Kompromisslos für die Kinder - 50 Jahre UNICEF Schweiz
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Inhalt Die Geburtsstunde von UNICEF 4 1959 – 1970 Die Geburtsstunde von UNICEF Schweiz 9 1971 – 1980 Beteiligung der Menschen wird zum Schlüsselelement 17 Im Zeichen der Wohltätigkeit 18 1981 – 1990 Vermeidbares vermeiden 25 Die Zeit der Umbrüche und neuen Arbeitsschwerpunkte 29 1991 – 2000 Das Versprechen einlösen 35 Die Kinderrechtskonvention verändert die Welt und das Mandat 41 2001 – 2009 Kinder im Zentrum der Entwicklungsagenda 49 Wandel als Kontinuum 54
Impressum Kompromisslos für Kinder – 50 Jahre UNICEF Schweiz Jubiläumsbroschüre 2009 Herausgeber: Schweizerisches Komitee für UNICEF Baumackerstrasse 24 8050 Zürich Texte: Ursula Eichenberger Adelbrecht van der Zanden Elsbeth Müller Fotos: UNICEF Archiv New York und Zürich Foto Seite 36: Keystone Gestaltung, Layout, Satz: Scherer Kleiber Creative Direction AG, Basel Druck: Hautle Druck AG Bezugsadresse: UNICEF Schweiz Baumackerstrasse 24 8050 Zürich Telefon +41 (44) 317 22 66 E-Mail: info@unicef.ch www.unicef.ch
Editorial UNICEF Schweiz kann 2009 auf ihr 50-jähriges Bestehen zurückblicken. Was 1959 klein begann, weitete sich zu einem Engagement von respek- tabler Grösse aus. Das UN Kinderhilfswerk durfte dabei auf die grosse Treue von Menschen zählen. Sie haben ermöglicht, was UNICEF heute ist: eine mutige, kompromisslose Organisation für die Kinder unabhängig von Rasse, Religion, Herkommen und Geschlecht. Eine Organisation, der es gelang, die ungehörte Stimme der Kinder auf die politische Agenda zu setzen, ihr Leiden zu mildern, Entwicklung zu bringen. Und eine Organisation, die nicht zurückschreckt. Nicht vor den Despoten, den Ausbeutern, den Schamlosen, den Rebellenführern und Kriegsherren und nicht vor den Zynikern und Resignierten. Unsere Vision, Kinder als eigenständige, verantwortungsvolle und rücksichtsvolle Menschen frei von Ideologien und Ausbeutung aufwachsen zu lassen und ihnen eine wohlbehaltene Kindheit zu sichern, ist unser Mandat. Dafür arbeiten wir und darauf vertrauen Spenderinnen und Spender in der ganzen Schweiz. UNICEF ist eine Organisation von Menschen für Menschen: für Kinder in erster Linie, für Mütter und Familien, für Dörfer und Gemeinschaften, für Länder und Kontinente. Sie gehört den Menschen und sie ist nur so stark, wie die Menschen sie machen. Als Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen ist sie dem Konsens verpflichtet. Und dahinter verbirgt sich eine grosse Vielfalt von Fertigkeiten, ohne die Entwicklung nicht möglich wäre. Zuhören, Beobachten, Beschreiben, Analysieren, Bedenken, Überzeugen, Entscheiden und Umsetzen gehören dazu wie das A und O zum Alphabet. Die Geschichte von UNICEF ist auch die Geschichte von UNICEF Schweiz. Der Wandel war dabei eine stete Heraus- forderung. Es brauchte manchmal Mut, Durchhaltewillen und die beharrliche Zuversicht, es schaffen zu können, es schaffen zu wollen. Heute dürfen wir zurückblicken und allen ein herzliches Dankeschön aussprechen. 50 Jahre UNICEF Schweiz sind 50 Jahre Einsatz für Kinder – kompromisslos für alle Kinder. Elsbeth Müller, Wolfgang Wörnhard, Geschäftsleiterin Präsident
1945 Aufbau Die Geburtsstunde von UNICEF 1945 dreht David Miller Seeds of Destiny, einen preis- UNRRA liefert Fett, Getreide, Saatgut, Düngemittel und gekrönten Film mit einer klaren politischen Botschaft: Landwirtschaftsmaschinen. Damit werden das Überleben Die moderne Kriegsführung bedeutet für das Kind Grau- der Menschen und die Wiederaufnahme der Nahrungs- samkeiten – Verbrennungen, Hunger, Tod der Eltern, mittelproduktion gesichert. Anfälligkeit für alle nur erdenklichen Krankheiten. In Bereits 1946 wird deutlich, dass die einstigen Kriegsver- den zerbombten Städten Europas leben Kinder, die eines bündeten auseinanderdriften und die UNRRA nicht über- Tages die Geschicke ihres Landes lenken werden. Wenn leben wird. Will Clayton, Delegierter der Vereinigten die Welt ihre Not ignoriert und wenn nur Härte und Ver- Staaten, informiert seine Kollegen, «dass der Kuchen schlagenheit allein ihr Überleben gewährleisten, dann zum letzten Mal verteilt wird». Der Marshall-Plan soll werden aus ihren Reihen eines Tages Führer kommen, die die Haupttriebkraft für den Wiederaufbau in West- und jene Verbrechen gegen die Menschheit begehen werden, Südeuropa sein. Einige meinen jedoch, dass zumindest weswegen vor kurzem noch Millionen sterben mussten. für Kinder die internationale Nothilfe weitergehen muss. Seeds of Destiny ist produziert worden, um die Hilfsor- Herbert Hoover, früherer Präsident der Vereinigten Staaten, ganisation United Nations Relief and Rehabilitation und Ludwik Rajchman, polnischer Delegierter bei der Administration (UNRRA) in ihrer Arbeit zu unterstützen. UNRRA, sind die grossen Stimmen für die Kinder. Hoover In Vorahnung dessen, was nach dem Krieg an katastro- warnt die Weltöffentlichkeit Mitte 1946 mit folgenden phalen Verhältnissen zu erwarten ist, haben 40 Staaten am Worten: «Von der russischen Grenze bis zum Ärmelkanal 9. November 1943 die UNRRA, die Vorläuferorganisation leben heute 20 Millionen Kinder, die nicht nur stark von UNICEF, gegründet. unterernährt sind, sondern zunehmend auch unter Tuber- kulose, Rachitis, Anämie und anderen Mangelkrankheiten Unvorstellbare Not in Europa leiden. Wenn Europa eine Zukunft haben soll, dann muss UNRRA führt 1944 und 1945 das grösste und schwierigste für diese Kinder etwas getan werden.» Herbert Hoover Sofortprogramm durch. Millionen von Europäern leiden darf als Vater von UNICEF bezeichnet werden. Er schafft unter unvorstellbarem Mangel an Nahrungsmitteln, Klei- ein positives Klima für einen Kinderhilfsfonds der dung und Brennmaterial. In manchen Gegenden stirbt die Vereinten Nationen und hilft mit, dass die Idee in diplo- Hälfte der Neugeborenen vor ihrem ersten Geburtstag. matischen Kreisen an Unterstützung gewinnt. Ludwik 4,5 Millionen US-Dollar werden eingesetzt. Sie stammen Rajchman wirbt für ein Hilfswerk, das unter der Schirm- 4 hauptsächlich von den Vereinigten Staaten von Amerika. herrschaft der UNO-Nahrungsmittel und ärztliche Versor-
gung für Kinder bereitstellt. Der Vorschlag stösst anfäng- lich auf wenig Resonanz. Die Wende bringt der Film Seeds of Destiny. Ein Hilfswerk für die Kinder der Welt Am 11. Dezember 1946 nimmt die Generalversammlung der Vereinten Nationen einstimmig eine Resolution zur Gründung des Weltkinderhilfswerks der Vereinten Nationen an. Die folgende Begründung vermag die damaligen Überlegungen zu präzisieren. «Den Kindern Europas und Chinas fehlte es nicht nur mehrere grausame Jahre lang an Nahrung, sie lebten auch in einem Zustand ständigen Terrors, waren Zeugen von Massakern an Zivilpersonen, erlebten die Schrecken der wirtschaftlichen Kriegsführung und waren einem allmäh- lichen Sinken der gesellschaftlichen Verhaltensnormen 1946 wird UNICEF gegründet mit dem Ziel, den Kindern in den ausgesetzt. Die Vereinten Nationen stehen dem dringenden kriegszerstörten Ländern Europas zu helfen. Problem gegenüber, wie das Überleben dieser Kinder gewährleistet werden kann. Kinder zu betreuen, ist ein Exekutivdirektor wird Maurice Pate. Er hat Herbert Hoover internationales Problem, dessen Lösung auf internationaler auf seiner Mission nach Europa begleitet. Für die Erfüllung Basis zu suchen ist, denn die Hoffnung der Welt richtet der Aufgaben braucht er umfangreiche Mittel. Die USA sich auf die kommende Generation.» setzen 40 Millionen Dollar frei – eine Ergänzung zu jenen Das Mandat, das UNICEF von der Generalversammlung Beiträgen, die andere Regierungen beisteuern, darunter erhält, betont den unpolitischen Charakter der Organisation Australien, Kanada, Neuseeland und die Schweiz. und sieht ausdrücklich vor, dass jegliche Hilfe auf der Die grössten von UNICEF, dem United Nations Interna- Grundlage des Bedarfs ohne Diskriminierung aufgrund tional Children’s Emergency Fund, organisierten Hilfs- von Rasse, Glauben, Staatszugehörigkeit, Herkunft oder lieferungen gehen in osteuropäische Länder und nach politischer Überzeugung geleistet werden muss. Erster Deutschland. Die Organisation leistet überdies Nothilfe für 5
1945 Aufbau die Bürgerkriegsopfer in Griechenland, China und dem 1950 vertraten die USA an der UNO-Generalversammlung Nahen Osten. Nebst der Nothilfe unterstützt UNICEF den unter der Leitung von Eleanor Roosevelt den Standpunkt, Aufbau der eigenen Kapazitäten im jeweiligen Land für dass UNICEF ein Nothilfefonds und nicht ein Werkzeug das Wohl und die Gesundheit der Kinder. UNICEF für die wirtschaftliche Entwicklung sei. Diese aber müsse erkennt dabei vollumfänglich an, dass die zuständigen künftig gefördert werden. Der Präsident der Tagung, Pro- nationalen Ministerien und ihre Beamten die letzte Ver- fessor Ahmed Bokhari, Pakistan, verlässt das Podium und antwortung für das Gelingen eines Programms tragen. Ein hält mitten im Saal stehend eine flammende Rede. Pakis- Leitprinzip, das bis heute unter dem Begriff Hilfe zur tan sei ebenso wie andere Länder Asiens erschüttert über Selbsthilfe gilt. Damals ist es jedoch eine Abweichung die Bilder von ausgemergelten Kindern im Nachkriegs- von der üblichen Einstellung zur Entwicklungshilfe. europa. «Noch erschütternder war es allerdings, sich zu vergegenwärtigen, dass diese europäischen Kinder nicht schlechter auszusehen schienen als Millionen von Kin- dern, die in den Entwicklungsländern ein so genannt nor- males Leben führen.» Das Votum verfehlt seine Wirkung nicht. 1953 wird UNICEF als permanente Organisation etabliert, zusammen mit dem Weltkindertag als Symbol der Unterstützung ihrer Ziele. Der Name steht nun für United Nations Children’s Fund. Von Wohltätigkeit zu Entwicklungshilfe UNICEF etabliert sich als gut organisiertes UN Hilfswerk, dessen Arbeit am meisten geschätzt und am wenigstens umstritten ist. Die entkolonialisierten Länder sind nun Mitglieder der Staatengemeinschaft. Partnerschaft zwischen den industrialisierten und den Entwicklungs- ländern – ein damals noch neuer Begriff – und der gemeinsame Kampf gegen die Armut ist moralische Die ersten Nothilfeprogramme bestanden darin, Decken, Milch und 6 Schuhe an Familien mit Kindern zu verteilen. Pflicht. Hinzu kommen strategische Motive. In der ideo-
logischen Auseinandersetzung des Kalten Krieges über den Weg zur Überwindung der Armut bieten sich Chancen zu Allianzen. Auch das Pflichtenheft von UNICEF ändert sich. Kinder werden nicht länger nur als Empfänger von wohltätiger Hilfe gesehen. In einem umfassenden Bericht über die Lage der Kinder in den Entwicklungsländern trägt UNICEF 1960 die Erkenntnisse und statistischen Daten der verschiedenen spezialisierten UN Organisationen wie WHO, FAO, ILO und Unesco zusammen. Der Bericht zeigt auf, welche Bedürfnisse in den verschiedenen Phasen Die Verleihung des Friedensnobelpreises geht auf die Initiative von Hans Conzett, Nationalrat und Präsident von UNICEF Schweiz, zurück. der Kindheit und der Adoleszenz erfüllt sein müssen und in der Entwicklungspolitik eines Landes Priorität haben siegen würde. Maurice Pate setzt auf die Unterstützung müssen. 1965 erhält UNICEF den Friedensnobelpreis. durch Bürgergruppen. Er hält diese für ebenso wichtig Die Vergabe zeugt von der weltweiten Anerkennung der wie die Beiträge der Regierungen. 1948 wird auf Einla- geleisteten Arbeit. dung der First Lady Bess Truman das amerikanische Die Geberländer verlangen nun von den Empfängerstaaten Komitee für UNICEF gegründet. Im Jahr 1952 bittet umfassendes Engagement zugunsten ihrer Kinder. Neben Maurice Pate den ehemaligen Premierminister Belgiens, den Aktivitäten und Einrichtungen, die Kindern direkt Paul-Henri Spaak, sich bei den europäischen Regierun- zugute kommen – Geburtshilfe, frühkindliche Betreuung gen und führenden Persönlichkeiten für die Anliegen von und Förderung, Gesundheitspflege oder Grundschul- UNICEF einzusetzen. Auf seiner Reise wird er vom bildung –, gilt es, gesellschaftliche Veränderungen zur Schweizer Willy Meyer begleitet; sie wird Ausgangs- Hebung des allgemeinen Lebensstandards zu bewirken, punkt für ein Netz von nationalen UNICEF Komitees. etwa durch den Ausbau der Wasserversorgung, von sani- 1953 entstehen die Komitees in Belgien und Deutsch- tären Einrichtungen und Wohnungen sowie durch Stadt- land, gefolgt von Dänemark, Schweden und Norwegen entwicklung oder Einkommen fördernde Massnahmen. im Jahr 1954. 1955 kommen Italien, die Niederlande und In den ersten Jahren wird befürchtet, dass die amerikani- Kanada hinzu, 1956 Grossbritannien, 1958 Luxemburg sche Unterstützung nach der Gründung von UNICEF ver- und schliesslich 1959 die Schweiz. 7
Die Geburtsstunde von UNICEF Schweiz gehenden Post aus Paris, dem damaligen UNICEF Sitz Bei seinen Bestrebungen, ein nationales Komitee für für Europa und Nordafrika, reichen. Doch die Schuh- UNICEF auch in der Schweiz zu etablieren, stösst Willy schachtel quillt bald über und Willy Meyer hat es unter- Meyer anfänglich auf grosse Schwierigkeiten. Bereits lassen, das Komitee über die Kartenaktion zu informieren. bestehende Organisationen für Kinder sehen die neue Als ein paar Monate vor Weihnachten 13 000 Schachteln Organisation in Konkurrenz zu ihrer Arbeit. Daraufhin mit UNICEF Karten eintreffen, ist die Überraschung wendet er sich an Dr. Hans Conzett, einen alten Schul- perfekt. Schnell sucht man eine geeignete Kraft, die sich freund. Conzett war Verleger und Nationalrat und in die- für die Arbeit von UNICEF begeistern kann und Erfah- ser Funktion Mitglied der Kommission für auswärtige rung in Organisation und Öffentlichkeitsarbeit mitbringt. Angelegenheiten. Meyers Vorschlag entsprach der Tradi- In den beiden für die PR bei der Schweizerischen Aus- tion der schweizerischen Neutralität und der humanitären stellung für Frauen in Zürich verantwortlichen Frauen, Tätigkeit des Landes. Und er appellierte an Conzetts Marei Lehmann und ihrer Assistentin Andrée Lappé, wird Engagement für internationale Zusammenarbeit. Die er fündig. Die Erste wird Vizepräsidentin, letztere Ge- Schweiz hatte, obwohl nicht Mitglied der UNO, immer schäftsleiterin des Komitees. Andrée Lappé schafft die schon einen Sitz im UNICEF Verwaltungsrat; Die schwei- Herkulesaufgabe und verkauft innerhalb von zwei Monaten zerische Delegation gehörte mitunter zu den aktivsten. 11 697 Schachteln. Damit beginnt die Arbeit von UNICEF Mit Unterstützung des damaligen schweizerischen UNO- Schweiz. Botschafters Felix Schnyder wandte Maurice Pate sich an Max Petitpierre, den damaligen Vorsteher des Eidgenös- Milchspende sischen Departements für auswärtige Angelegenheiten. Eine der grössten Leistungen in den 1950er Jahren ist die Dieser versicherte Hans Conzett anschliessend der Unter- Rolle, die UNICEF beim Aufbau der Genossenschaftsbe- stützung der Regierung. wegung für die Milchproduktion in Westindien spielt. Nach Am 13. Juni 1959 wird im Berner Hotel Bristol das der Wiederherstellung der Milchwirtschaft im zerstörten Schweizerische Komitee für UNICEF mit Sitz in Zürich Nachkriegseuropa befasst sich UNICEF in logischer gegründet. Werner Erisman, Zentralsekretär des Schwei- Fortführung mit der Milchversorgung in der Entwick- zerischen Hilfswerks für aussereuropäische Gebiete lungswelt. Damals gilt Milch als perfekte Zusatznahrung (SHAG), der heutigen Helvetas, leitet das Sekretariat. für fehlernährte Kinder. In Indien hilft UNICEF mass- Vier jährliche Treffen sollen für die Bearbeitung der ein- geblich mit, die Milchwirtschaft zu entwickeln, ein halbes 9
1959 – 1970 Dutzend moderner Molkereibetriebe aufzubauen und vom 15. September bis 15. Oktober Gutscheine zu einem hygienisch verarbeitete Milch der Büffelkuh, angerei- Franken als so genannte UNICEF Milchspende. Der für chert mit importiertem Magermilchpulver, an Kinder jene Zeit enorme Betrag von 1 910 000 Franken kommt abzugeben. Die Produzenten können so ein Zusatzein- zusammen. Eingeläutet wird die Aktion am 18. Mai 1960 kommen generieren und für ein paar wenige Rupien am mit einem nationalen Milchtag. Der damalige Bundesrat Tag besseres Essen für sich und besseres Futter für die Friedrich Traugott Wahlen unterstützte die Kampagne mit Tiere kaufen. einer flammenden Rede über den Kampf gegen Hunger UNICEF Schweiz lanciert 1960 in Zusammenarbeit mit und Fehlernährung. Wahlen war in einer früheren Funk- dem Zentralverband Schweizerischer Milchproduzenten tion Landwirtschaftsdirektor der FAO. die grosse Spendenaktion Eine Tasse Milch pro Tag zu - Durch die Kampagne erhält UNICEF in der Schweiz gunsten der Milchprogramme. UNICEF Schweiz will einen gewaltigen Auftrieb. Von langer Dauer ist er jedoch Milchkonserven im Wert von 2 Millionen Franken finan- nicht, denn die Entwicklungsdebatte nimmt international zieren. Ein Teil der Kosten soll aus privaten Spenden einen anderen Lauf. Die 1950er Jahre sind geprägt vom stammen. Rund 1500 Milch- und Lebensmittelläden, Kampf gegen Hunger und Seuchen wie die Himbeer- unter ihnen auch Migros und Coop, verkaufen in der Zeit pocken, Malaria, Lepra, Trachom und Tuberkulose. Mitte der 1960er Jahre wird klar, dass diese Massenkrankheiten nicht allein mit Massenkampagnen, sondern mit verbes- serten gemeinschaftlichen Gesundheitsdiensten zu kon- trollieren sind. Für UNICEF Schweiz bedeutet dies, dass die Spendensammlung für konkrete Projekte zugunsten einer integrierten Hilfe weichen muss. UNICEF Grusskarten als Zeichen der guten Tat In den ersten Jahren ist der Verkauf von Weihnachts- und Grusskarten die wichtigste Einkommensquelle des Komi- tees. Er wird mit Hilfe von Freiwilligen organisiert. Von Dank der Spendenaktion Eine Tasse Milch pro Tag können in Delhi, Beginn an lehnt Conzett eine finanzielle Unterstützung Indien, Tausende von Kindern täglich mit eiweissreicher Nahrung 10 versorgt werden. des Komitees durch den Bund ab. Er ist überzeugt, dass
Die Worte «ehrlich» und «geradlinig» «Er packte alles Tradition begründet und weitergeführt fallen in seinem Zusammenhang früher haben.» oder später immer. So auch bei Andrée fadengerade an» Was Hans Conzett anpackte, tat er mit Lappé, der ersten Geschäftsführerin von Leib und Seele: Von 1951 bis 1971 sass er UNICEF Schweiz – und damit der ersten als Mitglied der Bauern-, Gewerbe- und Angestellten von Hans Conzett, als er Bürgerpartei (der späteren SVP) im das Schweizerische Komitee für UNICEF Nationalrat, präsidierte dort die Petitions- gründete: «Was er machte, packte er kommission und die Kommission für fadengerade an. Er war hartnäckig und auswärtige Angelegenheiten und von furchtlos; und für das, was er als sinnvoll 1967 bis 1968 den Nationalrat. Mit eben- und gerecht empfand, setzte er sich ohne solcher Energie hatte er sich Schöngeis- Schonung eigener Kräfte und Bequem- tigem gewidmet: Nach dem Jurastudium lichkeiten ein.» war er 1942 in den Familienbetrieb Conzett 1959 gelangte Bundesrat Petitpierre an & Huber eingetreten und hatte zwei Hans Conzett, damals 44-jährig und seit Produkte mit lanciert, die weltweit acht Jahren BGB-Nationalrat. Im Zuge bekannt wurden: die Zeitschrift «Du» der Überlegungen, wie die Schweiz ihr hatte der Name Conzett fast alleine für die und die «Manesse-Bibliothek der Welt- aus Zeiten des Zweiten Weltkrieges ange- Wiederwahl der Schweiz gebürgt», erin- literatur». Und immer wieder hatte er schlagenes Ansehen verbessern könnte, nert sich der heutige Präsident, Wolfgang aussergewöhnliche Ideen. So auch 1964, kam die Idee auf, ein nationales Komitee Wörnhard, «jedes Mal hatte die Schweiz als er Schweizer Parlamentarier über- für UNICEF zu gründen. Conzett sagte zu, von den kandidierenden Ländern die zeugen konnte, UNICEF für den Nobel- und innert Kürze war das Komitee ge- meisten Stimmen. Ein Kommentar dazu preis vorzuschlagen. Den 10. Dezember gründet. Auch wenn der Beginn beschei- erübrigt sich; die Fakten sprechen genug 1965 dürfte er nie vergessen haben: Es den organisiert war, musste Conzett in den klare Worte.» war der Tag, an dem Henri Labouisse, ersten beiden Jahren rote Zahlen hinneh- Als Conzett 1988 zurücktrat mit der Be- damaliger UNICEF Generalsekretär, von men. Auf Max Petitpierres Versprechen, gründung, gehen zu wollen, bevor die König Haakon in Oslo die Friedensnobel- es werde sich «immer irgendwo ein anderen fragten: «Wänn gaht dä alt preis-Medaille und das Diplom im Namen Kässeli finden», liess er sich indes nicht Chlütterli äntli?», liessen ihn viele nur des Kinderhilfswerkes übergeben wurden. ein. Zu gross war seine Befürchtung, ungern ziehen. So auch Bundesrat René dass auch regiert, wer zahlt. Felber, der ihm schrieb: «Sie übergeben Keinem seiner Grundsätze wurde er Ihrem Nachfolger ein Werk, das ein Vor- während seiner 29-jährigen UNICEF Kar- bild aller andern nationalen Komitees riere untreu. 1964 wurde er zum Delega- geworden ist. (...) Ein jahrzehntelanger tionschef der Schweiz im UNICEF Verwal- Einsatz für die Gesundheit und die Ent- tungsrat gewählt, von 1974 bis 1976 war wicklung, für das Wohlbefinden und eine er Vorsitzender, und während 24 Jahren bessere Zukunft der Kinder dieser Welt gehörte er dem UNICEF Verwaltungsrat stellt Sie in die Reihe der grossen an. «Immer wenn Neuwahlen anstanden, Schweizer, welche unsere humanitäre 11 Hans Conzett (1915 bis 1996), Jurist, Nationalrat, Präsident der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (später SVP), Verleger, Gründer und Präsident des Schweizerischen Komitees für UNICEF bis 1988.
1959 – 1970 mit Staatsgeldern Einmischungsversuche einhergehen würden. Finanzielle Unabhängigkeit und eine schlanke Organisation sind seither ein wichtiges Leitprinzip von UNICEF Schweiz. Bereits 1961 verkauft das UNICEF Team, in dem alle bei allem mit anpacken, 390 000 Grusskarten. Andrée Lappé erzählt: «Die ersten 13 000 Kartenschachteln konnten wir glücklicherweise in der Waschküche des SHAG einlagern. Die Kartenprospekte mussten möglichst portofrei verteilt werden. Perle Buignon, die oberste schweizerische Pfad- finderin, erlaubte uns, den Prospekt der Pfadfinder-Zeit- schrift Trèfle beizulegen.» Dank persönlicher Kontakte und guter Beziehungen zu Papeterien, Detailhandelsketten und Frauenvereinen steigen die Verkaufszahlen rasch an. Bereits 1962 verdoppelt sich der Verkauf und 1965 wird UNICEF Schweiz sammelt in den Jahren 1959 und 1960 die Millionengrenze überschritten. Die UNICEF Gruss- 1,9 Mio. Franken für die Milchprogramme in Indien. karte mit Werken von bekannten und unbekannten Künst- lern, mit Ornamenten und Mustern aus verschiedenen hohen humanitären Ziel, dem grossen praktischen Wert Kulturen wird zum Zeichen der guten Tat in der Weih- ihrer Arbeit, verbunden mit der Pflege der universellen nachtszeit. Zusammenarbeit, eine ausserordentliche Leistung für die Weltgemeinschaft erbringt. Diese Arbeit sollte Anerken- Friedensnobelpreis für UNICEF nung finden durch das Nobelpreiskomitee in Norwegen. 1964 liesse sich als Boomjahr für UNICEF bezeichnen. Im Januar 1963 geht ein Brief, unterschrieben von den Der Verkauf der Glückwunschkarten erreicht die Rekord- Nationalräten Hans Conzett, Hans Fischer, Matthias höhe von 40 Millionen Stück weltweit. Die Organisation Eggenberger, Luis Guisan, Willy Sauser, Philipp Schmid, konzentriert sich jetzt mit Nachdruck auf die Bedürfnisse Ernst Studer und Rolf Suter, nach Oslo. 1965 erhält der Kinder als Teil der nationalen Entwicklung. Hans UNICEF den Preis und wird für ihren Beitrag zum Frieden 12 Conzett ist überzeugt, dass die Organisation mit ihrem ausgezeichnet.
Es ist eine Stimme, die so energisch ist, «Ich wäre für einfach nicht mehr bewältigen und dass sie nicht zu einem Menschen passen brauchte Hilfe. Es ging vor allem ums will, der auf die achtzig zugeht. Es sind UNICEF durchs Verbuchen der Kartenaktionen. Wir num- Augen, die eine Vitalität ausstrahlen, wie Feuer gegangen» merierten die Rechnungen laufend, leg- wenn der grössere Teil des Lebens noch ten alles in Kopie ab und ich schrieb von zu leben wäre. Es ist eine Gestik, die Hand Liste um Liste. Mit 300 Rechnungen sprühende Energie und grossen Taten- ging das noch, mit 30 000 pro Jahr aber drang verrät. Es ist eine aussergewöhn- nicht mehr. Dann gab es einen Vorläufer liche Persönlichkeit, die man am besten zum Computer: ein Monstrum, er füllte selbst zu Wort kommen lässt: das halbe Büro, konnte zwar viel spei- «1959 ging es mit Volldampf los, nachdem chern, war aber sehr kompliziert. Auch ich den Film Und Kinder lächeln wieder unter den Lochkarten litten wir. Wir mit dem grossartigen Schauspieler Danny mussten die Administration auf andere Kaye gesehen hatte. Darin ging es um Beine stellen. Das war dann die Haupt- burmesische Kinder, wunderschöne Kin- aufgabe meiner Nachfolger. der, mit schrecklich schmerzhaften Him- Ich bin ein ungeduldiger Mensch und beer-Pocken. Eine Penicillin-Spritze von und Bekanntenkreis. Alle gaben ihr Bestes, wäre als Ehefrau und Mutter wohl nicht UNICEF konnte diese Kinder heilen. Das liessen sich von der Arbeit mitreissen begabt gewesen. Überhaupt bin ich mehr schien mir wie ein Wunder! Ich hatte und waren voller Freude, sich für so fürs Kollektiv gemacht und weniger für damals ein eigenes kleines Büro an der etwas Tolles einsetzen zu können. Immer die Einzelfürsorge. Ich habe Kinder sehr Zürcher Bahnhofstrasse und wollte frei- wieder hatte ich das grosse Glück, aus- gern, und mir ist ein grosses Anliegen, beruflich Sekretariatsarbeiten durchfüh- sergewöhnliche Persönlichkeiten kennen- dass jeder Mensch, der auf die Welt ren und Veranstaltungen organisieren. zulernen. Da gab es Menschen, deren kommt, eine Chance hat, gesund aufzu- Am allerliebsten im humanitären Bereich. wortlose Berührung meiner Schulter wie wachsen und Gerechtigkeit zu erfahren. Im Jahr zuvor hatte ich die gesamte Aus- ein Ritterschlag wirkte. Genau in dieser Beziehung habe ich dank stellungsorganisation der SAFFA (Bürg- Eine Trennlinie zwischen Hobby, Vergnü- der UNICEF ein Instrument gefunden, schaftsgenossenschaft von Frauen für gen und Arbeit konnte ich nie ziehen, mich einzubringen. Ich hätte mir auch Frauen) unter mir wie auch jene der Gar- und jahrelang machte ich keine Ferien. vorstellen können, Politikerin zu werden, tenbau-Ausstellung. Als ich kurz nach dem Mit Haut und Haaren widmete ich mich und bedaure manchmal ein wenig, mich Film ein Inserat in der Zeitung entdeckte, dem Kartenverkauf, organisierte unzäh- auf der Ebene nicht engagiert zu haben. in welchem das Kinderhilfswerk der Ver- lige Ausstellungen, Veranstaltungen, hielt Aber noch heute glaube ich, dass UNICEF einten Nationen eine Mitarbeiterin suchte, Vorträge, reiste, und machte alles gern – das Beste auf der Welt ist. Und es war es wusste ich: Jetzt ist es so weit! ausser die Buchhaltung. Anfang der wert, sich hundert, manchmal auch zwei- Das Inserat war zwar langweilig formu- siebziger Jahre merkte ich, dass ich dies- hundert Prozent einzusetzen. Ich wäre für liert. Doch es sollte anders kommen. bezüglich nicht nur an Grenzen gestossen die UNICEF durchs Feuer gegangen.» Schnell waren wir ein verschworenes war, sondern daran beinahe kaputt ging. Grüppchen, bestehend aus vielen Frei- Das kann sich die heutige Generation willigen vor allem aus meinem Freundes- fast nicht mehr vorstellen. Ich konnte das 13 Andrée Lappé (*1930), von 1959 bis 1973 erste Geschäftsführerin von UNICEF Schweiz, bis 2000 freie Mitarbeiterin.
1959 – 1970 1959 liegt in unserer Hand richtet UNICEF Schweiz Die Migros kann für eine gemeinsame Kampa- Das Schweizerische Komitee wird am 13. Juni eine Ausstellung im Schloss Rapperswil ein – gne gegen Hunger gewonnen werden. Der Erlös 1959 in Bern gegründet. Dr. Hans Conzett, mit dem Ziel, die Organisation und ihr Wirken von 440 000 Franken ist für Ernährungspro- Nationalrat und Verleger, wird zum Präsidenten bekannt zu machen. Im folgenden Jahr wird die gramme in Afrika bestimmt. gewählt. Zu den Gründungsmitgliedern gehören Ausstellung im Verkehrshaus Luzern gezeigt. 1967 u.a. Perle Buignon-Sécretan, Dr. Suzanne Oswald, 1963 Die Schweizer Schulen sammeln am Solidaritäts- Zürich, Marianne Jöhr, Bern, Berta Hohermuth, Eine neue Chance zur Verbreitung der UNICEF tag für die Kinder in Kambodscha. Der Krieg in St. Gallen, Isabelle Thormann, Bern, René Steudler, Idee bietet sich in der Zusammenarbeit mit der Vietnam trifft die Kinder auf beiden Seiten ent- Lausanne, Werner Erisman, Zürich. Das Komitee Kinderzeitschrift Junior. Sie wird viele Jahre lang des Ho-Chi-Minh-Pfads. bildet einen so genannten Arbeitsausschuss. Das halten. Dreimal jährlich erhält UNICEF die 1968 Schweizerische Hilfswerk für aussereuropäische Gelegenheit, über die Situation der Kinder in Die gesellschaftliche Diskussion über Entwick- Gebiete (SHAG) übernimmt das Sekretariat. anderen Ländern zu informieren. lungshilfe erreicht ein neues Stadium. Handel 1960 UNICEF Schweiz nutzt die internationale statt Hilfe gewinnt durch die UNO-Konferenz Die erste grosse Spendenaktion heisst Aktion Schriftenreihe Les carnets de L’ENFANCE für über Handel und Entwicklung in Delhi weltweite Milchspende. Der Sammelerlös beträgt 1,9 Mil- die Öffentlichkeitsarbeit. Anerkennung. Das Komitee unter der Führung lionen Franken. 1964 von Hans Conzett diskutiert die möglichen Ver- UNICEF Generalsekretär Maurice Pate besucht UNICEF Schweiz zieht um an die Staufacher- änderungen, die sich für die UNICEF Hilfe den Bundesrat und nimmt die Naturalspende strasse 27 in Zürich. abzuzeichnen beginnen. von 5000 Kilogramm Milchpulver des Zentral- Der Bundesrat unterstützt UNICEF mit 1,9 Mil- 1969 verbandes der Schweizer Milchproduzenten mit lionen Franken. UNICEF Schweiz trägt zusätz- Die grosse Hungerkatastrophe in Biafra bringt Dank entgegen. lich 276 363 Franken bei. Bilder des Grauens in die Schweizer Stuben. Die Der Kartenverkauf ist für das SHAG zu aufwen- Dr. Hans Conzett engagiert sich zusammen mit Spendenkampagne erbringt 1 358 265 Franken. dig. Der Arbeitsausschuss entscheidet sich des- den Fraktionspräsidenten des Schweizer Parla- Ein Teil der Gelder stammt aus der Oliver-Gala halb zur Anstellung einer Mitarbeiterin. Andrée ments für die Vergabe des Friedensnobelpreises in Genf und Zürich. Erstmals treffen hier Wohl- Lappé wird zur ersten Geschäftsleiterin gewählt. an UNICEF. tätigkeit und politische Korrektheit aufeinander. 1961 1965 Vor den beiden Hotels demonstrieren Jugendliche Die langjährige Zusammenarbeit mit dem Bund UNICEF erhält den Friedensnobelpreis. gegen den Krieg in Vietnam und sorgen mit ihrer 14 Schweizerischer Pfadfinderinnen beginnt mit Die Schweizer Schulen führen den traditionellen Ablehnung von «High-Society-Galas» für Auf- einem Treffen im Calancatal. Die Initiative Mai-Solidaritätstag zugunsten von UNICEF sehen. kommt durch die Vermittlung von Perle Buignon durch. 1970 zustande. 1966 Die Hungerkatastrophe von Biafra kostet Mil- Die Kongo-Krise erfährt breite öffentliche Auf- Danny Kaye wird von UNICEF Direktor Maurice lionen von Kindern das Leben. In der Schweiz merksamkeit. Die Spendenkampagne für die Pate zum UNICEF Botschafter ernannt. Das flaut die Solidarität ab. Für Biafra fliessen noch UNICEF Hilfsleistungen beginnt mit einer Film- Engagement des beliebten und bekannten Stars 593 315 Franken. premiere im Kino Scala in Zürich. ermöglicht UNICEF Schweiz den Eingang ins Gertrud Lutz, ehemalige UNICEF Vizedirektorin, 1962 Fernsehprogramm. Die internationale Danny wird Mitglied des Komitees. Aus Platzgründen Unter dem Titel Die Zukunft der Welt liegt in Kaye Show wird auf allen Landessendern ge- zieht die Geschäftsstelle von der Stauffacher- den Händen des Kinder – die Zukunft der Kinder zeigt und löst eine Welle der Solidarität aus. strasse an die Werdstrasse 36.
1971 – 1980
Beteiligung der Menschen wird zum sen die Ausbildung in einfachen Aufgaben der Säuglings- Schlüsselelement pflege bis hin zum technischen Unterhalt von Wasser- Bei Entwicklungshilfe-Organisationen macht sich Anfang pumpen. Besondere Aufmerksamkeit erhält die Mutter- der 1970er Jahre vielfach Ernüchterung breit. Obwohl und-Kind-Betreuung vor, während und nach der Geburt. das vorangegangene Jahrzehnt als ein Entwicklungsjahr- Die Grundversorgungsdienste erwecken grosses Interesse, zehnt der Weltwirtschaft bezeichnet werden kann, ist die in einigen Kreisen aber auch Bedenken, dass sie für die Kluft zwischen armen und reichen Ländern und zwischen ärmsten Länder zweitklassige Dienstleistungen bedeuten armen und reichen Menschen gegen sein Ende wesentlich könnten. breiter. Die Erwartung, dass der Transfer von Kapital und technischem Know-how von selbst Wirtschaftswachstum Wasser: die Quelle des Lebens bringen und der schlimmsten Armut rasch ein Ende setzen Dürrekatastrophen und Überschwemmungen veranlassen würde, erweist sich als Trugschluss. Zusätzlich verschärft UNICEF Ende der 1960er und Anfang der 70er Jahre, eine Reihe von Krisen und Katastrophen die Not der Ent- sich mehr mit Wasser zu beschäftigen. Zwar hat sich die wicklungsländer. Sie müssen zum Teil mehr als die Hälfte Organisation bereits in den 1950er Jahren an der Errich- der Exporteinnahmen für Nahrungsmittel, Medikamente, Kunstdünger, Transport und andere lebenswichtige Güter einsetzen – mit ernsthaften Folgen für 500 Millionen Kinder. Die Einsicht reift, dass Entwicklungshilfe gezielt den Lebensbedingungen der Armen gelten muss, indem man den Menschen hilft, ihre eigenen Grundbedürfnisse zu erfüllen. Massgeblich gefördert wurde dieser Gedanke von der Internationalen Arbeitsorganisation. Geberorga- nisationen wie die Weltbank forderten die Regierungen der Entwicklungsländer auf, das Wohl der ärmsten Bevöl- kerungsgruppen oben auf die Agenda zu setzen. UNICEF entwickelt eine Strategie zur Errichtung von Grundversorgungsdiensten. Als Schlüsselelement gilt die Die Entwicklung der Handpumpe Mark II markiert den Beginn von Beteiligung der Gemeinschaft. Die Massnahmen umfas- umfangreichen Brunnenprogrammen in zahlreichen Ländern. 17
1971 – 1980 tung von Wasserleitungen und Abwasseranlagen beteiligt. Song, der Auftakt zum Internationalen Jahr des Kindes. Doch die Dürre in Bihar verlangt nach neuen Massnahmen Künstler wie ABBA, Bee Gees, Olivia Newton-John u.a. mit schnellen Resultaten. Erstmals bringt UNICEF 1967 schenkten ihre Lieder UNICEF. Sie reihten sich damit ein auf dem Luftweg 11 Halco-Bohrtürme nach Indien. Dank in die lange Liste berühmter Persönlichkeiten, die ihren ihnen kann innerhalb von 2 Monaten Zugang zu sauberem Namen und ihre Zeit UNICEF zur Verfügung stellten. Wasser für 222 Dörfer geschaffen werden. 1974 wird mit Angefangen beim legendären Weltstar Danny Kaye, der Partnerorganisationen und der indischen Firma Richardson von Maurice Pate zum UNICEF Botschafter des guten & Cruddas die Handpumpe aus Schweissstahl Mark II Willens ernannt wurde, zu Peter Ustinov, Audrey Hepburn, entwickelt. Sie wird zum Prototyp einer äusserst stabilen Roger Moore, Shakira, Angélique Kidjo und vielen mehr. und dennoch körperlich leicht bedienbaren Handpumpe. Sie alle arbeiteten bzw. arbeiten unentgeltlich für UNICEF. Sie markiert den Beginn von umfangreichen Brunnen- Das Internationale Jahr des Kindes (IJK) 1979 markiert bauprogrammen in zahlreichen asiatischen und afrikani- einen Meilenstein in der Geschichte von UNICEF und schen Ländern. UNICEF Schweiz. Es ist Anlass für eine Flut von Erklä- 1972 kehren 10 Millionen Flüchtlinge in den neuen Staat rungen, Entschliessungen und Feiern. Ins Zentrum des Bangladesch zurück. In dieser Notlage beteiligt sich weltweiten Interesses rückt die Situation der Strassen- UNICEF an grossangelegten Wasserversorgungspro- kinder und der behinderten Kinder. jekten für die Dörfer. Niemand hat zu diesem Zeitpunkt 1980 löst James Grant Henri Labouisse als UNICEF Kenntnis von der durch arsenhaltige Gesteinsschichten Generalsekretär ab. Am 10. Dezember orientiert er in verursachten Wasserverseuchung in weiten Teilen des New York erstmals über die Situation der Kinder in der Landes. 20 Jahre später werden die Folgen sichtbar und Welt. Das Statement markiert den Beginn einer neuen erfordern neue Strategien. Tausende von Brunnen werden Ära und gipfelt in der jährlich erscheinenden Publikation überprüft und neu gebaut. UNICEF Schweiz wird das Zur Situation der Kinder in der Welt. Programm Ende der 1990er Jahre unterstützen. UNICEF Schweiz: Im Zeichen der Wohltätigkeit Das Internationale Jahr des Kindes Die 1970er Jahre stehen ganz im Zeichen des Grusskar- Am 9. Januar 1979 war die Generalversammlung der Ver- tenverkaufs. Er erfordert den Einsatz aller Kräfte. Jedes einten Nationen zum Bersten voll mit einem ungewöhn- Jahr wird ein neues Produkt geschaffen, das die Bot- 18 lichen Publikum. Es war die Galavorstellung A Gift of schaften von UNICEF auf vielfältige Weise verbreitet. Es
Die Zeilen lesen sich wie eine Liebeser- «Sie hat Berge Bei ihrem Abschied 1965 wurde sie zur klärung: «Du hast unsere Herzen gewon- Ehrenbürgerin einer Reihe brasilianischer nen! Deine Arbeitsfreude, Deine Liebe zu versetzt» Staaten. Und die Zeitung «Brazil Herald» den Menschen, die zur grossen UNICEF vermeldete vor ihrem Weiterzug nach Familie gehören, Dein Gefühl der Verant- Istanbul: «Der Engel fliegt in die Türkei.» wortung gegenüber den notleidenden Vor ihrer Pensionierung amtete sie als Kindern hast Du auf uns übertragen. Das Vizepräsidentin von UNICEF in Paris. Dann wurde zum eigentlichen Grundstein un- zog sie in ihr Elternhaus im bernischen serer Tätigkeit. Dass sie erfolgreich war Zollikofen – und wurde Gemeinderätin. und ist, haben wir daher zu einem ganz Doch auch dieser Schritt hielt sie nicht wesentlichen Teil Dir zu verdanken», davon ab, häufig zu reisen und viel unter- schrieb das Schweizer UNICEF Komitee wegs zu sein – bis zu ihrem letzten Tag, zu Beginn der neunziger Jahre. als sie im Zug nach Zürich fuhr, um im Gertrud Lutz war eine Frau, die sich auf Fernsehen an einem «Sternstunden»- gerader Linie in die Herzen ihrer Mit- Gespräch zum Gedenken an Carl Lutz menschen hineinbewegte. Sie war eine teilzunehmen. Es sollte ihre letzte Reise ungewöhnliche Frau mit einer ungewöhn- Resignation aber hatte in ihrem Herzen sein: Gertrud Lutz starb unterwegs an lichen Schaffenskraft und einem unge- nie Platz. Gertrud Lutz engagierte sich für Herzversagen. «Sie glaubte daran, dass wöhnlichen Werdegang: 1911 kommt sie die Hilfsorganisation «Schweizer Spende» man Berge versetzen kann, wenn man als Tochter eines Käsers im Emmental zur in Sarajewo, Finnland und Polen, bevor wirklich und ernsthaft an die Arbeit geht», Welt. Mit 18 fasst sie den Entschluss, in sie 1948 für UNICEF tätig wurde. Sie star- sagte Andrée Lappé, erste Geschäftsfüh- die USA auszuwandern. Das Handels- tete als Leiterin in Warschau, daraufhin rerin von UNICEF Schweiz, an der Abdan- diplom in der Tasche, findet sie eine übernahm sie für 14 Jahre die UNICEF kung. Und: «Sie hat Berge versetzt!» Stelle beim Schweizerischen Konsulat in Vertretung in Brasilien. Vor ihrem Einsatz Louisiana. 1933 begegnet sie dort dem äusserten die Angestellten wiederholt Schweizer Diplomaten Carl Lutz. Die den Wunsch, einen Mann an ihrer Spitze beiden heiraten. Noch am Hochzeitstag zu haben. Schliesslich entschied UNICEF reist das Paar nach Palästina, wo es bis Direktor Maurice Pate, Gertrud Lutz 1941 bleibt. Die nächste Station heisst einen Begleiter zur Seite zu stellen. Nach Budapest. Zwischen 1942 und 1944 rettet wenigen Wochen erwies sich dieser Vizekonsul Lutz über 60 000 Juden vor Schritt als überflüssig. Selbst der skepti- dem Tod. Seine Frau unterstützt ihn nach sche brasilianische Gesundheitsminister Kräften; während Monaten versorgt sie musste feststellen, Gertrud Lutz denke 50 Personen, die sie im Keller der wie ein Mann, habe aber das Herz einer Schweizerischen Gesandtschaft versteckt Frau. Oft war sie in Männergremien die hält. Umso schmerzhafter muss die Er- einzige Frau. Sie baute das Speisungs- fahrung sein, als ihr Mann sie wegen programm auf, schuf Mütterheime, grün- einer Ungarin verlässt. dete Fachschulen für Kinderpflegerinnen. 19 Gertrud Lutz (1911–1995), 1949/50 Leiterin von UNICEF in Polen, 1951–1964 Missions-Chefin in Brasilien, 1966–1971 Vizepräsidentin von UNICEF und Direktorin für Europa und Nordafrika; bis 1988 Komiteemitglied und bis zum Tod Ehrenmitglied des Komitees.
1971 – 1980 ist die Zeit der Adventskalender, der EDUCOLL-Bastel- abweicht und die Länder der Erde in ihrer wahren Grösse spiele, Bücher wie Sing mit uns, Spiele der Welt, Koch mit abbildet. 1989 wird UNICEF Schweiz den Peters-Atlas uns oder Themenplakate wie beispielsweise jener über publizieren und damit in die Kritik der Öffentlichkeit die Rechte des Kindes. Sie finden den Weg in die Schulen geraten, denn Arno Peters gilt als ein Historiker, der den und Kinderzimmer. realexistierenden Sozialismus verklärt. Die hohe Priorität des Kartenverkaufs hat noch einen Mit Jute statt Plastik nimmt die Öffentlichkeit die ent- zweiten Grund: Mit dem Verkauf finanzierte sich die wicklungspolitische Diskussion auf. Aktivisten verschie- Geschäftsstelle. In den ersten zwei Jahren ihres Beste- denster kirchlicher und Entwicklungsorganisationen hens durfte UNICEF Schweiz 10 Prozent des Kartenum- bieten Jutetaschen zum Tausch gegen Plastiktaschen an. satzes für sich behalten, ab 1961 20 Prozent und ab 1965 Der Erfolg ist so gross, dass die Frauen in Bangladesch 25 Prozent. Die Balance zwischen professionellem Spen- sogar in Produktionsnöte geraten. Die Aktion zeugt vom densammeln, Öffentlichkeits- und Mobilisierungsarbeit Bewusstsein, dass wir in einer Welt leben, in einem glo- und schlanker Organisation beschäftigt Vorstand und balen Dorf, einander brauchen und uns gegenseitig unter- Geschäftsleiter/-innen durch alle Jahrzehnte gleicher- stützen müssen. massen. Die neue Sicht über weltweite Interdependenzen wird Zwar beschloss der UNICEF Verwaltungsrat bereits 1964, unter dem Begriff Erziehung zur Entwicklung als Arbeits- für die Komitees die Finanzierung so genannter adoptierter schwerpunkt aufgenommen. UNICEF Schweiz sucht die Projekte zuzulassen, und ermöglichte so das Spenden- Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen und startet eine sammeln für ein bestimmtes Projekt. Umgesetzt wird es Initiative, die zum Ziel die Erweiterung der Bildungs- in der Schweiz jedoch zögerlich. Die Entwicklung der horizonte als Folge der zunehmenden Globalisierung hat. Computertechnik bringt die Wende. Die automatische Kinder sollen befähigt werden, aus der Sicht der eigenen Adressselektion lässt 1976 erstmals einen Versand an Identität heraus mit anderen Menschen in offenen Kontakt 65 000 Schweizer Haushalte zu. Im Jahr 1979 wird dieser zu treten, die Welt auch aus der Sicht anderer zu betrachten erweitert und geht nun an alle Haushalte. Beigelegt wird und auf der Basis verschiedener Betrachtungsweisen der Kindermeter. Die Botschaft Am Wohlergehen der Kinder innerhalb der globalen Gesellschaft Urteile zu bilden. Mass nehmen verdeutlicht die Kernarbeit des Kinder- hilfswerks. 1980 folgt eine Weltkarte nach der Peters- 20 Projektion, die von der üblichen Mercator-Projektion
Unermüdliche Spritzen. Und trotzdem: Als Afrikanerin habe ich vielleicht dank dieser Impfungen Botschafter überlebt. Mit meinem Engagement als Sie verschenken ihren Namen, ihre Zeit Botschafterin kann ich etwas zurückge- und ihre Überzeugungskraft: die Sonder- ben, nicht nur meinem Heimatland, son- botschafter, die für UNICEF rund um die dern dem gesamten Kontinent.» Dabei Welt reisen, Vorträge halten, Interviews kann sie sich auf ihre Überzeugungskraft geben und Veranstaltungen organisieren. verlassen, die ansteckend ist – sei es in Man verehrte sie, man bewundert sie: Sachen Kinderfragen, im Kampf gegen Polio oder gegen die Mädchenbeschnei- dung. Ein besonderes Anliegen ist ihr die mich automatisch mit den Vereinten Bildung von Mädchen: «Die Bildung Nationen verbunden», sagte Ustinov junger Menschen ist der Schlüssel zur einmal: sein Vater war halb Russe und Entwicklung.» Gerade beim Anblick der halb Deutscher, seine Mutter halb Russin, Kinder Afrikas scheint der Sängerin, ein Viertel Französin und ein Viertel Italie- «dass alle Träume Wirklichkeit werden nerin. Und mit ebensolchem Stolz ver- können». kündete er, es sei in seinem Leben ein grosses Glück gewesen, in viele Rolle zu schlüpfen zu können; eine der befriedi- Audrey Hepburn (1929–1993) spielte sich gendsten sei gewesen, für die Anliegen mit Charme und ihrer Schönheit in die der Kinder rund um die Welt zu reisen. Herzen unzähliger Menschen. Mit eben- solcher Hingabe setzte sie sich für UNICEF ein und schenkte der Organisation ihre letzten Lebensjahre. Sie war die erste Frau, die nach ihrer Ernennung 1988 als Sonder- botschafterin für UNICEF unterwegs war. Bis kurz vor ihrem Tod besuchte sie zahl- Auch in der Schweiz kann UNICEF auf reiche Länder Afrikas, Südamerikas und Prominente mit einem grossen Herzen Asiens, hielt nach ihrer Rückkehr Vorträge, für die Anliegen von Kindern zählen: nahm an Wohltätigkeitsveranstaltungen etwa auf Kurt Aeschbacher (*1948). Der teil, gab Interviews – mitunter mehr als ein Fernsehmoderator wurde 2004 zum ers- Dutzend pro Tag, selbst als sie vom Krebs Zu den Sonderbotschaftern zählt auch ten UNICEF Botschafter für die Schweiz bereits gezeichnet war. «Audrey Hepburn eine Schar junger Prominente, wie etwa und setzt sich seither für die Anliegen machte eine zweite grosse Karriere als seit 2002 Angélique Kidjo (*1960). Die der Jüngsten der Gesellschaft ein. UNICEF Botschafterin», sagte ihr Schau- Sängerin aus Benin setzt sich seit Jahren Aeschbacher nimmt an Projektreisen teil, spielkollege Roger Moore einmal. für Menschenrechtsfragen ein und nutzt spendet regelmässig seine Gage an 21 Zur Sonderbotschafter-Crew der ersten Konzerte regelmässig als Plattform für ihre UNICEF, organisiert und moderiert Stunde zählte auch Sir Peter Ustinov Anliegen. Ihre frühesten Erinnerungen an Anlässe wie die «Sternenwoche» und (1921–2004). Seine Ausstrahlung und UNICEF sind indes nicht nur positiv; sie unterstützt Kampagnen. Er ist überzeugt: sein Humor liessen ihn überall zum Mittel- stehen in Zusammenhang mit Nadelsti- «Sich für Kinder einzusetzen, heisst, punkt werden. Der Schauspieler, Regisseur, chen: mit den Impfungen, die UNICEF in allen Menschen eine bessere Zukunft zu Produzent und Drehbuchautor wirkte bei Benin durchführte. «Meine Mutter musste geben.» über 80 Filmen mit und wurde zweimal mich immer regelrecht hinschleppen. mit einem Oskar ausgezeichnet. «Ich fühle Noch heute habe ich eine Höllenangst vor
1971 – 1980 1971 1975 1979 An einem internationalen Zeichenwettbewerb UNICEF Schweiz beteiligt sich aus Anlass des Es ist das Internationale Jahr des Kindes (IJK). für Kinder bis zu 15 Jahren zum Thema Freund- Jahres der Frau am Frauenkongress in Bern und UNICEF Schweiz ist Mitglied der schweizeri- schaft nehmen auch Schweizer Kinder teil. Am an der Sonderausstellung der Frauen an der schen Kommission für das IJK und leitet deren Comptoir Suisse in Lausanne finden eine Aus- MUBA. Unter dem Thema Entwicklung für und Sekretariat. 90 Solidaritätsprojekte für Kinder stellung und eine vom Fernsehen übertragene mit Frauen wird die Bedeutung der Frau für die in der Schweiz erhalten Beiträge von annähernd internationale UNICEF Gala statt. Entwicklung der ganzen Gesellschaft dargestellt. 600 000 Franken. Für 14 Solidaritätsprojekte 1972 UNICEF Schweiz beginnt mit dem Aufbau des zugunsten der Kinder einer Welt werden 1,3 Mil- Die Spendenaufrufe gelten den Flüchtlingen Informationszentrums Quipu. Lehrer/-innen sollen lionen Franken bereitgestellt. Höhepunkt ist die des gerade beendeten Bangladesch-Krieges. zu Fragen der Erziehung zur Entwicklung sensi- 1.-August-Feier im Puschlav mit Schülern/-innen Die Spendensammlung ergibt 385 727 Franken. bilisiert und beraten werden. aus allen Kantonen. 1973 1976 1980 Durch die Ölkrise wird der 1973 publizierte und Der erste gemeinsame Spendenaufruf mit der UNICEF Schweiz nimmt an der Didacta, der international anerkannte Bericht des Club of Glückskette wird lanciert. UNICEF Schweiz nationalen Messe für die Lehrer/-innen, teil und Rome mit dem Titel Grenzen des Wachstums erhält 260 000 Franken für Wasserprojekte in veröffentlicht einen Katalog mit Besprechun- von der Wirklichkeit eingeholt. Die Stimmung Afrika. gen von rund 70 Publikationen, die sich für den im Lande ist geprägt von Zukunftsängsten. Das Ein Versand an 65 000 Haushalte stellt den Beginn Schulunterricht zum Thema Schule für eine Friedensabkommen in Vietnam vermag diesen der breit angelegten, direkten Spendenaufrufe Welt eignen. wenig entgegenzusetzen. Die Erwartung, dass durch Briefe an die Spender/-innen dar. Die entwicklungspolitischen Umwälzungen sind die Sorge um die Zukunft sich in Solidarität für Im Seedamm-Zentrum in Pfäffikon präsentiert Stoff für die Information an Spender/-innen. den Wiederaufbau wandeln würde, erfüllte sich UNICEF Schweiz die Ausstellung UNICEF hilft Unter dem Titel Neue Dimensionen – gerechte nicht. Der Nahe Osten bleibt ein Anziehungs- Kindern. Verhältnisse nutzt UNICEF Schweiz eine Welt- punkt für die Medien. 1977 karte mit der Peters-Projektion. 1974 Eine weitere grosse Ausstellung zeigt UNICEF Dr. Hans Conzett wird zum Präsidenten des Schweiz im Jahr darauf an der KID 77 in Lau- UNICEF Verwaltungsrates gewählt; er wird die sanne. Unter dem Titel Wir haben nur eine Welt folgenden drei Jahre dem höchsten Organ der soll sie Kindern die weltweiten Abhängigkeiten Organisation vorstehen. aufzeigen. UNICEF Schweiz veröffentlicht die In Zürich wird das erste in Zusammenarbeit mit Publikation zu den Grundsätzen der Erziehung 22 René Gardi und Fred Bauer entwickelte Bastel- zur Entwicklung. spiel, Bauen und Wohnen in Westafrika, heraus- Die Stadt Biel willigt in ein Arbeitslosenprojekt gebracht. ein, das die Führung des UNICEF Kartenlagers und die Abwicklung des Grusskartenversands übernimmt. UNICEF Schweiz baut die Freiwil- ligenarbeit ab.
1981 – 1990
Vermeidbares vermeiden rung von Fehl- oder Unterernährung), Oral Rehydration Mit Anbrechen der 1980er Jahre kühlt sich die Weltwirt- (orale Rehydratation gegen Durchfallerkrankungen), schaft ab. Das Wachstum bricht ein, die Arbeitslosenzah- Breastfeeding (Stillen) und Immunization (Impfen). Für len in den Industrieländern steigen. Die Folgen für die sich allein können diese Massnahmen nicht alle Probleme Entwicklungs- und Schwellenländer sind schwerwie- der hohen Kindersterblichkeit und der Kinderkrankheiten gend. Sie haben enorme Schulden angehäuft und müssen lösen, als Paket aber können sie entscheidend dazu bei- mit den Auflagen der Geberländer fertig werden. 1982 tragen. FFF steht für Familienplanung, Abgabe von stellt Mexiko die Rückzahlung seiner Auslandschuld ein Zusatznahrung an schlecht ernährte Kinder und stillende und löst eine Schuldenkrise aus. Viele afrikanische und Mütter sowie die Förderung der Alphabetisierung der lateinamerikanische Länder rutschen mit in die Krise. Frauen. Mit der Revolution für das Überleben der Kinder Die Weltbank gewährte Kredite unter der Voraussetzung rücken die Mütter ins Zentrum. UNICEF wehrt sich, zu der Zustimmung zu Strukturanpassungsprogrammen. Die stark in Frauenfragen eingebunden zu werden, obwohl in Auswirkungen auf die Kinder sind gross. 1987 veröffent- licht UNICEF die Studie Anpassung mit einem menschli- chen Gesicht. Sie zeigt auf, dass Politiker/-innen und Bürokraten bei der Durchführung von Anpassungsme- chanismen gleichzeitig die Schwächsten und Verletz- lichsten der Gesellschaft durch gezielte Massnahmen schützen müssen. Wirtschaftsprogramme von Ländern müssen Sicherheitsnetze für Kinder berücksichtigen, so die Studie. GOBI-FFF 1982 lanciert UNICEF Direktor James Grant die Revo- lution für das Überleben der Kinder, die vier kostengüns- tigen und zugleich äusserst wirksamen Techniken und Mit der Initiative GOBI FFF sichert UNICEF das Überleben von Methoden umfasst – mit dem Namen GOBI-FFF für Kindern. Wachstumskontrolle, Oral Rehydratation, Stillen und Impfen Growth Monitoring (Wachstumskontrolle zur Verhinde- sind dabei Kernprogramme. 25
Müssen wir beunruhigt sein angesichts «UNICEF kann am meisten verfügen über Alternativen zur alleinigen des Anwachsens der Weltbevölkerung? am gesunden Fundament Rolle als Mutter und Ehefrau, haben ein Mich beunruhigt nicht nur das Bevölke- der Gesellschaft bewirken, höheres Einkommen und dadurch auch rungswachstum in verschiedenen Regio- eine grössere familieninterne Verhand- bei den Kindern» nen der Welt, sondern vor allem auch die lungsmacht. Geld, das Frauen verdienen, Frage, an welche anderen Belastungs- fliesst zu 90 Prozent ins Wohl der Familie. grenzen unsere Erdengemeinschaft stösst: Das ist bei Geld, das die Männer verdienen, Können nachfolgende Generationen mit längst nicht so. Wo Frauen mehr wissen, den Ressourcen, die ihnen in der Zukunft ist der Geburtenabstand grösser und die zur Verfügung stehen, noch auf eine wür- Gesundheit der Kinder besser. Das ist dige Art und Weise leben? Beunruhigend eine Investition, deren Ertrag eine grosse ist für mich schon, dass das Thema Be - Breitenwirkung hat. völkerungswachstum weitgehend aus der Welche Rolle kann UNICEF in diesem öffentlichen Diskussion verschwunden Prozess spielen? ist – aber vieles, was Menschen in Indus- Als grösstes Kinderhilfswerk weltweit trieländern bei ihrem Ressourcenver- kann UNICEF am meisten am gesunden brauch für «normal» halten, ist auch Schaffung menschenwürdiger Lebens- Fundament der Gesellschaft bewirken. nicht zukunftsfähig. bedingungen. Es gibt keine Organisation, die in dieser Worauf müsste aus entwicklungspoliti- Ja, wobei ich das nicht als ein Entweder- Beziehung mehr bewirken kann. Niemand scher Perspektive für in Armut lebende oder betrachte, sondern als ein «Und- anderes versteht sich derart als Anwalt der Menschen das grösste Augenmerk und». Zunächst einmal: Menschen überall Kinder und strahlt zugleich eine so grosse gelegt werden? auf der Welt möchten nicht in erster Linie Glaubwürdigkeit aus. Die Organisation Darauf, nachhaltig die Grundbedürfnisse «geborene Babys», sondern «überlebende hat einen makellosen Ruf und verfügt zu befriedigen – und zwar ohne Unter- Nachkommen». Erst also, wenn die Kinder- über einen enormen Leistungsausweis. brüche und durchgängig für alle Kinder, sterblichkeit gesunken ist, werden Eltern Was wünschen Sie UNICEF Schweiz Frauen und Männer. Das bedeutet nicht für familienpolitische Themen ansprech- zum runden Geburtstag? nur ausreichende und gesunde Ernährung, bar. Dann aber gibt es viele Frauen, die Ich wünsche ihr, dass sie für alle Projekte, Zugang zu sauberem Wasser, menschen- keine Kinder mehr wollen oder noch nicht die sie aus der Problemanalyse für lösbar würdige sanitäre Grundbedingungen, schwanger werden möchten. Ihnen müs- hält, die nötigen Ressourcen zusammen- sondern vor allem auch Ausbildung. Nur sen empfängnisverhütende Mittel und bringt. Denn es gibt nichts Zermürben- wenn die Grundbedürfnisse der Menschen Methoden zugänglich sein und sie müs- deres, als wenn es an den Finanzen fehlt. gedeckt sind, sind Menschen auf bevöl- sen wissen, wie diese zu gebrauchen Wenn man sich vor Augen führt, welche kerungspolitische Themen ansprechbar. sind. Und dafür braucht es Ressourcen. Mittel in die vermeintliche Abwehr der So lautet auch die Kernaussage in Ihren Wie wichtig ist in diesem Prozess die Finanzkrise gesteckt wurden, dann handelt Publikationen: Um die Überbevölkerung Besserstellung der Frau? es sich um einen Bruchteil der Beträge. einzudämmen, muss der Fokus nicht in Sie ist der wichtigste zentrale entwick- Und nachhaltiger wäre die Investition erster Linie aufs Senken der Geburten- lungspolitische Indikator überhaupt. Bes- ohnehin. Denn wir investieren in Kinder, 26 zahlen gelegt werden, sondern auf die ser ausgebildete Frauen heiraten später, also in unsere Zukunft. Klaus M. Leisinger (*1947), Professor für Entwicklungssoziologie Universität Basel, Präsident und Geschäftsführer Novartis Stiftung für nachhaltige Entwicklung, Autor des in Zusammenarbeit mit UNICEF entstandenen Buches «Hoffnung als Prinzip – Bevölkerungswachstum: Einblicke und Ausblicke».
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