Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum

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Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum
Kultur Korea
한국문화                                                                     Ausgabe 2/2011

SPEZIAL: FREIZEITGESTALTUNG AUF KOREANISCH
Drei Länder, sieben Städte, maximal zehn Tage…
Endlich einmal Braut sein. Über den Besuch in einem Dress-Café in Seoul
„Taekwondo? Kommt das nicht aus Thailand?“ – Ergebnisse einer Passantenbefragung
Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum
Titelbild: Nils Clauss
Schwimmbad am Han-Fluss in Seoul

Weitere Fotografien von Nils Clauss finden Sie in der Rubrik „Extrawelt”.

                                                                             Nils Clauss, geboren 1976, lebt
                                                                             und arbeitet seit Ende 2005 als
                                                                                Fotograf und Filmemacher in
                                                                            Seoul. Urbaner Raum und Archi-
                                                                              tektur sind seine wesentlichen
                                                                                                               Foto: privat

                                                                             Themenschwerpunkte. Kontakt
                                                                                    und weitere Infos unter:
                                                                                         www.nilsclauss.com
Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum
EDITORIAL
                                                      Womit verbringen die Koreaner ihre freie Zeit am
                                                      liebsten? Wie hat sich die Einführung der Fünf-
                                                      Tage-Woche in Korea auf die Freizeitgestaltung
                                                      ausgewirkt? Warum müssen Sonnenbäder und
                                                      Hautaufhellung kein Widerspruch sein, und was
                                                      macht eine koreanische Chorleiterin beim Bundes-
                                                      präsidenten?
                                                      Das vorliegende Heft ist das Ergebnis unserer
                                                      vielfältigen Bemühungen, auf diese und andere
                                                      Fragen Antworten zu finden, und es liefert einen
                                                      bunten Querschnitt durch die koreanische Frei-
                                                      zeitkultur.
                                                      Wir berichten über die Wanderbegeisterung der
                                                      Koreaner, die koreanische „Bang-Kultur“ (방, Bang:
                                                      Raum),1 eine Generalprobe für potenzielle Bräute
                                                      in einem Kostüm-Café, die Sinnsuche in Tempeln
                                                      und Kirchen, die Liebe der Koreaner zu ihren TV-
                                                      Serien und –Shows, den Stellenwert von Fußball
                                                      und Taekwondo, das Wohnzimmer als Lebensmit-
                                                      telpunkt der Familie, die koreanischen Reisege-
                                                      pflogenheiten, die Stars der Baduk-Szene (바둑:
                                                      koreanisches Brettspiel) und die interessantesten
                                                      Ausgehviertel in Seoul.
                                                      Erlaubt das Titelbild bereits einen Rückschluss auf
                                                      die Freizeitkultur? - Ein Freibad ohne Badende
                                                      an einem Sonnentag im Schatten omnipräsenter
                                                      Schirmstaffeln…

                                                      Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen!

                                                      Die Mitarbeiter des Koreanischen Kulturzentrums
                                                      1 Die Bang-Kultur umfasst verschiedenste Arten der
                                                      Freizeitgestaltung, die in einem eigens dafür vorgese-
                                                      henen Raum ausgeübt werden: z.B. Noraebang (노래방,
                                                      Karaokeraum), DVD-Bang (Raum zum Ansehen von
                                                      DVDs), Manhwa-Bang (만화방, Raum zum Ansehen von
                                                      Comics).
Foto: Malte E. Kollenberg

                            Noraebang (Karaokeraum)                                                            1
Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum
INHALT

     1 EDITORIAL

     2 INHALT

     FREIZEITKULTUR
     4 VON RÄUMEN, NETZEN,WENIG SCHLAF UND SCHÖNEN MENSCHEN
       von Malte E. Kollenberg
     6 BADUK - DER REIZ UND DIE VIELSEITIGKEIT EINES
       BRETTSPIELS von Daniela Trinks
     9 BLOß NICHT ZU HAUSE von Nicole Schmidt
     12 AB IN DEN NORAEBANG! von Franziska Schaar
     14 DREI LÄNDER, SIEBEN STÄDTE, MAXIMAL ZEHN TAGE
        von Malte E. Kollenberg
     16 KOREANISCHE CHORKULTUR von Hongza Dörge
     18 DAS NÄCHTLICHE SEOUL von Julia Kulewatz

     SPORT UND GESUNDHEIT
     20 WANDERBLÜTEN von Anne Schneppen
     22 TAEKWONDO: KÖRPERTRAINING, KONZENTRATION UND
        BEHARRLICHKEIT von Meister Rak Sun Pyo
     24 „DIE FUßBALLER DER NATIONALMANNSCHAFT WERDEN
        VERGÖTTERT WIE POPSTARS “, Interview mit Marco Pezzaiuoli
         von Dr. Stefanie Grote
     26 YOGA UND WELLNESS IN KOREA von Seohee Jang

     KALEIDOSKOP
     28 ARBEITSALLTAG IN KOREA UND DEUTSCHLAND GESTERN UND
        HEUTE. UND MORGEN? von Dr. Stefanie Grote
     30 „WIR WAREN DREI WOCHEN AUF TENERIFFA, ABER KEINE
        SEKUNDE AM STRAND“, Interview mit Sohyun Sung und
        Michael Vrzal von Dr. Stefanie Grote
     33 „TAEKWONDO? KOMMT DAS NICHT AUS THAILAND?“
         von Dr. Stefanie Grote
     35 ENDLICH EINMAL BRAUT SEIN von Franziska Schaar
     36 DIE SHINSEGAE ACADEMY IN SEOUL, Interview mit der Leiterin
        Ja-yeong Kim von Gesine Stoyke

     SINN
     38 BUDDHISTISCHER GLAUBE IM ALLTAG - AUS DEM LEBEN VON
        HANSOOK CHO von Gesine Stoyke
     40 EIN KLEINER EINBLICK IN DAS GEMEINDELEBEN KOREANISCHER
        KIRCHEN von Anna und Hans-Jürgen Rihlmann

2                                                      Foto: Anne Schneppen
Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum
41 SINNSUCHE IM TEMPEL von Miran Kwak
                                      43 NADEULGIL - BEDACHTSAMES GEHEN AUF DER INSEL GANGHWA
                                         von Sung-Ki Oh

                                      MEDIENKULTUR
                                      46 KOREANER LIEBEN IHRE FILME von Juyeon Han
                                      48 DAS LESEVERHALTEN DER KOREANER IN IHRER FREIZEIT
                                         von Dr. des. Yeon Jeong Gu
                                      49 LESEPROBE Jo Kyung Ran: „Feine Kost“
                                      50 FANDOM ALS FREIZEITBESCHÄFTIGUNG von Theresa Maria Loske
                                      52 AUS DER KOREANISCHEN FERNSEHWELT, Interview mit Hyomi Ahn
                                         von Gesine Stoyke
                                      54 WEBTOONS AUS KOREA von Gesine Stoyke

                                      PORTRÄT
                                      58 HODORI - PORTRÄT EINES KOREANISCHEN KÜNSTLERS von j.g.
                                      60 HONGZA DÖRGE UND IHR CHOR DOKOREA von Gesine Stoyke

                                      EXTRAWELT
                                      62 REPUBLIK KOREA Fotografien von Nils Clauss

                                      KOREA IM ALLTAG
                                      66 REZEPT - Bulgogi (Koreanisches Barbecue)
                                      67 KOREANISCHER SPRACHFÜHRER

                                      VERANSTALTUNGEN
                                      KOREANISCHES KULTURZENTRUM - RÜCKBLICK/ VORSCHAU
                                      68 THE SINAWI - Schamanistische Klänge in Berlin von Esther Klung
                                      70 AUSSTELLUNGEN
                                      71 KONZERTREIHE „EXPLOSION DER GEFÜHLE“
                                      72 KURSE

                                      73 BUNDESWEITE VERANSTALTUNGEN APRIL - JUNI 2011

                                      76 IMPRESSUM

Wanderweg in der Umgebung von Seoul
                                                                                                          3
Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum
FREIZEITKULTUR

                              VON RÄUMEN, NETZEN,WENIG SCHLAF
                              UND SCHÖNEN MENSCHEN
                                                                                             Freizeitgestaltung in Südkorea
                                                                                                                    Von Malte E. Kollenberg

                                                                                                           Baseball auf den Dächern von Seoul

          F
               reizeit ist ein kostbares Gut in Südkorea. Denn Freizeit   Verglichen mit Ländern wie Deutschland oder Finnland
               gibt es nicht so viel. Wer um neun Uhr im Büro anfängt,    haben Koreaner weniger Freizeit und arbeiten mehr. Die
               hat nicht um fünf Uhr Feierabend. Es ist keine Selten-     wenige Freizeit wird jedoch intensiv genutzt, muss aber
          heit, dass ein Angestellter die Firma um 19.00 Uhr, 20.00 Uhr   der Lebenswirklichkeit in einer Stadt wie Seoul angepasst
          oder 21.00 Uhr verlässt. Die knappe Freizeit ist jedoch nicht   werden. Viel Verkehr und Stau machen schon eine wenige
          allein ein Phänomen des koreanischen Arbeitslebens. Auch        Kilometer kurze Strecke zu einem zeitaufwendigen Ausflug.
          Schüler und Studenten haben so straff durchorganisierte         Da findet Freizeit am besten um die Ecke statt. Auch die
          Tage, dass sie für sich selbst nicht viel Zeit übrig haben.     persönliche Wohnsituation bestimmt dabei die Freizeitge-
                                                                          staltung. Zum einen ist es weit weniger üblich, dass Freunde
          Geht es um Freizeit und Zeit für Beschäftigungen neben          mit nach Hause genommen werden, zum anderen sind die
          Beruf und Studium, rangiert Korea in einer OECD-Studie aus      Wohnungen durchschnittlich kleiner und bieten weniger
          dem Jahr 2009 im Vergleich mit 17 weiteren OECD-Ländern         Platz. Verglichen mit Deutschland hat das Treffen mit Freun-
          durchgehend am unteren Ende. Ein Blick auf die Schlafge-        den in Korea trotzdem einen wesentlich höheren Stellen-
          wohnheiten zeigt zum Beispiel: In Korea wird statistisch        wert. Statistisch verbringt ein Koreaner 16 Prozent seiner
          im Durchschnitt weniger geschlafen als in allen anderen         freien Zeit damit, Freunde zu treffen oder zu besuchen.
          Ländern. Die Deutschen schlafen durchschnittlich etwa 20
          Minuten länger als die Koreaner, Franzosen sogar rund eine
          Stunde.

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Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum
Omnipräsent sind Karaokeräume, die Nora-           Betrachters, aber folgt man der Statistik,
                            ebangs (노래방), im Stadtbild Seouls. Und             hat das Betrachterauge in Südkorea einen
                            deren Beliebtheit zieht sich durch jegliche        Einheitsgeschmack. Helle Haut, große Augen
                            Altersschichten und gesellschaftlichen             und eine möglichst westlich aussehende
                            Stellungen. Überhaupt ist die ganze Stadt          Nase gelten als schön. Sonnenstudios, wie es
                            gepflastert mit „Bangs“ [방, Raum/Zimmer]           sie in Deutschland an jeder Ecke gibt, sucht
                            zur Freizeitgestaltung. Wer sich in Korea eine     man in Seoul vergeblich. Zwar verstecken
                            DVD anschauen möchte, braucht sich um              sich hier und da mal ein paar Sonnenbänke,
                            den heimischen Fernseher und die eigene            aber Mainstream ist der braune Teint nicht.
                            Tonanlage keine Gedanken zu machen.                Doch auch dem Gegenteil kann künstlich
                            Dafür gibt es ein paar Hundert Meter von           nachgeholfen werden. Sobald die ersten
                            der eigenen Wohnung entfernt einen DVD-            Sonnenstrahlen herauskommen, wird mehr
                            Bang (DVD-방). Ausgestattet mit einem               und mehr auf den Schutz vor selbiger ge-
                            gigantischen Flachbildfernseher und einer          achtet. Regenschirme eignen sich schließlich
                            Surround-Sound-Anlage bieten diese kleinen         auch perfekt zum Schutz vor Sonne. Und
                            Zimmer nochmal ein ganz anderes Filmer-            um der ungewollten Hauttönung direkt ein
                            lebnis als ein Kinobesuch. Selbst wer mit          Schnippchen zu schlagen, wird Sonnen-
                            dem halben Freundeskreis einen DVD- und            creme bereits mit beigemischtem Hautauf-
                            Fernsehabend plant, braucht nicht zu Hause         heller verkauft. Auch in Männerpflegepro-
                            zu bleiben. DVD-Bangs gibt es für zwei bis         dukte sind die aufhellenden Zutaten bereits
                            weit über zehn Personen.                           integriert. Kombiniert mit Lichtschutzfaktor
                                                                               35 Minimum kommt garantiert niemand, der
                            Mit dem Erfolg der Spielekonsole Wii ist           es nicht unbedingt möchte, gut gebräunt
                            noch ein weiterer Raum hinzugekommen.              aus dem Urlaub zurück.
                            Mittlerweile haben sich aus der Kombination
                            sämtlich möglicher Aktivitäten ganze Enter-        Dass die beste Freundin sich nach den
                            tainment-Zimmer, so genannte Multibangs            Semesterferien dennoch äußerlich verän-
                            (멀티방), entwickelt. Ob Multi hier auf die           dert hat, ist keinesfalls abwegig. Ein Besuch
                            Multifunktionalität oder auf das Multimedia-       in einer Schönheitsklinik ist in Korea nichts
Foto: Malte E. Kollenberg

                            erlebnis hindeuten soll, kann dahingestellt        Außergewöhnliches, vor allem nicht bei
                            bleiben. Singen, DVD gucken oder Konsole           angehenden Studentinnen. Um das Selbst-
                            spielen, alles kann am selben Ort erledigt         bewusstsein zu steigern, wird dem Schön-
                            werden - in einem Zimmer, das an eine Gum-         heitsideal auch mal künstlich nachgeholfen.
                            mizelle erinnert, weil Fußboden und Wände          Nicht nur Studentinnen, selbst High-School-
                            gepolstert sind und so den gesamten Raum           Schüler und neuerdings auch Mittelschüler
                            praktisch zu einem einzigen Sofa machen.           werden zu einer begehrten Zielgruppe der
                                                                               Kliniken. Einer Umfrage der Stadt Seoul zu-
                            Doch auch echte Outdoor-Aktivitäten haben          folge, würden sich 41,4 Prozent der Jugendli-
                            den urbanen Raum erobert. Wer mit dem              chen unter 20 Jahren unter das Messer legen,
                            Taxi oder dem Auto eine halbe Stunde               um dem eigenen Aussehen nachzuhelfen.
                            durch Seoul fährt, stellt nach kurzer Zeit fest:   Ein Wert, der zehn Prozentpunkte höher als
                            Zwischen den Hochhäusern der Hauptstadt            der in der Altersgruppe zwischen 20 und 30
                            spannen sich grüne Netze wie ein roter             Jahren ist. Verglichen mit über 40-Jährigen

                                                                                                                                                       Foto: privat
                            Faden. Golf- und Baseballabschlagplätze            sogar fast 30 Prozentpunkte höher. Ohne zu
                            zwischen spiegelnden Hochhausfassaden.             übertreiben, kann man sagen: Alles, was mit
                            In einer Stadt wie Seoul, mit zwölf Millionen      der Verschönerung des eigenen Körpers zu
                            Einwohnern auf gut 600 Quadratkilometern,          tun hat, ist in Korea auch eine immer populä-
                            ist vor allem in die Höhe gebaut worden.           rer werdende Freizeitbeschäftigung.             Malte E. Kollenberg,
                            Platz für einen großflächigen Abschlagplatz?                                                       aufgewachsen in Bonn
                            Fehlanzeige! Also werden sportliche Aktivitä-                                                      und Gummersbach, hat
                            ten entweder elektronisch ins Untergeschoss                                                        in Bamberg und Seoul
                            oder aufs Hochhausdach samt Sicherungs-                                                            Politik- und Kommu-
                            netz verlegt.                                                                                      nikationswissenschaft
                                                                                                                               studiert. 2007 hat er
                                                                                                                               zusammen mit einem
                            Für viele junge Koreaner, meist junge Frauen,                                                      Partner das Journalisten-
                            nimmt die Beschäftigung mit dem eigenen                                                            büro KOLLENBECKER
                            Aussehen einen ganz entscheidenden Teil ih-                                                        gegründet. Jetzt lebt und
                            rer Freizeit ein. Schönheit wird großgeschrie-                                                     arbeitet er als Korres-
                            ben. Zwar liegt die bekanntlich im Auge des                                                        pondent in Seoul.

                                                                                                                                                       5
Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum
FREIZEITKULTUR

       BADUK (바둑 棋) -
       DER REIZ UND DIE VIELSEITIGKEIT
       EINES BRETTSPIELS
                                                    Von Daniela Trinks

                           Baduk im Jjimjilbang (찜질방, koreanische Sauna)

Foto: Daniela Trinks

  6
Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum
„Noch eine Partie” be-                                  in den öffentlichen Fernsehkanälen (MBC, KBS, EBS)
                                                                                                      zu sehen. Die Spiele werden kommentiert über-
                                              schlossen die Badukspieler.                             tragen – live oder zeitversetzt, um dem Zuschauer
                                              Das war gestern.                                        die langen Bedenkzeiten (bis zu drei Stunden pro
                                                                                                      Spieler) zu verkürzen.
                                              Liebe und Leidenschaft zu einem Brettspiel waren
                                              der Grund, dass ich vor fünf Jahren nach Korea ging     Neben dem Fernsehen wurde auch das Internet
                                              und bis heute dort lebe. In einer Stadt wie Yongin      ein wichtiges Medium für die Baduk-Liebhaber,
                                                                                                      denn dort können Profipartien live verfolgt, mit
Foto: privat

                                              (800.000 Einwohner) fällt man als nichtasiatische
                                              Ausländerin auf, in der Baduk-Welt, die zu 80-90%       virtuellem Geld gewettet (wer gewinnt?) und vor
                                              männlich ist, umso mehr. Das Interesse an solch         allem jederzeit selbst gespielt werden. Internetpro-
                                              einer „Spezies“ ist groß und war für mich durch-        gramme versorgen die Badukspieler Tag und Nacht
                                              aus auch gewöhnungsbedürftig. Selbst Bus- oder          online mit Spielpartnern - bequem am Computer zu
               Daniela Trinks wurde 1977
               in Berlin geboren. Seit 1989   Taxifahrer, Toastverkäuferin oder Sauna-Besucherin      Hause. Für viele ist natürlich die richtige Begegnung
               spielt sie Baduk, und seit     erkundigen sich häufig nach Alter, Herkunft, Fami-      am Baduk-Brett wichtig, denn neben der geistigen
               1995 unterrichtet sie das      lienstand und Beschäftigung. Oft erwarten sie die       Herausforderung gilt es auch, Beziehungen zu
               Spiel.                         Anwort „Englischlehrerin“, wie von den meisten Aus-     pflegen. Doch wer öfter als auf den regelmäßigen
               2006 nahm sie ein Studium      ländern. „Baduk-Studium“ ist überraschend, aber         Freundschaftstreffen oder im Baduk-Klub spielen
               der Baduk-Wissenschaften       jeder kennt Baduk aus den Medien, in Deutschland        möchte, kann dies jederzeit im Internet tun. Dort
               in Korea auf. Ihre Masterar-   mit dem allgemeinen Wissen über Schach gut              werden auch die jüngsten Neuigkeiten aus der
               beit über Badukausbildung                                                              koreanischen und internationalen Baduk-Szene und
                                              vergleichbar.
               für Kinder in Korea und                                                                Veranstaltungstermine veröffentlicht. Der eigent-
               Deutschland schloss sie
                                              Baduk (바둑 棋), in Ländern außerhalb Ostasiens            liche Ansporn besteht ja darin, sich auf Baduk-
               2010 ab.
               Mail: daniela.trinks@gmx.de    „Go“ genannt, ist seit langem in Korea bekannt, eini-   Turnieren mit anderen zu messen. In der Welt des
                                              ge Legenden und Aufzeichnungen stammen aus              “Höher, Schneller, Weiter” gilt es auch im Baduk,
                                              der Zeit des Joseon-Reiches (1392 - 1910). Damals       in Wettkämpfen zu zeigen, was man kann, und so
                                              wurde Baduk als eine der Vier Großen Künste (금기         versammeln sich mehrere hundert bis tausend
                                              서화, geumgi seohwa) der Aristokratie angesehen,          Amateure jeden Alters in einer Sporthalle zum
                                              zusammen mit Musik, Schreibkunst (Kalligrafie und       geistigen Kräftemessen.
                                              Dichtkunst) und Malerei. Baduk war zu der Zeit nur
                                              der oberen sozialen Schicht vorbehalten. Seit der       “Tagsüber bin ich in der Firma, und am Abend
                                              Industrialisierung Koreas ab den frühen 1960er          spiele ich Baduk, um den Stress abzubauen“ - so der
                                              Jahren genießen die Menschen mehr Freizeit, und         Geschäftsmann Herr Baek (65). Vor 35 Jahren hatte
                                              somit war auch dem Baduk der Weg in alle Bevölke-       er begonnen, Baduk zu fördern. Damals musste das
                                              rungsschichten geebnet.                                 niedrige Gehalt sparsam verwendet werden. Doch
                                                                                                      um seine Baduk-Treffen zu organisieren, scheute
                                              1945 - der Krieg mit Japan war beendet und Korea        Herr Baek weder Kosten noch Mühen, sogar Pro-
                                              lag in Trümmern - hatte Herr Cho Nam-chul (조            fispieler aus der entfernten Großstadt wurden für
                                              남철) den folgenden Gedanken: “Warum sind wir             bezahlte Lehrstunden eingeladen.
                                              ärmer als Japan? Das liegt daran, dass wir keine
                                              Spezialisten in den einzelnen Industrien haben.         Wenn sich Baduk-Spieler kennenlernen, verbindet
                                              Also entschied ich mich, ein Baduk-Spezialist zu        sie ein lebenslanges Band. Herr Baek hat zahlreiche
                                              sein. Andererseits, braucht unser zerstörtes Land       Beziehungen in der Baduk-Welt aufgebaut. Mit vie-
                                              wirklich Baduk beim Wiederaufbau? Aber ich war          len Baduk-Spielern pflegt er enge Freundschaften,
                                              mir sicher: Baduk ist eine Freizeitbeschäftigung        und er liebt es ebenso, neue Kontakte zu knüpfen,
                                              und der Mensch kann nicht 24 Stunden am Tag nur         so dass er sich seit einigen Jahren ausschließlich
                                              arbeiten.“1                                             seinem Geschäft und seinem Hobby Baduk widmet.
                                              Herr Cho, der aufgrund seines unermüdlichen             Gleich nach der Arbeit macht er sich auf den Weg
                                              Engagements „Pionier und Vater des koreanischen         zum Baduk-Klub (koreanische Bezeichnung: 기원,
                                              Baduk” genannt wird, gründete bereits 1945 einen        Kiwon), um dort seine Freizeit zu genießen. „Das ist
                                              koreanischen Baduk-Verband und erschuf das pro-         das Schöne. Die Baduk-Spieler haben grundsätz-
                                              fessionelle System für Korea.                           lich ein reines Herz. Geschäftsleute sind brilliant
                                                                                                      im Rechnen, auch im sozialen Bereich rechnen sie
                                              Heute gibt es ca. 250 Profispieler in Korea. Zahl-      heimlich exakt aus. In der Baduk-Gemeinschaft
                                              reiche Turniere sind für die Profis Lebensunterhalt     kämpfen die Leute zwar auf dem Brett, aber
                                              (Spitzenspieler verdienen bis zu 632.000.000 KRW        ansonsten sind sie warmherzig. Das mag ich ganz
                                              = 416.000 EUR im Jahr) und für die Anhänger eine        besonders.“
                                              Möglichkeit, die Spiele in den Magazinen, Tages-
                                              zeitungen und nicht zuletzt auch im Fernsehen           Auch Herr Jang (40), Inhaber einer erfolgreichen
                                              zu verfolgen. Seit den 1990er Jahren gibt es zwei       koreanischen Architekturfirma, hat vor einem Jahr
                                              Kabelsender, die sich rund um die Uhr nur mit           ein neues Steckenpferd entdeckt: Baduk. Seitdem
                                              Baduk beschäftigen, davor war Baduk regelmäßig          lernt er eifrig mit Hilfe von Übungsbüchern, die als
                                                                                                                                                              7
Kultur Korea - Koreanisches Kulturzentrum
Lehrmaterial für Kinder in der Baduk-Schule dienen, in die              voraussagen, wer mit wie vielen Medaillen nach Hause
auch sein Sohn und seine Tochter gehen.                                 gehen würde. Umso überraschender war es, dass Korea
Herr Jang lädt gern zu einem Baduk-Treffen im Jimjilbang                alle drei Goldmedaillen gewann. Doch jeder Wettkampf
(찜질방) ein. Er liebt diese koreanischen Saunen, besucht                  war denkbar knapp, und die Chinesen haben sich erneut
sie bis zu drei Mal pro Woche, immer gewappnet mit                      als ebenbürtige Gegner erwiesen.
seinen Baduk-Büchern, um die körperliche Entspannung
mit geistigem Training zu verbinden.                                    Baduk hat also seine Grenzen als reine Freizeitbeschäfti-
                                                                        gung, als Spiel, längst überschritten, ist gleichermaßen
Eine wissenschaftliche Studie hatte im letzten Jahr bewie-              olympische Disziplin, Denksport, Unterrichtsmittel, um
sen, was bisher schon als koreanischer Volksglaube galt:                Geist und Charakter zu bilden, und Jahrtausende alte
wer Baduk lernt, steigert seine intellektuellen Fähigkeiten.            Kunst. So widmet sich der 1997 gegründete Fachbereich
Und so schicken viele Eltern wie Herr Jang ihre Kinder                  „Baduk-Wissenschaften“ (바둑학과, Baduk Hakgwa) an
in die Baduk-Schulen, wo sie täglich eine Stunde lernen.                der Myongji-Universität nicht nur den rein spieltechni-
Doch was Kinder „mit links“ aufnehmen, fällt Erwach-                    schen Aspekten, sondern z.B. auch der Erforschung und
senen mitunter nicht ganz so leicht. Etwas Neues und                    Vermittlung von Baduk-Kultur, Baduk-Geschichte, Baduk-
inbesondere so Vielseitiges zu lernen wie Baduk, braucht                Unterrichtsmethoden, Baduk-Medien, Baduk-Marketing -
seine Zeit. Doch Herr Jang gibt nicht auf, löst pro Tag 100             Grundwissen also für die Baduk-Berufe. An der Universität
Übungsaufgaben, spielt im Internet viele Lehrpartien                    studieren überwiegend sehr starke Amateurspieler, die es
und lässt auch kein wöchentliches Treffen des lokalen                   aufgrund des harten Wettbewerbs nicht geschafft haben,
Baduk-Vereins aus, das er selbst finanziell und organisa-               Profispieler zu werden. Jedoch sind auch einige Profispie-
torisch unterstützt . Fällt das Vereinstreffen wegen eines              ler unter den Studenten, da sie ihren Lebensunterhalt
Feiertages aus, fehlt ihm etwas. Also begibt sich Herr                  nicht nur im Turniergeschäft verdienen wollen (und kön-
Jang in einen Baduk-Klub. In diesen sogenannten Kiwons                  nen). Seit einigen Jahren sind auch Ausländer aus Europa,
bezahlen die Besucher einen Tagesbeitrag von etwa 5.000                 China, Thailand, Singapur, Brasilien und Kanada mit dabei,
KRW (3 Euro) und können dort den ganzen Tag beliebig                    denn es gibt zurzeit weltweit nur diese einzige Universi-
lange Baduk spielen. Diese Einrichtungen haben eine                     tät, die Baduk als akademisches Studienfach anbietet.
sehr lange Tradition. Die Mehrzahl ihrer Besucher ist
männlich und älter als 50 Jahre. Die Senioren kommen                    Ein freundlicher Bankangestellter fragte mich einmal : „In
bereits am Nachmittag, die Werktätigen nach der Arbeit                  unserer Bankfiliale kommt Lee Changho (이창호) auch
am Abend, um ihrem Hobby zu frönen.                                     häufig vorbei, möchten Sie vielleicht ein Autogramm von
                                                                        ihm haben?“ Ich lächelte. Lee Changho ist im koreani-
Einer Studie zufolge spielen ca. 20% der erwachse-                      schen Baduk das, was Franz Beckenbauer oder Uwe See-
nen koreanischen Bevölkerung Baduk, also mehr als                       ler für den deutschen Fußball sind – ein Star, eine Ikone,
7,5 Millionen Menschen. 1992, kurz nach den ersten                      die noch lebt, aber schon als unsterbliche Legende gilt...
internationalen koreanischen Erfolgen, waren es sogar                   1
36% (16 Millionen). Damals wurde wahr, wovon Herr Cho                   http://english.dashn.com/history_baduk/memorials_03_06.htm
geträumt hatte: Die Ära des koreanischen Triumphs über
Japan begann. Bis dahin dominierte der koreanische
Nachbar das Geschehen, und keiner zweifelte Japans in-
ternationale Führung in der Baduk-Welt an. Doch
plötzlich gewann ein Koreaner das erste interna-
tionale Baduk-Turnier, und in Korea brach großer
Jubel aus. Der Sieger Cho Hun-hyun (조훈현)
wurde wie ein Nationalheld mit einer Autoparade
in der Heimat begrüßt. Seitdem folgten viele wei-
tere koreanische Siege, und die internationalen
Errungenschaften brachten weltweite Beachtung.
Nach fast 20 Jahren hat es nun China geschafft,
den Koreanern ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die
internationalen Titel zu liefern, und es ist schwer
zu sagen, wer die Nummer 1 ist. Doch gerade dies
macht es interessant für die Anhänger zu Hause,
ihre Stars bei den Turnieren anzufeuern und die
Partien zu verfolgen. Bei den Asiatischen Spielen
2010 in Guangzhou (China) war Baduk erstmals
eine der Disziplinen, und kein Experte konnte
                                                 Foto: Daniela Trinks

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                                                                                                                               Kinder in einer Baduk-Schule
FREIZEITKULTUR

                                                Foto: Nicole Schmidt

                                                                                                                                                                    Fischmarkt in Sokcho

                                                                       BLOß NICHT ZU HAUSE
                                                                                                                                                                   Von Nicole Schmidt

                                                                       Koreaner lieben es, in ihrer Freizeit auszuschwärmen –
Foto: privat

                                                                       zum Shoppen, Sightseeing, Essen, Saunieren und Meditieren
                                                                       Nackt sitzen sie in einem dampfenden Bassin. Es           ihr Mann, ein Schiffsbauingenieur. Sie verbringen
               Nicole Schmidt hat ihre                                 sind nur Frauen. Alte und junge gemeinsam. Ein            am liebsten ihr Wochenende woanders als zu Hause
               Leidenschaft, das Reisen,                               weißes Handtüchlein liegt flach auf ihrem Kopf. Und       - so wie fast alle koreanischen Familien, die sich das
               zum Beruf gemacht. Als                                  jetzt? Erst zögere ich, ich bin die einzige Fremde.       leisten können. Jetzt wird mir klar, warum westliche
               Reisejournalistin ist sie in
                                                                       Aber dann hocke ich mich einfach dazu. Sie lächeln.       Touristen erstaunt sind über die meist total überfüll-
               der ganzen Welt unterwegs,
               schreibt unter anderem für
                                                                       Stetig fließt Wasser aus einer Öffnung in der Ecke.       ten Sehenswürdigkeiten in Südkorea. „Wir kommen
               Brigitte, GEO Saison und die                            Es ist heiß, sehr heiß und dampft. Welch Wonnen in        aus Ulsan, einer reinen Industriestadt. Da wollen wir
               Frankfurter Rundschau. Dort                             der Wanne! Bereits nach drei, vier Minuten beginnt        einfach mal was anderes erleben.“ In Gyeongju, der
               lernte sie nach ihrem Diplom                            die Welt draußen zu zerfließen. Und ich mit. „Ist das     Hauptstadt des alten Silla-Reiches [57 v. Chr. – 935
               in Soziologie auch den Jour-                            nicht eine wunderbare Entspannung?“, fragt eine           n.Chr., Anm. d. Red.], waren sie schon ein paarmal.
               nalismus von der Pike auf.                              junge Frau neben mir. Ob sie mir den Rücken ab-           „Immer wieder herrlich“, sagt Su-Jin, „um den See
               Sie war bei dieser Zeitung                              schrubben solle? Ich schaue wohl ziemlich irritiert,      zu spazieren, die alten Tumuli-Königsräber zu erfor-
               zunächst jahrelang fest ange-                           denn sie lacht: „So ist es üblich in einer koreanischen   schen, zum formvollendeten meterhohen Buddha
               stellte Redakteurin, bevor sie                          Sauna. Eine unserer liebsten Freizeitbeschäftigun-        aus Granit in der Felsengrotte hochzusteigen.“
               für drei Jahre nach Barcelona
                                                                       gen“.                                                     Das Kontrastprogramm hatte die Familie zwei Wo-
               ging und sich dort auch ent-
               schloss, als freie Mitarbeite-
                                                                       Su-Jin Ha, eine Englischlehrerin, lerne ich während       chen davor: Sie schaute im Wiedervereinigungs-Ob-
               rin weiterzuarbeiten.                                   meiner Südkorea-Rundreise im Wellness-Bereich             servatorium Odusan nach Nordkorea hinüber und
                                                                       des Hyundai-Hotels in Gyeongju kennen. Es ist ei-         stand wenig später im Imjingak-Park auf der „Brücke
                                                                       nes mit vier Sternen, schön gelegen am See, mit           zur Freiheit“; unzählige bunte Wunsch-Fähnchen
                                                                       Karaoke-Bar und reichhaltigem Frühstücksbuffet.           am Stacheldraht-Zaun im Blick. Solche Touren zur
                                                                       Deshalb haben sie es gewählt, Su-Jin, ihr Sohn und        Entmilitarisierten Zone1 und zu Schauplätzen des

                                                                                                                                                                                           9
Foto: Nicole Schmidt
                                                         Vielfalt der Beilagen, die zu jedem koreanischen Essen gehören

     Korea-Krieges [1950-1953, Anm. d. Red.] sind ein Renner auch             junge Ehepaare, sind gehüllt in mausgraue Kutten, Größe XXL,
     bei Südkoreanern. Weil sie immer an die Wiedervereinigung                und starren schlaftrunken den Mönch vor uns an. Topfit und hell-
     denken? „Nein. Für uns Junge ist das nicht mehr das große The-           wach turnt er im Gästehaus des Haeinsa-Tempels herum, der die
     ma. Für uns gehört so ein Besuch einfach zum Freizeitvergnü-             berühmte Tripitaka Koreana, die umfassendste Sammlung aller
     gen. Unser Sohn darf dann im Park auch Karussell fahren, an              buddhistischen Texte, beherbergt.2 Ein Kulturerbe der Mensch-
     Klebreisbällchen knabbern, und alle sind glücklich“, sagt Su-Jin.        heit abseits der Welt, tief in den Bergen des Nationalparks Ga-
     Inzwischen fühle ich mich porentief rein. Die anderen Frauen             yasan.
     sind das auch. In einer koreanischen Sauna versickert der Stress         Der Seunim [스님],3 wie er sich vorstellt, faltet die Hände vor
     nicht wie in Deutschland in luxuriösen 1001-Nacht-Sauna-                 dem Brustbein, wirft sich auf die Knie, drückt Stirn und Hände
     Landschaften, hier geht es richtig zur Sache. Fast jede Frau hat         auf den Boden, führt die Hände mit der Innenfläche nach oben
     ihren eigenen Korb mit einer Menge an Toilettenartikeln dabei.           am Ohr vorbei, rollt sich wieder auf, kommt federnd zum Stehen,
     Mit Seife und rauem Lappen und Bürste rücken sie sich zu Lei-            und von vorn das Ganze. Danach, lächelt der Mönch, seien alle
     be, reiben sich mit Salz ein, um abgestorbene Hautschuppen zu            Laster, Leidenschaften und Begierden abgearbeitet und seine
     entfernen, putzen sich die Zähne und die Zunge, spritzen sich            Gäste reif für die Meditation; eine Stunde lang im Lotussitz, mit
     mit dem Schlauch ab. „Das strafft, ist ein wunderbares Peeling           völlig geradem Rücken.
     und ein traditionelles Reinigungsritual noch dazu“, erklärt Su-Jin.      Alle stöhnen im Stillen. Aber die 108 Kniefälle schaffen wir tat-
     Jetzt sei es Zeit, ins kalte Becken zu steigen. Ich quietsche vor        sächlich mit nur ein klein wenig Schummeln. Der Seunim ist
     Vergnügen. Die Mitsauniererinnen kichern. Meine Befangenheit             zufrieden. Jetzt schreitet er hinter seinen Zöglingen auf und ab,
     – wie weggeblasen.                                                       richtet Rücken gerade, zieht Schultern zurück, zeigt, wie man den
     Mutig geworden, schrubbe ich jetzt auch Su-Jins Rücken und               Fuß über den linken Oberschenkel bettet, ohne umzufallen. Alle
     frage dabei, wie traditionell sie eigentlich sei. Nun, die Familie       ächzen. Der Meister lächelt fein mit einem Blick, der in etwa sagt:
     halte die Tradition sehr hoch, habe Ehrfurcht vor dem Alter. Aber        Habt wohl gedacht, Mönchsein sei ein Zuckerschlecken und
     gläubige Buddhistin sei sie nicht. „Wie die meisten Jungen. Trotz-       man braucht einfach bloß mal ein Stündchen dazusitzen – und
     dem habe ich einmal mit ein paar Freunden bei einem Temple-              schon ist die Erleuchtung da? Nein, das geht nur mit eiserner Dis-
     Stay-Wochenende mitgemacht“, sagt sie. Aus reiner Neugier, „um           ziplin. Und deshalb ist das Klosterleben in Korea knallhart. Jetzt
     zu sehen, wie das so ist.“ Ich nicke. Mir ist das auch so gegangen.      eins zählen und tief einatmen, bei zwei ausatmen, starr einen
     Während Westler solche Aufenthalte im Tempel über Studienrei-            Punkt einen Meter vor sich auf dem Boden fixieren, die Augen
     severanstalter buchen können, hat Su-Jin einfach angerufen und           schließen, sein „Inneres betrachten“. Dann werde der Kopf schon
     sich angemeldet. Viele der Tausenden von Tempeln in Südkorea             irgendwann frei. Es funktioniert einfach nicht. Nur die Knochen
     bieten solche Programme an. Und während Su-Jin und ich wie-              tun weh. Alle sind froh, als sie aufstehen dürfen. In Zweierreihen
     der in das warme Becken steigen, erzählen wir uns, wie es war.           antreten zum Frühstück. Selbst morgens gibt es Kimchi [김치],
     108 Kniefälle für Buddha. Ohne Unterbrechung, alle gemeinsam             eingelegtes Gemüse, allerdings nur zwei Sorten, dazu kalten
     im vorgegebenen Takt. Und das um vier Uhr morgens, nach nur              Reis, eine dünne Suppe, kurz blanchiertes Gemüse und Tee, alles
     wenigen Stunden Nachtruhe auf dem blanken Boden. Das gro-                ziemlich geschmacksneutral. Und selbstverständlich fleischlos.
     ße Getrommel und den Gottesdienst haben wir da schon hin-                Schweigend setzen sich die Klosterbewohner an einen Tisch, die
     ter uns. Wir Touristen, sieben Westler und zwei südkoreanische           Touristen-Mönche sitzen wortlos daneben. Bloß nicht den Kopf

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neugierig herumschwenken, sondern gesenkt halten. Kein                         lang. Doch wir feiern auch gerne, und es macht uns Spaß,
Reiskorn darf übrig bleiben. Essen ist kostbar.                                beim Essen mit vielen Leuten zusammen zu sein.“ Aber nie
Die Westler dürfen hinterher im ersten Licht des Morgens                       zu lange, denn es müsse eigentlich alles immer ganz schnell
zusammen mit dem Seunim den Tempel anschauen, noch                             gehen. Ich berichte von meinem ersten Essen in Seoul, das
bevor die Touristenbusse anrollen. Su-Jin als Einheimische                     ich nur bestellen konnte, weil es auf allen Tischen stand, an
musste auch fegen, Geschirr waschen und andere Tempel-                         denen Koreaner saßen - ich zeigte einfach drauf. Nach nur
dienste verrichten. „Es war kein reines Vergnügen, aber eine                   zehn Minuten kam es: Ein Gericht im heißen Tontopf. Ge-
spannende Erfahrung. Diese intime Begegnung mit den                            dünsteter Reis, frisches Gemüse, hauchdünn geschnittene
Mönchen werde ich nie vergessen“, sagt sie. Nonne, nein, das                   Rindfleischstreifen, Sesamöl, rote Chilipaste, reichlich Kräuter
sei nichts für sie. „Ich muss wissen: Morgen kann ich wieder                   und ein Spiegelei. Dazu als Beigabe mindestens ein Dutzend
shoppen.“ Und wieder nicke ich.                                                Schüsselchen mit „Kimchi“, eingelegtem Chinakohl, See-
Su-Jin holt nach zwei weiteren Heiß-Kalt-Runden eine Kör-                      tang, Süßkartoffeln, Lotoswurzeln, Shrimps, Pilzen. „Mitunter
perlotion aus ihrem Korb. Der Duft von Zitronengras steigt                     fremdartige Geschmackserlebnisse von süß und scharf bis
mir in die Nase. Oder doch lieber Granatapfel? „Habe ich ge-                   sauer und salzig“, schwärme ich. Su-Jin guckt mich an, ich
kauft in Seoul in einem Shopping-Center im Mode-Viertel                        sie. Schnell ziehen wir uns um, nehmen ein Taxi und lassen
Hayedung. Manche sind rund um die Uhr geöffnet. Wir schät-                     uns in eine Suppenküche bringen. Preiswert, frisch und Bal-
zen es sehr, dort auch noch weit nach Feierabend einzukau-                     sam für den Magen. „Suppe lieben wir, und sie ist gut für jede
fen“, sagt sie. Oder in Insadong, dem Lieblingsviertel aller                   kleine Pause”, sagt Su-Jin. Aber ich müsse auf jeden Fall noch
Touristen in Seoul. Wo es nach Tee und Kräutern und gebra-                     auf einen koreanischen Fischmarkt gehen. „Der in Sokcho ist
tenem Hühnchen riecht, Pinsel so groß sind wie Besen, die                      einen Ausflug wert. Dafür nehmen auch wir uns viel Zeit.“ Ich
in Kalligrafie-Spezialgeschäften von der Decke baumeln, wo                     befolge ihren Rat und bummle zwei Tage später am Hafen
Verkäufer in Kramläden neben ihren Kollegen in den Souve-                      von Sokcho entlang. Die Besucher des Fischmarktes schie-
nirshops, dämmrigen Antiquitätendepots und glasüberdach-                       ben sich an den Ständen vorbei, in Fünferreihen. Was für eine
ten zeitgenössischen Galerien auf Kundschaft warten, und                       Auswahl! Gerade noch zappelte der Fisch in der roten Plastik-
wo Su-Jins Sohn sich kaputtgelacht hat über die rappenden                      Wanne – drei Minuten später liegt er, perfekt filetiert und mit
Spaßmacher an den Süßigkeiten-Imbissen. Synchron und                           Wasabi [와사비, Meerrettichsoße] und Salatblättern garniert,
gekleidet wie Chirurgen verwandeln sie in einer werbespot-                     als Sashimi [사시미, roher Fisch] auf dem Teller des kleinen
reifen Nummer einen mehligen Honigklumpen in haarfei-                          Restaurants mit Meerblick. Fürwahr - eine prima Freizeitbe-
ne weiße Fäden, schneiden sie bleistiftlang ab, wickeln ein                    schäftigung.
Stück Walnuss hinein, verpacken es hübsch als Drachenbart.
Schmeckt köstlich.
Ob ich keinen Hunger habe, fragt Su-Jin, als wir am Ende un-
serer Sauna-Orgie erschöpft am Beckenrand sitzen. Und er-
zählt begeistert von den Straßenverkäufern in Seoul, die an
jeder Ecke duftende Waffeln feilbieten, Chilisoße unter Reis-
kuchen rühren, Fischstücke auf Holzstäbe spießen, von den
vollbesetzten Cafés und Restaurants. „Wir arbeiten hart und

1
  Grenzgebiet zwischen Süd- und Nordkorea (Anm. d. Red.).
2
  Koreanische Kunsthandwerker schnitzten die gesamten buddhistischen Schriften in mehr als 80.000 hölzerne Druckplatten - die so genannte Tripitaka Koreana. Die
Aufzeichnung des buddhistischen Kanons stammt aus der Goryeo-Zeit (918–1392 n.Chr.). Die hölzernen Druckplatten werden heute in Janggyeongpanjeon, einem
Gebäude im Haeinsa-Tempel, aufbewahrt (Anm. d. Red.).
3„Seunim“ [스님] bedeutet im Koreanischen „buddhistischer Mönch“ (Anm. d. Red.).

                                                                                                                                                               11
FREIZEITKULTUR

                                                  AB IN DEN NORAEBANG!
                                                                 Von Franziska Schaar
     Foto: privat

                    Franziska Schaar studiert
                    im 5. Semester Kultur-
                    wissenschaften mit den
                    Schwerpunkten Sozial- und
                    Literaturwissenschaften an
                    der Europa-Universität Via-
                    drina. Das letzte Semester
                    hat sie an der Sookmyung
                    Women’s University in
                    Seoul verbracht, wodurch
                    ihr Interesse für Korea
                    gestärkt wurde. In dieser
                    Ausgabe berichtet sie
                    über ihre Erfahrungen,
                    die sie im Dress-Café und
                    in Karaokebars in Seoul
                    gemacht hat.

                                                               Illustrationen von Jo Seung-yeon

12
L
     angeweile in Korea? So etwas gibt es dank
     der vielfältigen Freizeitaktivitäten nur äußerst
     selten. Dies ist nicht zuletzt dem Noraebang
[노래방], der koreanischen Version des bekannten
Karaoke aus Japan, zu verdanken. Wortwörtlich ist
darunter ein Singraum zu verstehen.
Doch wer denkt, dass es sich dabei um ein verrück-
tes Hobby der jungen Koreaner handelt, der irrt.
Denn in den für Europäer gewöhnungsbedürftigen
Einrichtungen sind alle Altersklassen vertreten.
Der Schritt in einen Noraebang ist mit dem Schritt
in eine andere Welt zu vergleichen. Dabei gleicht
kein Noraebang dem anderen. Sie variieren in ihrer
Größe, ihrem Angebot und ihrer Ausstattung. Nur
eines haben sie alle gemeinsam – sie sind überall
zu finden. Es gibt wohl nur wenige Straßenzüge in
Seoul, in denen sich kein Noraebang befindet. Fi-
nanziell gesehen ist es kein zu teures Hobby, denn
eine Stunde kostet meist um die 15.000 Won (etwa
zehn Euro) plus Getränke, die in dem Noraebang
genauso viel kosten wie in dem GS25 (einem klei-
nen 24h-Supermarkt) um die Ecke. Aber Achtung,          omnipräsenten Verhaltensregeln einmal vergessen
nicht jeder Noraebang bietet auch Getränke an.          können. Der Noraebang sollte aber keinesfalls als
Einmal in die Welt des Noraebang eingetaucht, ge-       reine Gruppenbeschäftigung gesehen werden. Es
lingt einem meist erst nach mehreren Stunden die        kommt nicht selten vor, dass man auf dem Weg zur
Rückkehr in die Normalität. Gleich nach dem Be-         Toilette an einem Zimmer vorbeikommt, in dem
treten beginnt die Zimmerauswahl. Meist ist diese       ein einzelner Koreaner im Anzug über die große
recht begrenzt und abhängig von der Personenan-         Liebe singt. Auch Pärchen sind nicht selten in
zahl der Singwütigen. Wenn dann aber erst einmal        einem Noraebang anzutreffen, da dieser Ort ihnen
das Zimmer betreten wurde, geht es sofort los.          die Möglichkeit bietet, der elterlichen Aufsicht für
Die Karaokemaschine spielt das erste Lied, und die      kurze Zeit zu entkommen.
oder der erste Mutige steht am Mikrofon. Während-       Wie populär der Noraebang in Korea ist, wird
dessen können sich die anderen einen Überblick          spätestens nach der Entdeckung des Norae-Busses
über das Songangebot in der großen Liederbibel          deutlich. Auf längeren Strecken kann der Reisebus,
verschaffen und über einen Controller bereits wei-      der in Deutschland durch seine bunte Dekoration
tere Lieder eingegeben, denn eine Pause zwischen        ohnehin schon als extravagant gelten würde, in
den einzelnen Liedern ist ein absolutes No-Go. Ist      einen mobilen Noraebang verwandelt werden.
dies erledigt, wird die Freundin oder der Freund        Für die geübten Sänger gibt es Shows, in denen sie
am Mikrofon tatkräftig unterstützt. Ob stimmlich,       ihr gesangliches Können im Fernsehen präsen-
mit Applaus oder mit einem der bereitgestell-           tieren dürfen. Ob allein oder im Duett spielt dabei
ten Perkussionsinstrumente, fast alles ist beim         nur selten eine Rolle. Wie im privaten Noraebang
Anfeuern der Sänger erlaubt. Mit dem Mikrofon           steht der Spaß im Vordergrund - auch wenn das
in der Hand und im Schein der Partybeleuchtung          Publikum im Gegensatz zu den Freunden bei
gibt es einfach kein Halten mehr. Im Noraebang          schlechten Darbietungen das eine oder andere Mal
gelingt es den oft zurückhaltenden Koreanern, ihre      gerne etwas rabiater reagiert.
ruhige Art für kurze Zeit zu vergessen und zum          Das Fazit kann also lauten: Wer die koreanische
Popstar zu werden. Das anfängliche Zögern und           Lebensweise kennenlernen möchte, sollte den
Zweifeln wird spätestens nach dem ersten Bier           Besuch eines Noraebang nicht scheuen, denn er
über Bord geworfen, und dann wird die Tanzfläche        gehört fast genau so sehr zum Leben der Koreaner,
gestürmt, um in den Gesang einzustimmen. Es             wie das tägliche Kimchi [김치].
scheint fast so, als wäre der private Karaokeraum
einer der wenigen Orte, an dem die Koreaner die

                                                                                                               13
FREIZEITKULTUR

                      DREI LÄNDER,
                      SIEBEN STÄDTE,
                      MAXIMAL ZEHN TAGE -
                      Reisen auf Koreanisch
                                                                                        Von Malte E. Kollenberg

                      E
                           in ganz normaler Spätnachmittag am Flugha-         Frankreich ist für die Museen bekannt, und in Italien
                           fen Incheon in der Nähe von Seoul. Der Flieger     ist der Vatikan die Hauptattraktion. Global gesehen
                           Richtung Frankfurt ist voll. So, wie fast immer.   ist aber Europa definitiv eines der Hauptziele. „Dort
                      Flüge von Korea nach Deutschland sind begehrt.          gibt es eine ganze Reihe Länder, die die Fantasie
                      Viele Koreaner nutzen die zentrale Lage des Frank-      vieler Koreaner anregen“, glaubt Kim. Doch meis-
                      furter Flughafens, um dort eine Europarundreise zu      tens sind die Urlaubstage knapp. Wer nur zehn Tage
                      beginnen. „Die meisten reisen aber nach England,        für eine Europarundreise hat, der hat schon mit drei
                      Frankreich und Italien weiter“, sagt Kim Taek-hoon.     Ländern sehr viel Programm. Pro Land zwei bis drei
                      Er betreibt ein Reisebüro im Herzen von Seoul und       Städte, da bleibt automatisch etwas auf der Strecke.
                      kennt sich aus mit koreanischen Reisegewohn-            Und zehn Tage Zeit sind dabei schon Luxus.
                      heiten. „Mit Deutschland verbinden viele Korea-
                      ner nicht so viel“, erklärt er. Deutschland gilt als    Luxus, den, wie in Deutschland, auch viele Korea-
                      kaltes Land, als Land der Autos und der Autobahn.       ner vor allem während des Studiums haben. Doch
                      Generell aber ist das Europa-Bild sehr stark von        selbst da ist der Stundenplan eng und einfach meh-
                      den Medien geprägt. Wegen Park Ji-sung [korea-          rere Wochen reisen nicht ohne Weiteres möglich.
                      nischer Fußball-Nationalspieler, Anm. d. Red.] und      Und dann sind da auch noch die Studiengebühren.
                      Manchester United fahren sehr viele nach England.       Für viele Studenten heißt der Ausweg „Auslands-

                      Foto: Malte E. Kollenberg
14
projekt“. So etwas bietet fast jede Uni an. Mit ein paar Kommilito-       Gästehäusern übernachtet, weil es dort zum Frühstück Kimchi
nen wird nach Europa, Afrika oder Amerika gereist und nach ein            gibt. Das gibt es zwar, aber die Mehrheit macht genau das nicht.
paar Tagen Projektarbeit noch die eine oder andere Woche Urlaub           „Manchmal werden wir gefragt, ob wir auch koreanische Gästehäu-
‘drangehängt.                                                             ser vermitteln können. - Sie können Infos dazu im Internet finden,
                                                                          sagen wir den Kunden dann“, erklärt Herr Kim von der Reiseagentur.
Erst einmal im Berufsleben stehend, werden Reisen über zehn               Koreanische Gästehäuser in Europa sind mehr eine informelle Art
oder mehr Tage nahezu unmöglich. Länger als fünf Tage am Stück            der Übernachtung, die vor allem in Weblogs auf den populären
Urlaub nehmen? Danach traut sich kaum jemand im Unternehmen               koreanischen Internetportalen Naver oder Daum kursieren. Selbst
zu fragen. Davon kann auch Nam Shin berichten. Anfang 30 ist sie,         das Reisebüro in Seoul rät davon ab, in einem dieser „Korean Guest-
und Reisen wie zu Studienzeiten ist nicht mehr so einfach. Die junge      houses“ zu schlafen, mit Verweis auf die Sicherheit. Eigentlich sei
Frau hat einen Jobwechsel genutzt, um ihre lange geplante Reise           das aber sowieso kein Thema, erklärt Kim: „Die meisten Touristen
nach Ägypten unternehmen zu können. „Ich wollte mindestens zwei           wollen in ein ganz normales Hotel.“
Wochen dorthin“, sagt sie. Urlaub hat sie nicht bekommen, da blieb
ihr nichts anderes übrig, als die Reise einzuschieben, bevor sie ihren
neuen Job als Projektleiterin einer kleinen Animationsfirma angetre-
ten hat. Auch im Moment würde sie gerne reisen. Nach Südostasien,
Laos vielleicht. Aber auch mindestens zwei Wochen. Und die muss
sie vom Arbeitgeber erst einmal frei bekommen. Wenn das aktuelle
Projekt abgeschlossen ist, dann vielleicht. Aber sicher ist sie sich da
auch nicht.

Wer bei Samsung, Hyundai oder einem anderen großen Unterneh-
men Karriere machen möchte, der hat noch schlechtere Karten, die
Welt sehen zu können. Schon wer während des Studiums ein langes
Praktikum macht und den Urlaub auf einmal nehmen möchte, um
Korea für zwei Wochen zu verlassen, stellt nach der Rückkehr schnell
fest, dass die Auszeit vor allem eines war: eine Ausnahme. Nach
einer möglichen Übernahme ins Unternehmen ist bei fünf Tagen
Urlaub am Stück Schluss.

Kim Taek-hoon vom Reisebüro Mode Tour in Seoul meint, ein
auffälliges Muster ausgemacht zu haben. Bei den meisten steht am
Anfang des Berufslebens die eine oder andere kurze Reise nach
Südostasien, obwohl bei vielen eigentlich Europa ganz oben auf
der Liste steht. „Aber Europa braucht viel mehr Zeit und ist wesent-
lich teurer“, sagt Kim. Und auch, wenn das Geld da ist - meist fehlt
einfach die Zeit.

Wen das Fernweh richtig gepackt hat und wer es nicht abwarten
kann, für den hat Seoul allerdings etwas zu bieten. Denn im The-
men-Park „Aiins World“ wird die Welt ausgestellt. Die berühmtesten
Gebäude der Welt, alle im Miniaturformat. Auch Neuschwanstein
steht dort. Fast jeder Koreaner, der schon einmal in Deutschland
war, hat auch das echte gesehen. Rein geografisch kein Wunder,
denn „wer nach Deutschland fragt, der interessiert sich vor allem für
das Oktoberfest“, grinst Kim im Reisebüro. Wer dann schon mal in
Deutschland ist, noch dazu in München, der fährt auch noch nach
Füssen, um sich das Schloss anzuschauen. Wenn er nicht sowieso
wegen Neuschwanstein in der Gegend ist.

Bayern, Burgen und Lederhosen erfüllen dabei ungefähr im selben
Maße das Klischee von Deutschland, wie es die Geschichte vom
koreanischen Touristen im Fall Koreas tut, der nur in koreanischen
                                                                                                                         Foto: Malte E. Kollenberg

                                                                                                                                                     15
FREIZEITKULTUR

                          KOREANISCHE CHORKULTUR
                          Die Koreaner sind so ähnlich wie die Deutschen -
                          sie dichten gern, sie schreiben gern, und sie singen gern
                                                                                                                    Von Hongza Dörge
     Foto: Soobin Ahn

                                                     Hongza Dörge ist mit einem deutschen Musiker verheiratet und hat zwei Kinder. Sie studierte Chorgesang
                                                     an der Universität der Künste (UdK) in Berlin und sang lange Zeit im Chor des Theaters des Westens.
                                                     Seit 20 Jahren leitet sie das Korea Musicmanagement (KMM), das Konzerte und Tanzveranstaltungen aus
                                                     Korea und Deutschland organisiert und Künstler vermittelt. Hongza Dörge ist auch als Beauftragte für
                                                     koreanische Kulturangelegenheiten tätig und Leiterin des 2009 gegründeten koreanisch-deutschen Chores
                                                     DOKOREA. Am 13. Januar 2011 wurde sie vom deutschen Bundespräsidenten zum offiziellen Neujahrs-
                                                     empfang eingeladen und dort für ihr ehrenamtliches Engagement ausgezeichnet.

16
I
  n Korea ist das gemeinschaftliche Singen sehr beliebt. Schon in mei-    mehr ausübten und in ihrer Freizeit singen wollten. Das Repertoire
  ner Kindheit kamen die alten Frauen bei uns zusammen, um Mak-           bestand aus europäischen und koreanischen Liedern. Geleitet wurde
  geolli [막걸리, koreanischen Reisschnaps] zu trinken und zu feiern.        der Chor von einem Professor der Seoul National University. Darüber
Wir hatten ein großes Haus, und immer war es Treffpunkt. Dann tanz-       hinaus hatte ich die Gelegenheit, an einer Probe des koreanischen Na-
ten und sangen sie, dass man es bis weithin hören konnte. Die Korea-      tionalchors teilzunehmen, um mir ein Bild davon zu machen, welche
ner sind so ähnlich wie die Deutschen: Sie dichten gern, sie schreiben    Techniken der Chor beim Einstudieren koreanischer Lieder anwendet.
gern, und sie singen gern.                                                Der Nationalchor wird übrigens im Mai nach Deutschland kommen.1
Nach dem Korea-Krieg [1950 - 1953] hielten in Korea erst einmal Po-       Hobbychöre für Jung und Alt sind wirklich sehr aktuell in Seoul. Neu-
pulärmusik und Karaoke Einzug. Die leichte Schlagermusik kam gut          erdings hat auch jeder Bezirk seinen eigenen Chor für Senioren, in
an, da die Menschen vom Krieg sehr traumatisiert waren und schwere        dem koreanische Lieder gesungen werden. Früher gab es keine An-
Zeiten durchlebten. Sehr großen Anklang fand zum Beispiel das kore-       gebote für diese Altersgruppe, aber jetzt haben die einzelnen Bezirke
anische Volkslied „Gartenbalsam“ [봉선화, Bongseonhwa], das habe             einen Kulturbeauftragten oder eine Kulturbeauftragte, der oder die
ich vor 30 Jahren sogar im deutschen Fernsehen gesungen. Mein             sich um die Freizeitgestaltung älterer Menschen kümmert. In Korea
Mann, der Musiker ist, hatte es für Violine und Klavier arrangiert.       gibt es inzwischen zahlreiche kostenlose Angebote für Rentner. So ist
                                                                          für sie ja auch der öffentliche Nahverkehr umsonst. Freie Fahrkarten
Nach der japanischen Kolonialzeit [1910 - 1945] sind viele Koreaner
                                                                          liegen für die Senioren an den Eingängen der U-Bahnen aus. In den
ins Ausland gegangen, darunter auch viele Musiker. Der Abschied fiel
                                                                          Nachbarschaftshäusern, die den alten Menschen als Treffpunkte die-
insbesondere den Zurückbleibenden sehr schwer. Deshalb sind auch
                                                                          nen, steht immer ein Reistopf für sie bereit, und dort können sie auch
die Lieder und Schlager, die damals entstanden, so melancholisch.
                                                                          umsonst essen.
Irgendwann kam dann die amerikanische Unterhaltungsmusik nach
Korea.                                                                    In den einzelnen Provinzen gibt es jeweils ein bekanntes Chorensem-
                                                                          ble, das nur traditionelle koreanische Lieder singt. Eines dieser Lieder
Der deutsche Einfluss auf die koreanische Musik bestand schon seit
                                                                          ist beispielsweise das Arirang [아리랑], von dem jede Provinz ihre ei-
Ende des 19. Jahrhunderts. Den Grundstein hierfür legte der kaiser-
                                                                          gene Version besitzt. Das bekannteste ist das der Provinz Gyeonggi,
lich-koreanische Musikkapellmeister Franz Eckert, der im Dienste des
                                                                          und es basiert wie die anderen Arirangs auf einer Fünf-Ton-Melodie.
koreanischen Kaiserhofes stand. Ich erinnere mich, dass in meiner
                                                                          Diese Weise wurde früher vom Volk zu allen Anlässen angestimmt:
Kindheit und Jugend in den 1950er/ 1960er Jahren die Rundfunksta-
                                                                          Wenn es sich freute, wenn es traurig war. Manchmal gab es Situati-
tionen immer die Werke deutscher Komponisten und deutsche Mär-
                                                                          onen, in denen einem die Worte fehlten, und dann haben die Men-
sche sendeten. Westliche Musik und Lieder aus Deutschland werden
                                                                          schen eben dieses Lied gesungen, um ihre Gefühle auszudrücken.
in Korea auch heute noch viel gehört, gespielt und gesungen. Ich
                                                                          Der Text handelt vom Abschiedsschmerz. In alten Zeiten durfte man
habe ganz alte Liederbücher, die viel deutsches Liedgut enthalten. Als
                                                                          ja gegenüber dem Ehemann oder dem Geliebten seine Tränen nicht
ich in den 1960er Jahren hierher kam, habe ich diese Notenbücher
                                                                          zeigen, und wenn man sich verabschiedete und seinen Fuß über den
mitgebracht. Langsam kamen in Korea auch koreanische Volkslieder
                                                                          Gipfel des Berges setzte, schmerzten eben die Füße. Ich habe vor kur-
auf, aber zunächst einmal waren die Koreaner damit beschäftigt, das
                                                                          zem gelesen, dass der Text des Arirang eigentlich unbedeutend sei,
vom Krieg zerstörte Land wieder aufzubauen.
                                                                          aber dennoch ist es unser nationales Volkslied Nr. 1. Inzwischen gibt
Heute existieren in Korea Chöre für jede Altersstufe – für Kinder, Men-   es viele Variationen, und es wurde als Werk der Chor- und Orchester-
schen mittleren und höheren Alters. Neben Laienchören gibt es auch        musik arrangiert.
viele professionelle Chöre; darunter sind Ensembles, die sich nur aus
                                                                          Das Repertoire der meisten Chöre in Korea ist eine Mischung aus
Solisten zusammensetzen. Sängervereinigungen wie die städtischen
                                                                          westlicher Klassik und traditionellen koreanischen Liedern. Unabhän-
Chöre und die Universitätschöre sind von staatlicher Seite organisiert.
                                                                          gig davon, ob es sich um einen Laienchor oder einen professionellen
Die meisten Laienchöre finanzieren sich über einen Mitgliederbeitrag,
                                                                          Chor handelt, nimmt jedes Chormitglied die Proben sehr ernst. Die
wobei die wohlhabenderen Mitglieder mehr spenden. Von den Städ-
                                                                          Chöre treffen sich gewöhnlich einmal in der Woche und vor einem
ten und Gemeinden gegründete Einrichtungen erhalten Zuschüsse
                                                                          Konzert mehrmals. Sie unternehmen Konzerttourneen innerhalb und
von der Regierung. Die alten Menschen brauchen beispielsweise für
                                                                          manchmal auch außerhalb Koreas. Diejenigen, die im Ausland konzer-
die Teilnahme an den Chören, die im Rahmen der Freizeitgestaltung
                                                                          tieren, fahren meist nach Amerika. Es ist so schwierig für Chöre, hier
für Senioren angeboten werden, nichts zu zahlen.
                                                                          nach Deutschland zu kommen. Kirchenchöre haben das Glück, dass
Jedes Mal, wenn ich Korea besuche, singe ich in einem Ensemble für        sie meist von einer Kirchengemeinde eingeladen werden und preis-
alte Musik mit, in einer so genannten Chang-Gruppe. Das ist ein En-       günstig bei den Gemeindemitgliedern unterkommen können. Aber
semble für traditionelle koreanische Volkslieder [창, Chang], also für     sonst ist es wegen der hohen Kosten nicht einfach, einen Chor nach
Volkslieder, die entstanden, bevor die westliche Musik in Korea einge-    Deutschland zu bringen. Jetzt habe ich vor, einen Solisten-Männer-
führt wurde und die koreanische Musik beeinflusste. Diese Melodien        chor, der in Korea ganz bekannt ist, für eine Tournee hierher einzu-
stammen noch aus der Zeit der alten koreanischen Königreiche. In der      laden; der Chor besteht aus ungefähr 60 Personen. Er war bereits in
Chang-Gruppe wird nachgesungen, was die Lehrerin vorgibt. Dort            Amerika und würde nun gern hierher kommen.
gibt es keine Noten, sondern nur Schriftzeichen und Symbole. Zum
Beispiel orientiert sich der Sänger an einem Text mit Markierungen,       Generell denke ich, dass die Koreaner heutzutage noch mehr als frü-
die ihm anzeigen, an welcher Stelle er die Melodie betonen muss. Oft      her dazu neigen, ein musikalisches Hobby auszuüben und zu singen
wird der Gesang von einer koreanischen Fasstrommel [북, Buk] beglei-       oder zu musizieren. Solche Freizeitbeschäftigungen haben sie früher
tet. Viele Koreaner verbringen ihre Freizeit in einer solchen Gruppe.     ja nicht gepflegt, aber jetzt interessieren sie sich auch für die traditio-
Auch mein Vater war bis zu seinem Lebensende in einer davon aktiv.        nelle koreanische Musik.
                                                                                                                     Im Gespräch mit Gesine Stoyke
In Korea habe ich einmal in einem Chor mitgewirkt, der aus Frauen
                                                                          1 Den genauen Termin finden Sie unter der Rubrik „Veranstaltungen“ (Anm. d. Red.).
meiner Generation bestand. Dieser Chor war ein Weiterbildungsange-
bot von einer Universität für akademische Frauen, die keinen Beruf
FREIZEITKULTUR

                                                DAS NÄCHTLICHE SEOUL
                                                                                                                                     Von Julia Kulewatz

                                                „Nachts sind alle Katzen grau“                        große Bedeutung beigemessen; es hilft über
                                                besagt ein bekanntes deutsches Sprichwort. Ge-        anfängliche Schwierigkeiten beim Kennenlernen
                                                wiss sind diese auch im koreanischen Seoul nicht      hinweg, intensiviert Freundschaften und hat
                                                weniger grau. Aber wer des Nachts schon einmal        auch schon das eine oder andere unverhoffte
                                                durch Seouls Straßen gezogen ist, wird das sprü-      Liebesgeständnis am frühen Abend zu Tage
                                                hende Funkeln jener Augen niemals vergessen.          gefördert. Bei meinen ersten Trinkspielen habe
                                                Das nächtliche Seoul ist in seiner Vielfalt so un-    ich mich ganz wacker geschlagen. Einige funkti-
 Foto: privat

                                                erschöpflich, wie die Menschen interessant sind,      onieren sogar, ohne dass man des Koreanischen
                                                denen man in den zahlreichen Bars, Diskotheken        mächtig sein muss, aber sicher ist sicher, denn
                                                und Clubs begegnen kann. Ob man am frühen             schon so manchem arglosen Austauschstuden-
                                                Abend durch die junge, von vielen Künstlern           ten ist die Sprachbarriere spätestens bei dieser
                Julia Kulewatz studiert                                                               Gelegenheit zum Verhängnis geworden.
                                                bewohnte Straßentheater-Zone Hyehwa flaniert
                seit 2006 Literaturwissen-                                                            In Seoul hat jeder Koreaner wie viele Menschen
                schaft, Journalismus und        oder sich auf einem der vielen Nachtmärkte wie
                                                Dongdaemun, Namsan oder Itaewon mit mitter-           bei uns auch seine Lieblingsbar, aber man
                Philosophie in Erfurt und
                                                nächtlichem Shopping auf den bevorstehenden           scheut sich nie, Neues auszuprobieren. Dem
                seit 2009 Literatur, Politik,
                Philosophie, Kunst, Tanz &      Tanz- und Trinkspaß einstimmt, bleibt jedem           Neuen kann man in Seoul auch überhaupt nicht
                Choreografie in Seoul an der    selbst überlassen.                                    entkommen, zumal sich diese Stadt in einem ra-
                Sungkyunkwan University,        Meistens wird die entsprechende Feierstimmung         senden Tempo verändert und mit immer neuem
                der ältesten Universität Se-    mit dem traditionellen Genuss von purem Soju          Gesicht inszeniert und präsentiert. Wem das zu
                ouls. Zeitweise arbeitete sie   (소주) eingeleitet. Soju ist wörtlich übersetzt         schnell geht, der kann lediglich versuchen, seine
                auch für das Goethe-Institut
                                                „Branntwein“, ein hochprozentiges, alkoholisches      einstige Lieblingsbar nach bspw. drei Monaten
                in Seoul.                                                                             wiederzufinden; diese könnte jedoch bereits
                                                Getränk, welches hauptsächlich aus der Süßkar-
                                                toffel hergestellt wird, meistens wird es mit ande-   einem der beliebten koreanischen Coffeeshops
                                                ren Zutaten wie Weizen oder Gerste abgerundet.        gewichen sein. Nachts erstrahlt die Metropole
                                                Man trinkt es in Korea seit dem 14. Jahrhundert,      in unendlich vielen verschiedenen Lichtern,
                                                und es genießt den Ruf (so hat es mir jedenfalls      wobei sich der historische Kern ganz besonders
                                                meine koreanische Freundin erklärt), ebenso wie       in Szene setzt. Seoul ist eine Stadt der Kontraste,
                                                das scharfe koreanische Essen, Sorgen einfach         und das erfährt man meines Erachtens vor allem
                                                „herauszubrennen“.                                    nachts.
                                                Koreanische Trinkspiele sind dabei natürlich          Alle 25 Bezirke, aus denen sich Seoul zusam-
                                                ein Muss, und eines der ersten koreanischen           mensetzt, sind jeder für sich mit kleinen Städten
                                                Ausgehrituale, dem sich der Durchschnittstourist      vergleichbar, und ganz egal, wonach man sucht,
                                                zu stellen hat. Dem gemeinsamen Trinken wird          man wird auf seine Kosten kommen. Es ist immer
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