KUNST KULTUR BILDUNG AUF DEN PUNKT III/III - KULTURPOLITISCHE HANDREICHUNG
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AUF DEN PUNKT III/III KUNST KULTUR BILDUNG KULTURPOLITISCHE HANDREICHUNG
INHALT VORWORT 4 Prof. Dr. Eckart Liebau, Vorsitzender des Rates für Kulturelle Bildung GRUSSWORT 6 Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder KULTURELLE BILDUNG ALS ÖFFENTLICHES GUT 9 BILDUNGSLANDSCHAFT 10 Prof. Diemut Schilling, Künstlerin TEIL I: HANDREICHUNG KUNST • KULTUR • BILDUNG KUNST, KULTUR, BILDUNG: GESTALTUNGSRAUM 14 KULTURELLER BILDUNG DREI SCHLAGLICHTER 25 Kultureinrichtungen 26 Digitaler Wandel 36 Netzwerke und Kooperationen 46 DREI EMPFEHLUNGEN 56 DER RAT FÜR KULTURELLE BILDUNG 58 TEIL II: GEDANKENSTRICHE BEITRÄGE DER RATSMITGLIEDER M it Beiträgen von Eckart Liebau, Benjamin Jörissen, 63 Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss, Jürgen Schupp, Mustafa Akça, Florian Höllerer, Johannes Bilstein und Diemut Schilling ANHANG Endnoten 82 Beteiligte 86 Impressum 96
Kultureller Bildung eingeladen, sich als Critical Friends2 kommentierend Vorwort und kritisch zu den Themen der Handreichung zu äußern und haben Hea- „Auf den Punkt“ lautet der Titel der Publikationsreihe des unabhängigen rings mit Fachleuten3 aus Kultureinrichtungen, -förderung und -forschung Expertengremiums Rat für Kulturelle Bildung, die sich in drei Handrei- geführt. Im zweiten Teil finden sich als „Gedankenstriche“ die individu- chungen vorrangig an Entscheidungsträgerinnen und -träger1 in Politik ellen Perspektiven von Ratsmitgliedern auf Kunst, Kultur und Bildung. und Verwaltung sowie der Zivilgesellschaft richtet. Die Handreichungen Kulturelle Bildung als öffentliches Gut betrifft verschiedene Zustän- sollen dazu dienen, das im Rat für Kulturelle Bildung erarbeitete Wissen digkeiten und Ressorts. Daher sind dieser Publikation eine bildungs- und auf aktuellem Stand in übersichtlicher Weise zusammenzufassen und eine jugendpolitische Handreichung vorangegangen. Mit der kulturpo- Impulse für Politik und Gesellschaft zu geben. Unser Thema hier: das Ver- litischen Handreichung als letzter Publikation des Expertenrats wird die hältnis zwischen Kunst, Kultur und Bildung als kulturpolitische Grund- Bündelung der Ratsergebnisse abgeschlossen. satzfrage. Dazu finden Sie ein einführendes Kapitel sowie drei themati- sche Schlaglichter und Handlungsempfehlungen. Dank Die Arbeit des Rates für Kulturelle Bildung ist durch das langjährige Engagement der fördernden Stiftungen im Rat für Kulturelle Bildung e. V. Kunst, Kultur, Bildung Der Rat für Kulturelle Bildung hat sich in seinen Denkschriften, Studien (Bertelsmann Stiftung, Deutsche Bank Stiftung, Karl Schlecht Stiftung, und anderen öffentlichen Äußerungen kontinuierlich mit Kultureinrich- PwC-Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stiftung Kunst und Natur, Stiftung tungen, Kunst- und Kulturschaffenden als wichtigen Säulen Kultureller Mercator) ermöglicht worden, für das wir außerordentlich dankbar sind. Bildung beschäftigt. Das Verhältnis von Kunst, Kultur und Bildung stellt Ohne die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle in Essen wäre diese Pub- eine wesentliche Herausforderung für die Kulturelle Bildung dar. Dass likation nicht möglich gewesen. Ein großer Dank gilt den Critical Friends, die Künste deren zentrale inhaltliche Referenz bilden, ist die These, die deren Rückmeldungen und Beiträge unsere Arbeit nachhaltig beflügelt der Rat für Kulturelle Bildung differenziert begründet hat. Die kulturpo- haben, sowie allen, die uns in Expertinnen- und Expertenhearings Impulse litische Rahmung spielt dabei eine wichtige Rolle. für die Publikation gegeben haben. Die Aufgabe, Erstbegegnungen mit den Künsten zu eröffnen, Zugänge Ein besonderer Dank gilt Markus Hilgert, der nicht nur diese Publika- zu erschließen und Teilhabe zu ermöglichen, wird durch die derzeitigen tion mit seinem Grußwort unterstützt, sondern auch mit der Kulturstif- gesellschaftlichen Umbrüche nicht leichter; zudem können Kunst, Kultur tung der Länder dazu beigetragen hat, dass die wichtigen Impulse der und (Kulturelle) Bildung, wie die Corona-Krise zeigt, schnell ins Hinter- letzten Jahre auch für künftige Interessenten auf einem Online-Portal für treffen geraten und politische Aufmerksamkeit verlieren. Angesichts des- Kulturelle Bildung der Kulturstiftung der Länder zugänglich bleiben und sen gilt es, ihre zentrale Bedeutung für die einzelnen Menschen sowie für für die Weiterentwicklung der Kulturellen Bildung genutzt werden können. die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt hervorzuheben: Mehr denn Wir hoffen auf eine breite Diskussion in der interessierten Öffentlich- je kommt es auf Fähigkeiten der Wahrnehmung und Gestaltung, mehr keit und wünschen uns, dass die Politik die Anstöße des Rates für Kultu- denn je auf den Umgang mit Unsicherheit und mit Fremdheit an. Das ist relle Bildung aufnimmt und für eine dauerhafte und intensive Förderung der entscheidende Grund dafür, Kulturelle Bildung stark zu gewichten – und Sicherung der Kulturellen Bildung auf allen relevanten Ebenen sorgt. die Kulturpolitik und -verwaltung müssen sich auf allen Ebenen weiter- hin als Lobby für die Kulturelle Bildung aktiv und nachhaltig einsetzen. Zu dieser Handreichung Der Rat versteht Kulturelle Bildung als öffentliches Gut. Um Angebote Kultureller Bildung für die gesamte Lebensspanne in allen Bevölkerungs- Professor Dr. Eckart Liebau gruppen zu verwirklichen, braucht es engagierte Kultureinrichtungen, Vorsitzender des Rates für Kulturelle Bildung einen aktiven Umgang mit den kulturellen Implikationen des digitalen Essen, im Oktober 2021 Wandels sowie Netzwerke und Kooperationen, die Kultur- und Bildungs- landschaften miteinander verschränken. Die entsprechenden Handlungs- empfehlungen leiten sich aus Begründungen der Arbeit des Rates für Kulturelle Bildung und anderer Akteure ab. Um das Feld möglichst breit zu erfassen, haben wir Akteurinnen und Akteure aus Kunst, Kultur und 4 5
relle Bildung nicht nur als Praxisfeld, sondern auch als Theorie-, Methoden- Grußwort und Forschungsraum zu verstehen. Mit seiner kulturpolitischen Handreichung „Kunst, Kultur, Bildung“ legt der Es gilt, auch in Zukunft diese Perspektive auf Kulturelle Bildung ein- Rat für Kulturelle Bildung ein weiteres wegweisendes Positionspapier zur zunehmen, deren Bedeutung zu unterstreichen und sie engagiert zu för- Kulturellen Bildung in Deutschland vor. Doch geht es dabei um weit mehr dern. Denn nur so wird es möglich sein, Kulturelle Bildung gerade auch als um ein wissenschaftlich fundiertes Plädoyer für ‚mehr Kultur‘ in der im politischen Diskurs als das zu verankern, was sie ihrem Wesen nach Bildung. Die Autorinnen und Autoren der Handreichung verstehen Kultu- ist: Ein Schlüssel zum gelingenden Miteinander in einer freiheitlichen, relle Bildung vielmehr als „öffentliches Gut“, denn: „Vor dem Hintergrund vielfältigen, kreativen und demokratischen Gesellschaft. gesellschaftlicher Transformationsprozesse wie Digitalisierung, Globalisie- rung, demografischer Wandel und Migration gewinnt Kulturelle Bildung eine höhere Bedeutung denn je als entscheidende Ressource für indivi- duelle Bildungsprozesse und die gesellschaftliche Entwicklung“ (S. 9). Es ist dieses Verständnis von Kultureller Bildung als grundlegender Prof. Dr. Markus Hilgert und unverzichtbarer Voraussetzung für Zugang zu und Teilhabe an kultu- Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder rellen und künstlerischen Ausdrucksformen, für kritisches Denken und die Berlin, im Oktober 2021 aktive Mitgestaltung gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse sowie für die politische Willensbildung in einer freiheitlich-demokratischen Gesell- schaft, das die kulturpolitische Dringlichkeit des Themas verdeutlicht: Wird Kulturelle Bildung in diesem Sinne als gesamtgesellschaftliche Not- wendigkeit begriffen, dann muss sie auch zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe werden! Die Handreichung zeigt auf, wie dies gelingen kann. Mit Schlaglich- tern auf Kultureinrichtungen, den digitalen Wandel sowie Netzwerke und Kooperationen beleuchten die Autorinnen und Autoren drei zentrale kul- turpolitische Handlungsfelder, die im Sinne der Kulturellen Bildung zu gestalten sind. Von diesen sei an dieser Stelle lediglich die Herausforde- rung der digitalen Transformation herausgegriffen, die nicht spezifisch für die Kulturelle Bildung oder die Kultur, sondern eine Herausforderung aller Bereiche in unserer Gesellschaft ist. Trotzdem wäre es fahrlässig zu glauben, die Kultur und mit ihr die Kulturelle Bildung könnten sich die- ser Herausforderung und der mit ihr verbundenen Aufgaben entziehen. Denn, so stellen die Autorinnen und Autoren fest, „der digitale Wandel ist auch ein Kulturwandel, der nicht nur neue Präsentations- und Ver- breitungswege umfasst, sondern in der gesamten kulturell und ästhe- tisch geprägten Umgebung stattfindet. […] Daher liegt auch im Zeitalter des digitalen Wandels eine zentrale Funktion Kultureller Bildung in der moderierenden Begleitung bei der Öffnung, Erschließung und Gestal- tung ästhetischer Erfahrungsräume“ (S. 42). Die Kulturstiftung der Länder hat die Arbeit des Rates für Kulturelle Bildung stets mit großer Aufmerksamkeit und Dankbarkeit verfolgt und gerade auch in den letzten Jahren aus ihr zahlreiche Anregungen für eigene Projekte und Initiativen bezogen. Die vorliegende Handreichung illustriert einmal mehr auf eindrucksvolle Weise, wie wichtig es ist, Kultu- 6 7
Kulturelle Bildung als öffentliches Gut Die Achtung der Freiheit der Kunst ist ein wesentlicher Teil der freiheitlich-demokratischen Ordnung unserer Gesellschaft und genießt Verfassungsrang. In den Künsten wird das Ver- hältnis von Mensch und Welt in besonderer und unersetzlicher Weise wahrgenommen und gestaltet. Eine darauf bezogene Kulturelle Bildung hilft dabei, eigene gestalterische Möglich- keiten zu entwickeln und mit diesen Kompetenzen in den Dia- log mit anderen zu treten. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Transformations- prozesse wie Digitalisierung, Globalisierung, demografischer Wandel und Migration gewinnt Kulturelle Bildung eine höhere Bedeutung denn je als entscheidende Ressource für individu- elle Bildungsprozesse und die gesellschaftliche Entwicklung. Um kulturelle Beteiligung des Einzelnen zu ermöglichen und Interesse an gesellschaftlicher Teilhabe zu fördern, bedarf es verlässlicher Strukturen und professionell qualifizierter Perso- nen in der Vermittlung. Dabei muss benachteiligten Kindern und Jugendlichen eine besondere Förderung zukommen. Kul- turelle Bildung, als wesentlicher, eigenständiger Bestandteil der Gesellschaft, stellt somit ein öffentliches Gut dar, das nie- mandem verwehrt werden darf und zu dem jeder Mensch in unserer Gesellschaft Zugang haben muss. 9
© Diemut Schilling 10 11
TEIL I: HANDREICHUNG KUNST • KULTUR • BILDUNG
gegenüber Kunst und Kultur, ihren Produzentinnen und Produzenten, Position Kunst, Kultur, Bildung: Gestaltungs- Vermittlern und Vermittlerinnen? Sind diejenigen, deren Werke, Positio- raum Kultureller Bildung nen und Urteile Eingang in Kunstdiskurse erhalten, repräsentativ für ein normativ verstandenes oder tatsächliches gesellschaftliches Miteinan- der? Diese Fragen fordern auch die Kulturelle Bildung heraus. Standortbestimmung der Künste – Herausforderung für die Kulturelle Bildung Gemeinsame Position der Kulturelle Bildung hat sich in den letzten Jahren zu einem integralen Mit Blick auf die Beziehung zwischen den Künsten und dem Selbstver- Expertinnen und Experten Teil der Kulturförderung entwickelt. Sie hat das Potenzial, die kultu- ständnis des Gemeinwesens kommt Kultureller Bildung eine umfassendere im Rat für Kulturelle relle Teilhabe innerhalb der Gesellschaft zu steigern. Mit der allgemei- Rolle zu als unter der Rubrik „Vermittlung“ angelegt. Sie macht Angebote Bildung nen Umbruchsituation, in der sich auch die Kulturpolitik befindet, stellen für eine Auseinandersetzung mit konkreten Ausprägungen von Kunst und sich auch Fragen nach der Zukunft Kultureller Bildung. Kultur sowie mit den Institutionen und Plattformen ihrer Entstehung und Ohne Zweifel hat die Covid-19-Pandemie stark in die Alltagsgeschäfte Weiterverbreitung. Sie setzt diese mit kulturellen und ästhetischen Trends des Kulturbereiches interveniert. Teile der Kulturproduktion und -rezep- und Diskursen der zunehmend diversifizierten Lebenswelten in Bezie- tion wurden jäh unterbrochen und stillgelegt. Damit einhergegangen ist hung und ermöglicht so die Gestaltung lebendiger Austauschbeziehungen. eine verstärkte Selbstreflexion des gesamten Kulturbetriebs. Die Krise hat Gesellschaftliche Transformationsprozesse – wie der demografische den Blick auf Phänomene freigelegt, die bereits vorher unter der Oberflä- Wandel als eine der großen kulturpolitischen Herausforderungen4 – erfor- che erkennbar waren: unsichere Beschäftigungsverhältnisse, wenig agile dern neue Standortbestimmungen: Wie werden Kunst und Kultur defi- Strukturen innerhalb der Häuser und eine unklare gesellschaftliche Rele- niert? Welche Rolle spielen dabei individuelle und kollektive kulturelle vanz des Kunst- und Kulturbetriebs. und ästhetische Lebenswelten? Wie verändert sich die Bedeutung des Bereits vor Corona wurden Debatten bezüglich einer möglichen oder kulturellen Erbes5 in einer vielfältigen und globalisierten Gesellschaft? nötigen Neuausrichtung der Kulturförderung mit Fokus auf das gesell- Und was bedeuten solche neuen Standortbestimmungen von Kunst und schaftsgestaltende Potenzial von Kulturpolitik angestoßen. Diese Neu- Kultur für das Selbstverständnis und die Rolle der Kulturellen Bildung? ausrichtung erhält angesichts der krisenbedingten Zäsur mehr Aufmerk- Siehe Jürgen Schupp: Kulturelle Hinzu kommt, dass nach über einem Jahr Stillstand, Verharren im Kri- samkeit im fachlichen Diskurs, angesichts der öffentlichen Debatten über Bildung nach der Corona- senmodus und Unsicherheit ein großer Nachholbedarf für Räume ästhe- Systemrelevanz neues Gewicht, angesichts in Frage gestellter professio- Pandemie – Eine Mehr-Generati- tischer Erfahrung besteht. neller und institutioneller Existenzen eine neue Dringlichkeit: Wie steht es onen-Herausforderung, S. 70. Die großen Aufgaben in und nach der Krise können nur als kultur- um den Stellenwert von Kunst und Kultur und deren Vermittlung inner- politische und gesellschaftliche Querschnittsaufgabe angegangen und halb der Gesellschaft, wenn angesichts der pandemiebedingten Krise umgesetzt werden: Mit einer Kulturpolitik, die Debatten um Kunstfreiheit, über die Relevanzfragen gesprochen wird? kulturelle Daseinsvorsorge und gesellschaftliche Relevanz von Kunst und Kultur moderiert, Kulturelle Bildung als öffentlichen Raum für kulturelle Selbstverständlichkeiten auf dem Prüfstand Debatten fördert und die zugleich dafür sorgt, dass die künstlerischen In den letzten Jahren werden vermeintliche Selbstverständlichkeiten des Praktiken und die Praktiken der Kulturellen Bildung gefördert und wei- öffentlich geförderten Kulturbetriebs hinterfragt. Das Modell von Kunst terentwickelt werden können. Erst damit dient Kulturpolitik der Vielfalt und Kultur als eigenständigen, freien Räumen ästhetischer Gestaltung kultureller Ausdrucksformen und Präferenzen. Denn ihre Aufgabe liegt und experimenteller Grenzüberschreitungen steht einem Kunst- und Kul- auch in der Öffnung der Künste als Bildungswelten. turbegriff gegenüber, der Wertefragen und Diskurse außerhalb des Kunst- Siehe Eckart Liebau: Mythen und Kulturbetriebs stärker in den Blick nimmt und die „Nebenfolgen“ Kulturelle Bildung vor Ort: viel in Bewegung, wenige Daten Kultureller Bildung – revisited, künstlerischer und kultureller Praxis höher gewichtet. Damit stehen die Kulturelle Bildung hat sich in den letzten Jahren auf Bundes-, Länder- S. 64. gesellschaftlichen Aufgaben und Funktionen der Künste und der Kulturel- und kommunaler Ebene zu einem bedeutenden politischen Handlungs- len Bildung erneut auf dem Prüfstand. Wo verläuft die Grenze zwischen feld entwickelt. Die Forderung nach Stärkung Kultureller Bildung findet der Freiheit künstlerischer Inhalte und Ausdrucksformen und miteinan- sich in Positionen des Deutschen Städtetages,6 im Schlussbericht der der konfligierender Wertvorstellungen? Welche Erwartungen bestehen Enquête-Kommission „Kultur in Deutschland“7 und auch auf suprana- 14 KUNST • KULTUR • BILDUNG 15 KUNST • KULTUR • BILDUNG
tionaler Ebene, zum Beispiel in der Seoul-Agenda als zentralem Ergeb- zes zugänglicher zu machen, muss Kulturelle Bildung zum Teil des Kern- nis der 2. Weltkonferenz zur Arts Education8. Viele Länder, Kreise und geschäfts nicht nur von Bibliotheken, Musikschulen und soziokulturellen Gemeinden haben Konzepte zur Kulturellen Bildung entwickelt, Service- Zentren, sondern auch von Theatern und Kunstvereinen, von Literatur- stellen, Fonds und Kompetenzzentren für die Vernetzung von Akteuren zentren, Festivals, Konzerthäusern und Orchestern werden. Hier ist in den und Akteurinnen der Kulturellen Bildung vor Ort eingerichtet. Öffent- letzten Jahren viel geschehen. Aber das Ziel, dass diese Orte nicht nur lich geförderte Kultureinrichtungen arbeiten vielfach mit Schulen und als Orte der Künste, sondern zugleich als Orte der Kulturellen Bildung non-formalen Bildungseinrichtungen zusammen. öffentlichkeitswirksam etabliert und wahrgenommen werden, ist noch Dabei werden die konkreten Wirkungen der Förderung Kultureller keineswegs erreicht. Wenn Kulturpolitik dafür sorgen will, dass Kunst Bildung – zum Beispiel die Nutzung ihrer Angebote und deren Einschät- und Kultur ihre Bedeutung für die ästhetische und gesellschaftliche Bil- zung durch teilnehmende Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Seniorinnen dung tatsächlich unter Beweis stellen, liegt hier eine zentrale Aufgabe. und Senioren – bislang nur in Einzelerhebungen erfasst. Daten zur kul- Die gesellschaftliche Rolle von Kultur wird oft auch im Spannungsver- turellen Teilhabe sind nur begrenzt vorhanden. Es fehlt damit auch die hältnis zum gesellschaftlichen Status Quo beschrieben. Es ist eine große Grundlage für eine Gesamtschau, die über punktuelle Erhebungen hin- Herausforderung, das Potenzial der Kunst, Irritationen und Verfremdungs- ausgeht. Dies erschwert in der Konsequenz wiederum Durchsicht und momente freizusetzen, in Beziehung zu bringen mit dem Ziel des gesell- Überblick über Ausprägungen und Qualitäten innerhalb der Landschaft schaftlichen Zusammenhaltes. Eine wichtige Aufgabe Kultureller Bildung der Kulturellen Bildung. So kann weder eine verlässliche Erfolgsmessung ist es, mit dafür zu sorgen, dass sich ästhetische und kulturelle Räume stattfinden noch können bestehende Maßnahmen auf die Verbesserung als öffentliches Gut für möglichst viele Mitglieder der Gesellschaft öff- ihres Teilhabeziels hin evidenzbasiert geschärft werden. nen und dass der öffentlich geförderte Kulturbereich und gesellschaft- Eine zentrale Herausforderung der nächsten Jahre wird es sein, mehr liche Diskurse nicht nebeneinander, sondern ineinander verwoben und Kenntnis über die vielfältigen Erscheinungsformen, Praktiken und Wir- miteinander vernetzt verlaufen. kungen der Kulturellen Bildung in der Gesellschaft zu gewinnen. Die Empfänger und Partner der öffentlichen Kulturförderung müssen als Teil Kulturelle Bildung als kulturpolitische Gestaltungsaufgabe braucht der lokalen, kommunalen und regionalen Bildungslandschaften sichtbar werden. Zwar haben öffentlich geförderte Kunst und Kultur kein Aner- Eine langfristig angelegte und verlässliche Rahmung für die Qua- kennungsproblem.9 Dennoch sind viele Orte und Räume des kulturellen litätsentwicklung der Angebote Erbes und des zeitgenössischen künstlerischen Schaffens auf der indivi- Die Einbindung in öffentlich geförderte Kulturinstitutionen, Kul- duellen Landkarte vieler Menschen wenig oder gar nicht präsent. Das gilt turgüter und kulturelle Ereignisse als Teile der Bildungslandschaft ebenso für Angebote Kultureller Bildung in Kulturinstitutionen: Auch sie werden häufig nicht als öffentliche Räume für Bildung, Begegnung und Individuelle, ortsspezifische Angebote mit Blick auf die Gleichwer- Bereicherung des persönlichen Lebens wahrgenommen. tigkeit der Lebensverhältnisse und der kulturellen Vielfalt Ein Zusammenspiel von Kultur und Bildung im Sinne eines pro- Kulturelle Bildung: Teil des Systems und Treiber von Wandel duktiven Umgangs mit den Differenzen zwischen Kunstproduk- Für die künftige kulturpolitische Förderung der Kulturellen Bildung stellen tion und Kunstvermittlung sich damit wichtige Fragen: Bleibt sie als politisches Handlungsfeld vor allem Gegenstand des Fachdiskurses? Oder kommt sie mit ihren Akteu- Formate, die auf gesellschaftliche Transformationsprozesse eingehen ren und Angeboten in der Breite der Gesellschaft an und entfaltet dort Eine Verstetigung und ebenso rechtliche wie finanzielle Sicherung ihre Wirkung? Damit die aussichtsreichen Ansätze der letzten Dekaden als öffentliches Gut, damit Kunst und Kultur ihre gesellschaftlichen gesichert und ausgebaut werden können, braucht es, auch mit Voraus- Möglichkeiten und Aufgaben weiter und breiter erfüllen können schau auf die öffentlichen Haushalte der nächsten Jahre, eine konzepti- onelle und qualitative Aufwertung, Verstetigung und Weiterentwicklung Regelmäßige Datenerhebung und -auswertung zur Schaffung von des kulturpolitischen Handlungsfeldes Kulturelle Bildung. Transparenz und Evidenz über die Entwicklung der Angebote und Erforderlich ist insbesondere eine institutionelle Aufwertung der Kul- die tatsächliche kulturelle Teilhabe der Bevölkerung turellen Bildung. Um den öffentlich geförderten Kulturbetrieb als Gan- 16 KUNST • KULTUR • BILDUNG 17 KUNST • KULTUR • BILDUNG
Häufigkeit von Veranstaltungsformaten von Orchestern und Bestandsaufnahme Fokus Kultureinrichtungen: Musikensembles im Zeitverlauf In welchem Rahmen findet Kulturelle 7000 Bildung statt? 6000 Sinfonie- und Chorkonzerte Relative Häufigkeit pädagogischer Angebote in Museen 5000 VORTRÄGE STADTFEST MUSEUMSFESTE 4000 FUHRUNGEN .. 3000 Musikpädagogische Veranstaltungen TAG DES OFFENEN DENKMALS davon Workshops in Schulen 2000 LANGE NACHT DER MUSEEN FERIENPROGRAMME Sonstige Konzertveranstaltungen Kammerkonzerte 1000 SCHULKLASSENPROGRAMME 2003/04 2005/06 2007/08 2009/10 2011/12 2013/14 2015/16 2017/18 0 KINDERGEBURTSTAGE MITWIRKUNG AN (NEU-)KONZEPTIONEN VON AUSSTELLUNGEN PROGRAMME ZUR KULTURELLEN BILDUNG Häufigkeit von Veranstaltungen der öffentlich finanzierten Orchester und Rundfunkensembles im Zeit- verlauf nach Art der Veranstaltung12 laut der Konzertstatistik der Deutschen Orchestervereinigung (2019, Daten zusammengestellt vom Deutschen Musikinformationszentrum). Ausgewählte museumspädagogische Formate10 laut der Statistischen Gesamterhebung an den Museen der Bundesrepublik Deutschland 2017 (n=3897). Die Größe der abgebildeten Begriffe orientiert sich an der relativen Häufigkeit der jeweiligen Formate. Kulturelle Bildungspartner von Ganztagsschulen Formate Kultureller Bildung in Bibliotheken in Großstädten bzw. in TANZHAUS/ 100% 100% 100% BALLETTSCHULE 15% ORCHESTER VOLKSHOCHSCHULE 90% 6% 87% 16% 80% 81% THEATER-/ OPERNHAUS 25% SOZIOKULTURELLES ZENTRUM 52% 12% MUSIKSCHULE 71% 27% FILMWERKSTATT/ MEDIENZENTRUM 12% 7% Angebote der Angebote (Autoren-) Spieleangebote Schreib- STADTBIBLIOTHEK werkstätten 47% MUSEUM/ JUGENDKUNSTSCHULE Leseförderung zur Vermittlung Lesungen/ ARCHIV 16% und Literatur- von Medien- Ausstellungen/ 29% vermittlung kompetenz Konzerte Antworthäufigkeiten „Ja, ist vorhanden“ zu verschiedenen Formaten Kultureller Bildung in Bibliotheken Häufigkeiten in Prozent von Zustimmungen auf die Frage „Mit welchen institutionellen Kooperations- ausgewählter Gemeindegrößenklassen (hier: Großstadt und Gemeinde, nicht abgebildet: Große Mittel- partnern arbeitet Ihre Schule im kulturellen Ganztagsangebot zusammen?“ laut Schulleitungsbefragung stadt, Kleine Mittelstadt, Kleinstadt) in Prozent laut der Befragung von Leitungen hauptamtlich geführ- (n=248) des Rates für Kulturelle Bildung (2017).13 ter Bibliotheken (n=668) des Rates für Kulturelle Bildung (2018).11 18 KUNST • KULTUR • BILDUNG 19 KUNST • KULTUR • BILDUNG
Bestandsaufnahme Fokus NRW: Welchen Stellenwert hat Bestandsaufnahme Fokus Digitalisierung und Diversität: Kulturelle Bildung in den Kommunen? Macht Kulturelle Bildung einen Unterschied? Bedeutung Kultureller Bildung im Vergleich zu anderen kulturellen Handlungsfeldern in Städten und Gemeinden Ist Kulturelle Bildung bei der Gestaltung des digitalen Wandels der Bibliotheken von Bedeutung? Kulturelle Bildung Inklusion ja nein keine Einschätzung möglich Kulturarbeit mit und für Geflüchtete(n) Großstadt 83% – 17% Publikumsentwicklung Große Mittelstadt 66% – 34% Interkultur Kulturmarketing Kleine Mittelstadt 58% – 42% Kulturtourismus Kleinstadt 49% 2% 50% Digitalisierung Individuelle Künstlerförderung Gemeinde 39% 3% 58% 6 5 4 3 2 1 gar nicht wichtig sehr wichtig Antworthäufigkeiten nach Gemeindegrößeklassen in Prozent auf die Frage „Ist Kulturelle Bildung bei der Gestaltung des digitalen Wandels der Bibliothek von Bedeutung?“ laut der Befragung von Leitungen hauptamtlich geführter Bibliotheken (n=668) des Rates für Kulturelle Bildung (2018).16 Durchschnittswerte der Beurteilung ausgewählter Handlungsfelder im Rahmen der Gemeindebefragung (n=257) durch das Institut für Kulturforschung der Kulturpolitischen Gesellschaft für den Landeskultur- bericht NRW 2017. 14 Wo spiegelt sich Diversitätsentwicklung in öffentlich geförderten Kultureinrichtungen wider? Kommunale Kulturinstitutionen als Elemente der Bildungslandschaft Pädagogische Angebote für unter- schiedliche neue Zielgruppen Diversität des Publikums Diversität des Programms MUSIKSCHULE MUSEUM Verbesserung der Barrierefreiheit KULTURAMT / KULTURBÜRO MIT Diversität des Personals VERANSTALTER- FUNKTION 0 25 50 75 100 BIBLIOTHEK Museen, Musikschulen und Biblio- theken gehören sowohl zu den besonders bildungsorientierten als auch zu den besonders häu- Antworthäufigkeiten „Ja“ in Prozent von Führungs-/Fachkräften von Kultureinrichtungen (n=168) auf VOLKSHOCHSCHULE fig vorkommenden kommunalen die Frage „Hat sich in Ihrer Einrichtung in den letzten zehn Jahren etwas spürbar verändert?“ im Rah- Kultureinrichtungen. men einer Befragung zu Diversität in öffentlich geförderten Kultureinrichtungen in Nordrhein-Westfa- len der Zukunftsakademie NRW (2019).17 Die fünf am häufigsten genannten Einrichtungstypen unter den öffentlich (mit-)getragenen kulturellen Einrichtungen laut Angaben nordrhein-westfälischer Verantwortlicher in den Kulturverwaltungen (n=248) im Rahmen der Gemeindebefragung15 für den Landeskulturbericht NRW 2017. Die Höhe der Säulen ori- entiert sich an der relativen Häufigkeit der Nennungen pro Einrichtungstyp. 20 KUNST • KULTUR • BILDUNG 21 KUNST • KULTUR • BILDUNG
Nachgefragt Critical Friends Wie kommt Kulturelle Bildung durch Welches Wissen brauchen Strategien für die Krise? kulturelle Teilhabe? Kulturelle Bildung sollte fester Bestandteil aller Kultureinrichtungen sein. Um eine größere und breitere kulturelle Teilhabe voranzubringen, sind Die Vermittlung künstlerischer Ausdrucksformen, das Erlernen von Seh- vertiefte empirische Kenntnisse über tatsächliche und potenzielle Besu- und Hörfähigkeiten und die Förderung eigenständiger künstlerischer Akti- cher*innen von Kultur- und Kulturvermittlungsangeboten der Schlüssel. vitäten sind existenziell notwendig, um möglichst vielen Menschen den An ein entsprechendes Wissen kann vor allem auf zwei Wegen gelangt Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen. Dabei muss sich Kulturelle werden: durch eine möglichst hohe Verbreitung kontinuierlicher Besu- Bildung als struktureller Teil der Kultureinrichtungen übergeordneten cher*innenforschung und durch regelmäßige Bevölkerungsbefragungen, kulturpolitischen Zielen, wie z. B. der Diversität, der Vermittlung demo- um die Nicht-Besucher*innen besser kennenzulernen. Zudem kann im kratischer Werte und einer breiten Beteiligung von Kindern und Jugend- Sinne eines breiten Verständnisses kultureller Teilhabe auf diesem Wege lichen, verpflichtet fühlen. herausgefunden werden, inwieweit Menschen selbst künstlerisch-kreativ Besonders wichtig ist es, Strukturen zu entwickeln, die die Aktivi- tätig sind, aktiv an Kultur- und Kulturvermittlungsangeboten teilnehmen täten der Kultureinrichtungen mit denen der Schulen, der Jugendhilfe oder diese sogar mitgestalten. All diese Daten liefern wertvolle Hinweise und anderer Akteure in der Stadtgesellschaft verbinden. Dies kann auch für die Entwicklung von übergreifenden Teilhabestrategien, aber auch von ohne großen finanziellen Aufwand gelingen, wenn alle erkennen, welch konkreten neuen Angeboten, Vermittlungs- und Marketingmaßnahmen. gemeinsamer Nutzen aus solchen Strukturen entstehen kann. Werden solche empirischen Untersuchungen regelmäßig durchgeführt, ist Es ist darauf zu achten, dass die Finanzierung dieser Angebote Teil über sie eine Erfolgsmessung im Zeitverlauf möglich. Erfolge der Bemü- der Gesamtfinanzierung ist und nicht auf Projektstrukturen basiert. Pro- hungen um kulturelle Teilhabe sind über solch ausdifferenzierte Daten jekte sollten nur umgesetzt werden, um etwas Neues auszuprobieren. Es deutlich besser abzubilden als über reine Besuchszahlen, wie sie von muss aber gewährleistet werden, dass Neues bei Erfolg anschließend in Mittelgeber*innen oftmals verlangt werden. Denn Besuchszahlen allein die kulturelle Bildungsarbeit integriert werden kann. Natürlich ist es bei lassen keine Rückschlüsse auf eine breitere Teilhabe zu oder gar darauf, Haushaltsnotlagen unerlässlich, Einsparungen vorzunehmen. Diese müs- irgendeine Wirkung auf Individuen erreicht zu haben. Mein Plädoyer an sen alle Politikfelder einbeziehen und bei der Kultur den Gesamtetat der alle Ebenen der Kulturpolitik und -verwaltung in Deutschland ist daher, Kultureinrichtung im Blick haben, damit Einsparungen nicht einseitig, z. B. zusammen mit den von ihnen geförderten Akteur*innen in den Ausbau bei der Kulturellen Bildung, vorgenommen werden. der Datenlage zu kultureller Teilhabe zu investieren, um auf dieser Basis gemeinsam eine größere und breitere kulturelle Teilhabe zu erwirken. Apostolos Tsalastras Vera Allmanritter Stadtkämmerer und Kulturdezernent der Stadt Oberhausen Leiterin des Instituts für Kulturelle Teilhabeforschung | IKTf 22 KUNST • KULTUR • BILDUNG 23 KUNST • KULTUR • BILDUNG
DREI SCHLAGLICHTER KULTUREINRICHTUNGEN DIGITALER WANDEL NETZWERKE UND KOOPERATIONEN
Die Nutzung von Kulturangeboten, -einrichtungen und -veranstaltungen Schlaglicht 1 Kultureinrichtungen gehören zum Leben vieler Jugendlichen18 und Erwachsenen19. Verschie- dene Bevölkerungsumfragen in Deutschland weisen auf eine grundsätz- liche und mehrheitliche Befürwortung öffentlicher Kulturförderung20 hin. Das differenzierte Kulturinteresse21 stellt eine Chance und Herausforde- rung für die Kulturelle Bildung und Kulturinstitutionen dar – ebenso die weiterhin bestehende Lücke zwischen Image und Nutzung von Kultur.22 Black Box Der Besuch und die aktive Nutzung von Kultureinrichtungen hängen stark von soziodemografischen und strukturellen Faktoren sowie ausdifferen- zierten Lebensstilen ab: Hier spielen verschiedene Barrieren zusammen,23 die dem Besuch und der Nutzung von Kultureinrichtungen entgegenste- hen und die sich gegenseitig verstärken können. Teilhabe Am Beispiel der öffentlichen Bibliotheken in Deutschland ist eine große, mit Einwohnerzahl tendenziell steigende Offenheit für verschiedene For- men Kultureller Bildung, für die Entwicklung zur Begegnungsstätte („Drit- ter Ort“) und für den digitalen Wandel sichtbar, wobei neue Angebote und Formate Teil des Kerngeschäfts geworden sind.24 In Bezug auf den generellen Stellenwert Kultureller Bildung in Kultureinrichtungen – mit Blick auf den Anteil spezifischer Angebote am Programm oder mit Blick auf Finanzierung25 – und auf die Öffnungspotenziale der verschiedenen Einrichtungstypen gibt es in der Gesamtschau noch keine ausreichende Datenlage. Black Box Teilhabe: Kultureinrichtungen werden von großen Teilen der Bevölkerung als öffentliche Aufgabe befürwortet, aber nicht selbstverständ- lich genutzt. Initiativen einzelner Häuser lassen vermuten, dass für neue Formen der Zugänge, Vermittlungsarbeit und Durchlässigkeit in den Kultureinrichtungen ein Potenzial vorhanden ist, was noch lange nicht ausgeschöpft ist. 27 KULTUREINRICHTUNGEN
Nachgefragt Critical Friends Stadt als Community (I): Wie werden Freiheit als Gradmesser für Kunst und Kultureinrichtungen zu Gemeinschafts- Management: Wie gelingt Teilhabe als räumen? Organisationsprinzip? Eine Kultureinrichtung ist keine Insel, die dem Publikum, sobald es über Das vertiefte Nachdenken über die Frage, warum jemand Zeit seines die Schwelle tritt, kulturelle Erlebnisse ermöglicht. Das Interkulturelle Lebens für Kultur abzweigen sollte – schon gar, wenn der Alltag von Zentrum Heidelberg (IZ) wurde als städtische Einrichtung gegründet, Konflikten, Armut und Perspektivlosigkeit geprägt ist – und die jahre- um sich des Themas kulturelle Vielfalt anzunehmen, statt es an Vereine lange Beschäftigung damit in Bremens Stadtteil mit den vormals schlech- outzusourcen und diese zugleich dem Vorwurf auszusetzen, sie bilde- testen Sozialdaten haben einige Grundüberzeugungen in uns verstärkt: ten eine Parallelgesellschaft. Das IZ sollte die Idee von Mehrheits- und Die Basis jeder menschlichen Entwicklung ist der freie Wille. Wenn eine Minderheitengesellschaft auflösen. Es sollte nicht mehr die einen geben, Kultureinrichtung in dieser Hinsicht wirksam werden will, muss sie sich die von den anderen lernen müssen. als Erstes der Frage stellen, wie halte ich es mit der Freiheit? Ist meine Das IZ zeigt, dass ästhetische und kulturelle Auseinandersetzung Organisationsstruktur ihr zu- oder abträglich? Ist abhängige Beschäf- in einer vielfältigen Stadtgesellschaft gelingen kann, ohne Communi- tigung die richtige Basis, wenn es um Freiheit geht? Ist Wohlstand för- tys künstlich zu homogenisieren. Kulturelle Vielfalt und Bildung ist hier derlich für Freiheit oder für Abhängigkeit auf hohem Niveau? Wenn es keine angstbesetzte Abstraktion, sondern konkretes Miteinander: wenn nicht frei ist, ist es keine Kunst, dies gilt auch für ihre Vermittlung. Denn: etwa ein klassischer Konzertmusiker in Küchen der Restaurants geht, um Die Basis einer gelingenden Beziehung ist der freie Wille. Wirkliches musikalisches Wissen aus der ganzen Welt zu bergen, und Köche, die In-Beziehung-Treten ist die Voraussetzung für jede Art von Vermittlung, Tarantella meist für die Verwandten spielen, im Austausch mit anderen soll nicht geschehen, was Goethe den Torquato sprechen lässt: „... und ein Konzert gestalten. Wenn Taxifahrer Hauptrollen spielen in Kurzfilmen, wenn sie auch die Absicht hat, den Freunden wohlzutun, so fühlt man als wäre es Night on Earth in Heidelberg und das Publikum in ihnen Film- Absicht, und man ist verstimmt.“ helden mit einer Geschichte sieht. So schafft das IZ gemeinsame Gegen- Wirkliches In-Beziehung-Stehen geschieht nur in Subjekt-Subjekt- warten, die Menschen ihrer Milieus enthebt. Begegnungen. Beide Seiten müssen freiwillig agieren, denn: Entwicklung Das IZ spielt: mit Identität, mit kultureller Vergangenheit und Gegenwart, braucht Freiraum. Sie muss sich ereignen dürfen. Sie wird nicht „gemacht“. mit Sparten, Kunstformen, Räumen. Interkulturelle Gegenwart ist nicht nur Das erfordert eine hohe Wahrhaftigkeit und – im pädagogischenSinne – im abgeschlossenen Kulturhaus erfahrbar, sondern strömt von dort aus in Absichtslosigkeit der Handelnden sowie die Bereitschaft, die Frage nach die Alltagsplätze der Stadt, bis immer größere Teile der Gemeinschaft sich der Freiheit aufrichtig zu beantworten und nötige Korrekturen immer wie- begegnen: in gemeinsamen Kulturräumen als Teil einer Lebenswirklichkeit, der vorzunehmen. Gleich danach – und nicht weniger wichtig – kommt in der Offenheit und Lernbereitschaft die Basis für jedes Schaffen sind. die Frage nach der Verlässlichkeit des Angebots. Jagoda Marinić Albert Schmitt Autorin und Leiterin des Interkulturellen Zentrums Heidelberg Geschäftsführer der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen 28 KULTUREINRICHTUNGEN 29 KULTUREINRICHTUNGEN
Je nach Einrichtungstyp variiert jedoch das Selbst- und das Fremdver- Position Ins Rampenlicht: Kulturelle Bildung ständnis der Institutionen als Bestandteile und Mitgestalter lokaler, kom- vor Ort munaler und (über-)regionaler Bildungslandschaften. Bibliotheken, Musik- schulen, Museen und Volkshochschulen sind primär bildungsorientiert und an ein breites Publikum gerichtet. Sie eignen sich besonders gut als Dritte Orte, gehen häufig Kooperationen als Bildungspartner ein, sind präsent in der sie umgebenden Bildungslandschaft und auch abseits Gemeinsame Position der Kulturorte sind Bildungswelten und Orte der Kulturellen Bildung. Beson- der Großstädte erreichbar. Museen sind mit einer Vielzahl an Angeboten Expertinnen und Experten ders Museen, Opern- und Konzerthäuser sind häufig als repräsentative non-formaler Kultureller Bildung museumspädagogisch tätig. In Thea- im Rat für Kulturelle Bauten architektonische Highlights und der Stolz der Städte. Wie Denk- tern, Opern-, Konzerthäusern und Festivals sind vermehrt Vermittlungs- Bildung male, Bühnen und Ausstellungsräume, Bibliotheken und Filmkunstthea- abteilungen und -programme entstanden, die Angebote für spezifische ter bieten sie Räume für kulturelle Begegnung und ästhetische Ausein- Zielgruppen machen, und die Anzahl musikpädagogischer Veranstaltun- andersetzung – dasselbe gilt für mobile, temporäre und virtuelle Räume, gen27 von öffentlich finanzierten Orchestern und Rundfunkensembles ist die zur Produktion, Präsentation und Verbreitung ästhetischer Gegen- deutlich gestiegen. Aber es sind nach wie vor zu wenige, die durch sol- stände eingerichtet sind, wie Werkstätten und Tutorials, Musikfestivals che Angebote erreicht werden. und Freilichtarenen, Bücherbusse und Streamingplattformen. Denn für einen großen Teil der Gesellschaft werden Zugänge zu öffent- Kulturelle Bildung findet in diesen Räumen und Orten auf vielfältige lichen oder öffentlich geförderten Kultureinrichtungen und ihren ästhe- Weise statt: Theater initiieren Bürgerbühnen, Jugendclubs und Gesprächs- tischen Erfahrungsräumen erst durch die Schulen geschaffen.28 Dabei formate; Museen, Denkmal- und Erinnerungsstätten bieten nicht nur Füh- sichern gelegentliche Besuche und Kontakte noch keine nachhaltige Wir- rungen an, sondern häufig auch partizipative Formate, Festivals werden kung. Gerade deshalb ist die Förderung der Vernetzung zwischen Kunst, von Familien- und Kinderprogrammen und Workshops flankiert, Stätten Kultur und Bildung besonders wichtig. der Kulturproduktion ermöglichen Blicke hinter die Kulissen. Die Pull-Be- Während kulturpolitische Bemühungen oft auf eine breitere Publikums- wegung des Einladens durch Institutionen findet ihr Gegenstück im Pushen ansprache über das angestammte Klientel hinaus gerichtet sind, weisen von Teilen des Angebotes in ihre Umgebung. Dabei mischen sich inzwi- einzelne Befunde29 darauf hin, dass die etablierten, ressourcenintensiven schen analoge und digitale Formate auf allen Ebenen. Einrichtungen der Spitzenkultur nicht mehr selbstverständlich mit dem Kulturförderung sorgt für Orte, die dicht am künstlerischen Gesche- traditionellen Publikumsinteresse rechnen können. Allein aus dem Eigen- hen sind und die durch Initiativen Kultureller Bildung erweitert werden Siehe Mustafa Akça: „Grau is’ im interesse der Kulturinstitutionen am Publikumszuspruch ergibt sich eine können: als Dritte Orte, als Begegnungsstätten, als aktive Teile der loka- Leben alle Theorie – aber stärkere Hinwendung zur Kulturellen Bildung als Mittel des Audience len, kommunalen und regionalen Bildungs- und Kulturlandschaft. entscheidend is’ auf’m Platz.“, Development. Das aber kann nur gelingen, wenn institutionelle Interes- S. 72. sen auch in Resonanz mit Interessen des (potenziellen) Publikums ste- Herzstück und Black Box: Kultureinrichtungen als Transmissionsräume hen. Ein verstärkter Beziehungsaufbau zwischen öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen sind Transmissionsräume für die Weitergabe von Kulturorten mit ihren Inhalten und den potenziellen Interessenten ist also Wissen, Erfahrungen und kulturellen Traditionen. Als Orte der informel- dringend geboten. len Kulturellen Bildung sind sie an der Entstehung kultureller Narrative26 beteiligt und durch partizipative Angeboten auch Orte der non-formalen Fokussierung von Teilhabe als Organisationsprinzip Kulturellen Bildung geworden. Ohne Publikum können sie nicht existieren. Auch um der im Kulturbetrieb reproduzierten sozialkulturellen Ungleich- Als Orte von Produktion und Repräsentation, der Begegnung und Aus- heit entgegenzuwirken, haben sich Kulturelle Bildung und Vermittlung in einandersetzung mit kulturellem Erbe und kultureller Gegenwart haben vielen Einrichtungen etabliert. Ein Ziel ist dabei, mit spezifischen Ange- Kultureinrichtungen ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Bil- boten Noch-nicht-Besucherinnen und -Besucher zu gewinnen. Wenn es dungs- und Begegnungsorten, da sie über kulturelle Gegenstände und aber nur noch um Gewinnung geht, kann dies den Aufbau einer lebendi- hochspezialisiertes Personal mit entsprechender Expertise verfügen. gen Beziehung zum Publikum gefährden – die Bemühung um das neue Innerhalb der Bildungslandschaft sind sie Heimstatt, Maschinenraum Publikum kann dann zu einer Zusatzaufgabe werden, die in Konkurrenz und Herzstück der Kulturellen Bildung. zu den künstlerischen Aufgaben gerät und sich kontraproduktiv auswirkt. 30 KULTUREINRICHTUNGEN 31 KULTUREINRICHTUNGEN
Dies trifft auch zu, wenn Produktion und Vermittlung als kaum mitein- lich Mitarbeitenden einer Kultureinrichtung. Der vermittelnde Teil ihrer ander vernetzte Parallelstrukturen innerhalb eines Hauses arbeiten und Arbeit erscheint jedoch vielen als wenig attraktiv – nicht zuletzt aufgrund Vermittlung primär als Dienstleistung am künstlerischen Werk und erst eines wahrgenommenen Mangels an Wertschätzung31. Die Aneignung dann als Service für das Publikum verstanden wird. entsprechender Fähigkeiten und Fertigkeiten wird oft weder während Mit Blick auf eine im Feld oft artikulierte Opposition zwischen Kunst- der künstlerischen Berufsbildung noch in dem in der Regel hochkompe- und Vermittlungsanspruch, die sich auch in Organisationsstrukturen abbil- titiven Arbeitsfeld Kunst und Kultur belohnt. det, liegt es an den Kultureinrichtungen, das Potenzial Kultureller Bildung Diese Erkenntnis sollte in Ausbildungen und Studiengängen der öffent- nicht zum Nachteil der Kunst, sondern zum Vorteil für die Beziehung zwi- lichen Kunsthochschulen berücksichtigt werden und sich auch im Fort- schen institutionellem Angebot und der – mehrheitlich kulturinteressierten Siehe Vanessa-Isabelle Rein- bildungswesen und der Organisations- und Personalentwicklung nieder – Öffentlichkeit zu nutzen: Neues Publikum lässt sich dauerhaft nur durch wand-Weiss: „Die sind doch eh schlagen. Die Kulturpolitik kann moderierend oder durch entsprechende hohe Qualität in der künstlerischen Arbeit und daran orientierte Vermitt- kreativ!“ – Berufliche Weiter- Anreize dazu beitragen, Ziel- und Interessenkonflikte zwischen Kunst, lung gewinnen. Dass dabei die diversen Ausgangslagen, Interessen und bildung als Aufgabe von Kultur- Kultur und Bildung zu befrieden und Motivation für ein Engagement in Perspektiven systematisch einbezogen werden müssen, ist evident. politik, S. 68. der Vermittlung in Gang zu setzen. Neue Perspektiven auf die eigene Arbeit Räume erweitern: Kulturelle Bildung dezentral Eine Innenschau oder auch Revision des Kulturbetriebs mit Blick auf Der Auftrag, Kulturelle Bildung stärker auf der kulturpolitisch gestalteten Wechselbeziehungen bei der Entwicklung des künstlerischen Angebots Seite der Bildungslandschaften zu verorten, endet nicht an den Türen der und Strategien der Kulturellen Bildung könnte dabei helfen, unbewusst Kultureinrichtungen. Neben den klassischen Komm-Strukturen ist die Ent- errichtete Barrieren auf dem Weg zu einer stärkeren Publikumsorien- wicklung von Geh-Strukturen wesentlich. Das Ausschwärmen in die Stadt, tierung offenzulegen. Dies erfordert eine entsprechende institutionelle in den Landkreis und darüber hinaus hat große Bedeutung für den kultu- Offenheit dazu, einen Perspektivwechsel hin zu den (potenziellen) Rezi- rellen Austausch und die Belebung der Bildungs- und Kulturlandschaft. pienten vorzunehmen. Dabei kann auch Expertise von außen hilfreich Kulturelle Vielfalt drückt sich auch in unterschiedlichen kulturellen sein. Denn das Werk, der künstlerische Gegenstand und der kulturelle Umgebungen aus, die heterogener sind, als die Dualität von Stadt und Diskurs gewinnen an Resonanz und gesamtgesellschaftlichem Wert im Land es nahelegt und die jeweils individuelle kulturelle Begegnungsorte Sinne eines öffentlichen Gutes, je mehr und je intensiver Menschen an und ästhetische Gestaltungsräume ermöglichen. So kann z. B. das kul- ihnen teilhaben und von ihnen profitieren können. Dafür braucht es ein turelle Vereinswesen in Bezug auf die kulturelle Teilhabe Anregungen entsprechendes Selbstverständnis, das Kulturelle Bildung als Gesamtauf- und Impulse auch für eine gelingendere Gestaltung des Gemeinwesens gabe und nicht nur als Vertriebsaufgabe für die Kunst anerkennt. in urbanen Räumen bieten. Das gilt beispielsweise für die Entwicklung Vor diesem Hintergrund stellt sich in einer Gesellschaft mit ausdifferen- von Dritten Orten als Orte des kulturellen Austauschs, der Öffnung zur zierten kulturellen Lebenswelten die Frage nach einer Ergänzung der Fach- Siehe Florian Höllerer: „Und Alltags- und Breitenkultur und der kulturellen Vielfalt. Eine solche auf- qualifikationen von Vermittlerinnen und Vermittlern: Über einen künstle- seitab liegt die Stadt“ – von suchende Kulturarbeit bricht im besten Fall ein einseitiges Sender-Emp- risch-wissenschaftlichen und pädagogischen Ausbildungshintergrund Literaturveranstaltungen fänger-Modell und nimmt die Resonanzen der kulturell vielfältigen und hinaus bietet es sich an, weitere Kriterien mit Blick auf die Kenntnis von im ländlichen Raum und dem vielseitigen Gesellschaft auf. Alltagskultur und -ästhetik einzubeziehen. Eine kultursoziologische und Modell der Literaturhäuser, Das Erreichen des potenziellen Publikums, also der Gesamtheit aus Men- -anthropologische Fundierung als Bestandteil von Aus- und Fortbildung wäre S. 74. schen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher kultureller Präferenzen, hier hilfreich. Auf mittlere Sicht ist auch der Nachwuchsförderungsaspekt30 Vorprägungen und Fertigkeiten, unterschiedlicher gelebter Kulturbegriffe Kultureller Bildung relevant, wenn es darum geht, die Kluft zwischen Men- und unterschiedlicher physischer und gelebter Distanz zu öffentlich geför- schen außerhalb und innerhalb des Kunst- und Kulturbetriebs zu verringern. derten Orten der Kulturellen Bildung, ist sowohl eine wichtige Aufgabe von Um Kulturelle Bildung als Organisationsprinzip umzusetzen, welches Kultureinrichtungen als auch von anderen Akteurinnen und Akteuren der das Spannungsverhältnis zwischen dem Ideal künstlerischer Autonomie Kulturellen Bildung. Ein Heraustreten aus dem eigenen Wirkungsort, ein und den Zielsetzungen Kultureller Bildung produktiv nutzt, braucht es Ausschwärmen in andere Kulturräume ist notwendig, um die Distanz zwi- deren grundsätzliche Aufwertung. Kulturvermittlerinnen und Kulturver- schen Orten, Räumen und Institutionen Kultureller Bildung und ihren Adres- mittler sind grundsätzlich alle künstlerisch und künstlerisch-wissenschaft- saten zu verringern. 32 KULTUREINRICHTUNGEN 33 KULTUREINRICHTUNGEN
Auf den Punkt Empfehlung 1 Stärkung von Die vielfältige und dichte Kulturlandschaft ist auch eine Bildungsland- schaft. Das Potenzial der Kulturorte als ästhetische Erfahrungs- und Bildungsräume sollte sich deutlicher als bisher niederschlagen: mit Kul- Kultureinrichtungen tureller Bildung als einer Kernaufgabe jeder Kultureinrichtung, mit festen Haushaltspositionen für Angebote der Kulturellen Bildung, mit systemati- scher Mitwirkung in der Programmgestaltung durch die für die Vermittlung Zuständigen und mit der Verankerung von Bildungs- und Vermittlungs- kompetenzen im Leitungsteam. Eine intensivere Beschäftigung mit potenziellen Teilnehmerinnen und Teil- als Orte ästhetischer Erfahrung und nehmern kultureller Bildungsangebote erfordert eine profunde, bereits in der Ausbildung einsetzende Qualifizierung aller beteiligten Berufs- gruppen im Kunst- und Kulturbereich. Die entsprechenden Angebote der Kultureller Bildung Aus-, Fort- und Weiterbildung einschließlich der Lehre und Forschung an der Schnittstelle von Kunstproduktion und Kultureller Bildung mas- siv auszubauen und aufzuwerten, ist eine zentrale kulturpolitische Auf- gabe der nächsten Jahre. Kulturinstitutionen sind Austragungsorte kultureller Diskurse und Platt- formen ästhetischer Entwicklungen. Damit ihre Angebote möglichst viele Menschen erreichen, müssen Gründe für Barrieren im Bereich der kul- turellen Teilhabe stärker in den Blick genommen werden. Ein starkes Engagement der Kultureinrichtungen für eine stärkere Teilhabe trägt nicht nur zur Entwicklung des Publikums von morgen bei, sondern kann auch zu einer weniger sozial selektiven Nachwuchsförderung in Kunst- und Kulturberufen beitragen. 34 KULTUREINRICHTUNGEN 35 KULTUREINRICHTUNGEN
Das kulturelle und ästhetische Erleben wird vor dem Hintergrund der Schlaglicht 2 Digitaler Wandel Digitalität durch die Auflösung von Grenzen zwischen Produktion und Rezeption, Sparten und Disziplinen geprägt, die aber allein noch keine kulturelle Teilhabe garantiert: Künstlerische und kreative Aktivitäten in digital-analogen Lebenswelten erfordern ebenso eine Unterstützung wie „rein analoge“.32 Stream Im Zuge der Corona-Pandemie hat die Kulturlandschaft einen Digital- schub erfahren. Wie nachhaltig dieser sich auf die kulturelle Teilhabe und das kulturelle Erleben auswirkt, ist fraglich33 und hängt auch von der Bereitschaft von Kulturakteuren und -akteurinnen ab, die Herausforde- rung durch die digital-analoge Kultur umfassend anzunehmen, also ins- besondere auch über den technischen Aspekt der Digitalisierung hin- oder Stau? aus zu agieren. Die Digitalisierung verändert die Qualifikationsanforderungen an das Per- sonal in der Kulturellen Bildung:34 Digitale Angebote erfordern neue Wege der Kulturvermittlung, für deren Umsetzung die Bordmittel der Kultur institutionen oft nicht ausreichen. Stream oder Stau? Kunst und Kultur finden in einer digital-analogen Umwelt statt. Kulturein- richtungen müssen sich auch als Akteure Kultu- reller Bildung dieser Herausforderung in techni- scher, vor allem aber in kultureller Hinsicht stellen. 36 DREI SCHLAGLICHTER 37 DIGITALER WANDEL
Nachgefragt Critical Friends Braucht die Kulturelle Bildung ein Update? Räume öffnen, Bildungsauftrag erweitern: Was macht zeitgemäße Kulturvermitt- lung aus? Die Kulturinstitutionen spielen in der Breite nur eine Nebenrolle im digita- Viele Kulturinstitutionen haben in den letzten Jahren ihren Bildungsauf- len Kosmos. Dies liegt primär daran, dass der digitale Raum noch immer trag in den digitalen Raum hinein erweitert – ein Transformationsprozess, zumeist als Kommunikations- und Marketingraum und nicht als Raum der dem die Pandemie eine entscheidende Dynamik verlieh: Nicht zuletzt die Vermittlung genutzt wird. Digitalisierung bedeutet nicht den Einsatz von Schließung von Universitäten und Schulen initiierte eine notgedrungen immer mehr digitalen Technologien, sondern das Entstehen digital-ana- große Experimentierfreudigkeit mit digitalen Angeboten gerade auch im loger Lebensrealitäten. Jeder Mensch entscheidet situativ und individuell Bildungsbereich. Die größte Herausforderung dabei besteht allerdings über den Anteil des Digitalen und des Analogen in seinem/ihrem Leben. nicht im Ausbau und der Umsetzung neuer digitaler Technologien, son- Es geht deshalb um die Frage, wie Kulturinstitutionen technologisch, funk- dern in der Aufgabe, verlässliche Orientierung und Wege des kritischen tional und kulturell mit diesen heterogenen Lebensrealitäten kompati- und mündigen Umgangs mit digitalen Angeboten im Netz zu eröffnen. bel sein können. Kulturelle Bildung im Kontext der Digitalisierung bedeu- Nachhaltige digitale Strategien erschöpfen sich daher nicht in bloßer tet demnach auch, den digitalen Raum als gleichberechtigt und gleich technischer Beeindruckung oder in 3D-Rundgängen durch die jeweili- relevant zum analogen Raum anzusehen. Dabei reicht es aber nicht aus, gen Häuser. Gelungene Kulturvermittlung im digitalen Raum nutzt die immer wieder neue Einzelprojekte zu entwickeln und umzusetzen. Viel- spezifischen didaktischen Möglichkeiten des Digitalen wie Multimedia- mehr muss ein umfassender systemischer Transformationsprozess statt- lität, Gamification, Interaktivität und Microlearning. Neue Formate wie finden. Dazu gehört unter anderem ein besseres Verständnis dessen, was Onlinekurse, Digitorials, Podcasts und Filmformate können den gesell- im Digitalen überhaupt passiert und wie man Teil der digital-analogen schaftlichen Beitrag von Kulturinstitutionen wesentlich steigern und neue Communitys wird. Dazu gehört auch die Frage nach einem Umbau der Methoden der Aufbereitung von Wissen für ein diverses Publikum ent- vorhandenen Strukturen und Prozesse. Ansonsten droht ein neues digi- wickeln. Die Förderung der „visual literacy“ als Orientierung im Umgang tales Bildungsbürgertum, eine neue digitale Kulturelite zu entstehen, die mit der Bilderflut im Netz ist nur ein Beispiel für die positiven Impulse, mit der Lebensrealität der Gesellschaft keine Verbindung mehr hat. Des- die Kunst und Kunstvermittlung im Prozess der digitalen Transforma- halb sind auch neue Kooperationsformen, beispielsweise mit der Games- tion setzen können. branche, zu erwägen und bisherige Projekte zu überdenken. Christoph Deeg Chantal Eschenfelder Gestalter des analog-digitalen Lebensraums Leiterin Bildung & Vermittlung Städel Museum 38 DIGITALER WANDEL 39 DIGITALER WANDEL
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