Gemeinsam Warum Zusammenhalt uns so stark macht - So macht Kindern Essen richtig Spaß
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ERNÄHRUNG FREUNDSCHAFT SCHMERZ - - - So macht Kindern Wenn das Alter Hoffnung dank Essen richtig Spaß keine Rolle spielt neuer Therapien BERÜHRUNG Kuscheln Das Magazin für unsere Mitglieder 02.2021 hilft gegen Stress Seite 20 Gemeinsam Warum Zusammenhalt uns so stark macht
Inhalt 6 20 Kuscheln gegen Stress - Sexualtherapeutin Melanie Büttner über 22 26 die heilsame Kraft der Berührung 21 Im Einsatz für die Versicherten - 6 Symbiosen mit Sinn So engagieren sich die Mitglieder des - BARMER-Verwaltungsrats Faktenfunde aus der Forschung zur 28 Viele Hände, ein Ziel Glücksquelle Gemeinschaft - 22 Kochen, bauen, retten – drei Gemein- schaftsinitiativen, die uns begeistern Weil jede(r) anders ist - 12 Zurück in die Balance Männer und Frauen reagieren - verschieden auf Krankheit und Medizin Neue Diagnoseverfahren 30 Roadtrip zur Freundschaft helfen chronisch Schmerzgeplagten - Auf gemeinsamer Tour entdecken 32 ein 93-Jähriger und ein Student, was Eine Medizin für alle sie verbindet - Medizinethiker Florian Steger 15 fordert mehr Rücksicht auf Geschlecht und Alter 32 Vertraut euch doch - Warum Vertrauen ein lohnendes Tauschgeschäft ist – ein Essay Mit Kindern kochen - 16 Tipps von Köchin Sarah Wiener An deiner Seite RUBRIKEN - S. 3 W illkommen Die Krebserkrankung der Mutter lässt S. 4 Neues von der BARM ER eine Familie neu zueinanderfinden S . 35 Ko l u m n e Z u s a m m e n h a l t Herausgeber: BARMER, Axel-Springer-Straße 44, 10969 Berlin; verantwortlich: Christian Bock, Bereichsleiter Marke und Marketing; E-Mail: redaktion@barmer.de; Redaktion: Nerdpol – Redaktionsbüro für Medizin- und Wissenschaftsjournalismus, München; Gestaltung & Bildredaktion: Axel Lauer, Berlin; Bilder: BARMER, Luise Aedtner, Getty Images, Dinah Hoffmann, Hubertus Huvermann, Melanie Koravitsch, Nicki Schäfer, Ozeankind e.V., Photogenika, plainpicture, Progeno Wohnungsgenossenschaft eG, Sabrina Weniger; Illustrationen: Anton Hallmann/Sepia Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach vorheriger schriftlicher Einwilligung der BARMER. Die kommende Ausgabe wird voraussichtlich im Juni 2022 verschickt.
Willkommen Liebe Leserinnen und Leser, wir sind nicht alle gleich. In der Medizin ist vor allem der Unterschied zwischen Männern und Frauen wichtig. Deshalb setzt sich die BARMER für eine geschlechtersensible Medizin ein. Eine zukunftsorientierte Gesundheitsversorgung kann nur gewährleistet werden, wenn wir die Unterschiede zwischen den Geschlechtern berücksichtigen, zum Bei- spiel bei Diagnosen und der Dosierung von Medikamenten. Wir haben dazu mit Prof. Dr. Florian Steger ein interessantes Interview geführt und erläutern Ihnen die unterschiedlichen Krankheitssymptome in einer aufschlussreichen Illustration. In der Gendermedizin ist eine Trennung wichtig, in unserem Alltag wünschen wir uns aber mehr Gemeinschaft und hoffen alle auf ein Weihnachtsfest im Kreis der Familie. Auch diesem Gefühl widmen wir uns im aktuellen Magazin. Wir stellen Initiativen vor, die sich mit vereinter Tatkraft engagieren und damit großartige Dinge erreichen. Wir erzählen von einer innigen Freundschaft, trotz 73 Jahren Altersunterschied. Ein bekannter Life- style-Coach erklärt uns, wie sich sein Blick auf das Leben durch man- che Begegnung verändert hat, und eine Forscherin schreibt über die befreiende Wirkung von Vertrauen. Unser kooperativer Leitgedanke Wie gefällt Ihnen das Magazin? und das solidarische Miteinander bilden die Grundlage, Ihnen auch im - kommenden Jahr hochwertigen Versicherungsschutz zu bieten. Einfach scannen und Feedback abgeben. www.barmer.de/magazin-feedback Ich wünsche Ihnen schon heute ein wundervolles Weihnachtsfest und alles Gute für 2022. Viele Grüße Ihr Prof. Dr. Christoph Straub Vorstandsvorsitzender 3
Neues von der BARMER 02.21 Simone Schwering ist neues Vorstandsmitglied der BARMER - Auf welche Aufgabe freuen Sie sich am meisten? Die BARMER mit meinen Impulsen strategisch weiter- zuentwickeln – mit viel Verantwortungsbewusstsein für fast neun Millionen Versicherte. Fassen Sie Ihre neue Rolle in einem Satz zusammen. Als Vorstandsmitglied möchte ich auf vielfältige Art und Weise eine Vorbild- funktion für rund 16.000 Kolleginnen und Kollegen einnehmen. Campus-Coach Wo sehen Sie die größte Ganz entspannt an der Uni Herausforderung für die Zukunft? Vorlesungen, Klausuren, Wohnungssuche - Studieren kann ganz schön stressig Unser Umfeld verändert sein. Damit dabei die Gesundheit nicht auf der Strecke bleibt, hat die BARMER den sich sehr schnell und die Campus-Coach entwickelt – eine kostenfreie App für Studierende und Universitäten. Digitalisierung ist eine wich- Ihr Ziel: ein umfangreiches Präventionsprogramm, das Studierende fit und gesund tige Komponente für eine hält. Im Campus-Coach steckt eine Menge: Mit der Meditations-App 7Mind Study zukunftsfähige Krankenkasse. entspannen Studentinnen und Studenten vom stressigen Uni-Alltag, bei einer inter- Eine große Herausforderung aktiven Co-Cooking-Session holen sie sich Ernährungstipps und neue Rezeptideen. wird sein, sich schnell auf Bei Fuck-Up-Nights diskutieren sie mit spannenden Speakerinnen und Speakern Veränderungen einzulassen über persönliche Misserfolge und tauschen sich bei Deep Talks untereinander über und trotz der Dynamik die Themen aus, die bewegen. Menschen in den Vorder- grund zu stellen. www.barmer.de/campus-coach 4
02.21 Neues von der BARMER Mehr Nachhaltigkeit Nicht nur reden, sondern handeln: Klima- und Umweltschutz sind Voraussetzungen für ein gesundes Leben. Die BARMER will bis 2030 klimaneutral werden und die CO 2 - Homöopathie Emissionen systematisch Alternative Wege gehen reduzieren: weniger Viele Menschen schätzen die Homöopathie als alternative Dienstreisen, Ökostrom, Behandlungsmethode bei Erkältungen, Verletzungen oder als Ergänzung bei schweren Erkrankungen, um Nebenwirkungen Gebäude sanieren, abzumildern. Die BARMER bietet für ihre Versicherten, die von mehr digitaler Service. der Homöopathie überzeugt sind, einen Vertrag an, der mit dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte abgeschlossen www.barmer.de/nachhaltigkeit wurde. Lediglich die verordneten homöopathischen Arzneimittel müssen selbst bezahlt werden. www.barmer.de/homoeopathie Ernährungs-Coaching Gesünder leben, besser fühlen - Ihr Arzt hat Ihnen eine Ernährungsberatung zur Unterstützung bei Ihrer Erkrankung Gürtelrose verordnet? Die Ernährungs-App Oviva hilft dabei, das Ernährungsverhalten dauerhaft Die Impfung schützt umzustellen. Als BARMER-Mitglied können Sie die App nutzen und so Ihr Essverhalten Wer einmal an Windpocken erkrankt war, kann auch eine Gürtelrose mithilfe zahlreicher Kochrezepte, Podcasts, entwickeln – eine sehr schmerzhafte Hauterkrankung. Schützen Videos und mit einem persönlichen Ernäh- kann eine Impfung. Die BARMER bezahlt diese jedem Versicherten rungscoach nachhaltig ändern. Aktuell ist über 60 Jahren. Bei Personen mit einer besonderen gesundheit- die Nutzung der Oviva-App für Versicherte lichen Gefährdung übernimmt die BARMER sogar bereits ab einem der BARMER bei der Anmeldung über den Alter von 50 Jahren die Kosten für die Impfung. Dazu zählen chro- Anmeldebutton kostenfrei. nisch Kranke, die unter Diabetes oder rheumatoider Arthritis leiden, aber auch alle immungeschwächten Patientinnen und Patienten. www.barmer.de/oviva www.barmer.de/guertelrose 5
Dossier Vereinte Kräfte 02.21 Klar kann man auch alleine loslegen. Aber zusammen geht es leichter. Was im Solo-Modus nicht glückt, das gelingt vielen. Auf den folgenden Seiten erzählen wir von Menschen, die mit vereinter Tatkraft an den Start gegangen sind und Großes in Bewegung gebracht haben. Wir erfahren, warum Vertrauen befreiend und Berührung so heilsam sein kann. Und wie Zusammenhalt, ob in der Familie oder in der Nachbarschaft, Menschen über sich hinauswachsen lässt. Gemeinsam 6
Dossier Vereinte Kräfte 02.21 Viele Hände, ein Ziel Sie engagieren sich für bessere Nahrungs- mittel, sammeln Plastik an Meeresstränden oder bauen zusammen ein Dorf in der Stadt. Drei Initiativen, die uns begeistern. Gemeinsam aktiv werden - Ob Diabetes, Depression oder Krebs – auch eine Erkrankung lässt sich im Austausch mit anderen ebenfalls Betroffenen oft besser meistern. Selbst- hilfegruppen engagieren sich für die Interessen ihrer Mitglieder und bieten Hilfe im Alltag. Die BARMER fördert gesundheitliche Selbsthilfe mit pauschalen Fördermitteln. Einzelne Projekte werden auch ganz gezielt unterstützt. www.barmer.de/gesundheitliche-selbsthilfe 8
02.21 Vereinte Kräfte Dossier Landwirtschaft verändert sich nur, wenn die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern wieder geschätzt wird. Für eine nachhaltigere Landwirtschaft und gesünderen Genuss - In der Berliner „Gemeinschaft“ koope- rieren Akteurinnen und Akteure aus der Landwirtschaft und der Lebensmittel- produktion auf neue Art. Vielleicht ist es schon dieser Satz. „Durch Nähe entsteht Verbindlichkeit“, sagt Frie- derike Gaedke, die Leiterin der Berliner Initiative „Die Gemeinschaft“. Vier Jahre ist es her, dass sich in der Hauptstadt und deren Umland Menschen verbunden ha- ben, um Essen nachhaltiger und hoch- 9
Dossier Vereinte Kräfte wertiger zu machen. „Die Gemeinschaft“ ist ein Zusammenschluss von Akteur- innen und Akteuren aus dem Lebensmit- telbereich – etwa aus der Landwirtschaft, der Gastronomie oder der ökologischen Fleisch-, Fisch- und Käseproduktion. Von zwei Berliner Restaurants gemeinsam mit Partnerbetrieben gegründet, will das Netzwerk „den Austausch entlang der ge- samten Wertschöpfungskette verbessern“, wie Gaedke das beschreibt. Also vom Landwirt bis zur Köchin, vom Bäcker bis zur Gastronomin. Anstelle von Rezepten teilt man in der „Gemeinschaft“ lieber die Ressourcen – und im Zweifel auch mal eine ganze Kuh auf mehrere abnehmende Restaurants auf. „Wenn wir in der Land- wirtschaft etwas verändern wollen, brau- chen wir langfristige Partnerschaften“, sagt Gastronomiewissenschaftlerin Gaedke. Statt auf Konkurrenz – die in der Gastro-Szene oft noch beherrschend ist Für weniger Plastikmüll in den – schwört die „Gemeinschaft“ auf Kolla- Weltmeeren boration. Gute Kontakte (etwa zu einem - guten Produzenten von Bio-Lamm) wer- Mit „Ozeankind“ schufen zwei junge den ebenso freigiebig geteilt wie Insider- Düsseldorfer eine tatkräftige Bewegung Wissen (über die handwerkliche Verarbei- von Freiwilligen, die Strände von Plas- tung von regionalem Fisch zum Beispiel). tikabfällen befreien. Bei Hofbesuchen und auf Symposien infor- mieren sich die Beteiligten über nachhal- Micha, 41, und Manchmal genügt ein Moment, um ein Le- tige Herstellung, bodenschonenden An- Marina Schmidt, 34, ben für immer zu verändern. Vor fünf Jah- bau und die handwerkliche Verarbeitung. lieben das Leben am und ren kreuzten Marina und Micha Schmidt „Unser Ziel ist die Etablierung eines ande- auf dem Wasser. mit einem Segelschiff vor den Malediven. ren Lebensmittel-Know-hows und lang- „Wir waren ganz alleine unterwegs, nir- fristig auch einer anderen Ausbildung in gendwo Menschen“, erzählt Marina. „Am Gastronomie und Handwerk“, sagt Gaed- Morgen springst du vom Boot, tauchst ab ke. Die Gastronomie sei ein guter Multi- und siehst die wunderschönen Korallen, plikator. Viel Inspiration für modernes Fische – und dann plötzlich all die Plas- Essen und Kochen kommt schließlich von tiktüten, die dort im Meer schwimmen.“ etablierten Küchenchefinnen und -chefs. Noch im Urlaub fassten Marina und ihr Das Konzept scheint aufzugehen. Zum Freund Micha den Entschluss, dass sie das „Symposium für eine neue Esskultur“, der Geld, das beide eigentlich für eine Welt- wichtigsten Veranstaltung des Vereins, reise gespart hatten, verwenden würden, reisen 250 Menschen aus dem gesamten um gegen die Plastikflut anzukämpfen. Bundesgebiet an. Es gibt Vorträge und Einen genauen Plan gab es nicht. Dennoch Workshops auf verschiedenen Bauern- kündigten sie ihre Wohnung in Düsseldorf höfen – und am Ende viele lange Tische, und ihre Jobs als Senior Online Sales Ma- an denen gemeinsam getafelt wird. Auch Friederike Gaedke, 30, nagerin und Teamleiter im Kundenservice. Genuss multipliziert sich bekanntlich, leitet die Berliner Initiative Sie packten ihre Rucksäcke und schrieben wenn man ihn gemeinsam zelebriert. „Die Gemeinschaft“. auf ihren Reisen den Blog „Ozeankind“ 11
02.21 Vereinte Kräfte Dossier über die desaströse Situation der Meere Für ein Mehrgenerationendorf in der und erste Müllsammel-Aktionen. Immer Millionenstadt mehr Menschen wollten mitmachen und - begannen an den Stränden von Malaysia, Eine Münchner Wohnungsbaugenos- Bolivien, Griechenland, Südafrika, Portu- senschaft trotzt überhöhten Immobi- gal, Sansibar und Vietnam aufzuräumen. lienpreisen und schafft eine engagierte Inzwischen ist „Ozeankind“ eine Um- Nachbarschaft von Gleichgesinnten. weltorganisation – und hat mit vereinten Kräften von Freiwilligen viele, viele Ton- Lena Krahl (41, li.) und Der Traum von den eigenen vier Wän- nen Müll an Stränden gesammelt. Einmal Progeno-Mitgründer den – für viele Menschen in deutschen im Monat findet ein Plastikrebell-CleanUp Philipp Terhorst (38, re.) Großstädten ist er angesichts der Immo- statt, bei dem Menschen auf dem ganzen engagieren sich bilienpreise fast unerreichbar. Die zwölf Globus mit anpacken. Auf Sansibar stehen genossenschaftlich. Initiatoren der privaten Baugenossenschaft inzwischen vier sogenannte SwopShops, in Progeno eG wollten das ändern. Und nicht denen Kinder Schulmaterialien, Kleidung nur das. „Mich hat gestört, dass wir in un- und Schuhe gegen gesammelte Plastik- serer Stadtwohnung die Nachbarn gar nicht flaschen eintauschen können. Und auch kennen. Unsere Kinder spielten nicht mit für deutsche Schulen haben Marina und Gleichaltrigen, gleichzeitig sah man viele Micha ein Umwelt-Arbeitsheft geschrie- ältere Menschen, die einsam waren“, sagt ben, um den Schülerinnen und Schülern Vorstand Philipp Terhorst. Gemeinsam mit zu zeigen, wie unverzichtbar Umweltschutz Freundinnen, Freunden und Bekannten ist. Aus einer kleinen Idee beim Baden gründete er 2016 die Wohnungsbaugenos- wurde plötzlich mit der Kraft der Gemein- senschaft. Unterstützt von der Stadt und schaft eine große Bewegung. „Ohne die mit dem Kapital zahlreicher Mitstreiterin- Unterstützung von so vielen gäbe es nen und Mitstreiter, erwarb die Progeno im ‚Ozeankind‘ nicht“, sagt Micha. „Du denkst, Stadtteil Bogenhausen ihren ersten städti- es ist ja nur ein einzelner Strohhalm, nach schen Baugrund. Das Ziel: bezahlbaren, ge- dem du dich bückst. Doch wenn es viele meinschaftsorientierten Wohnraum schaf- tun, entsteht eine enorme Macht.“ fen und Menschen aus unterschiedlichen Alters- und Berufsgruppen zusammen- bringen. Heute steht auf dem Baugrund ein nachbarschaftliches Idyll – mitten in der Stadt: Um einen „Dorfplatz“ gruppie- ren sich fünf energieeffiziente Häuser mit 48 Wohnungen. 250 Mitglieder zählt die Genossenschaft inzwischen – und steht für einen Trend, der in allen größeren Städten Deutschlands Fuß fasst. „Es ist ein ganz neues Gefühl von Miteinander, das wir hier leben. Ein bisschen wie auf einem Dorf “, beschreibt es Lena Krahl, die mit ihrem Mann und ihren drei Kindern eine 5-Zim- mer-Wohnung bewohnt, die nicht nur bezahlbar, sondern auf Lebenszeit sicher ist. „Alleine hätten wir das nie geschafft.“ Gemeinsam geht noch mehr: Im Westen von München baut die Progeno inzwischen das zweite Projekt mit 100 Wohnungen in nachhaltigen Holzgebäuden. B. Esser/K. Schwarze-Reiter 11
Dossier Freundschaft 02.21 Auf großer Fahrt 12
02.21 Freundschaft Dossier Zwei Männer gehen auf Reisen. Der eine ist 20, der andere 93. Gut 5.000 Kilometer legen die beiden in drei Wochen zurück. Und werden unterwegs beste Freunde. Carlos: Ich bin schon als Kind gerne gereist. Im Krieg kam ich nach Frankreich und Spanien, lebte dort mehrere Jahre. Mit Torben noch einmal dorthin zu fahren, E fand ich eine gute Idee. Er wollte ja erst nicht so recht. Da habe ich ihm die Reise zu Weihnachten geschenkt. Er musste also mitmachen. Torben: Stimmt. Ich war erst zögerlich we- gen Corona. Doch ich bin sehr glücklich, dass wir es gemacht haben. Es gab auch kritische Stimmen, die meinten, mit über 90 Jahren sei man zu alt zum Reisen und ich könne die Verantwortung nicht tragen. Carlos: Ich habe ihm gesagt, dass ich auf der Tour sterben kann – oder hier. Warum sollte man es deshalb bleiben lassen? Torben: So ist Carlos immer. Völlig Ein Zoom-Interview. Carlos (bürgerlich unerschrocken. Und ein sehr spontaner Karl-Heinz) Schulz sitzt mit Torben Kro- Typ, der mit jedem ins Gespräch kommt. ker in seiner Wohnung. Torben richtet den Ich war, ehrlich gesagt, ein Kontrollfreak. Bildschirm aus, Carlos führt das Wort. Die Abenteuerlust habe ich mir von Carlos abgeschaut. Torben, Carlos, zwischen Ihnen liegen 73 Jahre – ein ungewöhnlicher Alters- Zitat aus dem Buch: unterschied für eine Freundschaft. Frankreich im Sonnenschein. Zum ersten Torben: Das sagen viele. Vor fünf Jahren Mal seit unserem Aufbruch heute Morgen fing ich an, bei Carlos Rasen zu mähen, um habe ich das Gefühl, unentrinnbar in dieses Geld zu verdienen. Aber Stück für Stück Abenteuer verstrickt zu sein. Carlos sitzt, bin ich mehr Freund als Gartenbeauf- wie immer erzählenderweise, als lebender tragter geworden. Irgendwann war ich fast Podcast neben mir. Das meiste von dem, jeden Tag dort. Wir essen zusammen zu was er erzählt, habe ich schon gehört, aber Abend und Carlos erzählt mir von seinem allmählich kommen Farbe und Leben in Leben. Oder wir machen Ausflüge nach die Geschichten. In den Niederlanden habe Düsseldorf. Da kommt Carlos her – ich ich mein Autoradio abgestellt – kein Be- habe durch ihn überhaupt erst die Groß- darf. Wann werde ich es wieder einschalten? Einsteigen, bitte! Torben stadt kennengelernt. Wir sind ein gutes Knapp drei Wochen später, auf dem Rück- Kroker (li.) chauffierte Carlos Team, oder? weg, als wir wieder in Deutschland sind. Schulz in einem alten Carlos: Na ja, ich werde dich halt nicht Mercedes durch Europa. mehr los. Das heißt, Sie sind einfach so losge- Torben: Willst du mich denn loswerden? fahren? Carlos: Nö! Wir passen ja gut. Torben: Wie gesagt: Ich plane gerne. Wir haben uns deshalb vorher zusammen- Sie, Carlos, hatten auch die Idee mit gesetzt und jeder durfte abwechselnd einen der Reise ... Ort nennen, wo es hingehen soll. Carlos 13
Dossier Freundschaft 02.21 „Manche verstehen unsere Freundschaft nicht. Wir haben uns nicht gesucht – aber wir haben uns gefunden.“ Torben Kroker, 21, Student Roadtrip des Lebens wollte zu den Orten, in denen er als jun- - ger Mann gelebt hat, zum Beispiel Eibar in Der Tourverlauf: Von Emmerich Spanien. Ich wollte unbedingt Monaco se- (NRW) ging es über Versailles hen. So entstand die Route. Ich habe auch und Nantes nach Bordeaux. Hotels rausgesucht – und dann immer ein Das spanische Städtchen Eibar paar Tage im Vorfeld fest gebucht. war für Carlos ein Sehnsuchts- Carlos: Ich war 1945 in Frankreich in ziel, auch in San Sebastián Kriegsgefangenschaft und lebte danach wurde haltgemacht. Über noch drei Jahre in Spanien. Es war eine Toulouse und Marseille weiter gute Zeit. Gerade die, die im Krieg gegen nach Monaco – Torbens die Deutschen gekämpft haben, haben uns Must-Go auf der Liste. am besten aufgenommen. Ich wollte gerne heute zum ersten Mal begegnet, als würden Nächste Station: Mailand. Von noch mal dorthin – auch, um Torben alles sie sich vielmehr aus alten Tagen kennen. dort zurück nach Stuttgart, zu zeigen. wo beide von Medienleuten Torben: Deine Erzählungen zu hören und Nostalgie war Programm auf Ihrer Reise. empfangen wurden. Inzwi- dazu die Orte zu sehen, war ein unvergess- Sie hatten auch ein sehr altes Auto ... schen war das Reisegespann liches Erlebnis. Zum Beispiel als wir in San Torben: Ich liebe Autos – der Mercedes so bekannt geworden, dass es Sebastián auf dem Monte Igueldo standen 230 Coupé ist mein Sommerauto. Er passte ein Filmteam auf der letzten und auf die Stadt blickten. Carlos hat hier genau für diese Reise. Carlos wollte sowie- Autobahn-Passage eskortierte. in Emmerich ein Poster hängen, das die- so vor allem Landstraße fahren. Außerdem sen Ausblick zeigt – großartig, das jetzt in war er ja selbst früher Autohändler – dieses Nachzulesen ist die Geschichte echt zu sehen. Oder als wir in Eibar Station Modell kennt er. Ganz neue Wagen nicht. von Carlos und Torben in machten ... Das Auto hat keine Klimaanlage, dafür ihrem gerade erschienenen kann man alle Fenster runterkurbeln, das Buch „5.000 km Freundschaft: Zitat aus dem Buch: Schiebedach aufmachen. Ein superschönes Der Roadtrip unseres Lebens“. Carlos hat es sich auf der Terrasse des Hotels Reisegefühl und Urlaubsfeeling. in Eibar gemütlich gemacht und plaudert mit dem Hotelbesitzer, erzählt ausgiebig von Sie gehen sehr auf Ihren Freund ein. unserer Reise, unseren Plänen und seiner Torben: Manche verstehen unsere Freund- Vergangenheit – auf Spanisch. Es ist ein et- schaft nicht. Für mich ist es so: Wir haben was knarziges, etwas eingerostetes Spanisch, uns nicht gesucht – aber wir haben uns aber die Wörter fliegen ihm zu. Ich wusste gefunden. Fast fühlt es sich wie Schicksal ja, dass er’s kann, aber ihn so zu erleben, an. Carlos war ja schon 89 Jahre, als ich an- wie nach langem Exil endlich heimgekehrt, fing, bei ihm Rasen zu mähen. Inzwischen ganz in seinem Element – das geht mir nahe. bin ich 21 und Carlos ist 94. Dass wir jetzt »Wann warst du hier?«, will die Frau des Be- noch diese Freundschaft aufbauen können, sitzers von ihm wissen. »Vor siebzig Jahren? dafür muss man dankbar sein. Und jetzt bist du dreiundneunzig?« Und Carlos: Von mir aus können wir gleich nun kommt Carlos erst recht in Fahrt – es wieder los. ist, als wären sich die beiden Männer nicht Carola Kleinschmidt 14
02.21 Essay Dossier Ein gutes Tauschgeschäft Vertrauen stärkt uns als Einzelne und als Gesellschaft. Und macht das Leben freundlicher. Ein Plädoyer für weniger Skepsis von Lisa Rosenberger M Mein Professor schen so traumatische Dinge sagte mal, dass erlebt haben, dass sie ihren Vertrauen wie Mitmenschen oder Institutio- Medizin für nen eher misstrauisch begeg- unsere Gesellschaft ist: Es hilft nen. Dafür habe ich natürlich gegen Einsamkeit und stärkt vollstes Verständnis. Aber unser mentales und physisches deshalb grundsätzlich mehr Wohlbefinden. Das ist sogar Misstrauen zu fordern, wäre wissenschaftlich erwiesen. falsch. Wer mit einer Grund- Aber was ist Vertrauen eigent- skepsis anderen gegenüber lich? Im Grunde ist es ein so- durch das Leben geht, vergibt ziales Tauschgeschäft, bei dem die Chance auf neue Bande wir etwas für uns Wertvolles und tragfähige Beziehungen. mit anderen teilen. Das für uns Wir sind soziale Wesen und in Wertvolle kann alles Mögliche Gesellschaft am glücklichsten. sein: etwas ganz Konkretes wie Haben Sie Mut zu vertrauen! die Heckenschere, die ich den Damit tun Sie sich selbst und Nachbarn im Gemeinschafts- Ihrer Umgebung etwas Gutes. garten leihe. Aber auch viel Auch wenn Ihr Nachbar den weniger greifbare Dinge – ein Ast überm Gartentor stehen Geheimnis zum Beispiel. Auch gelassen hat. wenn wir unsere Kinder in die Obhut eines Kindergartens entlassen, setzt das Vertrauen den lästigen Ast vorm Garten- schwierigen oder krisenhaften voraus. Egal, was wir teilen, tor kürzt. Oft wissen wir aber Situationen wissen wir, wie toll wir gehen immer ein gewisses gar nicht, ob und wann es es ist, Nachbarn zu haben, die Risiko ein, dass unser Ver- einen Gegendienst geben wird. mit anpacken. Und Freundin- trauen nicht erwidert wird. Wenn wir jemandem ein Ge- nen, Freunde und Familie, die Risikoscheue Menschen heimnis anvertrauen, tun wir ihre Unterstützung anbieten. fragen sich vielleicht manch- das schließlich nicht, weil wir Vertrauen hält alles zusam- mal, warum wir dann über- eine Gegenleistung erwarten. men. Das beginnt mit dem haupt anderen vertrauen. Und doch wagen wir es. Weil Vertrauen in sich selbst und Dr. Lisa Rosenberger Ganz einfach gesagt: weil wir es sich gut anfühlt. Und weil setzt sich fort in einem Ver- - glauben, dass es einen Mehr- wir damit ein Band schaffen trauen auf das Gute und Ge- Die 33-Jährige hat soziale wert hat. Das kann eine ganz mit unseren Mitmenschen. lingende. Sie denken vielleicht, Psychologie in Utrecht praktische Erwägung sein, zum Ein Band, das uns helfen dass ich ein zu rosarotes Bild studiert und in Wien Beispiel die Hoffnung oder kann, wenn es uns mal nicht male? Weil es auch Situationen zum Thema Vertrauen Erwartung, dass der Nachbar so gut geht oder wir Unter- gibt, in denen man vorsichtig promoviert. Sie lebt in mit meiner Heckenschere auch stützung brauchen. Gerade in sein sollte. Und manche Men- den Niederlanden. 15
Dossier Familienbande 02.21 Fotografin Luise Aedtner (37, li.) dokumentierte die Krebserkrankung ihrer Mutter Katrin (re.) in Bildern. 16
02.21 Familienbande Dossier An deiner Seite Katrin Aedtner hatte dreimal Brustkrebs. Halt gaben der heute 62-Jährigen ihr Mann und ihre beiden Töchter. Die jüngere, Luise Aedtner, ist Fotografin. Mit ihrer Kamera begleitete sie ihre Mutter durch die Therapie. Nach der operativen Wieder- herstellung der Brüste musste Katrin Aedtner ein halbes Jahr lang einen Spezial-BH tragen. 17
Dossier Familienbande 02.21 Für die Familie begann nun das, was Luise Aedtner den „Kreislauf der Sorgen“ nennt. Luise Aedtner: „Wenn man zum Studieren weggeht, will man sich von seinen Eltern emanzipieren. Stattdessen musste ich mir so krasse Sorgen machen! Mein Vater, meine Schwester und ich hatten solche Angst um Mama. Unsere Furcht wiederum hat ihr Sorgen bereitet.“ K Katrin Aedtner war gerade 47 Katrin Aedtner: „Weil ich allen zur Last Katrin und Olaf Aedtner sind und stand als Zahnärztin voll fiel, hatte ich ständig ein schlechtes Gewis- seit 41 Jahren verheiratet. im Berufsleben, als sie in ihrer sen. Ich brauchte kein Mitleid. Lieber woll- Der Gynäkologe betreute seine Brust einen Knoten spürte. Sie te ich den Krebs angreifen, weitermachen. Frau auch medizinisch. bat ihren Mann nachzuschauen – ist sie Fünf Jahre später galt ich als genesen, doch doch nicht nur die Ehefrau des Gynäkolo- leider ging 2015 alles von vorn los. Wieder gen, sondern auch seine Patientin. entdeckte ich einen Knoten, eine andere Art von Brustkrebs. Wieder wurden Tumor Katrin Aedtner: „Der Tumor war klein, nur und Lymphknoten entfernt, wieder folgten zwei Millimeter. Trotzdem musste ich sechs- Chemotherapie und Bestrahlung. Ich wur- mal zur Chemotherapie und 33-mal zur de gesund, doch als wäre das nicht genug, Bestrahlung. Operativ wurden auch die erkrankte ich 2019 erneut, eine dritte Art Lymphknoten und die Eierstöcke entfernt Krebs. Da traf ich die Entscheidung, mir die – weil der Tumor hormonabhängig wuchs. Brüste abnehmen zu lassen. Kurz vorher hat Plötzlich war ich in den Wechseljahren. Da Luise die Fotos gemacht.“ mein Mann mich behandelt hat, konnte ich andere Fragen stellen und musste auf Ant- Seit Jahren verbringen die Aedtners viele worten nicht lange warten. Ich weiß noch, Sommertage in ihrem Häuschen am See, dass wir nach Weihnachten im Schnee spa- nicht weit vom Zuhause der Eltern ent- Besser-Leben-Programm bei zieren gingen und ich ihn fragte: ‚Muss ich fernt. Auch 2019 kam die Familie dort zu- Brustkrebs sterben?‘ Er sagte: ‚Nein!‘ Und erklärte mir, sammen, einen Monat vor der Operation. - was Ärzte alles gegen Brustkrebs tun können Das Disease-Management- und dass es gute Überlebenschancen gebe.“ Luise Aedtner: „Ich hatte meine neue Programm (DMP) der BARMER Luise Aedtner: „Als Ärzte konnten meine Kamera dabei und fragte Mama, ob wir unterstützt an Brustkrebs Eltern das pragmatisch angehen. Papa hat Aktfotos machen wollen, damit sie sich von erkrankte Frauen. Die Teil- die Diagnose, glaube ich, eher als Gynäko- ihren Brüsten verabschieden konnte – es nahme ist kostenlos. Zu den loge betrachtet, weniger als Ehemann. So waren schließlich schöne Brüste! Also haben Leistungen gehören umfas- konnte er das gefühlsmäßig von sich weg- wir am See unser kleines Shooting gemacht, sende Kontrolluntersuchungen schieben. Ich bin da anders. 2007 studier- meine Schwester hat assistiert. Die Fotos, nach der Therapie, seelische te ich in Würzburg und war gerade in der auf denen Mama im Badeanzug auf dem Betreuung, individuelle Tram, als mein Vater anrief: ‚Setz dich mal Steg sitzt und liegt, sind meine liebsten. Da Beratung zu Sport und hin, Mama hat Krebs.‘ Hätte man das wirk- sieht sie wunderschön aus.“ Ernährung, Unterstützung bei lich am Telefon sagen müssen? Doch auch Katrin Aedtner: „Ich finde alle Bilder toll der Langzeittherapie und den Papa hatte Angst. Einmal kam er nach Hau- und bin stolz auf Luises Arbeit. Das Shoo- Rehabilitationsmaßnahmen. se und verschwand direkt im Keller. Ich ging ting war sehr einfühlsam. Dass beide Töch- Patientinnen, die teilnehmen ihm nach und fand ihn schluchzend, ganz ter dabei waren, fand ich sehr anrührend – möchten, können das DMP mit allein. Er hatte Mamas Laborergebnisse be- es verbindet uns bis heute. Ich wusste ja, dass ihrem Arzt besprechen. kommen und sagte: ‚Luise, es kann sein, dass Luise wunderschöne Bilder macht, zweifelte sie stirbt.‘ Nie zuvor hatte ich Papa weinen aber, ob man einen kranken, älteren Körper www.barmer.de/dmp-brustkrebs sehen, das hat mir solche Angst gemacht!“ überhaupt ästhetisch darstellen kann.“ 18
02.21 Familienbande Dossier Bevor ihre Brüste abgenommen wurden, stand Katrin ihrer Tochter noch einmal Modell (li.). Zur Entspannung machte die Mutter mit ihren Töchtern Yoga am See (unten). sich präventiv operieren lassen. Als wir auf die Ergebnisse warteten, sagte sie: ‚Mir ist egal, was bei mir ist. Ich will nur, dass du es nicht hast.‘ Zum Glück stellte sich heraus, dass wir das Gen beide nicht geerbt haben.“ Katrin Aedtner: „Bei mir bleibt die Angst, dass der Krebs zurückkommt. Bei Vorsorge- untersuchungen würde ich das Ergebnis manchmal am liebsten gar nicht wissen. Es geht mir heute gut. Aber die Narben spannen unangenehm, als trüge ich eine zu enge Weste.“ Drei Krebsdiagnosen, drei langwierige Therapien und sieben Operationen liegen hinter Katrin Aedtner – und viele Jah- re Hoffen und Bangen hinter der ganzen Familie. Die Krankheit der Mutter habe ihre Beziehung verändert, sagen sie. Luise Aedtner: „Wir sind extrem zusam- mengewachsen. Ohne den Krebs hätten wir uns vielleicht auseinandergelebt. Meine Nachdem beide Brüste abgenommen Eltern scheinen gelernt zu haben, was wirk- waren, ließ sich Katrin Aedtner Implan- lich wichtig ist im Leben: Partnerschaft, tate einsetzen. Doch weil ihre Haut durch Familie. Dass Arbeit nicht alles ist. Mamas Chemotherapie und Bestrahlung dünn ge- Krankheit hat unser Leben zum Guten worden war, heilten die Wunden monate- verändert. Aber natürlich nur, weil es gut für lang nicht. Ein plastischer Chirurg trennte sie ausgegangen ist.“ schließlich Haut- und Muskelgewebe von Katrin Aedtner: „Der Krebs hat uns zu- ihrem Rücken ab, die er nach vorn zu den sammengeschweißt. Mir hat die Fürsorge Brüsten zog, damit sie dort einheilen konn- meiner Familie in dieser Zeit viel bedeutet. ten. Dreimal hat Katrin Aedtner den Krebs Meine Töchter gaben mir das Gefühl, dass überlebt. Weil es sich um einen erblich be- sie mich wirklich brauchen. Dass die ganzen dingten Tumor handelte, haben die beiden Therapien nicht sinnlos sind, tat so gut zu Töchter einen Gentest machen lassen. wissen! Ich möchte doch Luises zukünftige Familie kennenlernen, meine Enkelkinder Luise Aedtner: „Ich wollte es unbedingt aufwachsen sehen und noch so vieles mit wissen, wegen der Familienplanung. Meine meinem Mann unternehmen.“ Schwester hat schon drei Kinder, sie hätte Sina Horsthemke 19
Dossier Berührung 02.21 Interview Kuscheln gegen Stress Warum Berührungen so heilsam sein können. Ganz zufrieden - Was macht mein Leben lebenswert? Und mich glücklich? Darüber sprechen Menschen auf: www.barmer.de/lebensrezepte F Frau Büttner, Im Mutterleib nimmt ein Blick einher. Ein Kontakt von Der anerkennende Schulter- in Ihrem Beruf Ungeborenes seine Umwelt Hand zu Hand oder eine klopfer ist eine sehr wichtige als Sexual- und ausschließlich durch Berüh- Umarmung sind für jeden Geste – in der Politik, im Job. Psychotherapeutin rungen und Geräusche wahr. Menschen bedeutsam. Ohne Oder die herzliche Umar- dreht sich viel um Als Säugling erlebt es seine diese Zuwendung verarmen mung: Sie steht für Liebe und Berührungen. Warum sind Umgebung dann auch über wir. Gerade bei Älteren, Zuneigung, das gilt für Paar- diese für Menschen so das, was es körperlich fühlt die keine Partnerin, keinen beziehungen ebenso wie für existenziell? und wie mit ihm umgegangen Partner haben oder gepflegt Freundschaften. Durch Berüh- Wenn sie von den richtigen wird. Zärtliche Berührun- werden müssen, wird häufig rung entsteht Gemeinschaft. Menschen und im richtigen gen vermitteln Wohlwollen, vergessen, dass sie ein Bedürf- Wenn sie fehlt, empfinden wir Moment kommen, können wir sie symbolisieren: Da ist ein nis nach Zärtlichkeit und viel- das als Belastung. durch sie Sicherheit, Gehalten- Mensch, der auf mich eingeht. leicht auch nach Erotik haben. Interview: Kira Brück sein und Gemeinschaft emp- Studien zeigen sogar, dass Wenn für einen Menschen finden. Ganz tiefe Bedürfnisse langsames Streicheln bei Babys Intimität eine wichtige Res- werden da angesprochen. schmerzlindernd wirken kann. source im Leben ist und diese Umgekehrt können Berührun- Umgekehrt fühlt sich ein Kind wegbricht, kann viel Lebens- gen aber auch Unsicherheit, ohne Körperkontakt mutter- energie abhandenkommen. Ohnmacht und Ausgeliefert- seelenallein – das kann den sein auslösen, wenn wir im Boden für spätere psychische Studien zeigen, dass falschen Moment von einer Erkrankungen bereiten. sich Umarmungen positiv nicht passenden Person an- auf den Umgang mit Dr. Melanie Büttner gefasst werden. Der Kontext ist Was macht es mit Men- Konflikten auswirken, - sehr entscheidend. schen, wenn keiner mehr wir Stress abbauen und Die Sexual- und Psychothe- ihre Hand hält oder sie mal sich unsere Herzfrequenz rapeutin praktiziert in Mün- Berührt werden ist auch in den Arm nimmt? verlangsamt. Welche chen. Ihr Buch heißt „Ist das eines der Grundbedürfnis- Oft gehen Berührungen mit Berührungen sind im normal? Sprechen wir über se von Babys. einem liebevollen Wort oder Alltag wichtig? Sex, wie du ihn willst". 20
Zahlen & Fakten Dossier Symbiosen mit Sinn 4 Von der Seeanemonen-WG bis zur Glücksquelle Ehrenamt – überraschende Faktenfunde aus der Forschung. 87 1.200 Ehrenamt Freundschaften Symbiosen verschiedene Seeanemonen-Arten gibt es in den Weltmeeren. Sie gehen gerne Wohngemeinschaften mit Studien zu den Auswirkungen Clownfischen ein, denen sie durch 58 eines Ehrenamts verglichen vier ihre giftigen Tentakel Schutz bieten. Forscherinnen. Ergebnis: Ehrenamt- lichen geht es psychisch besser, Jobwelt sie pflegen einen gesünderen Lebens- stil und sterben später. Tierisches Miteinander 6.000 Kilometer lang ist die größte Amei- enge Freunde haben die Deutschen Studien über Bürogemeinschaften senkolonie der Welt. Sie verläuft von im Schnitt. Der erweiterte Freun- werteten Forschende aus. Sie fanden Spanien bis zur italienischen Riviera. deskreis besteht aus elf Personen. heraus: Wer sich mit dem Arbeitgeber Eine beste Freundin oder einen oder dem Team im Büro identifizieren besten Freund haben zwei von drei. kann, ist glücklicher und gesünder. 88% 65.706.000 Vertrauen in die Profis Lebensform der Deutschen vertrauen Ärztinnen und Ärzten, Pflegenden und Menschen in Deutschland leben nicht alleine, sondern mit jemand anderem medizinischen Personal. anderem zusammen. Das sind gut 79,9 Prozent der Bevölkerung. 21
Gesund bleiben Schmerztherapie 02.21 Zurück in die Balance 22
02.21 Schmerztherapie Gesund bleiben Viele Schmerzgeplagte ziehen von Praxis zu Praxis auf der Suche nach der richtigen Diagnose. Die Gefahr, dass Schmerzen chronisch werden, erhöht sich durch die Odyssee. Das IMA-Verfahren, bei dem Profis aus verschiedenen Fachdisziplinen ihre Befunde zusammenführen, soll den Weg zur richtigen Therapie beschleunigen und so chronisches Leiden verhindern. 23
Gesund bleiben Schmerztherapie 02.21 D Der Schmerz kommt aus dem Nichts. Er beginnt mit einem Ziehen, kriecht den Nacken hoch, spannt sich über die rechte Aktiv dagegenhalten: oder linke Seite des Kopfes. Dann schlägt Bewegung und Entspannung er mit voller Wucht zu. „Wenn ich nichts können den Teufelskreis gegen die Migräne nehme, bin ich für Schmerz durchbrechen. ein bis drei Tage völlig ausgeknockt. Ich Sie wollen jene Schmerzgeplagten heraus- muss mich übergeben, kann nichts essen filtern, bei denen die Gefahr der Chroni- und nicht arbeiten“, erzählt die Geografin fizierung besteht. „Wir haben deutliche Claudia Huthmann (Name von der Re- Hinweise darauf, dass sogar Menschen, daktion geändert). Bei einem Reiseanbie- die bereits wiederkehrende Schmerzen ter berät sie Abenteuerlustige, die in den haben, von der berufsgruppenübergreifen- Polargebieten oder Nordeuropa Urlaub den Untersuchung profitieren“, sagt Ursula machen wollen. Sie ist selbst leidenschaft- psychische oder soziale Umstände das Lei- Marschall, Schmerzmedizinerin und Ab- liche Weltenbummlerin. Doch in den den. „Das ist vor allem dann der Fall, wenn teilungsleiterin Medizin und Versorgungs- letzten Jahren musste sie ihre Reisepläne Erkrankte Risikofaktoren aufweisen, wenn forschung bei der BARMER. „Häufig hilft manchmal auf Eis legen, zu häufig plag- sie etwa eine Depression haben oder auf es schon, die Betroffenen über die Verbin- te sie ihre starke Migräne. Dabei hatte Lebensumstände sehr sorgenvoll reagie- dung von Körper und Seele im Zusammen- Huthmann einiges versucht – Biofeedback, ren“, sagt Anke Preißler, Schmerzmedizi- hang mit ihren Schmerzen aufzuklären.“ Entspannungsübungen, Schmerzmittel. nerin am Universitäts SchmerzCentrum Das war auch bei der Migränepatien- Nichts half dauerhaft. Dresden. Dauern Schmerzen mehrere tin Claudia Huthmann nicht anders: Ein Wochen an, hinterlassen sie Spuren im Ge- Schmerzmediziner, ein Psychologe und Auch die Seele spielt mit hirn. Dieses Schmerzgedächtnis erschwert ein Physiotherapeut untersuchten die die Behandlung. 32-Jährige jeweils eine Stunde lang und Zehn bis 20 Prozent der Deutschen lei- Das ließe sich meist verhindern – besprachen die Befunde mit ihr in einer den unter chronischen Schmerzen. Die durch eine frühe Diagnose und eine ge- interdisziplinären Runde. „Am wichtigs- häufigsten Beschwerden sind Kopf- und zielte Behandlung. Zusammen mit der ten war für mich zu verstehen, wie viel ich Rückenschmerzen, gefolgt von Schmerzen Deutschen Schmerzgesellschaft (DSG) selbst tun kann, um die Migräne zu lindern, durch Osteoporose, Rheuma und Krebs. startete die BARMER im Jahr 2018 daher und dass ich den Schmerzen nicht hilflos Schmerz gilt als chronisch, wenn er länger ein Projekt im Innovationsfond mit einem ausgeliefert bin“, erzählt die Dresdnerin. als sechs Monate besteht oder wie bei der speziellen diagnostischen Verfahren: IMA. Migräne häufig wiederkehrt. Die Abkürzung steht für interdisziplinäres Rasche Hilfe ist geboten Wenn aus akuten dauerhafte Schmer- multimodales Assessment. Spezialistinnen zen werden, hat das nicht nur eine Ursache. und Spezialisten verschiedener Fachrich- Bundesweit bieten derzeit 31 Einrichtungen Meist befeuern sowohl körperliche als auch tungen suchen dabei nach Risikofaktoren. das Programm für BARMER-Versicherte 24
02.21 Schmerztherapie Gesund bleiben 20 Apps und Initiativen Die BARMER macht sich stark gegen chronische Schmerzen – erfolgreiche Beispiele. Prozent der Deutschen leiden unter Pain 2.0 POET-Pain Feed-bApp dauerhaften Schmerzen. - - - Gemeinsames Pro- Das Programm dient Kinder mit chroni- jekt von Deutscher der Prävention von schen Schmerzen Schmerzgesellschaft postoperativen chro- erlernen während des und BARMER: Ein nischen Schmerzen. Klinikaufenthalts multimodales The- Ein interdisziplinäres Strategien und Verhal- an. Schon bald werden es mehr sein. rapieprogramm für Team untersucht tensweisen, um besser Interessierte Kliniken können sich über die Gruppen von drei Patientinnen und mit dem Schmerz Deutsche Schmerzgesellschaft dafür an- Stunden pro Woche Patienten vor OPs, umzugehen. Nach der melden. Wer unter Schmerzen leidet, (plus Einzelsitzungen) nach denen gehäuft Entlassung schaffen sollte sich rasch Hilfe suchen. Erste Anlauf- über zehn Wochen Schmerzen auftreten, es allerdings viele stelle ist die Hausärztin oder der Hausarzt. durch ein interdiszi- und die Personen, nicht, diese Strategien Auf der Internetseite (www.pain2020.de) plinäres Team (Me- die mögliche Risiko- im Alltag dauerhaft sind sämtliche IMA-Zentren in Deutsch- dizin, Psychologie faktoren wie Ängste anzuwenden. land aufgelistet. und Physiotherapie) und Depressionen Die Feed-bApp will entwickelt und evi- oder Vorerkrankungen Kinder mit chroni- Wissen schafft Veränderung denzbasiert evaluiert. wie Diabetes auf- schen Schmerzen und 6.000 Patientinnen weisen. Sie erhalten ihre Eltern über Für Migräne-Patientin Huthmann brach- und Patienten an 26 einen individuellen verschiedene Feed- te die IMA einen Perspektivwechsel. „Ich Schmerzzentren sollen Behandlungsplan, back-Funktionen bei werde nicht einfach weiter abwarten und mitmachen. Ziel ist, werden postoperativ der Schmerzbewälti- den Schmerzen die Kontrolle über mein die Vorteile des fach- psychologisch betreut gung im Alltag unter- Leben überlassen“, entschied sie. Die übergreifenden Ansat- und bekommen ein stützen. Eine Studie Geografin begann eine interdisziplinäre zes zu zeigen, sodass individuell abgestimm- mit 400 Kindern und multimodale Schmerztherapie. Die mo- Krankenkassen diese tes Physiotherapie- Jugendlichen sowie derne Behandlung setzt an allen Hebeln Therapieform flächen- programm. ihren Eltern evaluiert an, die beim Schmerz eine Rolle spielen: deckend übernehmen. die App. Bewegung, Psyche, Medikamente und Ent- www.barmer.de/poet-pain spannung. Huthmanns Leben ist dadurch www.barmer.de/pain2.0 www.barmer.de/feed-bApp ein großes Stück leichter geworden. „Die Anzahl meiner Anfälle hat sich halbiert“, erzählt sie. „Jetzt mache ich auch wieder Reisepläne.“ Nächstes Frühjahr möchte sie nach Island fahren. Constanze Löffler 25
Gesund bleiben Engagement 02.21 Im Einsatz für die Versicherten Die Frauen und Männer des BARMER-Verwaltungsrats arbeiten ehrenamtlich – neben Beruf und Familie. Ihr Antrieb sind die Belange und Bedürfnisse der Versicherten. S Sie führen Hunde aus, bringen Menschen, die sich dort ehrenamtlich alten Menschen die Einkäu- einbringen, ebenfalls damit beauftragt, fe nach Hause, sammeln Müll in Krisen beizustehen und – im übertra- im Wald oder lassen alles lie- genen Sinn – Brände zu löschen. Bei der Andrea Wiedemann, 60, gen und stehen, um mit der freiwilligen BARMER bilden 30 Frauen und Männer Sekretärin im Feuerwehr Brände zu löschen. Rund 17 den Verwaltungsrat. Sie rekrutieren sich Medizinischen Dienst Millionen Menschen in Deutschland en- aus allen Altersgruppen, gesellschaftlichen gagieren sich ehrenamtlich – vor allem in Schichten und Berufen. Leitende Ange- Sportvereinen, kirchlichen Einrichtun- stellte der Post und einer Arbeitsagentur gen oder Hilfsorganisationen. Wer glaubt, sind darunter, eine Ärztin, ein selbst- es sei um den Gemeinsinn in unserem ständiger Trainer und Kommunikations- Land schlecht bestellt, wird eines Besse- berater sowie ein Personalbereichsleiter. ren belehrt: Jeder vierte Deutsche bringt Viermal im Jahr lassen sie sich für jeweils sich selbstlos für andere ein, ohne dafür drei Tage von ihren regulären Berufen be- Entlohnung zu erwarten. Das Ehrenamt freien, reisen oft quer durch die Republik hat eine lange Tradition und ist einer der nach Berlin oder in eine andere Stadt und Grundpfeiler unserer demokratischen Ge- beraten von früh bis spät in verschiede- sellschaft. Ohne ehrenamtliches Engage- nen Gremien und Ausschüssen. Ihre Ver- ment würde das gesellschaftliche Leben in antwortung: Sie vertreten die Belange der vielen Bereichen zum Erliegen kommen. Versicherten gegenüber der Krankenkasse Wie ist der Verwaltungsrat der Nicht jedes Engagement ist so offen- und treffen alle Entscheidungen der Kasse BARMER organisiert, wie laufen sichtlich wie etwa ein Einsatz der frei- von grundsätzlicher Bedeutung. „Wir sind die Sitzungen ab? willigen Feuerwehr. Den Verwaltungsrat eine Art Kontrollinstanz, die im Blick hat, der eigenen Krankenkasse zum Beispiel wofür die Gelder der Mitglieder verwendet www.barmer.de/verwaltungsrat kennen manche gar nicht. Dabei sind die werden“, sagt Jochen Berking. Der pensio- 26
02.21 Engagement Gesund bleiben „Mein Sohn findet es toll, dass ich mich dafür einsetze, dass alle Kinder nierte Gewerkschaftssekretär sitzt seit 13 Jahren im Verwaltungsrat und ist damit ein wichtige Untersuchungen bekommen.“ langjähriges Mitglied. „Ich empfinde es als eine wirklich wichtige Aufgabe“, sagt der 67-Jährige. „In unseren Diskussionen und Entscheidungen geht es um die Festlegung der Versichertenbeiträge, um die Erweite- rung von Präventionsleistungen oder um die Wahl des hauptamtlichen Vorstands.“ Wichtiges Kontrollgremium Katrin von Löwenstein, 42, leitende Angestellte In den monatlich stattfindenden Wider- bei der Agentur für Arbeit spruchsausschüssen sind die Mitglieder Neues zur Sozialwahl 2023 sogar mit ganz individuellen Schicksalen - konfrontiert. „Legt eine Versicherte oder In Deutschland können ein Versicherter bei der Krankenkasse Versicherten einsetze“, sagt die 60-Jähri- Versicherte und Arbeitgeber Widerspruch ein, weil eine bestimmte ge. „Und ich lerne jedes Mal viel Neues.“ alle sechs Jahre ihre eigenen Behandlung abgelehnt wurde, berät der Auch schon in der Vorbereitung: Für jede Vertreterinnen und Vertreter Ausschuss, ob die spezielle Therapie doch Sitzung müssen sich die Mitglieder der Wi- in die Gremien der Sozialversi- genehmigt werden kann“, erklärt Andrea derspruchsausschüsse durch bis zu 1.000 cherungsträger wählen. Bei Wiedemann. „Für manche Menschen kann Aktenseiten arbeiten. den Ersatzkassen, zu denen die Arbeit der ehrenamtlichen Ausschuss- Katrin von Löwenstein, mit 42 Jah- auch die BARMER zählt, sind mitglieder also einen großen Unterschied ren ein mitten im Berufsleben stehendes dies die sogenannten Ver- machen.“ Andrea Wiedemann arbeitet als Mitglied, hat zwei Stunden in der Woche waltungsräte. Die nächsten Sekretärin im Medizinischen Dienst Ber- fest für den BARMER-Verwaltungsrat re- Sozialwahlen finden am 31. Mai lin-Brandenburg und ist als Mitglied im serviert, die Nachtschichten vor den Sit- 2023 statt. Dabei wird es einen BARMER-Verwaltungsrat stellvertreten- zungen nicht eingerechnet. Sie geht ihr En- Modellversuch geben: Zum de Vorsitzende eines Widerspruchsaus- gagement im Finanzausschuss strukturiert ersten Mal kann die Stimm- schusses. Eine Freundin hatte sie vor zwölf an – und ist froh, dass sie sich für dieses abgabe nicht nur traditionell Jahren in dieses Ehrenamt gebracht. „Mir Kontrollgremium entschieden hat. „Mein per Brief, sondern wahlweise gefiel, dass ich mich für die Belange der achtjähriger Sohn findet es toll, dass ich auch online erfolgen. Damit mich dafür einsetze, dass alle Kinder wich- soll die Sozialwahl attraktiver tige Untersuchungen bekommen.“ Weil und die Wahlbeteiligung sie, wie alle Mitglieder des Verwaltungs- gesteigert werden. Auch die rats, selbst bei der BARMER versichert ist, BARMER räumt ihren kann sich Katrin von Löwenstein gut in Mitgliedern die Möglichkeit die Bedürfnisse der Versicherten hinein- der Online-Abstimmung ein. fühlen. „Es ist ein einmaliges System in Begleitet werden die Sozial- Deutschland, das die Arbeit der Kranken- wahlen im Jahr 2023 durch den kassen überprüft“, sagt sie. „Viele Länder neuen Bundeswahlbeauftrag- beneiden uns darum.“ Sie würde sich noch ten Peter Weiß. Seit Oktober mehr junge Mitglieder im Verwaltungsrat 2021 koordiniert er die Wahlen Jochen Berking, 67, wünschen – um auch deren Interessen wei- gemeinsam mit seiner Stellver- ehemaliger terhin gut vertreten zu wissen. treterin Daniela Kolbe. Gewerkschaftssekretär Kathrin Schwarze-Reiter 27
Gesund bleiben Gendermedizin 02.21 Ungleichbehandlung Weil jede(r) anders ist Auf die Unterschiede zwischen Mann und Frau nahm die Medizin in der Vergangenheit wenig Rücksicht – oft zulasten der Frauen. Das ändert sich gerade. In der Forschung ebenso wie in der therapeutischen Praxis. Kleiner, leichter, zarter - Weibliche Körper unterscheiden sich von männlichen nicht nur darin, dass sie im Schnitt etwas kleiner und leichter sind. Der Hormonhaushalt und dessen tägliche Schwankungen sind anders als bei Männern. Auch im Stoffwechsel, Herz-Kreislauf- und Immun- system gibt es Unterschiede. Neuere Studien zeigen sogar, dass Schmerzen bei Männern und Frauen anders- artig entstehen und bei der Verarbeitung im Gehirn andere Zelltypen beteiligt sind. Und auch Kinder sollten nicht als kleine Erwachsene behandelt werden, da sich ihre Organe zum Beispiel noch entwickeln. Gleiche Krankheit, unterschiedliche Symptome - Manche Erkrankungen zeigen sich bei Männern und Frauen auf verschiedene Art und Weise: Beim Herzinfarkt etwa verspüren Männer häufig starken Brustschmerz, Frauen oft nur ein Druck- oder Engegefühl in der Brust. Bei Schlaganfällen haben Frauen untypische Symptome: Kopf- oder Gliederschmerzen, Übelkeit oder Verwirrt- heit. Die Symptome bei Asthma bronchiale sind beim weiblichen Geschlecht stärker – sie husten mehr. An Alzheimer erkranken Frauen häufiger, Männer hingegen schwerer. Und bei Depressionen dominieren bei Frauen Interessenverlust und Antriebslosigkeit, Männer sind hingegen öfter auch gereizt und aggressiv. 28
02.21 Gendermedizin Gesund bleiben Unterschiedliche Tablettenwirkung - Medikamente werden verschieden schnell aufgenommen und ver- teilt, denn einige Medikamente bleiben eher im Blut und in der Flüssigkeit, die um die Zellen herumfließt. Andere dringen leichter in die Zellen ein, besonders in die des Fettgewebes. Das macht einen Unterschied, denn: Frauenkörper haben mehr Fett, Männerkörper mehr Muskeln und Wasser. Dazu kommt, dass bestimmte Leber- enzyme, die Medikamente abbauen, bei Mann und Frau verschieden arbeiten. So braucht eine Tablette für den Weg durch den Körper bei Frauen doppelt so lange. Und bei Kindern muss die Dosierung der Medikamente ganz neu berechnet werden. Differenziertere Forschung - Lange fiel nicht auf, dass Frauen anders auf Medikamente reagieren oder andere Nebenwirkungen bekommen. An klinischen Studien nahmen nur Männer (und männliche Kinder) teil – eine Folge des Contergan-Skandals. Seit den 1990ern ändert sich das allmählich. In Deutschland ist es seit 2004 gesetzlich gefordert, Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu untersuchen. Und für die USA er- gab eine Analyse, dass in den Studien für die im Jahr 2020 neu zugelassenen Medikamente 56 Prozent der Teilnehmer weiblich waren. Aber: In den präklinischen Studien sind immer noch vier von fünf Versuchstieren männlich. Stärkere Schmerzen, weniger Vorsorge - Sucht eine Patientin oder ein Patient ärztlichen Rat, ist das Ge- schlecht neben Alter, Gewicht und Lebensstil nur eine von vielen Informationen, die in die Diagnose einfließen. Es verrät dennoch viel: Zum Beispiel spüren Frauen Schmerzen stärker, auch an chronischen Schmerzen leiden sie deutlich häufiger. Männer gehen hingegen seltener zur Vorsorge und zur Psychotherapie. Sie könnten also unentdeckte Krankheiten haben. Auch ob eine Frau oder ein Mann im weißen Kittel steckt, macht einen Unter- schied: Ärztinnen kommunizieren empathischer, bieten mehr emotionale und psychosoziale Unterstützung an. Ärzte erklären hingegen Details der Untersuchung genauer. Weitere Infos: www.barmer.de/ungleichbehandlung 29
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