KOMPASS 10I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge

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KOMPASS 10I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
ISSN 1865-5149   © [M] 2010 Bundeswehr / Stollberg I Schrift: WHISKHEELS – stock.adobe.com I Hintergrund: RATOCA – stock.adobe.com

                                                                                                                                     Soldat in Welt und Kirche
                                                                                                                                                                 Die Zeitschrift des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr

                                                                                                                                     10I21
                                                                                                                                                                 KOMPASS
KOMPASS 10I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
INHALT

                                                                                        Rubriken

Titelthema                                                                              15 zum LKU: Menschenbild
Möge die Macht mit dir sein – und die Verantwortung auch
                                                                                        16 Kolumne der Wehrbeauftragten
4   Innere Führung – ein regulierter Machtkonflikt
    von Klaus Naumann                                                                   20 Auf ein Wort: Ob ihr also esst oder trinkt
                                                                                           oder etwas anderes tut ...
6   Interview mit Arnold Eiben,
    Präsident des Truppendienstgerichts Süd                                             25 Film-Tipp: WONDERS OF THE SEA 3D

10 Kann es gerechten Frieden geben? – Offizierweiterbildung                             26 Buch-Tipp: Wie du erfolgreich wirst,
                                                                                           ohne die Gefühle von Männern zu verletzen
12 Was macht Macht mit uns? Was machen wir mit Macht?
   von Heinrich Dickerhoff                                                              27 VORSCHAU: Unser Titelthema im November
                                                                     TIPP:
18 Auslegeware: Mächtig gewaltig – Die Bibel                                            28 Rätsel
                                                              Doppelseitiger
                                                           Kompass-Kalender in
                                                           der Mitte des Heftes:
Aus der Militärseelsorge                                       als Einhefter
                                                               zum leichten
9   Taschenkalender für Soldatinnen und                         Entnehmen

                                                                                                                                                © Domschatz Essen / Foto: Christian Diehl
    Soldaten 2022

Glaube, Kirche, Leben

14 #WIRFÜREUCH Hilfen für
   Bundeswehrfamilien in den Flutgebieten

22 MUTIG | HEILIG | SELBSTBEWUSST
   Superheldinnen des Mittelalters:
   Ein Gespräch mit Andrea Wegener                                                                                                22
Titelbild: © [M] 2010 Bundeswehr / Stollberg I Schrift: WHISKHEELS – stock.adobe.com I Hintergrund: RATOCA – stock.adobe.com

Impressum                                        Herausgeber                                      Hinweis
KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche               Der Katholische Militärbischof                   Die mit Namen oder Initialen gekennzeich-
ISSN 1865-5149                                   für die Deutsche Bundeswehr                      neten Beiträge geben nicht unbedingt die
                                                                                                  Meinung des Herausgebers wieder. Für das
Redaktionsanschrift                              Druck                                            unverlangte Einsenden von Manuskripten und
KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche               ARNOLD group                                     Bildern kann keine Gewähr und für Verweise
Am Weidendamm 2                                  Am Wall 15 in 14979 Großbeeren                   in das Internet keine Haftung übernommen
10117 Berlin                                                                                      werden. Bei allen Verlosungen und Preisaus-
                                                                                                  schreiben in KOMPASS. Soldat in Welt und
Telefon: +49 (0)30 20617-421                                                                      Kirche ist der Rechtsweg ausgeschlossen.
E-Mail: kompass@katholische-
        soldatenseelsorge.de                                                                      Internet
                                                                                                  www.katholische-militaerseelsorge.de
Chefredakteurin Friederike Frücht (FF)
Redakteur Jörg Volpers (JV)                                                                       Social Media
Bildredakteurin, Layout Doreen Bierdel
Lektorat Schwester Irenäa Bauer OSF
                                                 Leserbriefe
                                                 Bei Veröffentlichung von Leserbriefen behält
                                                 sich die Redaktion das Recht auf Kürzung vor.

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KOMPASS 10I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser,

was löst das Wort „Macht“ bei Ihnen aus? Ist dieser
kraftvolle Begriff eher positiv besetzt, oder denken
Sie sofort an die Macht, die jemand anderes über
Sie ausübt, an Gewalt, die Sie erlitten haben oder
erleiden müssen?

In den nachfolgenden Artikeln zum Titelthema wird viel
über die Bedeutung dieses Wortes nachgedacht, mit
ihm „gespielt“. Ich denke an „Was macht Macht mit
uns?“ oder „Mächtig gewaltig“. Jedenfalls passt es –
egal, woran man spontan denkt – in das Spannungs-

                                                                                                                  © KS / Doreen Bierdel
verhältnis zwischen der Kirche und der Bundeswehr,
der deutschen „Streitmacht“.

Der Richter Arnold Eiben bekennt zu Beginn seines
Interviews: „Für mich ist Macht im Grunde nichts
Schlechtes, sondern ein neutraler Begriff.“ Und auch
Gewalt-Anwendung oder -Ausübung muss nicht negativ
sein, wie das nebenstehende Zitat aus dem Grundge-

                                                                 „Alle Staatsgewalt
setz der Bundesrepublik Deutschland zeigt.

Lassen Sie sich ruhig auf dieses nicht ganz einfache
Themenfeld ein, denn wir traktieren Sie weder mit
                                                                 geht vom Volke aus.
                                                                    „Alle Staatsgewalt geht
gewalttätigen Bildern noch mit Gewaltverherrlichung
in den Texten. Und wenn Sie dazu Fragen oder weite-
re Ideen haben, melden Sie sich gerne bei uns! Wir               Sie wird vom Volke
                                                                    vom Volke aus.
                                                                 in Sie
                                                                    Wahlen     und
freuen uns auf Briefe von Leserinnen und Lesern und
eine Fortsetzung der Diskussion.
                                                                        wird vom Volke in
                                                                 Abstimmungen           und
                                                                    Wahlen und Abstimmungen
                                                                 durch   besondere
                                                                    und durch  besondere
                              Jörg Volpers, Redakteur            Organe
                                                                    Organeder
                                                                            der Gesetzgebung,
                                                                 Gesetzgebung,
                                                                    der vollziehenden Gewalt
                                                                 derund
                                                                      vollziehenden
                                                                        der Rechtsprechung
                                                                 Gewalt    und der
                                                                    ausgeübt.“
                                                                 Rechtsprechung   Grundgesetz, Artikel 20,2

                                                                 ausgeübt.“

                                                                            Kompass 10I21                     3
KOMPASS 10I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
TITELTHEMA

      Innere Führung – ein
      regulierter Machtkonflikt
      Ein Beitrag von Klaus Naumann,
      Militärhistoriker und Mitglied im 15. Beirat
      für Fragen der Inneren Führung des BMVg

V   on Macht und Machtverhältnissen zu sprechen gilt oft als wie das Amt der Wehrbeauftrag-
    anrüchig. Doch Macht als Vermögen der Durchsetzung ist ten, die Beschwerdeordnung oder
nicht auf ihre „dunkle Seite“ (Star Wars) beschränkt; sie ist Mitwirkungsrechte sorgen dafür, dass
allgegenwärtig und vielgestaltig. Die demokratische Ordnung die Organisationsmacht des Militärs rechtlich
ist ein rechtlich gebändigtes Macht-                                                   und politisch eingebunden
system, das auf Wahlen, Mehrheits-                                                     ist. Erstmals ist der Soldat als
bildung, Minderheitenschutz und                                                        Staatsbürger in Uniform zum vollgül-
parlamentarischer Kontrolle der Regie-                                                 tigen Rechtssubjekt geworden. Jede
renden beruht. Von anderer Art ist das                                                 Einschränkung seiner Rechte bedarf
Machtgefüge in der Bundeswehr. Die           Die Streitkräfte sind ein                 der ausdrücklichen gesetzlichen Re-
militärische Ordnung beruht auf Befehl                                                 gelung.
und Gehorsam, Hierarchie und Büro-           „Instrument der Politik“,
kratie, Verhaltensregeln und Pflichten.                                                Gleichwohl ist das Militär eine an-
Aufgrund der hohen Regelungsdichte,               der Soldat und die                   spruchsvolle und fordernde Ein-
die das Militär kennzeichnet, wird die                                                 richtung. Oft genug steht der
Armee gelegentlich als eine „totale            Soldatin sind es nicht.                 Organisationszweck in einem Span-
Institution“ (Erwin Gofman) beschrie-                                                  nungsverhältnis zu den öffentlichen
ben. Damit soll ausgedrückt werden,                                                    oder politischen Zuwendungen (oder
dass die innermilitärische Durchset-                                                   eben Nicht-Zuwendungen), die dem
zungsmacht ein Höchstmaß an Kon-             Sie sind Treuhänder der                   Militär entgegengebracht (oder ver-
trolle, eine ausgeprägte Hierarchie                                                    weigert) werden. Auch dies ist eine
und erheblichen Anpassungsdruck                Staatsmacht und ihrer                   „Machtfrage“, die mit parlamenta-
mobilisiert. Ziel ist es, einen Sozial-                                                rischen, politischen, medialen und
typ heranzubilden, der seine letzte               Zwecksetzungen,                      kommunikativen Mitteln ausgetragen
Erfüllung in Effizienz und Effektivität                                                wird. Auf der anderen Seite üben die
findet. Beispiele dieser Vorstellung           aber keine willenlosen                  Verpflichtungen und Erwartungen, die
konnte man in der alten Armee des                                                      von der Organisation an die Soldatin
Kaiserreichs oder in der Wehrmacht                    Vollstrecker.                    und den Soldaten gerichtet werden,
der NS-Zeit besichtigen. „Kadaverge-                                                   einen nicht unbeträchtlichen Druck
horsam“, „unbedingter Gehorsam“                                                        aus. Ob im Familienleben oder im Ein-
oder ein verselbstständigter Kult der                                                  satz, bei dienstlichen Anforderungen
Härte waren Ausweis dieser Praktiken.                                                  oder Regelversetzungen – zugemutet
                                                                                       werden Eingriffe, die weit in die private
Die Militärreformer der Bundeswehr und die bundesdeutsche Lebensführung hineinreichen.
Wehrordnung haben mit diesem Modell gebrochen, weil sie aus
historischer Erfahrung um die Gefahren des Machtmissbrauchs Nicht zu Unrecht kann man die Streitkräfte als eine „greedy
wussten. Die Streitkräfte wurden rechtlich vollständig in den institution“ (Lewis Coser) beschreiben, die vieles in ihren Bann
demokratischen Staat integriert und der parlamentarischen zieht. Auch deshalb ist eine innere Ordnung notwendig, die Ge-
Machtkontrolle unterworfen. Verschiedene Zusatzmaßnahmen gengewichte schafft. Sie hat in der Inneren Führung Ausdruck

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KOMPASS 10I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
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gefunden. Die Führungsphilosophie ver-
bindet Maximen der Auftragstreue, der
militärischen Schlagkraft und Professio-
nalität mit Prinzipien der Menschenwür-
de, der Persönlichkeitsentwicklung und
der ethisch-politischen Urteilsbildung.
Die Streitkräfte sind ein „Instrument
der Politik“, der Soldat und die Soldatin
sind es nicht. Sie sind Treuhänder der
                                                                                   © Bundeswehr / Marco Dorow

Staatsmacht und ihrer Zwecksetzungen,
aber keine willenlosen Vollstrecker. Wä-
ren sie das, müsste man sie als „ins-
trumentum vocale“ (stimmbegabtes
Werkzeug) bezeichnen – aber so spra-        „Die Streitkräfte
chen nur die Römer von ihren Sklaven.
Die Innere Führung lässt sich begreifen     wurden rechtlich vollständig
als eine Machtbalance zwischen den
Ansprüchen einer ausgreifenden und
fordernden Institution und der Selbstbe-
                                            in den demokratischen Staat
hauptung des mündigen Soldaten. Diese
„Machtfrage“ reicht vom Parlament bis       integriert und der parlamentarischen
in den Dienstalltag.
                                            Machtkontrolle unterworfen.“

                                                            Kompass 10I21      5
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           „Macht wird nur dann
           zu einem Problem, wenn
           sie missbraucht wird.“
           Interview mit Arnold Eiben, Präsident des Truppendienstgerichts Süd

Kompass: Was ist aus Ihrer Sicht Macht?      Kompass: Welche Rolle spielen dabei         faktor dar, der auch Einfluss auf die In-
Arnold Eiben: Wenn man von der gängigen      die Streitkräfte?                           nenpolitik nahm. Insofern geht von der
Definition ausgeht, dann bedeutet Macht      Arnold Eiben: Beim Thema Macht spielen      Bundeswehr, weil dies nun anders gere-
die Fähigkeit, Einfluss auszuüben und        die Streitkräfte insofern eine bedeutende   gelt ist, trotz ihrer Bewaffnung und mili-
gegenüber anderen überlegen zu sein.         Rolle, als sie in der Regel den größten     tärischen Ausrüstung keine Gefahr aus.
Für mich ist Macht im Grunde nichts          Machtapparat darstellen, den ein Staat
Schlechtes, sondern ein neutraler Be-        zur Verfügung hat. Sie sind der stärkste    Kompass: In welchem Zusammenhang
griff. Bis vor Kurzem sprach man ja auch     und effektivste Teil der Exekutive auf-     steht das Prinzip der Inneren Führung?
noch ganz normal von elterlicher Gewalt,     grund ihrer Bewaffnung, ihrer Truppen-      Arnold Eiben: Die Grundsätze der Inneren
von Disziplinargewalt, oder man sagte,       stärke und auch des Prinzips von Befehl     Führung schützen die der Macht Unter-
Soldaten und Beamte oder auch Strafge-       und Gehorsam. Allerdings darf die Bun-      worfenen, also die Befehlsempfänger,
fangene, Schüler, Studenten stünden in       deswehr, diese Macht nur zum Zwecke         vor Übergriffen und Machtmissbrauch
einem besonderen Gewaltverhältnis. Das       der Landes- und Bündnisverteidigung         durch die Inhaber der sogenannten Be-
war nicht negativ gemeint. Heutzutage        entfalten, also nur nach außen, wenn        fehlsgewalt. Rang und Dienststellung ge-
wird es wohl vielfach anders gesehen,        von dort Gefahr droht. Im Inneren darf      ben Vorgesetzten Macht und Befugnisse
insbesondere in eher linksalternativen       militärische Gewalt grundsätzlich nicht     gegenüber Untergebenen in die Hand.
Kreisen. Bei diesen ist der Begriff inzwi-   zum Einsatz kommen.                         Diese sollen nicht zum Nachteil oder zum
schen eindeutig negativ belegt. Aber die-                                                Schaden der Unterstellten eingesetzt
se Auffassung teile ich nicht.                         Und wichtig ist:                  werden. Die Regeln der Inneren Führung
                                                                                         sollen den Vorgesetzten möglichst ein-
                                             In einem Rechtsstaat – wie dem              fach und klar aufzeigen, wo die Grenzen
Macht gibt es unter den Menschen und             unseren – unterliegen die               der zulässigen Machtausübung liegen.
im täglichen Leben. Sie wird nur dann zu            Streitkräfte sowohl
einem Problem, wenn sie missbraucht             parlamentarischer als auch               Ich nehme immer gerne das Beispiel als
wird. Weil die Macht nun aber in die               gerichtlicher Kontrolle.              Grundsatz, das ich auch beim Zentrum
Hände von Menschen gegeben ist, die                                                      Innere Führung in Koblenz gehört habe,
bekanntermaßen nicht vollkommen sind,        Sie sind somit Recht und Gesetz un-         die sogenannte Goldene Regel:
kann es leider immer wieder zu Konflik-      terworfen und es ist ihnen untersagt,
ten und Machtmissbrauch kommen.              Einfluss auf die innenpolitische Lage            „Was du nicht willst,
Davor sollten wir aber nicht grundsätz-      Deutschlands zu nehmen. Das war bei          dass man dir tu, das füg auch
lich zurückschrecken und Angst haben,        der Reichswehr in der Weimarer Republik           keinem andern zu.“
sondern das ist etwas ganz Normales.         noch anders. Sie stellte einen Macht-

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KOMPASS 10I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
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                                                                                                  Disziplinararrest
                                                                                           Der Arrest als höchste Maßnahme
                                                                                           einfacher Art, kann von drei Tagen
                                                                                               bis zu drei Wochen dauern.
                                                                                         Da es sich um eine freiheitsentziehende
Ich finde, wenn man sich daran hält,                                                        Maßregel handelt, bedarf sie der
dann kann viel Unheil vermieden werden.                                                      Zustimmung des zuständigen
                                                                                                  Truppendienstrichters.
Erwähnen möchte ich, dass es gerade
zum Schutz und der Durchsetzung der                                                        Ausgangsbeschränkung
Inneren Führung die Wehrdienstgerichte                                          Diese gliedert sich in eine einfache und eine
gibt.                                                                               verschärfte Ausgangsbeschränkung.

Verstöße gegen die Regeln der,                                                               Disziplinarbuße
      wie man auch sagt,                                                      Sie kann bis zu einem Monat Sold lauten.
 modernen Menschenführung
    sind in der Regel auch                                                                 strenger Verweis
 Dienstvergehen und werden
  mit Disziplinarmaßnahmen                                                                    Verweis
           geahndet.

                                                                   einfache Disziplinarmaßnahmen
Kompass: Sie sprachen schon die Ge-                 Sie werden grundsätzlich von den Disziplinarvorgesetzten verhängt.
richte an. Welches ist Ihre Rolle?
Arnold Eiben: Ich bin Präsident des
Truppendienstgerichts Süd, das heißt:
Nach den Vorstellungen des Verteidi-         nach außen sichtbaren Neuanfang do-           Kompass: Es ist in der Öffentlichkeit
gungsministeriums bin ich zur Hälfte als     kumentieren. Und dann hat es auch sta-        relativ unbekannt, was Truppendienst-
Dienststellenleiter – wenn man so will       tusrechtliche Gründe. In der verfassungs-     gerichte tun.
der Gerichtsbehörde – tätig und also zu-     rechtlich vorgegebenen Unabhängigkeit         Arnold Eiben: Da haben Sie recht.
ständig für Personalführung, Verwaltung,     der Gerichte müssen in Deutschland die
Liegenschaftswesen, für militärische Si-     Berufsrichter in einem Richterverhältnis      Kompass: Welche Formen und Sanktio-
cherheit, Arbeitsschutz, Datenschutz und     stehen. Und die Berufsrichter sind nun        nen innerhalb der Bundeswehr gibt es?
was alles einem Dienststellenleiter der      mal in der Bundesrepublik grundsätzlich       Arnold Eiben: Nun, die Sanktionen hei-
Bundeswehr so aufgetragen ist. Und zur       Zivilisten. Das hat auch mit der Gewal-       ßen bei uns Disziplinarmaßnahmen,
anderen Hälfte bin ich Kammervorsitzen-      tenteilung zu tun, die Wesenselement          nicht Disziplinarstrafen. Dadurch will
der wie jeder Richter eines Gerichts, also   eines freiheitlichen und demokratischen       man schon sprachlich verhindern, dass
leite ich die erste Kammer und übe dort      Rechtsstaats ist.                             wir mit dem Strafrecht vermengt werden.
eine richterliche Tätigkeit aus.                                                           Dann hätte man ein Problem, nämlich
                                             Die Soldaten gehören zur Exekutive eben-      das Verbot der Doppelbestrafung. Man
Kompass: Sie sind aber Zivilist. Wie         so wie die Beamten. Und die Richter, die      darf nicht wegen derselben Tat zweimal
fänden Sie es, wenn Richter und die          gehören eben zur Judikative.                  zur Verantwortung gezogen werden.
anderen Mitarbeiter, militärisch wären?                                                    Nun, die Disziplinarmaßnahmen, die es
Arnold Eiben: Nun, ich denke, es wäre          Viel wichtiger als Zivil oder               nach unserer Rechtsordnung gibt, das
nicht besser, aber auch nicht schlechter,       Uniform ist für mich aber,                 sind zum einen einfache und zum ande-
wenn wir Soldaten wären – aber anders.        dass die Truppendienstrichter                ren gerichtliche Disziplinarmaßnahmen.
In den meisten Ländern der Welt, übri-        unabhängig und allein Recht
gens auch in unseren westlichen Nach-         und Gesetz unterworfen sind.                 Kompass: Haben Sie dann auch Stufen,
barstaaten, sind die Angehörigen der              Darauf kommt es an.                      also Instanzen?
Militärgerichtsbarkeit im Soldatenstatus.                                                  Arnold Eiben: Ja, wir haben Instanzen.
                                                                                           Jedoch muss man unterscheiden, ob
Dass dies in Deutschland anders ist, hat     Kompass: Also gibt es keine Weisungen         es sich um Beschwerdeverfahren oder
mehrere Gründe. Zum einen geschichtli-       von oben?                                     um Beschwerden gegen einfache Diszip-
che. Weil die Wehrmachtgerichtsbarkeit       Arnold Eiben: Genau. Unabhängig heißt         linarmaßnahmen handelt. Da ist zumeist
in der Nachkriegszeit in ein schlechtes      weisungsunabhängig. Und schon gar             erst eine militärische Beschwerdeinstanz
Licht gerückt wurde, meines Erachtens        nicht Weisungen aus anderen Gewalten,         vorhanden: Also der nächsthöhere Kom-
teilweise zu Unrecht, wollte man einen       also zum Beispiel von der Exekutive.          mandeur entscheidet zunächst über die
                                                                                                                                 >>

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Beschwerde gegen eine einfache Dis-         Aber mir ist aufgefallen, dass Frauen

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ziplinarmaßnahme. Und dann geht es          dann doch daran gemessen eher über-
ans Truppendienstgericht. Dort gibt es      durchschnittlich vertreten sind, zum Bei-
eine gerichtliche Instanz. Und bei den      spiel bei Betrugsdelikten. Bei Körperver-
gerichtlichen Disziplinarmaßnahmen gibt     letzungsdelikten gibt es eigentlich nur
es zwei gerichtliche Instanzen. An erster   Verfahren gegen Männer, wenn ich das
Stelle liegen die Truppendienstgerichte.    richtig überblicke.
Und die zweite und auch höchste Instanz                                                             Arnold Eiben, Präsident des
                                                                                                     Truppendienstgerichts Süd
sind dann die Wehrdienstsenate des          Kompass: Wann werden Delikte, Verfeh-
Bundesverwaltungsgerichts. Also von         lungen auch vor die zivilen Strafgerichte
uns führt es direkt zu einem obersten       gebracht?                                    Und in bestimmten Fällen kann ein Dis-
Bundesgericht. Und dort ist dann auch       Arnold Eiben: Grundsätzlich immer dann,      ziplinarvorgesetzter nur dann von einer
Schluss, denn mit Verkündung eines Ur-      wenn das Fehlverhalten des Soldaten          Abgabe an die Staatsanwaltschaft aus-
teils wird die Sache rechtskräftig.         oder der Soldatin zugleich eine Straftat     nahmsweise absehen, wenn er zuvor
                                            darstellt. Für diese Fälle gibt es bei der   den für ihn zuständigen Rechtsberater
Kompass: Gibt es signifikante Unter-        Bundeswehr eine eindeutige Vorschrift,       befragt hat und dieser zugestimmt hat.
schiede zwischen Männern und Frauen?        den sogenannten Abgabeerlass, der in         Und nach erfolgter Abgabe des Sach-
Arnold Eiben: Grundsätzlich nein. Ent-      der ZDv enthalten ist. Dort ist genau ge-    verhalts an die Staatsanwaltschaft läuft
sprechend der geringeren Anzahl weib-       regelt, wann ein Disziplinarvorgesetzter     dann parallel auch ein Strafverfahren.
licher Personen in der Bundeswehr gibt      einen Sachverhalt an die Staatsanwalt-
es weniger Verfahren gegen Soldatinnen.     schaft abgeben muss und wann nicht.                   Die Fragen stellte Jörg Volpers.

    Entfernung aus dem Dienstverhältnis
     oder Aberkennung des Ruhegehalts
          bei ehemaligen Soldaten
     Das ist die existenziell einschneidendste
                Höchstmaßnahme.

               Dienstgradherabsetzung
               (auch Degradierung genannt)

           Herabsetzung in der Besoldungsgruppe

                              Beförderungsverbot
    Dieses kann von einem bis zu vier Jahren ausgesprochen werden. In der Zeit
           kann der Kamerad oder die Kameradin nicht befördert werden.

                        Kürzung der Dienstbezüge oder
             bei ehemaligen Soldaten die Kürzung des Ruhegehalts
            Sie können von einem Zwanzigstel bis einem Fünftel betragen und für
             die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren verhängt werden.

                               gerichtliche Disziplinarmaßnahmen
                      Sie dürfen grundsätzlich von von Gerichten verhängt werden.

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                                                                                                                                 Herz am richtigen
                                                                                                                                      Fleck“?
                                                                                                                                 Taschenkalender für Soldatinnen
                                                                                                                                         und Soldaten 2022
                                                                                                                               „Mit dem neuen Taschenkalender
                                                                                                                               lade ich Sie herzlich ein, Tag für Tag
                                                                                                                               darauf zu achten, was Sie persönlich
                                                                                                                               fördert und stärkt, damit die Liebe
                                                                                                                               groß werden kann.“ So lädt Militärbi-
                                                                                                                               schof Franz-Josef Overbeck alle ein,
© Wikimedia / gemeinfrei

                                                                                                                               im nächsten Jahr sich von diesem Ka-
                                                                                                                               lender „zur eigenen Herzensbildung“
                                                                                                                               anregen zu lassen.
                                                                                                                               Format, unempfindlicher Kunststoff-
                                                                                                                               Einband und farbliche Gestaltung
                                                                                                                               sind in der aus den vergangenen Jah-
                                                                                                                               ren bewährten und bekannten Form
                                                                               Das Truppendienstgericht Süd in München         angelegt. Einige Stichworte zu den
                                                                                                                               Besonderheiten des neuen Soldaten-
                                        Die Truppendienstgerichte sind im Ge-      die Disziplinarverfahren gegen Soldaten     Taschenkalenders 2022 mit dem
© 2021 Bundeswehr / Carsten Borgmeier

                                        schäftsbereich des Bundesministeriums      und Soldatinnen nach der Wehrdiszip-        Thema „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8):
                                        der Verteidigung als Dienstgerichte für    linarordnung und für Entscheidungen         • über 1.000 Namen nach dem
                                        gerichtliche Disziplinarverfahren gegen    in Wehrbeschwerden nach der Wehr-              katholischem Namenstagskalender
                                        Soldaten und Soldatinnen und für Ver-      beschwerdeordnung zuständig. Dieses         • für jeden Tag des Jahres etwa
                                        fahren über Beschwerden von Soldaten       bezieht sich auf alle Dienststellen mit        drei bis vier Namensheilige
                                        und Soldatinnen errichtet worden. Dazu     Sitz in Baden-Württemberg, Bayern,
                                        hat das BMVg die Errichtung zweier Trup-   Hessen, im Regierungsbezirk Köln, in
                                        pendienstgerichte (Nord und Süd) mit       Rheinland-Pfalz, im Saarland, in Sach-
                                        insgesamt 22 Kammern verordnet.            sen, Thüringen; es ist ferner zuständig
                                        Das Truppendienstgericht Süd mit Sitz      für Truppenteile und Dienststellen, die

                                                                                                                                                                            © KS / Doreen Bierdel
                                        in München ist als Wehrdienstgericht für   sich im Ausland befinden.

                                                                                                                                Zwei Wandplaner der Katholischen
                                                                                                                                       Militärseelsorge 2022
                                                                                                                               In der Mitte dieses Heftes bieten wir
                                                                                                                               Ihnen den doppelseitigen Kompass-
                                                                                                                               Kalender im Format DIN A 3 an: als
                                                                                                                               Einhefter zum leichten Entnehmen.
                                                                                                                               Und dann gibt es unseren Wandpla-
                                                                                                                               ner im Querformat 98x68 cm mit viel
                                                                                                                               Platz für Eintragungen und Termine.

                                                                                                                               Der Kalender im praktischen Ta-
                                                                                                                               schenbuchformat und der große
                                                                                                                               Wandplaner sind bei den jeweiligen
                                                                                                                               Katholischen Militärpfarrämtern in
                                                                                                                               den Bundeswehr-Standorten erhält-
                                                                                                                               lich.
                                                                                                                                      Franz J. Eisend / Jörg Volpers

                                                                                                                             Kompass 10I21                              9
KOMPASS 10I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
TITELTHEMA

     Offizierweiterbildung

     Kann es gerechten
     Frieden geben?

F  ür gewöhnlich ist Major Konstantin Paar der militärische Füh-
   rer. Er ist Kompaniechef der 2. Kompanie des Aufklärungs-
lehrbataillons 3 in Lüneburg. Doch in dieser Woche tauscht
er sein Büro mit dem Konferenzgebäude der Henning-von-
Tresckow-Kaserne in Oldenburg. Als einer von 23 Kompanie-
chefs nimmt er an der Offizierweiterbildung der 1. Panzer-
division teil.

„Kann es gerechten Frieden geben?“ lautet die Frage, mit
der sich die Chefs bei der diesjährigen Offizierweiterbildung
in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für ethische Bildung in
den Streitkräften (zebis) eine Woche lang intensiv auseinan-
dersetzen. „Ich hoffe, dass wir bei dieser Veranstaltung ethi-
sche Fragestellungen in den Streitkräften aus verschiedenen
Blickwinkeln erörtern, um einer gewissen Betriebsblindheit
entgegenzuwirken“, erzählt Major Paar. „Diese Blindheit eignet
man sich nämlich manchmal ungewollter Weise an“, ergänzt
er schmunzelnd.

In keinem anderen Berufsfeld werden Menschen im Alltag so
intensiv und so direkt mit friedensethischen Fragen konfrontiert
wie Soldatinnen und Soldaten. Ihr Handeln, ihre Entschei-
dung hat direkte Auswirkung auf Krieg und Frieden, Leben und
Tod, Recht und Unrecht. Besonders Führungskräfte, wie Paar,
treffen Entscheidungen mit außerordentlichen Auswirkungen,                                     Klitschnass aber glücklich: Generalmajor
nicht nur im Auslandseinsatz. Ein ausgeprägter moralischer
Kompass und die Fähigkeit, Entscheidungen auf der Basis von
Wissen zu treffen, wird stets von ihnen verlangt und unterstützt    verschafft es Ihnen einen Vorteil“, erklärt der Theologe und
sie bei ihrer verantwortungsvollen Aufgabe. Hierfür schöpfen        Historiker. „Und nicht nur das. Manchmal hilft es auch, ein
die Entscheidungsträger bei der Bundeswehr ihre Kompetenz           Problem von anderen Positionen zu betrachten, um es lösen
aus vielerlei, oft alltäglichen Quellen. Eine davon ist die Teil-   zu können“, ergänzt Dickerhoff weiter.
nahme an einer Offizierweiterbildung.
                                                                                      Nicht nur geistig fordernd
                  Friedensethik mal anders
                                                                    Dass die Offizierweiterbildung nicht nur geistig, sondern auch
Zusammen mit Expertinnen und Experten aus Politik, Theologie        körperlich fordernd ist, wird den Kompaniechefs spätestens
und Erziehungswissenschaften versuchen die Teilnehmer das           bei der Militärpatrouille deutlich. Hierbei müssen sich die Teil-
Thema der Friedensethik aus verschiedenen Perspektiven zu           nehmer, eingeteilt in vier Teams, etwa bei einem dynamischen
beleuchten. Dabei sind die Vorträge der Dozierenden alles           Schießen beweisen, zerlegte Waffen schnellstmöglich wieder
andere als konventionell. So dürfen die Kompaniechefs unter         zusammensetzen und sich nach einem Lufttransport mit dem
Anleitung von Dr. Heinrich Dickerhoff im wahrsten Sinne des         Mehrzweckhubschrauber NHNATO-Helicopter-90 insgesamt
Wortes „das Schwert in die Hand nehmen“. Was auf den ers-           700 Meter durch den Wasserlauf der Hunte, einem westlichen
ten Blick nach einem Schwertkampf aussieht, ist eigentlich          Nebenfluss der Weser, kämpfen. Eins wird deutlich: Bei dem
eine besondere Art der Vortragstechnik. Mit den Schwertern          Wettbewerb ist durchgängig Teamarbeit gefragt. Das Team
in den Händen der Kompaniechefs schlägt er Brücken zur              um Paar erreicht den dritten Platz. „Ich habe mich besonders
Friedensethik und Herausforderungen im Dienstalltag einer           gefreut, dass der Divisionskommandeur in meinem Team war.
Führungsposition. „Genau wie beim Schwertkampf ist Angriff          Wann bekommt man schon mal die Gelegenheit, so einen
auch im Beruf manchmal die beste Verteidigung. Wenn Sie             Parcours mit seinem Divisionskommandeur zu durchlaufen?“,
den Angriff abwehren und sich in eine andere Position bringen,      berichtet der Offizier.

10                          Kompass 10I21
TITELTHEMA

                                                                                                                 „Zugegeben, vielleicht ist die
                                                                                                             Vorstellung von ganzheitlichem
                                                                                                               Frieden auf der Welt utopisch.
                                                                                                                            Aber ich bin der festen
                                                                                                                             Meinung: Ohne Utopie
                                                                          © Bundeswehr / Waldemar Zorn
                                                                                                                         können wir nicht leben.“

                                                                                                                     Entscheidungen treffen mit Wissen

                                                                                                         Eine intensive und facettenreiche Woche liegt hinter den
                                                                                                         Kompaniechefs. „Kann es gerechten Frieden geben?“ – eine
                                                                                                         schwierige Frage, die sich pauschal nicht so einfach beantwor-
                                                                                                         ten lässt. „Wenn Sie in einer späteren Verwendung zu einem
                                                                                                         Thema gefragt werden, dann müssen Sie Entscheidungen
                                                                                                         treffen. Und ich möchte, dass Sie Entscheidungen treffen, die
                                                                                                         auf vielfältigem Wissen basieren“, resümiert Divisionskomman-
Jürgen-Joachim von Sandrart (M.) und Major Konstantin Paar (l.)                                          deur Generalmajor Jürgen-Joachim von Sandrart und ergänzt:
                nach 700 Metern Schwimmen durch die Hunte.                                               „Wir sind Soldaten. Wenn wir nicht an Frieden glauben, wer
                                                                                                         denn dann?“
                        Eine Frage des Glaubens                                                                                                 Aileen Tina Hufschmidt

     Bei der Frage nach richtig und falsch spielt auch Spirituali-
     tät eine starke Rolle. So geht es bei der Offizierweiterbildung
     insbesondere auch darum, die Frage nach einem gerechten
     Frieden aus dem Blickwinkel verschiedener Glaubensrichtun-
     gen zu betrachten. So steht jeden Tag ein anderer religiöser
     Tageseinstieg auf dem Plan. Die Offiziere erleben jüdische,
     muslimische und christliche Gebete und erweitern ihren spiri-
     tuellen Horizont. Ein besonderer Gast ist Zsolt Balla. Er ist der
     erste Militärrabbiner der Bundeswehr. Zusammen mit Prof. Dr.
     Doron Kiesel, Direktor des Zentralrats der Juden in Deutsch-
     land, referiert Balla über den Friedensbegriff in der Tora. „Zuge-
     geben, vielleicht ist die Vorstellung von ganzheitlichem Frieden                                                                   Das Capstone-Seminar war
     auf der Welt utopisch. Aber ich bin der festen Meinung: Ohne                                                                       eine erstmalige Kooperation
     Utopie können wir nicht leben.“ Der jüdische Militärseelsorger                                                                     des Zentrum für ethische Bil-
     gewährt den Kompaniechefs umgekehrt auch einen Einblick                                                                            dung in den Streitkräften mit
     in seinen Dienstalltag. „Ich finde es besonders interessant                                                                        der 1. Panzerdivision. Es wa-
     zu sehen, mit welchen speziellen Problemen sich unsere jü-                                                                         ren ausgewählte Kompanie-
     dischen Kameraden im Dienst auseinandersetzen. Das hilft                                                                           chefs sowie Vertreter der nie-
     mir ganz besonders dabei, ein entsprechendes Verständnis                                                                           derländischen, polnischen und
     zu entwickeln“, erzählt Paar nach dem Vortrag.                                                                                     britischen Armee eingeladen.

                                                                                                                             Kompass 10I21                          11
TITELTHEMA

Was macht
Macht mit uns?

Was machen
wir mit Macht?

In manchen Kreisen ist Macht ein Unwort geworden, gleich-
 bedeutend mit Gewaltausübung und Unterdrückung. Aber
auch Jesus wird in den Evangelien nicht machtlos geschildert,
sondern als einer, der „in Vollmacht“ machtvoll auftritt, wenn
auch anders als die üblichen Machthaber. Nein, Macht ist nicht
böse. Böse ist Machtmissbrauch. Das Gegenteil von Macht
ist Ohnmacht, und die wünscht sich niemand. Macht gründet
in der Fähigkeit und Bereitschaft, etwas zu machen, etwas zu
bewegen und zu beeinflussen. Wer nicht völlig fremdbestimmt
leben will, der muss Eigen-Verantwortung üben und wagen, und
die ist immer auch Eigen-Mächtigkeit.
                                                                                Macht wird signalisiert und demonstriert.
     Wer Macht verantwortungsvoll gebraucht, macht gut,             Durch Büros und Dienstwagen. Durch Kleidung, nicht nur durch
                 was auch anderen gut tut.                          Uniformen. Am besten durch souverän wahrgenommene Auto-
                                                                    rität. Mir ist es nur recht, wenn mein Arzt, Bergführer oder Vor-
Macht ist auch Kompetenz. Gut eingebrachte Kompetenz ist            gesetzter seine Rolle annimmt und mir gelassen signalisiert,
Macht für andere. Menschen sollen, was sie gut können, ein-         dass er weiß, was er tut. Je angestrengter Macht demonstriert
setzen für die, die das nicht können. Als Ärztin. Als Lehrer. Als   wird, desto weniger wirkt sie vertrauenswürdig. Versuchen
Handwerker. Bei der Polizei und bei der Bundeswehr. Doch gibt       Macht-Haber gar, andere einzuschüchtern, gewinnen sie nicht
es auch Macht über andere. Auch die ist nicht grundsätzlich         die Autorität, die im Krisenfall für das verlässliche Mittun der
böse. Denn wo immer es ein Verantwortungsgefälle gibt, im           Anvertrauten oder Untergebenen wichtig ist. Leider gibt es zu
Privaten, im Beruflichen, im Politischen, da gibt es auch ein       oft noch alberne Machtspiele, etwa wenn jemand nicht aus
Machtgefälle. Hierarchien können flach sein, Befehlsgewalt          sachlichen Gründen, sondern nur zur Machtdemonstration
über andere ist nie absolut, aber Erziehung, Anleitung oder         einen anderen kommen oder warten lässt. Wer angibt, hat
Führung bedeutet immer Macht über andere. Diese Macht               es nötig.
kann missbraucht werden. Aber oft wird sie auch sehr sinnvoll
eingesetzt.                                                                               Grenzen der Macht
                                                                                                                                        © 2016 Bundeswehr / Christian Thiel

           Macht ist nicht böse, aber verführerisch,                Gewiss muss Macht begrenzt und kontrolliert werden. Absolute
zumindest für Menschen, die Freude daran haben, etwas zu be-        Macht ist kontra-produktiv. Darum gibt es in einem Rechtsstaat
wegen. Es gibt wohl drei Versuchungen der Macht, die sich ein-      Gegengewichte zu jeder Macht – „checks and balances“. Aber
stellen können. Eine erste ist die Überheblichkeit und Arroganz     Machtmissbrauch ist auch, wenn jemand die ihm anvertraute
der „Mächtigen“, das Gefühl. „Ich bin etwas Besseres als an-        Macht, Leitungs-Verantwortung und Führungsaufgabe nicht
dere!“ Daraus erwächst nicht selten eine Selbst-Privilegierung,     wahrnimmt, weil er oder sie Konflikte oder Entscheidungen
das Gefühl: „Ich habe etwas Besseres verdient als andere!“ Und      scheut. In einem solchen Macht-Vakuum breitet sich rasch
schließlich kann Macht zu Allmachtsfantasien und Beratungsre-       und unkontrolliert verdeckte und nicht legitimierte Macht aus,
sistenz, zum Gefühl führen: „Ich weiß alles besser als andere!“     entstehen inoffizielle und darum unkontrollierte Hierarchien.

12                          Kompass 10I21
TITELTHEMA

                                         „Versuchen Macht-Haber gar,
                                               andere einzuschüchtern,
                                       gewinnen sie nicht die Autorität,
                                                die im Krisenfall für das
                                                 verlässliche Mittun der
                                       Anvertrauten oder Untergebenen
                                                            wichtig ist.“

Gar nicht hilfreich für einen verantwortlichen Umgang mit Macht
ist auch deren Verschleierung etwa als Balance Liebe oder
Dienst: „Alles geschieht doch nur zu deinem Besten!“ Aber
aufgezwungene Liebe ist nichts anderes als Vergewaltigung
und eine besonders üble Form des Machtmissbrauchs.

Und schließlich kann Macht sich als Ohnmacht tarnen. Mit
scheinbarer Schwäche kann man andere manipulieren. „Du
bist doch dafür verantwortlich, dass ich glücklich werde!“ Das
ist längst nicht nur im privaten Bereich eine Strategie, son-
dern, wie mir scheint, auch mehr und mehr gegenüber Staat
und Gesellschaft. Mit der behaupteten eigenen Hilflosigkeit
                                                                                                                                     © Bundeswehr / Waldemar Zorn

wird Fürsorge eingefordert, und der scheinbar Hilflose gewinnt
Macht über die Helfer.

                         Mein Fazit:

1. Jeder Mensch hat den Lebens-Auftrag, Eigen-Mächtigkeit
   zu entwickeln.

2. Mit meiner Macht wächst meine Verantwortung.

3. Verantwortlich genutzte Macht ist fast immer                                                               Heinrich Dickerhoff,
   Schutz-Macht, nicht Durchsetzung eigener Interessen.           Theologe, Pädagoge, Märchen-Erzähler, Autor und Herausgeber,
                                                                   bis 2018 vierzig Jahre lang Dozent und Pädagogischer Direktor
                                                                                          in der Katholischen Akademie Stapelfeld

                                                                                      Kompass 10I21                            13
GLAUBE, KIRCHE, LEBEN

#WIRFÜREUCH
Hilfen für Bundeswehrfamilien in den Flutgebieten

                                                        W    ir alle haben noch die furchtbaren Bilder der Flutkatas-
                                                             trophe in der Ahr-Erft-Region als Folge des Starkregens
                                                        im Juli vor Augen. Auch Soldatinnen und Soldaten sowie Zivil-
                                                        bedienstete der Bundeswehr mit ihren Familien sind hiervon
                                                        betroffen. Die Katholische Militärseelsorge, die Katholische
                                                        Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung e. V. (KAS) und die
                                                        Katholische Familienstiftung für Soldaten haben sich deswegen
                                                        im Gemeinschaftsprojekt #WIRFÜREUCH zusammengetan, um
                                                        betroffenen Bundeswehrangehörigen zu helfen.

                                                         Wie kommt die Hilfe in #WIRFÜREUCH zu den Betroffenen?
                                                        In den kommenden Wochen werden in 40 Kasernen von Aa-
                                                        chen über Koblenz bis nach Kastellaun #WIRFÜREUCH-Lotsen
                                                        in das Projekt eingewiesen. Diese sind die erste Ansprech-
                                                        stelle für Menschen in der Bundeswehr, die Hilfe benötigen.
                                                        Sie nehmen das Hilfsanliegen auf und kümmern sich mit den
                                                        Fachleuten der KAS und bei Bedarf den Seelsorgenden der
                                                        Militärseelsorge um die Umsetzung. Finanziert wird die Hilfe
                                                        über Fördermittel der Familienstiftung.

                                                        #WIRFÜREUCH unterstützt die Flutopfer aus dem Bereich der
                                                        Bundeswehr inhaltlich. Es geht also darum, gute Ideen, wie
                                                        zum Beispiel die Durchführung einer Ferienmaßnahme für die
                                                        Kinder, therapeutische oder seelsorgliche Begleitung der Be-
                                                        troffenen, Kinderbetreuung oder Familienausflüge, möglich zu

                                                                                                                         © 2021 Bundeswehr / Kevin Schrief
                                                        machen, um die Bundeswehrangehörigen zu stärken und zu
                                                        entlasten – denn die Aufräumarbeiten werden leider noch lange
                                                        dauern und sehr viel Kraft erfordern. Es geht also nicht um
                                                        Spenden für den Wiederaufbau, sondern um langfristige Hilfe
                                                        und Begleitung bei der Bewältigung der Flutschäden – und zwar
                                                        so lange, wie es braucht, um diese Schäden zu beseitigen.

                                                                        Der Kontakt zu den #WIRFÜREUCH-Lotsen wird
                                                                        in den Kasernen in und um die Flutgebiete
                                                                        per Aushang und über das Intranet der Bun-
                               Wir helfen.                              deswehr bekannt gemacht. Für Bundeswehr-
                                                                        angehörige, die in den Flutgebieten wohnen,
                 Natürlich können Sie auch direkt auf das               aber weiter entfernt stationiert sind, wird es
               Spendenkonto der Stiftung überweisen, bitte              Bekanntmachungen ebenfalls über das Intra-
               in diesem Fall die Spende mit dem Vermerk                net geben. Diese können sich direkt an die
               „wirfüreuch“ versehen.                                   KAS in Berlin wenden.

                     Spendenkonto                                       Zur Finanzierung der Hilfen sammelt die Fami-
                     IBAN DE68 3706 0193 0033 2210 10                   lienstiftung seit dem 6. September Spenden
                    Die Familienstiftung garantiert dabei, dass alle    im Rahmen des gleichnamigen Crowdfunding-
                    eingehenden Spenden zu 100% an die Flut-            projekts. Wer für die Flutopfer in der Bundes-
                    opfer weitergegeben werden. Die PAX Bank            wehr spenden möchte, kann dies mit wenigen
               stockt im Crowdfunding jede Erstspende von               Klicks unter www.pax-bank.de/crowdfunding-
               mindestens 10 Euro um 5 Euro zu Gunsten der              wirfuereuch. Dort ist das Projekt umfangreich
                 Flutopfer auf. Wir sagen schon jetzt sehr              beschrieben. Alle Informationen finden Sie
                  herzlich danke.                                       auch unter
                                                                        kas-soldatenbetreuung.de/wirfuereuch
                       Helfen Sie mit!
                                                                                                         Rainer Krotz

14                 Kompass 10I21
ZUM LKU

                                                              Zur Praxis moralischer Bildung

                                            Men·schen·bild [das] christlich

                                      O
                                                                             Soziale Gesundheit – Teil III

                             I n einem aufgezeichneten Ge-
                               spräch Ende der 70er Jahre erin-
                             nert sich Wolf Graf von Baudissin
                                                                                                                                litik und Kultur verglichen werden.
                                                                                                                                Dieses innere Führungsprinzip
                                                                                                                                wirkt nämlich wie ein „moralischer
                             an ein Herrenessen, an dem er                                                                      Transmissionsriemen“, der von der
                             einst als junger Offizier im Hundert-                                                              verfassungsrechtlichen Kraftstati-
                             tausend-Mann-Heer der Weimarer                                                                     on des Artikel 1,1 GG ausgehend,
                             Republik teilnahm: „Ich verließ                                                                    den sittlichen Anspruch unserer
                             dieses Essen, nachdem man auf-                                                                     Verfassung erziehend und bildend
                             gefordert wurde, das erste Glas                                                                    in die Persönlichkeit eines jeden
© 1956 Bundeswehr / Munker

                             ‚auf den obersten Kriegsherrn,                                                                     Menschen, der als Staatsbürger in
                             S. M. den Kaiser und König von                                                                     Uniform in der Bundeswehr dient,
                             Preußen‘, zu erheben. Dies schien                                                                  überträgt. Auf diese Weise wird bis
                             mir im Widerspruch zu meinem Eid                                                                   heute ein wichtiger Teil der exe-
                             zu stehen.“ Jahre später, zutiefst                                                                 kutiven Staatskompetenz gemäß
                             von der grausamen Wirklichkeit                                                                     dem sittlichen Anspruch unseres
                             „zurückliegender Kriegsoperati-                                                                    Grundgesetzes transformiert. Mora-
                             onen“ geprägt, steht Baudissin                                                                     lisch-geistige Menschenkräfte, die
                             im Oktober 1950 im Kloster Him-                                                                    ursprünglich vor allem durch die
                             merod im dort versammelten Kreis der         Menschenbild der Inneren Führung jeden-        christliche Religion bestimmt, geformt
                             Offiziere mutig auf und trägt mit gebo-      falls verdankt die Bundeswehr in erster Li-    und geführt wurden, werden so sittlich
                             tener Klarheit seine Bedenken vor. Ein       nie Baudissin, dem vielleicht „wichtigsten     in einer modernen Armee ausgebildet:
                             Vortrag von General Heusinger mit einer      Kopf hinter der Konzeption der Inneren         Menschenwürde, Gerechtigkeit und Frie-
                             „höchst intelligenten Lagebeurteilung“       Führung“, wie Markus Thurau in seinem          den – also mächtige Seelenkräfte des
                             gibt ihm letztlich Anlass dazu, die erste    Beitrag „Warum Werte für Soldaten wichtig      Menschen – sind ethisch reflektiert und
                             Tagung der geistigen Väter der heutigen      sind“ trefflich anmerkt. Auch mehrfache        vernünftig aufbereitet unter anderem als
                             Bundeswehr zu verlassen – denn er sehe       indirekte Hinweise der Autorin Angelika        Werte, Regeln und Normen in die Bildung
                             sich hier „offensichtlich fehl“ am Platze.   Dörfler-Dierken wirken in Bezug auf das        von Persönlichkeit zu übertragen.
                             Im Buch „Die zornigen alten Männer“          für die Innere Führung bisher prägende
                             skizziert Baudissin die damalige Szene-      Menschenbild erhellend: Baudissin, der         Während nach den verheerenden Folgen
                             rie: „General Heusinger kam mir nach,        sein Reformprogramm auch eine „Refor-          „nationalsozialistischer Moral“ im Nach-
                             fasste mich am Portepee und meinte,          mation“ nannte, sei von den Wertvorstel-       kriegsdeutschland noch von selbst die
                             dass man gerade Leute ‚mit Gewissen‘         lungen des Luthertums geprägt gewesen.         christliche Moral letzten Endes die welt-
                             dringend brauchen werde; dass ich also       Sein christliches Menschenbild sei maß-        anschauliche Differenz zwischen Heusin-
                             gar nicht fehl am Platze sei.“               gebend, denn gerade auch seine Rede            ger und Baudissin regelte, stehen sich
                                                                          vom „verantwortbaren Ungehorsam“ sprä-         heute oft gesellschaftlich unhinterfragte,
                             Möglicherweise hat dieser damalige Auf-      che davon Bände.                               unreflektierte und unterschiedliche Men-
                             stand des Baudissin’schen Gewissens                                                         schenbilder gegenüber, die zunehmend
                             mehr zum sittlichen Werdegang der In-        Baudissins sittliches Wirkprinzip des „In-     Auswirkung auf die ursprüngliche christ-
                             neren Führung in der Bundeswehr beige-       neren Gefüges“ könnte mit dem ursprüng-        liche Moral der Inneren Führung haben.
                             tragen, als gemeinhin bewusst ist. Es ist    lichen Wirken von Kirche in Wirtschaft, Po-
                             davon auszugehen, dass beide Persön-                                                        Welches kommunikative Modell jetzt erlö-
                             lichkeiten, Heusinger und Baudissin, nicht                                                  send sein könnte, damit wir uns hinsicht-
                             nur von sehr unterschiedlichem Charak-                                                      lich „Moral“ und „Ethik“ auch weiterhin in
                             ter waren, sondern dass sich auch zwei                                                      Gesellschaft und Bundeswehr vernünftig
                             Menschen mit unterschiedlichen Weltan-                                                      verständigen können, das ist um der „so-
                             schauungen gegenüberstanden.                                                                zialen Gesundheit“ willen in naher Zukunft
                                                                                                                         noch zu klären.
                             Der sich hier öffnende Blick auf das „Ge-
                             wissen“ macht deutlich: Der eine hat es                                                                             Franz J. Eisend,
                             und der andere braucht es! Das prägende                                                          Wissenschaftlicher Referent, KMBA

                                                                                                                        Kompass 10I21                           15
KOLUMNE

Liebe Soldatin, lieber Soldat,

2021 ist das „Jahr der Bundeswehr“. Selten zuvor
war die Truppe an so vielen Stellen, auf so unter-
schiedliche Art und mit solch einer Intensität gefor-
dert wie in diesem Jahr. Ob bei ihrem Kernauftrag, wie
der Evakuierungsoperation in Afghanistan, oder bei
der Amtshilfe zur Bekämpfung der Corona-Pandemie
und zur Bewältigung der Flutkatastrophe – überall
dort, wo die Truppe zum Einsatz gekommen ist, hat
sie ihren Auftrag mehr als erfüllt.

2021 ist auch das Jahr der Bundestagswahl. Ein neu-
er Bundestag wird sich konstituieren und eine neue
Bundesregierung sich bilden. Sie werden die zentra-
len Weichen für die nächsten Jahre stellen – für un-
sere Gesellschaft und auch für unsere Bundeswehr.
Egal in welcher Konstellation und Zusammensetzung,
die Bundeswehr braucht eine breite Unterstützung
aller politisch Verantwortlichen. Denn wenn das Jahr
2021 eines verdeutlicht hat, dann wie wichtig und
richtig es ist, dass wir sie haben.

Viel zu oft wird über Mängel, Versäumnisse und Skan-
dale in der Bundeswehr gesprochen – und viel zu
selten über Erfolge, Leistungen und das, was gut
läuft. 2021 bietet Anlass, das zu ändern. In diesem
Jahr hat die Truppe ihre ganze Leistungsfähigkeit
eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Sie hat gezeigt,
dass auf sie Verlass ist. Darüber gehört gesprochen.
Dafür gebühren unseren Soldatinnen und Soldaten
unser aller Dank, Anerkennung und Wertschätzung.

Nicht zuletzt wegen ihrer großen Verdienste in diesem
Wahljahr sollte die Bundeswehr als Parlamentsarmee
ganz oben auf der politischen Agenda stehen. Dazu
gehört zweierlei: einerseits mehr Wahrnehmung und
mehr Wertschätzung für die Truppe und was sie leis-
tet. Und andererseits die bestmögliche Ausstattung
und Ausrüstung, damit sie ihre Aufträge erfüllen kann.
Beides zu gewährleisten, wird Auftrag des neuen Bun-
destages und der neuen Bundesregierung sein.

In einem ersten Schritt bedeutet das, der Bundes-
wehr mehr Interesse entgegenzubringen und mehr
darüber zu diskutieren, wo und wofür wir sie einset-
zen wollen. Viel zu oft wurden Bundeswehreinsätze
in der Vergangenheit lediglich dreißig Minuten lang
im Bundestag diskutiert und dann mandatiert. Das
wird ihrer Bedeutung nicht gerecht.

Jeder einzelne Einsatz muss – im Bundestag und
in der Gesellschaft – intensiv und breit debattiert
werden. Es muss gut begründet und klar benannt

16                         Kompass 10I21
KOLUMNE

                                                                                                                    „Darüber gehört
                                                                                                                gesprochen.
                                                                                                               „Darüber              Dafür
                                                                                                                          gehört gesprochen.
                                                                                                                 gebühren        unseren
                                                                                                                    Dafür gebühren   unseren
                                                                                                                    Soldatinnen
                                                                                                                  Soldatinnen          und
                                                                                                                                und Soldaten
                                                                                                               Soldaten
                                                                                                              unser          unser
                                                                                                                    aller Dank,       aller
                                                                                                                                Anerkennung
                                                                                                               Dank,und   Anerkennung
                                                                                                                            Wertschätzung.“
                                                                                                              und Wertschätzung.“

                                                                                                          werden, welche Ziele wir verfolgen mit welchen Mitteln
                                                                                                          und Möglichkeiten. Diese Fragen haben mit Ende des
                                                                                                          Afghanistan-Einsatzes und den dramatischen Entwicklun-
                                                                                                          gen seit Abzug der internationalen Truppen eine völlige
                                                                                                          neue Dringlichkeit erhalten.

                                                                                                          In einem zweiten Schritt bedeutet das, die Bundeswehr
                                                                                                          angemessen auszurüsten. Unsere Soldatinnen und Sol-
                                                                                                          daten dürfen mit Recht erwarten, dass sie die bestmögli-
                                                                                                          chen Rahmenbedingungen für ihre Einsätze und Aufträge
                                                              © Bundeswehr / Andy Meier

                                                                                                          vorfinden. Schließlich sind wir es, die ihnen diese erteilen.
                                                                                                          Unsere Soldatinnen und Soldaten erwarten dabei kei-
                                                                                                          neswegs Goldrandlösungen, sondern lediglich Personal,
                                                                                                          das ausreichend qualifiziert ist, genügend Springerhel-
                                                                                                          me, ABC-Schutzmasken und moderne Funkgeräte sowie
                                                                                                          Gebäude, die nicht schimmeln und sanierungsbedürftig
                                                                                                          sind. Was selbstverständlich klingt, ist es keineswegs.

                                                                                                          Der neue Bundestag und die neue Bundesregierung sind
                                                                                                          gefragt, hier schnell Abhilfe zu leisten – durch eine größe-
                                                                                                          re Wahrnehmung und Wertschätzung sowie bessere Rah-
                                                              © Hintergrund: SidorArt – stock.adobe.com

                                                                                                          menbedingungen für unsere Soldatinnen und Soldaten.
                                                                                                          Damit sie auch in Zukunft so einsatz- und leistungsfähig
                                                                                                          sind und wir uns auch in künftigen Krisen weiterhin so
                                                                                                          sehr auf sie verlassen können wie in diesem „Jahr der
                                                                                                          Bundeswehr“.

                                                                                                          Mit herzlichen Grüßen

                                                                                                                     Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages
Zu Besuch beim deutschen Kontingent der Enhanced Forward
                   Presence Battlegroup in Rukla (Litauen).

                                                                                                                          Kompass 10I21                             17
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                     Mächtig gewaltig – Die Bibel

S   eit über zwanzig Jahren spielt das
    Thema „Religion und Gewalt“ eine
große Rolle. Glaubensgemeinschaften
                                              chen Autoren ist (von 27 neutestament-
                                              lichen Schriften sind allein 21 Briefe, das
                                              Schreiben an die Hebräer mal mitgerech-
                                                                                            zu Evangelium unterscheidet, ist die
                                                                                            Art, wie Jesus dies bewerkstelligt. Im
                                                                                            Markus-Evangelium, dem ältesten der
und Religionen befragen ihre heiligen         net), verdienen unter dem Stichwort Ge-       vier im NT, wirft Jesus die Händler raus
Texte oder werden von Außenstehen-            walt drei Stellen besondere Beachtung.        und stößt dabei Bänke und Stühle um –
den danach gefragt: „Wie hältst Du‘s                                                        vermutlich mit Händen und Füßen. Dem
mit Gewalt?“ Recht schnell sind dann            Jesus holt die Peitsche raus – Die          schließt sich das Matthäus-Evangelium
Texte gefunden, mitunter aus dem Ge-                    Tempelreinigung                     an. Hingegen bei Lukas ist nur von ei-
samtzusammenhang gerissen, die auf                                                          nem Hinauswurf der Händler die Rede;
religiös motivierte und legitimierte Ge-      Als Jesus kurz vor seiner Verurteilung und    vom Umwerfen der Stühle und Bänke
walt innerhalb der jeweils Heiligen Schrift   Hinrichtung nach Jerusalem kommt, be-         steht nichts. Zudem lässt Lukas Jesus
hinweisen. (Inner-)Christlicherseits steht    tritt er, wie es sich für einen frommen       sogleich als Tempelprediger auftreten.
von vornherein das Alte Testament un-         Juden gehört, auch den Tempelbereich.         Ein vornehmer Zug. Richtig zur Sache
ter Generalverdacht, „blutrünstig“ und        Anstelle eines Gebets wird Jesus nach         kommt es aber im Johannes-Evangelium,
„gewaltbefördernd“ zu sein. Um das zu         übereinstimmender synoptischer Über-          welches von einigen gern als besonders
unterstreichen, wird dann sehr gern, vor      lieferung, einschließlich des Johannes-       philosophisch feinsinnig eingestuft wird
allem seit der Zeit des Nationalsozialis-     Evangeliums, insofern sofort gewalttä-        (vgl. Joh 1). Als Jesus die Händler im
mus, das Adjektiv „alttestamentarisch“        tig, als er die Händler und Geldwechsler      Tempel sieht, macht er sich sofort eine
verwendet. Hat denn jemand schon mal          ohne Vorankündigung selbst hinauswirft.       Peitsche, treibt damit alle Handelstrei-
das Wort „neutestamentarisch“ gehört?         Ebenso nach synoptischer Übereinstim-         benden hinaus, verstreut deren Geld und
Aber bleiben wir beim Neuen Testament         mung begründet er sein gewaltsames            stößt zu guter Letzt noch die Tische um
(NT), in dem es doch so liebevoll und         Handeln gut biblisch: „Mein Haus soll         (vgl. Joh 2,13–16). So wird Jesus zum Ze-
friedfertig zugehe. Unabhängig davon,         ein Haus des Gebets genannt werden“           loten, zum Eiferer (vgl. Joh 2,17); freilich
dass das NT kein systematisch dogma-          (vgl. Jes 56,7). „Ihr aber habt (aus ihm)     wie immer um einer guten Sache willen.
tisches Buch, sondern viel eher eine          eine Räuberspelunke gemacht“ (vgl. Jer        Stellen Sie sich mal vor, jemand trete
Briefsammlung von recht unterschiedli-        7,11). Was sich jedoch von Evangelium         derart in Medjugorje auf.

                                                                                                                                           © Westermann-Blawert – stock.adobe.com

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                                                                                                               TIPP:
„Gern wollen ja viele (noch) glauben,                                                                   Sie fragen sich:
                                                                                                   „Was bedeutet denn das
dass Gott Liebe ist (1 Joh 4,16),                                                                 schon wieder in der Bibel?“
                                                                                                        Senden Sie uns
aber die persönlich erlebte                                                                          Ihre Frage – hier wird
                                                                                                          sie geklärt.
Wirklichkeit – mit und ohne
Kirchengeschichte –
spricht oft eine          Paulus spricht Bannflüche aus                                                   Gott ist Liebe?

andere Sprache.“      Dass Saulus, gut römisch auch Paulus                                   Das Neue Testament beinhaltet allemal
                                             genannt (Apg 13,9), radikal sein kann, ist      und überwiegend auch andere Botschaf-
                                             ebenfalls nicht ganz unbekannt; ja mitun-       ten als die eben genannten; nur ist das
                                             ter ist er sogar brutal. Und das ebenfalls      mit dem lieben Jesulein so eine Sache.
                                             aus vermeintlich so gutem Grund. Denn           Gern wollen ja viele (noch) glauben,
                                             er ist im Begriff, die Kirche zu vernichten!    dass Gott Liebe ist (1 Joh 4,16), aber
                                             Zuerst verfolgt er (Juden-)Christen, hat        die persönlich erlebte Wirklichkeit – mit
                                             Gefallen an Steinigung und Mord; bricht         und ohne Kirchengeschichte – spricht
Jesus wünscht sich ein Schwert herbei        in fremde Häuser ein, wird sogar hand-          oft eine andere Sprache. Verheerende
                                             greiflich Frauen gegenüber (Apg 8,1.3).         Feuer- und Flutkatastrophen lassen bis
Dass ein Glaubensbekenntnis höchsten         Dieser Unbedingtheit, um es einmal vor-         heute schwerlich an die Liebe Gottes
Unfrieden stiften kann und Familien ent-     sichtig auszudrücken, bleibt er sich treu.      glauben; aber als Strafe Gottes lassen
zweit, ist nicht unbekannt und darüber       Denn auch nachdem er sich zum neu-              sie sich zum Glück auch nicht mehr
wird gern gepredigt; vor allem dann,         en Weg (Apg 9,2; 22,4), das heißt, zur          missbrauchen. So haben schon manch
wenn es einem selbst nützt. Doch die         Gemeinde der Jesus-Christus-Anhänger            ehrbare Gottessucher wie Jakob Böhme
hierzu einleitenden Verse im Matthäus-       bekannt hat, bleibt ihm das Ausspre-            (1575–1624) und nicht wenige nach ihm
Evangelium sind eher unbekannt; dies         chen eines Bannfluches vertraut – freilich      den Ursprung von Gut und Böse zugleich
verwundert insofern nicht ganz, als sie in   wiederum im Dienst einer guten Sache,           in Gott gesehen und haben, wie kaum an-
den Evangelientexten, die für den Sonn-      und zwar für die Verteidigung des reinen        ders zu erwarten, heftigsten Widerspruch
tag bestimmt sind, nicht vorkommen. Je-      Glaubens. Was denn sonst?! Daher heißt          erfahren. Aber wer bitteschön hat denn
sus sagt: „Glaubt nicht, dass ich gekom-     es gleich zu Beginn des Briefs an die           sein Einverständnis gegeben, Hiob so
men bin, Frieden zu werfen auf die Erde.     Galater: „Aber auch wenn wir oder ein           leiden zu lassen? War es nicht der Gott
Nicht bin ich gekommen, Frieden zu wer-      Engel vom Himmel euch ein Evangelium            der Hiobserzählung selbst (vgl. Ijob 1,12;
fen, sondern das Schwert“ (Mt 10,34).        verkünden, das dem widerspricht, was            2,6). Außerdem wachsen an dem einen
Das hier verwendete griechische Wort für     wir euch verkünden, der sei verflucht“          Baum der Erkenntnis anscheinend eben-
Schwert (μάχαιρα) meint kein harmloses       (Gal 1,8). Noch grundsätzlicher lässt sich      falls Früchte des Guten und des Bösen
Küchenmesserchen. Freilich, dieser Vers      Paulus in 1 Kor 16,22 vernehmen: „Wer           (Gen 2,9b.17) – und das im vermeintli-
ist im übertragenen Sinn zu verstehen.       nicht liebt den Herrn (Jesus, ThRE), der        chen Paradies.
Wenngleich hier letztlich keine wirkliche    sei verflucht.“ Schluss. Punkt. Aus.
Waffe zum Einsatz kommt, so können           Im Griechischen steht hierfür ein Wort,         Vielleicht bleibt am Ende manchmal dann
dennoch Familienstreits heftig und un-       welches eben alles andere als harmlos           doch nur ein „Credo, quia absurdum est“
barmherzig geführt werden. Nun ist es        ist, nämlich Anathema. Dies bedeutete           (ich glaube, weil es widersinnig ist) oder
aber Lukas wieder, der vornehm mildert.      einst physische Vernichtung im religiö-         – um es wieder mit Paulus zu sagen –
Bei ihm heißt es: „Meint ihr, dass ich       sen Sinne. Nicht erst die zu Recht vielge-      „wenn ich auch … alle Erkenntnis (Gno-
gekommen bin, Frieden zu geben auf           schmähte Spanische Inquisition machte           sis) hätte …, hätte aber Liebe nicht, wäre
die Erde? Nein, sage ich euch, sondern       davon reichlich Gebrauch, selbstver-            ich nichts“ (1 Kor 13,2).
Spaltung“ (Lk 12,51). Ob Matthäus oder       ständlich ebenso im gutgemeinten Sinne
Lukas – heftiger Familienstreit (auch        für die Sünder, sondern bereits Josua                                  Thomas R. Elßner
konfessioneller) bis hin zur Entzweiung      vollzog die Vernichtungsweihe an Jericho
scheint vorprogrammiert zu sein.             (vgl. Jos 6,21).

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