MAN und MT Aerospace Raketenproduktion, die "zivile" Raumfahrt und die französische Atomwaffe von Peter Feininger - Informationsstelle Militarisierung
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IMI-STUDIE Nr. 1/2018 - 24.1.2018 - ISSN: 1611-213X MAN und MT Aerospace Raketenproduktion, die „zivile“ Raumfahrt und die französische Atomwaffe von Peter Feininger Inhaltsverzeichnis Einleitung MAN/MT Aerospace und die Ariane-Raketen - 2 Schon immer wird das Bild einer vermeintlich „zivilen“ Raum- Die Mitteilung - 2 fahrt suggeriert, obgleich die Branche schon seit ihren Anfän- Die Stahlvariante - 2 gen auch militärischen Zwecken dient. Daran hat sich bis heute Ohne Ariane kein französisches Atomprogramm - 3 nichts geändert, wie im Folgenden am Beispiel der Stadt Augs- Vorgeschichte: Ariane und französisches burg und der Rolle der dort ansässigen MAN bzw. MT Aerospace Atomprogramm - 6 gezeigt werden soll, die den deutschen Anteil am Ariane-Pro- EADS übernimmt die französische Nuklearwaffe - 7 gramm in der Hauptsache entwickeln und produzieren. MAN Neue Technologie verwendete bei der Ariane von Anfang an Die Ariane-Städte: Nahe an der Atomwaffe - 14 auch NS-Technologie der V2 und entwickelte diese weiter. Mit Geschichtliche Leerstellen - 14 ihren Gaszentrifugen spielte die MAN eine zentrale Rolle bei „Krieg als Vater der Raumfahrt“ - 16 der Urananreicherung in Europa und sogar weltweit und schuf In den Ariane-Städten lagert die Rüstungsindustrie - 17 die technologische Basis für die Proliferation der Atombombe. Arianespace vermarktet auch Rüstungsprojekte - 18 Wir können nachweisen, dass es einen Zusammenhang zwischen Fazit: Zur Rolle von MT Aerospace bei Ariane den Entwicklungsphasen der französischen U-Boot-gestützten und M51 - 28 Nuklearrakete M51 und der Produktion der Ariane 5 und 6 gibt. Das Augsburger Raumfahrtunternehmen MT Aerospace, Nach- Kästen: folger von MAN Technologie, arbeitet im Auftrag von Airbus -- CFK-Booster für Ariane 6 erfolgreich getestet Safran Launchers, inzwischen ArianeGroup, an der europä- -- MAN: Führender deutscher Rüstungsbetrieb ischen Trägerrakete Ariane 6. ArianeGroup ist gleichzeitig auch -- Die Anfänge der europäischen Raumfahrt – Vorbereitung des komplett zuständig für die französischen Atomraketen M51 bzw. Schlachtfeldes M51.3. Es ist nicht auszuschließen, dass MT Aerospace über -- MAN Technologie – auch führend bei der Urananreicherung ArianeGroup direkt oder indirekt an den französischen Nuklear- -- Vertrag zur Herstellung des M51-Waffensystems raketen mitwirkt. Hinzu kommt die euphorische Raumfahrtpro- paganda über die „Gemeinschaft der Ariane-Städte“, der auch die Stadt Augsburg erliegt und sich damit leichtsinnig einreiht Titelbild: Das Boostergehäuse aus Carbonfasern für die Ariane in ein Netzwerk, das von deutsch-französischen Rüstungs- und 6 wurde beim DLR Stuttgart und Augsburg in Kooperation Atom-Rüstungskonzernen beherrscht wird, darunter Städte, in mit MT Aerospace entwickelt und gefertigt. Foto: 2015-07-01. denen die ballistischen Raketen für die französischen Atomwaf- Quelle: DLR (CC-BY 3.0) fen hergestellt werden. Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen
2 IMI-Studie 1/2018 MAN/MT Aerospace und die Ariane-Raketen Die Mitteilung Im Folgenden soll einer Mitteilung des Augsburger Wirtschafts- Stolz teilte die Wirtschaftsreferentin der Stadt Augsburg in referats nachgegangen werden, dass ein neuartiger Booster aus ihrem Newsletter vom Juli mit, dass ein CFK-Boosters für die Carbon für die Ariane 6 erfolgreich hergestellt und getestet Ariane 6 erfolgreich getestet worden sei. Wir geben diese Mittei- wurde. Hauptbeteiligte sind das Deutsche Zentrum für Luft- und lung vollständig wieder, da sie neben dem verständlichen Über- Raumfahrt und hier die Abteilung für Leichtbau, MT Aerospace schwang sehr faktenreich daherkommt. Sie nennt einige wichtige Augsburg – früher MAN Technologie –, die europäische Raum- Tatsachen, lässt andere aber weg und suggeriert damit einen Ein- fahrtagentur ESA und die Bayerische Staatsregierung. Nicht druck, der trotz aller Sachlichkeit bei weitem nicht der ganzen genannt wird zum Beispiel Airbus Safran Launchers, ein Joint Wahrheit entspricht.3 Natürlich kann man in eine Pressemittei- Venture, das zu gleichen Teilen von Airbus Defence and Space lung nicht alles reinpacken, was wichtig wäre. Aber, ob die Tech- und dem französischen Rüstungs- und Technologiekonzern nologie des Boosters für die Ariane 6 auch Verwendung finden Safran gehalten wird. Airbus Safran Launchers, das seit Juli 2017 wird bei der Weiterentwicklung der Trägerrakete der französi- Jahres als Ariane Group firmiert, entwickelt und liefert zivile und schen Nuklearstreitmacht M51, wäre schon interessant. Auch, militärische Trägerraketen. Airbus Safran Launchers schreibt ob die Eignung des Boosters oder einer Abwandlung davon als zur Unterzeichnung des Ariane-6-Programms mit der ESA: „Als nukleare Interkontinentalrakete schon bei der Entwicklung des Hauptauftragnehmer für die europäischen Trägerraketenfamilien Ariane 6-Programms eine maßgebliche Rolle gespielt hat und Ariane 5 und Ariane 6 und für die ballistischen Trägerraketen der mit den aktuellen Tests des Prototyps auch diese Eigenschaft mit- französischen Marine verfügt das Unternehmen über modernste geprüft wird, – auch dies wäre interessant. Die Pressemitteilung Technologien für Startsysteme und Raketenantriebe.“1 der Stadt Augsburg, die eigentlich von MT Aerospace stammt, Der Hauptauftragnehmer Airbus Safran Launchers ist in der weiß von alledem nichts und lautet ganz harmlos und sehr zivil deutschen Öffentlichkeit kaum bekannt und vor allem nicht (siehe Kasten). der volle Umfang seines Rüstungsprogramms. Die Augsburger MT Aerospace AG hat im Juni einen Vertrag mit Airbus Safran Die Stahlvariante Launchers über die Entwicklung wesentlicher Tank- und Struk- tur-Bauteile für die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 Zur Erläuterung: Mit Booster wird hier ein Zusatztriebwerk abgeschlossen. „Der Auftrag beinhaltet alle erforderlichen Ent- bzw. die erste Stufe einer Trägerrakete bezeichnet. Die Ariane wicklungsarbeiten im Bereich ‚Tanks und Strukturen‘ bis zum 6 soll mit zwei bzw. vier Boostern ausgerüstet werden. Im Fall geplanten Erstflug der Rakete im Jahr 2020 …“, schreibt die der Ariane wird ein Feststoffantrieb eingesetzt. Damit wird der Augsburger Allgemeine.2 Booster befüllt. Die eigentliche Kunst ist aber das Gehäuse, auch Im nachfolgenden Teil 1 soll es um die Vorgeschichte der Raketenmotorgehäuse genannt. Dieses wurde und wird für die Ariane-Produktion, um die Rolle der französischen Nuklearra- Ariane-Rakete komplett in Augsburg hergestellt. keten dabei und die eminente strategische Bedeutung der MAN „Feststoffraketen werden heute unterschiedlich genutzt, sowohl als Rüstungskonzern gehen. Die jetzige MT Aerospace AG ist für militärische als auch zivile Zwecke wie die Luft- und Raum- ja – wahrscheinlich aus übergeordneten strategischen Gesichts- fahrt“ – schreibt Wikipedia viel- und nichtssagend.4 Die Fest- punkten, auf die sich die deutschen Rüstungs-, Wirtschafts-, stoffbooster sind eine Entwicklung der MAN in Augsburg. Seit Politik- und Militäreliten verständigt haben – 2005 aus einer fast 30 Jahren baut die Tochterfirma MAN Technologie „die bis- MAN-Tochter entstanden. herige Stahl-Variante“ dieser Booster für die Ariane 5 Trägerra- kete. CFK-Booster für Ariane 6 der europäischen Raumfahrt insgesamt. jekt KOFFER) an der Entwicklung einer erfolgreich getestet Ich gratuliere der MT Aerospace AG zu hochmodernen Fertigungstechnologie für diesem Erfolg. Davon profitiert nicht die Kohlefaserverarbeitung. Durch das „Am 19. Juli hat das Augsburger Raum- nur Augsburg sondern damit wird der neu entwickelte Verfahren mit Infusions- fahrtunternehmen MT Aerospace AG, eine Freistaat insgesamt als einer der führen- technologie werden im Vergleich zum Tochter des börsennotierten Technologie- den europäischen Hightech-Forschungs- gängigen Nasswickelverfahren wesent- konzerns OHB SE, eine neue Technologie und -Produktionsstandorte gestärkt.“ lich Kosten eingespart, was deutlich zur für kohlefaserverstärkte Raketenmotorge- Das Raketengehäuse mit 3,5 Meter Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit häuse (CFK-Booster) erfolgreich getestet. Durchmesser und 6 Meter Länge der neuen europäischen Rakete beiträgt. Augsburg soll neben dem Standort wurde in Stuttgart bei der Materialprü- Bei MT Aerospace läuft bereits seit Colleferro nahe Rom der zweite Pro- fungsanstalt auf Anforderungen eines 2015 die Produktentwicklung für die duktionsstandort für CFK-Booster Raketenstarts getestet. Dabei wurden ARIANE 6 CFK-Booster, begleitet der neuen europäischen Trägerrakete Drucklasten von über 125 bar simuliert. durch seitens der Bayerischen Staatsre- Ariane 6 werden, die die bisherige Der CFK-Booster hat alle gierung geförderte Fertigungstechno- Stahl-Variante der Ariane 5 ersetzen. Tests erfolgreich bestanden. logie-Projekte, wie auch die Planungen Mit dem erfolgreichen Test wurde ein Seit Sommer 2013 arbeitet MT Aero- für die Produktionshallen und -einrich- entscheidender Meilenstein erreicht. space zusammen mit dem Projektpartner tungen. Der Jungfernflug für die neue Bayerns Wirtschafts- und Technologie- DLR-Zentrum für Leichtbau-Produkti- ARIANE 6 ist für 2020 avisiert.“ (Quelle: staatssekretär Franz Josef Pschierer: „Der onstechnologie (DLR-ZLP) im Auftrag www.mt-aerospace.de, 25. Juli 2017) erfolgreiche Test der CFK-Booster ist der Europäischen Raumfahrtagentur ein wichtiger Schritt für die Entwicklung ESA (Projekt FORC) und der Bayeri- der ARIANE 6 Trägerrakete und damit schen Staatsregierung (DLR-ZLP Pro- Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen
IMI-Studie 1/2018 3 Modell einer Ariane-5-Rakete, das vor dem Eingang der Bundeskunsthalle steht. Quelle: DLR (CC-BY 3.0) Extra für deren Fertigung wurde eine 5400 m² große sowie 18 strahlschweißanlage mit einer riesigen zylinderförmigen Vaku- Meter hohe klimatisierte Produktionshalle gebaut und mit einem umkammer.5 fast vollständig neuartigen Spezialmaschinenpark ausgerü- stet. „Maschinenfabrik für das nächste Jahrhundert“ nannte der Ohne Ariane kein französisches Atomprogramm. damalige bayrische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß den riesigen Komplex, als er ihn am 30. September 1988 einweihte. Das französische Atomwaffenprogramm ist bei der Entwick- Die Stahl-Varianten der Booster bestehen jeweils aus drei Seg- lung der Ariane von Anfang an tangiert. Der Spiegel hat dies menten, sind etwa 30 m lang (24,75 m Segmentlänge), haben vielleicht als einzige deutsche Zeitung öffentlich erwähnt, ohne einen Durchmesser von 3,05 m, eine Wandstärke von 8,1 mm jedoch konkret zu werden. Anlässlich eines Gipfeltreffens der und fassen jeweils 238 Tonnen Festtreibstoff. Die Wandstärke europäischen Raumfahrtorganisation (Esa) im November 2012 von 8 mm ohne Einbuße an der nötigen Festigkeit wird durch gab es Streit zwischen Frankreich und Deutschland um die Walzen des Stahls in einem komplexen und wahrscheinlich tech- Weiterentwicklung der Ariane. Frankreich favorisierte mit der nisch einzigartigen Verfahren erreicht: Die selbst entwickelte Ariane 6 die Neuentwicklung einer kleineren Rakete – wahr- zwölf Meter hohe und 550 Tonnen schwere computergesteuerte scheinlich, weil dies auch besser zu seinem Nuklearwaffenpro- Gegenrollen-Drückwalzanlage, mit der sich weltweit erstma- gramm gepasst hätte. Deutschland wollte damals die Ariane 5 lig Teile dieser Größenordnung vollautomatisiert verarbeiten weiterentwickeln und vergrößern, bzw. eine Ariane 5 ME als lassen. Ihre vier Rollenpaare „drücken“ mit je 80 Tonnen von Zwischenschritt. innen und außen gegen die Wand des sich drehenden Bauteils. Der Spiegel schrieb damals6: „Nun kommt also zunächst die Während die Wandstärke allmählich auf 8,1 Millimeter redu- Ariane 5 ME […]. Die Ariane 6 kommt ebenfalls, nur etwas ziert wird, „wächst“ der Zylinder auf eine Höhe von 3,5 Meter. später. Die französische Ministerin Fioraso sagte, bis 2021 oder Das gesamte Booster-Gehäuse sei mit nur knapp 20 Tonnen ein 2022 solle die neue Rakete fliegen. Antonio Fabrizi, der bei der Leichtgewicht unter allen verfügbaren Metallhülsen, da sein Esa die Entwicklung der neuen Geräte verantwortet, stellte schon Anteil am Gesamtgewicht des Feststoffboosters weit unter zehn einmal klar: Die unteren beiden Stufen der Ariane 6 werden mit Prozent liegt, schrieb die European Space Agency ESA vor zehn Feststofftriebwerken angetrieben, darüber kommt die Oberstufe Jahren stolz. der Ariane 5 ME zum Einsatz. Details soll eine Studie bis 2014 Die Segmente wurden bis 2004 zusammengesteckt. Jede Ver- klären – ‚um weitere Entscheidungen treffen zu können‘, wie bindung wurde mit einem O-Ring abgedichtet und mit 180 Hintze sagt. Und das werden die Franzosen zumindest als Teil- Scherbolzen mit 24 mm Durchmesser gesichert. Heute (Erstein- erfolg verkaufen. Denn bei diesem Projekt wollen sie klar die satz 2006) werden sie in einer Elektronenstrahlschweißanlage Führung übernehmen – unter Verweis auf ihre entscheidende vakuumverschweißt. Für die Herstellung der Schweißsegmente Rolle in der Geschichte der Rakete. Denn klar ist: Ohne das fran- wurde in Augsburg eigens eine neue Fertigungshalle gebaut. zösische Atomprogramm würde es die Ariane in ihrer aktuellen Kernstück der Fertigungslinie ist eine gigantische Elektronen- Form nicht geben.“ Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen
4 IMI-Studie 1/2018 MAN: Führender deutscher Rüstungsbetrieb MAN war und ist einer der größten deut- Depot der Heeresverwaltung in München von Zündern und im Frühjahr 1935 der schen Rüstungskonzerne und nahm in der war. Im Auftrag der Heeresverwaltung Bau von Geschützen. Auch bei der Luft- Branche immer wieder auch eine strategi- entwickelte MAN-Saurer auch einen rüstung wollte die M.A.N. nicht abseits sche Rolle wahr, was sicher auch mit ent- 4-Tonnen-Kettenwagen, der ganz neue stehen. Schon am 15. August 1933 wurde scheidend war, den deutschen Anteil am Konstruktionen erforderte und erst im in einer Besprechung des Vorstands Arianeprogramm bei MAN anzusiedeln. Frühjahr 1917 herausgebracht werden mit Paul Reusch vereinbart, dass sich Bereits 1904 lieferte das Augsburger konnte. das Unternehmen beschleunigt um eine Werk der MAN ihren ersten Schiffsdie- Otto Meyer baute in der Endphase des Lizenz für den Bau von Flugzeugmotoren selmotor an die kaiserliche Werft in Kiel. 1. Weltkriegs als Direktor der Rump- bemühen sollte. Reusch schlug vor, in Drei Jahre später verkaufte sie an die fran- lerwerke in Augsburg in unmittelbarer Augsburg Dieselmotoren für Flugzeuge zösische Marine Viertakt-Dieselmotoren Nachbarschaft der Messerschmitt-Werke und in Nürnberg Benzinmotoren für mit 300 PS für den Einbau in U-Boote. bereits Kampfflugzeuge. Später wurde er Flugzeuge zu bauen.“ Während des ersten Kriegsjahres 1914 Direktor und Vorstand der MAN-Werke, Zum Bau von Flugzeugmotoren kam stellte die MAN vor allem in Augsburg im Faschismus und selbstredend auch es nicht, aber nach Kriegsbeginn erga- und Nürnberg die Fertigung weitgehend nach dem Krieg. Die MAN war ein zen- ben sich weitere enorme Geschäftsfelder. auf Rüstungsaufträge um. Einen Schwer- traler Rüstungsbetrieb. Nicht ohne Grund GHH/MAN wurde nun auch für die Logi- punkt bildete die Herstellung von Zün- galt der erste Luftangriff der Alliierten stik der Kriegsführung und die Wieder- dern und Geschossen, die bei der MAN über Augsburg während des Zweiten herstellung von Verkehrsverbindungen in in großen Serien gefertigt wurden. Ins- Weltkriegs nicht etwa den Messerschmitt- besetzten Gebieten benötigt. Schon der gesamt produzierte das Unternehmen Werken, sondern der MAN – wie von Überfall der Wehrmacht auf Polen wurde während des Ersten Weltkrieges rund einem alten Arbeiter und VVN-Mitglied von Brückenbauingenieuren des Kon- 934.000 Granaten, 254.000 Minen und noch zu erfahren war. zerns begleitet. Johannes Bähr schreibt4: fast 2,5 Millionen Zünder. Der Anteil der 1921 kaufte der Actienverein für „Spezialisten aus Gustavsburg bauten Rüstungsgeschäfte am Umsatz der MAN Bergbau und Hüttenbetrieb Gutehoff- die zerstörten Weichselbrücken bei stieg während des Ersten Weltkrieges auf nungshütte (GHH) aus Oberhausen die Dirschau wieder auf, ebenso dann die etwa 50 % des Umsatzes und die Firma Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG Rheinbrücken zwischen Kehl und Straß- expandierte durch den Krieg von 11.700 (M.A.N.), wodurch sich die Belegschaft burg und andere strategisch wichtige auf 22.300 Beschäftigte (ohne Kriegsge- schlagartig auf über 80.000 verdoppelte Verbindungen. Nach dem Waffenstill- fangene). und zugleich die Grundlage für die spä- stand im Westen waren die Rheinwerft Das wichtigste Produkt der MAN tere Entwicklung zum heutigen MAN- Walsum der GHH wie auch das M.A.N.- in dieser Zeit waren U-Boot-Diesel- Konzern gelegt wurde. Werk Gustavsburg an der Umrüstung von motoren. Sogar der Krupp-Konzern 1933 waren GHH und MAN nach über 500 Schiffen und Kähnen für die bestückte seine auf der Germania-Werft Kräften bemüht, sich eine günstige geplante Invasion Englands («Operation gebauten U-Boote mit MAN-Viertakt- Ausgangsposition im Rüstungsgeschäft Seelöwe») beteiligt. Später baute das Motoren, weil die von Krupp selbst gelie- zu sichern. Die Aussicht auf umfangreiche Werk Hafenanlagen im besetzten Frank- ferten Aggregate nicht die Anforderungen Erträge des Heeres, der Marine und reich aus, und nach dem Angriff auf die erfüllten. Johannes Bähr stellt in seinem der Luftwaffe ließ die Nachteile in den Sowjetunion wurden die Brückenbau- Buch „Die MAN: eine deutsche Indu- Hintergrund treten, die sich aus der abteilungen des Konzerns dann auch im striegeschichte“ fest1: „Bis Kriegsende nationalsozialistischen Politik für das Baltikum und in der Ukraine eingesetzt.“ stellte die MAN insgesamt 394 U-Boot- Exportgeschäft des Konzerns ergeben Die hier geschilderten Rüstungsakti- Dieselmotoren her. Diese Fertigung war mussten. Die Marine war wiederum vitäten des MAN-Konzerns sind ledig- der wichtigste Beitrag der MAN zur deut- einer der wichtigsten Auftraggeber. lich Schlaglichter auf ein militärisches schen Kriegsrüstung im Ersten Weltkrieg. MAN zählte zusammen mit Krupp Gesamtprogramm, das kaum zu ermes- Ohne die Motoren aus Augsburg wäre der und Flick zu den Unternehmen, auf sen ist. Und damit sind auch die strategi- U-Boot-Krieg kaum in dieser Form mög- die sich die Rüstungsplanungen des sche Bedeutung des Konzerns und seine lich gewesen.“ Marinekommandoamts konzentrierten.2 Gefährlichkeit damals wie heute kaum zu Auf Drängen der Heeresverwaltung Im schon erwähnten Buch von ermessen. nahm die MAN 1916 auch die Entwick- Johannes Bähr werden umfassende Es gibt in der Literatur keinen Über- lung von Motoren für den Flugzeugbau Rüstungsvorhaben der MAN seit 1933 blick über die Gesamtentwicklung der auf, der für die Kriegsrüstung von wach- geschildert3: MAN nach 1945 – und schon gar nicht sender Bedeutung war. Zunächst baute „Während das Augsburger Werk über ihre Militärproduktionen. Stellver- die MAN Otto-Motoren des Marktführers Geschäfte mit der Marine machte, hatte tretend für Vieles – auch Unbekanntes – Daimler nach. Mitte 1917 wurde der erste sich das Werk Nürnberg entschlossen, sei hier zum Beispiel die Produktion von von der MAN gebaute Flugzeugmotor den Bau von Panzern aufzunehmen. Strahltriebwerken für Kampfflugzeuge abgenommen. Schon im Juli 1933 gab die Heeresver- genannt. Bereits im Oktober 1958 war Ab 1915 begann die MAN auch, Last- waltung hier Panzer in Auftrag, was eine MAN mit der Gründung der MAN Turbo- wagen herzustellen, zunächst in Lindau, klare Verletzung des Versailler Vertrages motoren GmbH, München, wieder in den dann in Nürnberg. Im Geschäftsjahr darstellte und deshalb getarnt werden Bau von Flugzeugmotoren eingestiegen. 1915/16 stellte MAN-Saurer bereits eine musste. [...] Im Sommer 1934 nahm die 1960 schloss MAN eine Kooperation mit Serie von 123 Fahrzeugen her, wobei der MAN die Bearbeitung von Stahlgranaten dem führenden britischen Triebwerke- wichtigste Abnehmer das Kraftwagen- auf. Bald darauf folgten die Produktion Hersteller Rolls-Royce und begann auch Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen
IMI-Studie 1/2018 5 die Zusammenarbeit mit der BMW Trieb- strie-Ausrüstungen. Ferrostaal managte des Patriot-Systems. So heißt es in dme werke GmbH, München, an der sich zum Beispiel Waffen- und Munitionsfa- Artikel „PATRIOT-Motorgehäuse“ von MAN Turbomotoren mit 50 % beteiligte. briken und Waffentechnologie auch für Ludwig Röhrl8: Die BMW Flugmotorenbau GmbH Massenvernichtungswaffen und deren „Ausschlaggebend für die Beauftragung wurde bereits 1934 gegründet und baute Lieferung etwa in den Irak oder die war vor allem das bei der MT vorhan- unter anderem die Motoren für die Jun- Türkei. dene Drückwalz-Know-how aus der kers JU 52 (BMW 132) und die Focke- Über die riesige und geheime Rüstungs- Fertigung der Gasultrazentrifugen. Vor- Wulf FW 190 (BMW 801). Ab 1942 anlage im Irak recherchierte das Forum aussetzung für das Wirksamwerden des produzierte BMW auch eines der ersten solidarisches und friedliches Augsburg Vertrags war die „Produktlinien Qua- Serien-Strahltriebwerke der Welt, dessen im Jahr 20057: lifikation“ der MT nach den Vorgaben Technik nach dem Zweiten Weltkrieg „Wahrscheinlich hat Ferrostaal diese der US Armee. Die MT erreichte diese richtungsweisend war. Die Gemein- Rüstungsanlage auch vorfinanziert. Denn Qualifikation problemlos. […] Danach schaftsproduktion von MAN mit BMW Ferrostaal hat für die MAN die Funktion erfolgte das Hochfahren der Produktion im Triebwerkebau bestand zum Beispiel eines weltweit agierenden General- [in Augsburg, Red.] auf die maximale im Bau der Triebwerke für die F 104 G unternehmers und Finanziers von monatliche Kadenz von 50 Motorge- Starfighter in Lizenz von General Elec- Geschäften aller Art, gerade auch ‚sen- häusen. Die letzte Auslieferung erfolgte tric. sibler‘ Geschäfte einschließlich großer plangemäß Mitte 1992.“ MAN strebte damals in den sechzi- Rüstungsprojekte. [...] Im Geschäftsbe- Die hier erwähnte MAN Technologie ger Jahren ein größeres Engagement im richt 2003 der MAN AG liest sich das (MT) entstand ursprünglich aus MAN Triebwerkebau an und wollte eine Mehr- so: „Ferrostaal, MAN Tochtergesell- Neue Technologie, die 1965 als Zentral- heitsbeteiligung der MAN Turbomotoren schaft, weltweit vertretener Anbieter von bereich der MAN AG für Forschung und an BMW Triebwerke. Als sich die Herren Industriedienstleistungen, Engineering, Entwicklung gebildet wurde. Seit 1971 Quant als Besitzer von BMW gegen eine Industrieanlagen (auch Finanzierung), ist MAN Technologie am Raumfahrtpro- Fusion wandten, versuchte sogar das Bun- Handel mit Stahlprodukten, Maschi- jekt Europa Ariane beteiligt. Im Dezem- desverteidigungsministerium „auf BMW nen, Infrastrukturausrüstungen, Piping ber 1979 startet die erste Ariane 1 mit einzuwirken, den Widerstand gegen eine Supply, Vertrieb von Marine- und Han- Augsburger Beteiligung. 1986 erfolgt die Fusion der beiden Triebwerkhersteller delsschiffen. Insbesondere im Rahmen Gründung der MAN Technologie GmbH unter Führung der MAN aufzugeben. der German Naval Group die Durch- als Tochtergesellschaft der MAN. MAN Offenbar hoffte man in Bonn, dass ein führung von Marineprojekten. Erwähnt Technologie ist von Beginn an an der großer Hersteller mit zentralen Entschei- wird auch, dass MAN Industriedienst- Entwicklung der Ariane 5 beteiligt. Im dungsbefugnissen die deutsche Position leistungen – sprich Ferrostaal – zur Zeit gleichen Jahr 1986 beginnt auch die Ent- im expandierenden Triebwerkgeschäft mit dem Neubau einer U-Boot-Werft für wicklung von Boostern für das Raketen- stärken würde.“5 Die MAN setzte sich Griechenland befasst ist. system Ariane. letztendlich, mit Unterstützung des Bun- Erst jüngst begleiteten Manager von desverteidigungsministeriums, durch. MAN und Ferrostaal den Kanzler auf Anmerkungen Der neue Name des Unternehmens lautete seiner Golf-Tour. Die Agenturen vermel- 1 Bähr, Johannes, Ralf Banken, und Thomas MAN Turbo GmbH. deten knapp: ‚Über den Kauf von bis zu Flemming. Die MAN: eine deutsche Indu- Natürlich gingen die Geschäfte der fünf deutschen U-Booten verhandelten striegeschichte. C.H.Beck, 2008. MAN auch mit der Marine weiter. Hier die VAE mit der MAN-Tochter Ferro- 2 Nach: Bähr, Die MAN, a. a. O. sei nur erwähnt, dass bestimmten Grup- staal, die die Schiffe vermarktet, die von 3 Ebd. pen von Arbeitern im Augsburger Werk der HDW gebaut würden. Je nach Aus- 4 Ebd. 5 Ebd. MAN B&W Diesel jahrelang verboten stattung könnten die U-Boote pro Stück 6 s. hierzu ein kurzer, bebilderter Streif- war, ihren Urlaub im Ausland zu verbrin- mehr als 350 Millionen Euro kosten, hieß zug auf http://www.forumaugsburg. gen – wie die Tochter eines dieser Arbei- es. Die Essener Firma MAN Ferrostaal de/s_5region/Bezirk/050305_unterneh- ter verriet. wird sich mit 420 Millionen US-Dollar mer/index.htm Auch die militärische Bedeutung der am Bau einer Methanolfabrik beteiligen‘ 7 Schwabens Firmen setzen auf Bush!?, MAN-Trucks ist gewaltig. Das geht bis [im Oman, Red.].“ Forum solidarisches und friedliches hin zu Abschussrampen für Marschflug- Nicht zu vergessen die MAN-Tochter Augsburg, 5.3.2005 körper auf MAN-LKWs und Flugabwehr- Renk, Augsburg, weltweit führender Her- 8 Ludwig Röhrl, PATRIOT-Motorgehäuse, und Panzerabwehrraketensystemen, bei steller von Getrieben für militärische Ket- in: Hansen, Hans-Georg, und Horst Rauck (Hg.). Von Ideen und Erfolgen. 40 Jahre denen das Waffensystem von EADS tenfahrzeuge (Panzer). MAN Technologie. Dasing: Paartal-Verl., euromissile stammt und das Schwerlast- Die Tochterfirma MAN Technolo- 2008. fahrzeug von MAN.6 gie leistete mit dem Projekt „Booster“ Nicht zu vergessen die eminente Bedeu- nicht nur einen entscheidenden Beitrag tung der MAN-Tochter Ferrostaal, die zum Erfolg der europäischen Raumfahrt teilweise als Generalunternehmen für und der Ariane 5 – wie wir noch sehen große deutsche Rüstungsprojekte diente. werden. MAN Technologie (MT) wurde 1990 erwarb Ferrostaal z. B. die bun- zum Beispiel 1986 auch beauftragt mit deseigene Rüstungs-Holding Deutsche der Fertigung und Lieferung von 2021 Industrieanlagen GmbH (DIAG) und ihre Motorgehäusen für die Patriot-PAC2- Tochtergesellschaft Fritz Werner Indu- Abwehrrakete, der verbesserten Version Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen
6 IMI-Studie 1/2018 Gemeint ist damit natürlich nicht das französische Atompro- Vorgeschichte: Ariane und französisches gramm ganz allgemein, sondern das französische Atomwaffen- Atomprogramm Programm der Force de frappe. Der Spiegel rührte also damals an ein Thema, das offensichtlich tabu ist in den deutschen Medien. Schon die Ariane 1, die 1979 erstmals startete, beruhte auf den Nämlich, dass das Arianeprogramm einen hochbrisanten und jahrelangen Erfahrungen Frankreichs bei der Trägerraketenent- hochgefährlichen militärischen Aspekt hat. Ganz abgesehen wicklung und beim Bau verschiedener militärischer und Höhen- davon, dass die „zivile“ Arianerakete auch militärische Satelli- forschungsraketen, die in der dreistufigen Diamant mündeten, ten ins All bringt oder mit ihren Starts ein Satellitenprogramm Frankreichs eigener Trägerrakete. Die Triebwerke für diese ermöglicht wie Galileo, das auch das Militär der europäischen Raketen wurden federführend von Heinz Springer entwickelt. Staaten demnächst zur Ortung und Navigation verwenden wird. „Er verdiente sich seine ersten Sporen noch bei Wernher v. Braun Zwei Jahre später, im Vorfeld des ESA-Gipfeltreffens 2014, in Peenemünde“, schreibt die ESA ungeniert.9 Diese Triebwerke schrieb der Spiegel7, gestützt auf den Chef des Deutschen Zen- des NS-Ingenieurs wurden dann auch in der Ariane 1 verwendet. trums für Luft- und Raumfahrt, Johann-Dietrich Wörner: Ab Ariane 3 kamen bereits Booster zum Einsatz. Verschiedene „Das Lavieren hat gute Gründe: Raumfahrt in Europa ist nicht Varianten der Ariane 4 waren jeweils mit zwei oder vier Boostern allein dazu da, Satelliten ins All und Sonden auf ferne Kometen mit Fest- bzw. Flüssigtreibstoff ausgerüstet und kamen zwischen zu bringen. Es geht vor allem um Industriepolitik, um Macht und 1988 und 2003 zum Einsatz. Die Kapazitätslücke zum Start mit- Aufträge und darum, aus Verhandlungen mit den anderen euro- telschwerer Kommunikationssatelliten wurde danach zunächst päischen Raumfahrtnationen nicht als Verlierer hervorzugehen mit der russischen Sojus (seit Ende 2010) abgedeckt. - manchmal auch auf Kosten der technisch und wirtschaftlich Die MAN Technologie AG (MT) war von Anfang an dabei, sinnvollsten Lösung. […] Deshalb auch der Schwenk bei der zunächst bei der Ariane 1- 4 noch mit der Ariane-Fertigungsstätte Ariane 5 ME. Noch vor zwei Jahren, bei einem Ministertreffen der Dasa in Oberpfaffenhofen, die MT übernahm. Klaus-Dieter in Neapel, hatte die Esa auf Drängen Deutschlands beschlossen, Naumann schreibt10: „Der Unternehmensbereich „Neue Techno- bis 2014 mehr als 400 Millionen Euro in die Weiterentwick- logie (NT)“ der MAN AG hatte Ende der 1970er Jahre, aufbauend lung der Ariane 5 einschließlich einer neuartigen Oberstufe zu auf ihrer Erfahrung für die Simulation von Stufentrennungs-Vor- stecken. Die Franzosen, die zweiten großen Beitragszahler in gängen bei parallelgestuften Trägerraketen, ein Konzept zur Lei- Europas Raumfahrt, konnten sich mit ihrem Wunsch nach einer stungssteigerung der Ariane durch Booster erarbeitet.“ kleineren, komplett neuen Ariane 6 nicht durchsetzen. Statt mit Die französische SEP Societe Europeenne de Propulsion und flüssigem Wasserstoff und Sauerstoff, wie die Ariane 5, sollte die Vermarktungsgesellschaft Arianesspace SA übernahmen die sie hauptsächlich von festen Treibstoffen angetrieben werden – Vorschläge von MAN Technologie zur Produktion von Boo- ähnlich den französischen Atomraketen. Als Trostpreis wurde stern. Auftraggeber von MAN Technologie war damals bis ein- den Franzosen immerhin zugestanden, für 157 Millionen Euro schließlich der Booster für Ariane 5 die französische SEP. Es ein Konzept für ihre Ariane 6 entwickeln zu dürfen. Wörner ist zu befürchten, dass MAN Technologie mit ihrem Booster- spricht inzwischen von einem ‚Scheinkompromiss‘, auf den man Vorschlag gleichzeitig von Nutzen war für die Entwicklung sich damals eingelassen habe. Sicher ist: Deutschland stand mit der französischen Nuklearrakete, bei deren Antriebskörper der seinem Beharren auf der Ariane 5 ME in Europa zuletzt isoliert ersten Stufe auch Booster-Technologie zum Einsatz kam/kommt. da. Doch auch Frankreich konnte sich mit seiner kleinen Ariane Zu den üblen Verbindungen der MAN zur SEP, bei der auch das 6 nicht durchsetzen. Stattdessen wollen die zuständigen Minister Triebwerk der NS-Rakete V2 im Spiel war und ein führender der 20 ESA-Staaten bei ihrem nächsten Treffen Anfang Dezem- NS-Raketeningenieur aus Peenemünde, siehe weiter unten den ber in Luxemburg eine ganz andere Variante beschließen. Sie soll Exkurs: Die Anfänge der europäischen Raumfahrt – Vorberei- aus einer umgebauten Hauptstufe der alten Ariane 5 bestehen, aus tung des Schlachtfeldes. der geplanten und in Deutschland entwickelten Oberstufe der 5 Parallel dazu wurden seit 1997 die ersten interkontinentalen ME und aus zwei oder vier Feststoffraketen, die von der kleinen Raketen auf U-Booten der französischen Marine stationiert. Die europäischen Vega-Rakete geborgt werden. […] Ob sich damit M45 nennen sich SLBM (Submarine-launched ballistic missile) die künftigen Herausforderungen meistern lassen oder durch das oder MSBS (Mer-Sol-Ballistique-Stratégique). Frankreich unter- neue Konzept in erster Linie ESA-Staaten mit Industrieaufträgen hält vier Atom-U-Boote mit Raketenstartrampen. Jedes dieser bedacht werden sollten, muss sich erst noch zeigen. ‚Das Ergeb- U-Boote verfügt über 16 Raketen, derzeit noch vom Typ M45 mit nis ist auf jeden Fall gut für uns‘‚ meint Wörner.“ jeweils bis zu sechs autonomen Atomsprengköpfen (MIRV).11 Hier wird vom Spiegel angedeutet, dass die Franzosen eine Der Hersteller der M45 ist laut dem englischen Wikipedia Variante der Ariane 6 anstrebten, die „hauptsächlich von festen Aerospatiale (1996-2000) jetzt EADS SPACE Transport.12 Der Treibstoffen angetrieben … [wird] – ähnlich den französischen französische Luftfahrt- und Rüstungskonzern Aerospatiale, Atomraketen.“ Auch hier also wieder ein Verweis auf die franzö- genauer Société Nationale Industrielle Aérospatiale (SNIAS), sischen Atomraketen, ohne konkret zu werden. Immerhin wurde war ein Hersteller von zivilen und militärischen Flugzeugen, aus dem „Trostpreis“ von 157 Millionen für die Ariane 6 auf dem Raketen und Hubschraubern. Er fusionierte 1998 mit Matra Haut ESA-Gipfel 2014 eine Zusage der Minister der Mitgliedstaaten Technologie zu Aérospatiale-Matra. Am 10. Juli 2000 fusionierte der Europäischen Weltraumagentur von rund vier Mrd. Euro für Aérospatiale-Matra schließlich mit der deutschen DaimlerChrys- die Entwicklung der Ariane 6. Damit fließt viel Staatsgeld in die ler Aerospace AG (DASA) und der spanischen Construcciones Trägerrakete und wichtige Komponenten wie die Booster. Aeronáuticas SA (CASA) zur European Aeronautic Defence and Es ist schon auffallend, welche herausragende Rolle die Boo- Space Company (EADS). ster, die eigentlich ja nur Hilfsraketen sind, in der Diskussion Laut dem deutschen Wikipedia war der Hersteller der ballisti- um die Ariane 6 spielen. Die Wichtigkeit, die den Boostern bei- schen Nuklearrakete M45 EADS Astrium, Frankreich.13 Dies gilt gemessen wird, scheint darauf hinzuweisen, dass sie noch eine ab dem Jahr 2000, als Astrium als 100-prozentige Tochtergesell- andere wichtige Funktion – eben für die französische Marine – schaft der EADS, spezialisiert auf zivile und militärische Raum- haben, die öffentlich nicht erörtert wird.8 fahrtsysteme, mit Sitz in Paris gegründet wurde. Die Rechtsform wird mit SARL angegeben, also Société à responsabilité limité, Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen
IMI-Studie 1/2018 7 eine Rechtsform für haftungsbeschränkte Gesellschaf- ten mit eigener Rechtspersönlichkeit in Frankreich. Astrium gliederte sich in drei Geschäftsfelder, näm- lich Astrium Satellites, Astrium Services (unter ande- rem Entwicklung und Lieferung satellitenbasierter Dienstleistungen für militärische und kommerzielle Zwecke) und Astrium Space Transportation (AST) für Trägerraketen und Weltraum-Infrastrukturen. Als Produktpalette der Astrium Space Transportation wird bei Wikipedia u. a. angegeben: Trägerraketen (kommerziell und militärisch, einschließlich für die französischen strategischen Seestreitkräfte – FOST): Ariane (Rakete).14 EADS übernimmt die französische Nuklearwaffe Zentral bei all dem ist, dass die ballistische Nuklear- rakete M45 noch eine französische Entwicklung war. Aber spätestens ab dem Jahr 2000 ging das militäri- sche Raketenprogramm Frankreichs über Astrium in der EADS auf. In der Firma Astrium organisierten die Länder Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Spanien und die Niederlande wesentliche kommerzi- elle und militärische Kapazitäten in der Raumfahrt. M45 und M51 Interkontinentalraketen in den Hüllen der französischen 2011 hatte Astrium bereits fast 17.000 Mitarbeiter und Atom-U-Boote SNLE. Quelle: Dake (Rama) (CC BY-SA 3.0) einen Umsatz von 5 Mrd. Euro. Der Eintrag über Astrium im englischen Wikipedia wird noch 1999 soll die Technologie offenbar auf diesem Feld besonders etwas genauer: „The Space Transportation company is the prime vorangetrieben werden. Ende 2004 wurde Le Vigilant den Streit- contractor for the Ariane 5 launcher […]. It also builds laun- kräften übergeben. Bis 2010 sollte die Raketenserie M51 auf chers for the French nuclear missile program ..., such as the M51 dem am 21. März 2008 vom Stapel gelaufenen U-Boot Le Ter- SLBM.“15 Hier wird also erstmals die berüchtigte M51 SLBM rible einsatzbereit sein. Die M51 soll eine Reichweite von 8.000 (Submarine-launched ballistic missile, U-Boot gestützte bal- Kilometern haben. Der erste seegestützte Testschuss fand am 27. listische Rakete) erwähnt und ihre Rolle als Trägerrakete für Januar 2010 statt.“ die französischen Nuklearwaffen. In einem eigenen Wikipedia- Es schein unklar, ob die M51 schon im Einsatz ist. Bei Wiki- Eintrag zu Astrium Space Transportation heißt es dann unver- pedia heißt es lediglich, dass die Raketenserie M51 bis 2010 blümt16: einsatzbereit sein soll. Eigenartigerweise wurde der Wikipedia- „Astrium Space Transportation war zudem Hersteller von Eintrag zur Force de frappe im Juli 2017 aktualisiert, ohne zum U-Boot gestützten Trägersystemen (siehe M51 SLBM) für Einsatz der M51 Genaueres zu sagen. Nach verschiedenen ande- Nuklearsprengköpfe der französischen Streitkräfte. Rund 4400 ren Quellen wurde die Rakete im Jahr 2010 in Betrieb genom- Mitarbeiter waren für Space Transportation in Frankreich (Les men. Mureaux bei Paris, Saint-Médard-en-Jalles bei Bordeaux) und EADS veröffentlichte in seinen Neun-Monats-Ergebnis- in Deutschland (Ottobrunn bei München, Lampoldshausen bei sen 2010: „Im Sommer absolvierte die M51 erfolgreich ihren Heilbronn, Immenstaad bei Friedrichshafen und Bremen) tätig. Abnahmeflug“.18 In seinen Ergebnissen für das Geschäfts- EADS Astrium Space Transportation wurde geleitet vom jahr 2010 gab EADS den „Auslieferungsbeginn des bal- CEO Alain Charmeau. Astrium und ihre Unternehmensberei- listischen Flugkörpers M51 für die französische Marine“ che wurden im Januar 2014 mit Cassidian und Airbus Military bekannt.19 Für das Jahr 2014 konnte Airbus Defence and zusammengelegt, und firmiert seitdem als neue Airbus-Sparte Space bereits den Vertrag mit den französischen Streitkräf- Airbus Defence and Space, deren Hauptsitz in München ist.“ ten über das Modell M51.3 der Rakete bekanntgeben.20 Im Wikipedia-Eintrag über die Force de frappe heißt es über Zum Schluss sei noch auf die fürchterliche strategische Bedeu- die ballistischen Raketen M45 und das Nachfolgesystem M5117: tung von Submarine-launched ballistic missiles SLBM hingewie- „Als seegestützte Trägermittel dienen seit 1971 atombetrie- sen. Sie bieten auch die Option zu einem atomaren Erstschlag: bene U-Boote, die Force océanique stratégique (FOST), die „SLBMs hatten eine große strategische Bedeutung während des mit SLBMs bestückt sind; gegenwärtig die Triomphant-Klasse. Kalten Krieges. Bis heute dienen Atom-U-Boote zur nuklearen Frankreich unterhält insgesamt vier sous-marin nucléaire lan- Abschreckung. Die Position dieser Schiffe ist trotz modernster ceur d‘engins (SNLE, deutsch: Atom-U-Boot mit Raketenstar- Ortungsgeräte, beispielsweise durch Unterwassermikrophone trampen), von denen zwei ständig auf hoher See einsatzbereit (SOSUS), Magnetsonden und Satelliten nur schwer auszuma- gehalten werden. Jedes dieser U-Boote verfügt über 16 Raketen, chen und die Beweglichkeit gewährt die Option, dass nicht alle derzeit noch vom Typ M45 mit jeweils bis zu sechs autonomen SLBM mitführende U-Boote durch den Gegner ausgeschaltet Atomsprengköpfen (MIRV) und einer Reichweite von 6000 werden können. So bietet eine strategische U-Boot-Flotte die Kilometern. Option, einen atomaren Erstschlag und vor allem einen erfolg- Nach der Indienststellung der „unterseeischen Raketenab- reichen Zweitschlag bzw. Gegenschlag führen zu können.“21 schussrampen“ Le Triomphant 1997 und Le Téméraire Ende Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen
8 IMI-Studie 1/2018 Exkurs: Die Anfänge der europäischen Raumfahrt – Vorbereitung des Schlachtfeldes In dem sehr lesenswerten Buch von logie AG, ab 1997 Sprecher des Vorstands. Spatiales; Red.] im Auf trag der ESA Rainer Eisfeld „Mondsüchtig. Wernher Die EUROPA-Raketenserien waren die [European Space Agency; Red.] die Trä- von Braun und die Geburt der Raum- Vorläufer des Arianeprogramms und gerentwicklung unter dem Namen LIIIS/ fahrt aus dem Geist der Barbarei“1 heißt hatten militärische Ausgangspunkte. Die ARIANE4 weiterführte, hatte das für es gleich am Anfang: „Die Verführbarkeit französische Raketentechnik diente von M.A.N. kaum Auswirkungen.“5 des Geistes durch die Barbarei in unserem Anfang an militärischen Zwecken, dabei Bei der hier erwähnten ELDO han- Jahrhundert ist oft dargestellt worden. waren auch deutsche NS-Ingenieure aus delt es sich um die European Launcher Dieses Buch ist aus der Überzeugung Peenemünde, die britische Atomrakete Development Organisation, also die entstanden, dass derjenige, der lügt oder Blue Streak spielte am Anfang eine zen- Organisation zur Entwicklung europä- schweigt über die Mechanismen solcher trale Rolle und als erster Startplatz diente ischer Trägerraketen. Der MAN-Manager Verführbarkeit, mitverantwortlich ist, Woomera in Australien, ein ehemaliges Horst Rauck schreibt: „Sechs europä- wenn die Schwelle zur Barbarei erneut Testgelände der britischen Streitkräfte. ische Staaten, Belgien, Bundesrepublik überschritten wird – ob in Deutschland Der Vorstand von MAN Technologie MT, Deutschland, Frankreich, Großbritan- oder anderswo.“ Horst Rauck, schreibt: nien, Italien und die Niederlande sowie Und die Schwelle der Barbarei ist nicht „Frankreich begann bald nach dem Australien schlossen sich im Jahr 1962 nur von den NS-Raketeningenieuren – 2. Weltkrieg mit der Entwicklung der zur ELDO (European Launcher Deve- unter ihnen Wernher von Braun – über- Raketentechnik für militärische Zwecke. lopment Organisation) zusammen. Die schritten worden. Sie wurde auch von den Dabei wurden auch deutsche Ingenieure ELDO-Konvention trat am 29. Februar US-Ingenieuren, Politikern und Militärs eingesetzt, die während des Zweiten 1964 in Kraft. Erster Präsident der ELDO überschritten mit der Produktion und dem Weltkriegs in Peenemünde in der Rake- war Prof. Günther Bock von der Techni- Einsatz von Atombomben und mit der tenentwicklung tätig waren und nach dem schen Hochschule Darmstadt. Die ELDO Entwicklung von Trägerraketen für ihre Krieg nicht in die USA, sondern nach wurde von den teilnehmenden Staaten Nuklearwaffen – unter ihnen wiederum Frankreich gegangen waren. Etwa 60 mit den erforderlichen Mitteln ausgestat- Wernher von Braun. Rainer Eisfeld kon- deutsche Ingenieure wurden im LRBA tet, um den Bau der Rakete EUROPA I … statiert, dass sich für die Peenemünder (Laboratoire de Recherches Balistiques voranzutreiben. Hierfür wurde folgender NS-Konstrukteure, die dann später für et Aerodynamiques), Vernon, beschäf- Finanzierungsschlüssel vereinbart: Eng- die USA arbeiteten, gar nicht so viel tigt und entwickelten unter der Leitung land 39 %, Frankreich 24 %, Deutschland verändert habe: „Mochten sie auch von des Raumfahrtingenieurs Heinz Bringer 22 %, Italien 10 %, andere Staaten 5 %. einem Raumfahrtzeitalter träumen – tat- Triebwerke für Flüssigraketen z. B. für die Die Gesamtkosten für die Entwicklung sächlich arbeiteten sie für ein potentielles VERONIQUE, die im Jahr 1959 das erste der EUROPA-Rakete wurden auf 70 Mil- Schlachtfeld.“2 Mal flog, wie auch für die DIAMANT. lionen £ geschätzt. Das Arbeitsziel war, Und auch Frankreich war und ist mit Mit diesem Träger gelang Frankreich mit dieser 104 t schweren Rakete im Jahr seiner militärischen Raketenentwicklung im Jahr 1965 von Algerien aus der erste 1965 einen Satelliten mit einem Gewicht seit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Start eines … Satelliten in die Erdumlauf- von 850 kg in eine 500 km hohe, kreisför- Nuklearwaffen dabei, diese Schwelle bahn. Der Startplatz für die französischen mige Erdumlaufbahn zu transportieren.“6 potenziell zu überschreiten. Dies gilt Trägerraketen wurde im Jahr 1970 nach Die britische Rakete Blue Streak (blauer natürlich prinzipiell auch für Großbritan- Kourou/Französisch Guyana verlegt. Streifen), die Basis der europäischen nien, das hier aber nur partiell behandelt Bringer und sein Team steigerten die Lei- Rakete, war eine Mittelstreckenrakete, werden soll. Auch deutsches Personal stung der von ihnen entwickelten Raketen habe aber im wesentlichen auf der Tech- und deutsche Firmen waren und sind – immer weiter, bis 1971 mit dem Turbo- nologie der US-amerikanischen Atlas eher verdeckt – beteiligt. In Frankreich pumpen-Raketentriebwerk VIKING ein beruht – wie der Raketenexperte Bernd waren auch NS-Ingenieure aus Peene- Schub von 55 t erreicht wurde. Dieses Leitenberger schreibt7. münde zugange und auch die MAN war Triebwerk war das Endprodukt einer Ent- Die Atlas war die erste Interkontinen- praktisch von Anfang an beteiligt an der wicklungsreihe von Großtriebwerken … talrakete der USA (militärische Bezeich- Entwicklung europäischer Raketen. Noch im Rahmen der ELDO [European nung: SM-65). Sie wurde entwickelt, um Dies wird in dem 2008 erschienenen Lauchner Development Organisation die Sprengkraft und die Reichweite der Buch „Von Ideen und Erfolgen. 40 Jahre s. u.; Red.] schlug Frankreich vor, den Mittelstreckenraketen Jupiter und Thor MAN Technologie“ von ehemaligem Vorläufer des VIKING-Triebwerks in zu steigern. Der Entwicklungsauftrag MAN-Führungspersonal relativ freimü- der ersten Stufe der EUROPA III in einer bestand darin, eine 1,5 t schwere Was- tig beschrieben.3 Die Herausgeber des Vierer-Anordnung in einem Schubgerüst serstoffbombe 13.000 km weit transpor- Buches sind Hans-Georg Hansen, Stu- einzusetzen. Andere europäische Staaten tieren zu können. Die Atlas C war schon dium der Soziologie und Volkswirtschaft konnten sich bereits in der Studienphase sehr nahe an der Serienkonfiguration. Mit an der LMU München, Bereichsleiter an diesem Projekt beteiligen. ihr wurden die nuklearen Sprengköpfe Betriebswirtschaft und Personal von So sicherte sich der Unter für den Einsatz qualifiziert. Erststart war MAN Technologie, und Horst Rauck, nehmensbereich »Neue Technologie« der am 24. Dezember 1958. Die Atlas D war Studium des Maschinenbaus mit Ver- M.A.N. die Mitwirkung an der Fertigung die erste Interkontinentalrakete, die die tiefung in Luft- und Raumfahrt an der der Turbopumpe, sowie an der Auslegung US-Armee stationierte. Zwar wurden nur technischen Hochschule Darmstadt, 1966 und Fertigung des Schubgerüsts und des 33 stationiert, doch sie stellten das Erst- Eintritt in die neu geschaffene Raumfahr- Wassertanks der 1. Stufe. Als die ELDO schlagspotential der USA.8 Die Explosi- tabteilung der MAN Turbo GmbH, später im Jahr 1973 ihre Tätigkeit einstellte und onsstärke der Sprengköpfe der Atlas lag Mitglied des Vorstands der MAN Techno- das CNES [Centre National d‘Etudes zwischen 1,44 und 3,75 Megatonnen.9 Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen
9 IMI-Studie 1/2018 Die Wasserstoffbombe, die 1952 gete- unabdingbar schien. Die junge Republik begannen. Unter starker Beteiligung der stet wurde, ergab eine wesentlich größere besaß ein aufstrebendes Industriepoten- Industrie beschäftigte es sich schwer- Sprengkraft als die Atombombe. Dadurch tial und vor allem das benötigte Kapital, punktmäßig mit der Rüstungsforschung sei die Atlas attraktiver geworden, weil um für die Konstruktion einer Europa- und finanzierte sich vornehmlich über sich dadurch die Zielgenauigkeit von Rakete von Interesse zu sein.“ Zuschüsse des Landes Baden-Württem- Interkontinentalraketen von 500 m auf bis Wir halten also fest: die Basis der euro- berg sowie Aufträgen aus den USA. Die zu 8 km reduzieren ließ, was durch eine päischen Raumfahrt ist eine britische Leitung übernahm der hierfür aus Frank- größere Sprengkraft der Bombe ausge- Nuklearrakete und die starke Beteiligung reich zurückgekehrte Sänger, der bereits glichen wurde, wie Bernd Leitenberger Frankreichs erfolgte aus militärstrategi- 1943 das erste Hyperschall-Flugzeug feststellt.10 schen Gründen zum Aufbau einer eigenen konzipiert hatte, und der bis zu seinem Man stelle sich vor, diese brutalste Waffe Nuklearbewaffnung. Tod 1964 einer der Vordenker der deut- der Welt war die technologische Basis der schen Raumfahrt war.“ britischen Blue Streak und damit indi- NS-Ingenieure werden Sänger stand mit seinen technischen und rekt auch der EUROPA-Rakete. Die Blue unverfroren weiterverwendet militärischen Strategien so unverhohlen Streak war eine Nuklearrakete, die 1960 in der aggressiven nationalsozialistischen von Großbritannien wegen mangeln- Ein weiteres empörendes Faktum ist die Tradition, dass die Bundesregierung der Abschreckungswirkung gestrichen nahtlose und unverfrorene Beteiligung Abstand nahm – nicht unbedingt von wurde, da die Rakete als Zweitschlag- deutscher NS-Ingenieure, z. T. führen- seinen Zielen, sondern von seiner Person waffe zu verletzlich gewesen wäre und der Mitarbeiter von Wernher von Braun, –, um ihre europäischen Raketen- und sich der Bau von entsprechenden Silos zu am Aufbau sowohl des französischen als Raumfahrtpläne nicht zu gefährden. ihrem Schutz innerhalb Großbritanniens auch des deutschen Raketen- und Raum- Reinke schreibt15: „Lange hielt die Bezie- nicht realisieren ließ. Die Rakete wurde fahrtprogramms. hung zwischen BMV [Bundesministerium jedoch noch bis Mitte der sechziger Jahre Einer von ihnen war der Österreicher der Verteidigung, Red.] und Sänger nicht. im Rahmen des ELDO-Programms ver- Eugen Sänger, der 1932 Mitglied der Zu offen sprach sich dieser nun wieder für wendet.11 NSDAP wurde und 1933 als SS-Mann die militärische Relevanz der »internatio- Niklas Reinke schreibt in seinem umfas- auftrat. 1936 in Deutschland einge- nalen Kampfraketen« aus. Er hob hervor, senden Werk „Geschichte der deutschen bürgert, errichtete und leitete er unter daß jeder Punkt in Europa schon von den Raumfahrtpolitik im Rahmen der Schrif- anderem für die Reichsluftfahrt die rake- bereits verfügbaren Mittelstreckenraketen tenreihe des Forschungsinstituts der tentechnische Forschungsstelle Trauen erreichbar sei, weshalb eine Neuausrich- Deutschen Gesellschaft für Auswärtige in der Lüneburger Heide und war an der tung der Verteidigungsstrategie unab- Politik“12: „Im Kern waren es die Regie- Entwicklung von Hochdruckbrennkam- dingbar wäre: ‚Die Mehrheit moderner rungen in Großbritannien, die mit ihrem mern maßgeblich beteiligt. Er entwickelte Waffentechniker ist der Ansicht, daß die Vorschlag, auf Basis der BLUE STREAK ein Staustrahltriebwerk weiter, mit dem einzig mögliche Gegenwehr gegen bal- einen Satelliten-Träger zu entwickeln, die eine mehrfache Schallgeschwindigkeit listische Fernraketen im Augenblick in Meinungsführung übernommen hatten, erreicht werden konnte. Sänger testete es einer ebenso massiven Gegendrohung mit und jene im gaullistischen Frankreich, an verschiedenen Bombern der deutschen derselben Waffe besteht, was für Europa die für eine eigenständige europäische Luftwaffe. Während des Zweiten Welt- allerdings schon den Besitz der dritten Raketen-Organisation eintraten. Beide krieges arbeitete er zu Beginn im Rahmen Kategorie großer Reichweite vorausset- versprachen sich hiervon eine Unabhän- des Amerikabomberprojektes an der Ent- zen würde. Jeder andere Abwehrversuch gigkeit von den USA, technologisches wicklung eines raketengetriebenen Orbi- muß heute als durchaus sekundärer Natur Know-how und nicht zuletzt politisches talbombers (Silbervogel). Nach dem Ende betrachtet werden.‘ Es bleibe, so Sänger Prestige. Bei diesen Erwartungen dürfte des Krieges ging Sänger nach Frankreich, weiter, Aufgabe der Wissenschaft, länger- der zwischenzeitlich etablierte und von wo er für die dortigen Flugzeughersteller fristig ein Abwehrsystem für Raketen zu der bemühten Öffentlichkeitsarbeit der verschiedene Entwicklungen betrieb und errichten, woraus die Notwendigkeit zu Raumfahrtlobby forcierte politische Kon- schließlich die Internationale Astronau- einer engen Verknüpfung von nationaler sens eine entscheidende Rolle gespielt tische Föderation mitbegründete und ab Verteidigung und Forschung erwachse. haben, daß ein hochindustrialisierter Staat 1951 zwei Jahre leitete.13 Diese Gedanken entsprachen zwar es sich in seinem gesamtwirtschaftlichen Niklas Reinke schreibt zu Sängers durchaus den Überlegungen im inter- Interesse schlicht nicht leisten könnte, sich Funktion im Nachkriegsdeutschland14: nationalen Umfeld, und Sänger dürfte dauerhaft der Beteiligung an der Erobe- „Tatsächlich wurde zum Winterseme- diesen während seiner Arbeit für das rung des Alls zu versagen, ohne Gefahr zu ster 1954/55 an der Technischen Hoch- französische Luftfahrtministerium bege- laufen, in absehbarer Zeit ein »technisch schule Stuttgart mit dem aufgrund des gnet sein, doch stießen sie in der Bun- unterentwickeltes Land« zu werden. In latenten Mißtrauens im Ausland vor- desrepublik der späten 1950er Jahre auf Paris war der Zugang zur fortgeschritte- sichtig benannten »Forschungsinstitut deutliche politische Ressentiments. Die nen britischen Raketenentwicklung schon für Physik der Strahlantriebe« (FPS) die Argumentationsmuster »internationaler allein für den Aufbau der eigenen Militär- erste offizielle Einrichtung für Raketen- technischer Wettlauf« und »entschei- strategie, der force de frappe, von nicht zu forschung geschaffen – zwei Jahre vor dende militärische Bedeutung«, die sich unterschätzender Bedeutung. In London der Gründung der ersten Kernforschungs- für von Braun und Dornberger16 zwan- wurde die Beteiligung Frankreichs als für anstalt. Es gehörte damit zu den Luft- zig Jahre zuvor noch als äußerst hilfreich das Unterfangen essentiell bewertet, wie fahrtforschungseinrichtungen, die sich für die Erlangung politischer Unterstüt- auch die Einbindung der Bundesrepublik ab 1953 teils als tradierte Institutionen, zung erwiesen hatten, zeigten nunmehr für ein wirklich europäisches Programm teils als Neugründungen herauszubilden gegenteilige Wirkung. Anfang der 1960er Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen
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