Augustana-Journal - Augustana-Hochschule

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Augustana-Journal - Augustana-Hochschule
Augustana-Journal
Theologische Hochschule der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern

      Informationen aus Hochschule und Stiftung          2016/17
                                                             2

»Reflecting Reformation« – Die International Summer School 2016
Systematische Theologie und Ästhetik
Argumentieren gegen rechts
Augustana-Journal - Augustana-Hochschule
Inhalt

 3   Grußwort des Rektors

     Forschung und Lehre
 4   Janning Hoenen: Neuer Alttestamentler und neuer Rektor – Ein Interview mit Prof. Dr. Michael Pietsch
 7   Friedemann Barniske: Systematische Theologie und Ästhetik
11   Heike Walz: Rund um die Welt und nach Neuendettelsau – Die Professorin für Interkulturelle Theologie stellt sich vor
16   Armin Stephan: Neue Publikationen 2015/16

     Besondere wissenschaftliche Veranstaltungen
20   Verena Grüter: Leben in der Minderheit – Christen als Nachbarn von Hindus und Muslimen.
     Ökumenische Begegnungsreise nach Indien vom 27. Februar bis zum 11. März 2016
25   Axel Töllner: Eröffnung des Instituts für christlich-jüdische Studien und Beziehungen
28   Janning Hoenen: Der Hai über unseren Köpfen und die Hoffnung auf eine bessere Welt.
     Ein praktisch-theologisches Seminar zum Thema »Theater und Gottesdienst«

     Internationales
31   Markus Mülke: »An der Augustana steht mir die Welt offen ...« – Eine Übersicht zum internationalen Studierendenaustausch
37   Janning Hoenen / Markus Mülke: »Reflecting Reformation« – Ein Bericht von der International Summer School 2016
41   Aline und Leandro Jochem: Zu Gast aus Brasilien
43   Christiane Kalbreier: Mein Jahr in Norwegen

     Weiterentwicklung der Hochschule
46   Armin Stephan: »Wer A sagt ...« – Der Baugeschichte zweiter Teil
50   Elisabeth Helmreich: PRIMUSS – Die Hochschule geht online
52   Daniel Haardt: PRIMUSS auf dem Prüfstand – die Sicht der Studierenden
54   Daniel Haardt: Silberne oder tönerne Abendmahlsgeräte? –
                                                                                                                               Impressum:
     Studentische Rückschau auf eine schwierige Entscheidungsfindung
56   Klaus Raschzok: Neue Abendmahlsgeräte für die Kapelle der Augustana-Hochschule                                    Augustana-Journal
                                                                                                 Informationen aus Hochschule und Stiftung
60   Ines Allmann: Zwischen Nürnberg und Neuendettelsau –
     Ein Interview mit dem neuen Hochschulkantor KMD Andreas Schmidt                                                            Herausgeber
                                                                                                                      augustana-Hochschule
62   Andreas Schmidt: Eine neue Orgel für die Kapelle der Augustana-Hochschule                        Waldstraße 11, 91564 Neuendettelsau
                                                                                                                        Tel. 09874 / 509 – 0
                                                                                                          E-Mail: information@augustana.de
     Aus dem Leben einer Campushochschule                                                                      Website: www.augustana.de
                                                                                                                             Bankverbindung:
64   Julia Vosswinkel: Argumentieren gegen rechts                                                                Sparkasse Neuendettelsau
66   Anika Beeck: Und wieder ein Nordlicht in Mittelfranken ...                                      IBAN: DE02 7655 0000 0760 7004 50
                                                                                                                        BIC: BYLADEM1ANS
68   Hanna Lechler: Mission: Weite Welt. Eindrücke vom Augustana-Ball 2015
70   David Rothmund: »Der Diener zweier Herren« im Theater der Studierenden                                                      Redaktion
                                                                                                    Akad. Dir. Jörg Dittmer (verantwortlich)
                                                                                                      und Team: stud. theol. Daniel Haardt
     Stiftung – Ehemalige – Alumni/ae-Arbeit                                                         Studierendenpfarrer Janning Hoenen
                                                                                                                 stud. theol. Annika Kringel
                                                                                                          Prof. Dr. Gury Schneider-Ludorff
72   Stefan Seiler: Wer sind und was machen eigentlich die »Freundinnen und                              stud. theol. Susanne Weißenstein
     Freunde der Augustana-Hochschule«?                                                                           Korrektur: Andrea Töcker
                                                                                                               Fotos: Augustana-Bildarchiv
74   Richard Riess: Perspektiven der Akzeptanz                                                                   Auflage: 2.500 Exemplare
77   Helmut Utzschneider: Ein Semester in Chicago                                                 Redaktionsschluss: 15. September 2016

                                                                                                                                    Satz
     Im Laufe des Jahres                                                                                        Susanne Böhm, Regensburg
                                                                                                                   susanneboehm@web.de
81   Janning Hoenen: Rückblick auf weitere wichtige Ereignisse 2015/16                                                                   Druck
88   Janning Hoenen: Personalia                                                                                        Onlineprinters GmbH
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90   Ankündigungen und Termine                                                                                         www.diedruckerei.de
91   Zum guten Schluss: Alle in Luther                                                     Papier: Bilderdruckpapier, FSC-zertifiziert, holzfrei
Augustana-Journal - Augustana-Hochschule
Liebe Leserinnen und Leser,

das Augustana-Journal hat seine Feuerprobe          Walz den Lehrstuhl für Interkulturelle Theolo-
bestanden, und wir freuen uns über die freund-      gie, Missions- und Religionswissenschaft an der
liche Aufnahme, die es bei vielen gefunden          Augustana-Hochschule übernommen und mit
hat. Die zweite Ausgabe trägt den neuen Titel       ihrer freundlichen Ausstrahlung und fachlichen
»Augustana-Journal 2016/17«. Dies ist nicht         Kompetenz und Leidenschaft die Hochschule
dahin misszuverstehen, dass es sich um eine         im Sturm erobert. Im Juni konnten wir unter
Doppelausgabe handelt, sondern trägt dem            Beteiligung führender Repräsentanten aus Kir-
Umstand Rechnung, dass das Augustana-Jour-          che und Synagoge die Eröffnung des »Instituts
nal regelmäßig am Anfang des Wintersemesters        für christlich-jüdische Studien und Begegnun-
erscheint, in diesem Jahr also zu Beginn des        gen« feiern, dessen Gründung maßgeblich auf
akademischen Jahres 2016/17. Das Heft ist also      die Initiative von Prof. (em.) Dr. Helmut Utz-
nicht bereits wenige Wochen nach seinem Er-         schneider zurückgeht. Schließlich wurde im
scheinen ›veraltet‹, wie der frühere Titel leicht   Sommer der langjährige Um- und Neubau der
suggerieren konnte.                                 Bibliothek unserer Hochschule abgeschlossen,
                                                    der am 18. November mit einem Festakt einge-
Aus dem Leben der Hochschule im vergange-           weiht wird. Damit verfügt die Augustana-Hoch-
nen Jahr 2015/16 gäbe es viel zu berichten. Ich     schule über eine moderne Bibliothek, die den
möchte hier nur dreierlei kurz erwähnen: Seit       künftigen Anforderungen seitens ihrer Nutzer
dem Sommersemester 2016 hat Prof. Dr. Heike         gerecht werden kann.

                                                    Eine besondere akademische Ehre ist uns die
                                                    Verleihung der Ehrendoktorwürde an den re-
                                                    nommierten Theologen und Schriftsteller
                                                    Christian Lehnert, die im Rahmen des diesjäh-
                                                    rigen Augustana-Tages feierlich begangen wird.

                                                    Dies und vieles mehr können Sie auf den nächs-
                                                    ten Seiten nachlesen und entdecken. Viel Spaß
                                                    bei der Lektüre und herzliche Einladung, eine
                                                    der vielen Gelegenheiten zu ergreifen und ein-
                                                    mal bei uns auf dem Campus vorbeizuschauen.

                                                                   Ihr Prof. Dr. Michael Pietsch, Rektor

                                                    Prof. Dr. Michael Pietsch
                                                    Foto: Augustana-Bildarchiv

                                                                                   2. Jahrgang   2016/17   3
Augustana-Journal - Augustana-Hochschule
Neuer Alttestamentler und
    neuer Rektor
    Ein Interview mit Prof. Dr. Michael Pietsch

     Von Janning Hoenen

    Janning Hoenen: Wie geht es Ihnen an der              und Hegel. Damals habe ich jedoch kaum etwas
    Augustana?                                            von dem Gegenstand verstanden und auch wenig
    Prof. Dr. Michael Pietsch: Mir geht es recht          Lust verspürt, mich vertieft damit zu beschäfti-
    gut, danke. Die Zusammenarbeit mit den Kol-           gen. Das hat sich dann im Laufe der Zeit deut-
    leginnen und Kollegen ist sehr anregend und           lich gewandelt. Auf diese Weise bin ich in die
    angenehm. Die Arbeit mit den Studierenden             Schleiermacher-Forschung hineingeraten. Paral-
    macht mir ohnehin sehr viel Spaß, auch wenn           lel dazu konnte ich meine Promotion abschlie-
    das vielleicht nicht immer auf Gegenseitigkeit        ßen. Prof. Dr. Günter Meckenstock, der damali-
    beruht und die Studierenden dann doch etwas           ge Leiter der Forschungsstelle, ist mir zu einem
    unter meinen Eigenarten zu leiden haben. Wir          zweiten Mentor geworden und hat mir immer
    wohnen in einem schönen Haus, ich bin schnell         wieder Zuflucht geboten, z.B. nachdem meine
    in der Bibliothek oder in den Seminarräumen           Hamburger Assistentur ausgelaufen war oder in
    und man hat sehr wenig Zeitverlust durch lange        Zeiten der Arbeitslosigkeit nach der Habilitation.
    Wege. Das war an meinen bisherigen Wirkungs-
    stätten anders, da bin ich teilweise anderthalb       Der zweite Ort, der hier zu nennen wäre, ist
    Stunden gefahren, um an der Hochschule zu             meine Geburtsstadt Hamburg. Dort bin ich pro-
    sein. Was das Private betrifft, ist es nach wie vor   moviert worden und dort habe ich mich später
    ein Ankommen, ein Prozess, der von einer gro-         habilitiert. In Hamburg war ich viele Jahre als
    ßen Entschleunigung bestimmt ist. Wenn man            Hochschulassistent tätig. In dieser Zeit habe ich
    aus Hamburg hier aufs fränkische Dorf kommt,          sehr von der leider seltenen kritisch-konstrukti-
    dann ist das wie eine Vollbremsung – zumindest        ven und freundschaftlich-liberalen Atmosphäre
    was den Lebensrhythmus betrifft.                      am Institut für Altes Testament profitiert. Das
                                                          Miteinander der verschiedenen philologischen,
    Bitte skizzieren Sie kurz Ihren Werdegang!            historischen, religionsgeschichtlichen und theo-
    Es sind vor allem zwei Orte, an die ich in der        logisch-hermeneutischen Fragestellungen und
    Vergangenheit immer wieder zurückgekommen             Kompetenzen hat mein eigenes Arbeiten und
    bin. Der eine ist Kiel – dort habe ich mein Stu-      Denken stark geprägt. In den gemeinsamen Dis-
    dium abgeschlossen, bekam meine erste wissen-         kussionen konnte jeder sagen und denken, was
    schaftliche Mitarbeiterstelle, zunächst im Alten      er wollte, man konnte viel probieren und auch
    Testament, später dann, nach dem Vikariat, an         manche Sackgassen beschreiten, ohne dass
    der Schleiermacher-Forschungsstelle, an der ich       man das Gefühl hatte, man würde beargwöhnt
    mehrmals akademisches »Asyl« gefunden habe.           oder belächelt. Ich versuche, diese Gesprächs-
    Ich hatte im Studium nur wenig Berührung mit          atmosphäre in meinen eigenen Lehrveranstal-
    Schleiermacher, abgesehen von einem Seminar           tungen und in der gemeinsamen Arbeit mit dem
    über den Religionsbegriff bei Schleiermacher          akademischen Nachwuchs weiterzuführen.

4                       JOURNAL
Augustana-Journal - Augustana-Hochschule
Wo liegen Ihre Schwerpunkte im Rahmen der           dabei in einer ganz unprätentiösen Sprache da-
Alttestamentlichen Theologie?                       her. Ein etwas älteres, aber sehr lesenswertes
Mir ist methodisch die genaue philologische         Buch sind die Konfliktgespräche mit Gott, eine
Analyse des sprachlichen Profils der biblischen     Anthropologie der Psalmen von Bernd Janows-
Texte sehr wichtig. Ein weiterer Schwerpunkt        ki. Aber noch einmal: Lesen, lesen, lesen – und
liegt auf der Einbettung des alten Israel in die    zwar das, was einen wirklich interessiert.
Religion und die Kultur des Vorderen Orients.
Das sind zwei Aspekte zum Verstehen der bib-        Da war noch was mit Schleiermacher …
lischen Texte und der israelitischen Religion,      Wir sind gerade dabei, einen Antrag für ein
die mir von meinem Doktorvater, Prof. Dr. Ste-      neues Forschungsprojekt vorzubereiten, das
fan Timm, gewissermaßen in die akademische          sich der hermeneutischen Praxis Schleierma-
Wiege gelegt worden sind. Die historisch-philo-     chers widmen soll, und zwar unter zwei Haupt-
logische Arbeit an den Texten verbindet sich        gesichtspunkten: zum einen Schleiermachers
dabei für mich mit einem hermeneutisch-theo-        Platoninterpretation und zum andern seine
logischen Interesse. Daher liegt mir auch das       exegetischen Vorlesungen, die bislang nahezu
interdisziplinäre Gespräch sehr am Herzen.          unbekannt sind. Damit würden neue interdis-
Das theologische Verstehen des Alten Testa-         ziplinäre Zugänge zum Werk Schleiermachers
ments vollzieht sich m.E. nur im Gespräch mit       eröffnet, die für die künftige Forschung weg-
den übrigen Disziplinen der wissenschaftlichen      weisende Impulse geben können. Wenn die-
Theologie und den Kulturwissenschaften. Aus         ses Projekt realisiert werden könnte, wäre dies
diesem Grund beteilige ich mich gerne an den        auch für unsere Hochschule eine Stärkung und
interdisziplinären Modulen, die an der Augus-       Erweiterung ihres wissenschaftlichen Profils.
tana ein fester Bestandteil des studentischen
Curriculums sind.                                   Was macht das Besondere einer kirchlichen          Prof. Dr. Michael Pietsch
                                                                                                       im Gespräch auf dem
                                                    Hochschule aus?
                                                                                                       »grünen Sofa« des
In der Forschung habe ich einen Schwerpunkt         Eine Kirchliche Hochschule ist keine Univer-       Studierendenpfarramtes
im Bereich des Pentateuch und der Vorderen          sität. Das hat gewiss Nachteile, vor allem hin-    Foto: Augustana-Bildarchiv

Propheten, besonders der Samuel- und Könige-
bücher, und damit verbunden in der Geschich-
te Israels. Eine reizvolle Aufgabe wäre es, eine
Kulturgeschichte des alten Israel zu schreiben –
aber das lässt sich nur in enger Zusammenarbeit
mit Fachkolleginnen und Fachkollegen aus
den Kulturwissenschaften realisieren. Vielleicht
kann daraus einmal ein drittmittelgefördertes,
interdisziplinäres Forschungsprojekt werden.

Bis dieses Buch geschrieben ist – was wäre das
Buch, das jede/r Theologiestudierende im Alten
Testament ausführlich gelesen haben sollte?
Das eine Buch gibt es nicht. Ich freue mich,
wenn unsere Studierenden Veröffentlichungen
aus dem Bereich der alttestamentlichen Wissen-
schaft lesen und gründlich durcharbeiten. Unter
den jüngeren Publikationen im Fach würde ich
die Theologie des Alten Testaments von Jörg Je-
remias herausheben wollen. Dieses Werk bietet
den Ertrag einer jahrzehntelangen, intensiven Be-
schäftigung mit den Texten des Alten Testaments
und zeichnet sich durch ein besonnenes Urteil
und theologische Leidenschaft aus – und kommt

                                                                               2. Jahrgang   2016/17   5
Augustana-Journal - Augustana-Hochschule
sichtlich der eingeschränkten Interdisziplina-      sicht repräsentieren und ihre Interessen ver-
                      rität. Dies nötigt einen umgekehrt dazu, sich       treten. Dabei ist mir wichtig, Entscheidungs-
                      eigene, kreative Gesprächsorte zu schaffen, für     prozesse transparent zu machen und ein Klima
                      die unsere Hochschule aber hervorragende Be-        der Wertschätzung und der Achtsamkeit gegen-
                      dingungen bietet.                                   über allen Mitgliedern und Mitarbeitenden der
                                                                          Hochschule herzustellen. Ob dies gelingt, wer-
                      Die Besonderheit einer Kirchlichen Hoch-            den wir in zwei Jahren wissen.
                      schule besteht aber ganz sicher in ihrer Nähe
                      zur kirchlichen Praxis, nicht nur institutionell,   Etwas Sorge macht mir der Umstand, dass ich
                      sondern auch im engen Kontakt mit Kirchen-          erst seit zwei Jahren hier bin und mir manche
                      gemeinden und Dekanaten in der Region. Von          Strukturen und Kommunikationswege in der
                      daher besteht die Herausforderung, noch näher       ELKB noch nicht in der gleichen Weise vertraut
                      am Puls der Praxis zu arbeiten – ohne dass dies     sind wie manchen meiner Kolleginnen und Kol-
                      bedeuten würde, dass die Standards und die          legen. Insofern werde ich erst einmal viel fra-
                      Qualität der wissenschaftlichen Arbeit dadurch      gen und genau zuhören müssen. Aber ich sehe
                      gemindert würden.                                   dem gelassen entgegen, weil wir mit Frau Wolf
                                                                          im Sekretariat, Frau Helmreich als Verwal-
                      Als ich den Ruf an die Augustana erhielt, gab       tungsleiterin und den vielen anderen Mitarbei-
                      es einige Stimmen, die mich vor einer mögli-        tenden ein kompetentes und gut eingespieltes
                      chen institutionellen und konfessionellen Enge      Team haben.
                      gewarnt haben, aber ich habe hier bislang stets
                      eine liberale Geisteshaltung und viel Wertschät-    Wenn Sie drei Wünsche frei hätten für die
                      zung gespürt, gepaart mit einer großen Leiden-      nächsten zwei Jahre, was wären diese?
                      schaft für den Protestantismus und die Kirche.      Mein Wunsch für die Augustana wäre, dass wir
                                                                          die anstehenden Herausforderungen gut bewäl-
                      Wo liegen die Herausforderungen für die Augus-      tigen und die Stellung der Hochschule in Kir-
                      tana-Hochschule in den nächsten Jahren?             che und Wissenschaft weiter stärken können,
                      Eine Herausforderung liegt sicherlich darin, das    dass die hohe Qualität der wissenschaftlichen
                      bestehende Profil der Hochschule zukunfts-          Arbeit, die hier geleistet wird, anerkannt und
                      fähig weiterzuentwickeln. Das betrifft sowohl       gewürdigt wird und die Studierenden die Au-
                      die personelle Ausstattung als auch die kon-        gustana als einen Ort entdecken, an dem man
                      zeptionelle Ausrichtung der Hochschule mit          auf höchstem Niveau Evangelische Theologie
                      ihrem breit gefächerten Lehrangebot und ihrer       studieren und gut leben kann, trotz oder gerade
                      wissenschaftlichen Profilbildung. Diese weiter      wegen ihrer besonderen Strukturen.
                      zu schärfen und nach außen zu kommunizie-
                      ren, wird eine wichtige Aufgabe für die Zu-         Persönlich wünsche ich mir, dass ich trotz der
                      kunft sein.                                         vielfältigen Aufgaben des Rektorats hin und
                                                                          wieder ein wenig Zeit für die Lektüre des einen
                      Eine weitere Aufgabe, die sich stellt, wird sein,   oder anderen Buches finden werde. Da darf
                      die gegenwärtigen strukturellen und theologi-       man zwar nicht zu viel erwarten, aber wünschen
                      schen Debatten innerhalb der ELKB konstruk-         darf man es sich schon.
                      tiv und kritisch zu begleiten und das gemeinsa-
                      me Gespräch durch abgewogene und profilierte        Schließlich wünsche ich mir, dass das gute
                      Stellungnahmen zu fördern.                          kollegiale und freundschaftliche Miteinander,
                                                                          das ich hier an der Hochschule kennengelernt
                      Worin sehen Sie Hauptaufgaben des Rektors?          habe, sich weiter so gestaltet und wir zwei kon-
                      Knapp gesagt: Ein guter Rektor ist ein guter        struktive, ermutigende und in jeder Hinsicht ge-
                      Moderator – in dieser Weise würde ich das Amt       segnete Jahre miteinander verbringen werden.
                      interpretieren wollen: Prozesse moderieren, die
       KONTAKT
janning.hoenen@       Hochschule in den verschiedenen kirchlichen         Vielen herzlichen Dank!
   augustana.de       und akademischen Arbeitsbereichen mit Um-

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Augustana-Journal - Augustana-Hochschule
Systematische Theologie
und Ästhetik
 Von Friedemann Barniske

Die Ausdifferenzierung der Theologie in einzelne Disziplinen und Fächer-
kulturen bildet den Ausgangpunkt für eine Reflexion auf die Systematische
Theologie. Deren mittlerweile klassische Struktur in ihrer Doppelgestalt als
Dogmatik und Ethik kommt im Rahmen einer Besinnung auf die Aufgabe des
Faches wiederum aufs Tableau, um im Geflecht von Einheit und Mannigfal-
tigkeit des Christlichen die Frage einer theologischen Ästhetik zu erörtern.

D     ie evangelische Theologie ist eine dynami-
      sche Disziplin. Das zeigt sich nicht nur in
der stetigen Aufnahme von Impulsen aus ande-
                                                    die das neuzeitliche Christentum an eine ange-
                                                    messene Reflexionsgestalt seiner selbst stellte,
                                                    gerecht zu werden vermochte.
ren wissenschaftlichen Bereichen wie Soziolo-
gie und Psychologie, etwa in der Praktischen        In der Konsequenz präsentiert sich die Systema-
Theologie. Auch die Differenzierung der Theo-       tische Theologie an theologischen Hochschu-
logie selbst in eine Vielzahl von Teildisziplinen   len und Fakultäten gegenwärtig in der Regel in
lässt die innere Lebendigkeit des Faches erken-     der Doppelgestalt von Lehrstühlen für Dogma-
nen. Neue Fragestellungen führen zu weiterer        tik – gelegentlich weiter spezifiziert hinsichtlich
Spezialisierung, die sich schließlich auch ins-     Religionsphilosophie, Fundamentaltheologie
titutionell in der Gestaltung von theologischen     oder Neuere Theologiegeschichte – und Ethik.
Hochschulen und Fakultäten niederschlägt.
                                                    Die Dogmatik als vernünftige Explikation der
Für die Systematische Theologie gilt diese Dy-      christlichen Symbole wie Schöpfung oder Erlö-
namik der Ausdifferenzierung in gleicher Weise      sung und Vollendung widmet sich in erster Linie
wie für die anderen Fächer der kleinen univer-      der begrifflichen Erschließung des Christentums
sitas namens Theologie. Erschöpfte sich das Po-     als religiöser Selbstdeutung des Menschen im
tenzial systematischer Explikation des Christ-      Lichte der Idee des Unbedingten. Der Mensch
lichen zunächst vornehmlich in der lehrhaften       versteht sich selbst als Geschöpf vor Gott und
Formulierung des christlichen Symbolbestan-         gestaltet dieses coram Deo (Martin Luther) in
des in Gestalt von dogmatischen Begriffen, so       symbolischer Rede von dem Verhältnis zu sei-
trat im Zuge jenes Unterscheidens innerhalb         nem göttlichen Grund, an dem er zugleich sei-
eines vormals fixen Problemkreises eine weitere     ne Grenze weiß. Der ganze Reichtum dieser
Spielart systematischer Reflexion hinzu. Neben      sinnbildlichen Ausdruckskultur des christlichen
der vernünftigen oder doch zumindest verstan-       Glaubens ist Gegenstand der Dogmatik, inso-
desmäßigen Entfaltung der Gehalte christlicher      fern sie sich als Reflexion auf die gelebte evan-
Religiosität drängte die Frage der christlichen     gelische Frömmigkeit bezieht. Dass die Grenzen
Lebensführung in den Blickpunkt der Betrach-        zwischen Systematischer und Praktischer Theo-
tung. Die Systematische Theologie differenzier-     logie sich an dieser Stelle mitunter durchaus als
te sich in Dogmatik und Ethik aus, da sie nur in    fließend darstellen, liegt eben in der Gemein-
diesem doppelten Modus den Anforderungen,           samkeit des Bezugs auf die ›gelebte Religion‹ –

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Augustana-Journal - Augustana-Hochschule
Caspar David Friedrich,
  Der Mönch am Meer
         (1808–1810)
           Foto: gemeinfrei

                              ein Terminus, den die Dogmatik zu Recht von       der Eigenrecht beschneidet? All dies sind Fra-
                              ihrer Nachbardisziplin übernommen hat.            gen der Reflexion auf ein christliches Ethos, die
                                                                                u.a. den wesentlichen Inhalt der theologischen
                              Die theologische Ethik thematisiert in komple-    Ethik ausmachen. – Dogmatik und Ethik bilden
                              mentärer Weise die Fragen der Lebensführung       demnach die zwei Säulen der Systematischen
                              im Kontext des Christentums. Dabei konzen-        Theologie als Produkt von deren Binnendiffe-
                              triert sich die gegenwärtige Forschung im Rah-    renzierung in der Neuzeit.
                              men der Sozialethik vielfach auf die Grenz-
                              bereiche des Lebens. Aus dieser Gemengelage       Jedoch erschöpfen sich die vernünftige Refle-
                              ergeben sich notwendig Berührungspunkte mit       xion und die Erschließung lebensweltlicher
                              der Soziologie, Medizin und den Naturwissen-      Phänomene niemals nur in der Struktur einer
                              schaften sowie den Rechtswissenschaften.          fortschreitenden Ausdifferenzierung. Die Man-
                              Wie lässt sich etwa mit medizinischen Errun-      nigfaltigkeit der Perspektiven aufzuzählen, ohne
                              genschaften vor dem Hintergrund christlicher      deren Einheitsaspekt irgendwie Rechnung zu
                              Deutungsmuster und Überzeugungen umge-            tragen, macht – nicht nur metaphorisch gespro-
                              hen, ohne der Beschränkung von individuellen      chen – keinen Sinn. Gerade die christliche Reli-
                              Freiheitsrechten im Namen eines vermeintlich      gion und das Christentum als kulturelle Gestalt
                              wertebasierten Kulturpessimismus das Wort zu      der Lebensführung lassen sich keineswegs an-
                              reden? In welcher Weise ist das Verhältnis von    gemessen beschreiben, wenn man lediglich die
                              Christentum und Gesellschaft sinnvoll zu be-      Vielzahl der religiösen Vorstellungen und Hand-
                              stimmen, ohne Theologie bzw. Kirche und Poli-     lungsmotivationen inventarisieren wollte. Im
                              tik in eine Asymmetrie zu manövrieren, die bei-   Konzert dieses polyphonen Orchesters den As-

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Augustana-Journal - Augustana-Hochschule
in der dogmatischen Lehrtradition oder der pro-
                                                  testantischen Ethik traktiert wurden.

                                                  Dieser Zugriff wird möglich durch die Beleuch-
                                                  tung der christlichen Religion und ihrer kul-
                                                  turellen Formen im Hinblick auf ihre ästheti-
                                                  schen Anmutungsqualitäten. Nicht die Strenge
                                                  eines Letztbegründungsganges nach Art der
                                                  Gottesbeweise oder der Erweis des kategori-
                                                  schen Ranges von Handlungsmaximen steht
                                                  nunmehr im Zentrum der systematischen Erör-
                                                  terungen. Stattdessen gibt das Programm einer
                                                  theologischen Ästhetik den Blick frei für eine
                                                  Reflexionsgestalt des Christentums, die dessen
                                                  Wesen und Wirkung in neuer Weise zu erhe-
                                                  ben vermag. Die theologische Ästhetik schickt
                                                  sich an, die Bedeutung des Christlichen für
                                                  die Interdependenz von Kunst und Religion in
                                                  der Moderne zu würdigen. Dabei wird vor dem
                                                  Hintergrund klassischer Entwürfe – zu nennen
                                                  sind etwa Kant, Herder, Wackenroder, DeWette
                                                  und Hegel – keiner Auflösung des Religiösen in
                                                  die Kunstreligion als solche das Wort geredet.
                                                  Ebenso wenig sollen die religiösen und ethi-
                                                  schen Vorstellungsgehalte des Christentums
                                                  ihrer Ausdrucksqualität für das fromme Subjekt
                                                  verlustig gehen. Vielmehr stellt eine ästhetische
                                                  Betrachtung des Christentums dessen Symbole
                                                  und Formensprache im Lichte ihrer sinnlichen
pekt einer Einheit des Christlichen – ein Wesen   wie bewusstseinstheoretischen Eigenschaften
des Christentums – namhaft zu machen, stellt      dar. Das Überlehrmäßige an der gelebten Reli-
wohl die ebenso komplexe wie reizvolle Aufgabe    gion wird der methodischen Analyse unter-
der Systematischen Theologie überhaupt dar.       zogen, nicht eine tradierte Lehre wiederum
                                                  umgeschmolzen in vermeintlich aktualisierte
Die Zurückführung der Mannigfaltigkeit auf        Lehrformen. Dabei bedient sich die systemati-
Einheit ist demnach nicht nur die klassische      sche Erschließung des Christlichen durch eine
Aufgabe philosophischer und religiöser Letzt-     theologische Ästhetik durchaus der Erkenntnis-
begründung, sondern macht zudem die Sig-          se der Philosophie der Kunst, als welche die Äs-
natur vernünftiger Reflexion als solcher aus.     thetik im 18. Jahrhundert Eingang in die Uni-
Den Einheitsaspekt des Christlichen ebenfalls     versitäten gefunden hat. Das Schöne und das
im methodischen Gefüge der Systematischen         Erhabene werden im Kontext einer Reflexion
Theologie zum Klingen zu bringen, schickt sich    religiöser Vorstellungen, Rituale sowie christli-
in bescheidenem Umfang eine dritte Variante       cher Architektur und Kunst fruchtbar gemacht.
derselben an. Dieses dritte Genus neben klas-
sischer Dogmatik und theologischer Ethik lässt    Die kultische Feier des evangelischen Gottes-
sich nicht so ohne weiteres in die überkommene    dienstes im Kirchenraum oder der freien Natur
Doppelstruktur und ihre Nomenklatur aufrech-      kommt ebenso auf fundierter Basis in den Blick
nen. Denn die in Rede stehende Variante der       wie Phänomene, die von der klassischen Lehr-
systematischen Reflexion des Christlichen und     bildung der Dogmatik und Ethik möglicherweise
seiner Symbolbestände vermag auf Themen und       nicht erfasst werden. Die religiöse Deutung des
Inhalte zurückzugreifen, die eben ursprünglich    Naturerlebens etwa erschließt sich der theoreti-

                                                                              2. Jahrgang   2016/17   9
Augustana-Journal - Augustana-Hochschule
schen Beschreibung oder die Andacht des Kon-       werden. Die Verknüpfung von klassischer Poeto-
                        zertbesuchers, welche sich dem Subjekt auf der     logie und theologischer Ästhetik im Sinne einer
                        Grenze zwischen Kunstgenuss und christlicher       Hermeneutik des frommen Bewusstseins erwei-
                        Frömmigkeit wie selbstverständlich einstellt,      tert maßgeblich das Spektrum der Phänomene,
                        ohne dass dem eine kirchliche Dogmatik ohne        die von der Systematischen Theologie im Kon-
                        ästhetische Begriffe Rechnung tragen könnte.       text des Christentums expliziert werden können.
                        Der religionstheoretische Mehrwert dieser Be-
                        trachtungsweise ist kaum zu übersehen. Denn        An die Stelle dogmatischer Abqualifizierung
                        die Reichweite dessen, was unter dem Signum        des weihnachtlichen Strandgängers als kirchen-
                        Religion zu versammeln ist, dürfte wesentlich      fernem Individualisten tritt die Ergänzung der
                        größer zu veranschlagen sein als das Profil der    Erscheinungsformen des Christlichen um eine
                        konfessionellen Christentümer auf den ersten       wertvolle und würdige Variante. Der praktische
                        dogmatisch-ethischen Blick zu erkennen gibt.       Nutzen dieser ästhetischen Sensibilisierung der
                        Dass sich manches fromme Bewusstsein, wel-         Theologie dürfte zweifelsohne in jener Hori-
                        ches sich selbst unumwunden als christlich         zonterweiterung mit Blick auf die Phänomene
                        qualifiziert, zu den hohen Feiertagen wie Weih-    gelebter Religion bestehen, die sich nicht in
                        nachten oder Ostern lieber an die See begibt als   ihren institutionalisierten Formen in Kirche
                        in die Kirche, um in der Wahrnehmung des wei-      und Schule erschöpft.
                        ten Horizonts seiner Geschöpflichkeit vor Gott
                        inne zu werden, wird von einer theologischen       Auf die Gebiete der Dogmatik und Ethik glei-
                        Ästhetik mit dem Gefühl der Erhabenheit einer      chermaßen bezieht sich diese ästhetische Theo-
                        systematischen Analyse zugeführt werden kön-       logie nun, indem sie einerseits im Modus der
                        nen. Auch die religiöse Dimension künstleri-       Symboltheorie dogmatische Loci wie Schrift-
                        scher Werke, die dieses erhabene Gefühl zum        lehre, Gottesbegriff oder Pneumatologie in ein
                        Ausdruck bringen, wird zum Gegenstand der          neues Licht rückt. Andererseits wird mit einer
                        theologischen Reflexion. Zu nennen ist etwa        Kulturhermeneutik des Christlichen dem alten
                        Caspar David Friedrichs Gemälde »Der Mönch         Begriff von Ethik bzw. ›christlicher Sitte‹ neues
                        am Meer« (1808–1810), welches in geradezu          Leben eingehaucht, insofern neben den Grenz-
                        klassischer Manier die innere Andacht eines        fällen der Sozialethik wieder die basalen For-
                        Menschen darstellt, der sich vor der Weite des     men des Christentums in Kunst und Kultur ihre
                        Meeres seiner schwindenden Größe im Ange-          Berücksichtigung in der Systematischen Theo-
                        sicht der Schöpfung bewusst wird.                  logie finden. Dabei kann die theologische Äs-
                                                                           thetik an entsprechende Überlegungen zu einer
                        Mit der Kategorie des Erhabenen wird wesent-       ›Theologie der Kultur‹ (Paul Tillich) anknüpfen.
                        lich die »Darstellung des Nichtdarstellbaren« –
                        so Lyotard im Anschluss an Kant – thematisiert.    In jedem Falle wird sich die Systematische
                        Dass sich dieser ästhetische Topos in ausge-       Theologie als eine Disziplin innerhalb der
                        zeichneter Weise anhand der hebräischen Poe-       evangelischen Theologie nicht mit der Bin-
                        sie des Alten Testaments aufzeigen lässt, haben    nendifferenzierung in Dogmatik und Ethik
                        Denker von Longin bis Hegel immer wieder           bescheiden können, will sie ihrer eigentlichen
                        nachdrücklich zu betonen gewusst. So artiku-       Aufgabe nachkommen. Letztere dürfte in einer
                        lieren die Psalmen exemplarisch das Empfin-        begrifflichen Erschließung der Mannigfaltigkeit
                        den der Unangemessenheit von menschlichem          christlicher Frömmigkeit und Lebensführung
                        Ausdruck und unbedingtem Gehalt, der in            bestehen, die deren Einheitsaspekt dennoch
                        poetische Sprache gefasst werden soll: »Denn       zur Geltung zu bringen vermag. Dass der ästhe-
                        tausend Jahre sind vor Dir wie der Tag, der ges-   tische Blickwinkel auf Religion und Christen-
                        tern vergangen ist« (Ps 90,4). Die Expressivität   tum dabei eine maßgebliche Rolle spielen kann,
                        dieses Bibelworts speist sich wie so oft aus dem   wird schwer zu leugnen sein – auch wenn die
                        Bewusstsein der Unzulänglichkeit des from-         ästhetische Theologie sich, abgesehen von ein-
           KONTAKT
friedemann.barniske@    men Beters, der Erhabenheit des Schöpfers mit      zelnen Fachvertretern in Dogmatik und Ethik,
        augustana.de    seinen Worten auch nur annähernd gerecht zu        noch nicht institutionell dingfest machen lässt.

                   10                      JOURNAL
Rund um die Welt
und nach Neuendettelsau
Die neue Professorin für Interkulturelle Theologie stellt sich vor

 Von Heike Walz

Seit dem Sommersemester 2016 bin ich Inhaberin des Lehrstuhls für Interkulturelle
Theologie, Missions- und Religionswissenschaft. Zum ersten Mal in Deutschland
wurde ein solcher Lehrstuhl mit einer Frau besetzt.

Ich freue mich darauf, die Zukunft der Augustana-Hochschule in Lehre und For-
schung mitzugestalten, nun auch als Prorektorin. Begeisterung zu wecken für die
Vielfalt der Menschen, Kulturen und Religionen weltweit und dadurch zu einem
friedlicheren und gerechteren Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher
Herkunft und Prägung beizutragen, ist mein Ziel. Dass fremde Denkweisen und
Theorien eine Bereicherung und Herausforderung zugleich darstellen und hiesige
theologische Denkwege verändern können, ist eine für mich zentrale Einsicht.

Ich bin in Stuttgart geboren und habe in Heidelberg, Montpellier und Tübingen
Evangelische Theologie und Diakoniewissenschaften studiert. Einige Stationen aus
meinem wissenschaftlichen Werdegang in der Schweiz, Afrika, Lateinamerika und
Deutschland illustrieren, was mir wichtig ist für die Interkulturelle Theologie, denn                           Prof. Dr. Heike Walz
Theologie ist immer biographisch geprägt.                                                                      Foto: Anna-Sophia Sackwitz

Theologiestudium
Ich gehöre zu der Generation, die in den            Ein Auslandsstudienjahr ist das Beste, was ich
1980er- und 1990er-Jahren dem Leitmotiv folg-       allen Studierenden empfehlen kann: Man sieht
te, durch kritische Reflexion die eigene Theolo-    die Theologie, die Religionen und den Alltag der
gie zu entwickeln. Von den eigenen Interessen       Menschen mit anderen Augen. Als Stipendiatin
her Schwerpunkte setzen und zum Ganzen vor-         der Heidelberger Fakultät studierte ich ein Jahr
zustoßen – das war das Ziel.                        an der Faculté de Théologie Protestante in Mont-
                                                    pellier. Die spannende Widerstandsgeschichte
Schon früh interessierten mich Probleme der         der Hugenotten verdichtet sich im Stichwort
Weltgerechtigkeit. Meine Vorliebe für Fremd-        résister, eingraviert auf dem Boden im Musée du
sprachen – Englisch, Französisch, Russisch          Désert in Mialet. Südfrankreich war für mich
und Spanisch – wurde zu einer Brücke für in-        auch ein Tor zu Afrika, zur Missionstheologie
terkulturelle Begegnungen. Als Au-Pair-Mäd-         und zur afrikanischen Theologie. Im Chor der
chen in Frankreich machte ich mit siebzehn bei      Studierenden aus den frankophonen Ländern
einer jüdischen Familie aus Tunesien erste Er-      Afrikas sangen wir ohne Noten und schriftliche
fahrungen allein in der Fremde, dann in einem       Liedtexte in afrikanischen Sprachen im Gottes-
                                                                                                          KONTAKT
internationalen Workshop des Christlichen           dienst und in Konzerten; so habe ich Spiritua-        heike.walz@
Friedensdienstes in Frankreich.                     lität erlebt.                                         augustana.de

                                                                                 2. Jahrgang   2016/17   11
I.U. ISEDET, Buenos Aires       Inkulturation des Christentums                      Veränderungsprozesse im außereuropäischen
 2007: Studierende und 2. v.l.      In der Evangelischen Kirche der Pfalz, in der ich   Weltchristentum. Besonders spannend sind die
Prof. em. José Miguez Bonino
                     Foto: privat
                                    Vikarin und Gemeindepfarrerin war, wird Öku-        Charismatisierung und die Pfingstbewegungen,
                                    mene groß geschrieben. Rev. Rose Akua Ampo-         das sog. »bewegte Christentum«.
                                    fo, Direktorin des Presbyterian Women’ s Centre
                                    der Presbyterianischen Kirche in Ghana, holte       Systematische Theologie und
                                    mich 1997 als junge Pfarrerin nach Abokobi,         Befreiungstheologie in Argentinien
                                    eine der ältesten Gründungen (1854) der Bas-        Interkulturelle Theologie verstehe ich als Re-
                                    ler Mission. Im Tagungszentrum assistierte ich      flexion »zwischen den Welten«. In Argentinien
                                    Rose Akua bei Workshops (zu Fragen der Ge-          wird solch ein Zustand ni chicha ni limonada
                                    sundheit, Subsistenzwirtschaft, des Erbrechts,      genannt, »weder Maisbier noch Limonade«.
                                    der Entwicklung von Kindern und Liturgik) und       Das »inter« der Interkulturellen Theologie be-
                                    leitete Bibelarbeiten und Gottesdienste.            wegt sich zwischen den theologischen Heraus-
                                                                                        forderungen und der Kritik aus dem globalen
                                    »Kontextuelle Theologie« und »Inkulturation         Süden und der hiesigen Theologie hin und her.
                                    des Christentums« wurden zu gelebter Theolo-        Dieses Verständnis verdanke ich meiner Zeit an
                                    gie. Witwen müssen sich in Ghana traditionel-       der Ökumenischen Hochschule I.U. ISEDET
                                    len Witwenritualen unterziehen. Pfarrerinnen        (Instituto Superior Evangélico de Estudios Teoló-
                                    baten mich deshalb, eine christliche Witwen-        gicos) in Buenos Aires (2005–2009). Das I.U.
                                    liturgie zu entwerfen. Die positive Kraft eines     ISEDET berief mich auf eine Außerordent-
                                    rite de passage wollten sie beibehalten, aber       liche Professur für Systematische Theologie;
                                    nicht die verletzenden menschenunwürdigen           als Ökumenische Mitarbeiterin stand ich im
                                    Elemente. Eine weiterentwickelte Form der           Dienst des Evangelischen Missionswerks Basel
                                    Witwenliturgie wird meines Wissens bis in die       (Mission 21). Besonders berührte mich, dass
                                    Gegenwart gefeiert.                                 der bekannte Ökumeniker Prof. José Miguez
                                                                                        Bonino (1924–2012) aus der Methodistischen
                                    Studien zum Weltchristentum                         Kirche Argentiniens meine Lehrveranstaltun-
                                    Als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehr-        gen als Zeitzeuge bereicherte.
                                    stuhl für Mission, Ökumene und interkulturelle
                                    Gegenwartsfragen von Prof. Dr. em. Christine        Am I.U. ISEDET lehrte ich in einer ökumeni-
                                    Lienemann-Perrin an der Theologischen Fakul-        schen Vielfalt und Weite, wie sie in Deutsch-
                                    tät in Basel in der Schweiz schrieb ich meine       land an keiner Fakultät zu finden ist. Meine Stu-
                                    Doktorarbeit (2001–2005). Das Thema waren           dierenden im Hörsaal kamen aus mindestens
                                    ekklesiologische Visionen von Kirche als inklu-     zehn verschiedenen lateinamerikanischen Län-
                                    siver Gemeinschaft und Geschlechtergerech-          dern (und aus der Schweiz und Deutschland),
                                    tigkeit im Horizont der weltweiten Ökumene          aus neun protestantischen Trägerkirchen, aus
                                    in Afrika, Lateinamerika, USA und Osteuro-          Pfingstkirchen, evangelikalen Kirchen und der
                                    pa. In jüngster Zeit befasse ich mich mit den       römisch-katholischen Kirche. Aus der Vernet-
                                    vielfältigen Formen des Christseins und der         zung von Theologinnen und Theologen in ganz La-

                            12                         JOURNAL
teinamerika und weltweit entsteht Kraft. Das I.U.   wie die Menschenrechtsbewegungen maßgeb-
ISEDET sandte mich zu Vorträgen und Kongres-        lich dazu beitrugen, dass Menschenrechte auf
sen nach Brasilien, Chile, Peru und Costa Rica.     die politische Agenda der Redemokratisierung
                                                    kamen. Jedem Menschen stehen, unabhän-
Im I.U. ISEDET wehte der Geist der Theologie        gig von ethnischer Herkunft, Hautfarbe, Ge-
der Befreiung. Dass scharfe Kritik an der neo-      schlecht, Sprache, Religion, politischer oder       Oben links: Presbyterian
                                                                                                        Women’ s Centre Abokobi,
liberalen Weltwirtschaftsordnung geübt wer-         sonstiger Überzeugung, bedingungslos gleiche        Ghana 1997: Workshop
den muss und biblisch-theologisch die »Option       Rechte und Würde zu: Das ist ein Grundsatz,         »Small Income Generation«
für die Armen« gilt, wird einem vor Ort durch       der für meine Arbeit sehr wichtig ist.              Rechts: Faculdades EST, São
                                                                                                        Leopoldo, Brasilien 2006
die sozialen Ungleichheitslagen tagtäglich vor
                                                                                                        Unten links: Cátedras Car-
Augen geführt: Die Schere zwischen Arm und          In meiner religionswissenschaftlichen Habilita-     nahan I.U. ISEDET, Buenos
Reich klafft in Lateinamerika am meisten aus-       tionsschrift bei Prof. Dr. Andreas Feldtkeller an   Aires 2007: v.l. Prof. Nancy
einander; viele Familien leben schon in der drit-   der Humboldt-Universität zu Berlin (der Part-       Bedford (USA), Prof. Ivone
                                                                                                        Gebara (Brasilien) und mein
ten Generation im Elendsviertel.                    nerstadt von Buenos Aires) widmete ich mich         Systematischer Kollege
                                                    den Wechselbeziehungen zwischen Religion            Prof. Guillermo Hansen am
Menschenrechte in Religion                          und Gesellschaft in Argentinien: Wie konnten        I.U. ISEDET (Argentinien)
und Gesellschaft                                    Menschenrechte in Argentinien in Politik und        Rechts: Ökumenisches Insti-
                                                                                                        tut Bossey, Schweiz 2011:
In Argentinien lag ein Schwerpunkt meiner For-      Recht Fuß fassen, und was trugen verschiedene       v.l. Prof. Marilu Rojas Sa-
schungen auf Menschenrechtsfragen. Die Am-          Religionsgemeinschaften hierzu bei?                 lazar (Mexiko), Heike Walz,
nestiegesetze der letzten Militärdiktatur (1976–                                                        Prof. em. Christine Liene-
                                                                                                        mann-Perrin (Schweiz), Chita
1983) wurden 2005 annulliert und Gerichtsver-       Religionen im Dialog
                                                                                                        Rebollido-Millan (Philippinen),
fahren wegen Verbrechen gegen die Mensch-           Mit Angehörigen anderer Religionsgemein-            Gulnar Francis Dehqani (Iran)
lichkeit eingeleitet. Ich konnte mitverfolgen,      schaften möchte ich vor allem direkt sprechen,      Sämtliche Fotos dieser Seite: privat

                                                                                2. Jahrgang   2016/17   13
felder. Der Tanz im Vergleich verschiedener
                                                                                      Religionen und Kulturen war bereits Thema
                                                                                      mehrerer Lehrveranstaltungen in Wuppertal
                                                                                      und Berlin. Mit dem römisch-katholischen Re-
                                                                                      ligionsphilosophen, Choreographen und Tänzer
                                                                                      Ángel Mendez Montoya aus Mexiko entwickel-
                                                                                      ten wir 2015 mit Studierenden und Interessier-
                                                                                      ten eine Choreographie zu den Seligpreisungen
                                                                                      der Bergpredigt. Mit Studierenden und dem
                                                                                      Kirchenmusikdirektor und Lehrbeauftragten
                                                                                      Jens-Peter Enk experimentierten wir in Wup-
                                                                                      pertal mit Dialogen zwischen Orgel und Tanz.
                                                                                      Inspiriert durch »Tango-Gottesdienste« gestal-
                                                                                      tete ich 2016 anlässlich des Semesterabschluss-
                                                                                      gottesdienstes und meiner Verabschiedung in
                                                                                      Wuppertal einen Gottesdienst mit Elementen
                                                                                      des Argentinischen Tangos.

                                                                                      Das alles möchte ich an der Augustana-Hoch-
                                                                                      schule und in Kooperation mit anderen Insti-
                                                                                      tutionen ausbauen und fortsetzen. Zu diesen
                                                                                      Institutionen gehört die Forschungsstätte der
                                                                                      Evangelischen Studiengemeinschaft der EKD
                                                                                      (FEST) in Heidelberg, wo ich im Arbeitsbereich
                                                                                      »Gerechter Frieden – ein globales Konzept?«
                                                                                      mitarbeite. Neuerdings bin ich Mitglied in der
                                                                                      Kammer für Theologie der EKD.

                                                                                      Ich freue mich auf Sie, auf die Studierenden
                                                                                      der Augustana-Hochschule und auf vielfältige
                                                                                      Kooperationen an der Hochschule, in der Evan-
                                                                                      gelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und in
                                                                                      der Region. Ich freue mich darauf, das Netz der
                                                                                      ökumenischen weltweiten Kontakte zu Theo-
                                                                                      logischen Hochschulen zu pflegen und auszu-
                                                                                      bauen. Den Austausch mit Studierenden und
                                                                                      Doktorierenden aus verschiedenen Ländern zu
                                                                                      fördern, liegt mir besonders am Herzen, in Zu-
 Oben: Rheinisches Frauen-           nicht über sie und pauschal über »ihre Reli-     sammenarbeit mit dem Centrum Mission Eine-
mahl, Düsseldorf 2012: Lamya         gion«. In meiner Zeit als Juniorprofessorin an   Welt und der Diakonie in Neuendettelsau.
   Kaddor und Heike Walz
Unten: Kirchliche Hochschule
                                     der Kirchlichen Hochschule Wuppertal-Bethel
       Wuppertal-Bethel, Ab-         (2009–2016) unterrichtete ich mit Lamya Kad-     Es wird für mich und für uns alle eine Her-
      schiedsvorlesung 2016          dor, muslimische Religionspädagogin und Grün-    ausforderung sein, zum Abbau von Fremden-
          Fotos: Anna Siggelkow /
                 Patrick Leiverkus
                                     dungsmitglied des Liberal-Islamischen Bundes     feindlichkeit, Rechtsextremismus und religiös
                                     e.V., ein Seminar zu »Rechten von Frauen und     begründeten Extremismen beizutragen. Es gilt,
                                     Männern im Islam und Christentum«.               die Ursachen und Hintergründe für Flucht
                                                                                      und Migration zu erforschen und menschen-
                                     Tanz in Kulturen und Religionen:                 würdige Lösungen zu finden. Das ist eine Jahr-
                                     Ethik und Ästhetik                               hundertaufgabe. Wir müssen unseren Beitrag
                                     Die Verbindung von ethischen und ästhetischen    dazu leisten.
                                     Fragen ist eines meiner neueren Forschungs-

                             14                        JOURNAL
Neue Publikationen 2015/16
In dieser Rubrik stellen wir neue wissenschaftliche Publikationen aus der Feder von
Angehörigen der Augustana-Hochschule vor.

 Von Armin Stephan

Bibelübersetzung und (Kirchen-)Politik                   Heiliger Raum. Exegese und Rezeption der
Hrsg. von Markus Mülke; Lothar Vogel. – Göttingen:       Heiligtumstexte in Ex 24–40
V & R Unipress, 2015. – 189 S. (Kirche – Konfession –    Hrsg. von Matthias Hopf; Wolfgang Oswald; Stefan
Religion: Veröffentlichungen des Konfessionskundlichen   Seiler. Mit Beitr. von Helmut Utzschneider … – Stuttgart:
Instituts des Evangelischen Bundes; 64)                  Kohlhammer, 2016. – 200 S.: Ill. (Theologische Akzente:
                                                         Veröffentlichungen der Augustana-Hochschule Neuen-
Dieser Band beleuchtet Probleme und Implika-             dettelsau; 8)
tionen von verschiedenen Bibelübersetzungen
in verschiedenen Zeiten und unter verschiede-            Die Heiligtumstexte des Exodusbuches in
nen gesellschaftlichen und kulturellen Bedin-            Ex 24–40 gehören zu den sperrigen Texten des
gungen. Dabei werden Fragen zu Möglichkei-               Alten Testaments. Sie verlangen von ihren Aus-
ten und Grenzen von Übersetzungen erörtert               legerinnen und Auslegern einen langen Atem
und jeweils in ihre (kirchen-)politischen Zu-            und Liebe zum Detail. Gleichzeitig laden sie
sammenhänge gestellt. Es wird deutlich: Ziele            dazu ein, über die Grenzen der alttestamentli-
wie Texttreue und Verständlichkeit für die Le-           chen Exegese hinauszublicken. Die Gestaltung
ser sind durch alle Epochen hindurch eine Her-           von Gottesdiensträumen, die Inszenierung des
ausforderung und müssen für jede Übersetzung             Kultes, die Ästhetik des Göttlichen sind näm-
neu ausgelotet werden.                                   lich Themen, die alle Gebiete der Theologie
                                                         sowie der Altertums- und Kulturwissenschaften
                                                         berühren. Ein Sammelband mit interdisziplinä-
                                                         ren Beiträgen von Helmut Utzschneider, Rainer
                                                         Albertz, Kai Brodersen, Walter Groß, Wolfgang

                                                                                           2. Jahrgang    2016/17    15
Kraus, Hubert Kress, Dominik Markl, Stefan                    Die Grammatik ist als begleitendes Lehrbuch
     Ark Nitsche und Klaus Raschzok.                               für den Hebräischunterricht konzipiert. Es ge-
                                                                   währt den Lehrenden einen möglichst großen
                                                                   Freiraum für die Auswahl und Anwendung
     Liebesszenen. Eine literaturwissenschaftli-                   unterschiedlicher Lehrmethoden. Den Studie-
     che Studie zum Hohenlied als einem drama-                     renden wird durch eine übersichtliche Struk-
     tisch-performativen Text                                      turierung des Unterrichtsstoffes das Lernen,
     Hopf, Matthias – Zürich: TVZ, Theol. Verl., 2016. – 416 S.:   Nachschlagen und Wiederholen erleichtert.
     graph. Darst. (Abhandlungen zur Theologie des Alten           Die Konzeption verzichtet auf eine Gliederung
     und Neuen Testaments; 108). Zugl.: Neuendettelsau,            in Lektionen und geht bei der Erarbeitung des
     Augustana-Hochschule, Diss., 2014 u.d.T.: Das Hohelied –      Stoffes von Anfang an von den biblischen Tex-
     ein dramatischer Text mit großem Performanz-Potential         ten aus. Dem Werk sind ein umfangreicher
                                                                   Textteil sowie ein aufwendig gestaltetes Voka-
     Ist das Hohelied ein Drama? Im 19. Jahrhun-                   bular und ein ausführliches Glossar grammati-
     dert wurde diese Frage gerne bejaht, im 20.                   kalischer Fachbegriffe beigegeben.
     Jahrhundert überwiegend verneint. Matthias
     Hopf greift auf Erkenntnisse der vergleichen-
     den Literaturwissenschaft zurück, um das ge-                  Luther verstehen. Person, Werk, Wirkung
     samte Hohelied methodisch gesichert auf diese                 Hrsg. von Markus Buntfuß; Friedemann Barniske. –
     Frage hin zu prüfen. Dabei kommen bewährte                    Leipzig: Evang. Verl.-Anst., 2016
     dramen- bzw. performanztheoretische Analy-
     seschritte zum Einsatz. Im Endergebnis zeigt                  Protestanten orientieren sich weniger an dogma-
     sich, dass der Begriff Drama wenig geeignet ist,              tischen Instruktionen und kirchlichen Institutio-
     um das Hohelied angemessen zu beschreiben.                    nen als an konkreten Personen, die ihre religiöse
     Besser wäre, im Hinblick auf das Textgenre von                Überzeugung in exemplarischer Weise leben
     einem dramatischen Text zu sprechen. Dieser                   und reflektieren. Bis heute verbindet sich die re-
     weist durchaus ein großes Potential auf, öffent-              formatorische Glaubensweise deshalb mit dem
     lich vorgetragen – performiert – zu werden.                   bleibenden Eindruck der maßgeblichen reforma-
                                                                   torischen Persönlichkeiten. Diesen Umstand in
                                                                   Bezug auf die Person Martin Luthers, sein Werk
     Krause, Martin: Hebräisch: biblisch-hebräi-                   und seine Wirkung kritisch zu würdigen, ist die
     sche Unterrichtsgrammatik                                     Absicht der vorliegenden Beiträge aus theologi-
     Hrsg. von Michael Pietsch und Martin Rösel. – 4. Aufl. –      schen und philosophischen Perspektiven. Dabei
     Berlin [u.a.]: De Gruyter, 2016. – XVI, 376 S.                kommen u.a. Luthers Stellung zum Alten Testa-

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ment und dem Judentum, sein Beitrag zu einer                 tischen Motive bedingten die Rezeption von
Theorie des Übersetzens, zur Entwicklung des                 Luthers antijüdischen Schriften in der Luther-
Theaters und zur Deutung der Engel und des                   forschung des 19. Jahrhunderts? Welche Rolle
Christkinds sowie die psychoanalytische Luther-              spielten sie im lutherischen Konfessionalismus
Rezeption im 20. Jahrhundert in den Blick.                   und in der jüdischen Wahrnehmung jener Zeit?
    Mit Beiträgen von Friedemann Barniske,                   Wie wurden sie in der Zwischenkriegszeit von
Markus Buntfuß, Jörg Dittmer, Andreas Göß-                   der Bekennenden Kirche oder den »Deutschen
ner, Andreas von Heyl, Renate Jost, Konstanze                Christen« zur Zeit des Nationalsozialismus po-
Kemnitzer, Ingo Klitzsch, Peter L. Oesterreich,              litisch und theologisch instrumentalisiert? Vor
Michael Pietsch, Klaus Raschzok, Stefan Seiler               diesem Hintergrund kommt die Bedeutung und
und Christian Strecker.                                      Wirkung von Luthers Schriften für neuzeitliche
                                                             theologische Diskurse und historische Entwick-
                                                             lungen, einschließlich Antisemitismus und NS-
Martin Luthers ›Judenschriften‹. Die Rezep-                  Zeit, zur Sprache. Die inhaltliche Aufarbeitung
tion im 19. und 20. Jahrhundert                              mit der Wirkungsgeschichte von Luthers »Ju-
Hrsg. von Harry Oelke, Wolfgang Kraus, Gury Schnei-          denschriften« ist nicht auf das Ende des Zwei-
der-Ludorff, Anselm Schubert und Axel Töllner. –             ten Weltkriegs begrenzt, der Band beleuchtet
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2015. – 338 S.: Ill.      zudem die Rezeption der »Judenschriften« im
(Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte / hrsg. im Auftr.   angloamerikanischen Raum und ihre ethische,
d. Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche          kirchengeschichtliche und kirchenpolitische
Zeitgeschichte, Evangelische Kirche in Deutschland.          Aufarbeitung im Protestantismus seit 1945.
Reihe B, Darstellungen; 64)

Martin Luthers »Judenschriften« haben in der                 Poscharsky, Peter: Gestalteter Glaube. Ge-
deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhun-                sammelte Aufsätze aus der Christlichen Ar-
derts eine hochproblematische, aber bislang                  chäologie und Kunstgeschichte
kaum erforschte Wirkungsgeschichte gehabt.                   Hrsg. von Klaus Raschzok. – Leipzig: Evang. Verl.-Anst.,
Dieser Rezeptionsgeschichte widmet sich der                  2014. – 600 S.: Ill., graph. Darst.
vorliegende Band. Dabei steht nicht die eindi-
mensionale Perspektivierung eines historischen               Die Aufsätze des 1932 in Leipzig geborenen
Versagens Luthers im Vordergrund. Vielmehr                   emeritierten Lehrstuhlinhabers für Christliche
wird die Rezeption im Kontext zeitgenössischer               Archäologie und Kunstgeschichte an der Fried-
theologischer und historischer Bedingungen                   rich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
untersucht: Welche theologischen und poli-                   gehen der Frage nach der materialen Gestalt

                                                                                                   2. Jahrgang   2016/17   17
Friedrich
        Wolfgang Neuber, Peter L. Oesterreich,
        Gert Ueding, Francesca Vidal (Hrsg.)      Schleiermacher
        RHETORIK
         RHETORIK UND RELIGION
                                                     Kritische Gesamtausgabe
                                                              Predigten
                                                               Band 5

                                                             Predigten
                                                             1816–1819

                                                              de Gruyter

     des christlichen Glaubens im Schnittfeld von                  gie des Managements. Das Jahrbuch Rhetorik
     Kunstwissenschaft und Theologie nach. Sie ge-                 fasst die Forschungen in Deutschland zur Rhe-
     währen zugleich Einblick in Peter Poscharskys                 torik zusammen und stellt die Neuerscheinun-
     vielfältige Forschungsschwerpunkte, die von                   gen in einem ausgedehnten Rezensionsteil vor.
     der spätantiken wie byzantinischen Kunstge-                   Eine laufende Bibliographie informiert über
     schichte über die protestantische Ikonographie                sämtliche Veröffentlichungen zur Rhetorik im
     und die Geschichte des evangelischen Kirchen-                 deutschsprachigen Raum.
     baus ab dem 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart
     reichen. Interessant ist dabei, wie Poscharsky                Band 34 (2015): Rhetorik und Religion, hrsg.
     auch das Verhältnis von zeitgenössischer Kunst                von Philipp Stoellger; enth. u.a.:
     und christlichem Glauben sowie die evangeli-                  – Buntfuß, Markus: ›Moderne Religion‹ als
     sche Paramentik mit einbezieht.                                  Antwort auf die ›rhetorische Situation‹ des
                                                                      neuzeitlichen Christentums
                                                                   – Oesterreich, Peter L.: Credibilität. Einige
     Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch                           Thesen zu Rhetorik, Religion und Wissen-
     Begründet von Joachim Dyck; Walter Jens; Gert Ueding.            schaft
     Hrsg. v. Wolfgang Neuber; Peter L. Oesterreich; Gert
     Ueding; Francesca Vidal. – Berlin [u.a.]: De Gruyter,
     Erscheinungsverlauf: 1.1980 –                                 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst:
                                                                   Kritische Gesamtausgabe
     Die Rhetorik hat als Überzeugungstechnik,                     Hrsg. von Hans-Joachim Birkner … – Berlin [u.a.]:
     Schulfach und soziale Praxis unser literarisches              De Gruyter, Abt. 3, Bd. 5: Predigten 1816–1819 / hrsg. von
     und sprachlich-gesellschaftliches Leben seit                  Katja Kretschmar. Unter Mitw. von Michael Pietsch. –
     dem 5. Jahrhundert v. Chr. bestimmt. Ihre Ge-                 2014. – LXXXVII, 738 S.
     schichte ist die Geschichte der Produktion von
     Rede unter wechselnden gesellschaftlichen Be-                 Im 5. Band der 3. Abteilung der KGA finden
     dingungen. Als Wissenschaftsfach hat sich die                 sich Predigten zu 112 Terminen aus den Jah-
     Rhetorik in Deutschland seit den 1960er-Jahren                ren 1816–1819, zu denen ergänzend zugehö-
     an den Universitäten wieder durchsetzen kön-                  rige Liederblätter Friedrich Schleiermachers
     nen, und sie spielt heute, in einer fortgeschrit-             publiziert werden. Die 93 Predigttermine, für
     tenen Mediengesellschaft, eine herausragende                  die bisher keine Veröffentlichungen vorlagen,
     Rolle in Werbung, Verkauf und Sozialtechnolo-                 basieren auf Predigtmitschriften von fremder

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Hand, vornehmlich von Ludwig Jonas. Zu den          Themen der biblischen Theologie wie Jesu Ver-      Das Antiphonar aus dem
neun Predigten, die Schleiermacher in seiner        kündigung des Reiches Gottes, Deutung des          15. Jahrhundert ist das ältes-
                                                                                                       te Buch in der Bibliothek der
4. Predigtsammlung selbst publiziert hat, sind      Todes Jesu als Sühnopfer, die Rolle von Frauen     Augustana-Hochschule
Predigtmitschriften von Jonas erhalten, die den     und Kindern in der Welt des Neuen Testaments,      Foto: Augustana-Bildarchiv
Unterschied zwischen gepredigtem Wort und           Spiritualität bei Paulus oder zur Entstehung des
für den Druck bearbeitetem Text gut erkennen        Christentums als Religion. Stegemann setzt
lassen. Die im Jahr 1817 begonnenen Homi-           dabei neue Impulse in aktuellen Diskursen der
lien zum Philipperbrief erhalten ein besonde-       neutestamentlichen Wissenschaft und bezieht
res Profil durch den Vergleich mit der zweiten      zugleich engagiert Stellung zu Gegenwartsfra-
Homilienreihe von 1822/23.                          gen, zum Beispiel zur ethischen Beurteilung der
                                                    Homosexualität, zum Antisemitismus und zum
                                                    Verhältnis von Judentum und Christentum. Re-
Stegemann, Wolfgang: Streitbare Exegesen.           levant sind diese Beiträge auch deshalb, weil
Sozialgeschichtliche, kulturanthropologische        sie ein Stück Forschungs- und Zeitgeschichte
und ideologiekritische Lektüren neutesta-           dokumentieren: eine Periode, in der sich tief-
mentlicher Texte                                    greifende Umbrüche in der biblischen Exegese
Hrsg. von Klaus Neumann. – Stuttgart: Kohlhammer,   vollzogen, an denen der Autor oft an vorders-
2015. – 480 S.                                      ter Front beteiligt war und die er mit anstieß –
                                                    Umbrüche, die im Kern mit der Frage nach der
»Streitbare Exegesen« – Exegesen, die Position      Relevanz der biblischen Exegese unter gewan-
beziehen und Partei nehmen – sind relevante         delten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
Exegesen, relevant als Beiträge zu zentralen        zu tun haben.

                                                                                       KONTAKT         Armin Stephan, Dipl. Biblio-
                                                                                  armin.stephan@       thekar, Leiter der Augusta-
                                                                                    augustana.de       na-Bibliothek

                                                                               2. Jahrgang   2016/17   19
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