Kulturelle Bildung - Erziehung & Wissenschaft 11/2019 - GEW

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Kulturelle Bildung - Erziehung & Wissenschaft 11/2019 - GEW
Gewerkscha
                                           Erziehung und Wissenscha

Erziehung & Wissenschaft        11/2019
Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft GEW

                               Kulturelle Bildung
Kulturelle Bildung - Erziehung & Wissenschaft 11/2019 - GEW
2 GASTKOMMENTAR

                                                                              Foto: Tim Flavor
OLAF ZIMMERMANN

              Die Künste ernst nehmen
               Das Schattendasein der kulturellen Bildung hat bereits seit                          Ort, an dem auch die Literaturpädagogik als relativ neuer
               einigen Jahren glücklicherweise ein Ende gefunden. Im                                Zweig der kulturellen Bildung Einzug gehalten hat.
               ­Gegenteil, kulturelle Bildung hat heute Hochkonjunktur.                             Kulturelle Bildung heute soll vieles bewirken, sie soll Kinder
                Früher waren die künstlerischen Schulfächer – Kunst, Mu-                            und Jugendliche sprachfähig machen, sie soll Teilhabe ermög-
                sik, Theater – randständig. Gut, wenn es sie gab, aber in                           lichen, sie soll die Integration voranbringen, sie soll ein wichti-
                der pädagogischen Hierarchie rangierten sie weit unten.                           ger Bestandteil der Inklusion sein, sie soll Kinder und Jugend-
                Schön war es, wenn der Schulchor zum Willkommen oder                              liche einladen, sich zu beteiligen, sie soll das Aushalten von
                zur Verabschiedung der Schülerinnen und Schüler sang. Gut                         Differenz vermitteln, sie soll benachteiligten Schülerinnen
                anzusehen war es, wenn im Kunstunterricht gemalt und ge-                          und Schülern Selbstvertrauen geben, sie soll Extremismus
                bastelt und mit den Ergebnissen die Aula gestaltet wurde.                         ­bekämpfen, sie soll, sie soll, sie soll.
                Zum Glück sind diese Zeiten, in denen kulturelle Bildung nur                       Es wirkt mitunter so, als könne kulturelle Bildung zur
                schmückendes Beiwerk war, in den meisten Schulen längst                            ­L ösung aller gesellschaftlichen Fragen beitragen. Kulturel-
                vorbei.                                                                             le Bildung ist jedoch kein Allheilmittel. Kulturelle Bildung
                Einen wichtigen Impuls für eine veränderte Wahrnehmung                              kann vielleicht einen Beitrag leisten, sie sollte jedoch
                kultureller Bildung gab die Weiterentwicklung von Schulen                           nicht mit Erwartungen und Anforderungen überfrachtet
                zu Ganztagsschulen – ganz unabhängig davon, ob in offener                           werden. Und vor allem dürfen die Akteure der kulturellen
                oder geschlossener Form. Schulen mussten mehr sein als                              Bildung ihren Gegenstand, die Künste, nicht aus dem Blick
                Orte für schulisches Lernen im Unterricht. Es galt, Formate                         verlieren.
                zu entwickeln, die Schülerinnen und Schüler nicht nur kog-                          Kulturelle Bildung heißt Auseinandersetzung und Beschäf-
                nitiv fordern, sondern die verschiedenen Sinne ansprechen.                          tigung mit Kunst, heißt die Entwicklung und Schärfung
                Kooperationen mit Musikschulen, Jugendkunstschulen und                              des Sehens, des Sprechens und des Hörens, heißt sich
                anderen Trägern wurden eingegangen, und mit Projekten                               mit der ­W iderständigkeit des künstlerischen Materials zu
                wie „Kulturagenten für kreative Schulen“ oder „Kulturschu-                       ­b efassen.
                le“ sollte und soll die kulturelle Schulentwicklung vorange-                        Nur wenn die kulturelle Bildung ihren Gegenstand, die Künste,
                trieben werden. Angestrebt wird damit unter anderem eine                            ernst nimmt und ihn in den Mittelpunkt des Geschehens
                Veränderung des Schulklimas – und damit mehr Freude am                              rückt, kann sie auch jenseits der derzeit bestehenden Hoch-
                Lernen in allen Fächern.                                                            konjunktur bestehen. Denn irgendwann werden zumindest in
                Auch außerhalb der Schulen sollen Kinder und Jugendliche                            der kulturpolitischen Debatte andere Themen en vogue sein,
                mit kultureller Bildung erreicht werden. Kaum ein Orches-                           und es ist dringend erforderlich, dass die kulturelle Bildung
                ter, das nicht mit einem Education-Projekt aufwartet. Kaum                          auch dann noch einen wichtigen Stellenwert sowohl in der
                ein Museum, das nicht kulturelle Bildung zu einem wichtigen                         schulischen als auch der außerschulischen Bildung hat. Denn
                ­Arbeitsbereich erklärt. Kaum ein Theater, das nicht auch für                       die Künste bleiben immer relevant!
                 Kinder oder zumindest für Jugendliche Angebote unterbrei-
                 tet. Kaum eine Bibliothek, die nicht betont, dass sie mehr ist                  Olaf Zimmermann,
                 als eine Ausleihstelle für Medien, sondern längst ein dritter                   Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates

  Erziehung und Wissenschaft | 11/2019
Kulturelle Bildung - Erziehung & Wissenschaft 11/2019 - GEW
INHALT     3

                                                                 Prämie
Inhalt                                                         des Monat
                                                                         s
                                                                     Seite 5

Gastkommentar                                                                                 IMPRESSUM
Die Künste ernst nehmen                                                           Seite 2
                                                                                              Erziehung und Wissenschaft
                                                                                              Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung · 71. Jg.
Impressum                                                                         Seite 3
                                                                                              Herausgeberin:
                                                                                              Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
Auf einen Blick                                                                   Seite 4    im Deutschen Gewerkschaftsbund
                                                                                              Vorsitzende: Marlis Tepe
                                                                                              Redaktionsleiter: Ulf Rödde
Prämie des Monats                                                                 Seite 5    Redaktion: Jürgen Amendt
                                                                                              Redaktionsassistentin: Katja Wenzel
                                                                                              Postanschrift der Redaktion:
Schwerpunkt: Kulturelle Bildung                                                               Reifenberger Straße 21
1.	Berliner Schulen begeistern Kinder für Kunst: „Jedes Kind kann etwas“         Seite 6    60489 Frankfurt am Main
                                                                                              Telefon 069 78973-0
2. NRW-Programm „JeKits“: „Kraftfutter für Kinderhirne“                           Seite 10   Fax 069 78973-202
3. Kultur für alle Kinder und Jugendlichen: „Wo findest du die schönen Worte?“	   Seite 12   katja.wenzel@gew.de
                                                                                              www.gew.de
4. Wie wird man Künstler? Qualifikation: Ex-Klassenkasper und In-Hefte-Kritzler   Seite 14   facebook.com/GEW.DieBildungsgewerkschaft
5 Lehrkräftemangel in der musischen Bildung: Hast du Töne?	                       Seite 16   twitter.com/gew_bund
6. Digitalisiertes Museum: Spielend die Welt erschließen	                         Seite 18   Redaktionsschluss ist in der Regel
                                                                                              der 7. eines jeden Monats.
Tarif- und Beamtenpolitik                                                                     Erziehung und Wissenschaft erscheint elfmal jährlich.
                                                                                              Nachdruck, Aufnahme in Onlinedienste und Internet
1. GEW-Arbeitszeitkonferenz in Eisenach: Acht Stunden sind kein Tag	       Seite 20          ­sowie Vervielfältigung auf Datenträger der „Erziehung
2. EuGH-Urteil zur EU-Arbeitszeitrichtlinie: Kommt die Stechuhr für alle?	 Seite 24           und Wissenschaft“ auch auszugweise nur nach vorheri-
                                                                                               ger schriftlicher Genehmigung der Redaktion.

Schule                                                                                        Die E&W finden Sie als PDF auf der GEW-Website unter:
                                                                                              www.gew.de/eundw.
1. Ungelöstes Problem Lehrkräftemangel: Die Ruhe nach dem Sturm?	            Seite 22        Hier wird die E&W auch archiviert.
2. Learning Analytics im Unterricht: Beobachten, Bewerten, Überwachen	 Seite 32
3. Kongress des Grundschulverbands: Nach vier Jahren darf nicht Schluss sein Seite 34        Gestaltung:
                                                                                              Werbeagentur Zimmermann,
                                                                                              Heddernheimer Landstraße 144
Bildungspolitik                                                                               60439 Frankfurt
1. Bildungsanalyse 2019: OECD schweigt zur deutschen Bildungsmisere	 Seite 26                Für die Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitglieds-
2. GEW-Kommentar: Keine Zeit zum Ausruhen	                           Seite 28                beitrag enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt der
                                                                                              Bezugspreis jährlich Euro 7,20 zuzüglich Euro 11,30
3. Zeitgeschichte per App: „Wir haben auf den Tod gewartet“	         Seite 29                Zustellgebühr inkl. MwSt. Für die Mitglieder der
                                                                                              Landesverbände Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen,
Jugendhilfe                                                                                   Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland,
                                                                                              Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen werden die
Gewalt in der Kinder- und Jugendhilfe: Kratzen, Schlagen, Beleidigen	             Seite 30   jeweiligen Landeszeitungen der E&W beigelegt. Für un-
                                                                                              verlangt eingesandte Manuskripte und Rezensionsexem-
                                                                                              plare wird keine Verantwortung übernommen. Die mit
Hochschule                                                                                    dem Namen des Verfassers gekennzeichneten Beiträge
Aktivenkonferenz „Hochschule 2030“: Wir können auch anders!	                      Seite 36   stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder
                                                                                              der Herausgeberin dar.

Serie „30 Jahre Ost-West“                                                                     Verlag mit Anzeigenabteilung:
                                                                                              Stamm Verlag GmbH
Zum Auftakt ein Interview mit Barbara Ludwig: Abstimmung mit den Füßen            Seite 38   Goldammerweg 16
                                                                                              45134 Essen
Initiative „Bildung. Weiter denken!“                                                          Verantwortlich für Anzeigen: Mathias Müller
                                                                                              Telefon 0201 84300-0
1. Blick in die Bundesländer zur Umsetzung von A13/E13: Das A13-Mikado	 Seite 40             Fax 0201 472590
2. „GEW in Bildung unterwegs“ in Bayern: Viel Licht, viel Schatten	     Seite 42             anzeigen@stamm.de
                                                                                              www.erziehungundwissenschaft.de
                                                                                              gültige Anzeigenpreisliste Nr. 41
Medien                                                                                        vom 01.01.2019,
                                                                                              Anzeigenschluss
Interview mit Wolgast-Preisträger Wolfgang Korn: Und plötzlich macht es wumms Seite 43       ca. am 5. des Vormonats

                                                                                              Erfüllungsort und Gerichtsstand: Frankfurt am Main
Leserforum	                                                                       Seite 44

Diesmal	                                                                          Seite 48
                                                                                                                 ISSN 0342-0671

                                                                                                      Die E&W wird auf 100 Prozent chlorfrei
Titel: Werbeagentur Zimmermann                                                                        gebleichtem Recyclingpapier gedruckt.

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Kulturelle Bildung - Erziehung & Wissenschaft 11/2019 - GEW
4 AUF EINEN BLICK

                Beschwerden gegen Streikverbot angenommen
                Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat            70 Jahre DGB – die GEW gratuliert
                die Beschwerden gegen das Streikverbot für Beamtinnen und            40-Stunden-Woche, gesetzlicher Mindestlohn und Ur-
                Beamte in Deutschland zugelassen. Er stellte der Bundesrepu-         laubsanspruch – vieles, was heute selbstverständlich er-
                blik die Beschwerden am 12. September zu. Die Bundesrepu-            scheint, haben DGB und Mitgliedsgewerkschaften mühsam
                blik hat jetzt bis zum 11. März 2020 Zeit, Stellung zu nehmen.       erkämpft. Gegründet wurde der Deutsche Gewerkschafts-
                Im Dezember 2018 hatten elf verbeamtete Lehrkräfte mit               bund am 13. Oktober 1949, heute gehören ihm acht Einzel-
                dem Rechtsschutz der GEW vor dem EGMR Beschwerde ge-                 gewerkschaften mit rund sechs Millionen Mitgliedern an.
                gen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom               „Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gratuliert
                12. Juni 2018 eingelegt, das ein Streikverbot für Beamtinnen         als Gründungsmitglied unserem DGB zum 70.“, erklärte
                und Beamte bestätigt hatte. In den Beschwerden werden Ver-           GEW-Vorsitzende Marlis Tepe anlässlich des 70. Jahrestags
                letzungen der Europäischen Menschenrechtscharta (EMRK)               der Gründung. „Wir waren von Anfang an dabei und schät-
                wie gegen das Recht auf Vereinigungsfreiheit, das Recht auf          zen unseren Dachverband sehr. DGB und Mitgliedsgewerk-
                ein faires Verfahren sowie das Recht auf Wahrnehmung der             schaften haben 70 Jahre konsequent und erfolgreich die
                Rechte nach der Konvention aus Artikel 14 EMRK gerügt.               Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ver-
                Am 9. Oktober hat das Bundesministerium für Justiz und Ver-          treten. In der Solidarität der acht Mitgliedsgewerkschaften
                braucherschutz den DGB, die GEW, ver.di und den dbb Beam-            und dem gemeinsamen Engagement im DGB liegt unsere
                tenbund und Tarifunion darüber informiert, dass sie sich über        Kraft im Kampf für ein Leben und Arbeiten in Würde.“
                die sogenannte Drittintervention zu den Klagen positionieren
                können. Das heißt: Der Präsident des Gerichtshofs kann jeder
                Person, die nicht Beschwerdeführerin ist, Gelegenheit geben,
                schriftlich Stellung zu nehmen oder an den mündlichen Ver-
                handlungen teilzunehmen. Die Frist zu dieser Drittbeteiligung
                beträgt zwölf Wochen. Da der Bundesrepublik die Beschwer-

                                                                                                                                                   Foto: Daniel Merbitz
                den am 12. September zugestellt sind, endet die Frist für eine
                Drittintervention am 5. Dezember. Die GEW hatte bereits im
                September entschieden, dass sie die elf Beschwerdeführerin-
                nen und Beschwerdeführer in diesem Verfahren auch als Or-
                ganisation unterstützen wird.                                        Den 70. Jahrestag seiner Gründung feierte der DGB mit
                „Der Gerichtshof hat die Klagen angenommen. Wir sind wie-            einem Festakt in Berlin.
                der einen Schritt weitergekommen in Richtung Beamten-
                streikrecht. Das bestehende Streikverbot passt nicht zu ei-
                nem demokratisch verfassten Staat und verstößt gegen die           Qualität der Lehrkräftefortbildung
                Europäische Menschenrechtskonvention“, betonte Daniel              Der Bedarf an Fortbildungsangeboten für Lehrkräfte steigt
                Merbitz, Vorstandsmitglied für Tarif- und Beamtenpolitik bei       stetig. Der Fortbildungsbereich ist jedoch nach wie vor un-
                der GEW (s. S. 20).                                                terfinanziert, auch fehlt es an bedarfsgerechten Angeboten
                                                                                   und qualifiziertem Personal. Das liegt unter anderem daran,
                Pädagogik in der Migrationsgesellschaft                            dass sich die öffentliche Hand in den vergangenen Jahren im-
                Wie muss Pädagogik in der Migrationsgesellschaft aussehen,         mer stärker aus der beruflichen Fortbildung zurückgezogen
                und wie kann sie gelingen? Welche Wege, welche Schwierig-          hat. Zusammen mit dem Deutschen Verein zur Förderung der
                keiten gibt es für Lehrkräfte? Diese und viele weitere Fragen      Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung e. V. lädt die GEW für den
                hat die Berliner Journalistin Jeannette Goddar den beiden Wis-     3. Dezember zu einer Fachkonferenz in Berlin, auf der über
                senschaftlern Yasemin Karakaşoğlu und Paul Mecheril gestellt.      Lösungsstrategien diskutiert werden soll. Anmeldeschluss ist
                Im Fokus stand dabei vor allem die Auseinandersetzung damit,       der 18. November. Alle Infos unter:
                welche Rolle die Haltung von Pädagoginnen und Pädagogen            www.gew.de/konf-lehrerInnen-fortbildung
                in der Migrationsgesellschaft spielt. Das Gespräch lässt sich in
                dem jüngst im Beltz-Verlag erschienenen Buch „Pädagogik neu        Podcast zur Schuldebatte
                denken!“ nachlesen. Karakaşoğlu ist Professorin für Interkul-      Lehrkräftemangel, marode Gebäude, Unterrichtsausfall, un-
                                     turelle Bildung an der Universität Bremen,    zufriedene Eltern – es kriselt im deutschen Bildungssystem.
                                     Mecheril Professor für Migration und Bil-     „Schule kann mehr!“, meinen der Pädagoge Helmut Hoch-
                                     dung am Institut für Pädagogik der Carl       schild und der Journalist Leon Stebe. Gemeinsam haben sie
                                     von Ossietzky Universität in Oldenburg.       eine gleichnamige Podcast-Reihe ins Leben gerufen. Alle zwei
                                                                                   Wochen widmen sich Hochschild und Stebe Themen wie
                                    Yasemin Karakaşoğlu/Paul Mecheril/             Schulnoten oder der Digitalisierung des Unterrichts. Die Fol-
                                    Jeannette Goddar: Pädagogik neu d   ­ enken!   gen sind abrufbar auf den Podcast-Plattformen:
                                    Die Migrationsgesellschaft und ihre Leh-       Apple (rebrand.ly/tky3mw), Spotify (rebrand.ly/1hcc86),
                                    rer_innen, Beltz-Verlag, 136 S., 24,95 Euro    Google (rebrand.ly/5nwq8j); Website: rebrand.ly/xhrail

   Erziehung und Wissenschaft | 11/2019
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Kulturelle Bildung - Erziehung & Wissenschaft 11/2019 - GEW
6 KULTURELLE BILDUNG

              „Jedes Kind
              kann etwas“

  Erziehung und Wissenschaft | 11/2019
Kulturelle Bildung - Erziehung & Wissenschaft 11/2019 - GEW
KULTURELLE BILDUNG             7

                                                          // Wie man Kinder aus unter­                  Morgenstern- und im Grips-Theater, im
                                                          privilegierten Familien für Kunst             Bauhaus-Archiv und im Müllmuseum,
                                                          und Musik, Archäologie und                    am Alexanderplatz und am Kottbusser
                                                          Theater begeistern kann, zeigen               Tor. „Rausgehen, die Stadt erkunden“,
                                                          zwei Berliner Schulen. //                     sei ein zentraler Teil kultureller Bildung,
                                                                                                        erläutert Kunstlehrerin Svenja Kyncl,
Die Carl-Kraemer-Grundschule                              Die Carl-Kraemer-Grundschule ist keine,       „viele Kinder verlassen den Kiez kaum.
im Berliner Bezirk Wedding ist                            deren Bedingungen man sich unbedingt          Schon wenige Kilometer entfernt stau-
eine kunstbetonte Ganztags-                               wünschen würde. Und zwar nicht, weil          nen sie, wie groß Berlin ist – und was es
schule. Der Personalschlüssel ist                         sie so weit im Norden des Berliner Wed-       zu bieten hat.“ Insgesamt erweiterten
besser als in anderen Berliner                            ding liegt, dass die Gentrifizierung noch     die kulturellen Aktivitäten das Spekt-
Schulen, weil die Einrichtung am                          ein paar Kilometer weg und das Quar-          rum der Kompetenzen, die Schülerin-
Bonusprogramm der Senatsschul-                            tiersmanagement weiterhin gut beschäf-        nen und Schüler entwickeln könnten,
verwaltung teilnimmt, mit dem                             tigt ist. „Unsere Schülerinnen und Schü-      erheblich. „Jedes Kind kann etwas – es
Schulen in sozialen Brennpunkten                          ler sind super. Wir wollen keine anderen“,    muss nur einen Weg finden, sich auszu-
gesondert gefördert werden.                               sagt Schulleiterin Kirsten Sümenicht. Sie     drücken“, fügt Schulleiterin Sümenicht
                                                          klingt fast empört. Doch der Schule steht     hinzu. Den Gedanken, eine kunstbeton-
                                                          eine Grundsanierung bevor. Viele Räume        te Ganztagsgrundschule – so der offizi-
                                                          sind gesperrt, die Leiterin selbst arbeitet   elle Titel – sei weniger leistungsorien-
                                                          mit fünf Kolleginnen und Kollegen in ei-      tiert, weist sie von sich: „Alles, was wir
                                                          nem Übergangsbüro. Seit zwei Jahren ist       machen, ist, einem Begabungsbegriff zu
                                                          hohes Improvisationstalent nötig. Aber        folgen, der allen gerecht wird und sich
                                                          „Hey“, sagt Sümenicht, „wir sind Queens       nicht nur an den klassischen Fächern
                                                          and Kings of Reframing“, Königinnen und       orientiert.“
                                                          Könige der Umdeutung. Oder auch Meis-         In jüngerer Zeit nehmen vor allem die
                                                          terinnen und Meister der Überzeugung,         Kontakte in der näheren Umgebung zu;
                                                          dass jede Lage Potenzial hat, sie positiv     seit die Keramikwerkstatt der Schule
                                                          zu nutzen. Und so haben wohl auch Sü-         wegen Baumängeln geschlossen ist,
                                                          menichts Vorgängerinnen gedacht, die          nutzen die Schülerinnen und Schüler
                                                          vor bald 20 Jahren in einem nicht gerade      zum Beispiel eine im Kiez. Außerdem
                                                          privilegierten Kiez damit begannen, eine      wurden mit Hilfe von Künstlern und
                                                          kunstbetonte Schule zu schaffen.              Firmen Sitzgelegenheiten in den Flu-
                                                                                                        ren und zusätzliche Hochebenen in den
                                                          Not macht erfinderisch                        Räumen gestaltet. „Angesichts unseres
                                                          Wer wissen will, was das ist, wird statt      Platzmangels müssen alle Räume für alle
                                                          ins akademische Metagespräch in eine          nutzbar sein“, erzählt Kyncl, „auch hier
                                                          Runde von elf Acht- bis Zwölfjährigen         bemühen wir uns, aus der Not heraus
                                                          gesetzt. Die wissen, inmitten all der         Positives zu schaffen.“ Mehr Platz und
                                                          mitgebrachten Bilder, Broschüren und          neue Möglichkeiten eröffnen soll auch
                                                          Videos gar nicht, wo sie anfangen sol-        eine „Kiezkarre“, für die im Rahmen des
                                                          len. Über zwei Schulstunden sprudeln          Quartiersmanagements Gelder einge-
                                                          aus Nour und Lamis, Edgar und Adem,           worben wurden: In einer Art mobilem
                                                          Victory, Zeynep und den anderen ihre          „Tiny House“, dessen erste Modelle sie
                                                          Erlebnisse heraus. In frappierender           bereits mitgebracht haben, wollen die
                                                          Eloquenz erzählen sie von einer selbst-       Schülerinnen und Schüler Flohmärkte
                                                          gebastelten „Ich-Box“, mit der sie sich       veranstalten, naturwissenschaftliche
                                                          einander vorstellten; von aussterben-         Experimente machen und ein Elternca-
                                                          den Tieren, die die „Kunstexperten“           fé anbieten. Damit dort etwas serviert
                                                          gemalt haben, während die „Philoso-           werden kann, ist der Termin mit dem
                                                          phieexperten“ das Thema gedanklich            Kunstgewerbemuseum zwecks Porzel-
                                                          bearbeiteten. Von Europakarten, die sie       lanherstellung bereits gemacht.
                                                          mit Kunst-Studierenden erstellten; von        Logistisch ist nicht nur der Umgang
                                                          Rappern und Tänzern, mit denen sie            mit der Raumnot eine Meisterleistung.
                                                          Auftritte vorbereiten.                        Auch das Entwerfen eines Curriculums,
                                    Foto: Rolf Schulten

                                                          Allein von all den Orten, von denen die       das außer Mathe und Deutsch jahr-
                                                          Schülerinnen und Schüler berichten,           gangsübergreifende „Expertenkurse“
                                                          klingeln einem die Ohren: Sie waren im        und „Lernateliers“ bereithält, in denen       >>>

                                                                                                                         Erziehung und Wissenschaft | 11/2019
Kulturelle Bildung - Erziehung & Wissenschaft 11/2019 - GEW
8 KULTURELLE BILDUNG

                                                                                                                               Als Pech von dem Projekt erfuhr, war
                                                                                                                               sie ganz neu als Musiklehrerin an der
                                                                                                                               Schule. Sie meldete sich beim Team
                                                                                                                               von Sir Simon Rattle und erklärte, zu-
                                                                                                                               gespitzt formuliert: „Eine Hauptschule
                                                                                                                               in der Ex-DDR – das ist genau, was sie
                                                                                                                               brauchen“; so wurde die Heinz-Brandt-
                                                                                                                               eine von drei beteiligten Schulen. 2009
                                                                                                                               übernahm Pech die Leitung der Schule,
                                                                                                                               die 2011 mit dem Deutschen Schulpreis
                                                                                                                               ausgezeichnet wurde. Die Begründung
                                                                                                                               lobt die „optimistische Grundhaltung“
                                                                                                                               und das „positive Klima“ – und: „Kre-
                                                                                                                               ativität spielt eine große Rolle, Musik,
                                                                                                                               Theater und Tanz werden gepflegt.“ Das
                                                                                                                               war wenige Jahre nachdem die Heinz-

                                                                                                         Foto: Rolf Schulten
                                                                                                                               Brandt-Schule im Rahmen einer großen
                                                                                                                               Berliner Schulreform den Schritt von
                                                                                                                               der Haupt- zur Sekundarschule gemacht
               Svenja Kyncl (li.) unterrichtet an der Carl-Kraemer-Grundschule Kunst. „Rausgehen,                              hatte. Im Rahmen dessen, erinnert sich
               die Stadt erkunden“, sei ein zentraler Teil kultureller Bildung, sagt sie, denn viele                           Pech, „haben wir uns alle gemeinsam
               Kinder würden kaum den Kiez verlassen. Und Schulleiterin Kirsten Sümenicht (re.)                                gefragt ‚Was für ein Ort wollen wir
               betont: „Alles, was wir machen, ist, einem Begabungsbegriff zu folgen, der allen                                sein?‘. Dabei haben wir festgestellt: ‚Wir
               gerecht wird und sich nicht nur an den klassischen Fächern orientiert.“                                         wollen bestmögliche berufliche Orien-
                                                                                                                               tierung bieten. Und wir wollen nicht,
                                                                                                                               dass das alles ist.‘“ Also wurde im Wahl-
         >>>   Kunst und Kultur gelebt werden, zeugt        könnten wir uns sowie die Schülerinnen                             pflichtunterricht parallel zu einem „be-
               von Kreativität; ebenso die Organisati-      und Schüler nie so mit der Welt ver-                               rufsorientierenden Band“ ein „kulturell
               on all der Arbeitsgemeinschaften au-         knüpfen, wie wir es für richtig halten“,                           orientierendes Band“ eingerichtet.
               ßerhalb des Unterrichts. Auf der Positiv-    sagt Sümenicht.                                                    Und nun schlüpft die Schulleiterin an
               seite kann die Schule verbuchen, dass        Sollte es noch eines Beweises dafür be-                            zwei Nachmittagen der Woche in die
               eine gebundene Ganztagsschule Zeit           dürfen, wie wichtig der Input von Men-                             Rolle der Leiterin der AG Schulband.
               und Personal bringt. Für Unterricht und      schen außerhalb der Schule ist, findet der                         Sieht man davon ab, dass mit sieben
               unterrichtsergänzende Zeit zusammen          sich ein paar Kilometer weiter östlich im                          Sängerinnen und Sängern eine gewis-
               kommen auf die 500 Schülerinnen und          Büro der Leiterin der Heinz-Brandt-Schu-                           se Überzahl besteht, kommt die Band
               Schüler rund 100 – allerdings nicht alle     le. Hier arbeitet Miriam Pech, zugleich                            wie eine echte Rockband daher: Gitar-
               Vollzeit arbeitende – Erwachsene: Lehr-      stellvertretende Vorsitzende der Verei-                            re, Bass, Schlagzeug, Keyboard – alles,
               kräfte, Sozial- und Sonderpädagoginnen       nigung Berliner SchulleiterInnen in der                            auch das klassisch, von Jungs gespielt.
               und -pädagogen, Erzieherinnen und Er-        GEW. Fragt man sie, womit die kulturelle                           Wer sich 90 Minuten dazusetzt, stellt
               zieher, Pädagoginnen und Pädagogen           Bildung in der Schule begann, zeigt sie zu                         fest, wie mühsam, aber auch wie zufrie-
               für den Integrationsbereich. Nicht mit-      einem Plakat über ihrem Schreibtisch:                              denstellend das gemeinsame Erleben
               gezählt sind dabei stundenweise anwe-        „Rhythm is it“, steht darauf und erinnert                          ist – weg von der Phase, in der Pech
               sende Künstlerinnen und Künstler.            an das vielleicht öffentlichkeitswirksams-                         sagt, sie höre „alle möglichen Töne –
                                                            te Dokument kultureller Bildung, das in                            ein Cluster nennt man das“ bis zu einer
               Leidenschaft und Disziplin                   Deutschland geschaffen wurde. Über                                 recht stimmigen Version des Imagine-
               Leisten kann die Schule sich das vor         Monate arbeiteten der Chef der Berliner                            Dragons-Songs „Radioactive“.
               allem, weil sie am Bonusprogramm             Philharmoniker, Sir Simon Rattle, und
               der Berliner Bildungsverwaltung teil-        Choreograph Royston Maldoon zu Be-                                 Lernen, laut zu sprechen
               nimmt*. Dieses wurde 2014 ins Leben          ginn des Jahrtausends mit 250 Schülerin-                           Die Acht- und Neuntklässler selbst – die
               gerufen, um Schulen, deren Schülerin-        nen und Schülern daran, Strawinskys „Le                            alle ebenso in der Pubertät sind wie die
               nen und Schüler mehrheitlich Sozial-         Sacre du Printemps“ aufzuführen – und                              Rhythm-is-it-Kandidaten damals – brau-
               leistungen beziehen, einen gewissen          legten bei pubertierenden Jugendlichen,                            chen ein bisschen, um zu erzählen, wie
               Ausgleich zu verschaffen. Liegt der An-      die zuvor weder mit klassischer Musik                              es ihnen damit geht. Doch schließlich,
               teil bei über 75 Prozent, kann die Schule    noch mit Tanz etwas anfangen konnten,                              nachdem es anfangs hieß „Wir müssen
               bis zu 100.000 Euro im Jahr investie-        eine Leidenschaft und Disziplin frei, die                          kommen – Wahlpflicht!“, werden die
               ren – für Material oder Honorare zum         nicht wenigen Zuschauern die Tränen in                             Jungs deutlicher: „Wenn am Ende etwas
               Beispiel. „Ohne dieses zusätzliche Geld      die Augen trieben.                                                 Gutes dabei herauskommt, ist das ein

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geiles Gefühl.“ „Vor 700 Leuten und all       tische Unterstützung und die Koordinati-    zum Teil in ihrer Freizeit“, sagt sie. Pech
den Eltern zeigen zu müssen, was man          on mit den Externen zur Seite steht.        erklärt: „Jeder, der sich engagiert, be-
kann, und zusammenzuhalten, ist schon         Dabei, sagt Kunstlehrerin Alexandra         kommt dafür Stunden – soweit das im
etwas ganz Besonderes.“ Einer gesteht         Kersten, sei wichtig, gut zu entscheiden,   Rahmen der ‚Zumessungsrichtlinien‘
freimütig, er mache in der Band-AG            welche Kooperationen man eingeht:           eben möglich ist.“
mit, um „ein bisschen selbstständiger“        „Es muss inhaltlich zu den Schülerinnen     Und so ist auch hier, mit viel Jonglage
zu werden, und „besser und ein biss-          und Schülern wie zu den Lehrkräften         und hohem Einsatz, etwas ganz Beson-
chen lauter vor anderen sprechen zu           passen – und strukturell.“ Und damit zu     deres entstanden. „Wir schaffen etwas,
können“. Damit trifft er einen zentralen      einer Schule, die grob an die Zeiten von    was wir für unerlässlich halten“, sagt
Grund dafür, dass die Schule kulturelle       8 bis 16 Uhr gebunden ist und jeden         Kersten, „im Grunde ist das Teil unse-
Bildung so wichtig findet: sich präsen-       Austausch mit der Welt draußen auch         res Lohns.“ Pech ergänzt: „In den Köp-
tieren können, eigene Ausdrucksfor-           organisatorisch leisten muss. Kersten:      fen der Kinder passiert etwas, das PISA
men finden – und eine Art Lesekom-            „Es gibt Programme, die können wir als      nicht messen kann. Das umzusetzen, ist
petenz entwickeln in einer Welt, die          kleine Schule vom Aufwand her nicht         nicht immer leicht.“
stärker als je zuvor medial geprägt ist.      stemmen.“ Und das, obwohl sich die
Auch die Heinz-Brandt-Schule unterhält        Heinz-Brandt-Schule eine gute Struktur      Jeannette Goddar,
eine ganze Reihe Kooperationen: mit der       hat einfallen lassen, um kulturelle Bil-    freie Journalistin
Jugendmusikschule Pankow und dem              dung zu verankern. Kersten ist als „Kul-
Deutschen Theater Berlin, dem Aus-            turbeauftragte“ erste Ansprechpart-
stellungsort KunstWerke und dem Jüdi-         nerin; unterstützt vom „Culture Club“,      *bit.ly/berlin-bonus-programm
schen Friedhof Weißensee zum Beispiel.        einem achtköpfigen Team aus jenen           **Von 2011 bis 2019 wurden durch
Eine ständige Begleiterin ist zudem eine      Lehrkräften, die sich besonders für kul-    das Programm „Kulturagenten für
Kulturagentin, die der Schule dank des        turelle Bildung interessieren. Konkret      ­kreative Schulen“ rund 250 Schulen in
2011 von mehreren Stiftungen gestar-          bedeutet das: Alle zwei Wochen setzt         fünf ­Bundesländern gefördert. Über
teten Landesprogramms „Kulturagenten          sie sich mit der Kulturagentin, dem          50 Kulturagentinnen und -agenten
für kreative Schulen Berlin“** zur Seite      Kopf des „Culture Club“ und der Schul-       vernetzten in Baden-Württemberg,
steht. Anfangs, erinnert sich Pech leicht     leitung zusammen; etwa alle sechs            Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen
wehmütig, hätte es durch das Programm         Wochen mit dem gesamten Culture-             und Thüringen Schulen mit Partnern
sogar finanzielle Unterstützung in fünf-      Club-Team. Die zwei Ermäßigungsstun-         aus Kunst und Kultur. Sie entwickel-
stelliger Höhe gegeben. Heute gibt es         den, die sie bekommt, dürften damit          ten künstlerische Angebote für über
nur noch – aber immerhin – je eine Kul-       erschöpft sein – die Arbeit ist es eher      100.000 Schülerinnen und Schüler:
turagentin für drei Schulen, die für logis-   nicht. „Alle, die mithelfen, machen das      www.kulturagenten-programm.de

                Miriam Pech (Mitte) leitet die Heinz-Brandt-Schule in
                Berlin-Weißensee. Zweimal in der Woche schlüpft sie in
                die Rolle der Dirigentin der Schulband.

                                                                                                                                                          Foto: Kay Herschelmann

                                                                                                               Erziehung und Wissenschaft | 11/2019
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                „Kraftfutter für Kinderhirne“

                    Unter den Schülerinnen und Schülern seien immer wieder
                    „echte Supertalente“, sagt Dozent Georg Wissel von
                    der Offenen Jazz Haus Schule in Köln. Ob die erkannte
                    Begabung weiter gefördert werden kann, hänge
                    allerdings von den Möglichkeiten und Angeboten

                                                                                                                                                  Foto: Dirk Jeske
                    der weiterführenden Schule ab.

                 // Rund elf Millionen Euro lässt            von der Partie. So wie inzwischen lan-      („JeKits-Orchester“), Tanzen („JeKits-
                 sich Nordrhein-Westfalen (NRW)              desweit mehr als 1.000 Schulen. JeKits      Tanzensemble“) oder Singen („JeKits-
                 das Programm „JeKits – Jedem                ist das größte Programm für kulturel-       Chor“).
                 Kind Instrumente, Tanzen, Singen“           le Bildung in NRW. Schulen, die sich
                 jährlich kosten. Eine sinnvolle             bewerben wollen, suchen sich einen          Kreativ ohne Notendruck
                 Investition? Oder profitieren               Partner aus der Musikszene. Der stellt –    Frank Großmann koordiniert das Pro-
                 am Ende doch nur Kinder aus                 vorausgesetzt, die Schule erhält den        gramm an der KGS Horststraße. Er ist
                 bildungsbürgerlichen Familien?              Zuschlag – nicht nur das Fachpersonal,      überzeugt: „Viele Kinder kommen in
                 (Ein)Blick in den (Schul)Alltag. //         das wöchentlich in der Schule mit den       Kontakt mit Musik, denen es sonst nie
                                                             Kindern singt, musiziert oder tanzt, son-   und in dieser intensiven Form möglich
                 Mittwochmorgen in Köln-Mülheim. In          dern auch die Instrumente. Die dürfen       gewesen wäre. Sie können kreativ sein,
                 der Katholischen Grundschule (KGS)          die Grundschülerinnen und -schüler          andere Stärken zeigen und vor allem
                 Horststraße wird es lebendig. 25 Zweit-     auch zu Hause nutzen.                       ohne Notendruck agieren.“ Beerkircher
                 klässlerinnen und -klässler stürmen in      Die Teilnahme an JeKits 1 ist an den aus-   will es präzise wissen: „Wer von euch
                 den Musikraum im Kellergeschoss. Gut        gewählten Schulen für den Klassenver-       spielt zu Hause ein Instrument und be-
                 gelaunt werden sie von Ralph Beerkir-       band verbindlich. Und kostenlos. Wer        kommt Unterricht?“, fragt er die Zweit-
                 cher erwartet. Gemeinsam mit Klassen-       bei JeKits 2 ein Schuljahr später erneut    klässler an diesem Morgen. Das Ergeb-
                 lehrerin Janine Winne führt der Mitar-      dabei sein will, muss im Schwerpunkt        nis: Gerade einmal zwei Hände gehen in
                 beiter der Offenen Jazz Haus Schule die     Instrumente 23 Euro, im Schwerpunkt         die Höhe.
                 Kinder 45 Minuten lang in die Welt der      Tanzen 17 und im Schwerpunkt Singen         Die enorme Bedeutung von Musik und
                 Noten und Instrumente, des Singens          zwölf Euro monatlich bezahlen. Es sei       Bewegung für die Entwicklung von
                 und Musizierens ein. Ein Schuljahr lang     denn, soziale Gründe sprechen dage-         Kindern ist wissenschaftlich erwiesen.
                 steht für sie jeden Mittwoch JeKits 1 auf   gen. Kinder, deren Eltern Sozialleistun-    „Kraftfutter für Kinderhirne“ nennt es
                 dem Stundenplan.                            gen beziehen, sind kostenfrei dabei.        der Neurobiologe Professor Gerald
                 Seit die Landesregierung das Programm       Während JeKits 1 eine musikalische          Hüther. Kinder, die regelmäßig singen,
                 2015 startete, ist die Schule, die in ei-   oder tänzerische Grundbildung bietet,       tun sich bei der Einschulung nachweis-
                 nem Stadtteil liegt, der gerne als sozi-    dient das zweite Jahr der Vertiefung        lich leichter, zeigte eine Studie der Uni-
                 aler Brennpunkt bezeichnet wird, mit        in den Schwerpunkten Instrumente            versität Bielefeld schon vor Jahren*.

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Singen fördert den Spracherwerb          leisten er, seine Kolleginnen und
und die Entwicklung des logisch-         Kollegen sowie die Lehrkräfte oft
mathematischen Verständnisses,           genug Überzeugungsarbeit, damit
macht glücklich und hilft, Aggressi-     das Kind sein Potenzial auch nach
onen abzubauen.                          Abschluss von JeKits entfalten
Die JeKits-Stunde von Beerkircher        kann. Wissel: „Nicht immer gelingt
belegt die Thesen in der Praxis. Die     das, aber wir tun unser Bestes.“ Al-
Kinder sind begeistert. Sie hängen       lerdings weiß er auch, dass es von
ihrem „Lehrer“ und ihrer Klassenleh-     den Möglichkeiten und Angeboten
rerin, die sich vorab über die Stunde    der weiterführenden Schule ab-
verständigen, an den Lippen. Er-         hängt, ob die erkannte Begabung
staunlich schnell entwickeln sie ein     weiter gefördert werden kann.
Gefühl für Rhythmus, hohe und tiefe      In diesen Einrichtungen wird das
Töne. Zuerst hören sie zu, dann ent-     Programm, das von der in Bochum
wickeln sie in Tandems gemeinsame        ansässigen JeKits-Stiftung getragen
Klatschrhythmen. Viel zu schnell         wird, nicht angeboten. Es richtet
sind die 45 Minuten verflogen. Die       sich ausschließlich an Grund- und
Frage, ob es ihnen gefallen habe,        Förderschulen. Erreicht werden
beantworten die Kinder im Chor:          rund zwei Drittel aller Grundschü-
„Ja!“ Und warum? Der achtjährige         lerinnen und -schüler in 177 Kom-
Atilla bringt es auf den Punkt: „Weil    munen des Landes. Auf das größte
es cool ist, ein eigenes Instrument      Interesse stößt der Schwerpunkt
und ein Hobby zu haben.“                 Instrumente, gefolgt von Singen
                                         und Tanzen. Tanja Senicer, Spre-
Der soziale Aspekt greift                cherin der Stiftung, hebt einen
Die Vorfreude steht den Kindern          weiteren wichtigen Aspekt von
ins Gesicht geschrieben. Denn der        JeKits hervor: „Die Musikschulen
Traum, ein Instrument – wenn             und Tanzinstitutionen öffnen sich
auch nur vorübergehend – gelie-
hen zu bekommen, ist geradezu
                                         noch stärker nach außen und ge-
                                         hen in die Lern- und Lebenswelt
                                                                                           Höchste Zeit, …
greifbar nahe. Nicht zeitlich, der       der Kinder. Das gibt einen wichti-
„Grundkurs“ ist schließlich gerade       gen Impuls für die kommunale Bil-
ein paar Wochen alt, aber im ganz        dungslandschaft.“ Aktuell sind so
wörtlichen Sinn. Im Musikraum            139 Musikschulen oder Tanzinsti-
sind sie aufgereiht: die Gitarren,       tutionen an über 1.000 beteiligten
Saxophone und Posaunen. Rund             Schulen eingebunden. Tandem-
zwei Drittel der Grundschülerin-         Arbeit auf Augenhöhe wird erlebt
nen und -schüler und ihrer Eltern        und gelernt, Fortbildungen berei-
an dieser Schule entscheiden sich        chern das Repertoire der Lehrkräf-
dafür, auch bei JeKits 2 dabei zu        te, Arbeit mit größeren Gruppen je-
sein. Landesweit liegt die Quote         nes der externen „Lehrer“. Senicer:
bei etwa einem Drittel. Rund die         „Eine Win-Win-Situation für alle.
Hälfte von ihnen kann dies tun,          Vor allem aber eben für die, um die
ohne einen Euro zu bezahlen. Der         es uns geht: die Kinder.“
soziale Aspekt greift.
Er beschert einen wertvollen und         Stephan Lüke,
gewollten Nebeneffekt. Manch ein         freier Journalist
Talent werde entdeckt, berichtet
Georg Wissel. Er gehört ebenfalls                                                                                                        Krankenversicherungsverein a. G.
der Offenen Jazz Haus Schule an.         *Thomas Blank (Uni Bielefeld)
                                                                                           … dass Sie sich jetzt von den Vorteilen der Debeka-Krank-
„Sowohl bei den Mädchen als auch         und Karl Adamek (Uni Münster):                    heitskostenvollversicherung überzeugen, wie z. B. bedarfs-
                                                                                                                                                         Info
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wahrscheinlich nie entdeckt wor-         Konzept zum Praxistransfer“, 2010;                Wir informieren Sie gerne.              anders als andere

den.“ Im Gespräch mit den Eltern         bit.ly/singen-ist-kraftfutter

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                „Wo findest du die
                schönen Worte?“
                 // Theater, Musik und Kunst                 Pausenhofgespräche zeigen ihm, dass        auf dem ländlichen Raum liegt. Es geht
                 können Kindern neue Welten öff-             er sein Ziel schon erreicht hat, nämlich   dabei nicht nur um Kulturvermittlung,
                 nen. Aber es braucht besondere              Kindern eine Tür zu Kunst und Kultur       sondern auch um Sprachförderung.
                 Ansätze, damit auch benachtei-              aufzustoßen.                               „Wir erzählen Geschichten. Das funk-
                 ligte Kinder und Jugendliche von                                                       tioniert wunderbar als gemeinsame
                 kultureller Bildung profitieren. //         Empathie stärken                           Basis – egal ob ein Kind polnische Wur-
                                                             Becker und das Spielraum-Theater sind      zeln hat, es vor kurzem aus Afghanistan
                 Wenn Stefan Becker im Kasseler Stadt-       dort, wo viele Familien andere Sor-        gekommen ist oder Deutsch seine Mut-
                 teil Bettenhausen unterwegs ist, kommt      gen haben als Karten für die nächste       tersprache ist“, sagt Becker. Das Stück
                 er nur langsam ans Ziel – zumindest, was    Opernpremiere zu bekommen oder             für die Kita Sonnenblume („Von Kisten
                 den konkreten Ort betrifft. Der Theater-    Museumsbesuche zu organisieren. Die        und Kissen“), gespielt von Gisela Honens
                 macher besucht heute die Kita Sonnen-       Documenta-Stadt Kassel hat erkannt,        und Jutta Damaschke, kommt völlig ohne
                 blume. Auf dem Weg dorthin liegt die        dass kulturelle Bildung zu den Menschen    Sprache aus, trotzdem verstehen selbst
                 Ganztagsgrundschule Am Lindenberg.          vor Ort kommen muss, nicht umgekehrt.      die Kleinsten sofort, worum es geht: um
                 Die Kinder erkennen ihn sofort und          Seit einem Jahr ist deshalb das Spiel-     Spiel und Freundschaft, aber auch um
                 wollen wissen, wann er das nächste Mal      raum-Theater mit seinen Stücken an         das tägliche Aushandeln von Regeln.
                 zu ihnen kommt. Das dauert. Aber der        Ganztagsgrundschulen und seit elf Jah-     In den Grundschulen sind die Stücke
                 Schauspieler hat es nicht eilig. Denn die   ren in Kitas unterwegs, wobei der Fokus    entsprechend dem Alter der Kinder an-

                                                                                                           Das Kasseler Spielraum-Theater
                                                                                                           gastiert mit seinen Stücken an
                                                                                                           Ganztagsgrundschulen und in
                                                                                                           Kitas. Es geht dabei nicht nur
                                                                                                           um Kulturvermittlung, sondern
                                                                                                           auch um Sprachförderung. Das
                                                                                                           aktuelle Stück ist ein clowneskes
                                                                                                           Vergnügen.

                                                                                                                                                   Foto: Mike Wilfling

    Erziehung und Wissenschaft | 11/2019
KULTURELLE BILDUNG            13

spruchsvoller, aber immer mit dem-         gegeben? Professor Eckart Liebau
selben Fokus: Emotionen wecken,            vom Rat für Kulturelle Bildung warn-
Empathie stärken und Sprachanläs-          te nach der Vorstellung der Studie:
se schaffen. Becker ist überzeugt,         „Wir haben es mit großen Unter-
dass sein Konzept funktioniert,            schieden zwischen den Schulformen
denn er beobachtet seit Jahren             zu tun, mit kulturellen Bildungs-
die Reaktionen der Kinder. Kürzlich        verläufen, die kaum durchbrochen
hat ihn ein Zweitklässler aus Syrien       werden können. Dass Kinder und
gefragt: „Du hast immer so schöne          Jugendliche aus bildungsfernen
Worte in deinem Theater. Wo fin-           Elternhäusern den künstlerischen
dest du die bloß?“                         Vorsprung ihrer Altersgenossen in
Niemand kann seriös vorhersagen,           der Schule aufholen könnten, lassen
ob dieser Grundschüler später zum          die Daten nicht erkennen.“
regelmäßigen Theaterbesucher               Reinwand-Weiss war als Expertin
wird. Aber das ist auch nicht das          an der Studie beteiligt. Sie nennt
primäre Ziel. Es gibt viele Indizien       die Befunde „charakteristisch für
dafür, dass Theater Sprache und            das deutsche Bildungssystem“, bei
Ausdrucksfähigkeit fördert – so            dem soziale Herkunft und Bildungs-
wie Tanz die Motorik und Raum-             erfolg eng gekoppelt sind. Auch
erfahrung unterstützt. Wie genau           ein Großteil der Kulturangebote in
kulturelle Bildung aber auf welche         Deutschland konzentriert sich ihrer
                                                                                                                                        SCHUTZ
Zielgruppe wirkt, ist eine sehr viel       Ansicht nach auf die Zielgruppe der                                            VERSICHERUNGS
                                                                                                                                            !
komplexere Frage.                          bildungsnahen Akademikerschicht.                                                  BIS 67 MÖGLICH
                                           „Sie wenden sich an das Publikum,
Herkunft entscheidend                      das von sich aus ins Museum, Kon-
„Wir können die Wirkung ja nicht im        zert oder Theater kommt.“              Nutzen Sie unsere attraktiven
Labor beobachten“, sagt Vanessa
Reinwand-Weiss von der Universi-
                                           Für andere Familien sind die Hür-
                                           den hoch. Das schicke Theater in       Sonderkonditionen
tät Hildesheim. Die Professorin für        der Innenstadt bleibt ihnen so fern
kulturelle Bildung spricht deshalb         wie Kafkas Schloss dem Protago-
                                                                                  Dienstunfähigkeitsversicherung
auch nicht von „messen“, wenn es           nisten K. Um diesen Mechanismus        Berufsunfähigkeitsversicherung
um die Wirksamkeit kultureller Bil-        zu durchbrechen, hat unter ande-
dung geht. Was nicht heißt, dass es        rem das Bundesbildungsministe-
keine Effekte gibt: „Es gibt klare Hin-    rium 2013 ein neues Programm
weise, dass kulturelle Angebote die        aufgelegt. „Kultur macht stark“ un-
Bildungsaspiration, also das Streben       terstützt außerschulische Koope-       Sicherheit für den Fall der Dienst- oder Berufsunfähigkeit
von Kindern und Jugendlichen nach          rationen, die ihre Zielgruppe genau
                                                                                  ist wichtig! Denn dieses Risiko wird oft unterschätzt. Die
Bildung positiv beeinflussen.“             im Blick haben. Das A und O dabei:
Allerdings profitieren Kinder und          Zugänge schaffen. „Es nützt nichts,
                                                                                  HUK-COBURG bietet Ihnen Sonderkonditionen bei Neu-
Jugendliche nicht in gleichem Maße         einen Flyer auszulegen, es geht nur    abschluss einer Dienst- oder Berufsunfähigkeitsversicherung.
von kultureller Bildung. Das zeigte        mit aufsuchender Kulturarbeit“,        Damit sparen Sie über die gesamte Laufzeit bares Geld!
unter anderem eine repräsenta-             sagt Reinwand-Weiss: „Das heißt:
tive, bundesweite Umfrage unter            Eltern einbinden und kulturelle        Sprechen Sie mit uns. Wir beraten Sie gerne auch persönlich
Schülerinnen und Schülern der              Bildung eng an die Lebenswelt der      vor Ort: Die Adressen unserer Geschäftsstellen finden Sie in
9. und 10. Klassen, die der Rat für        Kinder und Jugendlichen koppeln.“
                                                                                  Ihrem örtlichen Telefonbuch unter „HUK-COBURG“ oder unter
Kulturelle Bildung vor vier Jahren
in Auftrag gegeben hatte. Das er-          Katja Irle,
                                                                                  www.HUK.de/Ansprechpartner
nüchternde Ergebnis: Jugendliche           freie Journalistin
aus bildungsfernen Familien haben
zum Ende der Schulzeit mit hoher
Wahrscheinlichkeit sowohl weniger          Quellen/Literatur:
Kenntnisse als auch Interesse an           Rat für Kulturelle Bildung: Jugend/
Kunst und Kultur als Gleichaltrige         Kunst/Erfahrung, Horizont 2015
aus Akademikerfamilien.                    Vanessa Reinwand-Weiss:
Verstärkt also kulturelle Bildung          Wirkungsnachweise in der
den sogenannten Matthäus-Effekt?           Kulturellen Bildung, 2015,
Wer schon hat, dem wir noch mehr           bit.ly/wirkungsnachweise-kubi
14 KULTURELLE BILDUNG

                                                Qualifikation:
                                                Ex-Klassenkasper und
                                                In-Hefte-Kritzler
                                                // Wie und warum wird man Künstler? Kann man

                                                                                                                                                                               Karikatur: Freimut Woessner
                                                Künstler in der Schule lernen? Fragen an den Kari-
                                                katuristen Freimut Woessner. //

                                                E&W: Sie haben zunächst Psychologie studiert, dann aber
                                                einen Zeichenkurs an der Volkshochschulschule in Berlin-
                                                Schöneberg besucht. Warum sind Sie anschließend Karika-
                                                turist geworden?
                                                Freimut Woessner: Ich war auf der Suche nach dem Sinn           und womöglich davon leben zu können. Qualifikation: Ex-
                                                unseres rätselhaften Daseins. Ergebnis nach acht Semestern      Klassenkasper und In-Hefte-Kritzler.
                                                und einem Vordiplom: minus Nullkommanull. Dann kam eine         E&W: Welche Rolle hat der Kunstunterricht in der Schule für
                                                Zeit des Rumprobierens, Umherziehens und Sich-Durchschla-       Ihre Entscheidung gespielt, eine künstlerische Laufbahn ein-
                                                gens – schließlich dann als Taxifahrer in Berlin. Und so ganz   zuschlagen?
                                                allmählich entwickelte sich der Traum, mit Bleistift, Papier,   Woessner: Eine positive – durch Abwesenheit von Wissens-
                                                Radierer, Feder und Tusche und einem Aquarellkasten meine       vollstopfung. Das war noch die selige Zeit, als man im Kunst-
                                                eigenen Welten zu erschaffen – sinnvolle und unsinnvolle –      unterricht tatsächlich frei und ohne großen Notendruck
                                                                                                                zeichnen und malen konnte! Mit Spaß, mit Freude! Und das
                                                                                                                an einer staatlichen Schule! Bis zum Abi gab es keinen einzi-
                                                                                                                gen Test! Eher gaben die anderen Fächer und deren Vermittler
                                                                                                                Anlass zu zeichnerischer Fort-Bildung – nämlich fort vom Fach
                                                                                                                und rein in die Traumwelt. Meine tiefe Überzeugung: Bei den
                                                                                                                musischen Fächern sollte nur die Mitarbeit benotet werden,
                                                                                                                ansonsten sollte man zeichnen, malen, singen oder sonstwie
                                                                                                                Töne erzeugen zur reinen Freude am Dasein – der wichtigste
                                                                                                                   Lerninhalt überhaupt.
                                                                                                                    E&W: Welches Kunstwerk, welches Theaterstück, welche
                                                                                                                    Oper, welchen Kinofilm oder welches Buch haben Sie nie
                                                                                                                    verstanden?
                                                                                                                   Woessner: Als Kind habe ich nie etwas verstanden, ich
                                                                                                                  war immer nur schwer beeindruckt von allem – mit runter-
                                                                                                                 geklapptem Unterkiefer und großen Augen. Viel später bei
                                                                                                                    den Büchern waren es die Bibel, der Koran und das Kapi-
                                                                                                                      tal – einfach schon deshalb, weil ich sie bis heute noch nie
                                                                                                                       ganz gelesen habe, vor allem letzteres.
                                                                                                                       E&W: Multitalente wie Peter Ustinov, der Schauspie-
                                                                                                                        ler und Synchronsprecher, Regisseur, Bühnenbildner,
                                                                                                                        Karikaturist sowie Oboe- und Flötenspieler (auch ohne
                                                                                                                       Oboe und Flöte!) war, findet man in der Kulturwelt sel-
                                                                                                                      ten. Welche Kunst, die Sie nicht beherrschen, möchten
                                                                                                                       Sie unbedingt noch erlernen?
                                                                                                                       Woessner: Dichten mit Reim und Versmaß, aber das kann
                                                                                                                       man nicht lernen, das muss man bei der Geburt schon
              Selbstporträt: Freimut Woessner

                                                                                                                       mitgebracht haben. Aber dann: Orgelspielen, auch mit
                                                                                                                      den Beinen, dann könnte ich endlich meinen Bach schön
                                                                                                                    langsam spielen und er würde nicht so artistisch runterge-
                                                                                                                  rattert, wie heutzutage üblich.

                                                                                                                Interview: Jürgen Amendt,
                                                Freimut Woessner                                                Redakteur der „Erziehung und Wissenschaft“

    Erziehung und Wissenschaft | 11/2019
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          Erziehung und Wissenschaft
16 KULTURELLE BILDUNG
                 Allein an den Oberschulen in Sachsen werden jedes Jahr etwa
                 30 bis 40 neue Musiklehrerinnen und -lehrer benötigt; an den
                 Gymnasien sind es mindestens noch einmal so viel. Doch gerade
                 einmal 52 fertig ausgebildete Musiklehrkräfte verließen 2018
                 die beiden Unis für Musik in Dresden und Leipzig.

                                                                                                                                                Foto: mauritius images/pa/Frank May
                Hast du Töne?
                 // Allerorten in Deutschland fehlt         „Viele unterschätzen den Knochenjob          Missklänge ist kaum zu erwarten: An-
                 es an Lehrerinnen und Lehrern              und sind schnell überfordert.“               gesichts der hohen Zahl der Lehrkräfte,
                 für die Fächer Musik und Kunst.            Ganz neu ist der Befund nicht. „Ich ken-     die jedes Jahr in Rente gehen, wird der
                 Das Beispiel Sachsen zeigt: Viele          ne keine Zeit, in der Lehrkräfte für Musik   Personalbedarf für die kulturelle Bil-
                 Probleme sind nicht neu – und              und Kunst nicht gefehlt hätten, sogar in     dung auch in Zukunft nicht zu decken
                 oft sind sie hausgemacht. //               der DDR“, sagt Kruse, die in den 1980er-     sein. Nach Daten des Kultusministeri-
                                                            Jahren Lehrerin war. „Musik und Kunst        ums werden allein an den Oberschulen
                 Die schiefen Töne sind überall aus der     sind Fächer, die in der bildungspoliti-      jedes Jahr etwa 30 bis 40 neue Lehre-
                 Republik zu hören: Musikunterricht in      schen Diskussion in Sachsen deutlich         rinnen und Lehrer für Kunst und ebenso
                 der Krise! Stirbt der Musikunterricht      unterbewertet sind“, beklagt die Lan-        viele für Musik benötigt. An den Gym-
                 aus? Kunst und Musik fallen einfach        desvorsitzende. Seit den 1990er-Jahren       nasien sind es in beiden Fächern min-
                 aus! So titeln Regionalzeitungen aller-    sei die Bildungspolitik des Freistaates      destens noch einmal so viel. Eine Lücke,
                 orten, egal ob in Bayern, Niedersachsen    stark auf Mathematik und Naturwissen-        die von den Hochschulen des Landes
                 oder Brandenburg. In Sachsen, das seit     schaften fokussiert. „Sachsen setzt gute     kaum zu schließen ist.
                 ein paar Jahren mit grassierendem Lehr-    Schulleistungen mit guten Ergebnissen        Gerade einmal 52 fertig ausgebildete
                 kräftemangel zu kämpfen hat, kennt         in den MINT-Fächern gleich“, sagt Kru-       Musiklehrkräfte verließen 2018 laut
                 man das Problem zur Genüge. „Die Per-      se. „Aber zur Bildung gehören auch so-       Wissenschaftsministerium die beiden
                 sonaldecke ist einfach zu dünn“, sagt      ziale und künstlerische Fertigkeiten.“       Unis für Musik in Dresden und Leipzig.
                 die GEW-Landesvorsitzende Uschi Kru-       Für Kinder aus bildungsfernen Familien       In den Jahren zuvor waren es meist so-
                 se. Die Folge: Entweder die Stunden fal-   sei die Schule sogar oft der einzige Ort,    gar nur 20 bis 30 Absolventinnen und
                 len gleich ganz aus – spätestens wenn      an dem sie einen Zugang zu Musik und         Absolventen. Hinzu kommen zwar die
                 die einzige Lehrkraft des Faches an der    Kunst bekommen. Und nicht selten ent-        Grundschullehrkräfte mit dem Wahl-
                 Schule krank wird. Oder es wird ver-       deckten Schülerinnen und Schüler gera-       fach Musik, doch das Defizit ist offen-
                 sucht, die Versorgung des Unterrichts      de in diesen Bereichen ihre Talente, mit     sichtlich. In Kunst sieht es kaum besser
                 mit Seiteneinsteigern abzudecken. Mal      denen sie schwächere Fächer kompen-          aus: Das Statistische Landesamt zählte
                 gibt eine Opernsängerin an einer Ober-     sieren können.                               voriges Jahr 547 Studierende mit einem
                 schule die dringend benötigten Musik-                                                   künstlerischen Abschluss – die aber in
                 stunden, mal ein Kirchenkantor an ei-      Hohe Zugangshürden                           vielen Kunst-Bereichen eine Heimat su-
                 nem Gymnasium. „Ohne den einzelnen         Aktuell arbeiten an Sachsens 1.154 öf-       chen.
                 Kollegen ihr Engagement abzusprechen,      fentlichen Grund- und Oberschulen so-        Der Mangel an Nachwuchs für die Leh-
                 stellt sich bei den Seiteneinsteigern      wie Gymnasien rund 2.260 Lehrkräfte          rerzimmer ist dabei – nicht nur aus
                 doch die Frage der pädagogischen Qua-      als Kunstlehrer sowie 2.200 Lehrkräfte       Sicht der GEW – oft hausgemacht:
                 lifikation und Kompetenz“, sagt Kruse.     als Musiklehrer. Doch ein Verhallen der      durch zu hohe Zugangshürden an den

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KULTURELLE BILDUNG   17

Kunsthochschulen. Schon 2012 monier-      drücklich berücksichtigt werden. „Dies    ter Christian Piwarz (CDU), würden die
te die Kultusministerkonferenz (KMK)      entspricht auch dem ureigenen Inter-      Ausgaben für Ganztagsangebote deut-
„dringenden Handlungsbedarf“: Das         esse der Kunst- und Musikhochschulen      lich erhöht. Parallel schloss das Mi-
Fach Musik, so die KMK, gehöre zu den     an der Heranbildung geeigneten künst-     nisterium eine Rahmenvereinbarung
„besonderen Bedarfsfächern“ in allen      lerischen Nachwuchses“, hieß es 2012.     mit dem Sächsischen Musikrat. Deren
Schulzweigen und werde oft fachfremd      Passiert ist bisher wenig. Kruse jeden-   Ziel: Ganztagsangebote für Musik sol-
unterrichtet. In einem dringenden         falls kann sich zwar gut an den Aufruf    len durch Kooperationsprojekte mit
Appell riefen die Kultusminister die      der KMK erinnern – nicht aber an einen    Musikpädagogen und Künstlern auch
Kunst- und Musikhochschulen auf, bei      hörbaren Widerhall: „Ich wüsste nicht,    ohne Lehramtsabschluss ausgebaut
der Zulassungspraxis „stärker zwischen    dass der Appell an den Hochschulen in     werden. Für Kruse ist diese politische
künstlerisch und pädagogisch orientier-   Sachsen gefruchtet hätte.“                Komposition aber nur ein schwacher
ten Bewerberinnen und Bewerbern zu                                                  Trost: Viele Kinder erreiche man trotz-
unterscheiden“. Denn für die pädago-      Kürzung der Stunden                       dem nicht, da Ganztagsangebote frei-
gisch interessierten Bewerber gelten in   Der Freistaat verfolgt indessen eine      willig seien.
der Regel die gleichen, hohen Anforde-    andere Strategie. So wird seit diesem     Wie wichtig die Fächer Musik und Kunst
rungen wie für angehende Spitzenmu-       Schuljahr in Klasse 3 eine Unterrichts-   tatsächlich sind, hatten dabei auch die
siker an großen Opernhäusern und in       stunde weniger Musik erteilt, am Gym-     Kultusminister 2012 deutlich gemacht.
Orchestern.                               nasium wurde Musik in Klasse 8 von        In ihrem Beschluss betonten sie, dass
Die Aufnahmeprüfungen für lehramts-       zwei auf eine Stunde gekürzt. Gleich-     musische Bildung eine wichtige Voraus-
bezogene Studienplätze, so die KMK,       zeitig mit den überarbeiteten Stunden-    setzung zur Teilnahme am kulturellen
sollten daher stärker an die Anforde-     tafeln sollen die Schulen mehr Geld für   Leben und für das Zusammenleben in
rungen des Lehrerberufs angepasst         Ganztagsangebote bekommen. Um die         unserer Gesellschaft sei.
werden. Die pädagogischen Fähigkeiten     Lebenskompetenz der Schülerinnen
und Potenziale sollten neben den mu-      und Schüler vor allem in Sport, Musik     Sven Heitkamp,
sikalisch-künstlerischen Talenten aus-    und Kunst zu fördern, so Kultusminis-     freier Journalist

EUROPA ENDLICH VERSTÄNDLICH - IN 30 MINUTEN

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