Lobbyarbeit des BOGK in Brüssel - Positionierung eines Branchenverbandes auf europäischer Ebene
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VORWORT Unsere Vorstandsentscheidung neben unserem Büro in Bonn auch in Brüssel ein eigenes Büro zu eröffnen hat sich in den letzten Jahren als sehr richtige Entscheidung herausgestellt. Unser Verband repräsentiert den sechstgrößten Wirtschaftszweig in der deutschen Ernährungsindustrie und ist nun auch in der europäischen Hauptstadt angekommen. Wir konnten vor Ort viele unserer konkreten Anliegen erfolgreich vortragen und hervor- ragende Kontakte knüpfen. Ich selbst konnte in den letzten Jahren mit einigen Abgeord- neten persönlich sprechen und auch in Konrad Linkenheil Vorsitzender meinem Betrieb im Spreewald begrüßen. Auch mit weiteren Aktivitäten in Brüssel haben wir nachdrücklich auf uns aufmerksam gemacht. Angefangen bei einem Parlamentarischen Abend mit rund 200 geladenen Gästen, einer einwöchigen Pro- duktausstellung im Europäischen Parlament und schließlich einem Festabend zur Ernen- nung der „Botschafter des guten Geschmacks“. Mit unserem Engagement im Kampf gegen die Verschwendung von Lebensmitteln haben wir uns darüber hinaus einen Namen machen können. Bei mehreren Vorträgen konnte der Verband die Sicht und den Einsatz unserer Industrie darlegen. Selbst in den höchsten politischen Kreisen in Brüssel sind wir mittlerweile bekannt. Ein Verdienst unserer Mitarbeiter vor Ort, die Lobbying in erster Linie als Beratung und Informationsweitergabe ansehen. Dies kommt bei den Entscheidungsträgern an und schafft die nötige Vertrauensbasis, um vielleicht nicht in allen Fällen zum gewünschten, aber in jedem Fall zu einem realistischen und in der Praxis anwendbaren Ergebnis zu gelangen. Ich kann andere nationale Branchen- verbände nur ermutigen unserem Beispiel zu folgen, da eine erfolgreiche politische Interessenvertretung für die jeweilige Bran- che von unschätzbarem Wert ist. Brüssel, im Oktober 2015 3
INHALT VORWORT........................................................................................................................................... 3 1. Kurzporträt des Verbandes...................................................................... 7 1.1. Drei Meilensteine...................................................................................................................7 1.1.1. Verbandsgründungen Anfang der 50er Jahre............................................7 1.1.2. Bürogemeinschaft ab 1979..................................................................................7 1.1.3. Verschmelzungen zum BOGK.............................................................................7 1.2. Aufgabenschwerpunkte.................................................................................................... 9 1.2.1. Mitgliederumfrage 2005....................................................................................... 8 1.2.2. „6-Säulen-Modell“................................................................................................... 9 1.3. Mitgliederstruktur...............................................................................................................11 1.3.1. Der „Mittelstandsverband“...............................................................................11 1.3.2. Auf zu neuen Ufern................................................................................................11 1.3.3. Förderer und Partner...........................................................................................11 1.3.4. Vier Gruppen – ein Verband............................................................................. 12 2. Der Weg nach Brüssel (Konzept)..........................................................15 2.1. Ausgangslage 2007............................................................................................................. 15 2.1.1. Phase der „gefühlten Unzufriedenheit“.................................................... 15 2.1.2. „Angebot“ aus Brüssel........................................................................................ 15 2.2. Überlegungen/Zielsetzungen...................................................................................... 16 2.2.1. Rolle im europäischen Politiksystem......................................................... 16 2.2.2. Eigene Verbandsphilosophie............................................................................17 2.3. Konkrete Planungsphase................................................................................................ 19 2.3.1. Strategie..................................................................................................................... 19 2.3.2. Prozesskenntnisse................................................................................................ 19 2.3.3. Identifizierung relevanter Themen..............................................................20 2.3.4. Funktionierendes Netzwerk............................................................................. 21 2.4. Entscheidung pro Brüssel.............................................................................................. 21 3. Lobbyarbeit in Brüssel (Umsetzung)................................................ 23 3.1. Erste Maßnahmen vor Ort..............................................................................................23 3.1.1. Grundlegende Voraussetzungen...................................................................23 3.1.2. Informationsmaterialien...................................................................................23 3.2. Europäische Kommission...............................................................................................25 3.2.1. Kontakte zur politischen Ebene....................................................................25 3.2.2. Kontakte zur Arbeitsebene.............................................................................. 27 3.3. Europäisches Parlament................................................................................................. 31 3.3.1. Themenvielfalt........................................................................................................ 31 3.3.2. Gespräche vor Ort.................................................................................................36 3.3.3. Exkurs: BOGK-Anliegen zur EP-Wahl............................................................ 37 3.3.4. Einladungen an MdEP´s......................................................................................39 3.3.5. Informationen an MdEP´s................................................................................. 40 3.3.6. Veranstaltungen.....................................................................................................43 3.3.7. MdEP´s auf BOGK-Homepage...........................................................................49 3.4. Rat der Europäischen Union......................................................................................... 51 3.4.1. Zahlreiche Gespräche......................................................................................... 51 3.4.2. Europäisches Schulobstprogramm..............................................................52 3.5. Nicht-institutionelles Netzwerk.................................................................................55 3.6. Sonderthema: Lebensmittelverschwendung......................................................56 4. Ein Zwischenfazit – acht Jahre Brüssel (Erfolge)........................ 58 5. Wissensweitergabe, Presse und Fortbildung...............................60 6. Blick in die Zukunft.................................................................................... 62 6.1. „Juncker-Plan“.......................................................................................................................62 6.2. Themenkomplexe...............................................................................................................63 6.3. Netzwerkausbau..................................................................................................................63 6.4. Jahrestagung 2018 in Brüssel...................................................................................... 64 7. Nachtrag: „Brüsseler Spitzen“.............................................................. 64 Anhang: Alle Termine und Gespräche............................................................................. 66 IMPRESSUM.....................................................................................................................................78
1. Kurzporträt Erstes Ausrufezeichen am 24.07.1979 in Brüssel! des Verbandes Gleich im ersten Jahr der Bürogemeinschaft setzte 1.1. Drei Meilensteine man mit der federführenden Mitarbeit an der Kon- fitürenrichtlinie in Brüssel ein Ausrufezeichen. Die Richtlinie 79/693/EWG des Rates vom 24.07.1979 1.1.1. Verbandsgründungen war die erste sog. vertikale Richtlinie in Europa Anfang der 50er Jahre überhaupt! Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland Durch sie wurden die Rechtsvorschriften der ein- am 23.05.1949 war für zahlreiche deutsche Un- ternehmen der Startschuss sich zu Branchen- zelnen Mitgliedsstaaten angeglichen. verbänden zusammenzuschließen. Dieser Schritt war damals gerade aus bundesdeut- So schlossen sich auch die obst- und gemü- severarbeitenden Unternehmen zum Bundes- scher Sicht von großer Wichtigkeit, da es zuvor verband der obst- und gemüseverarbeitenden aufgrund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften zu Industrie (BUVOG), die Sauerkonservenherstel- unlauterem Wettbewerb und zu Irreführungen der ler zum Verband der deutschen Sauerkonser- venindustrie (VdS) und die Kartoffelverarbeiter Verbraucher gekommen war. zum Bundesverband der kartoffelverarbeiten- den Industrie (BVKI) zusammen. Für die Richtlinie spricht nicht nur, dass sie diese Wie die meisten Wirtschaftsverbände wähl- Punkte beseitigt hat, vielmehr hat die Richtlinie im ten auch BUVOG, VdS und BVKI als Sitz ihrer Kern auch heute – 36 Jahre nach ihrem Inkraft- jeweiligen Verbandsgeschäftsstelle den Sitz treten – noch Bestand und damit Bedeutung für der damaligen Bundesregierung Bonn-Bad Godesberg. die gesamte europäische Konfitürenindustrie. 1.1.2. Bürogemeinschaft ab 1979 1.1.3. Verschmelzungen zum BOGK Knapp 30 Jahre später gründeten die immer noch selbstständigen Branchenverbände 1979 Die Verschmelzungen der Einzelverbände in Bonn-Bad Godesberg eine Bürogemein- zum heutigen Bundesverband der obst-, ge- schaft, um – wie man heute sagen würde – ent- müse- und kartoffelverarbeitenden Industrie sprechende Synergieeffekte nutzen zu können. (BOGK) fand schließlich in zwei Schritten zum Die getroffene Entscheidung sollte sich schon 01.01.1998 und 01.01.2002 statt. sehr bald als richtig erweisen, da die Interes- Seitdem spricht der Verband für die von ihm sen vielfach alle drei Branchen betrafen und vertretenen Branchen mit einer Stimme. Er hat man so gegenüber den politischen Entschei- sich intern neu aufgestellt und kann heute mit dungsträgern ganz anders auftreten konnte. Fug und Recht behaupten, eine der führenden Schnell war auch so der Name für die Büro- Branchenverbände in der deutschen Ernäh- gemeinschaft gefunden: „Fachverbände der rungsindustrie zu sein. Ernährungsindustrie.“ 7
1.2. Aufgaben- Die Arbeit des BOGK basiert schwerpunkte seit 2005 auf folgenden Säulen: 1.2.1. Mitgliederumfrage 2005 1. Information Nach den ersten drei Jahren des in der neuen Schnelle und direkte Information der Mitglieder Konstellation existierenden Verbandes stellte über neue politische Entwicklungen. man intern nochmals vieles auf den Prüfstand. Eine mit externer Hilfe durchgeführte „Zufrie- denheitsumfrage“ bei den Verbandsmitglie- 2. Unterstützung dern sollte aufzeigen, wo insbesondere die Beratung und aktive Unterstützung bei Verbandsgeschäftsführung in ihrer grundsätz- relevanten produktspezifischen Fragen. lichen Ausrichtung und auch in ihrer täglichen Arbeit noch Verbesserungspotentiale hat. 3. Marktbeobachtung Wichtigstes Ergebnis der Umfrage war in einer ersten Betrachtung, dass weit über 90 % der Sammlung, Auswertung und Erstellung Mitglieder die Arbeit des Verbandes als positiv von branchenrelevanten Statistiken und oder sogar sehr positiv einschätzen. Zahlenmaterialien. Dennoch waren die Unternehmen der Auffas- sung, der Verband müsse sich insbesondere in den Bereichen Lobbying und Öffentlichkeits- 4. Kommunikation arbeit weiterentwickeln und unter Umständen Pflege eines offenen Mitgliederdialogs zu auch neue Wege beschreiten. politischen Themen. Sodann wurde mit dem Vorstand ein Zeitfens- ter besprochen, um genau diese Schwerpunkt- 5. Lobbying themen in zwei Schritten anzugehen. Zunächst die Lobbytätigkeit und anschließend eine neu Vertretung der Mitgliederinteressen gegenüber ausgerichtete Öffentlichkeitsarbeit. den Entscheidungsträgern in der Politik. 1.2.2. „6-Säulen-Modell“ 6. Öffentlichkeitsarbeit Aktive Information und Aufklärung der Seit der Umfrage existiert innerhalb des Ver- bandes ein sogenanntes „6-Säulen-Modell“, an Öffentlichkeit über die vom BOGK der sich einerseits die ehrenamtliche Tätigkeit repräsentierten Lebensmittelbereiche. des Vorstandes, insbesondere aber selbstver- ständlich die Arbeit der hauptamtlichen Ge- schäftsführung orientiert. Information, Unterstützung, Marktbeobach- tung und Kommunikation waren und sind fes- te Bestandteile der Verbandsarbeit für die Mitglieder. Als Schwerpunktthemen hinzugekommen sind – als Ergebnis der Umfrage – Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit. 9
1.3. Mitgliederstruktur 1.3.1. Der „Mittelstandsverband“ 1.3.3. Förderer und Partner Nahezu alle knapp 70 dem Verband ange- Eine wichtige Gruppe innerhalb des Verbandes schlossenen Unternehmen sind als „KMU“, also bilden darüber hinaus die sogenannten För- kleine und mittlere Unternehmen gemäß einer dermitglieder. Es sind Unternehmen, die selbst Definitionsempfehlung der EU-Kommission, ein- nicht im Verbandssegment aktiv sind, den Ver- zuordnen, sodass sich der BOGK zu Recht als band aber bei der Verfolgung seiner Interessen Verband für den Mittelstand versteht. unterstützen. Dies sind in der Regel Organisa- tionen, aber auch Einzelpersonen. Basierend auf den wirtschaftlichen Eckdaten des Jahres 2015 umfasst die obst-, gemüse- Mittlerweile gehören rund 20 Fördermitglieder und kartoffelverarbeitende Industrie 120 Be- dem Verband an. triebe mit knapp 22.000 Beschäftigten. Eine weitere, knapp 30 Verbände und wissen- Der Umsatz liegt hierbei bei 6,8 Mrd. €. Die Ex- schaftliche Institute umfassende Gruppe von portquote ist seit einigen Jahren mit ca. 18 % Partnern unterstützt den Verband durch re- relativ stabil. gelmäßigen Austausch in allen Fragen rund um Produktion und Vermarktung. Damit vertritt der Verband hinter Fleisch, Milch, Backwaren, Süßwaren und alkoholi- schen Getränken den sechstgrößten Wirt- schaftszweig innerhalb der bundesdeutschen Ernährungsindustrie. 1.3.2. Auf zu neuen Ufern In der bereits 1997 konzipierten Satzung des neu gegründeten Verbandes wurde ein weg- weisender Passus aufgenommen, wonach auch nicht-deutsche Unternehmen Mitglied im BOGK werden können. Gemeint sind hiermit vor- nehmlich andere europäische Firmen, die eine Rolle auf dem deutschen Markt inne haben. Durch die Satzungsänderung hat der Verband nunmehr auch Mitglieder aus den Niederlan- den, Italien und Österreich. Dies hat den sehr positiven Nebeneffekt, dass man z.B. in Ge- sprächen in Brüssel darlegen kann, dass man legitimiert ist nicht nur für deutsche Unterneh- men zu sprechen. Als weitere Folge dieser „europäischen“ Ent- wicklung hat der BOGK 2015 erstmals überhaupt eine Jahrestagung in Österreich (Salzburg) ab- gehalten. Und dies mit überaus großem Erfolg! 11
1.3.4. Vier Gruppen – ein Verband m Fachgruppe Obstverarbeiter In der Fachgruppe Obstverarbeiter sind Hersteller von Obstkonserven und tiefgekühlten Obsterzeugnissen genauso organisiert wie Hersteller von Konfitüren und anderen süßen Brotaufstrichen sowie Fruchtzubereitungen für die Milch- industrie und weiteren industriellen Verwendungen. Kerngeschäft der Mitglieds- unternehmen sind sowohl Produkte für den Endverbraucher als auch für die Weiterverarbeitung in anderen Unternehmen. Für den Bundesverband bedeutet dies: viele verschiedene Aufgaben mit vielen Herausforderungen – und das nicht selten auf Europaebene. m Fachgruppe Feinsaures Gemüse Die Fachgruppe Feinsaures Gemüse setzt sich für die Interessen der Hersteller von Gurkenkonserven, Gemüse mit Essig, Sauerkraut und tafelfertigem Rotkohl ein. Ihre aktuelle Hauptaufgabe: Rohwarenversorgung und – damit zusammen- hängend – die Frage der Standort- sicherung. Wichtige Themen sind die Qualitätsparameter beim Einkauf, die Abgrenzung von Rohware und Fertigware bei Einlege- gurken, sowie eine Recherche zum Stand der Technik bei Erntemaschinen für Kohl. 12
m Fachgruppe Gemüseverarbeiter Die Fachgruppe Gemüseverarbeiter bündelt die Interessen der Hersteller von Gemüsekon- serven, tiefgekühlten Gemüseerzeugnissen sowie Pilzen und Pilzerzeugnissen. Die Unternehmen dieser Fachgruppe stellen sich gemeinsam der Herausforderung saiso- nal begrenzt verfügbare Produkte zu verarbeiten, die aber ganzjährig im Wett- bewerb bestehen müssen. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen darum Themen wie Wettbe- werbsfähigkeit, Finanzierung der Lagerhal- tung, Logistik und die Rahmenbedingungen der europäischen Agrarpolitik. m Fachgruppe Kartoffelverarbeiter In der Fachgruppe Kartoffelverarbeiter vertritt der BOGK die Hersteller von tiefgekühlten Kartoffelspezialitäten, Trockenprodukten wie Püree, Pommes frites, Chips und anderen Kartoffelerzeugnissen. Die Mitgliedsunternehmen dieser Fachgruppe verbindet vor allem dies: ihr gemeinschaftliches Interesse an Rohwaren und Verarbeitungsprodukten. Deshalb kommt diese Gruppe sogar mehrmals jährlich zusammen, um sich über wichtige Themen wie z.B. Kontaminanten und Pflanzenschutz auszutauschen. 13
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2. Der Weg nach Brüssel (Konzept) 2.1. Ausgangslage 2007 2.1.1. Phase der „gefühlten Unzufriedenheit“ Auf der einen Seite herrschte im Verband eine gewisse Unzufriedenheit in Bezug auf Ent- scheidungen und Weichenstellungen in Brüs- sel, während die europäische Politik auf der anderen Seite immer mehr an Fahrt aufnahm, der Verband selbst aber kaum Einfluss nehmen konnte. Insbesondere nach dem Vertrag von Nizza, den EU-Osterweiterungen und den gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlan- den für eine europäische Verfassung, waren 2007 die Diskussionen und Verhandlungen für den Vertrag von Lissabon in vollem Gange. Die Entwicklung der EU Nicht nur die Frage der Währungspolitik, son- im Überblick dern gerade für die vom BOGK vertretenen Branchen wichtigen Aspekte der Außenhandels- m 1993 Vertrag von Maastricht politik, der Zollunion und auch des Wettbe- werbsrecht wurden längst in Brüssel entschie- m 1995 Schengener Abkommen den. Noch gravierender war es in den Bereichen des Verbraucherschutzes, der Landwirtschaft m 2002 Einführung des Euro und der Energiepolitik. m 2003 Vertrag von Nizza m 2004 EU-Osterweiterung 2.1.2. „Angebot“ aus Brüssel m 2005 Referenden Das „Angebot“ eines befreundeten nationalen Verbandes vor Ort in Brüssel, in eine bereits m 2007 Beitritt: Rumänien, Bulgarien bestehende Bürogemeinschaft einzusteigen, kam daher für den Verband genau zum richti- m 2009 Vertrag von Lissabon gen Zeitpunkt. m 2013 Beitritt: Kroatien 15
2.2. Überlegungen/ m Interessenselektion Selektion bezeichnet die aus der Aggregation Zielsetzungen resultierenden Wirkungen der Verbände auf das politische System. Um eine Überlastung des Systems zu verhindern sind Filtermecha- nismen vonnöten, mit deren Hilfe eine Voraus- 2.2.1. Rolle im europäischen wahl getroffen wird. Politiksystem m Interessenartikulation Welche Rolle kann und muss der BOGK als Artikulation bedeutet die Umformung von la- nationaler Branchenverband im Brüsseler tenten in manifeste Interessen. Verbände Politiksystem übernehmen? wenden sich zur Durchsetzung der Mitglie- Hierzu hat sich der Verband zunächst einge- derinteressen mit Forderungen an das zentra- hend auf Basis der sog. Pluralismustheorie mit le politische Entscheidungssystem. In diesem Ausführungen von Alexander Straßner (Univer- Sinne leiten sie die Interessen der Mitglieder sität Regensburg) beschäftigt, der die Funktio- zunächst einmal lediglich weiter. nen von Verbänden in einem Funktionskatalog zusammengefasst hat: m Integration Verbände bilden außerdem eine dritte Form m Interessenaggregation der politischen Integration. Indem sie versu- Hierunter wird die Bündelung einer Vielzahl chen durch freie Konkurrenz die Interessen von heterogenen Forderungen zu einheitlichen ihrer Mitglieder durchzusetzen, wirken sie an verbandspolitischen Zielen und programmati- deren Integration in den Staat mit. Auf diese schen Aussagen verstanden. Der Verband ist Weise erfüllen sie abermals innerverbandli- hierbei stets auf der Suche nach dem kleins- che und demokratiestützende Funktionen. Sie ten gemeinsamen Nenner innerhalb seiner stärken damit die Funktions- und Steuerungs- Organisation. fähigkeit des politischen Systems. m Partizipation Verbände bieten die Chance zur politischen Teilhabe und damit letztlich auch zu Informati- on und Kommunikation. Partizipation ist dabei ein logisches Ergebnis der Integration. Verbän- de ermöglichen prinzipiell die Beteiligung von Acht Regeln – eine Zielsetzung Individuen an der politischen Willensbildung über den zeitlich festgesetzten und begrenz- ten Wahlakt hinaus. 1. Lobbying ist Politikberatung und Interessenvertretung m Legitimation Legitimation ist die „Generalfunktion“ unter 2. Lobbying ist Teil des politischen Systems den Verbandsfunktionen. Die Legitimation politischen und auch sozialen Handelns ist in 3. Politik braucht und will Lobbying Demokratien mit transparenten Entschei- dungsprozessen verknüpft. Verbände erfüllen 4. Lobbying ist integraler Bestandteil diese Funktion, indem sie zentralen gesell- politischer Praxis schaftlichen Forderungen Ausdruck verleihen. 5. Lobbying hat viele Akteure 6. Lobbying ist Bringschuld FAZIT Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die 7. Lobbying braucht klare Regeln Funktionen von Verbänden erkennbar nicht nur Selbstzweck sind und nicht nur dem Ver- 8. Lobbying macht Politik besser band dienen, sondern wichtige Bedeutung für den demokratischen Prozess insgesamt haben. Dr. Hubert Koch, Lobbying auf EU-Ebene (2014) 16
2.2.2. Eigene Verbandsphilosophie Wahre Zitate Aus Sicht des Verbandes war auch von Anfang an klar, dass man für das Auftreten in Brüssel eine eigene Philosophie entwickeln musste. Diese wurde intern als „Drei-Säulen-Philoso- „ The best time to make friends is before phie“ bezeichnet. Neben der reinen Weiter- you need them. “ Ethet Barrymore „ gabe von Informationen und der Vermittlung von Fachwissen an den Entscheidungsträger stand die Frage des persönlichen Nutzens für Der beste Weg für einen Politiker einen den Adressaten ebenso im Mittelpunkt wie umfassenden Überblick über ein Thema die Frage einer dauerhaften Beziehung zum zu bekommen, ist es, mit allen beteiligten Entscheidungsträger. Lobbyisten zu sprechen und ihnen Ein Entscheidungsträger muss in jedem Fall spüren, dass der Vertreter des BOGK weiss, wo- zuzuhören “ John F. Kennedy von er spricht. Hierbei werden sich Fachbegrif- fe, Zahlen, Fakten und Hintergründe dem Ent- scheidungsträger möglicherweise nicht sofort „ An issue ignored is a crisis invited “ Henry Kissinger erschließen. Deshalb ist es wichtig auch gera- de ein komplexes Thema leicht verständlich, transportierbar und anschaulich darzustellen. „ Politik kann man nicht an den Ziel eines Gesprächs muss stets sein, dass sich der Entscheidungsträger mit dem Anliegen identifiziert. Betroffenen vorbei machen “ Dr. Peter Kotzian Neben der Exklusivität des Themas und der Nähe zum Fachbereich des Entscheidungsträ- PRAXISWISSEN VERMITTELN gers wird es allerdings nur dann gelingen die- Wenn man mit einem Europapolitiker über sen als Paten für das eigene Anliegen zu gewin- die verpflichtende Herkunftskennzeichnung nen, wenn man sich im Vorfeld auch die Frage auf den Etiketten diskutiert, hat man zu- stellt, welcher Nutzen der Entscheidungsträger nächst einen schweren Stand, da die Mit- haben könnte, wenn er sich des Themas an- teilung der Herkünfte, beispielsweise von nehmen sollte. wertbestimmenden Zutaten eines Lebens- Bei der Beachtung beider Komponenten dürf- mittels, durchaus positiv für den Verbraucher te sich darüber hinaus auch eine dauerhafte ist. Wenn man jedoch aus der Praxis argu- Beziehung zum Entscheidungsträger ergeben, mentieren kann, dass z.B. dann bei einem wovon dann zukünftig beide Seiten profitieren Glas Schattenmorellen 28 (!) unterschiedliche sollten. Etiketten vorrätig gehalten werden müssen, dann – und erst dann – erkennt der Politiker die Probleme, die in der täglichen Produktion „Drei-Säulen- mit einer derartigen politischen Forderung für ein Unternehmen verbunden sind. Erst dann Philosophie“ kann er sich seine eigene Meinung bilden, abwägen und für sich entscheiden. Informationsweitergabe an den Entscheidungsträger + Persönlicher Nutzen für den Entscheidungsträger = Dauerhafte Beziehung zu dem Entscheidungsträger 17
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2.3. Konkrete tikel, Studien und Gutachten, Branchen- und Mitgliederbefragungen sowie PR-Kampagnen Planungsphase sind letztendlich indirekte Instrumente des Verbandslobbyings. 2.3.1. Strategie 2.3.2. Prozesskenntnisse Für die Verbandsstrategie ist die Auswahl der Wichtiger Bestandteil der Planungsphase war richtigen Maßnahme und den dazu gehören- die Auseinandersetzung mit den europäischen den Instrumente von allergrößter Bedeutung, Institutionen und deren Zusammenwirken un- um bestimmte politische Ziele am Ende auch tereinander, sowie die Verbindung zur Bun- erreichen zu können. desregierung in Berlin. Ohne diese Kenntnisse Als Maßnahme für einen Verband in Brüssel macht eine Lobbytätigkeit in Brüssel keinen kommt in erster Linie das direkte Lobbying, Sinn. also der direkte und persönliche Kontakt zu Streng genommen gibt es in Brüssel bzw. Eu- den politischen Entscheidungsträgern vor Ort, ropa insgesamt zehn Institutionen, wobei von in Betracht. übergeordneter Bedeutung für die Lobbyarbeit Bei den Instrumenten zur Erreichung seiner eines Verbandes die Europäische Kommission, Ziele hat der Verband in erster Linie die Mög- das Europäische Parlament und der Rat der Eu- lichkeit Gespräche zu führen. Anliegen und ropäischen Union sind. Interessen können im direkten persönlichen Gespräch am besten auf den Punkt gebracht werden und aufkommende Fragen können so- PERSÖNLICHER ZEITFAKTOR fort geklärt werden. Zudem schafft ein so ge- Die konkrete Planung beinhaltet auch die sehr führtes Gespräch immer auch eine persönliche persönliche Überlegung, wie die Tätigkeit in Verknüpfung zum Gegenüber. Brüssel zeitlich machbar ist: Darüber hinaus spielen für einen Verband poli- Bei der Beantwortung dieser grundlegenden tische Dokumente in Form von Stellungnahmen Frage ist der sogenannte Brüssel-Kalender und Positionspapieren eine tragende Rolle. eine wertvolle Planungshilfe. Eine „Anwesen- Stellungnahmen sind in der Regel Standpunkte heitspflicht“ besteht für einen Lobbyisten in des Verbandes zu einem konkreten gesetzge- jedem Fall in den „Brüssel-Wochen“, also in berischen Vorgang. Positionspapiere dienen den Wochen, in denen die Abgeordneten des hingegen dazu, die eigenen Standpunkte ziel- EP in Brüssel anwesend sind. Dies sind im gruppengerecht aufzubereiten und Themen links abgebildeten Kalender die als „Commit- in die politische Debatte einzubringen. Der tee meetings“ und „Political group meetings“ Unterschied zur Stellungnahme besteht darin, gekennzeichneten 26 Wochen. dass ein Positionspapier auf eigene Initiative 26 Wochen bedeuten demnach 26 x Brüssel. des Verbandes entsteht und sich nicht auf ein Bei jeweils zwei Übernachtungen sind dies mit bestimmtes anderes Dokument bezieht. An- und Abreise insgesamt 78 Tage Brüssel Auch Veranstaltungen (Parlamentarische pro Jahr. Dies bedeutet an Zeitaufwand knapp Abende, Podiumsdiskussionen) gehören zu den 35 % der gesamten Arbeitszeit basierend auf direkten Verbandsinstrumenten, obwohl sie insgesamt 223 Arbeitstagen. nicht mehr den Charakter eines Vieraugenge- sprächs haben und bewusst die interessierte Öffentlichkeit mit einbeziehen. Mit öffentlichen Instrumenten, also der Einbe- ziehung von Medien und Öffentlichkeit, wird schließlich strategisch eine weitere Stufe in den Vermittlungsprozess von Informationen und Interessen an die relevanten politischen Entscheidungsträger eingeführt. Pressemittei- lungen, Pressekonferenzen, Interviews, Fachar- 19
Die Europäische Kommission (EU-Kommission) Dies geschieht durch Pressemitteilungen, besitzt im Bereich der Legislative der EU das Pressekonferenzen, Interviews, Fachartikel, alleinige Initiativrecht. Mit anderen Worten: Studien und Gutachten sowie Branchen- und Nur die EU-Kommission kann einen formalen Mitgliederbefragungen. Vorschlag zu einem EU-Rechtsakt machen. Die EU-Kommission bildet auf der Arbeitsebe- ne für einzelne Politikbereiche sogenannte Ge- 2.3.3. Identifizierung neraldirektionen. Wichtig für einen Verband ist relevanter Themen z.B. im Bereich Lebensmittelrecht der Kontakt Zunächst muss ein Lobbyist sehr genau Be- zur Generaldirektion Sante (Gesundheit und scheid wissen über das, was innerhalb des von Lebensmittelsicherheit). ihm vertretenen Verbandes an Themen, Inte- Bei der EU-Kommission muss ein Verband so- ressen und Zielen präsent ist oder in Zukunft mit mit präventivem Lobbying ansetzen, d.h. er präsent sein könnte. muss gesetzgeberische Tätigkeiten bereits im Scanning bezeichnet hierbei die permanen- Vorfeld mit allen Kräften beeinflussen. Denk- te und breit gefächerte Informationssuche bar ist auch ein proaktives Lobbying. Hierbei und Beobachtung des politischen und gesell- wird ein bestimmtes Thema auf der Agenda der schaftlichen Umfelds im Hinblick auf relevan- EU-Kommission platziert, obwohl diese bis da- te Themen für den Verband. Dabei sollten alle hin für ein solches Vorhaben keine Notwendig- möglichen Informationsquellen berücksichtigt keit gesehen hat. werden, auch wenn sie auf den ersten Blick Das Europäische Parlament (EP) ist das Gesetz- nicht unbedingt als solche identifiziert werden gebungsorgan der EU. Auf Grundlage der Vor- können. schläge der EU-Kommission verabschiedet das Monitoring bezeichnet darüber hinaus die EP somit EU-Rechtsvorschriften. gezielte Beobachtung eines für den Verband Wichtig für einen Verband sind die Kontakte relevanten Issue (Thema und Anliegen). Das zu den einzelnen Ausschüssen bzw. deren Mit- heißt, dass im Gegensatz zum breit gefächer- glieder. Im Lebensmittelbereich sind dies die ten Scanning lediglich ein spezielles Issue in Ausschüsse ENVI (Ausschuss für Umweltfragen, der gesellschaftlichen und politischen Debatte Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit) verfolgt wird. und AGRI (Ausschuss für Landwirtschaft und Im Grunde entspricht der Prozess der Infor- ländliche Entwicklung). mationsgewinnung dem des Scannings. Moni- Beim EP ist von einem Verband reaktives Lob- toring bezieht sich aber immer auf konkrete bying gefragt. Dies bedeutet ein bereits als Ge- Issues und betrifft in der Regel bereits identi- setzesvorschlag vorliegendes Gesetzgebungs- fizierte Themenfelder. Der Fokus der Betrach- vorhaben durch Einbringen eigener Positionen tung liegt daher verstärkt darauf, Veränderun- merklich zu verändern. gen im Detail aufmerksam zu verfolgen. Schließlich kommen im Rat der Europäischen Dem Identifizieren von Issues folgt die eigent- Union (Rat der EU) Minister aus allen EU-Län- liche Auswahl der für das eigene Anliegen rele- dern zusammen, um vom EP vorgelegte vanten Themen aus dem zuvor angelegten In- Rechtsvorschriften zu diskutieren, zu ändern formationspool. Denn grundsätzlich gilt: Nicht und anzunehmen. alle indentifizierten Themen sind für das eige- ne Anliegen von gleicher Bedeutung. An dieser Stelle ist für den Verband wichtig auch gute Kontakte zur Ständigen Vertretung Der Selektion der relevanten Themen folgt in der Bundesrepublik Deutschland in Brüssel einem nächsten Schritt die Priorisierung. Diese und mit den zuständigen nationalen Ministeri- erfolgt vor allem auf Grundlage der Feststel- en in Berlin zu pflegen. lung des Handlungsbedarfs. Je dringlicher im Hinblick auf den zeitlichen Rahmen ein Issue Hier muss ein Verband ebenfalls mit reaktivem ist, desto höher ist es zu priorisieren. Lobbying aktiv werden. Da man sich hier aller- dings bereits in einem sehr späten Stadium der Gesetzgebung befindet, bietet es sich an, mit seinen Vorstellungen und Positionen auch an die Öffentlichkeit zu treten. 20
Darüber hinaus gibt es auch noch weitere Fak- Dies zumal auch das dem Vorstand seitens der toren, die bei der Priorisierung von Themen zu Geschäftsführung vorgelegte Gesamtkonzept berücksichtigen sind: in vollem Umfang überzeugen konnte: m Relevanz des Themas Der Vorstand wollte als mittlerweile sechst- größter Wirtschaftszweig in der deutschen m Risiko des Themas Ernährungsindustrie gesellschaftliche Verant- m Chancen des Themas wortung übernehmen (2.2.1.) und den Entschei- m Beeinflussbarkeit des Themas dungsträgern in Brüssel hierbei auf Augenhö- he begegnen (2.2.2.). 2.3.4. Funktionierendes Netzwerk Der Aufbau eines Netzwerkes ist für die täg- liche Arbeit eines Lobbyisten unentbehrlich. Netzwerkarbeit Denn nur durch bestehende Netzwerke wird gewährleistet, dass eine schnelle und direkte m Adresssatennetzwerk Informationsweitergabe funktioniert. Identifizierung aller formellen und Die schnelle und direkte Informationsgewin- nung ist für den Lobbyisten wiederum die Vo- informellen Entscheidungsträger raussetzung dafür, frühzeitig im politischen Raum agieren zu können, rechtzeitig auf po- m Arbeitsnetzwerk litische Entwicklungen reagieren sowie letzt- Berücksichtigung aller relevanter externer endlich auch auf politische Prozesse Einfluss nehmen zu können. und interner Akteure Bei der Suche nach potentiell relevanten Ak- m Unterstützernetzwerk teuren sollte der Lobbyist eine grundsätzliche Dreiteilung der Netzwerkarbeit bedenken: Identifizierung aller potentiell verbündeter Das Adressatennetzwerk dient dem Interes- Akteure senvertreter in erster Linie dazu, Informationen einzuspeisen, um dadurch direkt bzw. indirekt Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse nehmen zu können. Er begrüßte die von der Geschäftsführung vor- Das Arbeitsnetzwerk liefert hierbei in erster gelegte Strategie, mit gezielten Maßnahmen Linie relevante Informationen für die tägliche und den richtigen Instrumenten vorzugehen Arbeit. (2.3.1.), um hier auf Basis bestehender Prozess- kenntnisse (2.3.2.) mit Scanning und Monitoring Schließlich das Unterstützernetzwerk, welches (2.3.2.) aus einem aufgebauten Netzwerk her- dazu dient, Verbündete zu sammeln, um glei- aus (2.3.4.) in Brüssel aktiv zu werden. che Ziele gemeinsam zu erreichen. Gesetzes- initiativen betreffen meist mehr als nur einen So fiel die Vorstandsentscheidung am 06.11.2007 einzelnen Verband. Daher bietet es sich an, sich entsprechend deutlich aus. darüber zu informieren, welche anderen Akteu- Schließlich wurde auch der finanzielle Rahmen re beispielsweise auch von einem anstehen- für das „Unternehmen Brüssel“ mit 5 % eines den Gesetzesvorhaben betroffen sein könnten. laufenden Jahresetats festgelegt. 2.4. Entscheidung pro Brüssel Nachdem sich der Verband innerhalb von zehn Jahren völlig neu aufgestellt und ausgerichtet hatte, kam das „Angebot“ aus Brüssel, dort in eine bestehende Bürogemeinschaft mit einer eigenen Repräsentanz einzusteigen zum abso- lut richtigen Zeitpunkt. 21
Protokollauszug der Vorstandssitzung vom 6.11.2007 Mit einem eigenen Büro in Brüssel könnte der BOGK seine ureigene Interessenvertretung selbst in die Hand nehmen und die bestmögliche Unterstützung durch eine fachkundige, deutschsprachige Assistentin und ein funktionierendes Büro in bester Lage sicherstellen. Der Vorstand stimmt diesem Vorschlag nach ausgiebiger Diskussion mehrheitlich, bei einer Enthaltung zu. Blick aus dem BOGK-Büro: „Place Lux“ und EP
3. Lobbyarbeit in Brüssel (Umsetzung) 3.1. Erste Maßnahmen vor Ort 3.1.1. Grundlegende Voraussetzungen Durch die Aufnahme in eine bereits bestehen- de Bürogemeinschaft wurde dem BOGK am An- fang vieles erleichtert, da er auch die dort be- reits seit Jahren tätige Mitarbeiterin halbtags einsetzen konnte. Auch die übrigen Vorausset- zungen waren schnell geschaffen. So zunächst eine eintägige Einweisung bei der SECUREX in Eupen, wo dem Verband das belgische Arbeits- und Sozialrecht dargelegt wurde, da er durch seine Mitarbeiterin im Brüsseler Büro auch ei- nen Arbeitgeberstatus erlangt hat. Wichtig und unerlässlich war aus Sicht des BOGK die Eintragung ins Brüsseler Transpa- renzregister, um seine Verbandsdaten bezüg- lich der angestrebten Lobbytätigkeit in vollem Umfang den Brüsseler Institutionen zugänglich zu machen. Dies hat der Verband seinerzeit erst als zweiter deutscher Verband überhaupt vollzogen! Schließlich mussten entsprechende Ausweise (sogenannte Badges) beantragt werden, um offi- ziellen und praktisch uneingeschränkten Zu- gang zum Europäischen Parlament zu erlangen. 3.1.2. Informationsmaterialien Mit entsprechenden Informationsmaterialien (Broschüren und Flyer) hat der Verband zu- dem auf seine Tätigkeit und sein Büro vor Ort hingewiesen. In den rechts abgebildeten Broschüren legt der Verband in Kurzform seine Arbeitsschwer- punkte dar, während im nachfolgenden Flyer explizit auf das Brüsseler Büro eingegangen wird. Der Titel des Flyers „BOGK – Im Herzen Europas“ verdeutlicht nicht zuletzt den opti- malen Standort des BOGK-Europa-Büros in un- mittelbarer Nähe zur EU-Komission, dem Rat der EU und dem EP. Hinweis: Zum 01.10.2010 hat der BOGK sein Büro ins Haus der Deutschen Land- und Ernährungs- wirtschaft verlagert. 23
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3.2. Europäische Kommission 3.2.1. Kontakte zur politischen Ebene Durch die Kontaktaufnahme zur politischen Ebene bei der EU-Kommission ist es dem BOGK frühzeitig gelungen nachdrücklich auf sich auf- merksam zu machen: So kam es am 27.06.2012 in der Landesvertre- tung des Freistaates Bayern bei der Europäi- schen Union anlässlich einer Preisverleihung für den damaligen italienischen Ministerprä- sidenten Mario Monti zu einem Treffen mit dem damaligen Vorsitzenden der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker. „Shake hands“: EU-Kommissar Günther Oettinger und Werner Koch Juncker war zuvor u.a. von 1995 bis 2013 Pre- „ mierminister von Luxemburg. Seit dem 01.11.2014 ist er der erste vom Europäischen Parlament gewählte Präsident der Europä- Gerade im Foodbereich gibt es viele ischen Kommission. Themen, die Verbraucher und Medien be- Am 13.07.2011 kam es bei einem Empfang in der schäftigen. Meist sind dies kritsiche Fra- Landesvertretung des Landes Baden-Würt- gen, über die ein einzelnes Unternehmen temberg bei der Europäischen Union in Brüs- nicht allein sprechen kann. Es ist gut, wenn sel zu einer Unterredung mit dem damaligen es dann eine Institution gibt, die für genau EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger. diese Themen als Sprachrohr fungieren “ Oettinger ist heute EU-Kommissar für Digitale kann. Wie der BOGK es tut. Wirtschaft und Gesellschaft und war vor seiner Brüsseler Zeit Ministerpräsident des Landes Günther Oettinger, EU-Kommission Baden-Württemberg. Hervorragende Kontakte hat der Verband auch zu den Kabinetten von Kommissionspräsident Juncker und Kommissar Oettinger. Die „Juncker-Kommission“ Die „Juncker-Kommission“ hat dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU am 19.05.2015 seine konkreten Vorstellungen für eine insgesamt verbesserte Rechtsetzung auf europäischer Ebene vorgelegt. Hierin werden eine ganze Reihe von Maßnahmen beschrieben, die das Engagement der EU-Kommission für eine bessere Rechtsetzung in ihrer täglichen Arbeit veranschaulichen. Die Arbeit soll transparenter und inklusiver gestaltet werden, um zu Vorschlägen mit höherer Qualität zu gelangen und zu gewähr- leisten, dass durch die bestehenden Vorschriften wichtige gesellschaftliche Ziele wirksamer verfolgt werden. Ein Alleingang der EU-Kommission in Sachen bessere Rechsetzung ist allerdings nicht zielfüh- rend. Erforderlich ist ein gemeinsames Engagement alle EU-Organe, der Mitgliedsstatten und sonstiger Akteure. So tragen insbesondere das Europäische Parlament und der Rat der EU eine besondere Verantwortung für eine solche Verbesserung. Die EU-Kommission appelliert daher auf Grundlage des Kommissionsvorschlags rasche Gespräche aufzunehmen, damit bereits in 2015 konkrete Ergebnisse erzielt werden können.
Das zwischen 1963 und 1967 erbaute Berlaymont-Gebäude ist heute der Hauptsitz der Europäischen Kommission im Brüsseler Europaviertel 26
3.2.2. Kontakt zur Arbeitsebene gen. Mit anderen Worten: Der BOGK erhielt die (DG Sante) Chance seine Anliegen vor den Vertretern aller EU-Mitgliedsstaaten vorzutragen! Durch präventives Lobbying konnte der Ver- Nach einem 40-minütigen Vortrag erhielten die band eine Reihe von Anliegen u.a. bei der für Mitgliedsstaaten bis zum 27.01.2010 Zeit sich seine Branchen zuständigen Generaldirektion hierzu schriftlich zu äußern. Am 09.04.2010 er- Gesundheit- und Lebensmittelsicherung (DG folgte dann der schriftliche Hinweis, dass eine Sante) erfolgreich vortragen. Nachfolgend sind Verpflichtung zur Kennzeichnung nicht bestehe! sechs Beispiele aufgeführt: Mit viel Überzeugungskraft, sowohl gegenüber m Bewertung von Phosphaten der DG Sante, aber auch gegenüber der EUPPA, In einer Sitzung am 11.04.2008 kam die DG San- konnte der Verband am Ende einen Erfolg te (Ständiger Ausschuss für die Lebensmittel- verbuchen. kette und Tiergesundheit) zu einer neuen Be- wertung von Phosphaten bei der Verwendung m Süßungsmittel zu brennwertverminderten bei Kartoffelverarbeitungserzeugnissen. War Fruchtaufstrichen bislang anerkannt, dass der Zusatz als techno- Ein weiterer Erfolg konnte am 23.09.2013 ver- logischer Hilfsstoff nicht deklarationspflichtig bucht werden. Die BOGK-Änderungsanträge sei, so wertete man den Einsatz von Phospha- vom 19.05.2012 bzgl. des Zusatzes von Süßungs- ten nunmehr als Zusatz eines Zusatzstoffes mitteln zu brennwertverminderten Frucht- mit der Folge einer Deklarationspflicht. aufstrichen sind in der Sitzung des Ständigen Ausschusses für die Lebensmittelkette und Hierüber hat die DG Sante sodann den euro- Lebensmittelsicherheit am 03.07.2013 ange- päischen Branchenverband EUPPA informiert. nommen und am 23.09.2013 im Amtsblatt der Während die EUPPA die Neubewertung der Europäischen Union veröffentlicht worden. DG Sante praktisch akzeptierte und nur um eine entsprechende Frist bis zur eintretenden m Konservierungsstoffe zu brennwertver- Kennzeichnungspflicht „verhandelte“, hat der minderten Fruchtaufstrichen BOGK von Beginn an eine andere Auffassung Auch wurde die BOGK-Anfrage zum Zusatz von vertreten und ist aktiv geworden. Konservierungsstoffen zu brennwertverminder- Er hat daraufhin zunächst drei gutachterliche ten Brotaufstrichen am 25.04.2014 von der DG Stellungnahmen eingeholt: Sante voll umfänglich bestätigt. Das erste Gutachten kam zu dem Ergebnis, m Verpflichtende Herkunftsangabe dass die Entscheidung der DG Sante grund- Zur Frage der verpflichtenden Herkunftsan- sätzlich zu hinterfragen sei, da die Verwen- gabe für primäre Zutaten bei Verarbeitungs- dung von Phosphaten im konkreten Fall bei der erzeugnissen musste sich die EU-Kommission Herstellung von Pommes Frites per Gesetz als im Wege eines impact assessement (Folgenab- Verarbeitungshilfsstoff einzustufen sei. schätzung) äußern. Ein zweites Gutachten kam zu dem Ergebnis, Der Verband hat sich frühzeitig gegenüber der dass selbst dann wenn Phosphate als Zusatz- EU-Kommission positioniert. stoffe einzustufen seien, im konkreten Fall kei- ne Deklaration vorgenommen werden dürfte, da es an der technologischen Wirksamkeit im Enderzeugnis fehle. Schließlich kam auch ein drittes Gutachten zu dem Ergebnis, dass keine Pflicht zur Kenn- zeichnung bestehe. Daraufhin hat der Verband am 15.10.2009 bei der DG Sante ein persönliches Gespräch auf Arbeitsebene geführt. Der DG Sante kamen hiernach Zweifel an ihrer Bewertung und man lud den Verband ein, die Thematik bzw. die Sicht der Dinge auf der Sitzung des Ständigen Ausschusses für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit am 18.12.2009 selbst darzule- 27
BOGK-Position Erfreulicherweise hat die EU-Kommission am 20.05.2015 einen Bericht vorgelegt, der voll um- Verpflichtende fänglich die praktischen Bedenken der Indust- „ rie berücksichtigt: Herkunftsangabe In terms of factors affecting consumer Der BOGK unterstützt die Regelung in der purchasing decisions, consumer interest in origin labelling, ranks behind price, taste, Lebensmittelinformations-Verordnung (Verord- use by / best before date, convenience and/ nung (EU) Nr. 1169/2011), dass eine verpflich- or appearance aspects. Even if consumer tende Angabe der Herkunft in Fällen gefordert interest in origin labelling for unproces- wird, bei denen ohne diese Angabe eine Irre- sed foods, single ingredient products and führung der Verbraucher möglich wäre. ingredients representing more than 50 % of a food is claimed by two thirds to three Eine grundsätzlichen Kennzeichnung der Her- quarters of consumers, it is lower than for künfte bei primären Zutaten ist jedoch für die food categories such as meat, meat pro- vom BOGK vertretenen Branchen in der Praxis ducts or dairy products. nicht machbar. So bedienen sich beispielswei- Consumers link origin information to vari- se die Konfitürenhersteller in Europa bei den ous product aspects, such as quality, safety, verwendeten Rohstoffen aus Gründen der Ver- environmental concerns and also declare fügbarkeit und im Hinblick auf die gewünschte that they would buy national products to sensorische Qualität am Weltmarkt. support the economy of their country, with important differences amongst Member Insbesondere dort wo es um Früchte geht, States. müssen deshalb regelmäßig unterschiedliche They would prefer information on origin Herkünfte in unterschiedlichen Anteilen mitei- at the level of the country compared with a nander verschnitten werden, um der berechtig- EU/non-EU level and seem more interested ten Erwartung des Verbrauchers an eine gleich- in the place of production compared with bleibende Produktqualität zu entsprechen. the place of farming of the raw material. Dies führt alleine aufgrund saisonal bedingter Unprocessed foods, single ingredient pro- ducts and ingredients that represent more Rohstoffschwankungen bis hin zu witterungs- than 50 % of a food are food categories bedingten Totalausfällen von Rohstoffen be- that gather very different products, for stimmter Herkünfte im Ergebnis zu stark vari- which consumer interest in origin informa- ierenden Zusammensetzungen hinsichtlich der tion and economic impact of imposing a Rohstoffherkünfte. Deshalb ist es für die obst-, mandatory origin labelling varies greatly. gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie The supply chains for the three categories von großer Bedeutung, dass die gegenwär- of foods in the scope of the report show tigen Regelungen beibehalten werden, d. h. that the origin of ingredients varies fre- verpflichtende Kennzeichnung bei möglicher quently to maintain low purchasing prices and to maintain the quality of the final Irreführung und es ansonsten bei allen übrigen product. Therefore, mandatory origin Erzeugnissen bei der Möglichkeit der freiwilli- labelling at the EU level and even more at gen Herkunftskennzeichnung bleibt. the level of the country is highly complex to Brüssel, September 2013 implement in many areas of food, leading to substantial increases of costs of produc- 28
tion, which ultimately would be passed on to consumers. Origin labelling on a voluntary basis would be the least market disruptive scenario and would maintain product cost at current levels. It would not provide a satisfactory solution to the consumer demand for sys- tematic origin information, but consumers could, if they so wish, opt for foods where origin information is voluntarily provided for by food business operators. Mandatory origin labelling at EU level (EU/non-EU or EU/third country) leads to less important „Spreewälder production cost increases, less burden for combined with the already existing man- Gurken“: both food business operators and Member datory origin labelling regimes for specific BOGK-Büro- eröffnung States competent authorities, but consumer foods or categories of food appears as the in Brüssel satisfaction would be not as high as with suitable option. It maintains selling prices mandatory origin labelling at country level. at current levels and still allows consumers Unlike origin labelling at EU level, origin to choose products with specific origins if labelling at country level would have an they want to, while it does not affect the important impact on the internal market, competitiveness of food business operators with a possible increase of consumption of and does not impact internal market and local foods for certain markets. Both mandatory origin labelling scenarios international trade. “ at EU and country levels could impact on m Zusatz von Farbstoffen international food supplies and interfere Ferner hat der Ständige Ausschuss für die Le- with existing trade agreements with third bensmittelkette und Lebensmittelsicherheit in einer Sitzung am 14.04.2015 auch die BOGK- countries. Additional labelling rules may Anträge bzgl. des Zusatzes von bestimmten lower the competitiveness of EU food Farbstoffen zu Kartoffelerzeugnissen akzep- business operators on the international tiert und am 12.08.2015 im Amtsblatt der Euro- market, while food business operators from päischen Union veröffentlicht. third countries are concerned about poten- m Transatlantisches Handelsabkommen tial additional costs of production and loss (TTIP) of exports to the EU because consumers Bei TTIP ist für die Branche die Aufrechterhal- would prefer foods of EU origin. tung des Schutzes geografischer Herkunftsan- gaben für regionale Spezialitäten von großer Finally, mandatory origin labelling would Bedeutung. represent an additional burden on Member Um einen umfassenden und gleichwertigen States competent authorities, in particular Schutz regionaler Produkte in den USA und in the current economic environment, if in der EU zu gewährleisten, muss das Trans- they had to cope with the imposition of pos- atlantische Freihandelsabkommen daher die geschützten Ursprungsbezeichnungen der EU sible new control tasks for such additional respektieren. requirements. Hier ist es dem Verband gelungen, dass z.B. die Against this background and in view of „Spreewälder Gurken“ als ein in jedem Fall zu the Commission policies in terms of better schützendes Erzeugnis in die Verhandlungen regulation, voluntary origin labelling (sog. „short list“) aufgenommen worden ist. 29
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