Forum Ausgabe 7-8 2017 - Zukunft der betrieblichen Betreuung - DGUV Forum

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Forum Ausgabe 7-8 2017 - Zukunft der betrieblichen Betreuung - DGUV Forum
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        Fachzeitschrift für Prävention, Rehabilitation und Entschädigung   Ausgabe 7-8 • 2017

        Forum
        Zukunft der
        betrieblichen Betreuung

        Jahresbericht
        Kennziffern der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung 2016
        Prävention und Arbeiten 4.0
        Noch nicht überall angekommen
Forum Ausgabe 7-8 2017 - Zukunft der betrieblichen Betreuung - DGUV Forum
Editorial

                     Liebe Leserinnen
                     und Leser,
                     vom Touchscreen blicken zwei Augen scheinbar
                     freundlich auf den Anwender. Sie gehören zu Baxter,
                     einem lernenden Roboter von der Sorte, die die Au-
                     tomatisierung unserer Werkshallen rasant voran-
                     treiben werden. Maschinen wie er sind ein Symbol
                     für den Wandel der Arbeitswelt, auf den sich auch

                                                                                                              Foto: Wolfgang Bellwinkel/DGUV
                     die gesetzliche Unfallversicherung vorbereitet.

                  Prävention immer wieder an die Bedürfnisse unter-
                  schiedlicher Betriebe in einer sich verändernden
                  Arbeitsumgebung anzupassen, das ist eine kom-
                  plexe Aufgabe. Deshalb wird es wohl noch eine
                  Weile dauern, bis Baxter auch unsere Aufgaben
                                       übernehmen kann. Bis dahin
                                       arbeiten wir weiter daran, unsere Betreuung der Betriebe zu
    „Wie können wir die 2011
                                       optimieren. Dabei geht es nicht um Zukunftsvisionen, sondern
    eingeführte DGUV Vorschrift 2 um ganz analoge Fragen:
    (Betriebsärzte und Fachkräfte
    für Arbeitssicherheit) weiter          Wie können wir die 2011 eingeführte DGUV Vorschrift 2 (Be-
    verbessern? Wie können wir             triebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit) weiter verbes-
    die Arbeitsmedizin attraktiver         sern? Wie können wir die Arbeitsmedizin attraktiver machen,
                                           um auch künftig die betriebsärztliche Betreuung sicherzustel-
    machen, um auch künftig
                                           len? Zum Stand der DGUV Vorschrift 2 werden wir noch in die-
    die betriebsärztliche Betreu-          sem Jahr die Ergebnisse einer Evaluation veröffentlichen. Darü-
    ung sicherzustellen?“                  ber hinaus hat ein Expertenkreis Vorschläge erarbeitet, wie wir
                                           auch in Zukunft die Betreuung der Betriebe gewährleisten kön-
                     nen. Er schlägt zum Beispiel vor, die Weiterbildungsmöglichkeiten für Medizinerinnen
                     und Mediziner zu verbessern, weitere Professionen wie Arbeits- und Organisations-
                     psychologie, Arbeitshygiene oder Arbeitswissenschaft in die betriebliche Betreuung
                     einzubeziehen und die Betreuung in trägerübergreifenden Zentren anzubieten.

                     Dieses „Zentrumsmodell“ ist zwar noch Zukunftsmusik, aber die entsprechenden
                     Blaupausen gibt es bereits: Das sind Arbeitsmedizinische und Sicherheitstechnische
                     Dienste (ASD) einzelner Unfallversicherungsträger. Das Modell bietet eine große
                     Chance: Es werden damit Betriebe erreicht, die bislang nicht oder unzureichend be-
                     treut werden. Das sind vor allem die kleinen Unternehmen mit bis zu 50 Beschäf-
                     tigten. Und sie machen etwa 98 Prozent aller Betriebe aus. Es wird uns nicht langwei-
                     lig werden auf dem Weg in die Arbeitswelt 4.0.

                     Mit den besten Grüßen

                     Dr. Joachim Breuer

                     Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung

2    DGUV Forum 7-8/2017
Forum Ausgabe 7-8 2017 - Zukunft der betrieblichen Betreuung - DGUV Forum
Inhalt

> Editorial/Inhalt >>>                                    2–3

> Aktuelles >>>                                           4–7

> Nachrichten aus Brüssel >>>                              8

> Titelthema >>>                                         9–29
Die Zukunft der betrieblichen Betreuung
Eine Innen- und Außenansicht                                9
Dr. Heinz Schmid
Der Mensch im Mittelpunkt
Die Zukunft hat bereits begonnen                           11    9
Dr. Heinz Schmid
Die Präventionsleistungen
der gesetzlichen Unfallversicherung
Gut gerüstet für die Arbeitswelt von morgen                17
Heike Wenzel
Fit für die Zukunft
Qualifizierung von Aufsichtspersonen                       20
Jürgen Da Pont, Dr. Bernd Schildge, Dr. Ingo Zakrzewski
Der VDRI
Weiterbildung aus der Praxis in die Regionen               23
Christoph Preuße
Interview mit Dr. Walter Eichendorf

                                                                  51
„Betreuung nach ASiG für weitere Professionen öffnen“      25
Das Interview führte Dr. Frank Bell
DGUV Vorschrift 2
Evaluation30                                                    > Prävention >>>                                     46–50
Marlen Rahnfeld, Dr. Annekatrin Wetzstein
                                                                 Prävention und Arbeiten 4.0
DGUV Vorschrift 2                                                Noch nicht überall angekommen                                46
Weitere Professionen für die betriebliche Betreuung        34   Dr. Klaus Große, Katrin Zittlau
Dr. Torsten Kunz, Christian Schumacher
                                                                 Aus der Forschung
DGUV Vorschrift 2                                                Epoxidharze auf „EIS“                                        49
Das Zentrumsmodell als Lösung zur Sicherung                      Reinhold Rühl, Klaus Kersting, Karin Heine,
der betrieblichen Betreuung                                37   Fritz Kalberlah, Johannes Geier
Dr. Frank Bell, Sabine Edelhäuser, Andrea Kuhn
DGUV Vorschrift 2 – Blick zurück nach vorn!                      > Unfallversicherung >>>                              51–67
... aus Sicht der Arbeitgeberseite                         38
Saskia Osing                                                     Jahresbericht
                                                                 Kennziffern der Deutschen Gesetzlichen
DGUV Vorschrift 2 – Blick zurück nach vorn!                      Unfallversicherung 2016                                      51
... aus Sicht der Arbeitnehmerseite                        40   Wolfram Schwabbacher, Katharina Forsch
Dr. Horst Riesenberg-Mordeja, Sabine Heegner
DGUV Vorschrift 2 – Blick zurück nach vorn!
... aus Sicht des VDSI                                     42
                                                                 > Aus der Rechtsprechung >>>                                 68
Michael Kloth, Prof. Dr. Arno Weber
DGUV Vorschrift 2 – Blick zurück nach vorn!                     > Personalia >>>                                             69
… aus Sicht des VDBW                                       44
Dr. Wolfgang Panter
                                                                 > Medien >>>                                                 70

                                                                                                         DGUV Forum 7-8/2017    3
Forum Ausgabe 7-8 2017 - Zukunft der betrieblichen Betreuung - DGUV Forum
Aktuelles

Auf Erntezeit vorbereiten
Obwohl Erntemaschinen über die Jahre          An Erntemaschinen verursachen Entstö-          Verstopfung per Hand beseitigt – so warnt
technisch verbessert werden, verzeichnet      rungsarbeiten die meisten Unfälle. Mäh-        die SVLFG – besteht höchste Unfallgefahr.
die Sozialversicherung für Landwirtschaft,    drescher, Feldhäcksler und Ballenpresse        Erste Regel in solchen Fällen: vorher den
Forsten und Gartenbau (SVLFG) weiterhin       neigen dazu, bei ungünstigen Erntebedin-       Motor sowie alle Antriebe abschalten und
hohe Unfallzahlen während der Ernte-          gungen vermehrt zu verstopfen. Wird die        den Nachlauf abwarten.
saison. Daher empfiehlt die SVLFG, die Zeit
vor der Ernte zu nutzen und alle Maschi-
nen zu überprüfen. Am besten über die
gesetzliche Fahrzeugprüfung hinaus,
mindestens mit einer Sichtprüfung der Be-
leuchtung, Reifen, tragenden Teile und
Betriebsmittel. Ein Bremstest von Gespann
und Maschinen gehört ebenfalls dazu.
Um alle Zweifel aus dem Weg zu räumen,
rät die SVLFG zu einem professionellen
Check der Maschinen durch einen Land-
maschinenhändler. Hauptunfallursache
bei landwirtschaftlichen Transporten ist
die mangelnde Sichtbarkeit von Gespan-
nen. Retroreflektierende Folien an Anhän-

                                                                                                                                      Foto: SVLFG
gern machen die Gespanne bei Dunkelheit
im Straßenverkehr besser sichtbar. Auch
Anhängerkabel mit Wackelkontakt zählen
zu den häufigsten Mängeln.                    Maschinenprüfungen können helfen, Arbeitsunfällen bei der Ernte vorzubeugen

Online checken, ob der Arbeitsschutz richtig und gut organisiert ist
Prüfen, ob der Arbeitsschutz im eigenen       konforme Organisation des betrieblichen        gibt der BGW Orga-Check Erläuterungen
Unternehmen richtig und gut organisiert       Arbeitsschutzes. Themen sind zum Bei-          und Hilfestellungen – sowie Tipps für
ist: Dabei hilft ein neues Online-Tool der    spiel die betriebsärztliche und sicher-        kontinuierliche Verbesserungen jenseits
Berufsgenossenschaft für Gesundheits-         heitstechnische Betreuung, die Gefähr-         der Mindestanforderungen.
dienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Der        dungsbeurteilung, die Unterweisung der
BGW Orga-Check lässt sich schnell und         Beschäftigten, die arbeitsmedizinische
unkompliziert einsetzen, um Schwach-          Vorsorge sowie die Regelung zur Ersten
                                                                                                   Der BGW Orga-Check beruht auf
stellen und Potenziale in der betriebli-      Hilfe. Die Auswertung der eingegebenen
                                                                                                   einem Instrument der Gemeinsamen
chen Arbeitsschutzorganisation zu er-         Informationen erfolgt nach dem Ampel-                Deutschen Arbeitsschutzstrategie
kennen. Der Check ist als Selbstbewert-       system: So werden Dringlichkeiten auf                (GDA). Zu finden ist er unter:
ungsinstrument angelegt und führt durch       einen Blick deutlich – auch im Hinblick              www.bgw-online.de/orga-check
die wichtigsten Pflichten für eine rechts-    auf behördliche Kontrollen. Gleichzeitig

Risiko-Check „Wind und Wetter“
Aufgrund besonderer Wetterbedingungen         tungsvolle Bewältigen von gefährlichen         tern und Lkw, mit Fahrrädern oder zu Fuß
passieren jedes Jahr viele Verkehrsun­        Verkehrssituationen anbieten. Die Bro-         unterwegs sind. Praxisbezogene Tipps
fälle, bei denen Menschen verletzt oder       schüren und Kampagnenvideos sowie die          helfen dabei, gefährliche Situationen
getötet werden. Mit der diesjährigen          Internetseite richten sich an Menschen,        frühzeitig zu erkennen und verantwor-
Schwerpunktaktion Risiko-Check „Wind          die mit Pkw und Motorrädern, Transpor-         tungsvolle Entscheidungen zu treffen.
und Wetter“ möchten Unfallkassen, Be-
rufsgenossenschaften und der Deutsche
Verkehrssicherheitsrat (DVR) für ein stär-
keres Risikobewusstsein bei verschiede-            Weitere Information zum Risiko-Check, zu den Präventionsmaterialien und über die
nen Wetterbedingungen sensibilisieren              beiden Gewinnspiele gibt es unter: www.risiko-check-wetter.de
und Lösungsansätze für das verantwor-

4   DGUV Forum 7-8/2017
Forum Ausgabe 7-8 2017 - Zukunft der betrieblichen Betreuung - DGUV Forum
Aktuelles

Neue Struktur des Internationalen A+A Kongress
Der parallel zur Fachmesse A+A stattfin-        besprochen, zu dem jeder interessierte        Ein weiteres zentrales Thema sind die
denden Kongress hat eine neue Gesamt-           Kongressbesucher kommen kann. Die             krebserzeugenden Gefahrstoffe wie As-
struktur – er beginnt jetzt am 16. Oktober,     Veranstaltungen zur Präventionskultur         best, um die es unter dem Motto „Kampf
dem Vorabend der Messe A+A. Der Deut-           mit fachlicher Grundlegung bilden einen       dem Berufskrebs“ im Rahmen einer EU-
sche Arbeitsschutzpreis, bisher Teil der        Kernbereich des A+A-Kongresses 2017.          weiten Kampagne geht.
A+A-Eröffnung, wird am Dienstagnach-
mittag vergeben. Die Fachveranstaltungen
des Arbeitsschutzes konzentrieren sich
auf die ersten drei Tage, während der letz-
te Laufzeittag - Freitag, 20. Oktober – dies-
mal ganz unter dem „Focus Professionen“
steht. Dann geht es um Fragen der Ausbil-
dung und der Kooperation der Professio-
nen im Arbeitsschutz. Ebenfalls neu: Die
Veranstaltungsreihe „Praxis Interaktiv“
mit praktischen Ansätzen der Weiterent-
wicklung von Basiskonzepten und -The-
men des betrieblichen Arbeitsschutzes
wie Gefährdungsbeurteilung oder Be­

                                                                                                                                   Foto: Messe Düsseldorf
triebliche Gesundheitsförderung (BGF).

Wichtige Fragen rund um diese Themen
werden auch am „Tag der Betrieblichen
Interessenvertretungen“ am 19. Oktober

BG Kliniken setzen bei Kopfverletzung auf Brain-Check
Gedächtnisstörungen, Wesensveränderun-          logie am ukb, der das Testverfahren ent-
gen, Lähmungen, Schwindel – die auch            wickelt hat. Die Versicherten profitieren
langfristig drohenden Auswirkungen eines        von einem größtmöglichen Heilerfolg und
Schädel-Hirn-Traumas (SHT) sind vielfäl-        können in vielen Fällen einer sonst dro-
tig. Doch oftmals werden neurologische          henden Berufsunfähigkeit entgehen. Als
Störungen nach einer Kopfverletzung nicht       weiteres Diagnostikverfahren steht die
richtig oder nicht vollständig diagnostiziert   Funktionstestung des autonomen Nerven-
und zielgerichtet behandelt. Ein neuartiges     systems (FAN) zur Verfügung. Dabei geht
Diagnoseverfahren, der so genannte Brain-       es darum, bei Verletzungen unabhängig
Check soll dazu beitragen, das zu ändern.       vom Kopf mögliche Auswirkungen bei
Der Brain-Check wurde im BG Klinikum            Schädigung des Nervensystems auf andere
Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) entwickelt       Organsysteme zu ermitteln. Nur durch eine
und kommt inzwischen auch in anderen            korrekte Einordnung dieser Symptome ist
Krankenhäusern der BG Kliniken – Klinik-        eine gezielte Therapie möglich. FAN ist ein
verbund der gesetzlichen Unfallversiche-        interdisziplinäres Verfahren, die Ärztinnen
rung zum Einsatz.                               und Ärzte der Neurologie arbeiteten dabei
                                                mit anderen Fachbereichen und Abteil-
Der Brain Check dient zur Feststellung re-      ungen wie Innere Medizin, Urologie, HNO
levanter neurologischer Defizite und zur        oder Handchirurgie zusammen.
Einleitung stationärer Rehabilitationsmaß-
nahmen. Dazu erfolgen unter anderem sys-        Brain Check und FAN werden inzwischen
tematische neuropsychologische, psychia-        im BG Universitätsklinikum Bergmanns-
trische und psychotraumatologische Tests.       heil Bochum, imBG Klinikum Bergmanns-
                                                trost Halle, den BG-Kliniken Duisburg,
„Nur der Brain Check schafft es, die Kom-       Hamburg und Murnau eingesetzt. Die BG-
                                                                                                                                                                Foto: BG Kliniken

plexität eines Schädelhirntraumas und           Kliniken Frankfurt, Ludwigshafen und
dessen Folgen zu erfassen“, sagt Dr. Ingo       Tübingen prüfen die Aufnahme der Diag-
Schmehl, Direktor der Klinik für Neuro-         nostik-Angebote in ihr Angebot.

                                                                                                             DGUV Forum 7-8/2017                            5
Forum Ausgabe 7-8 2017 - Zukunft der betrieblichen Betreuung - DGUV Forum
Aktuelles

             BMAS stärkt Sozialpolitikforschung
             Das Bundesministerium für Arbeit und        Die auf Grundlage des Votums des wissen-        Deutschland zu unterstützen und einem
             Soziales (BMAS) unterstützt im Rahmen       schaftlichen FIS-Beirats ausgewählten           festgestellten Rückgang der Sozialpolitik-
             des Fördernetzwerks Interdisziplinäre       Anträge zur Förderung von Professuren           forschung entgegenzuwirken. Durch und
             Sozialpolitikforschung (FIS) neue Ansätze   werden im Einzelnen zu folgenden The-           über das FIS sollen vielversprechende in-
             in der wissenschaftlichen Erforschung       men eingerichtet: „Digitalisierung der Ar-      terdisziplinäre Ansätze in der Sozialpoli-
             sozialpolitischer Themen. In einer ersten   beitwelt“, „Lebenslauforientierte Sozial-       tikforschung gefördert und neue Dialog-
             Förderrunde werden mit Mitteln aus dem      politik“, „Kommunale Sozialpolitik“ und         formate für Wissenschaftler, Forschende,
             BMAS-Etat vier neue Professuren, vier       „Sozialpolitik und Ungleichheit“.               Lehrende und Praktiker geschaffen wer-
             Nachwuchsforschungsgruppen und sechs                                                        den. Auf diese Weise sollen auch neue
             Forschungsprojekte gefördert.               Das BMAS hat Anfang 2016 begonnen,              Möglichkeiten für einen inhaltlichen
                                                         das FIS aufzubauen. Ziel ist es, die Be-        Austausch zwischen Wissenschaft und
             Die ersten Projekte und Nachwuchsgrup-      deutung der Sozialpolitikforschung in           Politik entstehen.
             pen haben ihre Arbeit aufgenommen, alle
             weiteren und die Professuren an vier
             deutschen Hochschulen werden in den               Für den 29. August 2017 ist das erste FIS-FORUM in Berlin geplant. Weitergehende
             kommenden Monaten folgen – die letzten            Informationen über das Fördernetzwerk finden Sie unter: www.fis-netzwerk.de.
             sollen bis April 2018 berufen werden.

             „Schlauer Fuchs“ im Doppelpack
             „Sicher mit System“ – und das seit vielen   schaft Holz und Metall (BGHM) teilgenom-        Thema Gabelstapler und Logistik eine
             Jahren. Als erster Handwerksbetrieb in      men – und wurde nun bereits zum vierten         Hebevorrichtung entwickelt, mit der die
             Norddeutschland hat das Unternehmen         Mal mit der Urkunde der BGHM für ein            Ergonomie im Arbeitsalltag wesentlich
             GS-Gabelstapler Service GmbH aus Wol-       erfolgreiches Arbeitsschutz-Management-         verbessert wird. Für diesen vorbildlichen
             fenbüttel einst am Gütesiegel-Verfahren     System ausgezeichnet. Jetzt hat das Un-         Einsatz in Sachen Arbeitsschutz erhielt
             „Sicher mit System“ der Berufsgenossen-     ternehmen für alle Belange rund um das          das Unternehmen mit 42 Beschäftigten auf
                                                                                                         der Weltleitmesse für Maschinen, Anlagen
                                                                                                         und Werkzeuge zur Holzbe- und verarbei-
                                                                                                         tung Ligna am 24. Mai 2017 den „Schlauen
                                                                                                         Fuchs“, eine renommierte Auszeichnung
                                                                                                         der BGHM. Prokurist Olaf Oppermann
                                                                                                         nahm sie auf der Messe in Hannover von
                                                                                                         BGHM-Präventionsexperte Andreas Franzki
                                                                                                         entgegen. „Es ist uns wichtig, beim Thema
                                                                                                         Arbeitsschutz immer einen Schritt weiter
                                                                                                         und über das übliche Maß hinaus zu den-
                                                                                                         ken“, erklärt Oppermann. „Für uns als
                                                                                                         Handwerksbetrieb ist das Gütesiegel ein
                                                                                                         wichtiges Instrument, um Sicherheit und
                                                                                                         Gesundheit im Betriebsalltag stets im Blick
                                                                                                         zu haben – und auch eine Eintrittskarte
                                                                                                         zu vielen Kunden.“

                                                                                                         Auch das Unternehmen Thyssen-Krupp
                                                                                                         Rasselstein konnte die Auszeichnung ent-
                                                                                                         gegennehmen. Mit dem Ziel „Null Unfälle“
                                                                                                         anhand verschiedener Verbesserungen in
                                                                                                         den Handlungsfeldern Technik und Metho-
                                                                                                         den, Organisation, Verhalten und persön-
                                                                                                         liche Einstellung hat der Betrieb eine neue
Foto: BGHM

                                                                                                         Präventionskultur im Arbeitsalltag einge-
                                                                                                         führt. Der Verantwortliche für Technik,
                                                                                                         CTO Oliver Hoffmann, nahm sie im Ander-
             Ausgezeichnet: Ralf Heinrici (BGHM), Olaf Oppermann (GS-Gabelstaplerservice GmbH)           nacher Standort von BGHM-Präventions-
             und Andreas Franzki (BGHM) bei der Übergabe der Trophäe „Schlauer Fuchs“ (v.l.n.r.)         experte Frank Mays entgegen.

             6   DGUV Forum 7-8/2017
Forum Ausgabe 7-8 2017 - Zukunft der betrieblichen Betreuung - DGUV Forum
Aktuelles

„Soziale Sicherheit
ist ein zentraler Schlüssel“
Im Mai haben sich die Arbeits- und Beschäftigungsminister der
G-20-Staaten in Bad Neuenahr getroffen. Themenschwerpunkte waren
Frauenerwerbstätigkeit, Integration von Migranten, nachhaltige globale
Lieferketten und die Zukunft der Arbeit. Erstmals war mit Dr. Joachim
Breuer auch ein Repräsentant der Internationalen Vereinigung für Soziale
Sicherheit (IVSS) vertreten.

Herr Dr. Breuer, Ihre Teilnahme                 Derzeit genießt nur ungefähr ein Drittel
am G-20-Treffen war eine Premiere.              der Weltbevölkerung einen Versiche-
Was war Ihr Anliegen?                           rungsschutz gegen Arbeitsunfälle.

                                                                                                                                             Foto: Wolfgang Bellwinkel/DGUV
BREUER: Mir ging es darum, auf die Be-          Was kann die IVSS tun, um diese Zahl
deutung der sozialen Sicherung für die          zu erhöhen?
weltweite Entwicklung hinzuweisen. So-          Die IVSS hat zum Beispiel Leitlinien mit
ziale Sicherheit ist ein zentraler Schlüssel,   bester Praxis entwickelt und bietet eine
um gesellschaftliche Konflikte zu vermei-       Beratung durch ihre Mitgliedsinstitutio-
den und ein gedeihliches Wirtschafts-           nen an. Wir unterstützen so ganz konkret
wachstum zu fördern. Was Institutionen          den Aufbau von Versicherungssystemen,
der sozialen Sicherung leisten können,          die sich um Prävention, Rehabilitation       Dr. Joachim Breuer ist Präsident der IVSS
dafür ist die Unfallversicherung ein gutes      und Kompensation kümmern. Die IVSS ar-
Beispiel: Die Beschäftigten bekommen            beitet darüber hinaus eng in der Interna-
Sicherheit, wenn sie aufgrund eines Ar-         tionalen Arbeitsorganisation (IAO) zu-
beitsunfalls oder einer Krankheit vorüber-      sammen. Die IAO verwaltet den Vision         morgen an: Digitalisierung, Flexibilisie-
gehend zu Hause bleiben müssen oder             Zero Fund. Mit diesem Geld sollen Ar-        rung von Arbeitszeit und Ort, neue und
invalide werden. Die Arbeitgebenden be-         beitsunfallsysteme in Ländern mit niedri-    ungesicherte Formen von Beschäftigung.
kommen Rechtssicherheit. Sie möchten            gem Einkommen unterstützt werden.            Wie können wir soziale Sicherheit unter
ja eine Institution, die ihnen für ihre Haf-                                                 diesen Rahmenbedingungen gestalten?
tung für Arbeitsunfälle eine Kompensati-        Wird die IVSS beim nächsten G-20-            Wie können wir mehr Menschen beteili-
on anbietet. Und Regierungen können mit         Treffen 2018 in Buenos Aires wieder          gen? Die Expertise von Institutionen wie
Hilfe dieser Institutionen den sozialen         dabei sein?                                  der IVSS ist da unverzichtbar. Das ist in-
Frieden sichern und ein gutes Geschäfts-        Davon gehe ich fest aus. Sehen wir uns die   zwischen auch all jenen klar, die politi-
klima schaffen.                                 Herausforderungen der Arbeitswelt von        sche Entscheidungen treffen müssen.

Zahl des Monats:                  11.059 Baumunfälle
Die Anzahl der Unfälle mit Personen-            nen hervor. Die Anzahl der Unfälle mit
schaden durch Aufprall auf einen Baum           Personenschaden lag der Vorlage zufolge
sowie die Zahl der Getöteten und Schwer-        im Jahr 2005 bei 16.103 und ging konti-
verletzten, die mit diesen sogenannten          nuierlich zurück auf 11.059 im Jahr 2015.
„Baumunfällen“ in Verbindung stehen,            Getötet wurden 2005 bei Baumunfällen
ist deutschlandweit in den vergangenen          1.134 Personen, während es 2015 603 wa-
Jahren gesunken. Das geht aus der Ant-          ren. 7.511 Schwerverletzten im Jahr 2005
wort der Bundesregierung auf eine Kleine        stehen den Angaben nach 5.096 Schwer-
Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-        verletzte im Jahr 2015 gegenüber.

                                                                                                              DGUV Forum 7-8/2017        7
Forum Ausgabe 7-8 2017 - Zukunft der betrieblichen Betreuung - DGUV Forum
Nachrichten aus Brüssel

    Rechte der Mitgliedstaaten beim Abschluss des
    EU-Singapur-Freihandelsabkommens
    Freihandelsabkommen, die von der EU          fallen. So müssten die nationalen Parla-    zum Nachhaltigkeitskapitel, da sie Be-
    für die Mitgliedstaaten verhandelt wer-      mente unter anderem den Regelungen          standteil der Gemeinsamen Handelspo-
    den, müssen nach Abschluss vom Minis-        der Beilegung von Streitigkeiten zwi-       litik seien. Das Gutachten des Europäi-
    terrat sowie vom Europäischen Parla-         schen Investoren und Staaten zustim-        schen Gerichtshofs dürfte für andere
    ment gebilligt werden. Das im Jahr 2013      men. Sie führten nach Auffassung der        Freihandelsabkommen, so zum Beispiel
    unterzeichnete EU-Singapur-Freihan-          Richter dazu, dass Streitigkeiten der ge-   für die Ratifizierung des bereits abge-
    delsabkommen enthält jedoch Bestim-          richtlichen Zuständigkeit der Mitglied-     schlossenen Vertrages zwischen der EU
    mungen, die über den Inhalt traditionel-     staaten entzogen würden, dies könne         und Kanada (CETA), richtungweisend
    ler Freihandelsabkommen hinausgehen.         nach Ansicht des EuGH nicht ohne de-        sein. Die gesetzliche Unfallversicherung
    Zahlreiche Mitgliedstaaten, unter an-        ren Einverständnis eingeführt werden.       hatte die Verhandlungen zu CETA und
    derem auch Deutschland, hatten daher         Der überwiegende Teil der Regelungen        anderen Abkommen verfolgt, da die
    das Abkommen als ein „gemischtes Ab-         des Abkommens fiele jedoch in die allei-    darin enthaltenen Regelungen, unter
    kommen“ betrachtet, bei dem nationale        nige Zuständigkeit der EU, so auch alle     anderem zu Dienstleistungen, auch die
    Parlamente ein Mitspracherecht haben         Regelungen zu Dienstleistungen und          soziale Sicherheit berühren.
    und in den Ratifizierungsprozess ein-
    gebunden werden müssen.

    Die Kommission hatte daher den Euro-
    päischen Gerichtshof in Luxemburg ge-

                                                                                                                                  Foto: Eisenhans/fotolia.com
    beten, in Bezug auf das Freihandelsab-
    kommen mit Singapur diese Frage zu
    klären. In dem am 16. Mai veröffentlich-
    ten Gutachten kommen die Richter zum
    Schluss, dass nicht alle Teile des Vertra-
    ges in die alleinige Zuständigkeit der EU

    Debatte über die Zukunft der europäischen
    Gesundheits- und Sozialpolitik
    Die Diskussion um die Weiterentwick-         Die Europäische Kommission stellt           auf die EU verbunden wäre. Die EU-
    lung der sozialen Dimension der Euro-        hier drei Szenarien für den weiteren        Kommission nennt hier verschiedene
    päischen Union geht weiter. Nach dem         Weg vor. Angefangen bei einem weniger       Beispiele, die dabei angestrebt werden
    im März veröffentlichten Weißbuch zur        an Europa, in dem sich gemeinsame           könnten, so etwa die Einführung einer
    Zukunft der Europäischen Union hat die       Regeln lediglich auf den Binnenmarkt        einheitlichen europäischen Sozialversi-
    Europäische Kommission ein umfang-           beschränken. Damit würde auch eine          cherungsnummer oder die Aufstellung
    reiches Paket von verschiedenen Initia-      Weiterentwicklung im Bereich der Si-        gemeinsamer Regeln für den Status der
    tiven vorgelegt. Neben der Europäi-          cherheit und Gesund bei der Arbeit aus-     Beschäftigten von digitalen Plattfor-
    schen Säule sozialer Rechte ist das          bleiben. Alternativ steht ein mehr an       men. Die Europäische Kommission wird
    Reflexionspapier zur sozialen Dimensi-       Europa entweder der Willigen oder aller     die Debatte sowohl in Brüssel als auch
    on ein wichtiger Baustein. Es soll zur       Mitgliedstaaten zur Diskussion. Damit       in den einzelnen Mitgliedstaaten voran-
    Diskussion über die zukünftige Ausge-        würde eine Vertiefung der sozialen Di-      treiben. Welchen Weg die Europäische
    staltung der Europäischen Union beitra-      mension einhergehen, die unter Um-          Union dann schließlich einschlagen
    gen, insbesondere im Gesundheits- und        ständen mit einer weiteren Übertragung      wird, können jedoch nur die Mitglied-
    Sozialbereich.                               von Kompetenzen der Mitgliedstaaten         staaten gemeinsam entscheiden.

Weitere Informationen: ilka.woelfle@dsv-europa.de und stefani.wolfgarten@dsv-europa.de

8    DGUV Forum 7-8/2017
Forum Ausgabe 7-8 2017 - Zukunft der betrieblichen Betreuung - DGUV Forum
Titelthema

             Die Zukunft der betrieblichen Betreuung

         Eine Innen- und Außenansicht
             Es sind atemberaubende Veränderungen, denen sich Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Industrie ­
             und öffentliche Hand zurzeit ausgesetzt sehen. Welche Folgen diese Veränderungen für die Zukunft
             der betrieblichen Betreuung haben, soll mit diesem Schwerpunkt beleuchtet werden.

             Dem Schwerpunktthema vorangestellt           leistungen der gesetzlichen Unfallversi-      Deutscher Revisions-Ingenieure e. V. (VD-
             wird der Übersichtsartikel „Der Mensch       cherung – Gut gerüstet für die Arbeitswelt    RI) auf. Der VDRI ist ein Zusammenschluss
             im Mittelpunkt – Die Zukunft hat bereits     von morgen“ und einer an den betriebli-       von Präventionsfachleuten der Unfall­
             begonnen“, mit dem der Versuch unter-        chen Veränderungsprozessen ausgerich-         versicherungsträger. Der gemeinnützige
             nommen wird, einerseits die Vielschich-      teten Qualifizierung der Aufsichtsperso-      Verein wurde im Jahr 1894 gegründet.
             tigkeit des Wandels und andererseits die     nen in „Fit für die Aufgaben der Zukunft –
             Wechselwirkungen zwischen den techno-        Qualifizierung von Aufsichtspersonen“         Der zweite Teil des Schwerpunkts blickt
             logischen, gesellschaftlichen, wirtschaft-   kann diese Frage aktuell eindeutig mit ,Ja‘   nach außen und legt den Fokus zum einen
             lichen und politischen Umbrüchen aus         beantwortet werden. Nichtsdestotrotz          auf die Erfahrungen der Betriebe mit der
             unterschiedlichen Blickwinkeln zu be-        wendet sich die Unfallversicherung schon      überarbeiteten und 2011 in Kraft getretenen
             trachten. Dabei ist von besonderer Rele-     heute der Frage zu, ob und, falls ja, wie     DGUV Vorschrift 2 „Betriebsärzte und Fach-
             vanz, dass die gesetzliche Unfallversiche-   zum Beispiel die Präventionsleistungen        kräfte für Arbeitssicherheit“. Diese Vor-
             rung seit ihrem Bestehen bereits drei        Beratung und Überwachung künftig wei-         schrift bot allen Unfallversicherungsträgern
             industrielle Revo­lutionen betriebs- und     terentwickelt werden müssen. Oder wie         erstmals eine einheitliche und gleichlau-
             branchennah miterlebt hat und somit auf      die Ausbildung der Aufsichtspersonen          tende Konkretisierung des Arbeitssicher-
             umfangreiches Wissen und einschlägige        auszurichten ist, um mit der von digitaler    heitsgesetzes. Zum anderen werden auf der
             Erfahrungen zurückgreifen kann. Das          Vernetzung, globaler Konkurrenz und al-       Basis der Rückmeldungen Vorschläge un-
             heutige Präventionshandeln der Unfall-       ternden Belegschaften zunehmend ge-           terbreitet, wie die betriebsärztliche und si-
             versicherung ­und damit auch die betrieb-    prägten betrieblichen Realität weiterhin      cherheitstechnische Betreuung zukunfts-
             liche Betreuung­resultieren sozusagen aus    Schritt halten zu können.                     fest geregelt werden kann. Eingeleitet wird
             den Erkenntnissen der Vergangenheit.                                                       dieser zweite Teil mit einem Interview,
                                                                                                        in dem Dr. Walter Eichendorf, stellvertre-
             Im ersten Teil des Schwerpunkts steht die    „Sind die Präventionsdienste der              tender Hauptgeschäftsführer der DGUV,
             Innenansicht im Vordergrund, das heißt,      Unfallversicherung gerüstet, um               Rede und Antwort steht zu der Frage, wie
             der Blick richtet sich auf die Folgen des    dem Wandel in der Arbeitswelt                 die betriebsärztliche und sicherheitstech­
             Wandels für die betriebliche Betreuung       erfolgreich begegnen zu können?“              nische Betreuung der Zukunft konkret aus­
             der Präventionsdienste der Unfallversiche-                                                 sehen könnte. Zunächst, so Dr. Eichendorf,
             rung. Im Kern geht es dabei um die Frage:                                                  müsse das Ergebnis der Evaluation der
             Sind die Präventionsdienste der Unfall-      Auch die erfahrenen Aufsichtspersonen         DGUV Vorschrift 2 bewertet und der Anpas-
             versicherung gerüstet, um dem Wandel in      werden sich künftig mehr denn je neue         sungsbedarf identifiziert werden. Mit Blick
             der Arbeitswelt erfolgreich begegnen zu      Kompetenzen aneignen müssen. Wie sie          auf neue Herausforderungen an eine wirk-
             können? Anhand einer exemplarischen          sich in ihrer Region fachlich weiterbilden    same innerbetriebliche Prävention schätzt
             Auswahl aus den zehn Präventionsleistun-     können, greift der Artikel „Weiterbildung     Dr. Eichendorf die Einbindung weiterer
             gen in der Abhandlung „Die Präventions-      aus der Praxis in die Regionen“ des Vereins   Professionen sowie die Schaffung eines
                                                                                                        Zentrumsmodells als ausgesprochen viel-
                                                                                                        versprechend ein.
             Autor
                                                                                                        Bereits mit Inkrafttreten der überarbeiteten
                                      Dr. Heinz Schmid                                                  Vorschrift 2 im Jahre 2011 wurde festgelegt,
                                      Referat Präventionsdienste der DGUV                               unter anderem den Umsetzungsgrad der
                                      E-Mail: heinz.schmid@dguv.de                                      Vorschrift in den Betrieben zu evaluieren.
                                                                                                        Die ausführlichen Resultate einer repräsen-
                                                                                                        tativen Erhebung sind im Beitrag „DGUV
                                                                                                        Vorschrift 2 – Evaluation“ zusammenge-
                                                                                                        fasst. Zentrale Ergebnisse der Untersuchung
Foto: DGUV

                                                                                                        sind: Bei 41 Prozent der Fälle ist die Vor-
                                                                                                        schrift den Verantwortlichen in den Betrie-     ▸
                                                                                                                           DGUV Forum 7-8/2017      9
Forum Ausgabe 7-8 2017 - Zukunft der betrieblichen Betreuung - DGUV Forum
Titelthema

                   „Die Unfallversicherung bewegt sich sozusagen von
             Beginn an ‚mittendrin‘ und begleitet seit jeher die fundamentalen
                            Umwälzungen in der Arbeitswelt.“

ben nicht bekannt. Betriebe, die von der      Und welche Betreuungsmodelle sind            cherheit, Gesundheit und Umweltschutz
Vorschrift wissen, setzen sie in der Regel    zielführend, um künftig KMU stärker als      bei der Arbeit (VDSI) und der Verband
auch um. Der Umsetzungsgrad der Vor-          bisher zu erreichen? Darauf gibt die Ab-     deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW)
schrift ist in größeren Betrieben zudem si-   handlung „DGUV Vorschrift 2 – Das Zent-      legen ihre Sichtweisen dar.
gnifikant höher als in kleinen und mittel-    rumsmodell als Lösung zur Sicherung der
ständischen Unternehmen.                      betrieblichen Betreuung“ eine Antwort.       Die Autorinnen und Autoren sind sich da-
                                              Mit dem Zentrumsmodell, das sich an Ar-      rin einig, dass die Vorschrift 2 ein Schritt
Um welche weiteren Professionen es sich       beitsmedizinischen und Sicherheitstech-      in die richtige Richtung war. Mit Blick auf
konkret handelt und welche Kompetenzen        nischen Diensten (ASD) verschiedener         die Zukunft der betrieblichen Betreuung
Fachleute mitbringen müssen, um Be-           Unfallversicherungsträger orientiert, sol-   und den Erfahrungen aus der Vergangen-
triebsärztinnen und -ärzte zielgerichtet      len die begrenzt vorhandenen Ressourcen      heit haben sie konkrete Vorschläge für
unterstützen zu können, wird im Artikel       passgenauer eingesetzt werden und ins-       eine noch stärkere, an der betrieblichen
„Weitere Professionen für die betriebliche    besondere KMU einen besseren Zugang          Praxis orientierten Reform der Vorschrift.
Betreuung“ ausführlich erläutert. Die zu-     zur Betreuung erhalten.                      Dazu zählen beispielsweise: den Bekannt-
nehmende Komplexität der Arbeitswelt,                                                      heitsgrad der Vorschrift zu erhöhen – ins-
ein damit verbundenes verändertes Ge-         Mit einem „Blick zurück nach vorn!“ unter-   besondere in kleinen und mittelständi-
fährdungsspektrum und die schon heute         schiedlicher Interessenvertretungen findet   schen Unternehmen –, die Komplexität
nicht mehr flächendeckend zu gewähr-          das Schwerpunktthema seinen Abschluss.       der Vorschrift weiter zu verringern und
leistende betriebsärztliche Betreuung, vor    Die Sozialpartner, ­die Bundesvereinigung    die Flexibilität der arbeitsmedizinischen
allem in kleinen und mittelständischen        der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)      Vorsorge im betriebsspezi­fischen Teil der
Unternehmen (KMU), machen die Einbin-         und die Vereinte Dienstleistungsgewerk-      Betreuung ohne Vorgabe starrer Einsatz-
dung weiterer Professionen unabdingbar.       schaft (ver.di) sowie der Verband für Si-    zeiten beizubehalten.                    •

                                                                                                                                   Foto: bakhtiarzein/fotolia.com

Der gesellschaftliche Wandel hat spürbare Folgen für alle Lebens- und Arbeitsbereiche

10    DGUV Forum 7-8/2017
Titelthema

             Wandel der Arbeitswelt

         Die Zukunft hat bereits begonnen
             Nicht nur die Arbeitswelt steht vor revolutionären Umbrüchen. Inzwischen hat die Digitalisierung nahezu
             alle Lebensbereiche erfasst. Dennoch befindet sie sich erst in ihren Anfängen. Mit diesem Beitrag
             werden globale Herausforderungen, die auch die gesetzliche Unfallversicherung (UV) betreffen, beispielhaft
             skizziert und in den Kontext ihrer Erfahrungen mit früheren industriellen Revolutionen gesetzt.

             Die (Arbeits-)Welt steht vor immer neuen     ander kommunizieren. Roboter sind inzwi-      (KI). Das, was im ersten Moment wie ein
             und komplexer werdenden Herausforde-         schen aus ihrer Einhausung ,befreit‘ und      Science-Fiction-Szenario klingt, in dem
             rungen – wirtschaftlich, gesellschaftlich,   arbeiten heute nicht nur in der Automo­       Mensch und Roboter wie selbstverständ-
             technologisch und politisch (Tabelle). Der   bilindustrie mit Menschen Hand in Hand.       lich miteinander umgehen und auf Augen-
             weiter steigende Druck durch die Globali-    Theoretisch können in absehbarer Zeit alle    höhe kommunizieren, könnte in abseh-
             sierung des Wirtschaftslebens, der demo-     physischen Objekte miteinander kommu-         barer Zeit Wirklichkeit werden. Google
             grafische Wandel mit einer tiefgreifenden    nizieren – nicht nur am Arbeitsplatz, son-    DeepMind ist ein Unternehmen, das sich
             Alterung von Gesellschaften, die zuneh-      dern auch im Privatbereich. Einer Studie      auf die Programmierung von KI speziali-
             mende Digitalisierung in der Arbeitswelt,    der Bosch-Gruppe zufolge werden in we-        siert hat, um selbstlernende Maschinen zu
             die Entstehung neuer Arbeitsformen, die      nigen Jahren etwa sechs Milliarden inter-     entwickeln. Dass das besser funktioniert
             Entwicklung selbstlernender Maschinen        netfähige Endgeräte zur Verfügung stehen,     und voranschreitet, als es selbst die opti-
             (künstlicher Intelligenz) einerseits sowie   die miteinander verbunden, ein enormes        mistischsten Fachleute zu träumen wagten,
             der Anstieg chronischer Krankheiten (zum     Potenzial darstellen. Diese globale Vernet-   zeigt das Computerprogramm AlphaGo. Es
             Beispiel Muskel-Skelett-Erkrankungen) an-    zung wird die Gesellschaften weltweit         handelt sich dabei um einen selbstlernen-
             dererseits führen zu der Frage: Inwieweit    verändern (digitale Gesellschaften). Das      den Computer, gegen den man Go spielen
             sind die aktuellen Präventionsstrategien     Internet ermöglicht dann nicht nur eine       kann, ein strategisches Brettspiel aus Asi-
             an ihre Grenzen gestoßen und was bedeu-      aktive Beteiligung und kreative Gestaltung    en. Das Besondere daran: Bei der Program-
             ten diese einschneidenden Veränderun-        von Netzinhalten durch die Nutzergemein-      mierung von AlphaGo sind die lernenden
             gen für die Präventionsdienste der Unfall-   de, wie das mit dem Begriff Web 2.0 zum       neuronalen Netzwerke des menschlichen
             versicherung (UV)?                           Ausdruck gebracht wird. Auch die Interak-     Gehirns die Blaupause gewesen. AlphaGo
                                                          tion und der Austausch mit intelligenten      wurde anschließend mit riesigen Daten-
             Kommunizierende Fabriken –                   Objekten in der Umgebung wird kein Pro-       mengen in Form historischer Go-Partien
             selbstlernende Maschinen:                    blem sein. Die reale (physikalische) Welt     gefüttert. Im nächsten Schritt hat der Com-
             eine neue Dimension                          und die virtuelle (der Cyber-Space) werden    puter monatelang gegen sich selbst ge-
             Das Thema Industrie 4.0 ist in der breiten   zum sogenannten Cyber-Physical-System         spielt, um anschließend den amtierenden
             Öffentlichkeit angekommen, wie die Han-      (CPS) verschmelzen.                           Weltmeister und Go-Genie Lee Sedol „her-
             nover Messe 2016 gezeigt hat. Bereits 2014                                                 auszufordern“. Einen Sieg hielten Fachleu-
             wurde dort die Fabrik der Zukunft präsen-    Und als wäre das nicht genug an neuen         te für eher unwahrscheinlich. Doch im
             tiert. In ihr sind Produkte, Produktions-    Herausforderungen, wurde vor wenigen          März 2016 war die Sensation perfekt. Die
             und Informationstechniken, die derzeit       Monaten die Existenz der ersten selbst-       Künstliche Intelligenz schlug die mensch-
             noch weitgehend unabhängig voneinan-         lernenden Maschinen belegt – und damit        liche in fünf Partien mit 4:1. Wie sich zeigte,
             der arbeiten, vernetzt und können mitein-    eine höhere Stufe künstlicher Intelligenz     hat der Computer Go-Strategien entwickelt,
                                                                                                        die es ihm ermöglichten, aus sich heraus
                                                                                                        Lösungen zu finden, auf die bisher kein
             Autor                                                                                      Mensch gekommen ist. Dieser Turniersieg
                                                                                                        markiert einen Wendepunkt, der weit über
                                      Dr. Heinz Schmid                                                  das Spiel AlphaGo hinausragt und den
                                      Referat Präventionsdienste der DGUV                               man historisch nennen muss, weil er in ei-
                                      E-Mail: Heinz.Schmid@dguv.de                                      ne weitere Dimension vorstößt.

                                                                                                        Wenn Maschinen und Computer die Intel-
                                                                                                        ligenz ihrer Entwickler bisher, wenn über-
                                                                                                        haupt, nur punktuell übertreffen konnten,
Foto: DGUV

                                                                                                        hat die KI nun ein neues Tor aufgestoßen.
                                                                                                        Selbst die einschlägigen Expertenkreise           ▸
                                                                                                                           DGUV Forum 7-8/2017       11
Titelthema

                                                               Zusammenarbeit von
                                                              Mensch und Künstlicher
                                                                   Intelligenz

                                                                                                                      fentlichung und soll daher in diesem Bei-
                                                                                                                      trag nicht näher beleuchtet werden. Dass
                                                                                                                      die dargelegten Entwicklungen Auswir-
                                                                                                                      kungen auf die Arbeitswelt und das Zu-
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                                                                                                                      sammenleben in Gesellschaften haben
                                                                                                                      werden, wenn sie flächendeckend im Ein-
                                                                                                                      satz sind, scheint unbestritten. Wie die
                                                                                                                      Auswirkungen allerdings konkret ausse-
                                                                                                                      hen, ist noch offen.

                                                                                                                      Gesellschaftlicher
                                                                                                                      Wandel – alternde Belegschaften,
                           räumen ein, nicht mehr genau nachvoll-        ne zusätzliche Dimension. Sie wirft unter    die Generationen Y und Z
                           ziehen zu können, welche inneren Pfade        anderem die Frage auf, wie Betriebe mit      Die Alterung der Belegschaften als Folge
                           KI genommen hat. Damit befinden sich          sicherheitstechnischen Aspekten umge-        des demografischen Wandels ist inzwi-
                           künstliche ,Wesen‘ auf der Schwelle zur       hen, wenn KI künftig die Prozesse in der     schen in den Betrieben spürbar. Betriebe
                           Emanzipation von ihren Schöpfern. Mit         Produktion ohne menschliches Zutun           müssen stärker dafür sorgen, rechtzeitig
                           selbstlernenden Maschinen wird nicht          kontinuierlich verändert, so dass Beschäf-   Nachwuchs für ausscheidende Betriebs-
                           nur die Fabrik der Zukunft intelligent. Al-   tigte in jedem Augenblick vor einer ande-    angehörige zu finden und zu binden. Mit
                           le digitalen Arbeitsbereiche werden lern-     ren ,Black Box‘ stehen. Die gesamtgesell-    der Einführung der Rente ab 67 ist es wei-
                           fähig und verändern ihr ,Verhalten‘, wenn     schaftlich zu klärende Kernfrage, welche     terhin im Eigeninteresse der Unterneh-
                           sie neue Einsichten gewonnen haben, un-       Rolle der Mensch in einer ,selbstdenken-     men, Maßnahmen zu treffen, damit ihre
                           abhängig vom Menschen. Das verleiht der       den Arbeitswelt‘ noch spielen wird, wäre     Belegschaft von der Lehre bis zum Eintritt
                           aktuellen Diskussion um Arbeiten 4.0 ei-      Gegenstand einer eigenständigen Veröf-       ins Rentenalter gesund bleibt.

                           12   DGUV Forum 7-8/2017
Der Mensch steht im Mittelpunkt

In den letzten Jahren hat sich eine weitere   ment-Index verweist, wonach mehr als          den letzten Jahrzehnten erfasst hat. Von
gesellschaftliche Entwicklung gezeigt, die    zwei Drittel der Belegschaft in deutschen     Jobs auf Lebenszeit, an die ihre Eltern
Betriebe vor neue Herausforderungen           Betrieben Dienst nach Vorschrift machen       noch glaubten, hat sie sich längst verab-
stellt. Sie werden zunehmend mit jungen,      und 15 Prozent sogar innerlich gekündigt      schiedet. Und mit einer sicheren Rente
hochqualifizierten und selbstbewussten        haben.2 Für gewerbliche wie öffentliche       kann man diese Generation nicht locken:
Frauen und Männern konfrontiert, die ih-      Betriebe hat das gravierende Konsequen-       Die wird es für sie, so glauben die Jungen,
re Zusage, für ein Unternehmen zu arbei-      zen. Die Generation Y nennt sich selbstbe-    nach ihrem derzeitigem Ermessen gar
ten, mit klaren Forderungen an die be-        wusst digitale Nomaden. Die Möglichkeit,      nicht mehr geben. Und es scheint, als sei
trieblichen Rahmenbedingungen knüpfen.        so zu arbeiten, wie sie möchte, und vor al-   ihr die Frage nach ihrer eigenen Alterssi-
Es ist die Altersgruppe von Frauen und        lem gerne zu arbeiten und dabei glücklich     cherung nicht einmal ansatzweise be-
Männern, die zwischen 1980 und 1995 ge-       zu werden, gab ihr das Internet. Diese        deutsam. Die Generation Y hat keine
boren wurde und von den Soziologen als        Technologie erlaubt dieser Generation,        schlechten Karten bei ihrem Ansinnen auf
Generation Y bezeichnet wird. „Was wir        mit geringen Mitteln ihre eigenen Ideen       flexibleres Arbeiten und dem Wunsch auf
verlangen, kommt einem gewaltigen Um-         weltweit umzusetzen.                          Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ihre
bruch gleich“, so Kerstin Bund in ihrem                                                     Trumpfkarte ist der Mangel: der Mangel
Artikel „Wir sind jung ... und brauchen das   In Zeiten des spürbaren Fachkräfteman-        an gut ausgebildeten Fach- und Füh-
Glück“ in der Wochenzeitung DIE ZEIT          gels wird künftig nicht nur das Gewinnen,     rungskräften, der sich anbahnt und sich
vom 27. Februar 2014.1 „Wir“, so Bund wei-    sondern auch das Binden neuer Mitarbei-       in den nächsten Jahren weiter verschär-
ter, „fordern eine neue Berufswelt.“ In der   ter an den Betrieb oder eine kommunale        fen wird. Anders als die Generationen vor
aktuellen, so Bund, „herrsche in erster Li-   Verwaltung zur Herausforderung. Die           ihnen ist sie in der komfortablen Rolle,
nie Frust“.1 Kerstin Bunds Aussage wird       Generation Y will mehr Flexibilität und       mit künftigen Chefs ihre Rahmenbedin-
durch eine Umfrage des Gallup-Instituts       mehr Freiräume von ihren künftigen Ar-        gungen im Betrieb gelassener verhandeln
belegt, das in seiner Pressemitteilung vom    beitgebenden. Diese Generation hat die        und bei Nichtgefallen ablehnen zu kön-
22. März 2016 auf den aktuellen Engage-       Unsicherheit verinnerlicht, die die Welt in   nen. Sie verhandeln dabei keineswegs          ▸
                                                                                                              DGUV Forum 7-8/2017    13
Titelthema

um Statussymbole wie die Ausstattung
ihres Büros oder die Fahrzeugklasse ihres
Dienstwagens. Wenn man den soziologi-
schen Untersuchungen glauben darf, legt
diese Generation mehr Wert darauf, dass
ihnen die Arbeit Freude macht und Sinn
stiftet. Die Frage nach Geld oder Glück
wird von ihr mehrheitlich mit Glück be-
antwortet. Sofern diese Generation dann
arbeiten kann, wann und wo sie möchte,
verspricht sie im Gegenzug ein hohes Maß
an fruchtbarer, schöpferischer und damit
dem Betrieb nutzbringender Arbeitser-
gebnisse. Mit Internet und Vernetzung
groß geworden, hat die Generation Y die

                                                                                                                                               Foto: Andrew Stefanovsky/fotolia.com
kreativen Möglichkeiten und die Flexibi-
lität, die diese neuen Medien bieten, so
verinnerlicht, dass sie auch von ihren
künftigen Arbeitgebenden kreative und
flexible Lösungen verlangen, um zum Bei-
spiel Familie und Beruf vereinen zu kön-
nen. Und die Betriebe werden, wie oben
dargelegt, künftig verstärkt Beschäftigte
suchen, die die intelligenten Fabriken der
Zukunft steuern.                                 Generationen Y und Z: Zwischen Verbindung und Abgrenzung von Arbeit und Leben

Seit kurzem drängt nun eine weitere Gene-
ration auf den Arbeitsmarkt. Sie wird von        Management auf neuen Wegen –                   Management‘, das allerdings eine gelebte
den Soziologen als Generation Z bezeich-         der Mensch als Ganzes                          und offene Fehlerkultur voraussetzt.
net. Es sind die seit 1995 Geborenen, die in     Auch im Management scheint man mit
eine bereits in weiten Teilen digitalisierte     den bisherigen Modellen an Grenzen ge-         Und „Führung, die nicht mit dem Boden
Welt hineingeboren wurden, während               stoßen zu sein. Ökonomen rücken zuneh-         verhaftet ist, ist keine“, so Thomas Sattel-
die Generation Y als Pioniere sozusagen          mend ganzheitliche Methoden in den             berger.5 Er sieht ein Führungsversagen6
digital sozialisiert wurde. Der Generation       Fokus. Mit Blick auf die Einführung von        und fordert mehr Demut von den Füh-
Z ist der Umgang mit digitalen Medien            Managementsystemen plädiert der So­            rungskräften. Für Sattelberger, ehemali-
noch vertrauter. Die Generation Z sucht          zialökonom und Rechtswissenschaftler           ger Personalvorstand der Deutschen Tele-
nach Auffassung von Soziologen keine             Günther Bauer für einen „systemischen          kom und aktuell Themenbotschafter der
emotionale Bindung an das Unternehmen.           Zugang zum Thema Management“. Syste-           Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA),
Sie ist leistungsbereit wie die Generation Y,    misch bedeutet in diesem Zusammenhang          befindet sich die Arbeitswelt erneut im
aber nur innerhalb zeitlich und räumlich         für Bauer, dass die Qualität von Manage-       Umbruch. Vier seiner insgesamt zwölf
klar definierter Grenzen. Arbeiten nach 17       mentsystemen nicht mehr primär an der          Thesen zur Arbeitswelt 20236 lauten:
Uhr, im Urlaub oder an den Wochenenden           Umsetzung einer Methode oder Technik,
möchte diese Generation keinesfalls. Sie         sondern an der ganzheitlichen Haltung          • Steile Hierarchien werden durch
möchte weder von zu Hause aus arbeiten,          und Einstellung der Führung gemessen              Netzwerkstrukturen abgelöst.
noch ständig erreichbar sein. Freizeit ist ihr   werden muss.3 Was für Mangementsyste-          • Unternehmen werden einen
wichtig, und daher wird zwischen Beruf           me grundsätzlich gilt, dürfte auf Arbeits-        Rahmen für eine gesunde
und Privatem eine klare Trennung gezo-           schutz- und betriebliche Gesundheitsma-           Unternehmenskultur setzen
gen. Die Aussicht, in Zukunft für geleistete     nagementsysteme ebenso zutreffen.                 und den Beschäftigten ins
Mehrarbeit entschädigt zu werden, ist kei-                                                         Zentrum rücken (müssen).
nesfalls verlockend. Es besteht kaum Inte-       Der Organisationspsychologe Karl E. Weick      • Klug finanzierte Auszeitmodelle
resse an einer Karriere und der Übernahme        empfiehlt Unternehmensleitungen, „für             (mehr Zeit für Familie, Pflege,
von Verantwortung. Sie sind zwar noch            betriebliche Abläufe sensibel zu sein“. Dies      politisches Engagement etc.)
jung, wissen aber, dass bei den älteren          bedeutet „schon kleinere Fehler und Stö-          werden zum Normalfall und nicht
Generationen diese Rechnung nicht auf-           rungen aufzuspüren und bei Störungen              das Karriereende bedeuten.
gegangen ist. Führungsverantwortung,             oder Krisen das jeweilige Fachwissen und       • Reorganisationen werden nur noch
Auslandsaufenthalte und leistungsorien-          Können der Mitarbeiter aufzugreifen, da           „pädagogisch dosiert“ vorgenommen
tierte Entlohnung kommen nach Auskunft           Organisationen mit starren Hierarchien            und auch nur dann, wenn der
der Personalabteilungen bei Stellenaus-          eine intrinsische Fehleranfälligkeit inne-        Führung die Belastungen für die
schreibungen nicht gut an.                       wohnt“.4 Weick spricht von ,achtsamem             Mitarbeitenden bekannt sind.

14   DGUV Forum 7-8/2017
Der Mensch steht im Mittelpunkt

Sattelbergers Fazit: „... 2023 werden Men-     Mit der zunehmenden Alterung der Gesell-     Anpassungen der Grundlagen für die
schen sehr klar unterscheiden zwischen         schaft als eine Folge des demografischen     Präventionsdienste der UV
sinnlosen, sinnvernichtenden, sinnsu-          Wandels werden diese Kosten weiter stei-     Die zurückliegenden Revolutionen haben
chenden und sinnstiftenden Unterneh-           gen. Auch der Fehlzeitenreport 2016 der      zwangsläufig auch das Präventionshandeln
men. Und sie werden nicht mehr bereit          AOK kommt zum gleichen Ergebnis.8 Der        der UV beeinflusst. Wechselwirkungen
sein, für Unternehmen zu arbeiten, deren       Bericht sieht weiterhin einen Zusammen-      dieser Art bestehen damit seit ihrer Grün-
Ziele sich nicht mit ihren individuellen In-   hang zwischen einer wertschätzenden          dung. Die UV bewegt sich sozusagen von
teressen, Bedürfnissen und Werten ver-         Unternehmenskultur im Betrieb und ei-        Beginn an ,mittendrin‘ und begleitet seit
einbaren lassen“.6                             nem positiven Einfluss auf die Gesundheit    jeher die fundamentalen Umwälzungen in
                                               der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.        der Arbeitswelt. So gesehen ist die bevor-
                                                                                            stehende industrielle Revolution als gra-
„Die Generation Y nennt sich                   Industrielle Revolutionen                    vierende Umwälzung der Arbeitswelt von
selbstbewusst digitale Nomaden.                der Vergangenheit                            ihrer Qualität her neu, nicht aber als um-
Die Möglichkeit, so zu arbeiten,               In Zeiten solcher Umbrüche lohnt ein         fassender Veränderungsprozess an sich.
wie sie möchte, und vor allem                  Blick in die Historie. Im Laufe ihrer mehr
                                               als 130-jährigen Geschichte hat die UV
gerne zu arbeiten und dabei glück-
                                               bereits mehrere industrielle Revolutionen
lich zu werden, gab ihr das Inter-             durchlebt und mitgestaltet. Die erste in-          Fußnoten
net. Diese Technologie erlaubt                 dustrielle Revolution beginnt mit der Eta-         [1] Bund, Kerstin (2014): Wir sind
dieser Generation, mit geringen                blierung mechanischer Produktionsanla-             jung ... und brauchen das Glück:
                                                                                                  Wie die Generation Y die Berufswelt
Mitteln ihre eigenen Ideen welt-               gen (Mechanisierung). Rasant verändert
                                                                                                  verändert und warum alle von die-
weit umzusetzen.“                              die Industrialisierung ehemals landwirt-           sem Wandel profitieren. In: DIE ZEIT,
                                               schaftlich geprägte Länder. Die Agrar-             27. Februar 2014
                                               gesellschaft wandelt sich zunehmend zu             [2] Gallup Engagement Index 2016:
Auch wenn Sattelbergers Thesen zum             einer Industriegesellschaft. Fabriken              „Schlechte Chefs kosten deutsche
Teil überspitzt formuliert sind und nicht      schießen förmlich aus dem Boden. Einer-            Volkswirtschaft bis zu 105 Milliarden
                                                                                                  Euro jährlich“; Pressemitteilung, 22.
auf alle Branchen, Betriebe und Beschäf-       seits bieten sie neue Arbeitsplätze, die           März 2016; http://www.gallup.de
tigte übertragbar sein dürften, klingen        aufgrund des Bevölkerungswachstums
                                                                                                  [3] Bauer, Günther (2013): Einführung
sie aus der Feder eines ehemaligen Per-        dringend gebraucht werden. Gleichzeitig            in das systemische Sozialmanage-
sonalvorstandes eines global agierenden        verändern sie aber auch die bestehende             ment, Kapitel 3.4 Systemische
Unternehmens bahnbrechend. Denn                Gesellschaftsordnung. Die Menschen                 Haltung,Verlag Carl Auer, Heidelberg
                                                                                                  (Vorabdruck)
nicht mehr die Betriebe wählen ihre Mit-       wandern aus Landwirtschaft und Hand-
arbeiter aus. Die Mitarbeiter entscheiden      werk ab und nehmen Arbeit in Fabriken              [4] Weick, Karl E.;Sutcliffe, Kathleen
                                                                                                  M. (2010): Das Unerwartete mana-
sich vor dem Hintergrund ihrer Lebens-         an. Dort haben sie zunächst kaum Rechte:           gen. Wie Unternehmen aus Extremsi-
planung und ihrer Lebens- und Erfah-           Die Löhne sind gering, die Arbeitszeiten           tuationen lernen. Schäffer-Poeschel
rungswelt für das zu ihnen passende Un-        lang, die Arbeitsbedingungen oft katast-           Verlag, Stuttgart. 2., vollständig
                                                                                                  überarbeitete Auflage
ternehmen. Das, was Sattelberger hier          rophal. Erleiden Arbeitnehmende einen
beschreibt, klingt nach den Forderun-          Unfall, haben sie keinerlei Absicherung:           [5] Antwort von Thomas Sattelberger
                                                                                                  auf Frage 13 im Rahmen der INQA
gen, die die Generation Y heute schon an       Für sie gibt es oft nur noch Kündigung             Themenwoche Personalführung
Unternehmen stellt.                            und Armut. Das war die Geburtsstunde               vom Februar/März 2014 unter:
                                               des Arbeitsschutzes und der gesetzlichen           http://www.inqa.de
Zukunft der sozialen                           Unfallversicherung. Die zweite industriel-         [6] Thomas Sattelberger (2013):
Sicherungssysteme                              le Revolution beginnt mit arbeitsteiliger          Die Arbeitswelt von morgen, in:
                                                                                                  Personalmagazin (05) 2013, S. 28-29
Die Kosten für die soziale Sicherung stei-     Massenproduktion an Fließbändern unter
gen trotz wachsenden Wohlstands stetig         Nutzung elektrischer Energie Anfang des            [7] Statistisches Bundesamt: Herz-
                                                                                                  Kreislauf-Erkrankungen verursachen
an. Mehr wirtschaftliches Wachstum hat         20. Jahrhunderts. In den 70er-Jahren wird          die höchsten Krankheitskosten
nicht automatisch zu mehr Wohlergehen          mit dem Einsatz von Elektronik und IT              unter: https://www.destatis.de/DE/
der Gesellschaft oder ihrer Bürger bei-        die dritte Revolution eingeläutet, die zur         ZahlenFakten/GesellschaftStaat/
                                                                                                  Gesundheit/Krankheitskosten/
getragen. Insbesondere in den hochent-         Automatisierung der Produktion führt. In
                                                                                                  Krankheitskosten.html
wickelten Industriegesellschaften ist          den vergangenen mehr als zwei Jahrzehn-
                                                                                                  [8] Fehlzeiten-Report 2016:
heute ein gegenteiliger Effekt zu beobach-     ten haben die beginnende Globalisierung            Unternehmenskultur und Gesund-
ten. Die Zahlen für die chronischen Er-        und der Einstieg in veränderte Informati-          heit – Herausforderungen und
krankungen in Deutschland sind beunru-         onstechnologien atemberaubende Ent-                Chancen, hrsg. v. B. Badura et al.
higend. Nach einer Analyse des Statis-         wicklungen nach sich gezogen und die               Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg
                                                                                                  2016
tischen Bundesamtes gehören Erkrankun-         Basis für das geschaffen, was wir heute
                                                                                                  [9] Präventionsleistungen der Un-
gen des Muskel-Skelett-Apparates (MSE)         im Produktionsbereich Industrie 4.0 –
                                                                                                  fallversicherungsträger der DGUV;
sowie psychische Erkrankungen zu den           und mit Blick auf die ge­samte Arbeitswelt         Dezember 2016; www.dguv.de;
vier Krankheiten, die die höchsten Kosten      Arbeiten 4.0 – nennen: die vierte indust-          Webcode: d1090649
verursachen.7                                  rielle Revolution.                                                                               ▸
                                                                                                               DGUV Forum 7-8/2017         15
Titelthema

Technologisch                                 Digitalisierung (Internet der Dinge und Dienste, Ambient Intelligence, Ubiquitous
                                              Computing, Cyber-Physical Systems – Verschmelzung der realen mit der virtuellen
                                              Welt); 3D-Druck; implantierte Chips; direkte Mensch-Roboter-Interaktion; selbst­
                                              lernende Maschinen (Künstliche Intelligenz)

Gesellschaftlich                              Demografischer Wandel (alternde Bevölkerung; Generationen Y, Z); direkte
                                              Mensch-Roboter-Interaktion zum Beispiel in der Altenpflege; Digitalisierung
                                              der Gesellschaft

Wirtschaft/Industrie/Öffentliche Hand         Arbeiten/Industrie 4.0; Generationen Y, Z; alternde Belegschaften;
                                              Fachkräftemangel; soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR); Vielfalt in
                                              Bezug auf Geschlecht, Alter, Rasse, Weltanschauung (Diversity); E-Government

Politisch                                     Präventionsgesetz; europäische Säule sozialer Rechte; transatlantische
                                              Freihandelsabkommen (TTIP, CETA); REFIT (Better regulation); Rechtsetzung und

                                                                                                                                         Quelle: Schmid
                                              -anwendung in einer digitalen und global vernetzten Arbeitswelt; Finanzierung
                                              der sozialen Sicherungssysteme

Tabelle: Herausforderungen, die die Arbeit der Präventionsdienste beeinflussen/beeinflussen könnten

Seit der Gründung der UV sind mit Blick       leistungen9 mit vielfältigen und ineinan-     und gesellschaftlicher Art wahrnehmen.
auf das Handeln ihrer Aufsichts- bezie-       dergreifenden, modernen Mitteln entwi-        Mit Hilfe des sogenannten Risikoobserva-
hungsweise Präventionsdienste vier we-        ckelt. Mit dem Instrument der Präven-         toriums der Deutschen Gesetzlichen Un-
sentliche gesetzgeberische Einschnitte        tionskampagnen gehen die Präventions-         fallversicherung (DGUV) werden diese
erfolgt, die den Spielraum kontinuierlich     leistungen heute nicht nur weit über die      Trends erfasst, bewertet und bei der Ent-
erweiterten:                                                                                wicklung praxisnaher und wirksamer Prä-
                                                                                            ventionsmaßnahmen berücksichtigt. Das
1. 1 885 werden die ersten Berufs-           „Mehr wirtschaftliches Wachstum               ist von enormem Nutzen für Betriebe und
     genossenschaften gegründet               hat nicht automatisch zu mehr                 öffentliche Einrichtungen. Diese aktive
     und beauftragt, Unfallverhütungs-        Wohlergehen der Gesellschaft oder             Rolle der UV kam bei Fragen zur Sicherheit
     vorschriften zu erlassen.                ihrer Bürger beigetragen.“                    im Rahmen der direkten Mensch-Roboter-
2. 1925 wird der Präventionsauftrag                                                        Interaktion zum Tragen.
    auf die Verhütung gewerblicher
    Berufserkrankungen ausgedehnt.            klassische Überwachung hinaus, die Über-      Als Fazit lässt sich sagen, dass mit dem
3. 1963 beauftragt der Gesetzgeber           wachung selbst unterliegt einem kontinu-      Wissen und den Erfahrungen in den Prä-
    die UV, Arbeitsunfälle und Berufs-        ierlichen Anpassungsprozess an besteh­        ventionsdiensten sowie den breit aufge-
    krankheiten mit allen geeigneten          ende Rahmenbedingungen. Die Präven-           stellten trägerübergreifenden Präventi-
    Mitteln zu verhüten.                      tionsdienste haben einen direkten Zugang      onseinrichtungen der UV ­­– Institut für
4. 1 996 wird der Präventionsauftrag         in die Betriebe und öffentlichen Einrich-     Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG),
    um die Verhütung arbeitsbedingter         tungen, und im gewerblichen Bereich zu-       Institut für Arbeitsschutz (IFA), Institut
    Gesundheitsgefahren erweitert.            dem einen engen Branchenbezug. Sie ge-        für Prävention und Arbeitsmedizin (IPA),
                                              winnen unschätzbares Fachwissen und           Fachbereiche – heute ideale Rahmenbe-
Insbesondere der erweiterte Präventions-      umfassende gewerbespezi­fische Kenntnis-      dingungen existieren, um den in der Ta-
auftrag hat der UV die Möglichkeit gege-      se durch ihren Einblick in die betriebliche   belle genannten Herausforderungen er-
ben, Prävention ganzheitlich zu betrach-      Praxis. Fachleute der UV wirken aktiv in      folgreich begegnen zu können.          •
ten und den Menschen als Ganzes in den        staatlichen Ausschüssen, nationalen und
Mittelpunkt zu stellen. Ein Ansatz, der ei-   internationalen Normungsgremien und
ne solide Grundlage bietet, sich dem The-     Branchenverbänden mit.
ma Kultur der Prävention zuzuwenden.
                                              Die Beratungs-, Überwachungs- und Nor-              Weitere Informationen zu den Präven-
                                                                                                  tionsleistungen der gesetzlichen
Auf der Grundlage der kontinuierlichen        mungstätigkeit der Präventionsdienste öff-          Unfallversicherung bietet Ihnen der
Anpassung ihres Präventionshandelns an        net ihnen ein Fenster in die Zukunft. Sie           Beitrag von Heike Wenzel ab Seite 17
die oben genannten Umwälzungen in der         können frühzeitig neue Trends technolo-             in diesem Heft.
Arbeitswelt haben sich zehn Präventions-      gischer, aber auch wirtschaftspolitischer

16   DGUV Forum 7-8/2017
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