Ledigenheime - Entstehung, Entwicklung & - Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und der Stiftung Ros - Hamburg.de

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Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und der Stiftung Ros

Ledigenheime

                                                                         Entstehung,
                                                                         Entwicklung &
                                                                         Zukunft
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Ledigenheime

                                                        Editorial

                                                              Das Ledigenheim in der Rehhoffstraße ist ein be­­        Zum Auftakt haben die Stiftung Ros sowie die
                                                        sonderes Wohnprojekt. Gegründet in der am Anfang           Landeszentrale diese Publikation entwickelt, die im
                                                        des 20. Jahrhunderts sozialreformerischen Absicht,         Ledigenheim und im Infoladen der Landeszentrale er­
                                                        ledigen Männern eine gesicherte Wohnstätte und             hältlich ist. Beide – Stiftung Ros wie Landeszentrale –
                                                        eine den damaligen moralischen Maßstäben genü­             egründen damit auch eine Kooperation für die Zu­
                                                        gende Un­terkunft zu geben, ist es bis heute das           kunft: am Ort des Ledigenheims und mit den The­
                                                        Zuhause einer aktiven Gemeinschaft von Männern             men des 21. Jahrhunderts. Wir sind froh, dass die
                                                        unterschied­lichen Alters, unterschiedlicher Bildung,      Public History der Universität Hamburg von Beginn
                                                        Berufe und Herkommens.                                     an mitwirken möchte!
                                                              Nachdem das Haus in einer wechselvollen Ge­              Zu danken haben wir allen Beteiligten an dem
                                                        schichte schon an private Investoren verkauft war,         Projekt: als Erstem Dr. Michael Ackermann für seine
                                                        ge­lang es einer Bürgerinitiative, das Ledigenheim vor     intensive Forschungsarbeit; dann den Bewohnern
                                                        der Auflösung zu bewahren und wieder im Stadtteil          des Ledigenheims, die sich bereit erklärt haben, ihre
                                                        zu verankern: der Stiftung Ros.                            Erfahrungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten
                                                              Und es wird entwickelt: nicht im Sinne einer Gen­    in Form von Interviews zu teilen; desweiteren dem
                                                        tri­fizierung, sondern als Kultur-, Lern- und Lebensort.   Leiter der Public History an der Universität Hamburg,
                                                        Nach der geplanten Sanierung des Denkmals, die             Prof. Dr. Thorsten Logge, für sein Interesse, gemein­
                                                        großzügig mit Bundes-, Landes- und privaten Zu­            sam mit uns den Lernort auch für Studierende zu
                                                        wen­dungen gefördert wird, soll hier gemeinsam mit         entwickeln; und den Partnern: Mechthild Kränzlin (Ho­
                                                        vielen Partnern auch ein Bildungsort entstehen, an         mann-Stiftung), Inga Beyer (Christianeum) und dem
                                                        dem so­ziale, Wohnungsbau- und stadtentwicklungs­          Denkmalpfleger und Architekten Alk A. Friedrichsen

Abbildungen: A. Zillmer, die ersten Container (links)
                                                        politische, aber auch Erinnerungsprojekte erlebbar         für Ihre Einblicke und Interviews.
                                                        und erforschbar sind.                                          Julia Kleinwächter danken wir für die gelungene
                                                              Wohnen ist ein aktuelles Thema unserer Gesell­       grafische Umsetzung, Lisa Morgenstern für ihre ein­
                                                        schaft, Leben in Gemeinschaft das Thema der älter          fühlsame Fotodokumentation.
                                                        und anonymer werdenden Großstädte. Zusammen­
                                                        leben von Menschen unterschiedlicher Kulturen, Ein­           Wir wünschen viel Freude bei der Lektüre der
                                                        kommen, Nationalitäten, Religionen und Bildungs­           Publikation!
                                                        hintergründen ist dabei längst Realität. Vielfach
                                                        fehlen aber auch in Hamburg die erfolgreichen Mo­
                                                        delle, die ein Gelingen ermöglichen. Das Ledigen­                                Dr. Sabine Bamberger-Stemmann,
                                                        heim soll so ein Ort des Gelingens von Wohnen und                             Landeszentrale für politische Bildung
                                                        Bildung, von sozialer Integration und kulturellem Le­                                 Antje Block und Jade Jacobs,
                                                        ben werden.                                                                                            Stiftung Ros

                                                                                                                                                                                         3
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Ledigenheime

Inhalt
Luft und Licht                    Editorial                      3    Die Fenster, die Fliesen,
Die Entstehungsgeschichte von                                          das Flair
Ledigenheimen Anfang des                                               Interview mit Andriyan Kosenko,
20. Jahrhunderts             6                                        seit 2013 wohnhaft im Ledigen-
                                                                       heim Rehhoffstraße          48
Ledig, jung, sucht
Über die Gründung und die                                              Blickwinkel
Gründer des Ledigenheims in                                            Fotografien von Lisa Morgen-
der Rehhoffstraße          12                                         stern                       50

Zeitungsartikel Ledigen-                                               Eine noch zu knackende
heim RehhoffstraSSe                                                    Nuss
Aus dem Hamburger Fremden-                                             Interview mit Antje Block und
blatt, 01.12.1913       14                                            Jade Jacobs, den Begründern
                                                                       der Initiative Ros           62
Von den Gottesbuden
zum Wohnheim                      Die Architekten                      Mehr als die Fassade
Zur Vorgeschichte der Ledigen-    Ernst Vicenz & Heinrich Wilhelm      Interview mit dem Denkmal-
heime                       16   Behrens                      32
                                                                       pfleger und Architekten Alk A.
                                                                       Friedrichsen zum »Denkmal
Bau- und Sparverein zu            Das Leben im 112-Seelen-
                                                                       Ledigenheim«                  66
Hamburg                           Haus
Veröffentlichung um 1897    20   Kapitäne, Schiffsoffiziere, Hafen-
                                                                       Es braucht Mut
                                  ärzte, Polizisten, Feuerwehrleute,
                                                                       Interview mit Mechthild Kränzlin,
Schläfst du noch oder             Monteure, Söldner, Köche und
                                                                       Leiterin der Homann-Stiftung in
wohnst du schon?                  Arbeiter unter einem Dach      34
                                                                       Hamburg, zu Stiftungen allge-
Zur Situation der Ledigenhei-
                                  Ein neuer Versuch                    mein und zur Stiftung Ros     68
me in Deutschland und Europa
Anfang des 20. Jahrhunderts 22   Wechselnde Eigentümer und
                                  Organisation im Ledigenheim          Anderen mit Respekt
                                  Rehhoffstraße              38       begegnen
Vorbeugen ist besser
als Heilen                                                             Interview mit Inga Beyer,
Die Diskussion um die             Kontrastprogramm                     Kulturbeauftragte des Gymna­
Ledigenheim-­Bewegung zur Zeit    Bilder des Ledigenheims 1913         siums Christianeum und
des Baus des Ledigenheims in      und heute                   42      Lehrerin für Bildende Kunst
der Rehhoffstraße         24                                          und Geschichte             70
                                  Bleib ruhig
                                  Interview mit Heinrich Berg-         Public History
Das Heim des Ledigen
                                  mann, Verwalter des Ledigen-         Projektskizze: Kooperation zwi-
Mannes
                                  heims 1970 – 1992           44      schen der Universität Hamburg
Aus: Holzarbeiter-Zeitung,
Nr. 32, Berlin 08.08.1913   30                                        und dem Ledigenheim
                                  Zwei Meter groSSe
                                                                       Rehhoffstraße                72
                                  Teddybären
Ledigenheime
                                  Interview mit Werner Scobel,         Literatur                    74
Aus: Druckschrift »Abend« in
                                  seit 1965 wohnhaft im Ledigen-
»Hamburger Korrespondent«
                                  heim Rehhoffstraße          46      Impressum                    74
Nr. 638, Hamburg 16.12.1911 31
                                                                                                           5
Ledigenheime - Entstehung, Entwicklung & - Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und der Stiftung Ros - Hamburg.de
Ledigenheime — Entstehungsgeschichte

                                                                                Luft
Das Ledigenheim in der
Rehhoffstraße zur Zeit
seiner Eröffnung um 1913

                                                                                 und Licht
                                                                                 Die Entstehungsgeschichte von Ledigenheimen
                                                                                 Anfang des 20 . Jahrhunderts
                                                                                 Text: Michael Ackermann­

                                                                                                                   B
                                                                                                                            ezahlbares Wohnen in der Großstadt ist aktu­
                                                                                                                            eller denn je. Wohnqualität ist dabei Lebens­
                                                                                                                            qualität, in­dividuell und kollektiv, egal ob
                                                                                                                    jemand allein oder in einer Gemeinschaft lebt. Wo
                                                                                                                    Wohnqualität fehlt, ist die politische Stabilität eines
                                                                                                                    Gemeinwesens / Viertels / Quartiers durch Ghetto­
                                                                                                                    bildung, Verslumung und Krimi­na­lisierung in Gefahr.
                                                                                                                    Wohnungspolitik und Quar­tiers­management befin­
                                                                                                                    den sich gleichsam in einer Schnittmenge aus So­
                                                                                                                    zial-, Kultur- und Gesundheitspolitik, verän­dertem
                                                                                                                    Ar­beitsmarkt und anderen wirtschaftlichen Entwick­
                                                                                                                    lungen. Das galt besonders für den fortschrittlichen
                                                                                                                    Wohnungsbau des späten 19. und frühen 20. Jahr­
                                                                                                                    hunderts in vielen europäischen Großstädten von
                                                                                                                    Glasgow bis Rom. Die hier entwickelte Reform­archi­
                                                                                                                    tektur war ausgerichtet auf helle, stabil gebaute und
                                                                                                                    bezahlbare Wohnungen mit viel Luft und Licht, teil­
                                                                                                                    weise beeinflusst und gefördert durch die Lebens­
                                                                                                                    reform-1 und / oder frühe Arbeiterbewegung, an
                           Abbildung: Hamburgisches Architekturarchiv (links)
                                                                                                                    anderen Stellen eher geprägt durch das paternalis­
                                                                                                                    tische Engagement einiger Großunternehmer, durch
                                                                                                                    bürger­liche Stiftungen, Aktiengesellschaften, Arbei­
                                                                                                                    tervereine aller Couleur, Kirchen beider Konfessio­
                                                                                                                    nen und ab 1926 durch die faschistische Bewegung
                                                                                                                    in Italien (zum Beispiel Rom-Garbatella).
                                                                                                                        Wer eine spannungsgeladene großstädtische Ge­
                                                                                                                    sellschaft in einzelnen Stadtteilen und darüber hinaus
                                                                                                                    entspannen und befrieden will, muss – ges­tern wie
                                                                                                                    heute – auch oder gar an erster Stelle das Bedürfnis
                                                                                                                    nach Wohnqualität befriedigen. Dabei können die
                                                                                                                    Städte selbst bestenfalls günstige Rahmenbedin­
                                                                                                                    gungen schaffen. Jedes Haus, noch mehr jede Wohn-

                                                                                                                                                                         7
Ledigenheime - Entstehung, Entwicklung & - Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und der Stiftung Ros - Hamburg.de
Rechte Seite: Das Arbeiter-
                                                                                        heim in der Heusteigestraße in
                                                                                          Stuttgart. Originalzeichnung,
                                                                                              Illustrirte Welt, Stuttgart,
                                                                                                                nach 1873

    a­ nlage braucht »eine Seele« des würdevollen Woh­            Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts entstanden
     nens und Zusammen­lebens. Diese Aufgabe kann we­         erste sogenannte Spinn-, Werk- und Zuchthäuser
     der der Staat noch der Eigentümer allein bewerk­         als »Korrektur- und Rehabilitationsanstalten« für
    stel­ligen. Erst die Ästhetik am und im Bau schafft       Frauen und Männer mit angeblich »zweifelhaftem
    Wohlgefühl und vermag die kulturelle Wertschätzung        Lebensstil«. Damit hatten sich soziale Einrichtungen
    seiner Bewohner zu fördern. Die verbale und nonver­       erstmals dem Ziel der »Besserung« seiner Bewohner
     bale Kommunikation zwischen den Bewohnern ist            verschrieben. In diesen Häusern wurde oft neben
     dabei nicht immer problemlos oder gar durchweg           akuter Lebenshilfe auf ein normiertes, gesellschaft­
     harmonisch und muss bereits in der baulichen Kon­        lich angepasstes Verhalten hin gearbeitet.
    zeptionierung mitgedacht werden, sichert sie doch             Mitte des 19. Jahrhunderts kam es auch in Ham­
     die Wohn- und Lebensqualität in hohem Maße. Wer          burg zu gewaltigen wirtschaftlichen und sozialen Um­
     in seinem Wohnumfeld menschlich lebt, der liebt auch     brüchen: Aus einer durch Handel und Handwerk
    seine materielle und ideelle Umwelt.2                     geprägten Groß­stadt wurde innerhalb weniger Jahr­
          Die Hansestadt Hamburg ist reich an Stiftungen      zehnte eine durch Welthafen und Großindustrie do­
     und Zeugnissen bürgerschaftlichen Engagements für        minierte Millio­nenmetropole, in welcher zunehmen­
     ein hu­manes Wohnen. Die Fürsorge für Bedürftige         der Wohlstand und soziale Deklassierungen Hand in
     in der Hamburgischen Geschichte schlug sich bereits      Hand gingen.
     nieder in den geistlichen und diakonischen Bau­              Dies machte sich besonders in der Wohnsitua­tion
     ten seit dem 13. Jahrhundert, wie zum Beispiel im        der auseinander driftenden Gesellschaft bemerk­
    St. Johannis-Kloster, im Maria Magdalenen-Kloster         bar: Schlaf­gängerwesen3 und ein Leben ohne Licht,
     und im Hospital vom Heiligen Geist. Ethos und So­        frische Luft und frisches Wasser einerseits, der Bau
    ziales Engagement wurden bis ins 19. Jahrhundert          vom neuen prächtigen Rathaus, dem Hauptbahnhof
     hinein weitgehend von den Kirchen bestimmt. An           und »Fürstenbahnhof« Dammtor, von Prunkhotels
     dieser Situation hatte auch die Reformation nichts       und Alstervillen auf der anderen Seite. Dabei war bei­
     geändert. Soziale Fürsorge geschah durch die Fami­       des auch geografisch genau zu verorten.
     lien, die Zünfte, die Gilden und Bruderschaften so­          Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden ganze
     wie letztlich durch kirchliche Heime für Bedürftige.     Wohnviertel primär im inneren Teil der Stadt (Alt­
    Jede Gruppierung setzte sich dabei primär für die         stadt, südliche und nördliche Neustadt) enteignet
     eigenen Mitglieder ein. Gehörte jemand nicht dazu,       (etwa zum Bau der Hamburger Speicherstadt), von
     bekam er keine Unterstützung.                            privat verkauft und neu gekauft sowie neu bebaut.
          Erste soziale Einrichtungen – egal ob für Wai­sen   Teile der inneren Stadt wurden saniert. Durch frei­
     oder Witwen – entstanden am Rande der mittelalter­       es Kapital und bürgerschaftliches Engagement ent­
     lichen Stadt. Äußerlich erinnerten diese Heime viel­     standen aber auch einige leuchtturmartige »Schatz­
    fach gerade nicht an schmucklose Billigbauten, son­       kästlein« wie das 1912 / 1913 er­baute Ledigenheim
    dern eher an höfische Bauwerke oder nordische             in der Hamburger Neustadt.
    Schlösser.                                                    Ledigenheime spielten eine besondere Rolle bei
                                                                                                                             Abbildung: Ledigenheim Rehhoffstraße

          In ihrer baulichen Solidität und äußeren Schön­     der Versorgung unverheirateter großstädtischer Ar­
     heit sollten bereits die Waisenhäuser und »Bes­          beiter mit bezahlbarem Wohnraum. Zu nichts mehr
    se­rungs­anstal­ten« des 17. Jahrhunderts »Könige         oder weniger war und ist das 1913 eröffnete Ledi­
     be­­eindrucken«. Der Weg der sozialen Korrektur be­      genheim für alleinstehende Männer in der Hambur­
    ziehungsweise der Integration in die städtische Ge­       ger Neustadt da.
    sellschaft sollte durch einen baulich und ästhetisch          Das Ledigenheim in der Rehhoffstraße ist ein ge­
     herausragenden Arbeits- und Le­bensort unterstützt       wichtiges Stück Hamburger Baugeschichte, Baukultur
    werden, welcher den Bewohnern hilft, sich selbst          und Bauerbe. Ebenso ein beachtliches Stück Sozial-,
    aus einer moralisch und / oder sozial schwierigen         Kultur- und Kunstgeschichte. Es ist auch ein frühes
    Lebenslage herauszubewegen.                               Beispiel bürgerschaftlicher Wohlfahrtsarchitektur, zu

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Ledigenheime - Entstehung, Entwicklung & - Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und der Stiftung Ros - Hamburg.de
Ledigenheime — Entstehungsgeschichte

                                                                          Linke Seite: Ledigenheim
                                                                          in der Bachstraße in Ham-
                                                                          burg, Postkarte von 1913

                                                                          denen die Seemannsheime und Wohnstifte sowie die
                                                                          nach dem Ersten Weltkrieg vom Hamburger Ober­
                                                                          bau­direktor Prof. Fritz Schumacher entwickelten
                                                                          Klein­raum­wohnungen mit Gemeinschaftseinrichtun­
                                                                          gen, zum Beispiel in der Jarresstadt oder am Ham­
                                                                          burger Dulsberg zählen.
                                                                              Jenseits des noch um die Wende zum 20. Jahr­
                                                                          hundert mächtigen Einflusses von Historismus und
                                                                          Neorenaissance entstanden – wie am Beispiel des
                                                                          Ledigenheims deutlich – solide Bauwerke aus eher
                                                                          tra­ditioneller Handwer­kertechnik, garniert mit etwas
                                                                          Jugendstil. Der Stil die­ser Wohngroßbauten war be­
                                                                          einflusst durch die gleichzeitig errichteten Bauten
                                                                          des Kurwesens, der Sanatorien und des Kurtourismus.
                                                                               Das Ledigenheim zeugt von einer durch und durch
                                                                          ehrlichen, soliden und würdigen Architektur, einer
                                                                          ma­ximalen Ausnutzung des vorhandenen Raumes
                                                                          inklusive Querlüftung bis hin zur Orientierung am
                                                                          ganz­heit­lichen Rousseauschen Menschenbild.4 Von
                                                                          der durch Backstein geprägten äußeren Bauform bis                                                                      Zimmer im Ledigenheim,
                                                                          zur bewohnerorientierten Nutzung des Wohn­raumes                                                                       Foto: Nachlass Spörhase
                                                                          sind Ähnlichkeiten mit Fritz Schumachers Wohnpro­
                                                                          jekten der Zwanziger Jahre bemerkbar, wenngleich
                                                                          diese weder die Architektur noch den Geist des Le­
                                                                          digenheims allein zu entschlüsseln vermögen.
                                                                               Wer hier wohnt, wird nicht »von seiner Wohnung
                                                                          erschlagen« (Zille).5 Über eine ansprechende Ausstat­
                                                                          tung sollten sich die Bewohner des Ledigenheims
                                                                          gut aufgehoben fühlen. Der schön gestaltete Spei­
                                                                          se- und Lesesaal fungierte als eine Art gemeinsames
                                                                          »Wohnzimmer«, ein Wohnraum als kommunikativer            1
                                                                                                                                        ier werden Bezüge zu Einflüssen der
                                                                                                                                       H                                       4
                                                                                                                                                                                   In Rousseaus »Gesellschaftsvertrag«
                                                                          Treffpunkt und wertvolles Gegenstück zu den kleinen          Lebensreformbewegung deutlich, wel-         (1762) ging es ihm um den »mündi-
                                                                          priva­ten Räumen. Da die Bewohner sich zu jeder Zeit

     Abbildungen: Stiftung Ros (links), Hamburgisches Architekturarchiv
                                                                                                                                       che sich zwischen 1850 (Naturheilbe-        gen Bürger«, der sich »freiwillig dem
                                                                                                                                       wegung) und 1900 (Jugendbewegung)           idealen Gemeinschaftswillen (Volonté
                                                                          in den von ihnen angemieteten Räumen und den                 in ihrer Kritik am Materialismus für        générale) unterwirft, ohne seine
                                                                          dazugehörigen Gemeinschaftsräumen frei bewegen               eine gesunde Lebensweise in Körper          persönliche Freiheit aufzugeben«.
                                                                          konnten, hatte das Ledigenheim zu keiner Zeit den            und Geist einsetzte. Durch die Arbeit       Dabei verband Rousseau subjektive
                                                                                                                                       am Individuum sollte die geistige           Innerlichkeit mit zivilisatorischem
                                                                          Charakter einer Anstalt. Das Ledigenheim in der Reh­         Gesundung der ganzen Gesellschaft           Fortschritt
                                                                          hoffstraße sollte eine Einrichtung zur Förderung der         herbeigeführt werden. Ziel verschie-
                                                                                                                                       dener Strömungen der Lebensreform-      5
                                                                                                                                                                                   Der Bewohner solle nicht »mit seiner
                                                                          Teilhabe an einer bürgerlichen Welt sein. Das eigene         bewegung war eine Rückkehr des              Wohnung wie mit einer Axt erschlagen
                                                                          Zimmer als Rückzugsort und Intimsphäre auf Dauer,            Menschen zu einem ganzheitlichen            werden«, betonte der Milieuforscher
                                                                                                                                       Lebensstil i.S.v. »zurück zur Natur«        Heinrich Zille in seiner Untersuchung
                                                                          das Gesamtbauwerk als gemeinschaftliche Woh­nung
                                                                                                                                                                                   des Schlafburschenwesens 1908.
                                                                          oder vergrößertes »Wohnzimmer« mit einem vielfälti­           gl. Wolfsohn, Michael: Menschlich
                                                                                                                                       V
                                                                                                                                   2

                                                                                                                                       wohnen. In: DIE WELT 18.11.2017, S.2        Die betr. Bewohner der »elenden
                                                                          gen kulturellen Angebot.                                                                                 Zufluchtsorte« der nicht nur Berliner
                                                                                                                                   3
                                                                                                                                       Die sog. »Schlafgänger« verfügten          Hinterhöfe und Mietskasernen sah
                                                                               Vor und bald nach 1918 entstanden in Hamburg            über keinerlei wohnliche Privatsphä-        Zille als »wandelnde Leichname«. s.
                                                                          an der Reeperbahn und in der Admiralitätsstraße              re. Ihnen stand zur Miete weder ein         Zille, Heinrich: Das alte Berlin 1890-
                                                                          weitere Ledigenheime – ebenfalls für Frauen – so­            eigener Raum noch ein eigenes Bett          1910. Schirmer/Mosel 2014 S. 68
                                                                                                                                       zur Verfügung, sondern lediglich die
                                                                          wie in anderen Städten Deutschlands (Berlin-Char­            stundenweise Nutzung eines Bettes in    6
                                                                                                                                                                                   Deutliche Unterschiede in Konzeption,
                                                                          lottenburg, Düren, München, Stuttgart, Saar­brücken)         einem zumeist von mehreren Bewoh-           Ausstattung und Funktion der ver-
                                                                                                                                       nern beider Geschlechts genutzten           schiedenen europäischen Ledigenhei-
                                                                          und Europas (Glasgow, London, Mailand, Wien, Pa­             Raumes                                      me werden ab Seite 16 ff verdeutlicht
                                                                          ris) im selben Zeitraum.6

10                                                                                                                                                                                                                          11
Ledigenheime - Entstehung, Entwicklung & - Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und der Stiftung Ros - Hamburg.de
Ledigenheime — Gründung & Gründer

                                                                                                          Das Ledigenheim war als Übergangsdomizil auf
                                                                                                      in die Stadt ziehende oder durch­reisende Arbeiter
                                                                                                      ausgerichtet. Diesen wollte man durch eine ent­
                                                                                                      sprechende Gebäudegestaltung und umfangreiche
                                                                                                      Angebote eine familienähnliche Struktur und Ein­
                                                                                                      gliederungshilfe in der neuen Umgebung bieten. Der
                                                                                                      Bau-Verein orientierte sich bei der Planung an der

     Ledig, jung,
                                                                                                      Idee der Ledigenheime, die schon früh im 19. Jahr­
                                                                                                      hundert aufkam, wobei sie anfänglich meist nur als
                                                                                                      Wohnheim für bestimmte Berufs- oder Konfessions­
                                                                                                      gruppen umgesetzt wurde.
                                                                                                          Das erste »offene Ledigenheim« für durchreisende
                                                                                                      und alleinstehende Menschen in Deutschland wur­

         sucht ...
                                                                                                      de erst 1908 in Berlin-Charlottenburg eröffnet. Man
                                                                                                      konnte hierdurch und durch andere derartige Projek­
                                                                                                      te bei der Konzeption des Hamburger Ledigenhei­
                                                                                                      mes im Jahre 1912 auf eine Reihe von praktischen
                                                                                                      Erfahrungen zurückgreifen. So wurde in Hamburg                                                                       Die Fassade des
                                                                                                      beispielsweise auf Doppel- und Dreibettzimmer be­                                                                    Ledigenheims
                                                                                                      wusst verzichtet, »weil in den übrigen in Deutsch­                                                                   in der Rehhoff-
                       Über die Gründung und                                                          land gebauten Ledigen­heimen mit mehrbettigen                                                                        straße

                 die Gründer des Ledigenheims                                                         Zim­mern keine günstigen Erfahrungen gemacht
                                                                                                      worden waren« wie es im Ge­schäfts­bericht des Bau-
                          in der Rehhoffstraße                                                        Vereins zu Hamburg von 1913 steht.
                         Text: Antje Block, Annabelle Dorn, Jade Jacobs
                                                                                                          Das Ledigenheim in der Rehhoffstraße bot den
                                                                                                      Arbeitern neben einer ganzen Reihe von See­manns­
                                                                                                      heimen und anderen Domizilen in der Nähe des Ha­
                                                                                                      fens eine an­gemessene Form der Unterbringung,
                                                                                                      zeichnete sich je­doch insbesondere durch seine
                                                                                                      libe­rale Vermietungspolitik aus: So stand das Haus

          D
                  as Ledigenheim in der Rehhoffstraße am                                              allen Nationalitäten, Be­rufsgruppen und Konfes­
                  Rande der südlichen Neustadt galt 1913, zur                                         sionen zur Verfügung. Die Offenheit des Konzeptes
                  Zeit seiner Eröffnung, als hochmodern. Es                                           zeigte sich nicht zuletzt darin, dass die Zimmer auch
          war der politische Versuch, auf soziale und städte­                                         dauerhaft angemietet werden konnten. So kam es
          bauliche Notwendigkei­ten des boomenden Weltha­                                             dazu, dass in der Rehhoffstraße ein Heim für ledige
          fens Hamburg und der wach­senden Arbeiterschaft                                             Männer geschaffen wurde mit einem fortschrittlichen
          am Hafenrand zukunftsorien­tiert zu reagieren. Der                                          Kon­zept und recht hohen baulichen Standard.
          Bauherr, der Bau-Verein zu Hamburg, hatte seit län­                                             Die Architekten Heinrich Wilhelm Beh­rens und
          gerem nach Möglichkeiten gesucht, alleinstehende,                                           Ernst Vicenz errichteten das Ledigenheim als Teil
          gering bezahlte Arbeitskräfte arbeitsplatznah unter­                                        eines größeren Gebäudeblocks auf einem dreiecki­
          zubringen. Dieser Ansatz entsprach den damaligen                                            gen Grundstück in der Nähe des Hafens. Der Block        detaillierte Fassadengestaltung und einen leich­
          Vergabekriterien der Stadt für attraktive Grund-                                            umfasste neben dem Ledigenheim mit den 112 mö­          ten Versatz zum restlichen Block als selbständiges
          ­stücke im Sanierungsgebiet Südliche Neustadt, und                                          blierten Einzelzimmern noch 15 fünf­geschossige         Gebäude in Erscheinung. Hierin eine gestalterische
           der Bau-Verein erhielt den Zuschlag.                                                       Etagenhäuser mit insgesamt 172 über­wiegend klei­       Nähe, vielleicht auch einen Vorgriff, zum 1922 bis
              Der Bau-Verein musste das Haus durch die Auf­                                           nen Arbeiterwohnungen.                                  1924 errichteten Chile-Haus zu sehen, liegt nahe.
           lagen der Gemeinnützigkeit und der Sanierungs­                                                 Bei der Konzeption des Ensembles wichen die         Während der übrige Block nur rechteckige Fens­
           kommission der Stadt sozial gerecht führen. Miet­                                          Architekten von der sonst in der Gegend üblichen        ter- und Türformate aufwies, war das Ledigenheim
           preiserhöhungen und eine Veräußerung waren über                                            geschlossenen Blockrandbebauung ab. Stattdessen         im Erdgeschoss durch Rundbögen gekennzeichnet.
           Jahrzehnte nur unter hohen Auflagen und nur mit                                            entschieden sie sich für das Einrücken eines Ge­        Darüber hi­naus fiel die Fassade durch Backsteinor­
           Zustimmung der Stadt möglich. So hätten beispiels­                                         bäudeteils in der Mitte des Ensembles, so dass sich     namente auf, wie etwa das Schneckenmotiv am Ein­
           weise eine Mieterhöhung um mehr als 10 % oder                                              hier zur Rehhoffstraße hin ein offener Hof ausbilde­    gang und das einfache Reliefmuster zwischen den
           ein Weiterverkauf eine Strafzahlung in Höhe des                                            te. Diese »Hamburger Burg« sollte für eine bessere      Fensterreihen der drei Obergeschosse. So bot das
                                                                          Abbildungen: Stiftung Ros

           ursprünglichen Kaufpreises des Grundstücks zur                                             Belichtung und Be­lüftung sorgen und prägt bis heu­     Ledigenheim einen hohen Standard für die Arbeiter
           Folge gehabt. Somit blieb die Miete im Ledigen­                                            te die Anlage in der äußeren Erscheinung.               des frühen 20. Jahrhunderts.
           heim, zumindest in den ersten drei Jahrzehnten,                                                Baulich herausragend war dabei das Ledigen­
           entsprechend niedrig. Sie »betrug je nach Geschoss,                                        heim. Dieses fügte sich zwar insgesamt von außen
           einschließlich Reinigung und Wäsche, 13,- bis 17,-                                         gut in den Gesamtkomplex ein, trat aber selbst­          1
                                                                                                                                                                   (vgl. Rolf Spörhase, »Bauverein zu Hamburg AG«, 1940)
           Mark im Monat.«.1                                                                          bewusst durch seinen bugartigen Zuschnitt, eine

12                                                                                                                                                                                                                                       13
Ledigenheime - Entstehung, Entwicklung & - Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und der Stiftung Ros - Hamburg.de
Zeitungsartikel Ledigenheim RehhoffstraSSe
     wahrscheinlich aus: Hamburger Fremdenblatt, 01.12.1913
                                                              Ledigenheime — Zeitungsartikel

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Ledigenheime - Entstehung, Entwicklung & - Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und der Stiftung Ros - Hamburg.de
Ledigenheime — Vorgeschichte

Von den Gottesbuden
                                                                                                                                                                                                     Die Beweggründe der bürgerlichen Mildtätigkeit
                                                                                                                                                                                                 im späten Mittelalter sind somit klar erkennbar: Die
                                                                                                                                                                                                                                                          Stiftsgebäude an
                                                                                                                                                                                                 Menschen gaben weniger, um dem Nächsten zu               der Spitalerstraße
                                                                                                                                                                                                 helfen, als um ihrer selbst willen. Die einer solchen

zum Wohnheim                                                                                                                                                                                     Mildtätigkeit zugrunde liegende Einstellung musste
                                                                                                                                                                                                 die Stifter zwangs­läufig dazu führen, in der eigenen
                                                                                                                                                                                                 Frömmigkeit eine bessere und zuverlässigere Für­
                                                                                                                                                                                                 sprecherin auf dem Weg zur Ewigkeit zu finden als
                                                                                                                                                                                                 in der reinen Armenhilfe.
Zur Vorgeschichte der Ledigenheime                                                                                                                                                                   Gegen Ende des 13. Jahrhunderts mehrten sich
                                                                                                                                                                                                 die Stiftungen größerer Memoiren, bei denen neben
Text: Michael Ackermann
                                                                                                                                                                                                 dem Wachhalten des Gedenkens an die Stifter auch
                                                                                                                                                                                                 Almosen an ärmere Bevölkerungsschichten ver­

                                     W
                                                  ohnstifte haben in Hamburg eine lange                                                                                                          teilt wurden. Das Almosengeben war geprägt vom
                                                  Tra­dition und wurden über Jahrhunderte                                                                                                        christlich-asketischen Ideal der Armut und stand un­
                                                  Testa­mente genannt, soweit diese in                                                                                                           ter den »guten Werken«, an die die Vergebung der
                                     letztwilligen Verfügungen ihren Ursprung hatten.1                                                                                                           Sünden und die Erlangung ewiger Seligkeit geknüpft
                                     Bereits seit dem 13. Jahrhundert begegnen uns in                                                                                                            waren, an erster Stelle. Die Religion war das Medi­
                                     Hamburg Memorien (seit 1228) und Vikarienstif­                                                                                                              um, welches dem Almosen das Erniedrigende nahm:
                                     tungen (seit 1251). Primärer Zweck dieser Stiftun­                                                                                                          Der Geber gab Christus persönlich seine Gabe, der
                                     gen war die Finanzierung alljährlicher Messen zum                                                                                                           in des Armen Gestalt zu ihm kam (vgl. Matthäus 25,
                                     Gedächtnis und Seelenheil des Stifters und seiner                                                                                                           35-46 2) und der Empfänger war sich bewusst, dass
                                     Verwandten beziehungsweise die Anstellung und                                                                                                               Gott es dem Geber anstatt seiner vergelten werde.
                                     Dotierung von Vikaren an kleineren Kapellen und                                                                                                                 Mit der Reformation trat eine wesentliche Ände­
»Grundtriß der Edlen Weltberumten    Nebenaltären, die stellvertretend für die Domherren                                                                                                         rung in der Armenpflege ein, deren Folgen sich auf
Statt Hamburg Anno 1651«             und Pfarrer kirchliche Amtsverrichtungen zugunsten                                                                                                          alle Stiftungen erstreckten. Anstelle des Vorteils des
(Stich Johannes Mejer)               der Stifter vorzunehmen hatten.                                                                                                                             Almosenspenders trat der der Bedürftigen in den
                                                                                                                                                                                                 Vordergrund. Luther forderte, die Armenpflege müs­
                                                                                                                                                                                                 se dem Klerus ent­zogen und an die einzelnen bür­
                                                                                                                                                                                                 gerlichen Gemeinden übertragen werden.3 Dabei
                                                                                                                                                                                                 erkannte er nur die Erwerbs­unfähigkeit als alleinige
                                                                                                                                                                                                 Unterstützungsbedürftigkeit an. Die Armenfürsorge

                                                                                            Abbildungen: Joahnnes Mejer, Quelle: Harvard Map Collection (links), Staatsarchiv Hamburg (rechts)
                                                                                                                                                                                                 erleichterte Luther den Gemeinden dadurch, dass
                                                                                                                                                                                                 er sie nur dazu verpflichtete, die Bedürftigen vor
                                                                                                                                                                                                 dem Äußersten – dem Verhungern und Erfrieren –           Für die Bewohner der Gottesbuden galten ein­deutige Ver-
                                                                                                                                                                                                 zu bewahren. Weitergehendes müsse der privaten           haltensmaßregeln, die später dem Dirck-Koster-Testament
                                                                                                                                                                                                 Wohltätigkeit überlassen werden. Während sich die        (1537) hinzugefügt wurden:
                                                                                                                                                                                                 öffentliche Wohltätigkeit nur auf das Überlebens­
                                                                                                                                                                                                                                                          1. Jeder, der in meinen Gotteswohnungen um Gottes Willen Behausun­
                                                                                                                                                                                                 wichtige beschränkte, konnten und sollten die priva­
                                                                                                                                                                                                                                                          gen und Herberge hat, soll des Sonntags und an anderen Festtagen das
                                                                                                                                                                                                 ten Stiftungen das über das Unentbehrliche Hinaus­
                                                                                                                                                                                                                                                          Heilige Evangelium (…) fleißig hören. (…) Dieses soll ohne berechtigten
                                                                                                                                                                                                 gehende bei ihren Hilfestellungen berücksichtigen,       Grund, also wegen Krankheit und anderer Gebrechen, nicht versäumt
                                                                                                                                                                                                 spezielle Zielgruppen (Witwen, Waisen, Arme, Kran­       werden. Sollte es geschehen, dass jemand böswillig Gottes Wort ver­
                                                                                                                                                                                                 ke, Straffällige, sozial und moralisch Entwurzelte)      säumte und nicht hören wollte, sondern darauf fluchen und ketzern
                                                                                                                                                                                                 ansprechen und auf deren besondere Verhältnisse          würde, so soll er seiner Wohnung verlustig sein. (. . .)
                                                                                                                                                                                                 Rücksicht nehmen.
                                                                                                                                                                                                     Seit 1534 finden wir ausgehend vom Hospital          3 . Niemand soll seinen Mitbewohner zur Zwietracht oder Unmut reizen.
                                                                                                                                                                                                 St. Georg und der Dirck-Koster-Stiftung an der Spi­       Sollte jemand für so unfriedfertig und böswillig gehalten werden, dass
                                                                                                                                                                                                 talerstraße die Erbauung von »Gottesbuden«, also          er sich ein-, zwei- oder dreimal durch meine Testamentarien in Freund­
                                                                                                                                                                                                 Wohnungen und Keller zur Versorgung sogenann­             schaft ermahnt, nicht fügen sollte, und zum vierten Male Unfrieden,
                                                                                                                                                                                                                                                           Zwist, Streit und Hader stiftet, so soll er seiner Wohnung und Herberge
                                                                                                                                                                                                 ter »Gottesarmen«.4 Jeweils zwei verwandte Erben
                                                                                                                                                                                                                                                           beraubt sein, und mit seinem Gute, das er eingebracht hat, von Stund
                                                                                                                                                                                                 Kosters und zwei Fremde sollten dem »Gotteswerk«
                                                                                                                                                                                                                                                           an ausgewiesen werden, keine Schonung genießen und für die Zeit, die
                                                                                                                                                                                                 (der Stiftung) vorstehen. Ein rechenschaftspflichtiges    er darin gewohnt hat, 3 Mark für jedes Jahr Miete zahlen. (. . .)
                                                                                                                                                                                                 Verwaltungsmitglied des Stiftungsvorstands sollte
                                                                                                                                                                                                 die Jahresmiete von den vermieteten Stiftswohnun­         . Niemand soll in meinen Gotteswohnungen aufgenommen werden,
                                                                                                                                                                                                                                                          8
                                                                                                                                                                                                 gen einziehen, die Bauten in gutem Zustand halten        der Verwandte und Güter besitzt, von denen er unterhalten und ernährt
                                                                                                                                                                                                 und mit dem Überschuss die Armen in den Gottes­          werden kann. (. . .).6
                                                                                                                                                                                                 buden versor­gen mit Kohlen, Schuhzeug und Geld
                                                                                                                                                                                                 für eine Mahlzeit.

16                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   17
Ledigenheime - Entstehung, Entwicklung & - Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und der Stiftung Ros - Hamburg.de
Ledigenheime — Vorgeschichte

     Zimmer des Ledigenheims in                                                                                                                                                                                   Hinsichtlich der Aufnahme von Armen in die                            1860er Jahren kam es zu einer Häufung von Neu­
       der Rehhoffstraße, um 1913                                                                                                                                                                             Gottes­buden ermahnte der Stifter seine Verwalter                         grün­dun­gen von Wohnstiften in Hamburg. Von einer
                                                                                                                                                                                                              ernstlich, dass »nur wahrhaft bedürftige rechtschaf­                      regelrechten Gründungswelle konnte man in den
                                                                                                                                                                                                              fene Gottesarme, die fromme Leute seien, aufge­                           1890er Jahren sprechen. Diese neuen Stiftungen
                                                                                                                                                                                                              nommen werden sollten«.5                                                  und Vereine verlagerten die Wohnfürsorge stärker
                                                                                                                                                                                                                  Für den Fall, dass ein Bewohner der Gottesbu­                         auf Wohnungen für eine geringe Miete, wodurch
                                                                                                                                                                                                              den krank oder bettlägerig wurde, empfahl der Stif­                       ein größerer Kreis von Armen und Wohnungslosen
                                                                                                                                                                                                              ter Dirck Koster den Stiftungsverwalter sich ihrer                        erreicht werden konnte.9
                                                                                                                                                                                                              besonders anzunehmen, und den gesunden Bewoh­                                 Die größte und fast auf dem gesamten Stadtge­
                                                                                                                                                                                                              nern selbst, den Erkrankten zu pflegen.                                   biet arbeitende Organisation im Bereich der finan­
                                                                                                                                                                                                                  Um 1700 hatte sich eine Tendenz durchgesetzt,                         ziellen Miet­beihilfe war der 1861 gegründete »Ver­-
                                                                                                                                                                                                              nur noch bedürftige Frauen in den Stiftungswoh­                           band hamburgischer Miet–Hilfsvereine«. Er unter­
                                                                                                                                                                                                              nungen auf­zunehmen. Deren Verhalten wurde durch                          stützte Perso­nen, »deren Einnahmen durch beson­
                                                                                                                                                                                                              eine stren­­ge Hausordnung geregelt und einen eben­                       dere Zufälle Schmä­lerungen oder deren Ausgaben

                                    Abbildungen: Hamburgisches Architekturarchiv (links), Ausschnitt aus einer Veröffentlichung des Bau- und Sparvereins zu Hamburg, vermutlich 1897 (folgende Doppelseite)
                                                                                                                                                                                                              so strengen Verwalter überwacht. Nach der Haus­                           ausnahmsweise Steigerungen erfahren haben, de­
                                                                                                                                                                                                              ordnung von 1828 und 1857 wird von den Frauen                             ren festgestelltes Durchschnittseinkommen hinge­
                                                                                                                                                                                                              ausdrücklich »Reinlichkeit« gefordert »am eigenen                         gen ohne Eintritt jener Ereignisse zur Bezahlung der
                                                                                                                                                                                                              Körper wie in der Wohnung«. Jede Unsauberkeit                             Miete genügt hätte«.10 Somit ging es erstmals um
                                                                                                                                                                                                              solle nach der Mahnung eine Kündigung nach sich                           Familien, deren Einkommen zur Sicherung des Le­
                                                                                                                                                                                                              ziehen. Außer zur Reinlichkeit werden die Frauen zur                      bensunterhaltes schlichtweg zu gering war. Zu be­
                                                                                                                                                                                                              »Sparsamkeit, Ordnung, Wohlverhalten, Ruhehal­                            rücksichtigen ist, dass Hamburg im 19. Jahrhundert
                                                                                                                                                                                                              tung zu Sittlichkeit« ermahnt.7                                           einen wirtschaftlichen Magnet bildete, der Menschen
                                                                                                                                                                                                                  Vergleichbare Hausordnungen finden wir in fast                        aus ganz Deutschland anzog. Die in Hamburg relativ
                                                                                                                                                                                                              allen Wohnheimen und ähnlichen Einrichtungen in                           hohen Löhne weckten Erwartungen der Neu-Ham­
                                                                                                                                                                                                              dieser Zeit. Insbesondere sollte der Kontakt der be­                      burger, welche weder Miethöhen noch Lebensmit­
                                                                                                                                                                                                              treffenden Frauen zu Männern unterbunden werden.                          telpreise bei ihrer Ankunft kannten oder bedach­
                                                                                                                                                                                                                  Die Armenpflege und das Fürsorgewesen setz­                           ten. Auch die Hilfen gegenüber dieser Klientel
                                                                                                                                                                                                              ten weiterhin auf geschlossene Anstalten wie das                          be­schränkten sich weitgehend auf private Kreise.
                                                                                                                                                                                                              Seefahrer-­Armenhaus, die Waisenhäuser, das Zucht-                            Zu einem wachsenden Einfluss des Staates oder
                                                                                                                                                                                                              und Werkhaus 8 sowie die Armen-Krankenhäuser.                             der Stadt in der Baugesetzgebung, der Bebauungs­
                                                                                                                                                                                                                  Auf Anregung der Patriotischen Gesellschaft ent­                      planung und der Wohnungskontrolle vergleichbaren
                                                                                                                                                                                                              stand nach 1788 ein ganzes System ehrenamtlicher                          Engagements in der Form unmittelbarer städtischer
                                                                                                                                                                                                              städtischer Armenfürsorge, welches bald in ganz                           Wohnungs­fürsorge ist es im 19. Jahrhundert nicht
                                                                                                                                                                                                              Deutschland nachgeahmt wurde. In den 1850er und                           gekommen.11

                                                                                                                                                                                                                1
                                                                                                                                                                                                                     gl. Lappenberg, J.M: Die milden Privatstiftun-
                                                                                                                                                                                                                    V                                                      ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich        5
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  v gl. Gabrielsson, Peter: Von Gottesbuden zum
                                                                                                                                                                                                                    gen zu Hamburg. Hamburg 1845 in: Gabrielsson,          nicht gespeist; ich bin durstig gewesen, und            Wohnstift. Hamburg 1980, S. 32
                                                                                                                                                                                                                    P.: Von Gottesbuden zum Wohnstift. Hamburg             ihr habt mir nicht zu trinken gegeben; 43 ich
                                                                                                                                                                                                                    1980, S. 9 ff                                          bin ein Fremdling gewesen, und ihr habt mich
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             6
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  (Infokasten) vgl. ebd. S. 32 - 34
                                                                                                                                                                                                                                                                           nicht beherbergt; ohne Kleidung, und ihr habt     7
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  vgl. ebd. S. 127
                                                                                                                                                                                                                2
                                                                                                                                                                                                                    Matth. 25, 35-46:
                                                                                                                                                                                                                    »35 Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr              mich nicht bekleidet; krank und gefangen, und
                                                                                                                                                                                                                    habt mich gespeist; ich bin durstig gewesen,           ihr habt mich nicht besucht! 44 Dann werden       8
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  1 618-1842 Städtischer Unterbringungsort für
                                                                                                                                                                                                                    und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich bin           auch sie ihm antworten und sagen: Herr, wann            Bettler und Vagabunden sowie für Personen,
                                                                                                                                                                                                                    ein Fremdling gewesen, und ihr habt mich               haben wir dich hungrig oder durstig oder als            die auf Initiative ihrer Verwandten aufgrund
                                                                                                                                                                                                                    beherbergt; 36 ich bin ohne Kleidung gewesen,          Fremdling oder ohne Kleidung oder krank                 von angeblich »verschwenderischem und
                                                                                                                                                                                                                    und ihr habt mich bekleidet; ich bin krank             oder gefangen gesehen und haben dir nicht               liederlichen Lebenswandels« eingewiesen wur-
                                                                                                                                                                                                                    gewesen, und ihr habt mich besucht; ich                gedient? 45 Dann wird er ihnen antworten:               den. Durch Disziplinierung und Zwangsarbeit
                                                                                                                                                                                                                    bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir              Wahrlich, ich sage euch: Was ihr einem dieser           (in Tretmühlen, Leinenwebereien, Holzraspeln,
                                                                                                                                                                                                                    gekommen. 37 Dann werden ihm die Gerechten             Geringsten nicht getan habt, das habt ihr mir           Spinn- unjd Näharbeiten) sollten die Bewohner
                                                                                                                                                                                                                    antworten und sagen: Herr, wann haben wir              auch nicht getan! 46 Und sie werden in die              ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und
                                                                                                                                                                                                                    dich hungrig gesehen und haben dich gespeist,          ewige Strafe hingehen, die Gerechten aber in            sich »bessern«. s. Brietzke, Dirk: Die Anfänge
                                                                                                                                                                                                                    oder durstig, und haben dir zu trinken gege-           das ewige Leben. (Übersetzung: Neues Testa-             moderner Sozialpolitik und die Erziehung zur
                                                                                                                                                                                                                    ben? 38 Wann haben wir dich als Fremdling              ment. Schlatter 2000)«                                  Arbeitsamkeit. Zur Bedeutung des Werk- ujd
                                                                                                                                                                                                                    gesehen und haben dich beherbergt, oder
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Zuchthauses für die Reform des Hamburger
                                                                                                                                                                                                                    ohne Kleidung, und haben dich bekleidet?           3
                                                                                                                                                                                                                                                                            gl. Joachim, H.: Die Entwicklung von Armen-
                                                                                                                                                                                                                                                                           V
                                                                                                                                                                                                                                                                           pflege und Wohltätigkeit im Hamburg bis ins             Armenwesens. In: Mitteilungen des Hamburger
                                                                                                                                                                                                                    39 Wann haben wir dich krank gesehen, oder
                                                                                                                                                                                                                    im Gefängnis, und sind zu dir gekommen?                19. Jahrhundert. Hamburg 1936, S. 106 f                 Arbeitskreises für Regionalgeschichte (HAR),
                                                                                                                                                                                                                    40 Und der König wird ihnen antworten und                                                                      30/ 1997 S. 38-46
                                                                                                                                                                                                                    sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr einem
                                                                                                                                                                                                                                                                       4
                                                                                                                                                                                                                                                                            Gottesarme«, frühneuhochdeutsch: »arm,
                                                                                                                                                                                                                                                                           »
                                                                                                                                                                                                                                                                           elend, krank«, aber auch »im Spital (o.ä.)
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             9
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   ischermann, Clemens: Wohnen in Hamburg
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  W
                                                                                                                                                                                                                    dieser meiner geringsten Brüder getan habt,
                                                                                                                                                                                                                                                                           lebend«. Es handelte sich um Menschen, die             vor dem 1. Weltkrieg. Münster 1983, S. 237
                                                                                                                                                                                                                    das habt ihr mir getan! 41 Dann wird er auch
                                                                                                                                                                                                                    denen zur Linken sagen: Geht hinweg von mir,           einen finanziellen Zuschuss zu ihrer Ernährung,   10
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Vgl. ebd. S. 242
                                                                                                                                                                                                                    ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem           Bekleidung, Wohnung und/ oder Heizmaterial
                                                                                                                                                                                                                    Teufel und seinen Engeln bereitet ist! 42 Denn         bedurften                                         11
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Vgl. ebd. S. 238

18                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  19
20
Ledigenheime — Schlafstellenwesen

Schläfst du noch                                                                                                                                  Auszüge aus dem Forschungsbericht
                                                                                                                                                  Schlafstellenwesen & Ledigenheime 1904

     oder wohnst                                                                                                                                      Im Forschungs- und Diskussions-
                                                                                                                                                  bericht der »Centralstelle für Arbeiter-
                                                                                                                                                                                              Hierzu kommt dann in der Regel eine
                                                                                                                                                                                              Anzahl unverheirateter Arbeiter, welche
                                                                                                                                                                                                                                             evangelischen Inneren Mission auf dem
                                                                                                                                                                                                                                             Gebiete des Wanderherbergswesens ist

du schon?
                                                                                                                                                  Wohlfahrtseinrichtungen«2 geht es um        die Schlafhäuser dauernd in Anspruch           und so Anerkennenswertes sie in der
                                                                                                                                                  eine Bestandsaufnahme der Schlaf-           nehmen. (…)                                    Frage der Lehrlingsbeherbergung ge-
                                                                                                                                                  stellen und Ledigenheime für schul-             Bei einer zweiten Gruppe von Ver-          leistet hat, in so geringem Umfange hat
                                                                                                                                                  entlassene männliche und weibliche          anstaltungen handelt es sich um die            sie sich an den hier infrage kommenden
                                                                                                                                                  Jugendliche, um die Beherbergungs-          Beschaffung von Unterkunft für aus der         Bestrebungen beteiligt. (…)
                                                                                                                                                  möglichkeiten Ortsfremder, vorüberge-       Ferne zugezogene Arbeiter, wie u. a. um
                                                                                                                                                  hend Stellungsloser, Arbeiterinnen und      die vielen im niederrheinisch-westphä-         b. katholische.
Zur Situation der Ledigenheime in Deutschland und                                                                                                 Arbeiter jenseits des Wohnortes in der      lischen Gebiete beschäftigten polni-               Umfassender ist das Wirken der ka-
                                                                                                                                                  ganzen Bandbreite von Gesellenhäu-          schen und italienischen Arbeiter.
Europa Anfang des 20. Jahrhunderts                                                                                                                sern, Vereinsheimen, Gewerkschafts-
                                                                                                                                                                                                                                             tholischen Vereinstätigkeit auf diesem
                                                                                                                                                                                                                                             Gebiete. Die betreffenden Vereinigun-
Text: Michael Ackermann                                                                                                                           häusern, Wohnheimen, Lo­gierhäusern für         Hausordnung für die Schlafhäuser           gen streben in der Regel neben den
                                                                                                                                                  Männer, Frauenhospizen und ähnlicher        des Bergwerksdirektionsbezirks Saar-           eigentlichen Logierhauszwecken die
                                                                                                                                                  Einrichtungen in der Fürsorge staatli-      brücken 1885                                   Förderung der Geselligkeit und der sitt-
                                                                                                                                                  cher Stellen, von Arbeitgebern, Konfes-          (…) § 2 Vorgesetzte der Schlafhaus-       lichen, geistlichen und beruflichen Aus-
                                                                                                                                                  sionsgemeinschaften, Ver­einen, Korpo-      bewohner sind zunächst der Schlaf-             bildung ihrer Mitglieder an und stehen
                                                                                                                                                  rationen, nichtkon­fessionel­len Vereinen   hausmeister, sodann der Obersteiger            unter der Leitung der geistlichen Prä-
                                                                                                                                                  und Aktiengesellschaften.                   (…). Den Befehlen der Vorgesetzten ist         sides der betreffenden Vereinigungen.
                                                                                                                                                      Dabei richtet sich der Blick auch       ohne Widerrede sofort Folge zu leisten,        Der fürsorglich - erzieherische Charakter
                                                                                                                                                  auf die Lage in England und Schottland      und können Beschwerden darüber erst            dieser Veranstaltungen tritt also stark in
                                                                                                                                                  sowie Österreich-Ungarn, Italien und        nach Ausführung der Befehle bei den            der Vordergrund. (…)
                                                                                                                                                  Frankreich.                                 zunächst höher stehenden Beamten                   Eine höchst bedeutsame und viel-
                                                                                                                                                                                              vorgebracht werden. (…)                        fach auch nach der wirtschaftlichen
                                                                                                                                                  A. Deutschland.                                 § 3 Aus der Zahl der in einem Zimmer       Seite erfolgreiche Tätigkeit auf dem

                                                    L
                                                                                                                                                  I. Unterkunftsstätten für männliche        zusammenwohnenden Leute ernennt                Gebiete des Logierhauswesens üben in-
                                                           edigenheime waren bis zum
                                                                                                                                                      Arbeiter                                der Schlafhausmeister einen Stubenäl-          folge der altgefestigten Organisationen,
                                                           Ersten Weltkrieg in Deutsch­-
                                                                                                                                                  a. Fürsorge von Arbeitgebern                testen, welcher darüber zu wachen hat,         der sie unterstellt sind, die katholischen
                                                           land und Europa eine gro­                                                                                                          dass seine Stubenkameraden die Vor-
                                                                                                                                                      In manchen Gegenden Deutsch-                                                           Gesellenvereine aus. Die Vereinsorgani-
                                                    ße Seltenheit. In Hamburg be­                                                                                                             schriften der Hausordnung erfüllen. (…)
Schlafhaus für unver-                                                                                                                             lands hat die Besonderheit der Arbeits-                                                    sation dehnt sich über ganz Deutsch-
                                                    stand seit 1891 das Logierhaus                                                                                                                § 6 In den Schlafhäusern und deren
heiratete Bergleute,                                                                                                                              verhältnisse schon zu einer frühen Zeit                                                    land, Österreich-Ungarn, die Schweiz,
Saarbrücken
                                                    »Concor­dia« an der Reeperbahn,                                                                                                           Umgebung ist jeder Lärm und Streit so-         Hol­land und Belgien aus. Auch in Paris,
                                                                                                                                                  dazu geführt, dass seitens der Arbeitge-
                                                    erbaut vom »Verein für Volkskaffee­                                                                                                       wie das Singen unanständiger Lieder            London, Stockholm und Rom finden
                                                                                                                                                  ber Schlafgelegenheiten für die Arbeiter
                                                    hallen« für die Unterbringung an                                                                                                          verboten. Das Pfeifen und übertriebene         sich deutsche Vereine und Hospize,
                                                                                                                                                  geschaffen werden mussten, wenn an-
                                                    Land befindlicher Seeleute.                                                                                                               Lautsein auf den Fluren und in den übri-       selbst Nordamerika weist sieben Verei-
                                                                                                                                                  ders sie jederzeit über die erforderliche
                                                         1911/12 wurde das »Erste                                                                                                             gen Lokalen ist untersagt. (…)                 ne mit deutschen Hospizen auf.
                                                                                                                                                  Anzahl von Arbeitsstätten verfügen
                                                    Hamburger Ledigenheim für Män­                                                                                                                § 17 (…) Frauenpersonen, welche
                                                                                                                                                  wollten. Es sind dabei zwei voneinander
                                                    ner« vom Internationalen Gut­                                                                                                             nicht in den Schlafhäusern ständig be-         2. Von nicht-konfessionellen Vereinen
                                                                                                                                                  verschiedene Typen von Veranstaltun-
                                                                                                                                                                                              schäftigt sind, ist der Zutritt in dieselben   und Körperschaften betriebene Logier-
                                                    temp­ler­orden erbaut mit 33 Zim­                                                             gen zu unterscheiden. Einmal handelt
                                                                                           Abbildung: Schlafstellenwesen und Ledigenheime, 1904

                                                                                                                                                                                              nur gestattet, wenn sie während des            häuser für Männer
                                                    mern, Lese- und Billardzimmer,                                                                es sich um isoliert gelegene Betriebe,
                                                                                                                                                                                              Tages ihren Angehörigen Lebensmittel,
                                                    Bibliothek, Restaurant und Kegel­                                                             die auf Arbeiter angewiesen sind, die                                                          In den von nicht-konfessionellen Ver­-
                                                                                                                                                                                              Kleidungsstücke usw. bringen, und ha-
                                                    bahn. Das erste im strengen Sinn                                                              in den Dörfern in der Umgebung des                                                         einigungen und Körperschaften, ins­
                                                                                                                                                                                              ben sich diese Personen nach Abgabe
                                                    offene Ledigenheim war jedoch                                                                 Werks, zum Teil sogar in eigenen Famili-                                                   besondere durch die Gemeinden be-
                                                                                                                                                                                              der mitgebrachten Gegenstände so-
                                                    das in der Rehhoffstraße, erbaut                                                              enwohnungen angesiedelt sind, die aber                                                     triebenen Logierhäusern dürfte für die
                                                                                                                                                                                              gleich wieder zu entfernen. (...)
                                                                                                                                                  der zurückzulegenden Entfernung we-                                                        Zukunft der Schwerpunkt des gesamten
                                                    durch den Bau–Verein zu Ham­
                                                                                                                                                  gen nicht täglich nach Schluss der Ar-                                                     städtischen Logierhauswesens liegen. (…)
                                                    burg 1913.                                                                                    beitsschicht nach Hause zurückkehren
                                                                                                                                                                                              b. Von Konfessionsgemeinschaften,
                                                                                                                                                                                                                                                 Das Stuttgarter »Arbeiterheim« z. B.
                                                         Die Situation der Ledigenheime                                                                                                           Vereinen und Korporationen unterhal-
                                                                                                                                                  können. Sie sind daher gezwungen, für                                                      ist eine Gründung des Vereins für das
                                                    in Deutschland und Europa wird                                                                                                                tene Logierhäuser für Männer
                                                                                                                                                  die Wochentage eine fremde Schlafstel-                                                     Wohl der arbeitenden Klassen in Stutt-
                                                    erstmals umfassend darge­stellt                                                                                                           1. Konfessionelle Veranstaltungen.
                                                                                                                                                  le in der Nähe des Betriebs zu mieten                                                      gart. Ein Teil der in dem Stiftungshaus
                                                    im Forschungsbericht »Schlaf-                                                                 oder von der Werksverwaltung selbst er-     a. evangelische.                               untergebrachten Räume, darunter zwei
                                                    ­stellenwesen und Ledigenheime«                                                               richteten Schlafhäuser zu benutzen (…).        So umfangreich die Tätigkeit der            Säle für Versammlungen, Vorträge und
                                                     von 1904 1, welcher hier in Auszü­
                                                    gen wiedergegeben wird:

22                                                                                                                                                                                                                                                                                  23
Ledigenheime — Schlafstellenwesen

                                                                                                                                                                                                                         Obergeschoss im
                                                                                                                                                                                                                         Rowton-Haus in
Unterhaltungen, dient den Zwecken des      Es liegt in der Absicht der Gesellschaft,     gierhäusern für Männliche. Auch von                                                                                             Newington Butts,
Arbeiterbildungsvereins. Die Leitung       eine größere Anzahl kleinerer Logier-         den von Arbeitgebern unterhaltenen                                                                                              London
der Stiftung sowie die Verwaltung des      häuser anstelle eines großen zentralen        Anstalten stehen viele unter der Leitung
gesamten Anwesens und Vermögens            Massenquartiers in solchen Gegenden           von Diakonissen und Schwestern der
des Arbeiterheims untersteht einem         der Stadt zu errichten, wo Fabriken und       konfessionellen Religionsgemeinschaf-
Stiftungsrat, der aus acht Mitgliedern     andere Arbeitsstellen in der Nähe sind        ten oder von sonstigen gebildeten Da-
besteht. (….) Der Stiftungsrat setzt den   und das Bedürfnis nach solcher Art der        men, die imstande sind, einen erziehe-
Verwalter ein, der eine Wohnung im An-     Unterkunft vorhanden ist. (…)                 rischen Einfluss auf die Bewohnerinnen
staltsgebäude hat. Für Logierzwecke            In dem großen Schlafsaal sind 16 ka­-     auszuüben. (…)
enthält das 1890 dem Betrieb überge-       binenartige Räume durch Holzwände
bene Haus, in vier Stockwerken verteilt,   voneinander abgetrennt, die jedem Be-             »Hausordnung für die Schlafstätten
133 vollständig eingerichtete Zimmer,      wohner einen gesonderten Schlafraum           im Arbeiterasyl von Schoeller, Bücklers
von denen 26 zum Alleinbewohnen, die       gewähren, in welchem außer dem Bett           und Co. in Düren« 1883
übrigen 107 für jeweils zwei Bewohner      auch noch ein Stuhl und ein Schrank               (…) Sämtliche aufgenommenen
bestimmt sind. (…) Für den Aufenthalt
während der Abendstunden stehen den
                                           Platz finden.
                                               Dem Einzelnen ist damit, wenn auch
                                                                                         Mädchen haben sich eines ordentlichen,
                                                                                         anständigen und sittlichen Betragens
                                                                                                                                                                                                                            Vorgesetzte
Bewohnern Bibliothek und Lesezimmer
des Arbeiterbildungsvereins zur Verfü-
                                           im bescheidenen Maße, Gelegenheit
                                           gegeben, sich von seinen Mitgästen ab-
                                                                                         zu befleißigen. Unanständiges Reden
                                                                                         und Singen darf nicht vorkommen. (….)
                                                                                                                                                                                                                            der Schlafhausbewohner
gung, Die Einzelzimmer kosten 2,25 bis
3 Mark die Woche, die Zimmer mit zwei
                                           zusondern. Für solche Arbeiter, denen
                                           dieses System der Unterkunft im im-
                                                                                         Beim Schluss der Arbeit verfügen sich
                                                                                         die Mädchen gleich in die Speisesäle.
                                                                                                                                                                                                                            sind zunächst
Betten pro Bett 1,25 – 1,70 Mark die Wo-
che, einschließlich der Bedienung des
                                           merhin gemeinsamen Schlafsaal den-
                                           noch nicht behagt, sind außerdem noch
                                                                                         (…) Auf jedem Zimmer, auf dem sich in
                                                                                         der Regel 8 Mädchen befinden, wird eins
                                                                                                                                                                                                                            der Schlafhausmeister,
Zimmers und der regelmäßigen Erneue-
rung von Bettwäsche und Handtüchern.
                                           acht besondere Schlafzimmer im Dach-
                                           geschoss vorhanden, in denen sie ganz
                                                                                         zur Zimmervorsteherin ernannt. Dieses
                                                                                         hat auf Ordnung und Reinlichkeit sowie
                                                                                                                                                                                                                            sodann der Obersteiger
Heizung und Beleuchtung werden ge-         für sich untergebracht sind. (…)              auf das gute Betragen der Mädchen zu
sondert bezahlt. Gegen billiges Entgelt                                                  achten. (…) Jedes Mädchen muss in
wird auch die Leibwäsche der Bewohner      II. Unterkunftsstätten für Frauen und         dem ihm zugewiesenen Bett schlafen.
in der mit elektrischem Antrieb verse-     Mädchen                                       Das Schlafen in anderen Betten ist un-
henen Waschanstalt des Hauses gewa-            Die Fürsorge für die Unterkunft des       tersagt. (….)
schen. (…)                                 weiblichen Teils der Arbeiterschaft und
                                           der dieser nahestehenden sozialen Krei-       B. Das Ausland
Hausordnung des Arbeiterheims                                                                                                                                                                                      Inneres einer
                                           se, insbesondere die Fürsorge für die         I. England und Schottland
Stuttgart von 1891                                                                                                                                                                                                  Schlafkabine
                                           alleinstehenden jugendlichen Angehö-              Während bei uns im wesentlichen
    (…)                                    rigen der betreffenden Berufsgruppen          jüngere unverheiratete Arbeiter beider-
    § 4 Das Haus wird jeden Abend um       stellt sich als ein in mancher Hinsicht       lei Geschlechts oder sonstige allein-
10 Uhr geschlossen. Auf Wunsch erhält      noch schwierigeres Problem dar als            stehende Arbeiter die Insassen der vor-
jeder Bewohner des Hauses einen Haus-      die Unterbringung der Männlichen. Es          handenen Logierhäuser bilden, ist es für
schlüssel. Für denjenigen hat er 1 Mark    ist eine Erfahrungssache, dass die man-       die englischen und schottischen Groß-
zu hinterlegen. (…)                        gelnde Unterbringung der Mädchen in           städte und den Tiefstand ihrer unteren
     § 5 Jeder Bewohner erhält gegen       ungeeigneten Schlafstellen, das Fehlen        Bevölkerungsklassen charakteristisch,
Hinterlegung von 50 Pfennig einen Zim-     jeder Beaufsichtigung durch ihre Woh-         dass es darunter zahlreiche Existenzen

                                                                                                                                    Abbildungen: Schlafstellenwesen und Ledigenheime, 1904 (rechts)
merschlüssel und einen Schrankschlüs-      nungsgeber sie vielfach rasch den Halt        gibt, die nicht einmal mehr eine einzim-
sel ausgehändigt. (…)                      verlieren lässt und sie der Unsittlichkeit    merige möblierte Wohnung und einen
    § 6 Die Reinigung der Zimmer sowie     geradezu in die Arme führt. Aber eben-        eigenen Haushalt zu bestreiten imstan-
das Aufmachen der Betten wird von der      so oft ist leider auf der anderen Seite die   de sind. Diese Bevölkerungsklasse ist
Verwaltung aus besorgt. Für jede weite-    Erfahrung gemacht, dass die bestein-          es weitaus in erster Linie, aus welcher
re Bedienung, welche einer der Mieter      gerichteten Anstalten, welche diesem          sich die Bewohner der Logierhäuser
wünscht, hat er je nach Vereinbarung       Übelstand abhelfen wollen, ihren Zweck        rekrutieren. Sie besteht keineswegs
eine besondere Entschädigung zu ent-       nicht oder nur höchst unvollkommen er-        nur aus unverheirateten jüngeren Ar-
richten. (…)                               füllen, weil die Beteiligten die Ungebun-     beitern beiderlei Geschlechts, sondern
    Neuesten Datums ist der Versuch,       denheit der mangelhaften Privatschlaf-        auch aus älteren verheirateten oder
den die Gesellschaft für Wohlfahrtsein-    stellen der strengeren Zucht vorziehen,       verheiratet gewesenen, zu einem gro-
richtungen in Frankfurt/M unternom-        ohne die eine derartige Anstalt undenk-       ßen Teil auch aus Arbeitslosen oder
men hat, um die Logierhausfrage mit        bar ist. (…)                                  Arbeitsscheuen. Die englischen Logier-                                                                       Schlafzelle im
der teilweisen Anlehnung an englische          Allen Einrichtungen gemeinsam ist,        häuser ersetzen also nur zu einem Teil                                                                       Rowton-Haus in
Vorbilder an ein den deutschen Verhält-    dass das fürsorgliche Moment stärker          die Stelle der bei uns üblichen Schlaf-                                                                      Newington Butts,
nissen entsprechenden Weise zu lösen.      in den Vordergrund tritt als bei den Lo-      stellen. Zum größeren Teil, namentlich                                                                       London

24                                                                                                                                                                                                                                                                         25
Ledigenheime — Schlafstellenwesen

        Erdgeschoss in
        der Albergo popolare,
        Mailand
                                                                                                 soweit es sich um die zahlreichen pri-      II. Italien                                 in Paris ist nur unter Zuhilfenahme eines
                                                                                                 vaten Logierhäuser handelt, setzt sich          Eine interessante Übertragung des       Legates im Betrag von ½ Million Francs
                                                                                                 ihre Kundschaft aus den wirtschaftlich      Beispiels der Londoner Rowton-Houses        ermöglicht. (…) Im Souterrain und im
                                                                                                 und sittlich tiefstehenden Elementen        auf die Verhältnisse einer italienischen    Erdgeschoss liegen die Wirtschaftsräu-
                                                                                                 zusammen, einer von Tag zu Tag wech-        Großstadt bietet sich uns in dem »Alber-    me und die gemeinschaftlichen Räume
                                                                                                 selnden Bewohnerschaft.(…) Selbst die       go popolare« in Mailand. (…) Die Anstalt    wie Speisesaal, Versammlungsraum,
                                                                                                 moderneren und teureren Logierhäuser,       ist eine Gründung der «Unione coopera-      Baderäume. An Wohnräumen sind im
                                                                                                 wie die »Rowton-Houses« in London,          tiva« in Mailand. Für den Betrieb des Le-   ersten und zweiten Obergeschoss 20
                                                                                                 beherbergen nur in verhältnismäßig ge-      digenheims ist eine besondere »Societa      größere und in den übrigen Geschos-
                                                                                                 ringer Zahl solche Schlafgänger, die hier   anonima cooperative Alberghi popolari«      sen 36 kleinere Zimmer , fast durchweg
                                                                                                 einen längeren Aufenthalt nehmen. Man       begründet, die über ein Aktienkapital       zum Alleinbewohnen untergebracht. (…)
                                                                                                 kann sie – und darauf deutet ihre gan-      von 410 000 Lire verfügt. Zeichner der      Die Frage der Errichtung von Ledigen-
                                                                                                 ze Einrichtung und die Art des Betrie-      Aktien sind zum Teil wohlhabende Bür-       häusern für Männer nach dem Muster
                                                                                                 bes hin – im besten Fall als »Hotels für    ger, (…) vielfach aber auch kleine Leute.   der Rowton- Häuser wird auch in Paris
                                                                                                 Unbemittelte« bezeichnen, während die       (…)                                         in den maßgeblichen Kreisen eifrig er-
                                                                                                 geringere Klasse der kommunalen und             Das Logierhaus (…) bietet in fünf       wogen. (…) Als wichtige Voraussetzung
                                                                                                 privaten Logierhäuser etwa die Zwecke       Obergeschossen Raum für 530 Betten,         für die Rentabilität des Unternehmens
                                                                                                 unserer Asyle für Obdachlose erfüllen,      die in Kabinen untergebracht sind, die      gilt den Verfassern der Großbetrieb. Es
                                                                                                 in vielfacher Beziehung aber, was ihre      genau nach dem Muster der Rowton-           ist daher eine Anlage von 400 Betten in
                                                                                                 Einrichtung anlangt, noch weit hinter       Häuser eingerichtet sind. Die gemein-       Aussicht genommen. (…)
                                                                                                 diesen letzteren zurückbleiben. (…) An      schaftlichen Räume befinden sich im
                                                                                                 der Spitze der Bewegung kommunaler          Erdgeschoss. (…)
                                                                                                 Logierhäuser steht die Stadt Glasgow,
                                                                                                 die in der Zeit von 1871 – 79 nicht we-     III. Österreich
                                                                                                 niger als sieben solcher Logierhäuser
                                                                                                                                                 Einen nicht uninteressanten Ver-
                                                                                                 schuf. (…) Die Ausstattung der Häuser

     Unanständiges
                                                                                                                                             such mit der Errichtung von Ledigenhei-
                                                                                                 ist eine recht primitive. Die einzelnen
                                                                                                                                             men hat die Kaiser Franz Joseph I.-Jubi-
                                                                                                 Schlafkojen sind durch Holzwände von-

     Reden und
                                                                                                                                             läumsstiftung für Volkswohnungen und
                                                                                                 einander getrennt. Der Raumersparnis
                                                                                                                                             Wohlfahrtseinrichtungen in Wien ge-
                                                                                                 wegen sind je zwei Betten übereinander,

     Singen
                                                                                                                                             macht. Mit den Mitteln der Stiftung ist
                                                                                                 das eine diesseits, das andere jenseits
                                                                                                                                             vor einigen Jahren ein Häuserkomplex
                                                                                                 der Trennungswand. (…) Die Logierhäu-

     darf nicht
                                                                                                                                             erbaut, der zunächst einmal 400 Fami-
                                                                                                 ser werden außerordentlich stark fre-
                                                                                                                                             lienwohnungen mit einer Gesamtbevöl-
                                                                                                 quentiert. Im Jahre 1901 waren durch-

     vorkommen
                                                                                                                                             kerung von 3000 Personen umfasst.
                                                                                                 schnittlich 97,3 % der vorhandenen
                                                                                                                                             Durch die Hausordnung für die Famili-
                                                                                                 Betten belegt.
                                                                                                                                             enwohnungen wird die Aufnahme von
                                                                                                                                             Schlafgängern verboten. Dagegen hat
                                                                                                     Das Personal, das den Betrieb in dem                                                 1
                                                                                                                                                                                               chriften der Centralstelle für Arbei-
                                                                                                                                                                                              S
                                                                                                                                             die Stiftung durch Erbauung von zwei
                                                                                                 großen Hause versieht, besteht aus 41                                                        ter- Wohlfahrtseinrichtungen Nr. 26:
                                                                                                                                             Ledigenheimen – eins für Männer und              »Schlafstellenwesen und Ledigenheime«.
                                                                                                 Personen. Der »Superintendent« ist der
                                                                                                                                             eins für Frauen – auch für die Unterbrin-        Vorbericht und Verhandlungen der 13.
                                                                                                 erste Beamte. Die 14 Bettmacherinnen                                                         Konferenz der Centralstelle für Arbeiter-
                                                                                                                                             gung lediger Arbeiter und Arbeiterinnen
                                                                                                 schlafen nicht im Hause. Sie kommen                                                          Wohlfahrtseinrichtungen am 9. und 10.
                                                                                                                                             Sorge tragen wollen. Die Ledigenheime

                                Abbildungen: Schlafstellenwesen und Ledigenheime, 1904 (links)
                                                                                                                                                                                              Mai 1905. Carl Heymanns- Verlag. Berlin
                                                                                                 morgens um 9.00 Uhr und müssen vor
        Entwürfe zu
                                                                                                                                             sind in zwei Eckgebäuden des genann-             1904. 196 S.
                                                                                                 Eintritt der Dunkelheit das Haus verlas-
        einem Ledigenheim                                                                                                                    ten Häuserkomplexes untergebracht.           2
                                                                                                                                                                                               ei der »Centralstelle für Arbeiter- und
                                                                                                                                                                                              B
                                                                                                 sen haben. Mit den Logiergästen kom-
        in Paris                                                                                                                             Das Erdgeschoss umfasst jeweils die              Wohlfahrtseinrichtungen« handelt es sich
                                                                                                 men sie also nicht in Berührung. Ferner                                                      um eine halbamtliche Forschungs- und
                                                                                                                                             Wohnung des Hausverwalters, ein Lese-
                                                                                                 sind vorhanden neun Unterportiers, vier                                                      Vermittlungsorganisation mit verschie-
                                                                                                                                             zimmer, einen Frühstücksraum und die             denen Zielsetzungen innerhalb der
                                                                                                 Abwaschfrauen, zwei Aufwärterinnen,
                                                                                                                                             Wirtschaftsräume, in drei Obergeschos-           Volkswohlfahrt: von der Beschaffung von
                                                                                                 je ein Buchhalter, Tagesportier, Nacht-                                                      Geldmitteln für gemeinnützige Bautätig-
                                                                                                                                             sen sind in dem Männerheim 44, in dem
                                                                                                 portier, Küchenportier, Feuerwehrmann,                                                       keit, für die Förderung und künstlerische
                                                                                                                                             Frauenheim 25 Schlafräume für je ein,            Gestaltung von Arbeiterwohnquartieren,
                                                                                                 Heizer, Hilfsmädchen, Küchenleiterin,
                                                                                                                                             zwei oder drei Betten untergebracht.             über die Förderung von Museen für ein
                                                                                                 Köchin, Küchenmädchen und Mädchen                                                            breites Publikum und die Volksschulbil-
                                                                                                 zur Bedienung des Personals. Die Be-                                                         dung bis zur Förderung schulentlasse-
                                                                                                 dienung ist sehr sauber und adrett. Für     IV. Frankreich                                   ner Jugendlicher und der Hygiene der
                                                                                                                                                                                              Arbeiterschaft. Kooperation mit dem
                                                                                                 den Superintendenten ist eine Wohnung          Auch der Bau des vor kurzem eröff-
                                                                                                                                                                                              Deutschen Verein für Armenpflege und
                                                                                                 vorhanden, bestehend aus einem Wohn-        neten, in der Rue des Grandes Carrières          Wohltätigkeit sowie der Zentralstelle für
                                                                                                 raum, einem Speisezimmer, zwei Schlaf-      gelegenen Logierhauses für alleinste-            Volkswohlfahrt
                                                                                                 zimmern, Küche und Badezimmer. (…)          hende Frauen der Societé philantropique

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