MACHER Das Westbrandenburger Handwerk in der Wendezeit - persönliche Rückblicke

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MACHER Das Westbrandenburger Handwerk in der Wendezeit - persönliche Rückblicke
1990
MACHER
    Das Westbrandenburger Handwerk
in der Wendezeit – persönliche Rückblicke
MACHER Das Westbrandenburger Handwerk in der Wendezeit - persönliche Rückblicke
Macher
MACHER Das Westbrandenburger Handwerk in der Wendezeit - persönliche Rückblicke
1990.
        Macher.
Das Westbrandenburger Handwerk in der
  Wendezeit – persönliche Rückblicke

                 Bernd Blumrich
               Bernd Brusendorff
              Erich-Detlef Claasen
              Dorothea Enderlein
                   Heinz Graf
               Lothar Hildebrandt
                   Heike Liere
                  Ute Maciejok
                 Eberhard Nitze
            Hanns-Eberhard Schleyer
                   Olaf Thiede
                 Klaus Windeck
                 Heinz Ziesecke
             Anette Zimmermann
            Wolf-Rudolf Zimmermann

            Autor: Jörg Dombrowski

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MACHER Das Westbrandenburger Handwerk in der Wendezeit - persönliche Rückblicke
Handwerk
MACHER Das Westbrandenburger Handwerk in der Wendezeit - persönliche Rückblicke
Inhaltsverzeichnis

7 		Vorwort
   Für die Macher
   Robert Wüst, Präsident der Handwerkskammer Potsdam

8		Immer auf Augenhöhe
		Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), Berlin; Handwerkskammer Potsdam
		Hanns-Eberhard Schleyer, ehemaliger Generalsekretär des ZDH
		Klaus Windeck, ehemaliger Präsident der HWK Potsdam

10 		Es war rappelvoll
		  H andwerkskammer Potsdam
		  Dorothea Enderlein, Heike Liere, Ute Maciejok, HWK Potsdam,
		Erich-Detlef Claasen, KH Teltow-Fläming

12 		Ärmel hochgekrempelt und angepackt
		Ehrenpräsident der Handwerkskammer Potsdam, Brandenburg Klaus Windeck, Schlossermeister

14		Es war mein Traumberuf
		Kosmetikhandwerk, Mahlow Anette Zimmermann, Kosmetikermeisterin

16		Eine stürmische und bewegte Zeit
		Bauhandwerk, Potsdam Bernd Brusendorff, Maurermeister

18		Man wurde mitgerissen
		  K fz-Gewerbe, Jüterbog Heinz Graf, Kfz-Meister

20		Eine ostdeutsche Erfolgsstory
		Friseurhandwerk, Brandenburg Eberhard Nitze, Friseurmeister

22		Wir konnten gestalten
		Tischlerhandwerk, Oberkrämer Olaf Thiede, Tischlermeister

24		Wir haben viel bewegt
		Dachdeckerhandwerk, Pritzwalk Lothar Hildebrandt, Dachdeckermeister

26		Alles lief ab diesem Datum anders
		Brunnenbauerhandwerk, Neuruppin Wolf-Rudolf Zimmermann, Brunnenbauermeister

28		Es war eine verdammt verrückte Zeit
		Metallbauerhandwerk, Falkensee Heinz Ziesecke, Schlossermeister

30		Bilder, die etwas zu sagen haben
		Fotografenhandwerk, Kleinmachnow Bernd Blumrich, Fotografenmeister

32		Ansichten und Einblicke

34		30 Jahre Deutsche Einheit: eine Erfolgsgeschichte für das Handwerk

36		Daten und Ereignisse

40 Literatur- und Quellenverzeichnis, Bildnachweis, Abkürzungserklärung

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MACHER Das Westbrandenburger Handwerk in der Wendezeit - persönliche Rückblicke
Handwerkskammer Potsdam, Vorwort
MACHER Das Westbrandenburger Handwerk in der Wendezeit - persönliche Rückblicke
Für die Macher
Es sind mindestens drei denkwürdige Daten,        Ich selbst erlebe die Wendezeit in Erzählun-
die in der Wendezeit vor dreißig Jahren die       gen, wenn beispielsweise mein Großvater
Entwicklung des deutschen und vor allem           oder Vater berichten. Dabei verstehe ich, dass
auch des westbrandenburgischen Hand-              die Ereignisse, Erlebnisse und Empfindungen
werks geprägt haben.                              dieser Zeit nicht in Vergessenheit geraten
                                                  dürfen. Diese Broschüre möchte dazu einen
Da war natürlich der Mauerfall am 9. Novem-       Beitrag leisten und den vielen Ehrenamts-
ber 1989. Über Nacht war plötzlich alles an-      trägern im Handwerk – den Machern der da-
ders und fast alles schien möglich. Ein beiläu-   maligen Zeit – ein kleines Denkmal setzen.
figer Satz von Günter Schabowski auf einer        Sie haben neben dem Kampf für das Überle-
Pressekonferenz öffnete die „Schleusen“.          ben des eigenen Betriebes wertvolle Zeit für
                                                  unseren Berufsstand geopfert. Ihnen ist es
Der zweite Termin war der 3. März 1990. An        zu danken, dass das brandenburgische Hand-
diesem Samstag fanden sich im Märkischen          werk seit der Wende einen so erfolgreichen
Gildehaus in Caputh 57 Delegierte (32 aus         Weg nehmen konnte. Ihre Leistung verdient
dem privaten und 25 aus dem genossen-             Respekt, Dank und Anerkennung.
schaftlichen Handwerk) aus den Kreishand-
werkerschaften beim Bezirkshandwerkertag          Auf den folgenden Seiten kommen einige
Potsdam zusammen. Sie wählten erstmals            dieser Macher aus verschiedenen Berufen
frei und demokratisch aus ihren Reihen die        und Regionen zu Wort. Sie schildern ihre Er-
führenden Repräsentanten des Handwerks.           fahrungen, Stimmungen, ihre Courage, Be-
Grundlage der demokratischen Selbstverwal-        geisterung, das beglückende Miteinander,
tung war die erst im Februar verabschiedete       Stolz, Verwirrung, Zögern, Skepsis, Euphorie
„Verordnung über die Organisation des Hand-       und manchmal auch Ernüchterung.
werks in der DDR“, an deren Erarbeitung das
Potsdamer Handwerk maßgeblich beteiligt           Freuen Sie sich mit mir über ihre spannenden
war.                                              Erinnerungen.

Und der dritte Termin war der 21. Juni 1990.
An diesem Tag vollzog das deutsche Hand-
werk gut drei Monate vor der politischen
Wiedervereinigung      seinen     Zusammen-
schluss. An dieser von vielen auch als das
„Wunder von Zwickau“ bezeichneten Ver-
einigungsveranstaltung nahmen mehr als
4.000 Handwerker aus Ost und West teil. In
einem für 2.000 Besucher gedachten Festsaal       Viel Spaß beim Lesen wünscht
machte sich eine wunderbare Mischung aus
Aufbruchsstimmung, Neugier, Zusammen-             Robert Wüst,
gehörigkeitsgefühl und Gemeinsamkeit breit.       Präsident der Handwerkskammer Potsdam
Stürmischer Beifall begleitete den Potsdamer
Kammerpräsidenten Klaus Windeck, als er als
gewählter Sprecher der ostdeutschen Hand-
werkskammern seine denkwürdigen Worte
„Ein Handwerk – ein Stimme!“ sprach.

                                                     7
MACHER Das Westbrandenburger Handwerk in der Wendezeit - persönliche Rückblicke
Zentralverband des Deutschen Handwerks, Berlin
                                                  Handwerkskammer Potsdam

Immer auf Augenhöhe
Hanns-Eberhard Schleyer, vom 1. Januar 1990 bis 31. Dezember 2009 Generalsekretär des ZDH
Klaus Windeck, 1. frei gewählter Präsident der HWK Potsdam und Präsidiumsmitglied des ZDH

Der eine hatte einen großen Anteil daran, dass am 21. Juni 1990    gen. Aber die Ankunft der ostdeutschen Handwerker im neuen
in Zwickau bei der Wiedervereinigung des deutschen Hand-           System erforderte mehr Zeit und Anstrengungen, als von vielen
werks zum Abschluss die dritte Strophe des „Liedes der Deut-       erwartet und gehofft.
schen“ von Fallersleben erklang. Der andere hatte nur 14 Tage      Wie schwierig dieser Prozess manchmal war, macht Hanns-
vorher in Bad Godesberg auf einer Vollversammlung des ZDH          Eberhard Schleyer mit einer kleinen Begebenheit deutlich: „Es
den offiziellen Antrag zur Mitgliedschaft der ostdeutschen Kam-    war bald nach der Wende zu einem offiziellen Anlass in der HWK
mern gestellt. Und das mit dem denkwürdigen Schlagwort die-        Potsdam, bei dem auch Ministerpräsident Manfred Stolpe an-
ser Rede: „Ein Handwerk – eine Stimme“.                            wesend war und ein Grußwort hielt. Als er fertig war, stellte
Für Hanns-Eberhard Schleyer, der erst knapp sechs Monate vor-      mich der Vizepräsident der Kammer wie folgt vor: ‚Meine Da-
her seine Arbeit als Generalsekretär des ZDH angetreten hatte,     men und Herren. Es spricht jetzt zu ihnen der Generalsekretär
ist es heute noch eine der „beeindruckendsten Szenen seines        des Zentralkomitees des Handwerks‘. So gibt es viele Erinnerun-
Lebens“. Und Klaus Windeck, der ein gutes viertel Jahr vorher 1.   gen aus der ersten Zeit, die typisch sind für diesen Übergang.
frei gewählter Präsident der HWK Potsdam wurde und von den         Man hat eben immer wieder festgestellt, es waren zwei Welten,
ostdeutschen Handwerkskammern zum Sprecher bestimmt                die sozusagen über Nacht miteinander verschmolzen wurden.“
worden war, erinnert sich an den langanhaltenden Beifall, der      Schleyer weiter: „Ich habe immer wieder angemahnt, dass wir
„seine Rede bei der Großkundgebung in der Godesberger Stadt-       sehr sensibel mit den Menschen umgehen müssen. Bei aller
halle“ begleitete.                                                 Notwendigkeit, gemeinsames Recht, Verwaltungsstruktur und
Beide haben gemeinsam große Verdienste um die Wiederver-           Wirtschaftsordnung zu schaffen, musste man sich immer wie-
einigung des deutschen Handwerks, die viele Wochen vor der         der daran erinnern, wie das eigentlich für den Handwerker ist,
Wiedervereinigung ganz Deutschlands erfolgte. Der umsichti-        der in einem ganz anderen System aufgewachsen ist, der stolz
ge, wortgewandte, bestens vernetzte und aufgeschlossene Ge-        ist, sich etwas aufgebaut zu haben und der nun eine Eröffnungs-
neralsekretär und der konsequente, engagierte und streitbare       bilanz vorlegt und der Steuerberater ihm sagt, dass er jetzt ei-
Handwerker bildeten nach der Wende ein gutes Gespann – für         gentlich schon pleite sei.“
das Wohl des gesamtdeutschen Handwerks. „Wir haben ge-             Aber das Handwerk hatte die Kraft, den Mut und die Zuversicht
meinsam an den Dingen gearbeitet, Programme entwickelt und         – besser als viele andere Wirtschaftszweige – die Lösung der
Probleme gelöst. Und wir hatten immer ein gemeinsames Ziel         Probleme anzugehen. Dabei war auch entscheidend, dass es der
vor Augen und sind das ernsthaft und kollegial auf Augenhöhe
angegangen“, erinnert sich der ehemalige Generalsekretär. Und

                                                                   „Wir hatten immer ein gemein-
der Brandenburger Schlossermeister nannte es damals in seiner
Rede „eine Selbstverständlichkeit, wenn ein Land, ein Volk, ein

                                                                   sames Ziel vor Augen und sind
Stand wie der des Handwerks eine gewaltvolle Teilung schnell,
konstruktiv und tatbezogen überwinden will und das als Nor-

                                                                   das ernsthaft und kollegial auf
malität empfindet.“
Dabei war der Wiedervereinigungsprozess dieses wichtigen

                                                                   Augenhöhe angegangen.“
Wirtschaftszweiges mit damals 700.000 Betrieben und weit
über fünf Millionen Beschäftigten beileibe kein Selbstläufer.
Der formelle Akt war mit der offiziellen Aufnahme der Kam-
mern und Verbände bei der ZDH-Vollversammlung in Bad Go-           Hanns-Eberhard Schleyer
desberg und mit der Wiedervereinigungsfeier in Zwickau vollzo-
MACHER Das Westbrandenburger Handwerk in der Wendezeit - persönliche Rückblicke
„Ich habe
                                                                                                                                die Wende
                                                                                                                                als Chance
                                                                                                                                begriffen.
                                                                                                                                Ich konnte
                                                                                                                                etwas auf-
                                                                                                                                bauen und
                                                                                                                                mich ent-
                                                                                                                                falten.“
                                                                                                                                Klaus Windeck

Bei der Pressekonferenz am 21. Juni 1990 in Zwickau (v.l.n.r.): Bruno Schliefke, Präsident Zentralverband SHK; Hanns-Eber-
hard Schleyer, Generalsekretär ZDH; Heribert Späth, Präsident ZDH; Klaus Windeck, Präsident HWK Potsdam; Walter
Hartwig, Präsident HWK Chemnitz; Ingeborg Schöne, Hauptgeschäftsführerin HWK Chemnitz.

Organisation schon sehr früh gelungen war, die notwendigen
politischen Rahmenbedingungen einzufordern. Der Generalse-
kretar anerkennend: „Klaus Windeck war da immer ein Vorbild.
Er war eigentlich von Anfang an für mich jemand, der erkannt
hat, was zu tun ist, wie man sich neu aufstellen muss, welche
Chancen, welche Risiken es gibt.“ Und das Handwerk hatte
seine eigene Identität, seine Hilfsbereitschaft und sein Ver-
antwortungsbewusstsein: „Es hat mich auch ein bisschen stolz
gemacht, dass viele Handwerker sich uneigennützig unterstützt
haben. Nicht nur auf der Kammer- und Verbandsebene sondern
auch von Kollege zu Kollege. Das war der große Unterschied zur
Industrie, die sich nur neue Märkte gesucht hat. Das hat auch
dazu beigetragen, dass die Wiedervereinigung hier mit am bes-
ten und schnellsten vollzogen wurde.“
Schmunzelnd erinnert sich der ehemalige Kammerpräsident
allerdings an seinen Start nach der Wahl ins ZDH-Präsidium:
„Schon die erste Sitzung war ein besonderes Erlebnis. Der dama-
lige ZDH-Präsident Heribert Späth und Hanns-Eberhard Schley-
er waren gerade dabei, die Satzung zu ändern. Sie wollten eine
Altersbegrenzung (63) für die Wahl der Präsidenten der HWK                  Ein streitbares Gespann für die Interessen des Handwerks: Klaus Wind-
einführen. Mit meinen 49 Jahren war ich der absolut jüngste in              eck und Hanns-Eberhard Schleyer – hier bei der Verabschiedung des
der Runde und war natürlich dafür. Die beiden sagten vor dem                HWK-Präsidenten im Jahr 2007.
gesamten Gremium: ,Er ist einer der Befürworter der Satzungs-               schen Handwerkern und mit dem Hauptamt gefunden.“ Für den
änderung.‘ Ich ahnte ja nicht, dass ich damit in ein Wespennest             ZDH war die HWK in Potsdam nach der Wende immer ein wich-
gestochen hatte. Das war mein Start im Präsidium, gleichzeitig              tiger Rückzugs- und Aufenthaltsort. Hanns-Eberhard Schleyer:
war es aber auch meine Eintrittskarte. Ich hatte durch diese Po-            „Wir haben viel Unterstützung von der Kammer Potsdam erfah-
sition einen hervorragenden Kontakt zum Präsidenten und zum                 ren. Es gab ja beim ZDH viele Arbeitskreise, bei denen die Er-
Generalsekretär und wurde sehr gut angenommen.“                             fahrungen der ostdeutschen Kammern gefragt waren. Auch da
Das gemeinsame Fazit der beiden „Handwerkswiedervereini-                    hat uns Potsdam nie im Stich gelassen.“ Klaus Windeck: „Und
gungsgestalter“: „Wir mussten für viele Probleme konsensfä-                 die Potsdamer haben diese Gastgeber- und Beraterrolle gerne
hige und rechtlich tragbare Lösungen finden. Und sie wurden                 angenommen und mit viel Engagement ausgefüllt.“ [1] [7] [8] [10] [11] [12]
in streitbaren Runden gemeinsam mit den ost- und westdeut-

                                                                               9
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Handwerkskammer Potsdam

                                                                                                          Bei der Eröffnung der
                                                                                                          Bildungsstätte der
                                                                                                          Kreishandwerker-
                                                                                                          schaft Teltow-Flä-
                                                                                                          ming im Jahr 1993:
                                                                                                          Geschäftsführer
                                                                                                          der KH Erich-Detlef
                                                                                                          Claasen, Ministerprä-
                                                                                                          sident Manfred Stolpe,
                                                                                                          Kreishandwerksmeis-
                                                                                                          ter Gerhard Peschel,
                                                                                                          HWK-Präsident Klaus
                                                                                                          Windeck und HWK-
                                                                                                          Hauptgeschäftsfüh-
                                                                                                          rer Wolfgang König
                                                                                                          (v.l.n.r.).

Es war rappelvoll
Dorothea Enderlein, langjährige Geschäftsführerin der HWK Potsdam
Heike Liere, langjährige stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der HWK Potsdam
Ute Maciejok, langjährige Pressesprecherin der HWK Potsdam
Erich-Detlef Claasen, langjähriger Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Teltow-Fläming

Die Mitarbeiter der Handwerkskammer       dung organisieren. Wie aufregend, ab-        Tätigkeit an ein Tagebuch, das heute ein
Potsdam hatten einen großen Anteil        wechslungsreich und ungewöhnlich die         wertvoller Zeitzeuge ist. Dort hatte sie
daran, dass sich das Handwerk nach        Wende für die Kammermitarbeiter war,         zum Beispiel als eine der ersten Eintra-
der Wende in vielen Bereichen so posi-    schildert die ehemalige Pressespreche-       gungen notiert, dass die Kammer damals
tiv und stürmisch entwickeln konnte. In   rin Ute Maciejok: „Die Ereignisse haben      zusammen mit den Kreisgeschäftsstellen
dieser bewegten und bewegenden Zeit       sich dann bis weit in das Jahr 1990 hinein   109 Mitarbeiter hatte: „Das erschien mir
mussten sie sich um die Neustrukturie-    überschlagen. Man hatte den Eindruck,

                                                                                       „Man musste pragma-
rung der Handwerksorganisation küm-       dass eine Veranstaltung die andere in
mern, mussten selber Erfahrungen und      immer kürzeren Abständen jagte. Stän-

                                                                                       tische Lösungen fin-
Erkenntnisse sammeln, mussten in kür-     dig musste ein Statut, ein Dokument,
zester Zeit lernen und umdenken, muss-    eine Vorlage für irgendetwas entwickelt

                                                                                       den, die auch einfach
ten aber gleichzeitig auch die Handwer-   werden. Oft war die Ausarbeitung dann
ker für den Weg in die Marktwirtschaft    drei Tage später schon wieder überholt.“

                                                                                       umsetzbar waren.“
rüsten, mussten die Innungen und Kreis-   Heike Liere, die am 18. Juni 1990 – also
handwerkerschaften bei ihrer Neugrün-     kurz nach der Wende - als Abteilungslei-
dung und Neuausrichtung unterstützen      terin Finanzen und Verwaltung bei der
und mussten die Aus- und Weiterbil-       HWK anfing, führte vom ersten Tag ihrer      Heike Liere
sehr viel. Weil die HWK Berlin-West nur       unsichert, was passieren würde. Für die
85 Mitarbeiter hatte. Da wusste ich aber      Kammern gab es ja eine Pflichtmitglied-
noch nicht, dass bei uns auch die Mitar-      schaft, aber die Kreishandwerkerschaf-
beiter der zahlreichen Ferienobjekte dazu     ten wurden durch die Innungen getragen.

                                                                                          „Wir mussten sogar
gehörten. Die Verwaltung in der Kammer        Da gab es schnell einen rasanten Wettbe-
an sich war ja sehr sparsam aufgestellt.“     werb um die größten Innungen.“

                                                                                          ein ehemaliges Stasi-
Es war eine ihrer ersten und wichtigsten      Aus den 15 Kreisgeschäftsstellen wurde
Aufgaben, sich einen Überblick über die       dann später nach vielen Umstrukturie-

                                                                                          objekt in Alt-Briese-
finanzielle Situation der Kammer zu ver-      rungen und Zusammenschlüssen eine
schaffen und auch die externen Objekte        deutlich kleinere Zahl von Kreishandwer-

„Das war die Zeit, wo                                                                     lang anmieten, um
                                              kerschaften, die einen wertvollen Beitrag
                                              für die Unterstützung der Innungen vor

alles noch ziemlich                                                                       den großen Schulungs-
                                              Ort leisteten und leisten.
                                              In der Wendezeit war neben der Grün-

durcheinander ging.“                                                                      bedarf zu decken.“
                                              dung der Innungskrankenkassen, die
                                              Schulung und Weiterbildung der Hand-
                                              werker eine der wichtigsten Aufgaben
Dorothea Enderlein                            der Kammer und der neuen Kreishand-         Ute Maciejok
                                              werkerschaften. Zu den Veranstaltungen
                                              zur D-Mark-Eröffnungsbilanz, zur Um-
(zum Beispiel in Ahlbeck, Caputh, Dobbri-     wandlung der PGH in eine GmbH, zum
kow, Grieben (Hiddensee), Nassau, Alt-        Gesellschaftsrecht, zu Marketing, Kalku-
ruppin, Katzhütte) bewerten zu lassen.        lation und Steuerrecht waren meist meh-
Dabei gab es wertvolle und uneigennüt-        rere hundert Teilnehmer dabei.
zige Hilfe von den Partnerkammern und         Dorothea Enderlein, die am 1. April 1988
Verbänden aus dem Westen, die oft auch        in der HWK als Justitiarin gestartet war,
die Innungen und Kreisgeschäftsstellen        musste sich unter anderem um die Um-
intensiv unterstützten. Alle Objekte - bis    setzung der neuen Handwerksordnung
auf Caputh – wurden dann auf Beschluss        kümmern. Hier war viel Aufklärungs-
der Vollversammlung mehr oder weni-

                                              „Es war rappelvoll
ger schnell verkauft und die Mitarbeiter
„untergebracht“.

                                              und da wurde disku-
Spannend war auch die Festsetzung der
Kammerbeiträge, die ja im ersten Halb-

                                              tiert ohne Ende.“
jahr 1990 in DDR-Mark (nach der alten
Umlageordnung) und dann im zwei-
ten Halbjahr in D-Mark gezahlt werden
mussten. Es war schwierig eine Beitrags-      Erich-Detlef Claasen
ordnung in D-Mark zu finden. Es gab ja                                                    Die drei engagierten Frauen der Handwerks-
keine Daten von der Finanzverwaltung.         arbeit notwendig. Doch auch die Füh-        kammer Potsdam halten sich im Hintergrund
Die von den westdeutschen Kollegen                                                        (letzte Reihe v.l.n.r.): Ute Maciejok, Heike
                                              rung der Handwerksrolle galt es von den
                                                                                          Liere, Dorothea Enderlein. Hier beim 1. Hand-
entwickelten Rechenmodelle waren viel         Kreisgeschäftsstellen zu übernehmen:        werkskammertag des Landes Brandenburg in
zu kompliziert. Es wurde dann einfach         „Wir haben Kästen mit Karteikarten be-      Caputh im Jahr 2005.
die Zahl der Beschäftigten in einer Selbst-   kommen. Damit waren wir erst einmal
auskunft abgefragt. Obwohl das von den        sehr gut beschäftigt. Und am Anfang gab
Partnern sehr skeptisch gesehen wurde,        es nur einen einzigen PC in der Kammer.“    zeitschrift West-Berlins und Branden-
hat es letztlich gut funktioniert und die-    Doch das änderte sich bald mit einer neu-   burgs in einer Auflage von 40.000.“
se Beitragsordnung hatte viele Jahre bis      en Telefonanlage, neuem Mobiliar und        Das Fazit der ehemaligen Kammermit-
Ende 1997 Bestand. „Man musste prag-          neuen Computern aus der Förderung des       arbeiter lautet: „Wir hatten in der Wen-
matische Lösungen finden, die auch ein-       Bundes.                                     dezeit unwahrscheinlich viele spannen-
fach umsetzbar waren“, fasst Heike Liere      „Ein wertvoller Informationsträger auf      de Aufgaben zu erledigen, hatten dabei
kurz zusammen.                                dem Weg in die Marktwirtschaft war die      aber auch viel Gestaltungsspielraum. Wir
Kompliziert war auch die Situation in den     Kammerzeitschrift“, weiß Ute Maciejok.      haben uns informiert und zugehört und
Kreisgeschäftsstellen, die meist mit drei     „Bis zur Wende gab es das ‚Potsdamer        haben dann unsere eigenen Vorstellun-
Mitarbeitern besetzt waren. Erich-Detlef      Handwerk‘ in einer Auflage von 2.500        gen umgesetzt und sind unseren eigenen
Claasen, der am 1. Dezember 1984 bei der      Exemplaren. Und noch vor der Wäh-           Weg gegangen. Das war auch das Ver-
Handwerkskammer Potsdam in Jüterbog           rungsunion erschien zum 1. Juni 1990 die    dienst unseres Hauptgeschäftsführers
angefangen hatte, erinnert sich: „Wir wa-     erste Ausgabe des ‚Berlin-Brandenburger     und des Vorstandes, die uns diesen Spiel-
ren in den Kreisgeschäftsstellen sehr ver-    Handwerks‘ als gemeinsame Kammer-           raum gegeben haben.“ [2] [7] [8] [14] [15]

                                                                       11
Ehrenpräsident der Handwerkskammer Potsdam, Brandenburg

Die Handwerker des Bezirkshandwerkertages applaudierten Wolfgang König (nicht im Bild) zur einstimmigen Wahl zum Hauptgeschäftsführer.

Ärmel hochgekrempelt
und angepackt
Klaus Windeck, Ingenieur, Schlossermeister, langjähriger Vorsitzender der Berufsgruppe der Schlosser
und Schmiede Brandenburg, langjähriger Vorsitzender der ELG Gemetha Brandenburg, 1. frei gewählter
Präsident der HWK Potsdam (heute Ehrenpräsident), Präsidiumsmitglied des ZDH

Fast 5.800 private Handwerksbetriebe, 212 Produktionsgenos-            zirkes Potsdam für den 10. November 1989 zu einer Festveran-
senschaften des Handwerks (PGH) mit fast 12.000 Mitgliedern            staltung „anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung der DDR“
und 86 Einkaufs- und Liefergenossenschaften (ELG) gehörten in          in den Ratskeller Brandenburg eingeladen. Die eigentlich als
der Wendezeit zum Bestand der Handwerkskammer Potsdam.                 Auszeichnungs- und Festveranstaltung gedachte Feier geriet
Am 9. November 1989 fiel die Mauer und es war schnell klar,            nur einen Tag nach dem Mauerfall auch zur öffentlichen Diskus-
dass sich auch im Handwerk der DDR fast alles ändern würde.            sion über notwendige Veränderungen. Klaus Windeck gehörte
Klaus Windeck, selbstständiger Schlossermeister erinnert sich:         zu den Ausgezeichneten und ergriff in ihrem Namen das Wort:
„Die Wendezeit war eine Zeit des Umbruchs. Vieles war neu,             „Wir müssen etwas verändern, wir wollen freier gestalten kön-
fast alles war anders. Wir konnten uns endlich selbst bestim-          nen!“
men und übten uns in Demokratie. Das ostdeutsche Handwerk,             Diverse Versammlungen, kurzfristig erarbeitete Grundsatz-Do-
das sich zu DDR-Zeiten immer durch eine große Einigkeit aus-           kumente und erregte Diskussionen bestimmten im Potsdamer
gezeichnet hatte, nahm sein Schicksal selbst in die Hand. Es           Handwerk wie überall die Zeit nach dem Mauerfall. Dazu gehör-
herrschte Auf- und Umbruchsstimmung.“                                  ten auch intensive Gespräche über eine neue Handwerksord-
Wie der Zufall es wollte, hatte die Handwerkskammer des Be-            nung für die DDR, die unter maßgeblicher Mitarbeit der Kam-
„Wir hatten damals
                                                                                          keine Zeit viel nachzu-
                                                                                          denken. Wir haben die
                                                                                          Ärmel hochgekrempelt
                                                                                          und angepackt.“
                                                                                          Klaus Windeck

mern Potsdam und Erfurt mit den DDR-Oberen geführt wurden.              fort nach der Wahl. Wolfgang König machte ihm den Vorschlag
Die unter anderem daraus entstandene „Verordnung über die               aus den Baracken in Caputh ein vernünftiges Hotel zu machen
Organisation des Handwerks in der DDR“ bildete die Grundla-             und der Schlossermeister war sofort dabei. Caputh blieb aber
ge für die demokratische Selbstverwaltung des Handwerks und             die einzige Liegenschaft, die die Kammer in ihrer Regie weiter-
die 1. freien Kammerwahlen, zu denen die Handwerkskammer                führte, alle anderen Objekte wie die Ferienhäuser in Ahlbeck,
Potsdam für den 3. März 1990 in das Märkische Gildehaus nach            Katzhütte, Nassau; Dobbrikow und Hiddensee wurden vermark-
Caputh eingeladen hatte.                                                tet und abgestoßen.
Die anwesenden 57 Delegierten (32 aus dem privaten und 25               Zu dem Ehrenamt als Präsident kamen bald viele weitere Funk-
aus dem genossenschaftlichen Handwerk) waren vorher in den              tionen und Ämter hinzu – sowohl regional als auch in Gremien
Kreisen ganz demokratisch gewählt worden.                               des ZDH und der Wirtschaft. Und letztlich musste ja auch der
Klaus Windeck erinnert sich, wie es zu seiner Kandidatur kam:           Betrieb erfolgreich in die Marktwirtschaft geführt werden.
„Wir fuhren am 3. März 1990 im Kleinbus mit acht Mann (vier             Die Aufgabenliste der ersten Monate nach der Wahl war be-
Vertreter des privaten Handwerks und vier Delegierte der PGH)           zeichnend für die Vielfältigkeit und Intensität der Aufgaben des
zur Wahlversammlung nach Caputh. Wir haben dann bei der                 neuen Kammerpräsidenten: Entscheidung über den Umbau Ca-
Fahrt über vieles gesprochen. Erst im Scherz und dann ganz              puth; Bestandsaufnahme Geld, Gebäude Sachwerte; Übergabe
ernsthaft entstand der Vorschlag: Wir stellen auch einen Kan-           der bisherigen Kreisgeschäftsstellen der Handwerkskammer in
didaten für das Präsidentenamt. Die vier PGH-Vorsitzenden               die Hände der sich neu bildenden Kreishandwerkerschaften;
waren dafür, dass es jemand aus dem privaten Handwerk sein              Entscheidung über den Feriendienst; Basisrechtsetzungen der
sollte und so fiel die Wahl eher durch Zufall auf mich.“                Meister- und Prüfungsanordnungen; Verwendung der genos-
Beim Wahlakt herrschte dann im besten Sinne des Wortes                  senschaftlichen Fonds der ELG; Aufbau der Bürgschaftsbank in
Basisdemokratie: Die Namen der Kandidaten wurden an die                 Potsdam; Wiedervereinigung des deutschen Handwerks im Juni
Wandtafel geschrieben, Stimmzettel verteilt, geheim gewählt             1990 in Zwickau; Aufbau des Versorgungswerkes mit der Inter
und dann öffentlich ausgezählt. Für jede Ja-Stimme gab es einen         Versicherung und der IKK; Fortführung des Objektes „Histori-
Kreidestrich. Von den drei Kandidaten für das Präsidentenamt            sche Mühle Potsdam“; Berufung ins Präsidium des ZDH; Mit-
setzte sich Klaus Windeck schon im ersten Wahlgang mit der              arbeit in der Strategiekommission Ost unter Bundeskanzler Hel-
absoluten Mehrheit von 38 Stimmen durch. Ein überraschendes             mut Kohl und Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann;
Ergebnis.                                                               Übernahme der Handwerksordnung West und damit Neuwah-
„So richtig habe ich damals alles eigentlich erst realisiert, als ich   len des Vorstandes mit Vertretern der Gesellenseite.
gefragt wurde, nimmst du die Wahl an? Da gab’s kein zurück              Das Fazit des verdienten Ehrenamtsträgers: „Es war ein Full-
mehr“, ist der Schlossermeister heute noch erstaunt.                    timejob. Doch es war auch eine schöne Zeit, eine Zeit des Um-
Auch für die Wahl der beiden Vizepräsidenten gab es mehrere             bruchs und des Neuanfangs mit einer engagierten Mannschaft,
Vorschläge. Die meisten Stimmen erhielten der Potsdamer PGH-            mit einem Team, das bereit war, Veränderungen mitzugestalten
Vorsitzende Bernd Brusendorff (31 Stimmen) und der Falkense-            und Verantwortung zu übernehmen. Wir hatten damals keine
er Tischlermeister Emil-Dietmar Tischler (27 Stimmen). Zwölf            Zeit viel nachzudenken. Wir haben die Ärmel hochgekrempelt
Handwerksmeister, darunter eine Frau, bildeten den ersten Vor-          und angepackt. Es waren die Macher gefragt. Doch ohne meine
stand, dem damals noch keine Arbeitnehmer angehörten. An-               Familie – meine Frau und meinen Sohn – die mir im Betrieb den
schließend wurde Diplom-Jurist Wolfgang König einstimmig als            Rücken freigehalten haben, hätte ich das alles nie bewältigen
Hauptgeschäftsführer der Bezirkshandwerkskammer gewählt.                können.“ [1] [4] [11] [12] [14] [15]
Die Arbeit als Kammerpräsident begann für Klaus Windeck so-

                                                                          13
Kosmetikhandwerk, Mahlow

Es war mein Traumberuf
Anette Zimmermann, Kosmetikermeisterin, langjährige Dozentin und Ausbilderin im
Kosmetikhandwerk, langjähriges Mitglied im Meisterprüfungsausschuss (bis 2016),
Trägerin der Goldenen Ehrennadel des Handwerks

Anette Zimmermann weiß eins ganz gewiss: „Ich wäre über die         Die Arbeitssuche gestaltete sich allerdings wieder schwierig.
vielen negativen beruflichen Erfahrungen in meinem Leben nicht      Ein Jobangebot am Regierungskrankenhaus in Berlin scheiterte
hinweggekommen, wenn Kosmetikerin nicht mein Traumberuf             an ihrem „politischen Selbstverständnis“. Aber Anette Zimmer-
gewesen wäre.“ Mit der Berufswahl hat sie ihre „Eltern zur Weiß-    manns Mann fand für die erfahrene Kosmetikerin einen Job als
glut gebracht. Ich habe gesagt, ich werde Kosmetikerin oder ich     Lehrausbilderin in Berlin. „Die haben mich aber nur genommen,
stürze mich aus dem Fenster. Sie waren nicht glücklich damit,       weil ich die Ausbildung in der medizinischen Akademie vorzu-
aber sie haben sich gefügt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“

                                                                    „Wir haben leider für das Kosme-
Wie glücklich die Kosmetikermeisterin mit ihrer Berufswahl
immer noch ist, kann man auch daran erkennen, dass sie heute

                                                                    tikhandwerk nicht das erreicht,
noch – einige Zeit nach Erreichen des Rentenalters - mit Leib und
Seele und aus Überzeugung als Kosmetikerin praktiziert.

                                                                    was wir wollten.“
In ihrer kleinen Praxis auf dem eigenen Grundstück in Mahlow
an der südlichen Stadtgrenze Berlins bietet sie eine große Palet-
te an klassischen Kosmetikbehandlungen und kosmetisch-me-
dizinischen Anwendungen. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die       Anette Zimmermann
Elektroepilation - eine anerkannte Methode zur dauerhaften
Haarentfernung. Darin ist sie so gut und erfahren, dass sie sogar
Vorsitzende des Fachverbandes Elektrologie e.V. ist, der im Jahr    weisen hatte“, nennt die Kosmetikerin ihr großes Plus.
1998 als Interessenverbund für die Elektrologisten in Deutsch-      Ende 1979 wurde Sohn Eric geboren. Da war es wieder ein Glücks-
land gegründet wurde.                                               fall, dass in Berlin die erste Meisterklasse der DDR im Kosmetik-
Doch bis dahin war es ein weiter Weg. Schon einen Ausbildungs-      handwerk zusammengestellt wurde. Und Anette Zimmermann
platz als Kosmetikerin zu bekommen, war in der DDR schwierig.       war sofort dabei. „Ich wollte den Meister aber nicht machen, um
Doch „14 Tage vor Toresschluss“ bekam sie noch eine Zusage von      in die Selbständigkeit zu gehen. Es war einfach eine tolle Aus-
der Kosmetikfirma Charlotte Meentzen in Dresden, die da aller-      bildungsmöglichkeit und ich wollte weiterkommen. Ich wusste,
dings schon verstaatlicht war und auch über eigene Kosmetik-        dass mir das nicht schaden würde“, schildert die selbstbewusste
Institute verfügte. Hier lernte die junge Frau von 1969 bis 1972    Kosmetikerin ihre Beweggründe.
und schloss ihre Ausbildung an der Medizinischen Fachschule der     Am 18. Mai 1981 bekam sie den Meisterbrief. Sie hätte danach
Medizinischen Akademie Dresden als staatlich anerkannte Kos-        auch weiter in Berlin als Lehrausbilderin arbeiten können, aller-
metikerin ab.                                                       dings gab es im Wohnort Mahlow nur einen Kinderkrippenplatz,
Durch Glück und Zufall bekam sie dann einen Job als medizini-       wenn man auch im Kreis Zossen arbeitete. Bei der nun erforder-
sche Kosmetikerin an der Universitätshautklinik in Dresden. „Die    lichen Jobsuche kam ihr wieder der Zufall zu Hilfe. In ihrer Meis-
Jahre von 1972 bis 1976 waren eine wahnsinnig lehrreiche, inte-     terklasse war auch die Bezirkskosmetikerin von Potsdam und die
ressante und spannende aber auch schwierige Zeit“, resümiert        empfahl ihr, sich bei der PGH in Zossen zu bewerben: „Da fallen
die gestandene Kosmetikerin. Sie durfte im OP dabei sein, der       andauernd die Lehrlinge durch, die brauchen so eine wie dich.“
„menschlich schwierige Chefarzt“ führte die junge Frau aber         Ende 1981 startete die frischgebackene Meisterin dann als stell-
auch immer wieder an ihre Grenzen. Hier lernte sie auch die Elek-   vertretende PGH-Vorsitzende und als Verantwortliche für die
trologie aus dem Effeff.                                            Ausbildung.
Die Liebe führte sie dann in die Nähe von Berlin – ihr späterer     1987 als Sohn Eric eingeschult wurde, trat Anette Zimmermann
Mann war Pilot bei der DDR-Airline Interflug.                       beruflich etwas kürzer und begann dann aber ihre Laufbahn bei
Beim Richtfest für das neue Ausbildungszentrum in Götz fand Anette Zimmermann (Mitte) bei Brandenburgs Ministerin Regine Hildebrandt Gehör.
Mit dabei: ihr Kollege aus der HWK Potsdam, Lothar Heider.

der Handwerkskammer Potsdam als Honorarkraft in der Lehr-              war ihr Tenor. Doch beim Richtfest war Brandenburgs Ministerin
lings- und Meisterausbildung.                                          Regine Hildebrandt mit dabei. Anette Zimmermann: „Die habe
Mit der Übernahme der Handwerksordnung nach der Wende                  ich todesmutig angesprochen. Sie sagte sofort: ‚Morgen Mittag
verlor der Kosmetikberuf allerdings sein Standing. Kosmetiker          rufen Sie mich an. Bis dahin kläre ich alles‘. Und es war in der Tat
wurde als handwerksähnliches Gewerbe in die Anlage B der               so. Es war alles geklärt. Die Schule konnte starten.“
Handwerksordnung eingestuft. Damit entfiel die Meisterpflicht          Leider gibt es diese Kosmetikschule in Götz heute nicht mehr. Die
und die Lehrlingsausbildung kam zum Erliegen.                          Ausbildung des Berufsnachwuchses findet jetzt in Berlin statt.
Am 22. Juni 1990 ließ sich Anette Zimmermann in die Hand-              Allerdings gibt es seit 2016 unter anderem an der Handwerks-
werksrolle der Kammer Potsdam eintragen und war damit selb-            kammer Dresden wieder eine Ausbildung zur Kosmetikermeis-
ständig.                                                               terin und hier ist Anette Zimmermann mit viel Engagement und
Bald darauf sprach Wolfgang König, der Hauptgeschäftsführer            Erfahrung wieder als freie Dozentin dabei.
der Handwerkskammer Potsdam, die engagierte Dozentin an                Ihr Fazit der Wendezeit: „Nach der Wende war es für das Kos-
und beauftragte sie, die Ausbildung für die Kosmetikerinnen            metikhandwerk eine doch eher schwierige Zeit. Für uns persön-
im Kammerbezirk wieder aufzubauen. Gleichzeitig entsandte              lich war es ein großes Glück. Wir waren jung und optimistisch
die Kammer Anette Zimmermann mit Vertretern der Kammern                und wir wussten, wir können die Ärmel hochkrempeln und neu
Hamburg und Cottbus regelmäßig nach Bonn ins Bildungsminis-            starten. Wer Interesse hatte, konnte alles machen und werden.
terium, um dort in einer Arbeitsgruppe die Berufsausbildung neu        Nachdenklich macht mich allerdings, dass wir nach dreißig Jah-
zu regulieren. „Wir haben aber leider für das Kosmetikhandwerk         ren immer noch keine wirkliche Einheit haben, nicht bei der Ren-
nicht das erreicht, was wir wollten. Wir haben es nur geschafft,       te, nicht bei den Gehältern und leider fehlt es auch mancherorts
für die Erstauszubildenden eine ordentliche Ausbildung zu re-          an Empathie füreinander.“
geln. Alle anderen können beinahe machen, was sie wollen“, ist
ihr nachdenkliches Fazit.
Im geplanten Handwerkskammer-Ausbildungszentrum in Götz
sollte dann eine staatlich anerkannte Schule für die Kosmetike-
rinnen entstehen. Die Ämter machten Anette Zimmermann al-
lerdings wenig Hoffnung. „Das kriegen Sie sowieso nicht durch“,

                                                                          15
Bauhandwerk, Potsdam

Eine stürmische und bewegte Zeit
Bernd Brusendorff, Bauingenieur, Maurermeister, langjähriger Vorsitzender der PGH Bau Potsdam und
erster frei gewählter Vizepräsident der HWK Potsdam

Ende Dezember 1989 gab es im Kammer-        werksbetrieben mit 13 Mitarbeitern ge-     der Wendezeit waren wir noch fast fünf-
bezirk Potsdam 212 Produktionsgenos-        gründete PGH entwickelte sich über die     zig PGH-Mitglieder. Alle hatten ihre An-
senschaften des Handwerks (PGH) mit         fast drei Jahrzehnte ihres Bestehens in    teile. Das war das Problem. Das schwie-
11.972 Mitgliedern. Deutschlandweit wa-     der DDR kontinuierlich positiv weiter.     rigste war sicherlich die PGH-Mitglieder
ren es mehr als 2.700 Produktionsgenos-     Bernd Brusendorff erinnert sich: „Wir      zu überzeugen, dass sie den Schritt zur
senschaften mit etwa 163.000 Beschäf-       waren zu Glanzzeiten Ende der sechzi-      GmbH mitgehen beziehungsweise zu-
tigten. Sie machten einen großen Teil der   ger Jahre über sechzig Leute und haben     mindest positiv begleiten. Wir konnten
Wirtschaftskraft des ostdeutschen und       von Anfang an auch wichtige Aufträge       ja nicht alle sofort auszahlen und haben
des Potsdamer Handwerks aus.                zur Restaurierung wertvoller histori-      dann Fristen für die Zahlungen verein-
Doch mit der Wende standen die PGH          scher Gebäude in der geschichtsträch-

                                                                                       „Das schwierigste
plötzlich vor großen Herausforderun-        tigen Stadt Potsdam ausgeführt. Auch
gen. Sie mussten sich genauso wie die       die staatlichen Schlösser und Gärten

                                                                                       war sicherlich die
ehemals volkseigenen Betriebe mit der       von Sanssouci fanden in den Fachleuten
West-Konkurrenz, mit Überkapazitäten,       unseres Baubetriebes immer wieder zu-

                                                                                       PGH-Mitglieder zu
mit der Unerfahrenheit in der Markt-        verlässige Partner für ihre denkmalpfle-
wirtschaft und mit komplett geänder-        gerischen Aufträge.“

                                                                                       überzeugen, dass sie
ten Kostenstrukturen herumschlagen.         So gehörten zum Beispiel die Nikolai-
Mussten sich darüber hinaus aber auch       kirche Potsdam, die Französische Kirche

                                                                                       den Weg zur GmbH
damit auseinandersetzen, welche Unter-      und das Neue Palais mit den Communs
nehmensform sie für die Zukunft wählen      zu den Sanierungs-Vorzeigeobjekten

                                                                                       positiv begleiten.“
wollten. Und das bei vielen gleichberech-   der Bau PGH. Aber auch die Sanierung
tigt entscheidenden Genossenschafts-        vieler kleinerer Objekte und zahlreiche
mitgliedern.                                Bauwerkstrockenlegungen mit dem „Ak-
Bernd Brusendorff war in der Wende-         tiven Entsalzungs- und Trocknungsver-      Bernd Brusendorff
zeit einer der Vorsitzenden einer solchen   fahren“ (AET) waren Spezialitäten der
PGH im Kammerbezirk – der PGH Bau           Baugenossenschaftler.
Potsdam.                                    In der Wendezeit (Ende 1989) gehörten
Im Anschluss an die 10. Klasse hatte er     elf Zimmerleute, 28 Maurer, fünf techni-   bart. Wir waren schließlich drei Gesell-
bei der Bauunion Potsdam Maurer ge-         sche Mitarbeiter und ein Maurerlehrling    schafter, die ihren PGH-Anteil für die
lernt. Nach Wehrdienst und Heirat star-     zur Genossenschaft und die Jahresleis-     GmbH-Gründung einzahlten.“
tete er 1964 bei der PGH Bau Potsdam als    tung 1989 belief sich auf 3,3 Millionen    Hinzu kamen die vielen seriösen und un-
Maurer. Danach folgten die Ausbildung       DDR-Mark.                                  seriösen Berater und Investoren, die sich
zum Handwerksmeister und ein vierjäh-       Die Wende vom Herbst 1989 stellte die      ab sofort bei dem PGH-Vorsitzenden die
riges Fernstudium an der Ingenieurschu-     PGH innerhalb kürzester Zeit vor grund-    Klinke in die Hand gaben und mit ihren
le Potsdam. Über die Stationen Brigadier    sätzliche Entscheidungen von existen-      Ratschlägen aufwarteten. Hier musste
und Bereichsmeister wurde der in Pots-      zieller Bedeutung. Es hieß die PGH Bau     man es erst einmal schaffen, die „Bösen
dam-Babelsberg geborene und aufge-          Potsdam in eine neue Eigentumsform         von den Guten“ zu unterscheiden. Hilf-
wachsene Handwerker 1976 zum PGH-           umzuwandeln, sich Neuem zu öffnen          reich für den PGH-Chef waren da sicher-
Vorsitzenden gewählt.                       und das Bewahrenswerte zu erhalten.        lich auch seine Ehrenämter und die vie-
Die am 23. April 1960 von drei Hand-        Der PGH-Vorsitzende erinnert sich: „In     len Erfahrungen, die er sammeln und die
Am 27. Juni 1991 wurde der Grundstein für das Ausbildungszentrum des Dachdecker-Handwerks in der Röhrenstraße in Potsdam-Babelsberg gelegt.
Neben dem HWK-Hauptgeschäftsführer Dr. Wolfgang König (1.v.r.) war Vizepräsident Bernd Brusendorff (2.v.r.) als Vertreter des Ehrenamtes dabei.

Kontakte, die er knüpfen konnte. Nach            einen Wahlperiode bleiben. Obwohl die            rermeister dann eine Anstellung bei der
der Wahl zum PGH-Vorsitzenden wurde              wirtschaftliche Lage der PGH bei der             Handwerkskammer. Bis zu seiner Früh-
Bernd Brusendorff auch zum Obermeis-             Umwandlung gut war, ging die GmbH                pensionierung war er dort unter ande-
ter der Berufsgruppe Potsdam Stadt               nur wenige Jahre später in Insolvenz. Da         rem für den Bereich Schwarzarbeit und
gewählt und arbeitete später vor der             hatten die anderen beiden Gesellschaf-           illegale Beschäftigung und die bauliche
Wende auch im Beirat der Handwerks-              ter Bernd Brusendorff allerdings schon           Betreuung der Objekte der Handwerks-
kammer mit.                                      herausgedrängt und als Geschäftsführer           kammer zuständig.
Das prädestinierte ihn auch dazu, bei den        gekündigt: „Es war eine schwierige Zeit.         An die Wende erinnert sich Bernd Bru-
ersten freien Kammerwahlen am 3. März            Ich bin dann auch noch ernsthaft krank           sendorff trotz aller auch negativen Erfah-
1990 als Vertreter der PGH zum Vizeprä-          geworden. Die anderen beiden Gesell-             rungen gerne. Sein Fazit: „Es war eine un-
sidenten zu kandidieren. Der Maurer-             schafter hatten kein Verständnis. Die            wahrscheinlich stürmische und bewegte
meister erinnert sich an eine „sehr offene       beiden haben dann ihre Anteile an einen          Zeit. Das wichtigste war sicherlich, dass
und positive Veranstaltung in sehr guter         Brigadier aus unserer GmbH übertragen.           die Mauer weg war und man frei ent-
Atmosphäre, die vom ‚Blick nach vorn‘            Eines Tages haben sie mich dann zum              scheiden und reisen konnte.“ Ein wenig
geprägt war“. Unter mehreren Kandi-              Notar ‚geschleppt‘ und ich wurde entlas-         wehmütig fügt er an: „Aus der Insolvenz
daten wurde er schließlich mit 31 von 57         sen beziehungsweise abberufen. Da war            der GmbH habe ich leider keinen Pfennig
möglichen Stimmen mit absoluter Mehr-            ich arbeitslos.“ Glücklicherweise fand           gesehen, obwohl ich noch einige Ansprü-
heit gewählt. Allerdings sollte es bei der       der erfahrene Bauingenieur und Mau-              che hatte.“ [1] [5]

                                                                            17
Kfz-Gewerbe, Jüterbog

Man wurde mitgerissen
Heinz Graf, Kfz-Meister, langjähriger Innungsobermeister, stellvertretender Kreishandwerksmeister der
Kreishandwerkerschaft Teltow-Fläming und Vorstandsmitglied der Handwerkskammer Potsdam

Kfz-Meister Heinz Graf konnte direkt nach der Wende praktisch      Leider blieb nach der Wende keine Zeit mehr für die schönen
den Traum seines Vaters und Firmengründers Otto Graf leben         Hobbys der Grafs. Für das zeitraubende Engagement in den Eh-
und umsetzen: „Mein Vater war ein alter Mercedesmann und           renämtern und die Umgestaltung des eigenen Betriebes reich-
hatte auch zu DDR-Zeiten die Verbindung zu dem Hersteller mit      te ein 24-Stunden-Tag kaum aus. So mussten der Wassersport
dem Stern nie ganz abreißen lassen.“ 1990 wurde die Firma Ver-     (jahrelang segelte das Ehepaar erfolgreich bei Regatten mit)
tragswerkstatt von Mercedes-Benz und entwickelte sich dann         und der Turniertanz (im Jüterboger Turniertanzkreis „Schwarz-
zu einem Komplett-Autohaus. Davon konnte Otto Graf bei der         Gold“ tanzten sich die Grafs bis in die Sonderklasse der Senio-
Gründung 1946 nur träumen. Da gehörten Reparaturarbeiten           ren) zurückstehen. Auch die Kinder und Jugendlichen, die der
aller Art von der Verlängerung der Pritsche alter Wehrmachts-      sportliche Kfz-Meister bis zur Wende im Standardtanz trainiert
autos bis zur Fahrrad- und Mopedreparatur zum täglichen Brot.      hatte, mussten nun auf ihren Ausbilder verzichten. Dafür enga-
Und man war auch Vertragswerkstatt für die sowjetische Ar-         gierte sich der leidenschaftliche Handwerker im Ehrenamt für
mee, die ganz in der Nähe im „Alten Lager“ einen großen Stand-     seinen Beruf und für die Kollegen.
ort unterhielt.                                                    Rückblickend resümiert der Unternehmer: „Es war eine Zeit, in
Da war es auch logisch, dass der 1931 geborene Heinz nach der      der man komplett ausgefüllt war mit den Ehrenämtern und der
Schulzeit beim Vater die Ausbildung machte und als einer der       Umwandlung des eigenen Betriebes. Da war für Hobbys leider
jüngsten Handwerksmeister der DDR 1954 die Meisterprüfung          keine Zeit mehr.“
mit hervorragendem Prüfungsergebnis bestand.                       Denn die vertragliche Bindung an den großen Hersteller aus
Der Autoprofi erinnert sich: „Es war gut, dass mein Vater damals   Baden-Württemberg hatte auch zur Folge, dass der komplette
darauf gedrungen hat, dass ich die Meisterprüfung ablegte. Nur     Betrieb umgebaut und modernisiert werden musste. Für die
wenige Jahre später starb er ganz plötzlich im Alter von nur 59    Mercedes-Transporter war die Hallenhöhe zu gering. Aufsto-
Jahren und ich musste im Jahr 1956 von heute auf morgen die        cken ging nicht, deshalb wurde die Werkstatt kurzerhand tiefer
Firma übernehmen.“ Hilfreich für den erfolgreichen Weg des         gelegt. Heinz Graf erinnert sich: „Wir hatten ja nach der Wende
Kfz-Reparaturbetriebes mit knapp zehn Mitarbeitern war si-         noch die Russen hier. Die haben sich gerne was dazuverdient
cherlich, dass man im Jahr 1961 Vertragswerkstatt für „Barkas“,    und haben hier geholfen.“ Der komplette Umbau ging bei lau-
einem DDR-Kleintransporter, wurde. Doch auch weiterhin repa-       fendem Betrieb vor sich.
rierte die Firma Otto Graf „alles was kam“.                        Auch die Betriebsform der Fima änderte sich. Die Grafs gründe-
Kein Wunder, dass der junge engagierte und findige Handwerks-      ten eine GmbH mit den Gesellschaftern Heinz Graf, Ingeburg
meister bald auch sein erstes Ehrenamt angetragen bekam.           Graf und Sohn Michael Graf. Der Junior übernahm dann später
1964 übernahm er als Obermeister die Berufsgruppe der Kfz-         nach dem Ausscheiden des Seniors im Jahr 2000 als alleiniger
Handwerker und der damals noch dazugehörenden Mechaniker           Gesellschafter die Geschäfte. Beste fachliche Voraussetzungen
(Feinwerk-, Fahrrad-, Schreibmaschinenmechaniker). Fast vier-      hatte er durch das Abitur sowie die Lehre im väterlichen Betrieb
zig Jahre lang sollte er diesen Posten mit viel Engagement und     und das anschließende Studium in Zwickau zum Kfz-Dipl.-Ing.
Freude ausfüllen.                                                  und in Halle zum Schweißingenieur. Der Firmenname änderte
Gleich nach der Wende wurde er auch als Obermeister der neu        sich in Auto Graf GmbH.
gegründeten Innung gewählt. Dazu kamen bald auch die Ehren-        Die nächste große Herausforderung ließ nicht lange auf sich
ämter als stellvertretender Kreishandwerksmeister und im Vor-      warten. In Jüterbog platzte die Firma aus allen Nähten und so
stand der Handwerkskammer Potsdam.                                 folgte 1993 bis 1994 der Aufbau eines neuen Autohauses in
„Es war eine
                                                                                                    schöne, auf-
                                                                                                    regende und
                                                                                                    anstrengende
                                                                                                    Zeit.“
                                                                                                    Heinz Graf

                                                                                                 Der Obermeister der Berufsgrup-
                                                                                                 pe im Sommer 1989 kurz vor der
                                                                                                 Wende bei einer seiner Reden im
                                                                                                 Ehrenamt.

Luckenwalde. „Dort wurde nach Mercedesvorgaben für unser           Sein Fazit der Wende: „Es war eine schöne, aufregende und an-
Geld gebaut. Das Risiko war für uns schon ziemlich hoch. Ich       strengende Zeit und es herrschte eine wunderbare Aufbruch-
hatte in meinem Leben nie Schulden gehabt - nun war ich bis        stimmung. Die hat uns einfach mitgenommen. Vieles wurde ja
über beide Ohren verschuldet. Aber es sollte ja auch weiter ge-    von heute auf morgen in Frage gestellt und alles war neu. Die
hen und wir wollten unseren Betrieb für die Zukunft mit unse-      Neuorientierung von der Plan- zur Marktwirtschaft war schon
rem Sohn aufstellen“, erläutert der Kfz-Meister die Beweggrün-     eine besondere Herausforderung. Die Entwicklung ging so
de. Doch letztlich ging alles gut und spätestes 1996 hatten sich   schnell, dass man manchmal nicht mehr mitkam.
die Grafs auch wirtschaftlich erfolgreich an dem neuen Stand-      Aber alle waren sehr engagiert dabei. Besonders beeindruckt
ort etabliert.                                                     und animiert hat mich das Engagement unseres Haupt- und
An den 9. November 1989 erinnert sich Heinz Graf gerne: „Wir       Ehrenamtes in der Handwerksammer und in der Kreishandwer-
waren in Kallinchen in der Nähe von Berlin im Urlaub und ha-       kerschaft. Man wurde praktisch mitgerissen und konnte und
ben dort vom Fall der Mauer im Radio gehört. Am nächsten Tag       wollte sich dem nicht entziehen. Wir hatten aus den alten Bun-
sind wir gleich von dort mit dem Auto nach Westberlin und den      desländern gerade im Handwerk immer faire Partner, die uns
Mehringdamm runtergefahren. Meine Schwiegermutter lebte            viel geholfen haben.
dort und wir sind uns in die Arme gefallen.“                       Unser großes Glück war, dass wir überhaupt die Chance zur

                                                                     19
Friseurhandwerk, Brandenburg

Eine ostdeutsche Erfolgsstory
Eberhard Nitze, Friseurmeister, langjähriger Vorsitzender der PGH „Neue Linie“, Vorstandsmitglied der
HWK Potsdam, Vorsitzender der Meisterprüfungskommission

Im Kammerbezirk Potsdam gab es in der         Als der Gründer dann 1963 plötzlich starb,   versammlung 180 anwesend. Immerhin
Wendezeit im Friseurhandwerk etwa             wurde ihm der Vorsitz angetragen und er      172 fassten den Beschluss die „Neue Linie
600 selbstständige Friseurmeister und 17      wurde 1964 in einem „richtig ernsthaften     Friseur & Kosmetik GmbH“ zu gründen.
Produktionsgenossenschaften des Hand-         demokratischen Akt (mit Wahlkabine)“         Für Eberhard Nitze war klar: „Wenn ich
werks (PGH). Heute sind von den PGH           von den Mitgliedern gewählt.                 das nicht sauber durchziehe, habe ich
noch zwei übrig – als GmbH. An der „ost-      Die PGH entwickelte sich weiter posi-        ewig Probleme. Und mein Ruf in der Stadt
deutschen Erfolgsstory“ einer dieser bei-     tiv und wurde mehr und mehr zu einem         ist schnell ruiniert.“ Besonders wertvoll
den „Überlebenden“ hat Eberhard Nitze         wichtigen wirtschaftlichen Faktor im         war in dieser Zeit sein Buchhalter: „Der
entscheidend mitgeschrieben.                  Handwerk und in der Region. Auch dank        war ein warmer Segen für mich. Ich hatte
Ende der achtziger Jahre war die PGH          des agilen PGH-Vorsitzenden war die

                                                                                           „Ich war immer dar-
„Neue Linie“ eines der größten Unterneh-      „Neue Linie“ immer mit dabei, wenn es
men im Land Brandenburg mit über 300          darum ging neue Frisurentrends zu set-

                                                                                           an interessiert, einen
PGH-Mitgliedern und 27 Filialen. 1958 von     zen, Spitzenleistungen in der Ausbildung
Friseurmeister Erwin Philipp mit acht Fili-   zu erbringen oder aber auch neue Techni-

                                                                                           Konsens zu finden.
alen und siebzig Mitarbeitern gegründet,      ken einzuführen. So entwickelte Eberhard
wuchs das Unternehmen bis 1989 konti-         Nitze mit seinen Leuten zum Beispiel

                                                                                           Das habe ich als PGH-
nuierlich und hatte bis dahin schon etwa      1987 das erste „Rückwaschbecken“ der
fünfzig Friseurmeister ausgebildet und so     DDR. Das überforderte die volkseigenen

                                                                                           Vorsitzender gelernt.“
„nahezu das halbe Friseurhandwerk des         Friseurstuhlhersteller allerdings kom-
ganzen Bundeslandes mit qualifizierten        plett und so wurden die Kunden der er-
Meistern versorgt“, erinnert sich Eber-       finderischen Friseure kurzerhand in den
hard Nitze, der ab 1965 als Vorsitzender      Liegesitzen eines PKW Wartburg an die        Eberhard Nitze
das Geschehen in der PGH maßgeblich           Nackenmulde zum Haarewaschen gelegt.
mitbestimmte.                                 Für die Brandenburger „Neue Linie“ und       den Elan und er hat das Geld zusammen-
Der Friseurmeister kommt aus einer            ihren Chef war nach der Wende die ent-       gehalten. Er hat sich hingesetzt und eine
Handwerkerfamilie. Vater war SPD-Mann         scheidende Frage, wie der erfolgreiche       ‚Lebensverdienstliste‘ aller Genossen-
und Finanzbeamter, die Mutter hatte ein       Weg in der Marktwirtschaft fortgesetzt       schaftsmitglieder aufgestellt. Danach
kleines Friseurgeschäft. Nach der Lehre       werden könne. Die Modrow-Regierung           wurde ein Prozentschlüssel festgelegt
arbeitete er von 1955 bis 1959 als Friseur,   hatte am 19. März, einen Tag nach der        und alle wurden aus dem ‚unteilbaren
das letzte Jahr dann im Geschäft der          Volkskammerwahl, die Umwandlungs-            Fonds‘ ausbezahlt. Das war eine ganz fai-
Mutter. Da machte er auch die Meister-        verordnung für die Produktionsgenossen-      re Variante.“
prüfung und lernte beim Schaufrisieren        schaften in Kraft gesetzt. Damit wurde       So flossen 1,9 Millionen D-Mark über
den Gründer der PGH Erwin Philipp ken-        das alte PGH-Musterstatut obsolet, das       drei Jahre verteilt in die Kassen der Ge-
nen. Eberhard Nitze erinnert sich: „Ich bin   Genossenschaftsgesetz von 1898 trat          nossenschaftler. Viele, wie die 25 Filial-
dann 1959 der Genossenschaft beigetre-        wieder in Kraft, und die PGH musste sich     leiter, brachten ihr Geld in die GmbH ein.
ten. Meine Mutter war erst 48 und konn-       nun entscheiden, ob sie zu einer GmbH        Schließlich blieben fünf Gesellschafter
te sich verständlicherweise nicht vorstel-    oder einer „eingetragenen Genossen-          und Eberhard Nitze wurde mit 51 Prozent
len, in dem Alter aufzuhören und mir den      schaft“ (eG) werden wollte. Da war auch      Mehrheitsgesellschafter. „Die Banken
Betrieb zu übergeben.“ 1961 leitete der       viel Pragmatismus gefragt.                   wollten, dass einer den Hut aufhat“, be-
junge ambitionierte und aufstrebende          Den zeigten die PGH „Neue Linie“ und ihr     schreibt der alte neue Chef die Notwen-
Handwerksmeister schon zwei größere           Vorsitzender. Von den etwa 250 Mitglie-      digkeit. Die Anteile übernahm er mit teu-
Friseurgeschäfte in der PGH.                  dern waren bei der entscheidenden Voll-      ren Krediten von einigen Kollegen.
Das Großunternehmen schrieb schnell
schwarze Zahlen und Eberhard Nitze
führte die GmbH engagiert und struk-
turiert durch viele Höhen und Tiefen bis
er den Staffelstab 2005 komplett an Bri-
ta Meißner, die „Schwiegerenkelin“ des
Gründers Erwin Philipp, übergab.
Als überzeugter Ehrenamtler (jahrzehn-
telange Mitgliedschaft im Vorstand der
Handwerkskammer, im Fachbeirat und
als Vorsitzender der Meisterprüfungs-
kommission) weiß der rührige Friseur-
meister unbedingt zu würdigen, was
diese Ehrenämter ihm neben der Arbeit
noch gebracht haben: „Mein persönlicher
erfolgreicher Weg war nur möglich, weil
ich von Anfang an bereit war, im Ehren-
amt mitzuarbeiten.“ Ob im Vorstand des
Tennisvereins, heute als Seniorenbeauf-
tragter des Golfclubs, im Karnevalsverein,
beim Rotary Club, im Kulturverein und
vieles andere mehr - alles was er anpack-
te, machte er ernsthaft und mit Erfolg.
Und immer brachte es ihm Anerkennung,
neue Erfahrungen und Kontakte. Das
heute so wichtige und moderne „Netz-
werken“ hat er schon immer praktiziert.
Klar, dass ein so umtriebiger Handwerker
und Ehrenamtler nicht unumstritten ist.
Obwohl er immer auch „Innungsmann“
und nach der Wende sogar zwei Jahre
Landesinnungsmeister der Friseure war,
gründete er 1994 mit 75 Gründungsmit-
gliedern den gesamtdeutschen „Ver-
band deutscher Friseurunternehmen“
(VdF), dem er einige Jahre als Präsident
vorstand. In der Vereinigung größerer Fi-
lialunternehmen aus ganz Deutschland
sah er die Interessen der „Größeren“ der
Branche besser vertreten als in der In-
nung. Trotzdem ist er sich und dem Hand-
werk immer treu geblieben.
Ein starker Rückhalt und verlässlicher
Partner auch bei den sportlichen Betä-
tigungen (Tennis und Golf) war ihm im-
mer seine Frau und „Seelenverwandte“,
die Kosmetikmeisterin Christel Nitze. Die
ehemalige Dozentin und Mitglied der
Prüfungskommission hat ihm immer den
Rücken frei gehalten und ihn unterstützt.
Sein Fazit: „Alles was ich angepackt habe,
hat gut funktioniert. Ich habe aber auch     Eberhard Nitze (rechts) mit dem Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Potsdam
eine Menge Glück gehabt. Die schönste        Wolfgang König (links) und dem Ehrenpräsidenten der Kammer Klaus Windeck bei einem der
Erfahrung war, dass wir mit unserer Qua-     Gartenfeste der HWK in Caputh.
litätsarbeit und den guten Mitarbeitern
nach der Wende unsere treue Kundschaft
halten konnten. Ich bin ein Gewinner der
Wende, aber ich weiß, dass es nicht allen
so gegangen ist.“

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