwortung und Führungsaufgabe nicht dere!“ Daraus erwächst nicht selten eine Selbst-Privilegierung, wahrnimmt, weil er oder sie Konflikte oder Entscheidungen das Gefühl: „Ich habe etwas Besseres verdient als andere!“ Und scheut. In einem solchen Macht-Vakuum breitet sich rasch schließlich kann Macht zu Allmachtsfantasien und Beratungsre- und unkontrolliert verdeckte und nicht legitimierte Macht aus, sistenz, zum Gefühl führen: „Ich weiß alles besser als andere!“ entstehen inoffizielle und darum unkontrollierte Hierarchien. 12 Kompass 10I21
TITELTHEMA „Versuchen Macht-Haber gar, andere einzuschüchtern, gewinnen sie nicht die Autorität, die im Krisenfall für das verlässliche Mittun der Anvertrauten oder Untergebenen wichtig ist.“ Gar nicht hilfreich für einen verantwortlichen Umgang mit Macht ist auch deren Verschleierung etwa als Balance Liebe oder Dienst: „Alles geschieht doch nur zu deinem Besten!“ Aber aufgezwungene Liebe ist nichts anderes als Vergewaltigung und eine besonders üble Form des Machtmissbrauchs. Und schließlich kann Macht sich als Ohnmacht tarnen. Mit scheinbarer Schwäche kann man andere manipulieren. „Du bist doch dafür verantwortlich, dass ich glücklich werde!“ Das ist längst nicht nur im privaten Bereich eine Strategie, son- dern, wie mir scheint, auch mehr und mehr gegenüber Staat und Gesellschaft. Mit der behaupteten eigenen Hilflosigkeit © Bundeswehr / Waldemar Zorn wird Fürsorge eingefordert, und der scheinbar Hilflose gewinnt Macht über die Helfer. Mein Fazit: 1. Jeder Mensch hat den Lebens-Auftrag, Eigen-Mächtigkeit zu entwickeln. 2. Mit meiner Macht wächst meine Verantwortung. 3. Verantwortlich genutzte Macht ist fast immer Heinrich Dickerhoff, Schutz-Macht, nicht Durchsetzung eigener Interessen. Theologe, Pädagoge, Märchen-Erzähler, Autor und Herausgeber, bis 2018 vierzig Jahre lang Dozent und Pädagogischer Direktor in der Katholischen Akademie Stapelfeld Kompass 10I21 13
GLAUBE, KIRCHE, LEBEN #WIRFÜREUCH Hilfen für Bundeswehrfamilien in den Flutgebieten W ir alle haben noch die furchtbaren Bilder der Flutkatas- trophe in der Ahr-Erft-Region als Folge des Starkregens im Juli vor Augen. Auch Soldatinnen und Soldaten sowie Zivil- bedienstete der Bundeswehr mit ihren Familien sind hiervon betroffen. Die Katholische Militärseelsorge, die Katholische Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung e. V. (KAS) und die Katholische Familienstiftung für Soldaten haben sich deswegen im Gemeinschaftsprojekt #WIRFÜREUCH zusammengetan, um betroffenen Bundeswehrangehörigen zu helfen. Wie kommt die Hilfe in #WIRFÜREUCH zu den Betroffenen? In den kommenden Wochen werden in 40 Kasernen von Aa- chen über Koblenz bis nach Kastellaun #WIRFÜREUCH-Lotsen in das Projekt eingewiesen. Diese sind die erste Ansprech- stelle für Menschen in der Bundeswehr, die Hilfe benötigen. Sie nehmen das Hilfsanliegen auf und kümmern sich mit den Fachleuten der KAS und bei Bedarf den Seelsorgenden der Militärseelsorge um die Umsetzung. Finanziert wird die Hilfe über Fördermittel der Familienstiftung. #WIRFÜREUCH unterstützt die Flutopfer aus dem Bereich der Bundeswehr inhaltlich. Es geht also darum, gute Ideen, wie zum Beispiel die Durchführung einer Ferienmaßnahme für die Kinder, therapeutische oder seelsorgliche Begleitung der Be- troffenen, Kinderbetreuung oder Familienausflüge, möglich zu © 2021 Bundeswehr / Kevin Schrief machen, um die Bundeswehrangehörigen zu stärken und zu entlasten – denn die Aufräumarbeiten werden leider noch lange dauern und sehr viel Kraft erfordern. Es geht also nicht um Spenden für den Wiederaufbau, sondern um langfristige Hilfe und Begleitung bei der Bewältigung der Flutschäden – und zwar so lange, wie es braucht, um diese Schäden zu beseitigen. Der Kontakt zu den #WIRFÜREUCH-Lotsen wird in den Kasernen in und um die Flutgebiete per Aushang und über das Intranet der Bun- Wir helfen. deswehr bekannt gemacht. Für Bundeswehr- angehörige, die in den Flutgebieten wohnen, Natürlich können Sie auch direkt auf das aber weiter entfernt stationiert sind, wird es Spendenkonto der Stiftung überweisen, bitte Bekanntmachungen ebenfalls über das Intra- in diesem Fall die Spende mit dem Vermerk net geben. Diese können sich direkt an die „wirfüreuch“ versehen. KAS in Berlin wenden. Spendenkonto Zur Finanzierung der Hilfen sammelt die Fami- IBAN DE68 3706 0193 0033 2210 10 lienstiftung seit dem 6. September Spenden Die Familienstiftung garantiert dabei, dass alle im Rahmen des gleichnamigen Crowdfunding- eingehenden Spenden zu 100% an die Flut- projekts. Wer für die Flutopfer in der Bundes- opfer weitergegeben werden. Die PAX Bank wehr spenden möchte, kann dies mit wenigen stockt im Crowdfunding jede Erstspende von Klicks unter www.pax-bank.de/crowdfunding- mindestens 10 Euro um 5 Euro zu Gunsten der wirfuereuch. Dort ist das Projekt umfangreich Flutopfer auf. Wir sagen schon jetzt sehr beschrieben. Alle Informationen finden Sie herzlich danke. auch unter kas-soldatenbetreuung.de/wirfuereuch Helfen Sie mit! Rainer Krotz 14 Kompass 10I21
ZUM LKU Zur Praxis moralischer Bildung Men·schen·bild [das] christlich O Soziale Gesundheit – Teil III I n einem aufgezeichneten Ge- spräch Ende der 70er Jahre erin- nert sich Wolf Graf von Baudissin litik und Kultur verglichen werden. Dieses innere Führungsprinzip wirkt nämlich wie ein „moralischer an ein Herrenessen, an dem er Transmissionsriemen“, der von der einst als junger Offizier im Hundert- verfassungsrechtlichen Kraftstati- tausend-Mann-Heer der Weimarer on des Artikel 1,1 GG ausgehend, Republik teilnahm: „Ich verließ den sittlichen Anspruch unserer dieses Essen, nachdem man auf- Verfassung erziehend und bildend gefordert wurde, das erste Glas in die Persönlichkeit eines jeden © 1956 Bundeswehr / Munker ‚auf den obersten Kriegsherrn, Menschen, der als Staatsbürger in S. M. den Kaiser und König von Uniform in der Bundeswehr dient, Preußen‘, zu erheben. Dies schien überträgt. Auf diese Weise wird bis mir im Widerspruch zu meinem Eid heute ein wichtiger Teil der exe- zu stehen.“ Jahre später, zutiefst kutiven Staatskompetenz gemäß von der grausamen Wirklichkeit dem sittlichen Anspruch unseres „zurückliegender Kriegsoperati- Grundgesetzes transformiert. Mora- onen“ geprägt, steht Baudissin lisch-geistige Menschenkräfte, die im Oktober 1950 im Kloster Him- ursprünglich vor allem durch die merod im dort versammelten Kreis der Menschenbild der Inneren Führung jeden- christliche Religion bestimmt, geformt Offiziere mutig auf und trägt mit gebo- falls verdankt die Bundeswehr in erster Li- und geführt wurden, werden so sittlich tener Klarheit seine Bedenken vor. Ein nie Baudissin, dem vielleicht „wichtigsten in einer modernen Armee ausgebildet: Vortrag von General Heusinger mit einer Kopf hinter der Konzeption der Inneren Menschenwürde, Gerechtigkeit und Frie- „höchst intelligenten Lagebeurteilung“ Führung“, wie Markus Thurau in seinem den – also mächtige Seelenkräfte des gibt ihm letztlich Anlass dazu, die erste Beitrag „Warum Werte für Soldaten wichtig Menschen – sind ethisch reflektiert und Tagung der geistigen Väter der heutigen sind“ trefflich anmerkt. Auch mehrfache vernünftig aufbereitet unter anderem als Bundeswehr zu verlassen – denn er sehe indirekte Hinweise der Autorin Angelika Werte, Regeln und Normen in die Bildung sich hier „offensichtlich fehl“ am Platze. Dörfler-Dierken wirken in Bezug auf das von Persönlichkeit zu übertragen. Im Buch „Die zornigen alten Männer“ für die Innere Führung bisher prägende skizziert Baudissin die damalige Szene- Menschenbild erhellend: Baudissin, der Während nach den verheerenden Folgen rie: „General Heusinger kam mir nach, sein Reformprogramm auch eine „Refor- „nationalsozialistischer Moral“ im Nach- fasste mich am Portepee und meinte, mation“ nannte, sei von den Wertvorstel- kriegsdeutschland noch von selbst die dass man gerade Leute ‚mit Gewissen‘ lungen des Luthertums geprägt gewesen. christliche Moral letzten Endes die welt- dringend brauchen werde; dass ich also Sein christliches Menschenbild sei maß- anschauliche Differenz zwischen Heusin- gar nicht fehl am Platze sei.“ gebend, denn gerade auch seine Rede ger und Baudissin regelte, stehen sich vom „verantwortbaren Ungehorsam“ sprä- heute oft gesellschaftlich unhinterfragte, Möglicherweise hat dieser damalige Auf- che davon Bände. unreflektierte und unterschiedliche Men- stand des Baudissin’schen Gewissens schenbilder gegenüber, die zunehmend mehr zum sittlichen Werdegang der In- Baudissins sittliches Wirkprinzip des „In- Auswirkung auf die ursprüngliche christ- neren Führung in der Bundeswehr beige- neren Gefüges“ könnte mit dem ursprüng- liche Moral der Inneren Führung haben. tragen, als gemeinhin bewusst ist. Es ist lichen Wirken von Kirche in Wirtschaft, Po- davon auszugehen, dass beide Persön- Welches kommunikative Modell jetzt erlö- lichkeiten, Heusinger und Baudissin, nicht send sein könnte, damit wir uns hinsicht- nur von sehr unterschiedlichem Charak- lich „Moral“ und „Ethik“ auch weiterhin in ter waren, sondern dass sich auch zwei Gesellschaft und Bundeswehr vernünftig Menschen mit unterschiedlichen Weltan- verständigen können, das ist um der „so- schauungen gegenüberstanden. zialen Gesundheit“ willen in naher Zukunft noch zu klären. Der sich hier öffnende Blick auf das „Ge- wissen“ macht deutlich: Der eine hat es Franz J. Eisend, und der andere braucht es! Das prägende Wissenschaftlicher Referent, KMBA Kompass 10I21 15
KOLUMNE Liebe Soldatin, lieber Soldat, 2021 ist das „Jahr der Bundeswehr“. Selten zuvor war die Truppe an so vielen Stellen, auf so unter- schiedliche Art und mit solch einer Intensität gefor- dert wie in diesem Jahr. Ob bei ihrem Kernauftrag, wie der Evakuierungsoperation in Afghanistan, oder bei der Amtshilfe zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und zur Bewältigung der Flutkatastrophe – überall dort, wo die Truppe zum Einsatz gekommen ist, hat sie ihren Auftrag mehr als erfüllt. 2021 ist auch das Jahr der Bundestagswahl. Ein neu- er Bundestag wird sich konstituieren und eine neue Bundesregierung sich bilden. Sie werden die zentra- len Weichen für die nächsten Jahre stellen – für un- sere Gesellschaft und auch für unsere Bundeswehr. Egal in welcher Konstellation und Zusammensetzung, die Bundeswehr braucht eine breite Unterstützung aller politisch Verantwortlichen. Denn wenn das Jahr 2021 eines verdeutlicht hat, dann wie wichtig und richtig es ist, dass wir sie haben. Viel zu oft wird über Mängel, Versäumnisse und Skan- dale in der Bundeswehr gesprochen – und viel zu selten über Erfolge, Leistungen und das, was gut läuft. 2021 bietet Anlass, das zu ändern. In diesem Jahr hat die Truppe ihre ganze Leistungsfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Sie hat gezeigt, dass auf sie Verlass ist. Darüber gehört gesprochen. Dafür gebühren unseren Soldatinnen und Soldaten unser aller Dank, Anerkennung und Wertschätzung. Nicht zuletzt wegen ihrer großen Verdienste in diesem Wahljahr sollte die Bundeswehr als Parlamentsarmee ganz oben auf der politischen Agenda stehen. Dazu gehört zweierlei: einerseits mehr Wahrnehmung und mehr Wertschätzung für die Truppe und was sie leis- tet. Und andererseits die bestmögliche Ausstattung und Ausrüstung, damit sie ihre Aufträge erfüllen kann. Beides zu gewährleisten, wird Auftrag des neuen Bun- destages und der neuen Bundesregierung sein. In einem ersten Schritt bedeutet das, der Bundes- wehr mehr Interesse entgegenzubringen und mehr darüber zu diskutieren, wo und wofür wir sie einset- zen wollen. Viel zu oft wurden Bundeswehreinsätze in der Vergangenheit lediglich dreißig Minuten lang im Bundestag diskutiert und dann mandatiert. Das wird ihrer Bedeutung nicht gerecht. Jeder einzelne Einsatz muss – im Bundestag und in der Gesellschaft – intensiv und breit debattiert werden. Es muss gut begründet und klar benannt 16 Kompass 10I21
KOLUMNE „Darüber gehört gesprochen. „Darüber Dafür gehört gesprochen. gebühren unseren Dafür gebühren unseren Soldatinnen Soldatinnen und und Soldaten Soldaten unser unser aller Dank, aller Anerkennung Dank,und Anerkennung Wertschätzung.“ und Wertschätzung.“ werden, welche Ziele wir verfolgen mit welchen Mitteln und Möglichkeiten. Diese Fragen haben mit Ende des Afghanistan-Einsatzes und den dramatischen Entwicklun- gen seit Abzug der internationalen Truppen eine völlige neue Dringlichkeit erhalten. In einem zweiten Schritt bedeutet das, die Bundeswehr angemessen auszurüsten. Unsere Soldatinnen und Sol- daten dürfen mit Recht erwarten, dass sie die bestmögli- chen Rahmenbedingungen für ihre Einsätze und Aufträge © Bundeswehr / Andy Meier vorfinden. Schließlich sind wir es, die ihnen diese erteilen. Unsere Soldatinnen und Soldaten erwarten dabei kei- neswegs Goldrandlösungen, sondern lediglich Personal, das ausreichend qualifiziert ist, genügend Springerhel- me, ABC-Schutzmasken und moderne Funkgeräte sowie Gebäude, die nicht schimmeln und sanierungsbedürftig sind. Was selbstverständlich klingt, ist es keineswegs. Der neue Bundestag und die neue Bundesregierung sind gefragt, hier schnell Abhilfe zu leisten – durch eine größe- re Wahrnehmung und Wertschätzung sowie bessere Rah- © Hintergrund: SidorArt – stock.adobe.com menbedingungen für unsere Soldatinnen und Soldaten. Damit sie auch in Zukunft so einsatz- und leistungsfähig sind und wir uns auch in künftigen Krisen weiterhin so sehr auf sie verlassen können wie in diesem „Jahr der Bundeswehr“. Mit herzlichen Grüßen Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Zu Besuch beim deutschen Kontingent der Enhanced Forward Presence Battlegroup in Rukla (Litauen). Kompass 10I21 17
AUSLEGEWARE Mächtig gewaltig – Die Bibel S eit über zwanzig Jahren spielt das Thema „Religion und Gewalt“ eine große Rolle. Glaubensgemeinschaften chen Autoren ist (von 27 neutestament- lichen Schriften sind allein 21 Briefe, das Schreiben an die Hebräer mal mitgerech- zu Evangelium unterscheidet, ist die Art, wie Jesus dies bewerkstelligt. Im Markus-Evangelium, dem ältesten der und Religionen befragen ihre heiligen net), verdienen unter dem Stichwort Ge- vier im NT, wirft Jesus die Händler raus Texte oder werden von Außenstehen- walt drei Stellen besondere Beachtung. und stößt dabei Bänke und Stühle um – den danach gefragt: „Wie hältst Du‘s vermutlich mit Händen und Füßen. Dem mit Gewalt?“ Recht schnell sind dann Jesus holt die Peitsche raus – Die schließt sich das Matthäus-Evangelium Texte gefunden, mitunter aus dem Ge- Tempelreinigung an. Hingegen bei Lukas ist nur von ei- samtzusammenhang gerissen, die auf nem Hinauswurf der Händler die Rede; religiös motivierte und legitimierte Ge- Als Jesus kurz vor seiner Verurteilung und vom Umwerfen der Stühle und Bänke walt innerhalb der jeweils Heiligen Schrift Hinrichtung nach Jerusalem kommt, be- steht nichts. Zudem lässt Lukas Jesus hinweisen. (Inner-)Christlicherseits steht tritt er, wie es sich für einen frommen sogleich als Tempelprediger auftreten. von vornherein das Alte Testament un- Juden gehört, auch den Tempelbereich. Ein vornehmer Zug. Richtig zur Sache ter Generalverdacht, „blutrünstig“ und Anstelle eines Gebets wird Jesus nach kommt es aber im Johannes-Evangelium, „gewaltbefördernd“ zu sein. Um das zu übereinstimmender synoptischer Über- welches von einigen gern als besonders unterstreichen, wird dann sehr gern, vor lieferung, einschließlich des Johannes- philosophisch feinsinnig eingestuft wird allem seit der Zeit des Nationalsozialis- Evangeliums, insofern sofort gewalttä- (vgl. Joh 1). Als Jesus die Händler im mus, das Adjektiv „alttestamentarisch“ tig, als er die Händler und Geldwechsler Tempel sieht, macht er sich sofort eine verwendet. Hat denn jemand schon mal ohne Vorankündigung selbst hinauswirft. Peitsche, treibt damit alle Handelstrei- das Wort „neutestamentarisch“ gehört? Ebenso nach synoptischer Übereinstim- benden hinaus, verstreut deren Geld und Aber bleiben wir beim Neuen Testament mung begründet er sein gewaltsames stößt zu guter Letzt noch die Tische um (NT), in dem es doch so liebevoll und Handeln gut biblisch: „Mein Haus soll (vgl. Joh 2,13–16). So wird Jesus zum Ze- friedfertig zugehe. Unabhängig davon, ein Haus des Gebets genannt werden“ loten, zum Eiferer (vgl. Joh 2,17); freilich dass das NT kein systematisch dogma- (vgl. Jes 56,7). „Ihr aber habt (aus ihm) wie immer um einer guten Sache willen. tisches Buch, sondern viel eher eine eine Räuberspelunke gemacht“ (vgl. Jer Stellen Sie sich mal vor, jemand trete Briefsammlung von recht unterschiedli- 7,11). Was sich jedoch von Evangelium derart in Medjugorje auf. © Westermann-Blawert – stock.adobe.com 18 Kompass 10I21
AUSLEGEWARE TIPP: „Gern wollen ja viele (noch) glauben, Sie fragen sich: „Was bedeutet denn das dass Gott Liebe ist (1 Joh 4,16), schon wieder in der Bibel?“ Senden Sie uns aber die persönlich erlebte Ihre Frage – hier wird sie geklärt. Wirklichkeit – mit und ohne Kirchengeschichte – spricht oft eine Paulus spricht Bannflüche aus Gott ist Liebe? andere Sprache.“ Dass Saulus, gut römisch auch Paulus Das Neue Testament beinhaltet allemal genannt (Apg 13,9), radikal sein kann, ist und überwiegend auch andere Botschaf- ebenfalls nicht ganz unbekannt; ja mitun- ten als die eben genannten; nur ist das ter ist er sogar brutal. Und das ebenfalls mit dem lieben Jesulein so eine Sache. aus vermeintlich so gutem Grund. Denn Gern wollen ja viele (noch) glauben, er ist im Begriff, die Kirche zu vernichten! dass Gott Liebe ist (1 Joh 4,16), aber Zuerst verfolgt er (Juden-)Christen, hat die persönlich erlebte Wirklichkeit – mit Gefallen an Steinigung und Mord; bricht und ohne Kirchengeschichte – spricht Jesus wünscht sich ein Schwert herbei in fremde Häuser ein, wird sogar hand- oft eine andere Sprache. Verheerende greiflich Frauen gegenüber (Apg 8,1.3). Feuer- und Flutkatastrophen lassen bis Dass ein Glaubensbekenntnis höchsten Dieser Unbedingtheit, um es einmal vor- heute schwerlich an die Liebe Gottes Unfrieden stiften kann und Familien ent- sichtig auszudrücken, bleibt er sich treu. glauben; aber als Strafe Gottes lassen zweit, ist nicht unbekannt und darüber Denn auch nachdem er sich zum neu- sie sich zum Glück auch nicht mehr wird gern gepredigt; vor allem dann, en Weg (Apg 9,2; 22,4), das heißt, zur missbrauchen. So haben schon manch wenn es einem selbst nützt. Doch die Gemeinde der Jesus-Christus-Anhänger ehrbare Gottessucher wie Jakob Böhme hierzu einleitenden Verse im Matthäus- bekannt hat, bleibt ihm das Ausspre- (1575–1624) und nicht wenige nach ihm Evangelium sind eher unbekannt; dies chen eines Bannfluches vertraut – freilich den Ursprung von Gut und Böse zugleich verwundert insofern nicht ganz, als sie in wiederum im Dienst einer guten Sache, in Gott gesehen und haben, wie kaum an- den Evangelientexten, die für den Sonn- und zwar für die Verteidigung des reinen ders zu erwarten, heftigsten Widerspruch tag bestimmt sind, nicht vorkommen. Je- Glaubens. Was denn sonst?! Daher heißt erfahren. Aber wer bitteschön hat denn sus sagt: „Glaubt nicht, dass ich gekom- es gleich zu Beginn des Briefs an die sein Einverständnis gegeben, Hiob so men bin, Frieden zu werfen auf die Erde. Galater: „Aber auch wenn wir oder ein leiden zu lassen? War es nicht der Gott Nicht bin ich gekommen, Frieden zu wer- Engel vom Himmel euch ein Evangelium der Hiobserzählung selbst (vgl. Ijob 1,12; fen, sondern das Schwert“ (Mt 10,34). verkünden, das dem widerspricht, was 2,6). Außerdem wachsen an dem einen Das hier verwendete griechische Wort für wir euch verkünden, der sei verflucht“ Baum der Erkenntnis anscheinend eben- Schwert (μάχαιρα) meint kein harmloses (Gal 1,8). Noch grundsätzlicher lässt sich falls Früchte des Guten und des Bösen Küchenmesserchen. Freilich, dieser Vers Paulus in 1 Kor 16,22 vernehmen: „Wer (Gen 2,9b.17) – und das im vermeintli- ist im übertragenen Sinn zu verstehen. nicht liebt den Herrn (Jesus, ThRE), der chen Paradies. Wenngleich hier letztlich keine wirkliche sei verflucht.“ Schluss. Punkt. Aus. Waffe zum Einsatz kommt, so können Im Griechischen steht hierfür ein Wort, Vielleicht bleibt am Ende manchmal dann dennoch Familienstreits heftig und un- welches eben alles andere als harmlos doch nur ein „Credo, quia absurdum est“ barmherzig geführt werden. Nun ist es ist, nämlich Anathema. Dies bedeutete (ich glaube, weil es widersinnig ist) oder aber Lukas wieder, der vornehm mildert. einst physische Vernichtung im religiö- – um es wieder mit Paulus zu sagen – Bei ihm heißt es: „Meint ihr, dass ich sen Sinne. Nicht erst die zu Recht vielge- „wenn ich auch … alle Erkenntnis (Gno- gekommen bin, Frieden zu geben auf schmähte Spanische Inquisition machte sis) hätte …, hätte aber Liebe nicht, wäre die Erde? Nein, sage ich euch, sondern davon reichlich Gebrauch, selbstver- ich nichts“ (1 Kor 13,2). Spaltung“ (Lk 12,51). Ob Matthäus oder ständlich ebenso im gutgemeinten Sinne Lukas – heftiger Familienstreit (auch für die Sünder, sondern bereits Josua Thomas R. Elßner konfessioneller) bis hin zur Entzweiung vollzog die Vernichtungsweihe an Jericho scheint vorprogrammiert zu sein. (vgl. Jos 6,21). Kompass 10I21 19
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