MEHR GEMEINSCHAFT FÜR VIELFÄLTIGE UND ZUKUNFTSFÄHIGE QUARTIERE WAGEN - Beiträge zur IBA_Wien 2022 BAND 24

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MEHR GEMEINSCHAFT FÜR VIELFÄLTIGE UND ZUKUNFTSFÄHIGE QUARTIERE WAGEN - Beiträge zur IBA_Wien 2022 BAND 24
Beiträge zur IBA_Wien 2022 BAND 24

MEHR GEMEINSCHAFT FÜR
VIELFÄLTIGE UND ZUKUNFTSFÄHIGE
QUARTIERE WAGEN
Mirjam Mieschendahl, Beatrice Stude, Lena Schartmüller
MEHR GEMEINSCHAFT FÜR VIELFÄLTIGE UND ZUKUNFTSFÄHIGE QUARTIERE WAGEN - Beiträge zur IBA_Wien 2022 BAND 24
Beiträge zur IBA_Wien 2022 BAND 24
MEHR GEMEINSCHAFT FÜR VIELFÄLTIGE UND ZUKUNFTSFÄHIGE QUARTIERE WAGEN - Beiträge zur IBA_Wien 2022 BAND 24
MEHR GEMEINSCHAFT
FÜR VIELFÄLTIGE
UND ZUKUNFTSFÄHIGE
QUARTIERE WAGEN
MEHR GEMEINSCHAFT FÜR VIELFÄLTIGE UND ZUKUNFTSFÄHIGE QUARTIERE WAGEN - Beiträge zur IBA_Wien 2022 BAND 24
Impressum

Mehr Gemeinschaft für vielfältige und zukunftsfähige Quartiere wagen.
Beiträge zur IBA_Wien 2022

Herausgeberin
IBA_Wien 2022 Neues soziales Wohnen

Verfasser*innen:
Mirjam Mieschendahl, Beatrice Stude, Lena Schartmüller

Covergestaltung
IBA_Wien 2022

Copyright
Das Copyright für die Texte liegt bei den Autor*innen. Das Copyright für
die Abbildungen liegt bei den Fotograf*innen bzw. Inhaber*innen der
Bildrechte. Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagsgrafik: Sandra Högendorfer
Info-Illustrationen: Beatrice Stude
Gestaltung: Jeannine Metz

Im Auftrag der IBA_Wien 2022, MA 50, Wohnbauforschung Wien, 2020

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MEHR GEMEINSCHAFT FÜR VIELFÄLTIGE UND ZUKUNFTSFÄHIGE QUARTIERE WAGEN - Beiträge zur IBA_Wien 2022 BAND 24
INHALTSVERZEICHNIS

EINFÜHRUNG
S. 4

EINZEL - UND KLEINSTUNTERNEHMEN
UND IHRE RÄUME ZUM ARBEITEN
S. 7
Warum kleinteilige Mischnutzung im Quartier?

Wer sind die Einzel- und Kleinstunternehmen?

Einzel- und Kleinstunternehmen zwischen Hoffen und Bangen:
Raum halten oder kündigen?

Warum haben es Frauen schwerer, ihre Räume zum Arbeiten
zu halten oder Räume neu anzumieten?

Shared-Spaces und kommerzielle Co-Working-Spaces
verlieren in der Krise Mieter*innen

LERNEN VON
INNOVATOR*INNEN UND
RAUMANBIETER*INNEN
S. 15
Wie erging es den Wiener Innovator*innen und
Raumanbieter*innen in der Krise?

7 Learnings von den Innovator*innen und Raumanbieter*innen

FAZIT
S. 28
Mehr Gemeinschaft für vielfältige und zukunftsfähige Quartiere wagen

ANHANG
S. 30

                                                                       3
MEHR GEMEINSCHAFT FÜR VIELFÄLTIGE UND ZUKUNFTSFÄHIGE QUARTIERE WAGEN - Beiträge zur IBA_Wien 2022 BAND 24
EINFÜHRUNG
Am 16. März ging Österreich in den Covid-19           massiven Ausdünnen der lokalen Infrastruktur
-bedingten Lockdown. Die Menschen waren               führen, die elementar wichtig für die Menschen
angehalten, in ihren Wohnungen zu bleiben,            und ihre Lebensqualität in einem Quartier ist.
soziale Kontakte zu reduzieren und die lokale
Wirtschaft stand von da an über mehrere Wochen        Wir rechneten damit, dass kleinteilig genutzte
still.                                                Gewerbeflächen als erstes gekündigt werden, da die
                                                      Einzel- und Kleinstunternehmen ihre Fixkosten aus
Besonders betroffen von den wirtschaftlichen          Mangel an Rücklagen schnell verringern müssten.
Folgen der Covid-19-Maßnahmen, waren die              Unsere Schlussfolgerung war, dass ein steigender
Einzel- und Kleinstunternehmen sowie die Künst-       Leerstand in Wien das sichtbarste Zeichen dafür
ler*innen und Kulturschaffenden. Viele von ihnen      werden wird, dass sich die Alltagsökonomie in
konnten in den letzten Jahren keine Rücklagen         den Stadtteilen zurückbildet. Die Folgen: Weniger
bilden, um Wochen oder Monate ohne Einnahmen          Nahversorgungsangebote, weniger Dienstleis-
zu überbrücken. Die prekäre Lage vieler Selbststän-   tungen, weniger Kultur und Gastronomie und alles
diger wurde in der Krise deutlich sichtbar. Und:      in allem weniger soziale Knotenpunkte, die so
Zum ersten Mal bekam auch die breitere Öffent-        wichtig für das Miteinander in einem Quartier und
lichkeit in Wien eine Vorstellung davon, wie es       damit für die Stadt sind.
wäre, wenn es keine Nahversorgung im Umfeld
gibt. Das führte dazu, dass für eine kurze Zeit die   Die Auswirkungen der Krise auf Stadtteil-
lokalen Akteur*innen im Mittelpunkt standen           ebene und zukünftige Quartiersentwicklung
und zahlreiche Projekte (Gutschein-Plattformen,       festhalten
Crowdfunding-Angebote, Händlerverzeichnisse
                                                      Um festzuhalten, wie es den Mieter*innen von
etc.) aus dem Boden gestampft, staatliche Unter-
                                                      kleinen Gewerbeflächen geht, starteten wir am 6.
stützungspakete geschnürt und Kampagnen à la
                                                      April die erste Umfrage zum Thema und fragten,
Kauf lokal ausgerollt wurden (z. B.: gemeinsam-
                                                      ob die Mieter*innen beabsichtigen, ihre Gewerbe-
schaffenwirdas.at (Gerlinde Schmid Communica-
                                                      flächen zu halten oder zu kündigen (morgenjungs
tions GmbH 2020) oder „Nunus Ladenliste für den
                                                      GmbH 2020a).
heimischen Handel” (Kaller 2020)).

                                                      Wir hofften, damit einen Indikator zu bekommen,
Diese Wertschätzung war für viele Akteur*innen
                                                      wann und wie die Krise bei den Einzel- und
vollkommen neu. Mit der Wiedereröffnung der
                                                      Kleinstunternehmen ankommt. Wir suchten nach
Geschäfte und der Gastronomie verschwand das
                                                      Anhaltspunkten, wie man abseits von finanzieller
allgemeine Interesse jedoch wieder. Die Folgen der
                                                      staatlicher Unterstützung die Situation stabili-
Pandemie auf unsere lokalen Strukturen waren zu
                                                      sieren könnte. Alle 2 Monate wiederholten wir die
diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar.
                                                      Umfrage, im Laufe des Corona Jahres 2020 wurden
                                                      4 Umfragen durchgeführt. Die Umfragen sind nicht
Das Team hinter imGrätzl.at hatte sich zu diesem
                                                      repräsentativ, aber vermitteln ein Stimmungsbild,
Zeitpunkt bereits mehrere Jahre mit den Arbeits-
                                                      wie es den Einzel- und Kleinstunternehmen und
und Lebensrealitäten von Einzel- und Kleinst-
                                                      anderen lokalen Akteur*innen mit ihren Räumen
unternehmen in Wien beschäftigt. Durch unsere
                                                      zum Arbeiten erging.
Arbeit wussten wir, dass die kleinteilige lokale
Wirtschaft fragiler ist, als es der Allgemeinheit
                                                      Gleichzeitig beobachteten wir, dass in der Krise
bewusst war. Globalisierung, Digitalisierung und
                                                      Qualitäten sichtbar wurden, die wir so nicht
der Strukturwandel hatten die Einzel- und
                                                      erwartet hatten. Den ersten Hinweis darauf
Kleinstunternehmen in den letzten Jahren bereits
                                                      bekamen wir bei einer eigenen Aktion auf unserer
vor große Herausforderungen gestellt. Wir
                                                      Plattform imGrätzl.at. Am 18. März riefen wir zu
befürchteten: Die Krise könnte nun zu einem

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Selbstständige für Selbstständige auf (morgenjungs    Was uns besonders wichtig ist: Ein ganzer Abschnitt
GmbH 2020b). Die Idee war, dass Selbstständige        in diesem Papier dreht sich um selbstständig
andere Selbstständige in Wien mit kostenlosen         tätige Frauen. Er liefert Anregungen, wie diese in
online Beratungen dabei unterstützen, in der Krise    Zukunft noch stärker mit Räumen zum Arbeiten
handlungsfähig zu bleiben. Wir rechneten damit,       und flexiblen Mietmodellen unterstützt werden
dass sich einige wenige Freiwillige melden würden.    können, damit sie eine bessere Ausgangsbasis
Das Überraschende war: Innerhalb kürzester Zeit       für ihre unternehmerische Tätigkeit bekommen.
versammelten sich knapp 300 Selbstständige, die       Frauen mussten in der Krise als erstes und dazu
über 2.000 kostenlose Beratungsstunden,               doppelt zurückstecken, da viele zusätzliche Betreu-
u. a. in den Bereichen Marketing, Digitalisierung,    ungspflichten übernommen haben. Das bestätigte
Finanzen, Recht, Coaching und Wohlbefinden, zur       eine unserer Umfragen, die wir speziell zu diesem
Verfügung stellten. Damit unterstützten sie über      Thema durchgeführt haben.
500 Unternehmer*innen. Die Aktion lief 6 Monate.
                                                      Um die Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit von
Was war da passiert? Ist es möglich, dass lokale      selbstständigen Frauen zu verbessern, kann eine
Netzwerke und Communitys entgegen der                 Stadt nichts Wichtigeres tun, als für sie gleich-
landläufigen Meinung gar kein Feelgood-Luxus          wertige Rahmenbedingungen bereit zu stellen und
für gute Zeiten sind, sondern ihren Wert erst so      sie zu ermächtigen – auch wirtschaftlich. Wenn es
richtig in Krisen und schwierigen Situationen         einer Gesellschaft nicht gelingt, Frauen gerecht zu
zeigen?                                               behandeln, wird diese Gesellschaft in der nächsten
                                                      Krise oder bei der nächsten Innovationswelle zu
Wir wollten herausfinden, ob wir es mit einem         den Verlierer*innen gehören.
Einzelphänomen zu tun hatten oder, ob andere
Menschen ebenfalls positive Community-Effekte         Die Studie des Weltwirtschaftsforums (WEF)
in der Krise beobachtet hatten. Uns interessierte,    untersucht in 149 Ländern die Gleichberech-
ob es vielleicht noch weitere Instrumente gab, die    tigung von Männern und Frauen. Für 2019 zeigt
sich in der Krise bewährt hatten und die eingesetzt   der „Global Gender Gap Index“ an, dass Österreich
werden können, um kleinteilige lokale Wirtschafts-    im Bereich Gleichberechtigung in der Wirtschaft
strukturen zu stärken bzw. neu aufzubauen.            weit hinten liegt. Generell steht Österreich bei der
                                                      wirtschaftlichen Partizipation von Frauen weltweit
Wir starteten unsere Spurensuche bei denjenigen,      nur auf Rang 86, bei der Lohnschere - Bezahlung
die Einzel- und Kleinstunternehmen im größerem        für gleiche Arbeit - landet Österreich sogar nur
Umfang Raum geben und, die dafür bekannt sind         auf dem 108. Platz. Auch bei der Gesundheit von
innovative Wege zu gehen. Wie sind die Rauman-        Frauen liegt Österreich nur an 82. Stelle (World
bieter*innen durch die Krise gekommen? Welche         Economic Forum 2019).
Learnings können sie uns mitgeben?
                                                      Ziel des vorliegenden Arbeitspapiers ist es,
Wir haben dafür IBA_Wien-Projekte befragt, die        aufzuzeigen, welche Instrumente und Lösungen
Innovationen für die Zukunft des sozialen Wohnens     Innovator*innen und Pionier*innen in der Krise
in neuen Stadtentwicklungsgebieten umsetzen           entwickelt und eingesetzt haben, um Mieter*innen
und die Macher*innen hinter den ältesten Co-Wor-      von Gewerbeflächen oder von Räumen zum
king-Spaces in Wien. Wir haben mit Betrei-            Arbeiten zu halten. Wir gehen der Frage nach,
ber*innen von neuen Spaces gesprochen, aber auch      was wir daraus für die Zukunft lernen können, um
mit Baugruppen, die im Erdgeschoss kleinteilige       Quartiere nachhaltig zu beleben und kleinteilige
Gewerbeflächen umgesetzt haben. Wichtiger             Mischnutzung in Stadtteilen zu bewahren. Diese
Input kam auch vom Flächenmanagement in neuen         Instrumente können dabei helfen, Strukturen der
Stadtteilen und von Akteur*innen im Themenfeld        Alltagsökonomie in neuen Stadtteilen aufzubauen
soziale Nachhaltigkeit.                               und sie dabei von Anfang an mit zusätzlicher
                                                      Widerstandskraft zu versehen.

                                                                                                        5
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Für wen ist das Arbeitspapier gedacht?                Mit wem haben wir gesprochen?
                                                      (Siehe S. 30)
Für alle, die sich lebendige Stadtteile und eine
hohe Lebensqualität in einer Stadt wünschen.          ▶ Alexander Kopecek, Vorstand der Wien 3420
Für Menschen aus Politik und der Verwaltung,            Aspern Development AG und Geschäftsführer
für Aktivist*innen, Stadtplaner*innen, Bauträ-          der Aspern Einkaufsstraßen GmbH / Seestadt
ger*innen, für Raumanbieter*innen, für Vermie-          Aspern
ter*innen und für die lokalen Akteur*innen selbst.
                                                      ▶ Daniela S. Fiedler, Projektleitung und
Welche Themen werden nicht behandelt?                   Vorstandsmitglied wohnbund:consult, MIO
                                                        Gewerbecluster
Die Folgen der Krise auf die größeren Gewerbe-
und Büroflächen haben wir ausgespart. Wir gehen       ▶ Gernot Tscherteu, Gründer und Geschäftsführer,
auch nicht näher auf die staatlichen finanziellen       Realitylab
Unterstützungspakete für Einzelunternehmen und
Selbstständige ein, da eine seriöse Bewertung zu      ▶ Michael Pöll, Gründer, Betreiber und
diesem Zeitpunkt noch nicht möglich war.                Hausmeister, Rochuspark

                                                      ▶ Monika Witzany, Musikerin, Bewohnerin und
Um welche Arten von Räumen geht es?                     Delegierte der AG Veranstaltungen, Raumver-
Ob im Hinterhof im 1. Stock oder im Geschäfts-          mietung, Kunst&Kultur, Gleis 21
lokal im Erdgeschoss: Überall dort, wo Menschen
                                                      ▶ Nicole Lieger, Präsidentin, Markhof
außerhalb ihrer Wohnung tätig sind, um Dinge
zu erschaffen, Vorhaben umzusetzen und ihre           ▶ Patricia Ziegler, Gründerin und Geschäftsfüh-
Arbeit verrichten, sind für uns Orte, die wir unter     rerin von The Nest
den Begriffen Gewerbeflächen und Räume zum
Arbeiten zusammenfassen – unabhängig von              ▶ Peter Rippl, Initiator und Vorstandsmitglied,
der Rechtsform der Tätigen und der ursprünglich         die Hauswirtschaft
zugewiesenen Nutzungskategorie.
                                                      ▶ Roland Hemedinger, Vorstandsvorsitzender des
                                                        Vereins Paradocks, Betreiber von Das Packhaus

                                                      ▶ Stefan Yazzie Herbert, Mitgründer und
                                                        Geschäftsführer, House of Bandits

Abb. 1: Überblick über den Projektablauf

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EINZEL- & KLEINSTUNTERNEHMEN
UND IHRE RÄUME ZUM ARBEITEN

Warum kleinteilige Mischnutzung im Quartier?

Die ökologischen Anforderungen an unsere Städte       sterben wird und es letztlich kein Gegenmittel
verändern sich massiv und Infrastrukturen gelangen    gibt. Ansonsten wird weiterhin Geld in Strukturen
an ihre Kapazitätsgrenzen. Das hat Einfluss auf die   gesteckt, die ein Ablaufdatum haben. Geld, das
Stadtplanung. Eine stärker nutzungsgemischte          woanders besser aufgehoben wäre.
Stadt oder ein gemischtes Quartier ermöglichen
eine Stadt der kurzen Wege und damit auch einen       Indem neue Nutzungen den Weg in das
Abschied von der autogerechten Stadt, die nicht       Erdgeschoss finden, können Quartiere und Stadt-
mehr zukunftsfähig ist. Eine Stadt der kurzen Wege    teilzentren davon unabhängig neu belebt werden.
bedeuten auch eine Auflösung der räumlichen
Trennung der Funktionen: Arbeiten, Wohnen,            Wir haben in diesem Papier das Mikroskop
Produktion und Versorgen.                             deshalb noch ein wenig schärfer eingestellt und
                                                      Raumanbieter*innen befragt, die auf ihren Flächen
Für zukunftsfähige Quartiere werden immer             Konzepte mit einem Nutzungsmix realisieren. Auf
wieder folgende Aspekte genannt:                      kleinstem Raum wird sozusagen das nutzungs-
                                                      gemischte Quartier und das Miteinander erprobt.
▶ Wohnen für unterschiedlichste Nutzer*innen-
                                                      Zugegeben, ein vielleicht etwas ungewöhnlicher
  gruppen
                                                      Ansatz, aber was in der kleinsten Einheit passiert,
▶ Aktive, multi- und intermodale Mobilität            ist auch immer ein Spiegel des großen Ganzen.
                                                      Unser Interesse gilt denjenigen Akteur*innen, die
▶ Urbane Arbeitswelten und Versorgungs-               die tragenden Säulen für eine funktionierende,
  konzepte                                            kleinteiligen Nutzungsmischung im Quartier
                                                      sind: Einzel- und Kleinstunternehmen, Kunst- und
▶ Soziale Treffpunkte, Kultur- und Freizeit-          Kulturschaffende und andere lokale Macher*innen.
  angebote

▶ Freiraumqualität, Grün, Klimaanpassung

Angesichts der sinkenden Bedeutung des Einzel-
handels können andere Nutzungen und ihre
Akteur*innen einen wesentlichen Beitrag leisten,
um die Nutzungsvielfalt in den Quartieren
anzureichern und zu stabilisieren. Denn die
klassische Einkaufsstraße ist kein Zukunftsmodell.
Ja, der Einzelhandel gehört auch in die Stadtteil-
zentren, aber es wird zukünftig deutlich weniger
Händler*innen geben. Diese Entwicklung wurde
durch die Krise stark beschleunigt. Es ist wichtig,
zu begreifen, dass der Einzelhandel zu großen
Teilen in den Innenstädten und Stadtteilzentren

                                                                                                       7
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Wer sind die Einzel- und
Kleinstunternehmen?

Die Kleinstunternehmen sind statistisch nicht im               ständig Erwerbstätigen 11.637 Euro, wobei Frauen
selben Umfang wie die Einzelunternehmen erfasst.               7.893 Euro erzielten und Männer 15.637 Euro. Die
Deswegen konzentrieren wir uns in diesem Teil auf              Einkünfte sind je nach Branche, Mehrfachbe-
die Einzelunternehmen, die auch zahlenmäßig                    schäftigung und Geschlecht sehr unterschiedlich
die verbreitetste Unternehmensform in Österreich               (Rechnungshof 2018).
sind. 2018 waren mit 316.000 rund 60 % aller
bestehenden Unternehmen in Österreich Einzel-                  Einzelunternehmen, auch Einpersonenunter-
unternehmen (Oschischnig 2019).                                nehmen (EPU) genannt, sind im Vergleich zu
                                                               Arbeitgeber*innenbetrieben jünger, häufiger
Einzelunternehmen sind eine heterogene, sich                   weiblich und besser gebildet (Schartmüller 2020).
stetig verändernde, aber laufend wachsende
Gruppe: Die Anzahl der Einzelunternehmen ist von               In Wien sind rund 40 % der EPU weiblich. Unter
2014 bis 2018 um knapp 37.000 gestiegen (Riedl                 den Unternehmensneugründungen wächst der
2019) – das entspricht einem Wachstum von                      Frauenanteil stetig – 2017 wurden 45 % aller
13,5 %. Aus dem Einkommensbericht 2018 des                     Unternehmen von Frauen gegründet (Grabner
Rechnungshofes wird deutlich, dass viele Selbst-               2018). Auch deshalb rücken wir bei unserer Arbeit
ständige schon vor der Krise am Existenzminimum                selbstständig tätige Frauen besonders in den Fokus
lebten. Insgesamt betrugen die mittleren Jahres-               (siehe S. 12).
einkünfte (vor Steuer) der ausschließlich selbst-

         Abb. 2: Branchen und Entwicklung der Anzahl der Einpersonenunternehmen (Riedl 2019)

8
Einzel- & Kleinstunternehmen zwischen Hoffen
und Bangen: Raum halten oder kündigen?

„Da wir gerade sozusagen „ums Überleben                           bei 276 m² liegt (Schartmüller 2020), gaben bei
kämpfen“ (dramatisch formuliert, aber ja, ist                     unseren Umfragen rund drei Viertel der Teilneh-
auch dramatisch – all meine Ersparnisse und                       mer*innen an, weniger als 100 m² zu nutzen.
drei Jahre Energie und Herzblut stecken da drin
und ich möcht einfach nicht, dass das Zentrum                     Praxisgemeinschaften sind weit verbreitet, ebenso
verloren geht!)”                                                  geteilte Studios oder Bürogemeinschaften.
— eine Raumteilerin im August 2020 per E-Mail                     Zusätzlich zur finanziellen Komponente bieten
                                                                  diese Orte Möglichkeiten für den im Home-Office
Damit ist die Zwickmühle gut beschrieben, in                      vermissten Austausch bzw. Auswege aus der
der viele Einzel- und Kleinstunternehmen mit                      sozialen Isolation oder der intensiven häuslichen
angemieteten Arbeitsräumen und Gewerbe-                           (Familien-) Situation. Sie bieten weiters Zugang zu
flächen während der Krise stecken: Raum behalten                  benötigter Infrastruktur z. B. Equipment wie etwa
oder kündigen? Viele können mit ihrer Tätigkeit                   Massageliegen, Yogamatten oder professionelle
nicht einfach ins Home-Office wechseln, ein                       Drucker, Beamer, Scanner, aber auch Werkzeug und
Aufkündigen des Raumes kommt (zunächst) einer                     Maschinen. Diese Strukturen aufzubauen, kostet
Betriebsaufgabe gleich, wenn kein anderer Raum                    Zeit und Energie. Wenn diese Räume aufgegeben
gefunden wird. Einerseits kann die Miete kaum                     werden, verliert der Stadtteil damit auch kleine
aufgebracht werden, andererseits wurde in das                     Kooperationskraftwerke. Mit dem Wegfall dieser
Aktivieren der Räume so viel Energie gesteckt,                    Gemeinschaften wird der soziale Kitt im Stadtteil
dass Kündigen der letzte Ausweg ist. Man darf                     dünner. Mit dem Wegfall des Raumes bricht
nicht vergessen, dass das Aktivieren einer Gewer-                 speziell für die beteiligten Einzelunternehmen ihr
befläche besonders für die Einzelunternehmen                      unmittelbares Netzwerk zusammen. Wenn der
ein immenser Kraftakt ist: Renovierungskosten                     Raum erst einmal weg ist, braucht es entweder
und eventuelle Maklerprovisionen sind eine große                  schnell eine Alternative oder aber die selbst-
finanzielle Hürde, wenn man zu den Wenigver-                      ständige Tätigkeit kann nicht mehr ausgeübt
diener*innen gehört. In diesem Segment werden                     werden. Unsere erste Umfrage im April ergab, dass
Räume vielfach mit anderen Mieter*innen geteilt,                  87 % der Umfrageteilnehmer*innen ihrer Tätigkeit
weil die angebotenen Flächen zu groß und damit                    nicht im Home-Office nachgehen können.
zu teuer für die Einzelunternehmer*innen sind.
Während die durchschnittlich nachgefragte Fläche

            Ø Gewerbeflächen-Angebot                                         3/4 der EPU benötigen

                    Ø                       Ø                                              Ø
               15 €/m²                 276 m²                                           < 100 m²

                    4.140 € pro Monat

Abb. 3: Gegenüberstellung der durchschnittlichen angebotenen und nachgefragten Fläche

                                                                                                                   9
Für viele Einzel- und Kleinstunternehmen ist ihre       Einnahmen ja/nein?
Gewerbefläche ihre Existenzgrundlage – nur mit
dieser Fläche können sie weiterhin selbstständig        Bei der ersten Umfrage im April 2020 sah die
tätig sein und Einnahmen generieren. Deshalb ist        Situation noch folgendermaßen aus:
es wichtig, die Flächen zu halten, damit sie ihre
                                                        ▶ 46 % der Umfrageteilnehmer*innen geben an,
Tätigkeit weiterführen können.
                                                          dass sie seit den Covid-19-Maßnahmen keine
                                                          Einnahmen mehr haben.
Wie wackelig die Situation bereits nach vier
Wochen Lockdown war, hat uns die erste Umfrage          ▶ 40 % geben an, dass sie seit den Covid-19-
gezeigt: 26 % der 120 Umfrageteilnehmer*innen             Maßnahmen weniger Einnahmen haben.
hatten angegeben, dass sie ihre angemieteten
Gewerbeflächen planen zu kündigen oder dies             ▶ 6 % geben an, dass sie keine Umsatzeinbußen
schon getan hatten. 74 % der Umfrageteilneh-              haben.
mer*innen versuchen ihre Gewerbefläche bzw.
ihren Raum zum Arbeiten zu halten.                      Im November 2020 sieht die Einnahmesituation
                                                        bei den Umfrageteilnehmer*innen besser aus:
Die letzte Umfrage führten wir im November
2020 während des zweiten Lockdowns durch. 132           ▶ Nur noch 12,9 % der Umfrageteilneh-
Mieter*innen von Gewerbeflächen oder Räumen               mer*innen geben an, dass sie seit den Covid-19-
zum Arbeiten nahmen teil.                                 Maßnahmen gar keine Einnahmen mehr haben.
73,5 % der Umfrageteilnehmer*innen möchten
                                                        ▶ 69,7 % geben an, dass sie seit den Covid-19-
ihre Gewerbefläche halten, 26,5 % planen ihre
                                                          Maßnahmen weniger Einnahmen haben.
Fläche zu kündigen oder haben dies schon getan.
                                                        ▶ 12,9 % geben an, dass sie keine Umsatzein-
Damit entsprechen die Werte fast exakt denen              bußen haben.
aus der ersten Umfrage im April. Das hat uns
überrascht. Das imGrätzl-Team hatte damit
                                                        Wir fragten auch ab, ob die staatlichen
gerechnet, dass der Anteil an Gewerbeflächen, die
                                                        Covid-19-Unterstützungsmaßnahmen greifen?
weiterhin gehalten werden können, diesmal höher
liegt, weil mittlerweile die staatlichen finanziellen   Im April bei der ersten Umfrage hatten die Um-
Unterstützungsmaßnahmen greifen müssten.                frageteilnehmer*innen folgende Angaben dazu
                                                        gemacht:
Tatsächlich werden aber auch die Mieten nach
                                                        ▶ 60 % haben finanzielle Unterstützung aus dem
wie vor in einem höheren Ausmaß über eigene
                                                          Covid-19-Maßnahmenpaket beantragt.
Rücklagen finanziert, wie die Antworten im
November auf die Frage zeigen:                          ▶ 40 % haben das nicht getan.
▶ 27 % geben an, dass sie die Miete durch ihre
                                                        ▶ 42 % derjenigen, die finanzielle Unterstützung
  Einnahmen decken können.
                                                          aus dem Covid-19-Maßnahmenpaket beantragt
▶ 23 % greifen zu ihren eigenen Rücklagen, um die         und bereits bekommen haben, sagen, dass es
  Miete zu finanzieren.                                   weniger ist, als sie benötigen.

▶ 21 % decken die Miete mit Hilfe der staatlichen       Bei der vierten Umfrage im November sieht die
  finanziellen Unterstützungsmaßnahmen.                 Situation so aus:
▶ 8 % geben an, dass sie die Räume derzeit über         ▶ 62,9 % haben finanzielle Unterstützung aus
  eine Untervermietung halten können.                     dem Covid-19-Maßnahmenpaket beantragt.

                                                        ▶ 37,1 % haben keine finanzielle Unterstützung
                                                          beantragt.

10
Diejenigen Umfrageteilnehmer*innen,                   Mietreduktion nach dem ABGB rechtens ist und in
die finanzielle Unterstützung aus dem                 welcher Höhe diese ausfallen muss (ABGB §1096,
Covid-19-Maßnahmenpaket beantragt haben,              §1104, §1105). Die Vermieter*innen vor Gericht zu
geben an:                                             treffen, ist keine angenehme Situation. Zudem ist
                                                      in dieser angespannten Situation kaum Energie
▶ 44,6 %, dass es weniger ist, als sie benötigen.
                                                      vorhanden, einen weiteren Schauplatz zu eröffnen.
▶ 37,6 %, dass sie Unterstützung in ausreichender     Deshalb wurden viele Mieten hauptsächlich aus
  Höhe erhalten haben.                                eigenen Rücklagen (30 %) beglichen, die dann aber
                                                      in Zukunft fehlen, wenn Kund*innen weiterhin
▶ 17,8 %, dass sie eine Ablehnung und keine           ausbleiben und weitere Monate überbrückt werden
  Unterstützung bekommen haben.                       müssen. Die Mieter*innen beklagten, dass eine
                                                      offizielle, belastbare Regelung für Mieter*innen
Viele Kündigungen gehen mit der Abnahme oder          und Vermieter*innen fehlt.
dem Wegfall der Einnahmen einher. Zu den Folgen
der Covid-19-Maßnahmen auf die finanzielle
Situation der Selbstständigen in Österreich           Was würde helfen, um die Gewerbeflächen in der
wurden mehrere Befragungen durchgeführt und           Krise halten zu können?
diese kamen alle zum selben Schluss: „Besonders
hart getroffen von den Maßnahmen gegen das            Folgende Punkte haben die
Coronavirus sind laut Befragung von 1.200 in          Umfrageteilnehmer*innen angegeben:
Österreich lebenden Erwachsenen die Selbst-
ständigen. In dieser Gruppe haben gut zwei Drittel    ▶ Staatliche finanzielle Unterstützung speziell
(68,5 %) weniger Einkommen als vor der Krise. [...]     für die Mietzinskosten der Gewerbeflächen und
Betroffene Selbstständige haben im Schnitt fast         Räume zum Arbeiten – neben und zusätzlich zu
1.100 Euro (43 % ihres Einkommens) weniger zur          den Lebenshaltungskosten (Wohnungsmiete,
Verfügung, Angestellte gut 600 Euro. Auch haben         Essen einkaufen)
Haushalte mit Kindern überdurchschnittlich viel
verloren (gut 800 Euro), Single-Haushalte (unter      ▶ Klare Richtlinien für Vermieter*innen zur
500 Euro) deutlich weniger.” (APA 2020).                Mietzinsreduktion

                                                      ▶ Genehmigung von Untervermietung der Räume
Aus unseren Umfragen wurde auch deutlich, dass          als Chance für die Mieter*innen (Raum teilen =
sich die Kommunikation mit den Vermieter*innen          Kosten teilen)
häufig schwierig gestaltete: 25 % der Umfrageteil-
nehmer*innen haben es versucht, aber konnten          ▶ Mietstundungen sind keine Lösung, weil es
keine Vereinbarung mit ihren Vermieter*innen            die prekäre Situation zeitlich nur nach hinten
über eine Mietreduktion bzw. Mietstundung               verschiebt
treffen – ihre Anfrage wurde abgelehnt. 26 % der
Umfrageteilnehmer*innen konnten mit ihren             ▶ Planbarkeit, wann es wie weitergehen kann,
Vermieter*innen eine Mietreduktion vereinbaren          z. B. verlässliche, klare Rahmenbedingungen
und 7 % eine Mietstundung. 42 % fragten nicht um        für Veranstaltungen
eine Mietreduktion an.

Vielen war nicht klar, wer berechtigt ist eine
Mietreduktion einzufordern. Denn in letzter
Konsequenz muss jeder Fall vor Gericht gebracht
werden, damit geprüft werden kann, ob eine

                                                                                                         11
Warum haben es Frauen schwerer, ihre Räume
zum Arbeiten zu halten oder Räume neu anzumieten?

Diese Frage wird anhand eines Beispiels, das genau      der Ferienzeit die Kinder weiter beaufsichtigt. Die
so passiert sein könnte, beantwortet. Barbara           Nachfrage nach Foto-Shootings war zu diesem
heißt in Wirklichkeit nicht so und es gibt nicht nur    Zeitpunkt auch noch nicht wieder angesprungen.
eine Barbara. Dieses Beispiel wurde aus verschie-       Durch die Kinderbetreuung und Hausarbeit hatte
denen Geschichten zusammengetragen und steht            Barbara auch keine Zeit, den Kontakt zu poten-
exemplarisch für die Lebens- und Arbeitsrealitäten      ziellen Kund*innen wieder aufzunehmen oder in
selbstständig tätiger Frauen.                           Marketing zu investieren.

Dürfen wir vorstellen: Barbara, Fotografin              Ende September kündigte sie dann die Nachmittage
                                                        im Foto-Studio. Ihr fehlte es an Planungssicherheit
Eigentlich dachte Barbara immer alles richtig
                                                        und das Studio produzierte laufend Kosten.
gemacht zu haben: Studium der BWL, postuniver-
                                                        Außerdem war in der unsicheren Lage klar, dass
sitäre Weiterbildungen, um neben dem kaufmän-
                                                        ihr Mann und sein Vollzeitjob Vorrang hatten. Er
nischen Wissen auch in anderen Bereichen fit zu
                                                        kann mit seinem Gehalt zur Not die Familie alleine
werden. 15 Jahre arbeitete sie sich hoch. Als hoch-
                                                        durchbringen, Barbara nicht.
bezahlte Controllerin eines Verlagshauses leitete
sie ein Team von drei Leuten – bis sie Mutter von
                                                        Für Barbara ist das alles sehr schmerzhaft, speziell
zwei Kindern wurde: Heute steht auf Barbaras Vi-
                                                        auch der Verlust des Studios, denn für sie war das
sitenkarte nicht mehr „Abteilungsleiterin”, sondern
                                                        Studio das sichtbare Zeichen für den Erfolg ihrer
„Fotografin”.
                                                        Selbstständigkeit. Nun hat sie das Gefühl, dass die
                                                        3 Jahre Aufbauarbeit umsonst waren.
Nach der Elternkarenz wollte sie nicht zurück ins
Unternehmen, u. a. weil es an flexiblen Arbeits-
                                                        So wie Barbara erging es vielen selbstständig
zeitmodellen fehlte. Eine vergleichbare Stelle
                                                        tätigen Frauen mit ihren angemieteten Räumen
fand sie nicht mehr. Sie entschloss sich deshalb
                                                        zum Arbeiten.
für die Selbstständigkeit. Ihr Vater hatte Barbara
sehr früh mit seiner Leidenschaft für das Fotogra-
                                                        Die Stimmen aus unserer Umfrage speziell unter
fieren begeistert. Sie hatte Talent, aber es war ein
                                                        Mieterinnen bestätigen das:
beruflicher Traum, der für die Realität zu unsicher
erschien. Durch die neue Situation und nach             ▶ „Meine Ausstellungen sind abgesagt und die
mehreren Aus- bzw. Weiterbildungen fühlte sie             Kinderbetreuung zieht Arbeitszeit von der
sich für den Schritt in die Selbstständigkeit bereit.     Produktion ab.“

Mittlerweile ist sie im dritten Jahr als Fotografin     ▶ „Ich muss meine Rücklagen einsetzen zum
selbstständig tätig. Vorm ersten Lockdown lief            Büroraum halten, während ich daheim arbeite
es für Barbara beruflich immer besser, jedes Jahr         und die Kinder betreue.“
nahmen die Kund*innen und Aufträge zu. Um
                                                        ▶ „In meiner Branche gab es einen totalen
ihre Aufträge abzuwickeln, hat sie sich für drei
                                                          Einbruch, daher muss ich mich neu orientieren
Halbtage in ein Foto-Studio eingemietet. Während
                                                          und andere Möglichkeiten finden.“
des ersten Lockdowns kümmert sich Barbara
dann aber hauptsächlich um die Kinder und den
Haushalt, da ihr Mann nicht in Kurzarbeit war
und im Home-Office seine Ruhe brauchte. Im Juli
konnte Barbaras Mann wieder zurück an seinen
Arbeitsplatz. Das Paar entschied, dass Barbara in

12
Unser Team hat in den letzten Jahren sehr häufig        dass dieses Ungleichgewicht für Frauen schnell
das Phänomen beobachtet, dass mit dem Schritt           zum Problem wird. Da sie für einen Großteil der
aus dem Home-Office das Selbstbewusstsein und           unbezahlten Tätigkeiten verantwortlich gemacht
das Vertrauen bei den Frauen steigt, dass sie mit       werden, greifen sie öfter auf Teilzeitarbeitsmo-
ihrer unternehmerischen Tätigkeit erfolgreich           delle zurück: 33 % der Einzelunternehmerinnen
sein können. Das unternehmerische Vorhaben              ist in Teilzeit tätig, bei Einzelunternehmern liegt
bekommt dadurch eine neue Ernsthaftigkeit. Die          der Anteil nur bei 11 % (Grabner 2018). Daraus
externen Räume sind ein Zeichen für den Profes-         folgt ein niedriges Einkommen, das wiederum die
sionalisierungsgrad und Erfolg der selbststän-          Anmietung von externen Räumen für Einzelunter-
digen Tätigkeit. Sie machen die Selbstständigkeit       nehmerinnen schwer bis unmöglich macht.
oftmals überhaupt erst sichtbar. Da spielt auch
mit, dass im öffentlichen Diskurs das Arbeiten          Gerade Frauen sind zusätzlich dazu mehrfach
vom Home-Office aus oftmals als besseres Hobby          belastet: Rund 73 % der unternehmerisch
angesehen wird, mit dem sich speziell die Frauen        tätigen Mütter – bei den Vätern sind es nur 11 %
ein Taschengeld dazu verdienen.                         – übernehmen Betreuungspflichten, 42 % fühlen
                                                        sich dadurch beeinträchtigt (Grabner 2018).
Anders als Barbara können sich viele Frauen, selbst     Während der Krise wurde von Frauen noch mehr
wenn sie es wollten, die Miete für einen externen       unbezahlte Sorgearbeit geleistet: In unserer dritten
Raum zum Arbeiten nicht leisten. Weibliche EPU          Umfrage speziell mit selbstständigen Frauen
verfügen über ein Medianeinkommen von 7.893             gaben 43 % an, dass sie zusätzliche Aufgaben im
Euro jährlich – vor Steuern (Rechnungshof 2018).        Haushalt bzw. Pflege- und Betreuungspflichten
Der Gender Pay Gap, die Lücke im Einkommen der          übernommen haben. Das hatte bei 61 % von den 43
Geschlechter, klafft bei den selbstständig Tätigen      % Auswirkungen auf die selbstständige Tätigkeit.
besorgniserregend auseinander. Bereits vor der          Mehr als die Hälfte mussten dadurch
Krise leisteten in Österreich Frauen zwei Drittel der   Einkommenseinbußen beklagen: Die Kündigung
Haus- und Sorgearbeit – unbezahlt. Fakt ist auch,       der angemieteten Räume ist die Folge.

                                                                                                          13
Was kann man tun, um selbstständig tätige             Mietbeihilfen, als Anreiz, die Räume zum Arbeiten
Frauen zu stärken?                                    zu halten. Grundsätzlich sollten Frauen bereits in
                                                      der Gründungsphase, also beim Start ihrer selbst-
Das imGrätzl-Team hat seit 2015 hunderte
                                                      ständigen Tätigkeit, unterstützt werden, damit sie
Einpersonenunternehmen, mehrheitlich Frauen,
                                                      externe Räume zum Arbeiten anmieten und damit
persönlich getroffen und befragt, was die Erfolgs-
                                                      in ein Netzwerk eintauchen können. Dadurch
faktoren und Hürden ihrer Selbstständigkeit sind.
                                                      wäre eine wichtige Voraussetzung geschaffen,
Diejenigen, die externe Räume zur Ausübung
                                                      dass sich die Unternehmen der Frauen erfolgreich
ihrer selbstständigen Tätigkeit genutzt haben,
                                                      entwickeln können.
waren meist viel zufriedener mit ihrer Selbststän-
digkeit als diejenigen, die ihrer Selbstständigkeit
                                                      Essentiell ist, dass sie sich die Räume und
im Home-Office nachgingen. Selbstständige mit
                                                      Netzwerke, denen sie sich anschließen möchten,
eigenen Räumlichkeiten zum Arbeiten waren auch
                                                      am Markt selber aussuchen können. Genauso wie
finanziell erfolgreicher. Die selbstständig tätigen
                                                      es möglich ist, einen Arbeitsplatz im Home-Office
Frauen im Home-Office gaben in den Gesprächen
                                                      abzusetzen, könnte es eine entsprechende
häufig an, dass sie gerne einen externen Raum zum
                                                      Förderung geben: Zum Beispiel einen Zuschuss
Arbeiten anmieten würden, sich ihn aber nicht
                                                      (Raumhunderter) für alle, die externe Räume zum
leisten können, da sie für die Miete nicht mehr als
                                                      Arbeiten anmieten. Das wäre ein zusätzlicher
100 bis 200 Euro aufwenden können.
                                                      finanzieller Anreiz, neben der steuerlichen
                                                      Absetzbarkeit.
Der Zugang zu geeignetem Raum ist ein Schlüssel
zu unternehmerischem Erfolg und mehr Zufrie-
                                                      Eine positive Folge davon könnte sein, dass dadurch
denheit. Deshalb braucht es leistbare Rauman-
                                                      mehr Leerstände aktiviert werden, sich neue
gebote und spezielle Maßnahmen, wie z. B.
                                                      Netzwerke bilden und Stadtteile belebt werden.

Shared-Spaces und kommerzielle Co-Working-Spaces
verlieren in der Krise Mieter*innen
Die Auslastung und Einnahmen der Anbie-               abzusehen ist, wie groß der Schaden wirklich ist,
ter*innen von Co-Working-Spaces, von Arbeits-         die Hoffnung besteht immer noch, dass man mit
plätzen auf Zeit, brachen stellenweise um             einem dunkelblauen Auge davonkommt.” (DPA
50 - 70 % in Deutschland ein.                         2020).

Selbstständigen fehlten die Aufträge, Start-ups       In Österreich gibt es keinen Verband für die Anbie-
hatten Liquiditätsengpässe, Firmen benötigten         ter*innen von Arbeitsplätzen auf Zeit und Daten
für Videokonferenzen im Home-Office keine             werden nicht erhoben, aber diese Erzählung
Besprechungsräume mehr. Events fanden nicht           hörten wir auch in Wien. Es war die Rede von
statt. Bis Anfang des Jahres 2020 boomte das          einzelnen Co-Working-Spaces, die auf einen
Geschäft der klassischen Co-Working-Spaces.           Schlag fast alle ihre Mieter*innen verloren hatten.
Nach dem Corona-Ausbruch ist es laut Tobias           Freie Plätze wurden auf Facebook verlost und
Kollewe, Präsidiumsmitglied im Bundesverband          Schnäppchen-Angebote geschnürt. Das war ein
Co-Working-Spaces Deutschland (BVCS), zu              sichtbares Zeichen dafür, dass sich diese Spaces im
einem „deutlichen Rückgang der Nutzerzahlen“          Krisenmodus befanden.
gekommen (Hoffmann 2020). In einem anderen
Artikel betont er, „dass es derzeit noch nicht

14
LERNEN VON INNOVATOR*INNEN
UND RAUMANBIETER*INNEN

Wie erging es den Wiener Innovator*innen
und Raumanbieter*innen in der Krise?

„Dadurch, dass es unklar war, wie lange das             der Corona Krise stand die alljährliche Verlän-
anhalten wird, dieser ganze Lockdown, da haben          gerung der Zwischennutzung an – die hatte
wir schon die Überlegungen machen müssen:               sich verzögert und der Vermieter packte im Mai
Geben wir das gesamte Gebäude auf?“                     schließlich noch eine Mieterhöhung obendrauf.
— Stefan Yazzie Herbert im Juli 2020, House of          Währenddessen zahlten viele Mieter*innen im
Bandits                                                 April keine Miete – hier gab es viel Klärungs-
                                                        bedarf und zusätzlich musste dann auch noch
Wir waren gespannt, welche Erfahrungen die              die Mieterhöhung an die Mieter*innen weiter-
Raumanbieter*innen in der Krise gemacht hatten          gegeben werden.
und, ob sie Community-Effekte (siehe S. 17) in der    ▶ Gleis 21, das Wohnprojekt, hatte eine große
Krise beobachtet und Lösungen für ihre Heraus-          Gastrofläche im Erdgeschoss leer stehen. Der
forderungen gefunden hatten. Wir führten                neue Veranstaltungsaal war erst Mitte Oktober
Gespräche mit den Macher*innen von House                2019 fertig geworden und die Bespielung des
of Bandits, Markhof, Rochuspark, The Nest, Das          Saals kam gerade richtig ins Laufen – dann
Packhaus und dem Wohnprojekt Gleis 21. Bei dem          wurde alles gestoppt.
Gewerbecluster Mio sprachen wir mit Wohnbund
Consult. Außerdem gab es Gespräche mit Die
Hauswirtschaft, Realitylab und Wien 3420 Aspern       Besonders auffällig war:
Development GmbH. Weitere Informationen zu            ▶ Die Mehrzahl der Projekte hatte nach dem
den Interview- partner*innen befinden sich im           ersten Lockdown weniger als drei Stammmie-
Anhang.                                                 ter*innen oder gar keine verloren. Bei Projekten
                                                        mit bis zu 50 Mieter*innen lag das weit unter
Die Herausforderungen der Innovator*innen in            der durchschnittlichen Anzahl an Kündigungen
der Krise:                                              (Hoffmann 2020). Beim Gewerbecluster Mio
                                                        kündigten z. B. gar keine der Mieter*innen, was
▶ House of Bandits überlegte am Anfang der
                                                        sicher auch an den günstigen Mietpreisen lag.
  Krise, ob sie das vierstöckige Gebäude vielleicht
  ganz aufgeben müssten.                              ▶ Bemerkenswert war auch, dass im Mai und Juni
                                                        fast alle unserer Interviewpartner*innen bereits
▶ Markhof und The Nest hatten vor allem mit
                                                        Lösungen für ihre aktuellen Herausforderungen
  dem Wegfall der Seminar- und Veranstaltungs-
                                                        gefunden hatten. Sie alle waren schnell, agil
  schiene, die einen wichtigen Teil der Einnahmen
                                                        und anpassungsfähig.
  ausmachen, zu kämpfen.
                                                      ▶ Bei der zweiten Fragerunde Ende Oktober stellte
▶ Rochuspark, aber auch andere Projekte, hätte
                                                        sich heraus, dass einige Projekte, trotz der
  sich von den Vermieter*innen bzw. den Eigen-
                                                        Pandemie, in einigen Bereichen sogar Zuwächse
  tümer*innen ein Entgegenkommen gewünscht.
                                                        verzeichnen konnten: The Nest musste zwar
▶ Das Packhaus traf es besonders hart: Kurz vor         auf Einnahmen aus der Veranstaltungsschiene

                                                                                                      15
verzichten und hatte auch die Anzahl der Tische   Mieter*innen zu gewinnen und ihre Projekte in der
     reduziert, aber die Nachfrage aus dem Stadtteil   Krise abzusichern.
     nahm überraschend zu, so dass The Nest nun
     voll ist und eine Warteliste eingeführt hat.      Unsere Hoffnung ist, dass diese Instrumente dabei
     Die Hauswirtschaft konnte seit dem Sommer         helfen, Lösungen zu entwickeln, um bestehende
     acht zusätzliche Mitglieder für die Genossen-     Strukturen der Alltagsökonomie in Quartieren zu
     schaft gewinnen. Bei Mio wurde eine größere       stärken und neue aufzubauen. Gleichzeitig tragen
     Bürofläche von 100 qm erstmalig vermietet,        die Instrumente zur Stärkung der Widerstands-
     gekündigt hat niemand.                            kraft bei.

Wir haben die Beobachtungen und Lösungen der
Innovator*innen in zwei Runden (Juni/Juli und
Oktober 2020) gesammelt und die wichtigsten
Learnings zusammengefasst. Sie zeigen, was ihnen
geholfen hat, ihre Mieter*innen zu halten, neue

                     7 Learnings von den Innovator*innen
                           und Raumanbieter*innen

16
1     Community aufbauen
      und von Anfang an leben
                                                        Kreativschaffende aus angrenzenden Branchen.
                                                        Durch die räumliche Nähe entstehen laufend
                                                        Kooperationen und neue Projekte. Das House of
                                                        Bandits ist nicht nur Raumanbieter, sondern auch
„Aber wir haben Gott sei Dank eine starke               eine offene Kreativ-Agentur: Jobs werden geteilt
Community: Wir haben mit jeder*m Einzelne*n             und Projekte gemeinsam durchgeführt.
gesprochen und [...] Wir haben zwei Communi-
ty-Manager zur Zeit, weil der eine ist quasi am         Wie funktioniert Community-Building?
Gehen und der bildet den anderen aus. Zu zweit
                                                        Nachhaltiges Community-Building steht und
machen sie das beide gerade ziemlich gut.“
                                                        fällt mit den Menschen oder der Gruppe, die
— Stefan Yazzie Herbert im Juli 2020, House of          eine Gemeinschaft bewusst aufbauen möchten.
Bandits                                                 Das ist der erste und wichtigste Schritt. Michael
                                                        Pöll, Gründer vom Rochuspark, sieht seine
Fast alle Interviewpartner*innen kamen von sich aus     Hauptaufgabe darin, dafür zu sorgen, dass alle
auf den Community-Faktor zu sprechen und bekräf-        Mieter*innen angedockt sind und sich als Teil der
tigten, wie wichtig die Gemeinschaft gerade in          Gemeinschaft wahrnehmen. Er selber sieht sich
Krisenzeiten ist. Die Raumanbieter*innen, die Wert      als Kommunikationsschnittstelle. Als menschliche
auf eine Community legen und diese aufgebaut            Matching-Schnittstelle vernetzt er die Menschen
hatten, wurden von ihren Mieter*innen in der Krise      untereinander. Er weiß, wer gerade was braucht bzw.
unterstützt: Auch wenn die Mieter*innen den Platz       wo sich neue Projekte ergeben und wer Interesse
nicht brauchten, kündigten sie ihn nicht. Die Unter-    haben könnte. Die wichtigste Zutat ist Zeit und ein
stützung war aber keine Einbahnstraße, sondern          echtes Interesse am Gegenüber. Funktionierende
erfolgte gegenseitig: Die Raumanbieter*innen            Communitys und nachhaltige Bindungen bilden
unterstützten zum Teil die Mieter*innen, die keine      sich über laufenden Austausch. Gute Communi-
Einnahmen mehr hatten und sich die Miete nicht          ty-Manager*innen sind Gastgeber*innen, die
leisten konnten. Beispielsweise setzten sie die         einen Rahmen für Bindungen zwischen den
Miete herab oder zeitweise aus.                         Mitgliedern schaffen, diese explizit fördern und
                                                        Gemeinschaftserlebnisse ermöglichen.
Die Raumanbieter*innen, die nicht in eine
Community investiert hatten, hatten in der Krise viel   Im House of Bandits gab es in der Krise zwei
stärker zu kämpfen, da die Bindung und Loyalität bei    Community-Manager: Ersterer wollte das Projekt
den Mieter*innen geringer bis gar nicht ausgeprägt      verlassen und bildete zu dieser Zeit den künftigen
war. Das ist vergleichbar mit den Entwicklungen bei     Community-Manager aus. Die Aufgabe: Dafür
den rein kommerziellen Co-Working-Spaces, die           sorgen, dass die Community of Creators in der Krise
mit bis zu 70 % Mieter*innenschwund in der Krise        zusammenhält.
zu kämpfen hatten (Hoffmann 2020). Der Grund:
Mieter*innen, die nicht nur Raum zur Verfügung          Bei Markhof trafen sich Interessierte bereits auf
gestellt bekommen, sondern gleichzeitig in eine         den Baustellen. Viele der Menschen der ersten
Community eingebettet werden, verlieren mit             Stunde sind heute noch in das Projekt Markhof
einer Kündigung nicht nur Raum, sondern auch            involviert bzw. eingemietet. Über die Jahre haben
das soziale Umfeld, Kolleg*innen und teilweise          sich tragfähige Beziehungen aufgebaut, u. a.
auch den Zugang zu Kund*innen, Projekten und            weil die Netzwerke bereits vor Bezug der Räume
Aufträgen: Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes und       geknüpft waren. Das ist auch bei der Hauswirt-
des Netzwerkes können also finanzielle Einbußen         schaft und Gleis 21 der Fall. Beim Gewerbecluster
einhergehen.                                            Mio hat die Prozessbegleitung die Nutzer*innen
                                                        des Erdgeschosses, deren Mieten gestützt werden,
The Nest und House of Bandits haben die                 und die des ersten Obergeschosses, die normale
Möglichkeit einer Zusammenarbeit zwischen ihren         Miete zahlen, als Einheit gesehen. Dadurch konnte
Mieter*innen stark in ihrem Konzept eingewoben:         sich über beide Ebenen eine Community bilden.
The Nest ist Arbeitsraum für Musiker*innen und          Die Haltung und das Agieren der Prozessbe-

                                                                                                         17
gleitung bzw. der Vermieter*innen wirkt und bildet    Andere positive Effekte für das Quartier sind:
Gemeinschaft – à la: Wenn dir jemand oft (genug)
                                                      ▶ Eine aktive Gemeinschaft aus Einzel- und
sagt: Du bist Teil dieser Gemeinschaft, bist du es
                                                        Kleinstunternehmen im Quartier vermittelt
irgendwann!
                                                        Vertrauen, Stabilität und Zusammenhalt.
Die Mehrzahl der Raumanbieter*innen, die wir            Dadurch bleibt das Quartier für lokale Unter-
befragt haben, haben hervorgehoben wie wichtig          nehmer*innen, Bewohner*innen und andere
die Gemeinschaft für die Stabilität des gemeinsam       Akteur*innen attraktiv.
genutzten Ortes war und ist. Zusammenfassend:
Gibt es eine starke Community, gibt es weniger        ▶ Es steigert aber auch die Attraktivität des
Kündigungen. Die Mehrzahl der Mieter*innen              Quartiers nach außen. Eine aktive Community
konnten in der Krise gehalten werden. Das sichert       macht das Quartier anziehend, es ist lebendiger
wiederum den wirtschaftlichen Fortbestand der           und wird dadurch auch in der Außenwahr-
Räume zum Arbeiten.                                     nehmung präsenter.

                                                      ▶ Die Vernetzung eröffnet Kooperationspoten-
Welche Vorteile kann der Aufbau einer
                                                        ziale für die Mitglieder der Community: Es
Community für ein Quartier haben?
                                                        ergeben sich (gemeinsame) Aufträge, neue
Wirtschaftlich gesehen, entspricht das Commu-           Chancen und neue Projekte, aber auch Räume
nity-Management dem Aufbau und der Pflege               und neue Raumpartner*innen.
der Kundenbindung. Aus anderen Branchen weiß
man, wie ineffektiv es ist, wenn man nur Mittel       ▶ Eine Community ermöglicht nachhaltige und
zur Neukundengewinnung (in dem Fall: Mieter-            wechselseitige Unterstützung.
gewinnung) einsetzt, aber die Kundenbindung           ▶ Es entstehen dichtere Netze der Solidarität in
vernachlässigt. Die gängige Faustregel: Es kostet       den Vierteln. Das soziale Kapital im Stadtteil
rund fünfmal so viel, eine*n neue*n Kund*in zu          nimmt zu und der Spaltung der Gesellschaft
gewinnen, als eine*n bestehende*n Kund*in zu            wird entgegengewirkt.
halten.
Ein Community-Management für die Einzel-
                                                      Denn unsere Beobachtung bislang ist: Die Selbst-
und Kleinstunternehmen und andere lokale
                                                      ständigen, Einzel- und Kleinstunternehmen
Akteur*innen in einem Stadtteil zu installieren,
                                                      speziell im Bestand sind sehr wenig untereinander
ist so gesehen wirtschaftlich überaus sinnvoll.
                                                      vernetzt. Es fehlt ihnen an Kontakten mit Gleich-
Es gibt weniger Fluktuation, weniger Leerstand,
                                                      gesinnten im nahen lokalen Umfeld. Die lokalen
mehr Angebote, die Attraktivität steigt und es
                                                      Akteur*innen haben nicht die Ressourcen und es
müssen weniger Mittel zur Neugewinnung von
                                                      fehlt der Rahmen, um Kontakte zunächst ziellos
Mieter*innen eingesetzt werden. Es ist mit dem
                                                      aufzubauen und zu pflegen. Sie sind es außerdem
Fortschreiten der Digitalisierung effizienter, ein
                                                      gewöhnt, sich als Einzelkämpfer*innen den
Community-Management für ein Quartier als nur
                                                      Herausforderungen zu stellen – dadurch bleiben
für ausgesuchte Flächen und Straßen zu instal-
                                                      viele Chancen ungenutzt.
lieren, da durch den Einsatz von digitalen Tools
der Aufwand bei der Community-Organisation in
                                                      Eine der Lehren aus den Gesprächen mit den
den letzten Jahren spürbar gesunken ist. Mit der
                                                      Innovator*innen: Eine Gemeinschaft bildet sich
Krise haben die Einzelunternehmen vielfach auch
                                                      nicht zufällig, es muss sich jemand aktiv darum
ihre Technik-Berührungsängste abgelegt und den
                                                      kümmern. Pro Stadtteil braucht es eine engagierte
Umgang mit digitalen Tools erlernt. Das gewich-
                                                      Person (bezahlt), die proaktiv auf die Menschen
tigere Argument: Wenn alle lokalen Akteur*innen
                                                      zugeht und den Community-Aufbau bzw. die
in einem Quartier teilhaben können, werden
                                                      Vernetzung federführend übernimmt. Es braucht
entsprechend mehr Synergien und mehr Chancen
                                                      auch die Infrastruktur dazu: Digitale Tools, aber
für das Quartier entstehen. Erst dann entsteht eine
                                                      auch Räume für Treffen und Begegnungen.
quartiersübergreifende Dynamik, die das Quartier
belebt und nach vorne bringt.

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2
                                                       3420 aspern development GmbH zog aus der Krise
       Im Gespräch bleiben                             den Schluss, dass es Sinn macht den Verein für die
                                                       Unternehmer*innen in der Seestadt zu stärken,
       auch wenn es schwierig ist
                                                       damit die Kommunikation auch in Krisenzeiten
                                                       gewährleistet bleibt. Potentiale, die in der Gemein-
„Wir haben gemerkt, dass sich viele Hausverwal-        schaft liegen, können dadurch leichter identifiziert
tungen in der Corona-Krise sehr schwer getan           werden – z. B. kann eine gemeinsame Auslieferung
haben. Manche waren überlastet und schwer              organisiert oder sich gegenseitig mit Sichtbarkeit
erreichbar. [...] Wir haben dennoch versucht den       unterstützt werden.
Kontakt mit den Bewohner*innen nicht abreißen
zu lassen. Aber es war auch für uns schwierig sie
zu erreichen. [...] Während mit den Baugruppen

                                                       3
das Programm relativ normal weitergelaufen ist
– nur halt als Zoom-Meetings.”                                Digitale Kommunikations-
— Gernot Tscherteu im Juli 2020 – Realitylab                  kanäle & Formate
                                                              etablieren
Die Mieterin einer Geschäftsfläche im 9. Bezirk
erzählte uns, dass sie aus lauter Verärgerung,
weil der Vermieter nicht erreichbar war, ihren         Der Austausch hat trotzdem stattgefunden –
Mietvertrag gekündigt hat. Er antwortete einfach       fast täglich. [...] Wir haben sogar ein Online-Ge-
nicht auf ihre Anfrage nach einer Mietreduktion,       meinschaftswochenende gehabt, wo wir ein
auch weitere Kontaktversuche waren vergebens.          Wochenende gemeinsam online miteinander
                                                       verbracht haben: 3 Tage mit unterschiedlichen
Unsere Gesprächspartner*innen erzählten von            Themenblöcken, wo wir uns zu definierten
ganz unterschiedlichen Erfahrungen, wie die            Zeiten getroffen haben, es hat jeder 5-6
Kommunikation innerhalb der eigenen Projekte           Stunden in Konferenzen verbracht. Es gab auch
oder auch mit Partner*innen ablief: Während            eine Hotellobby – ein offener Bereich, wo wir
die einen Rundmails an alle verfassten, redeten        abhängen konnten, da ist dann daneben gekocht
andere mit jeder*m Einzelnen persönlich. Die           worden und so Dinge.“
Macher*innen von House of Bandits, Markhof, The        — Peter Rippl im Juni 2020, Die Hauswirtschaft
Nest und Rochuspark standen im engen Kontakt
mit ihren Mieter*innen bzw. Mitgliedern und es         In der Phase der Kontaktbeschränkungen haben
fand ein Austausch darüber statt, wer wie und          die Baugruppen bewiesen, dass sie sehr agil auf
in welchem Umfang von der Krise betroffen war.         veränderte Bedingungen reagieren können. Sie
Mit dem Wissen konnte Hilfe und Unterstützung          waren auch am schnellsten im Schaffen einer
organisiert werden. Das stärkte die Solidarität        neuen digitalen Kommunikationsinfrastruktur und
aller. Patricia Ziegler von The Nest verschickte       verlegten ihr Miteinander in den digitalen Raum.
außerdem laufend Updates mit Unterstützungs-           Die Einschränkungen hatten somit keine Auswir-
möglichkeiten für Musik- und Kulturschaffende an       kungen auf ihre Abstimmungs- und Planungspro-
ihre Mieter*innen. Diese Infos veröffentlichte sie     zesse, vielmehr hat sich gezeigt, dass die Gruppe
auch in ihrem Blog bzw. ihren Social Media Kanälen     auch in Krisenzeiten handlungsfähig ist. Dieses
und konnte dadurch die Bekanntheit von The Nest        Erlebnis schweißt zusammen.
zusätzlich steigern.
                                                       Unsere Gesprächspartner*innen bei Wohnbund
Diejenigen Gesprächspartner*innen, die in der          Consult und Realitylab bestätigten das. Sie
Krise sofort proaktiv das Gespräch mit ihren           führten ihre Arbeit ebenfalls digital weiter. Sie
Mieter*innen suchten, hatten zudem von Anfang          haben ihre Veranstaltungen für Baugruppen und
an einen guten Überblick, wie sich die Situation für   die firmeninterne Kommunikation auf eine neue
ihr eigenes Unternehmen entwickeln könnte.

                                                                                                        19
digitale Kommunikationsebene gehoben, z. B.             und Social Media Arbeit in Form von regelmäßigen
durch Einrichten einer Gruppe im Messenger oder         Beiträgen auf Twitter, Facebook, Linkedin und
tägliche digitale Jour Fixes. Sie hielten ihre Veran-   Instagram. Peter Rippl, der Initiator der Hauswirt-
staltungen als Videokonferenz ab und es funktio-        schaft, hat bereits vor Jahren eine Facebook Gruppe
nierte besser als erwartet.                             für Bewohner*innen und lokale Akteur*innen im
                                                        Nordbahnviertel gestartet und moderiert sie noch
Die Hauswirtschaft stand nicht nur vor der Frage,
                                                        heute. Mittlerweile hat sie über 3.700 Mitglieder
wie sie sich intern organisieren, sondern auch, wie
                                                        und ist damit die Drehscheibe für Informationen
sie die nächste Phase der Mitgliedergewinnung
                                                        im Stadtteil.
und -aufnahme in die Genossenschaft gestalten
können. Die üblichen Abläufe waren durch die
                                                        Gemeinsam digital sichtbar sein
Covid-19-Maßnahmen nicht mehr durchführbar.
Ihnen kam jetzt zugute, dass sie schon vor der Krise    Dagegen haben viele Einzel- und Kleinstunter-
die digitalen Kommunikationskanäle aufgebaut            nehmen erst mit Covid-19 damit begonnen sich
hatten, um Interessierte zu erreichen. Die Infover-     intensiver mit den digitalen Tools und Möglich-
anstaltungen, sowie die weitere Prozessorgani-          keiten zu beschäftigen. Die Akteur*innen der
sation wurden in den digitalen Raum verlegt. Ein        kleinteiligen lokalen Wirtschaft standen der
Learning bei der Hauswirtschaft: Die digitalen          Digitalisierung vor der Pandemie in vielen Fällen
Veranstaltungen waren sogar noch besser besucht,        ablehnend gegenüber. Doch jede Krise hat Trans-
als die analogen Veranstaltungen vor der Krise.         formationskraft: Die Kontaktbeschränkungen
Trotz der ungewöhnlichen Umstände konnten sie           dieser Krise haben einen Digitalisierungsschub bei
auf diese Weise bis November acht neue Mitglieder       den Einzel- und Kleinstunternehmen ausgelöst.
– und damit künftige Mieter*innen der Gewer-            Viele haben sich erstmals an E-Commerce,
beflächen – gewinnen und in die Genossenschaft          digitale Services und digitale Formate herange-
aufnehmen.                                              traut. Wo aber die Angebote bei den potenziellen
                                                        Kund*innen in der Umgebung sichtbar machen,
The Nest geht noch einen Schritt weiter: Patricia       wenn es keine etablierten digitalen Kommunikati-
Ziegler hält nicht nur digital den Kontakt zu ihren     onskanäle im Stadtteil gibt?
Mieter*innen, sondern hat sich Gedanken darüber
                                                        Um diese Kanäle aufzubauen, braucht es jedenfalls
gemacht, was ihre Mieter*innen in der Situation
                                                        eine Person, die das organisiert. Es erspart viel
wirklich unterstützen könnte. Alle Mieter*innen
                                                        Arbeit, Zeit und Geld, wenn digitale Kommunikati-
und ihr Netzwerk kommen aus der Musik- und
                                                        onskanäle auf Stadtteilebene bei der Planung von
Kreativbranche, d. h. viele haben durch die
                                                        neuen Quartieren mitgedacht und überall kommu-
Pandemie weniger oder gar keine Einnahmen
                                                        niziert werden. Mit dem Aufbau dieser Kanäle ist
mehr. Deshalb reichte Patricia Ziegler nach dem
                                                        es aber nicht getan – sie müssen auch gepflegt
ersten Lockdown eine Förderung ein, um einen
                                                        und moderiert werden. Zusätzlich dazu benötigt
Web-Shop bei The Nest aufzubauen, über den ihre
                                                        es Einführungsformate, bei denen die Kanäle
Mieter*innen in Zukunft ihre Produkte bzw. auch
                                                        vorgestellt und die Tools erklärt werden. Die klein-
Dienstleistungen verkaufen können. The Nest baut
                                                        teilige Nutzungsmischung in den Quartieren wird
die digitale Infrastruktur und den Rahmen auf,
                                                        merklich davon profitieren, wenn noch mehr lokale
damit ihre Mieter*innen zusätzliche Einnahmen
                                                        Akteur*innen den digitalen Werkzeuggebrauch
generieren können. Sie bietet damit nicht nur
                                                        beherrschen.
Raum, sondern auch einen digitalen Vertriebs-
kanal plus entsprechende Marketingleistungen an.
                                                        Zusätzlich dazu, hat sich das Konsumentenver-
                                                        halten in den letzten Jahren massiv Richtung
Fast alle unsere Gesprächspartner*innen haben
                                                        online verlagert. Es ist zwingend notwendig, dass
auch schon vor der Krise digitale Kanäle bespielt,
                                                        die Angebote der Alltagsökonomie auch digital
um ihre Raumangebote sichtbarer zu machen und
                                                        sichtbarer werden. Dabei müssen wir die lokalen
sich mit Interessierten zu vernetzen. Dazu inves-
                                                        Akteur*innen tatkräftig unterstützen z. B. durch
tierten sie in eigene Websites, Blogs, Newsletter

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