MACHER Das Westbrandenburger Handwerk in der Wendezeit - persönliche Rückblicke
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1990. Macher. Das Westbrandenburger Handwerk in der Wendezeit – persönliche Rückblicke Bernd Blumrich Bernd Brusendorff Erich-Detlef Claasen Dorothea Enderlein Heinz Graf Lothar Hildebrandt Heike Liere Ute Maciejok Eberhard Nitze Hanns-Eberhard Schleyer Olaf Thiede Klaus Windeck Heinz Ziesecke Anette Zimmermann Wolf-Rudolf Zimmermann Autor: Jörg Dombrowski 3
Inhaltsverzeichnis 7 Vorwort Für die Macher Robert Wüst, Präsident der Handwerkskammer Potsdam 8 Immer auf Augenhöhe Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), Berlin; Handwerkskammer Potsdam Hanns-Eberhard Schleyer, ehemaliger Generalsekretär des ZDH Klaus Windeck, ehemaliger Präsident der HWK Potsdam 10 Es war rappelvoll H andwerkskammer Potsdam Dorothea Enderlein, Heike Liere, Ute Maciejok, HWK Potsdam, Erich-Detlef Claasen, KH Teltow-Fläming 12 Ärmel hochgekrempelt und angepackt Ehrenpräsident der Handwerkskammer Potsdam, Brandenburg Klaus Windeck, Schlossermeister 14 Es war mein Traumberuf Kosmetikhandwerk, Mahlow Anette Zimmermann, Kosmetikermeisterin 16 Eine stürmische und bewegte Zeit Bauhandwerk, Potsdam Bernd Brusendorff, Maurermeister 18 Man wurde mitgerissen K fz-Gewerbe, Jüterbog Heinz Graf, Kfz-Meister 20 Eine ostdeutsche Erfolgsstory Friseurhandwerk, Brandenburg Eberhard Nitze, Friseurmeister 22 Wir konnten gestalten Tischlerhandwerk, Oberkrämer Olaf Thiede, Tischlermeister 24 Wir haben viel bewegt Dachdeckerhandwerk, Pritzwalk Lothar Hildebrandt, Dachdeckermeister 26 Alles lief ab diesem Datum anders Brunnenbauerhandwerk, Neuruppin Wolf-Rudolf Zimmermann, Brunnenbauermeister 28 Es war eine verdammt verrückte Zeit Metallbauerhandwerk, Falkensee Heinz Ziesecke, Schlossermeister 30 Bilder, die etwas zu sagen haben Fotografenhandwerk, Kleinmachnow Bernd Blumrich, Fotografenmeister 32 Ansichten und Einblicke 34 30 Jahre Deutsche Einheit: eine Erfolgsgeschichte für das Handwerk 36 Daten und Ereignisse 40 Literatur- und Quellenverzeichnis, Bildnachweis, Abkürzungserklärung 5
Für die Macher Es sind mindestens drei denkwürdige Daten, Ich selbst erlebe die Wendezeit in Erzählun- die in der Wendezeit vor dreißig Jahren die gen, wenn beispielsweise mein Großvater Entwicklung des deutschen und vor allem oder Vater berichten. Dabei verstehe ich, dass auch des westbrandenburgischen Hand- die Ereignisse, Erlebnisse und Empfindungen werks geprägt haben. dieser Zeit nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Diese Broschüre möchte dazu einen Da war natürlich der Mauerfall am 9. Novem- Beitrag leisten und den vielen Ehrenamts- ber 1989. Über Nacht war plötzlich alles an- trägern im Handwerk – den Machern der da- ders und fast alles schien möglich. Ein beiläu- maligen Zeit – ein kleines Denkmal setzen. figer Satz von Günter Schabowski auf einer Sie haben neben dem Kampf für das Überle- Pressekonferenz öffnete die „Schleusen“. ben des eigenen Betriebes wertvolle Zeit für unseren Berufsstand geopfert. Ihnen ist es Der zweite Termin war der 3. März 1990. An zu danken, dass das brandenburgische Hand- diesem Samstag fanden sich im Märkischen werk seit der Wende einen so erfolgreichen Gildehaus in Caputh 57 Delegierte (32 aus Weg nehmen konnte. Ihre Leistung verdient dem privaten und 25 aus dem genossen- Respekt, Dank und Anerkennung. schaftlichen Handwerk) aus den Kreishand- werkerschaften beim Bezirkshandwerkertag Auf den folgenden Seiten kommen einige Potsdam zusammen. Sie wählten erstmals dieser Macher aus verschiedenen Berufen frei und demokratisch aus ihren Reihen die und Regionen zu Wort. Sie schildern ihre Er- führenden Repräsentanten des Handwerks. fahrungen, Stimmungen, ihre Courage, Be- Grundlage der demokratischen Selbstverwal- geisterung, das beglückende Miteinander, tung war die erst im Februar verabschiedete Stolz, Verwirrung, Zögern, Skepsis, Euphorie „Verordnung über die Organisation des Hand- und manchmal auch Ernüchterung. werks in der DDR“, an deren Erarbeitung das Potsdamer Handwerk maßgeblich beteiligt Freuen Sie sich mit mir über ihre spannenden war. Erinnerungen. Und der dritte Termin war der 21. Juni 1990. An diesem Tag vollzog das deutsche Hand- werk gut drei Monate vor der politischen Wiedervereinigung seinen Zusammen- schluss. An dieser von vielen auch als das „Wunder von Zwickau“ bezeichneten Ver- einigungsveranstaltung nahmen mehr als 4.000 Handwerker aus Ost und West teil. In einem für 2.000 Besucher gedachten Festsaal Viel Spaß beim Lesen wünscht machte sich eine wunderbare Mischung aus Aufbruchsstimmung, Neugier, Zusammen- Robert Wüst, gehörigkeitsgefühl und Gemeinsamkeit breit. Präsident der Handwerkskammer Potsdam Stürmischer Beifall begleitete den Potsdamer Kammerpräsidenten Klaus Windeck, als er als gewählter Sprecher der ostdeutschen Hand- werkskammern seine denkwürdigen Worte „Ein Handwerk – ein Stimme!“ sprach. 7
Zentralverband des Deutschen Handwerks, Berlin Handwerkskammer Potsdam Immer auf Augenhöhe Hanns-Eberhard Schleyer, vom 1. Januar 1990 bis 31. Dezember 2009 Generalsekretär des ZDH Klaus Windeck, 1. frei gewählter Präsident der HWK Potsdam und Präsidiumsmitglied des ZDH Der eine hatte einen großen Anteil daran, dass am 21. Juni 1990 gen. Aber die Ankunft der ostdeutschen Handwerker im neuen in Zwickau bei der Wiedervereinigung des deutschen Hand- System erforderte mehr Zeit und Anstrengungen, als von vielen werks zum Abschluss die dritte Strophe des „Liedes der Deut- erwartet und gehofft. schen“ von Fallersleben erklang. Der andere hatte nur 14 Tage Wie schwierig dieser Prozess manchmal war, macht Hanns- vorher in Bad Godesberg auf einer Vollversammlung des ZDH Eberhard Schleyer mit einer kleinen Begebenheit deutlich: „Es den offiziellen Antrag zur Mitgliedschaft der ostdeutschen Kam- war bald nach der Wende zu einem offiziellen Anlass in der HWK mern gestellt. Und das mit dem denkwürdigen Schlagwort die- Potsdam, bei dem auch Ministerpräsident Manfred Stolpe an- ser Rede: „Ein Handwerk – eine Stimme“. wesend war und ein Grußwort hielt. Als er fertig war, stellte Für Hanns-Eberhard Schleyer, der erst knapp sechs Monate vor- mich der Vizepräsident der Kammer wie folgt vor: ‚Meine Da- her seine Arbeit als Generalsekretär des ZDH angetreten hatte, men und Herren. Es spricht jetzt zu ihnen der Generalsekretär ist es heute noch eine der „beeindruckendsten Szenen seines des Zentralkomitees des Handwerks‘. So gibt es viele Erinnerun- Lebens“. Und Klaus Windeck, der ein gutes viertel Jahr vorher 1. gen aus der ersten Zeit, die typisch sind für diesen Übergang. frei gewählter Präsident der HWK Potsdam wurde und von den Man hat eben immer wieder festgestellt, es waren zwei Welten, ostdeutschen Handwerkskammern zum Sprecher bestimmt die sozusagen über Nacht miteinander verschmolzen wurden.“ worden war, erinnert sich an den langanhaltenden Beifall, der Schleyer weiter: „Ich habe immer wieder angemahnt, dass wir „seine Rede bei der Großkundgebung in der Godesberger Stadt- sehr sensibel mit den Menschen umgehen müssen. Bei aller halle“ begleitete. Notwendigkeit, gemeinsames Recht, Verwaltungsstruktur und Beide haben gemeinsam große Verdienste um die Wiederver- Wirtschaftsordnung zu schaffen, musste man sich immer wie- einigung des deutschen Handwerks, die viele Wochen vor der der daran erinnern, wie das eigentlich für den Handwerker ist, Wiedervereinigung ganz Deutschlands erfolgte. Der umsichti- der in einem ganz anderen System aufgewachsen ist, der stolz ge, wortgewandte, bestens vernetzte und aufgeschlossene Ge- ist, sich etwas aufgebaut zu haben und der nun eine Eröffnungs- neralsekretär und der konsequente, engagierte und streitbare bilanz vorlegt und der Steuerberater ihm sagt, dass er jetzt ei- Handwerker bildeten nach der Wende ein gutes Gespann – für gentlich schon pleite sei.“ das Wohl des gesamtdeutschen Handwerks. „Wir haben ge- Aber das Handwerk hatte die Kraft, den Mut und die Zuversicht meinsam an den Dingen gearbeitet, Programme entwickelt und – besser als viele andere Wirtschaftszweige – die Lösung der Probleme gelöst. Und wir hatten immer ein gemeinsames Ziel Probleme anzugehen. Dabei war auch entscheidend, dass es der vor Augen und sind das ernsthaft und kollegial auf Augenhöhe angegangen“, erinnert sich der ehemalige Generalsekretär. Und „Wir hatten immer ein gemein- der Brandenburger Schlossermeister nannte es damals in seiner Rede „eine Selbstverständlichkeit, wenn ein Land, ein Volk, ein sames Ziel vor Augen und sind Stand wie der des Handwerks eine gewaltvolle Teilung schnell, konstruktiv und tatbezogen überwinden will und das als Nor- das ernsthaft und kollegial auf malität empfindet.“ Dabei war der Wiedervereinigungsprozess dieses wichtigen Augenhöhe angegangen.“ Wirtschaftszweiges mit damals 700.000 Betrieben und weit über fünf Millionen Beschäftigten beileibe kein Selbstläufer. Der formelle Akt war mit der offiziellen Aufnahme der Kam- mern und Verbände bei der ZDH-Vollversammlung in Bad Go- Hanns-Eberhard Schleyer desberg und mit der Wiedervereinigungsfeier in Zwickau vollzo-
„Ich habe die Wende als Chance begriffen. Ich konnte etwas auf- bauen und mich ent- falten.“ Klaus Windeck Bei der Pressekonferenz am 21. Juni 1990 in Zwickau (v.l.n.r.): Bruno Schliefke, Präsident Zentralverband SHK; Hanns-Eber- hard Schleyer, Generalsekretär ZDH; Heribert Späth, Präsident ZDH; Klaus Windeck, Präsident HWK Potsdam; Walter Hartwig, Präsident HWK Chemnitz; Ingeborg Schöne, Hauptgeschäftsführerin HWK Chemnitz. Organisation schon sehr früh gelungen war, die notwendigen politischen Rahmenbedingungen einzufordern. Der Generalse- kretar anerkennend: „Klaus Windeck war da immer ein Vorbild. Er war eigentlich von Anfang an für mich jemand, der erkannt hat, was zu tun ist, wie man sich neu aufstellen muss, welche Chancen, welche Risiken es gibt.“ Und das Handwerk hatte seine eigene Identität, seine Hilfsbereitschaft und sein Ver- antwortungsbewusstsein: „Es hat mich auch ein bisschen stolz gemacht, dass viele Handwerker sich uneigennützig unterstützt haben. Nicht nur auf der Kammer- und Verbandsebene sondern auch von Kollege zu Kollege. Das war der große Unterschied zur Industrie, die sich nur neue Märkte gesucht hat. Das hat auch dazu beigetragen, dass die Wiedervereinigung hier mit am bes- ten und schnellsten vollzogen wurde.“ Schmunzelnd erinnert sich der ehemalige Kammerpräsident allerdings an seinen Start nach der Wahl ins ZDH-Präsidium: „Schon die erste Sitzung war ein besonderes Erlebnis. Der dama- lige ZDH-Präsident Heribert Späth und Hanns-Eberhard Schley- er waren gerade dabei, die Satzung zu ändern. Sie wollten eine Altersbegrenzung (63) für die Wahl der Präsidenten der HWK Ein streitbares Gespann für die Interessen des Handwerks: Klaus Wind- einführen. Mit meinen 49 Jahren war ich der absolut jüngste in eck und Hanns-Eberhard Schleyer – hier bei der Verabschiedung des der Runde und war natürlich dafür. Die beiden sagten vor dem HWK-Präsidenten im Jahr 2007. gesamten Gremium: ,Er ist einer der Befürworter der Satzungs- schen Handwerkern und mit dem Hauptamt gefunden.“ Für den änderung.‘ Ich ahnte ja nicht, dass ich damit in ein Wespennest ZDH war die HWK in Potsdam nach der Wende immer ein wich- gestochen hatte. Das war mein Start im Präsidium, gleichzeitig tiger Rückzugs- und Aufenthaltsort. Hanns-Eberhard Schleyer: war es aber auch meine Eintrittskarte. Ich hatte durch diese Po- „Wir haben viel Unterstützung von der Kammer Potsdam erfah- sition einen hervorragenden Kontakt zum Präsidenten und zum ren. Es gab ja beim ZDH viele Arbeitskreise, bei denen die Er- Generalsekretär und wurde sehr gut angenommen.“ fahrungen der ostdeutschen Kammern gefragt waren. Auch da Das gemeinsame Fazit der beiden „Handwerkswiedervereini- hat uns Potsdam nie im Stich gelassen.“ Klaus Windeck: „Und gungsgestalter“: „Wir mussten für viele Probleme konsensfä- die Potsdamer haben diese Gastgeber- und Beraterrolle gerne hige und rechtlich tragbare Lösungen finden. Und sie wurden angenommen und mit viel Engagement ausgefüllt.“ [1] [7] [8] [10] [11] [12] in streitbaren Runden gemeinsam mit den ost- und westdeut- 9
Handwerkskammer Potsdam Bei der Eröffnung der Bildungsstätte der Kreishandwerker- schaft Teltow-Flä- ming im Jahr 1993: Geschäftsführer der KH Erich-Detlef Claasen, Ministerprä- sident Manfred Stolpe, Kreishandwerksmeis- ter Gerhard Peschel, HWK-Präsident Klaus Windeck und HWK- Hauptgeschäftsfüh- rer Wolfgang König (v.l.n.r.). Es war rappelvoll Dorothea Enderlein, langjährige Geschäftsführerin der HWK Potsdam Heike Liere, langjährige stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der HWK Potsdam Ute Maciejok, langjährige Pressesprecherin der HWK Potsdam Erich-Detlef Claasen, langjähriger Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Teltow-Fläming Die Mitarbeiter der Handwerkskammer dung organisieren. Wie aufregend, ab- Tätigkeit an ein Tagebuch, das heute ein Potsdam hatten einen großen Anteil wechslungsreich und ungewöhnlich die wertvoller Zeitzeuge ist. Dort hatte sie daran, dass sich das Handwerk nach Wende für die Kammermitarbeiter war, zum Beispiel als eine der ersten Eintra- der Wende in vielen Bereichen so posi- schildert die ehemalige Pressespreche- gungen notiert, dass die Kammer damals tiv und stürmisch entwickeln konnte. In rin Ute Maciejok: „Die Ereignisse haben zusammen mit den Kreisgeschäftsstellen dieser bewegten und bewegenden Zeit sich dann bis weit in das Jahr 1990 hinein 109 Mitarbeiter hatte: „Das erschien mir mussten sie sich um die Neustrukturie- überschlagen. Man hatte den Eindruck, „Man musste pragma- rung der Handwerksorganisation küm- dass eine Veranstaltung die andere in mern, mussten selber Erfahrungen und immer kürzeren Abständen jagte. Stän- tische Lösungen fin- Erkenntnisse sammeln, mussten in kür- dig musste ein Statut, ein Dokument, zester Zeit lernen und umdenken, muss- eine Vorlage für irgendetwas entwickelt den, die auch einfach ten aber gleichzeitig auch die Handwer- werden. Oft war die Ausarbeitung dann ker für den Weg in die Marktwirtschaft drei Tage später schon wieder überholt.“ umsetzbar waren.“ rüsten, mussten die Innungen und Kreis- Heike Liere, die am 18. Juni 1990 – also handwerkerschaften bei ihrer Neugrün- kurz nach der Wende - als Abteilungslei- dung und Neuausrichtung unterstützen terin Finanzen und Verwaltung bei der und mussten die Aus- und Weiterbil- HWK anfing, führte vom ersten Tag ihrer Heike Liere
sehr viel. Weil die HWK Berlin-West nur unsichert, was passieren würde. Für die 85 Mitarbeiter hatte. Da wusste ich aber Kammern gab es ja eine Pflichtmitglied- noch nicht, dass bei uns auch die Mitar- schaft, aber die Kreishandwerkerschaf- beiter der zahlreichen Ferienobjekte dazu ten wurden durch die Innungen getragen. „Wir mussten sogar gehörten. Die Verwaltung in der Kammer Da gab es schnell einen rasanten Wettbe- an sich war ja sehr sparsam aufgestellt.“ werb um die größten Innungen.“ ein ehemaliges Stasi- Es war eine ihrer ersten und wichtigsten Aus den 15 Kreisgeschäftsstellen wurde Aufgaben, sich einen Überblick über die dann später nach vielen Umstrukturie- objekt in Alt-Briese- finanzielle Situation der Kammer zu ver- rungen und Zusammenschlüssen eine schaffen und auch die externen Objekte deutlich kleinere Zahl von Kreishandwer- „Das war die Zeit, wo lang anmieten, um kerschaften, die einen wertvollen Beitrag für die Unterstützung der Innungen vor alles noch ziemlich den großen Schulungs- Ort leisteten und leisten. In der Wendezeit war neben der Grün- durcheinander ging.“ bedarf zu decken.“ dung der Innungskrankenkassen, die Schulung und Weiterbildung der Hand- werker eine der wichtigsten Aufgaben Dorothea Enderlein der Kammer und der neuen Kreishand- Ute Maciejok werkerschaften. Zu den Veranstaltungen zur D-Mark-Eröffnungsbilanz, zur Um- (zum Beispiel in Ahlbeck, Caputh, Dobbri- wandlung der PGH in eine GmbH, zum kow, Grieben (Hiddensee), Nassau, Alt- Gesellschaftsrecht, zu Marketing, Kalku- ruppin, Katzhütte) bewerten zu lassen. lation und Steuerrecht waren meist meh- Dabei gab es wertvolle und uneigennüt- rere hundert Teilnehmer dabei. zige Hilfe von den Partnerkammern und Dorothea Enderlein, die am 1. April 1988 Verbänden aus dem Westen, die oft auch in der HWK als Justitiarin gestartet war, die Innungen und Kreisgeschäftsstellen musste sich unter anderem um die Um- intensiv unterstützten. Alle Objekte - bis setzung der neuen Handwerksordnung auf Caputh – wurden dann auf Beschluss kümmern. Hier war viel Aufklärungs- der Vollversammlung mehr oder weni- „Es war rappelvoll ger schnell verkauft und die Mitarbeiter „untergebracht“. und da wurde disku- Spannend war auch die Festsetzung der Kammerbeiträge, die ja im ersten Halb- tiert ohne Ende.“ jahr 1990 in DDR-Mark (nach der alten Umlageordnung) und dann im zwei- ten Halbjahr in D-Mark gezahlt werden mussten. Es war schwierig eine Beitrags- Erich-Detlef Claasen ordnung in D-Mark zu finden. Es gab ja Die drei engagierten Frauen der Handwerks- keine Daten von der Finanzverwaltung. arbeit notwendig. Doch auch die Füh- kammer Potsdam halten sich im Hintergrund Die von den westdeutschen Kollegen (letzte Reihe v.l.n.r.): Ute Maciejok, Heike rung der Handwerksrolle galt es von den Liere, Dorothea Enderlein. Hier beim 1. Hand- entwickelten Rechenmodelle waren viel Kreisgeschäftsstellen zu übernehmen: werkskammertag des Landes Brandenburg in zu kompliziert. Es wurde dann einfach „Wir haben Kästen mit Karteikarten be- Caputh im Jahr 2005. die Zahl der Beschäftigten in einer Selbst- kommen. Damit waren wir erst einmal auskunft abgefragt. Obwohl das von den sehr gut beschäftigt. Und am Anfang gab Partnern sehr skeptisch gesehen wurde, es nur einen einzigen PC in der Kammer.“ zeitschrift West-Berlins und Branden- hat es letztlich gut funktioniert und die- Doch das änderte sich bald mit einer neu- burgs in einer Auflage von 40.000.“ se Beitragsordnung hatte viele Jahre bis en Telefonanlage, neuem Mobiliar und Das Fazit der ehemaligen Kammermit- Ende 1997 Bestand. „Man musste prag- neuen Computern aus der Förderung des arbeiter lautet: „Wir hatten in der Wen- matische Lösungen finden, die auch ein- Bundes. dezeit unwahrscheinlich viele spannen- fach umsetzbar waren“, fasst Heike Liere „Ein wertvoller Informationsträger auf de Aufgaben zu erledigen, hatten dabei kurz zusammen. dem Weg in die Marktwirtschaft war die aber auch viel Gestaltungsspielraum. Wir Kompliziert war auch die Situation in den Kammerzeitschrift“, weiß Ute Maciejok. haben uns informiert und zugehört und Kreisgeschäftsstellen, die meist mit drei „Bis zur Wende gab es das ‚Potsdamer haben dann unsere eigenen Vorstellun- Mitarbeitern besetzt waren. Erich-Detlef Handwerk‘ in einer Auflage von 2.500 gen umgesetzt und sind unseren eigenen Claasen, der am 1. Dezember 1984 bei der Exemplaren. Und noch vor der Wäh- Weg gegangen. Das war auch das Ver- Handwerkskammer Potsdam in Jüterbog rungsunion erschien zum 1. Juni 1990 die dienst unseres Hauptgeschäftsführers angefangen hatte, erinnert sich: „Wir wa- erste Ausgabe des ‚Berlin-Brandenburger und des Vorstandes, die uns diesen Spiel- ren in den Kreisgeschäftsstellen sehr ver- Handwerks‘ als gemeinsame Kammer- raum gegeben haben.“ [2] [7] [8] [14] [15] 11
Ehrenpräsident der Handwerkskammer Potsdam, Brandenburg Die Handwerker des Bezirkshandwerkertages applaudierten Wolfgang König (nicht im Bild) zur einstimmigen Wahl zum Hauptgeschäftsführer. Ärmel hochgekrempelt und angepackt Klaus Windeck, Ingenieur, Schlossermeister, langjähriger Vorsitzender der Berufsgruppe der Schlosser und Schmiede Brandenburg, langjähriger Vorsitzender der ELG Gemetha Brandenburg, 1. frei gewählter Präsident der HWK Potsdam (heute Ehrenpräsident), Präsidiumsmitglied des ZDH Fast 5.800 private Handwerksbetriebe, 212 Produktionsgenos- zirkes Potsdam für den 10. November 1989 zu einer Festveran- senschaften des Handwerks (PGH) mit fast 12.000 Mitgliedern staltung „anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung der DDR“ und 86 Einkaufs- und Liefergenossenschaften (ELG) gehörten in in den Ratskeller Brandenburg eingeladen. Die eigentlich als der Wendezeit zum Bestand der Handwerkskammer Potsdam. Auszeichnungs- und Festveranstaltung gedachte Feier geriet Am 9. November 1989 fiel die Mauer und es war schnell klar, nur einen Tag nach dem Mauerfall auch zur öffentlichen Diskus- dass sich auch im Handwerk der DDR fast alles ändern würde. sion über notwendige Veränderungen. Klaus Windeck gehörte Klaus Windeck, selbstständiger Schlossermeister erinnert sich: zu den Ausgezeichneten und ergriff in ihrem Namen das Wort: „Die Wendezeit war eine Zeit des Umbruchs. Vieles war neu, „Wir müssen etwas verändern, wir wollen freier gestalten kön- fast alles war anders. Wir konnten uns endlich selbst bestim- nen!“ men und übten uns in Demokratie. Das ostdeutsche Handwerk, Diverse Versammlungen, kurzfristig erarbeitete Grundsatz-Do- das sich zu DDR-Zeiten immer durch eine große Einigkeit aus- kumente und erregte Diskussionen bestimmten im Potsdamer gezeichnet hatte, nahm sein Schicksal selbst in die Hand. Es Handwerk wie überall die Zeit nach dem Mauerfall. Dazu gehör- herrschte Auf- und Umbruchsstimmung.“ ten auch intensive Gespräche über eine neue Handwerksord- Wie der Zufall es wollte, hatte die Handwerkskammer des Be- nung für die DDR, die unter maßgeblicher Mitarbeit der Kam-
„Wir hatten damals keine Zeit viel nachzu- denken. Wir haben die Ärmel hochgekrempelt und angepackt.“ Klaus Windeck mern Potsdam und Erfurt mit den DDR-Oberen geführt wurden. fort nach der Wahl. Wolfgang König machte ihm den Vorschlag Die unter anderem daraus entstandene „Verordnung über die aus den Baracken in Caputh ein vernünftiges Hotel zu machen Organisation des Handwerks in der DDR“ bildete die Grundla- und der Schlossermeister war sofort dabei. Caputh blieb aber ge für die demokratische Selbstverwaltung des Handwerks und die einzige Liegenschaft, die die Kammer in ihrer Regie weiter- die 1. freien Kammerwahlen, zu denen die Handwerkskammer führte, alle anderen Objekte wie die Ferienhäuser in Ahlbeck, Potsdam für den 3. März 1990 in das Märkische Gildehaus nach Katzhütte, Nassau; Dobbrikow und Hiddensee wurden vermark- Caputh eingeladen hatte. tet und abgestoßen. Die anwesenden 57 Delegierten (32 aus dem privaten und 25 Zu dem Ehrenamt als Präsident kamen bald viele weitere Funk- aus dem genossenschaftlichen Handwerk) waren vorher in den tionen und Ämter hinzu – sowohl regional als auch in Gremien Kreisen ganz demokratisch gewählt worden. des ZDH und der Wirtschaft. Und letztlich musste ja auch der Klaus Windeck erinnert sich, wie es zu seiner Kandidatur kam: Betrieb erfolgreich in die Marktwirtschaft geführt werden. „Wir fuhren am 3. März 1990 im Kleinbus mit acht Mann (vier Die Aufgabenliste der ersten Monate nach der Wahl war be- Vertreter des privaten Handwerks und vier Delegierte der PGH) zeichnend für die Vielfältigkeit und Intensität der Aufgaben des zur Wahlversammlung nach Caputh. Wir haben dann bei der neuen Kammerpräsidenten: Entscheidung über den Umbau Ca- Fahrt über vieles gesprochen. Erst im Scherz und dann ganz puth; Bestandsaufnahme Geld, Gebäude Sachwerte; Übergabe ernsthaft entstand der Vorschlag: Wir stellen auch einen Kan- der bisherigen Kreisgeschäftsstellen der Handwerkskammer in didaten für das Präsidentenamt. Die vier PGH-Vorsitzenden die Hände der sich neu bildenden Kreishandwerkerschaften; waren dafür, dass es jemand aus dem privaten Handwerk sein Entscheidung über den Feriendienst; Basisrechtsetzungen der sollte und so fiel die Wahl eher durch Zufall auf mich.“ Meister- und Prüfungsanordnungen; Verwendung der genos- Beim Wahlakt herrschte dann im besten Sinne des Wortes senschaftlichen Fonds der ELG; Aufbau der Bürgschaftsbank in Basisdemokratie: Die Namen der Kandidaten wurden an die Potsdam; Wiedervereinigung des deutschen Handwerks im Juni Wandtafel geschrieben, Stimmzettel verteilt, geheim gewählt 1990 in Zwickau; Aufbau des Versorgungswerkes mit der Inter und dann öffentlich ausgezählt. Für jede Ja-Stimme gab es einen Versicherung und der IKK; Fortführung des Objektes „Histori- Kreidestrich. Von den drei Kandidaten für das Präsidentenamt sche Mühle Potsdam“; Berufung ins Präsidium des ZDH; Mit- setzte sich Klaus Windeck schon im ersten Wahlgang mit der arbeit in der Strategiekommission Ost unter Bundeskanzler Hel- absoluten Mehrheit von 38 Stimmen durch. Ein überraschendes mut Kohl und Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann; Ergebnis. Übernahme der Handwerksordnung West und damit Neuwah- „So richtig habe ich damals alles eigentlich erst realisiert, als ich len des Vorstandes mit Vertretern der Gesellenseite. gefragt wurde, nimmst du die Wahl an? Da gab’s kein zurück Das Fazit des verdienten Ehrenamtsträgers: „Es war ein Full- mehr“, ist der Schlossermeister heute noch erstaunt. timejob. Doch es war auch eine schöne Zeit, eine Zeit des Um- Auch für die Wahl der beiden Vizepräsidenten gab es mehrere bruchs und des Neuanfangs mit einer engagierten Mannschaft, Vorschläge. Die meisten Stimmen erhielten der Potsdamer PGH- mit einem Team, das bereit war, Veränderungen mitzugestalten Vorsitzende Bernd Brusendorff (31 Stimmen) und der Falkense- und Verantwortung zu übernehmen. Wir hatten damals keine er Tischlermeister Emil-Dietmar Tischler (27 Stimmen). Zwölf Zeit viel nachzudenken. Wir haben die Ärmel hochgekrempelt Handwerksmeister, darunter eine Frau, bildeten den ersten Vor- und angepackt. Es waren die Macher gefragt. Doch ohne meine stand, dem damals noch keine Arbeitnehmer angehörten. An- Familie – meine Frau und meinen Sohn – die mir im Betrieb den schließend wurde Diplom-Jurist Wolfgang König einstimmig als Rücken freigehalten haben, hätte ich das alles nie bewältigen Hauptgeschäftsführer der Bezirkshandwerkskammer gewählt. können.“ [1] [4] [11] [12] [14] [15] Die Arbeit als Kammerpräsident begann für Klaus Windeck so- 13
Kosmetikhandwerk, Mahlow Es war mein Traumberuf Anette Zimmermann, Kosmetikermeisterin, langjährige Dozentin und Ausbilderin im Kosmetikhandwerk, langjähriges Mitglied im Meisterprüfungsausschuss (bis 2016), Trägerin der Goldenen Ehrennadel des Handwerks Anette Zimmermann weiß eins ganz gewiss: „Ich wäre über die Die Arbeitssuche gestaltete sich allerdings wieder schwierig. vielen negativen beruflichen Erfahrungen in meinem Leben nicht Ein Jobangebot am Regierungskrankenhaus in Berlin scheiterte hinweggekommen, wenn Kosmetikerin nicht mein Traumberuf an ihrem „politischen Selbstverständnis“. Aber Anette Zimmer- gewesen wäre.“ Mit der Berufswahl hat sie ihre „Eltern zur Weiß- manns Mann fand für die erfahrene Kosmetikerin einen Job als glut gebracht. Ich habe gesagt, ich werde Kosmetikerin oder ich Lehrausbilderin in Berlin. „Die haben mich aber nur genommen, stürze mich aus dem Fenster. Sie waren nicht glücklich damit, weil ich die Ausbildung in der medizinischen Akademie vorzu- aber sie haben sich gefügt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“ „Wir haben leider für das Kosme- Wie glücklich die Kosmetikermeisterin mit ihrer Berufswahl immer noch ist, kann man auch daran erkennen, dass sie heute tikhandwerk nicht das erreicht, noch – einige Zeit nach Erreichen des Rentenalters - mit Leib und Seele und aus Überzeugung als Kosmetikerin praktiziert. was wir wollten.“ In ihrer kleinen Praxis auf dem eigenen Grundstück in Mahlow an der südlichen Stadtgrenze Berlins bietet sie eine große Palet- te an klassischen Kosmetikbehandlungen und kosmetisch-me- dizinischen Anwendungen. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Anette Zimmermann Elektroepilation - eine anerkannte Methode zur dauerhaften Haarentfernung. Darin ist sie so gut und erfahren, dass sie sogar Vorsitzende des Fachverbandes Elektrologie e.V. ist, der im Jahr weisen hatte“, nennt die Kosmetikerin ihr großes Plus. 1998 als Interessenverbund für die Elektrologisten in Deutsch- Ende 1979 wurde Sohn Eric geboren. Da war es wieder ein Glücks- land gegründet wurde. fall, dass in Berlin die erste Meisterklasse der DDR im Kosmetik- Doch bis dahin war es ein weiter Weg. Schon einen Ausbildungs- handwerk zusammengestellt wurde. Und Anette Zimmermann platz als Kosmetikerin zu bekommen, war in der DDR schwierig. war sofort dabei. „Ich wollte den Meister aber nicht machen, um Doch „14 Tage vor Toresschluss“ bekam sie noch eine Zusage von in die Selbständigkeit zu gehen. Es war einfach eine tolle Aus- der Kosmetikfirma Charlotte Meentzen in Dresden, die da aller- bildungsmöglichkeit und ich wollte weiterkommen. Ich wusste, dings schon verstaatlicht war und auch über eigene Kosmetik- dass mir das nicht schaden würde“, schildert die selbstbewusste Institute verfügte. Hier lernte die junge Frau von 1969 bis 1972 Kosmetikerin ihre Beweggründe. und schloss ihre Ausbildung an der Medizinischen Fachschule der Am 18. Mai 1981 bekam sie den Meisterbrief. Sie hätte danach Medizinischen Akademie Dresden als staatlich anerkannte Kos- auch weiter in Berlin als Lehrausbilderin arbeiten können, aller- metikerin ab. dings gab es im Wohnort Mahlow nur einen Kinderkrippenplatz, Durch Glück und Zufall bekam sie dann einen Job als medizini- wenn man auch im Kreis Zossen arbeitete. Bei der nun erforder- sche Kosmetikerin an der Universitätshautklinik in Dresden. „Die lichen Jobsuche kam ihr wieder der Zufall zu Hilfe. In ihrer Meis- Jahre von 1972 bis 1976 waren eine wahnsinnig lehrreiche, inte- terklasse war auch die Bezirkskosmetikerin von Potsdam und die ressante und spannende aber auch schwierige Zeit“, resümiert empfahl ihr, sich bei der PGH in Zossen zu bewerben: „Da fallen die gestandene Kosmetikerin. Sie durfte im OP dabei sein, der andauernd die Lehrlinge durch, die brauchen so eine wie dich.“ „menschlich schwierige Chefarzt“ führte die junge Frau aber Ende 1981 startete die frischgebackene Meisterin dann als stell- auch immer wieder an ihre Grenzen. Hier lernte sie auch die Elek- vertretende PGH-Vorsitzende und als Verantwortliche für die trologie aus dem Effeff. Ausbildung. Die Liebe führte sie dann in die Nähe von Berlin – ihr späterer 1987 als Sohn Eric eingeschult wurde, trat Anette Zimmermann Mann war Pilot bei der DDR-Airline Interflug. beruflich etwas kürzer und begann dann aber ihre Laufbahn bei
Beim Richtfest für das neue Ausbildungszentrum in Götz fand Anette Zimmermann (Mitte) bei Brandenburgs Ministerin Regine Hildebrandt Gehör. Mit dabei: ihr Kollege aus der HWK Potsdam, Lothar Heider. der Handwerkskammer Potsdam als Honorarkraft in der Lehr- war ihr Tenor. Doch beim Richtfest war Brandenburgs Ministerin lings- und Meisterausbildung. Regine Hildebrandt mit dabei. Anette Zimmermann: „Die habe Mit der Übernahme der Handwerksordnung nach der Wende ich todesmutig angesprochen. Sie sagte sofort: ‚Morgen Mittag verlor der Kosmetikberuf allerdings sein Standing. Kosmetiker rufen Sie mich an. Bis dahin kläre ich alles‘. Und es war in der Tat wurde als handwerksähnliches Gewerbe in die Anlage B der so. Es war alles geklärt. Die Schule konnte starten.“ Handwerksordnung eingestuft. Damit entfiel die Meisterpflicht Leider gibt es diese Kosmetikschule in Götz heute nicht mehr. Die und die Lehrlingsausbildung kam zum Erliegen. Ausbildung des Berufsnachwuchses findet jetzt in Berlin statt. Am 22. Juni 1990 ließ sich Anette Zimmermann in die Hand- Allerdings gibt es seit 2016 unter anderem an der Handwerks- werksrolle der Kammer Potsdam eintragen und war damit selb- kammer Dresden wieder eine Ausbildung zur Kosmetikermeis- ständig. terin und hier ist Anette Zimmermann mit viel Engagement und Bald darauf sprach Wolfgang König, der Hauptgeschäftsführer Erfahrung wieder als freie Dozentin dabei. der Handwerkskammer Potsdam, die engagierte Dozentin an Ihr Fazit der Wendezeit: „Nach der Wende war es für das Kos- und beauftragte sie, die Ausbildung für die Kosmetikerinnen metikhandwerk eine doch eher schwierige Zeit. Für uns persön- im Kammerbezirk wieder aufzubauen. Gleichzeitig entsandte lich war es ein großes Glück. Wir waren jung und optimistisch die Kammer Anette Zimmermann mit Vertretern der Kammern und wir wussten, wir können die Ärmel hochkrempeln und neu Hamburg und Cottbus regelmäßig nach Bonn ins Bildungsminis- starten. Wer Interesse hatte, konnte alles machen und werden. terium, um dort in einer Arbeitsgruppe die Berufsausbildung neu Nachdenklich macht mich allerdings, dass wir nach dreißig Jah- zu regulieren. „Wir haben aber leider für das Kosmetikhandwerk ren immer noch keine wirkliche Einheit haben, nicht bei der Ren- nicht das erreicht, was wir wollten. Wir haben es nur geschafft, te, nicht bei den Gehältern und leider fehlt es auch mancherorts für die Erstauszubildenden eine ordentliche Ausbildung zu re- an Empathie füreinander.“ geln. Alle anderen können beinahe machen, was sie wollen“, ist ihr nachdenkliches Fazit. Im geplanten Handwerkskammer-Ausbildungszentrum in Götz sollte dann eine staatlich anerkannte Schule für die Kosmetike- rinnen entstehen. Die Ämter machten Anette Zimmermann al- lerdings wenig Hoffnung. „Das kriegen Sie sowieso nicht durch“, 15
Bauhandwerk, Potsdam Eine stürmische und bewegte Zeit Bernd Brusendorff, Bauingenieur, Maurermeister, langjähriger Vorsitzender der PGH Bau Potsdam und erster frei gewählter Vizepräsident der HWK Potsdam Ende Dezember 1989 gab es im Kammer- werksbetrieben mit 13 Mitarbeitern ge- der Wendezeit waren wir noch fast fünf- bezirk Potsdam 212 Produktionsgenos- gründete PGH entwickelte sich über die zig PGH-Mitglieder. Alle hatten ihre An- senschaften des Handwerks (PGH) mit fast drei Jahrzehnte ihres Bestehens in teile. Das war das Problem. Das schwie- 11.972 Mitgliedern. Deutschlandweit wa- der DDR kontinuierlich positiv weiter. rigste war sicherlich die PGH-Mitglieder ren es mehr als 2.700 Produktionsgenos- Bernd Brusendorff erinnert sich: „Wir zu überzeugen, dass sie den Schritt zur senschaften mit etwa 163.000 Beschäf- waren zu Glanzzeiten Ende der sechzi- GmbH mitgehen beziehungsweise zu- tigten. Sie machten einen großen Teil der ger Jahre über sechzig Leute und haben mindest positiv begleiten. Wir konnten Wirtschaftskraft des ostdeutschen und von Anfang an auch wichtige Aufträge ja nicht alle sofort auszahlen und haben des Potsdamer Handwerks aus. zur Restaurierung wertvoller histori- dann Fristen für die Zahlungen verein- Doch mit der Wende standen die PGH scher Gebäude in der geschichtsträch- „Das schwierigste plötzlich vor großen Herausforderun- tigen Stadt Potsdam ausgeführt. Auch gen. Sie mussten sich genauso wie die die staatlichen Schlösser und Gärten war sicherlich die ehemals volkseigenen Betriebe mit der von Sanssouci fanden in den Fachleuten West-Konkurrenz, mit Überkapazitäten, unseres Baubetriebes immer wieder zu- PGH-Mitglieder zu mit der Unerfahrenheit in der Markt- verlässige Partner für ihre denkmalpfle- wirtschaft und mit komplett geänder- gerischen Aufträge.“ überzeugen, dass sie ten Kostenstrukturen herumschlagen. So gehörten zum Beispiel die Nikolai- Mussten sich darüber hinaus aber auch kirche Potsdam, die Französische Kirche den Weg zur GmbH damit auseinandersetzen, welche Unter- und das Neue Palais mit den Communs nehmensform sie für die Zukunft wählen zu den Sanierungs-Vorzeigeobjekten positiv begleiten.“ wollten. Und das bei vielen gleichberech- der Bau PGH. Aber auch die Sanierung tigt entscheidenden Genossenschafts- vieler kleinerer Objekte und zahlreiche mitgliedern. Bauwerkstrockenlegungen mit dem „Ak- Bernd Brusendorff war in der Wende- tiven Entsalzungs- und Trocknungsver- Bernd Brusendorff zeit einer der Vorsitzenden einer solchen fahren“ (AET) waren Spezialitäten der PGH im Kammerbezirk – der PGH Bau Baugenossenschaftler. Potsdam. In der Wendezeit (Ende 1989) gehörten Im Anschluss an die 10. Klasse hatte er elf Zimmerleute, 28 Maurer, fünf techni- bart. Wir waren schließlich drei Gesell- bei der Bauunion Potsdam Maurer ge- sche Mitarbeiter und ein Maurerlehrling schafter, die ihren PGH-Anteil für die lernt. Nach Wehrdienst und Heirat star- zur Genossenschaft und die Jahresleis- GmbH-Gründung einzahlten.“ tete er 1964 bei der PGH Bau Potsdam als tung 1989 belief sich auf 3,3 Millionen Hinzu kamen die vielen seriösen und un- Maurer. Danach folgten die Ausbildung DDR-Mark. seriösen Berater und Investoren, die sich zum Handwerksmeister und ein vierjäh- Die Wende vom Herbst 1989 stellte die ab sofort bei dem PGH-Vorsitzenden die riges Fernstudium an der Ingenieurschu- PGH innerhalb kürzester Zeit vor grund- Klinke in die Hand gaben und mit ihren le Potsdam. Über die Stationen Brigadier sätzliche Entscheidungen von existen- Ratschlägen aufwarteten. Hier musste und Bereichsmeister wurde der in Pots- zieller Bedeutung. Es hieß die PGH Bau man es erst einmal schaffen, die „Bösen dam-Babelsberg geborene und aufge- Potsdam in eine neue Eigentumsform von den Guten“ zu unterscheiden. Hilf- wachsene Handwerker 1976 zum PGH- umzuwandeln, sich Neuem zu öffnen reich für den PGH-Chef waren da sicher- Vorsitzenden gewählt. und das Bewahrenswerte zu erhalten. lich auch seine Ehrenämter und die vie- Die am 23. April 1960 von drei Hand- Der PGH-Vorsitzende erinnert sich: „In len Erfahrungen, die er sammeln und die
Am 27. Juni 1991 wurde der Grundstein für das Ausbildungszentrum des Dachdecker-Handwerks in der Röhrenstraße in Potsdam-Babelsberg gelegt. Neben dem HWK-Hauptgeschäftsführer Dr. Wolfgang König (1.v.r.) war Vizepräsident Bernd Brusendorff (2.v.r.) als Vertreter des Ehrenamtes dabei. Kontakte, die er knüpfen konnte. Nach einen Wahlperiode bleiben. Obwohl die rermeister dann eine Anstellung bei der der Wahl zum PGH-Vorsitzenden wurde wirtschaftliche Lage der PGH bei der Handwerkskammer. Bis zu seiner Früh- Bernd Brusendorff auch zum Obermeis- Umwandlung gut war, ging die GmbH pensionierung war er dort unter ande- ter der Berufsgruppe Potsdam Stadt nur wenige Jahre später in Insolvenz. Da rem für den Bereich Schwarzarbeit und gewählt und arbeitete später vor der hatten die anderen beiden Gesellschaf- illegale Beschäftigung und die bauliche Wende auch im Beirat der Handwerks- ter Bernd Brusendorff allerdings schon Betreuung der Objekte der Handwerks- kammer mit. herausgedrängt und als Geschäftsführer kammer zuständig. Das prädestinierte ihn auch dazu, bei den gekündigt: „Es war eine schwierige Zeit. An die Wende erinnert sich Bernd Bru- ersten freien Kammerwahlen am 3. März Ich bin dann auch noch ernsthaft krank sendorff trotz aller auch negativen Erfah- 1990 als Vertreter der PGH zum Vizeprä- geworden. Die anderen beiden Gesell- rungen gerne. Sein Fazit: „Es war eine un- sidenten zu kandidieren. Der Maurer- schafter hatten kein Verständnis. Die wahrscheinlich stürmische und bewegte meister erinnert sich an eine „sehr offene beiden haben dann ihre Anteile an einen Zeit. Das wichtigste war sicherlich, dass und positive Veranstaltung in sehr guter Brigadier aus unserer GmbH übertragen. die Mauer weg war und man frei ent- Atmosphäre, die vom ‚Blick nach vorn‘ Eines Tages haben sie mich dann zum scheiden und reisen konnte.“ Ein wenig geprägt war“. Unter mehreren Kandi- Notar ‚geschleppt‘ und ich wurde entlas- wehmütig fügt er an: „Aus der Insolvenz daten wurde er schließlich mit 31 von 57 sen beziehungsweise abberufen. Da war der GmbH habe ich leider keinen Pfennig möglichen Stimmen mit absoluter Mehr- ich arbeitslos.“ Glücklicherweise fand gesehen, obwohl ich noch einige Ansprü- heit gewählt. Allerdings sollte es bei der der erfahrene Bauingenieur und Mau- che hatte.“ [1] [5] 17
Kfz-Gewerbe, Jüterbog Man wurde mitgerissen Heinz Graf, Kfz-Meister, langjähriger Innungsobermeister, stellvertretender Kreishandwerksmeister der Kreishandwerkerschaft Teltow-Fläming und Vorstandsmitglied der Handwerkskammer Potsdam Kfz-Meister Heinz Graf konnte direkt nach der Wende praktisch Leider blieb nach der Wende keine Zeit mehr für die schönen den Traum seines Vaters und Firmengründers Otto Graf leben Hobbys der Grafs. Für das zeitraubende Engagement in den Eh- und umsetzen: „Mein Vater war ein alter Mercedesmann und renämtern und die Umgestaltung des eigenen Betriebes reich- hatte auch zu DDR-Zeiten die Verbindung zu dem Hersteller mit te ein 24-Stunden-Tag kaum aus. So mussten der Wassersport dem Stern nie ganz abreißen lassen.“ 1990 wurde die Firma Ver- (jahrelang segelte das Ehepaar erfolgreich bei Regatten mit) tragswerkstatt von Mercedes-Benz und entwickelte sich dann und der Turniertanz (im Jüterboger Turniertanzkreis „Schwarz- zu einem Komplett-Autohaus. Davon konnte Otto Graf bei der Gold“ tanzten sich die Grafs bis in die Sonderklasse der Senio- Gründung 1946 nur träumen. Da gehörten Reparaturarbeiten ren) zurückstehen. Auch die Kinder und Jugendlichen, die der aller Art von der Verlängerung der Pritsche alter Wehrmachts- sportliche Kfz-Meister bis zur Wende im Standardtanz trainiert autos bis zur Fahrrad- und Mopedreparatur zum täglichen Brot. hatte, mussten nun auf ihren Ausbilder verzichten. Dafür enga- Und man war auch Vertragswerkstatt für die sowjetische Ar- gierte sich der leidenschaftliche Handwerker im Ehrenamt für mee, die ganz in der Nähe im „Alten Lager“ einen großen Stand- seinen Beruf und für die Kollegen. ort unterhielt. Rückblickend resümiert der Unternehmer: „Es war eine Zeit, in Da war es auch logisch, dass der 1931 geborene Heinz nach der der man komplett ausgefüllt war mit den Ehrenämtern und der Schulzeit beim Vater die Ausbildung machte und als einer der Umwandlung des eigenen Betriebes. Da war für Hobbys leider jüngsten Handwerksmeister der DDR 1954 die Meisterprüfung keine Zeit mehr.“ mit hervorragendem Prüfungsergebnis bestand. Denn die vertragliche Bindung an den großen Hersteller aus Der Autoprofi erinnert sich: „Es war gut, dass mein Vater damals Baden-Württemberg hatte auch zur Folge, dass der komplette darauf gedrungen hat, dass ich die Meisterprüfung ablegte. Nur Betrieb umgebaut und modernisiert werden musste. Für die wenige Jahre später starb er ganz plötzlich im Alter von nur 59 Mercedes-Transporter war die Hallenhöhe zu gering. Aufsto- Jahren und ich musste im Jahr 1956 von heute auf morgen die cken ging nicht, deshalb wurde die Werkstatt kurzerhand tiefer Firma übernehmen.“ Hilfreich für den erfolgreichen Weg des gelegt. Heinz Graf erinnert sich: „Wir hatten ja nach der Wende Kfz-Reparaturbetriebes mit knapp zehn Mitarbeitern war si- noch die Russen hier. Die haben sich gerne was dazuverdient cherlich, dass man im Jahr 1961 Vertragswerkstatt für „Barkas“, und haben hier geholfen.“ Der komplette Umbau ging bei lau- einem DDR-Kleintransporter, wurde. Doch auch weiterhin repa- fendem Betrieb vor sich. rierte die Firma Otto Graf „alles was kam“. Auch die Betriebsform der Fima änderte sich. Die Grafs gründe- Kein Wunder, dass der junge engagierte und findige Handwerks- ten eine GmbH mit den Gesellschaftern Heinz Graf, Ingeburg meister bald auch sein erstes Ehrenamt angetragen bekam. Graf und Sohn Michael Graf. Der Junior übernahm dann später 1964 übernahm er als Obermeister die Berufsgruppe der Kfz- nach dem Ausscheiden des Seniors im Jahr 2000 als alleiniger Handwerker und der damals noch dazugehörenden Mechaniker Gesellschafter die Geschäfte. Beste fachliche Voraussetzungen (Feinwerk-, Fahrrad-, Schreibmaschinenmechaniker). Fast vier- hatte er durch das Abitur sowie die Lehre im väterlichen Betrieb zig Jahre lang sollte er diesen Posten mit viel Engagement und und das anschließende Studium in Zwickau zum Kfz-Dipl.-Ing. Freude ausfüllen. und in Halle zum Schweißingenieur. Der Firmenname änderte Gleich nach der Wende wurde er auch als Obermeister der neu sich in Auto Graf GmbH. gegründeten Innung gewählt. Dazu kamen bald auch die Ehren- Die nächste große Herausforderung ließ nicht lange auf sich ämter als stellvertretender Kreishandwerksmeister und im Vor- warten. In Jüterbog platzte die Firma aus allen Nähten und so stand der Handwerkskammer Potsdam. folgte 1993 bis 1994 der Aufbau eines neuen Autohauses in
„Es war eine schöne, auf- regende und anstrengende Zeit.“ Heinz Graf Der Obermeister der Berufsgrup- pe im Sommer 1989 kurz vor der Wende bei einer seiner Reden im Ehrenamt. Luckenwalde. „Dort wurde nach Mercedesvorgaben für unser Sein Fazit der Wende: „Es war eine schöne, aufregende und an- Geld gebaut. Das Risiko war für uns schon ziemlich hoch. Ich strengende Zeit und es herrschte eine wunderbare Aufbruch- hatte in meinem Leben nie Schulden gehabt - nun war ich bis stimmung. Die hat uns einfach mitgenommen. Vieles wurde ja über beide Ohren verschuldet. Aber es sollte ja auch weiter ge- von heute auf morgen in Frage gestellt und alles war neu. Die hen und wir wollten unseren Betrieb für die Zukunft mit unse- Neuorientierung von der Plan- zur Marktwirtschaft war schon rem Sohn aufstellen“, erläutert der Kfz-Meister die Beweggrün- eine besondere Herausforderung. Die Entwicklung ging so de. Doch letztlich ging alles gut und spätestes 1996 hatten sich schnell, dass man manchmal nicht mehr mitkam. die Grafs auch wirtschaftlich erfolgreich an dem neuen Stand- Aber alle waren sehr engagiert dabei. Besonders beeindruckt ort etabliert. und animiert hat mich das Engagement unseres Haupt- und An den 9. November 1989 erinnert sich Heinz Graf gerne: „Wir Ehrenamtes in der Handwerksammer und in der Kreishandwer- waren in Kallinchen in der Nähe von Berlin im Urlaub und ha- kerschaft. Man wurde praktisch mitgerissen und konnte und ben dort vom Fall der Mauer im Radio gehört. Am nächsten Tag wollte sich dem nicht entziehen. Wir hatten aus den alten Bun- sind wir gleich von dort mit dem Auto nach Westberlin und den desländern gerade im Handwerk immer faire Partner, die uns Mehringdamm runtergefahren. Meine Schwiegermutter lebte viel geholfen haben. dort und wir sind uns in die Arme gefallen.“ Unser großes Glück war, dass wir überhaupt die Chance zur 19
Friseurhandwerk, Brandenburg Eine ostdeutsche Erfolgsstory Eberhard Nitze, Friseurmeister, langjähriger Vorsitzender der PGH „Neue Linie“, Vorstandsmitglied der HWK Potsdam, Vorsitzender der Meisterprüfungskommission Im Kammerbezirk Potsdam gab es in der Als der Gründer dann 1963 plötzlich starb, versammlung 180 anwesend. Immerhin Wendezeit im Friseurhandwerk etwa wurde ihm der Vorsitz angetragen und er 172 fassten den Beschluss die „Neue Linie 600 selbstständige Friseurmeister und 17 wurde 1964 in einem „richtig ernsthaften Friseur & Kosmetik GmbH“ zu gründen. Produktionsgenossenschaften des Hand- demokratischen Akt (mit Wahlkabine)“ Für Eberhard Nitze war klar: „Wenn ich werks (PGH). Heute sind von den PGH von den Mitgliedern gewählt. das nicht sauber durchziehe, habe ich noch zwei übrig – als GmbH. An der „ost- Die PGH entwickelte sich weiter posi- ewig Probleme. Und mein Ruf in der Stadt deutschen Erfolgsstory“ einer dieser bei- tiv und wurde mehr und mehr zu einem ist schnell ruiniert.“ Besonders wertvoll den „Überlebenden“ hat Eberhard Nitze wichtigen wirtschaftlichen Faktor im war in dieser Zeit sein Buchhalter: „Der entscheidend mitgeschrieben. Handwerk und in der Region. Auch dank war ein warmer Segen für mich. Ich hatte Ende der achtziger Jahre war die PGH des agilen PGH-Vorsitzenden war die „Ich war immer dar- „Neue Linie“ eines der größten Unterneh- „Neue Linie“ immer mit dabei, wenn es men im Land Brandenburg mit über 300 darum ging neue Frisurentrends zu set- an interessiert, einen PGH-Mitgliedern und 27 Filialen. 1958 von zen, Spitzenleistungen in der Ausbildung Friseurmeister Erwin Philipp mit acht Fili- zu erbringen oder aber auch neue Techni- Konsens zu finden. alen und siebzig Mitarbeitern gegründet, ken einzuführen. So entwickelte Eberhard wuchs das Unternehmen bis 1989 konti- Nitze mit seinen Leuten zum Beispiel Das habe ich als PGH- nuierlich und hatte bis dahin schon etwa 1987 das erste „Rückwaschbecken“ der fünfzig Friseurmeister ausgebildet und so DDR. Das überforderte die volkseigenen Vorsitzender gelernt.“ „nahezu das halbe Friseurhandwerk des Friseurstuhlhersteller allerdings kom- ganzen Bundeslandes mit qualifizierten plett und so wurden die Kunden der er- Meistern versorgt“, erinnert sich Eber- finderischen Friseure kurzerhand in den hard Nitze, der ab 1965 als Vorsitzender Liegesitzen eines PKW Wartburg an die Eberhard Nitze das Geschehen in der PGH maßgeblich Nackenmulde zum Haarewaschen gelegt. mitbestimmte. Für die Brandenburger „Neue Linie“ und den Elan und er hat das Geld zusammen- Der Friseurmeister kommt aus einer ihren Chef war nach der Wende die ent- gehalten. Er hat sich hingesetzt und eine Handwerkerfamilie. Vater war SPD-Mann scheidende Frage, wie der erfolgreiche ‚Lebensverdienstliste‘ aller Genossen- und Finanzbeamter, die Mutter hatte ein Weg in der Marktwirtschaft fortgesetzt schaftsmitglieder aufgestellt. Danach kleines Friseurgeschäft. Nach der Lehre werden könne. Die Modrow-Regierung wurde ein Prozentschlüssel festgelegt arbeitete er von 1955 bis 1959 als Friseur, hatte am 19. März, einen Tag nach der und alle wurden aus dem ‚unteilbaren das letzte Jahr dann im Geschäft der Volkskammerwahl, die Umwandlungs- Fonds‘ ausbezahlt. Das war eine ganz fai- Mutter. Da machte er auch die Meister- verordnung für die Produktionsgenossen- re Variante.“ prüfung und lernte beim Schaufrisieren schaften in Kraft gesetzt. Damit wurde So flossen 1,9 Millionen D-Mark über den Gründer der PGH Erwin Philipp ken- das alte PGH-Musterstatut obsolet, das drei Jahre verteilt in die Kassen der Ge- nen. Eberhard Nitze erinnert sich: „Ich bin Genossenschaftsgesetz von 1898 trat nossenschaftler. Viele, wie die 25 Filial- dann 1959 der Genossenschaft beigetre- wieder in Kraft, und die PGH musste sich leiter, brachten ihr Geld in die GmbH ein. ten. Meine Mutter war erst 48 und konn- nun entscheiden, ob sie zu einer GmbH Schließlich blieben fünf Gesellschafter te sich verständlicherweise nicht vorstel- oder einer „eingetragenen Genossen- und Eberhard Nitze wurde mit 51 Prozent len, in dem Alter aufzuhören und mir den schaft“ (eG) werden wollte. Da war auch Mehrheitsgesellschafter. „Die Banken Betrieb zu übergeben.“ 1961 leitete der viel Pragmatismus gefragt. wollten, dass einer den Hut aufhat“, be- junge ambitionierte und aufstrebende Den zeigten die PGH „Neue Linie“ und ihr schreibt der alte neue Chef die Notwen- Handwerksmeister schon zwei größere Vorsitzender. Von den etwa 250 Mitglie- digkeit. Die Anteile übernahm er mit teu- Friseurgeschäfte in der PGH. dern waren bei der entscheidenden Voll- ren Krediten von einigen Kollegen.
Das Großunternehmen schrieb schnell schwarze Zahlen und Eberhard Nitze führte die GmbH engagiert und struk- turiert durch viele Höhen und Tiefen bis er den Staffelstab 2005 komplett an Bri- ta Meißner, die „Schwiegerenkelin“ des Gründers Erwin Philipp, übergab. Als überzeugter Ehrenamtler (jahrzehn- telange Mitgliedschaft im Vorstand der Handwerkskammer, im Fachbeirat und als Vorsitzender der Meisterprüfungs- kommission) weiß der rührige Friseur- meister unbedingt zu würdigen, was diese Ehrenämter ihm neben der Arbeit noch gebracht haben: „Mein persönlicher erfolgreicher Weg war nur möglich, weil ich von Anfang an bereit war, im Ehren- amt mitzuarbeiten.“ Ob im Vorstand des Tennisvereins, heute als Seniorenbeauf- tragter des Golfclubs, im Karnevalsverein, beim Rotary Club, im Kulturverein und vieles andere mehr - alles was er anpack- te, machte er ernsthaft und mit Erfolg. Und immer brachte es ihm Anerkennung, neue Erfahrungen und Kontakte. Das heute so wichtige und moderne „Netz- werken“ hat er schon immer praktiziert. Klar, dass ein so umtriebiger Handwerker und Ehrenamtler nicht unumstritten ist. Obwohl er immer auch „Innungsmann“ und nach der Wende sogar zwei Jahre Landesinnungsmeister der Friseure war, gründete er 1994 mit 75 Gründungsmit- gliedern den gesamtdeutschen „Ver- band deutscher Friseurunternehmen“ (VdF), dem er einige Jahre als Präsident vorstand. In der Vereinigung größerer Fi- lialunternehmen aus ganz Deutschland sah er die Interessen der „Größeren“ der Branche besser vertreten als in der In- nung. Trotzdem ist er sich und dem Hand- werk immer treu geblieben. Ein starker Rückhalt und verlässlicher Partner auch bei den sportlichen Betä- tigungen (Tennis und Golf) war ihm im- mer seine Frau und „Seelenverwandte“, die Kosmetikmeisterin Christel Nitze. Die ehemalige Dozentin und Mitglied der Prüfungskommission hat ihm immer den Rücken frei gehalten und ihn unterstützt. Sein Fazit: „Alles was ich angepackt habe, hat gut funktioniert. Ich habe aber auch Eberhard Nitze (rechts) mit dem Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Potsdam eine Menge Glück gehabt. Die schönste Wolfgang König (links) und dem Ehrenpräsidenten der Kammer Klaus Windeck bei einem der Erfahrung war, dass wir mit unserer Qua- Gartenfeste der HWK in Caputh. litätsarbeit und den guten Mitarbeitern nach der Wende unsere treue Kundschaft halten konnten. Ich bin ein Gewinner der Wende, aber ich weiß, dass es nicht allen so gegangen ist.“ 21
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