MEHR GEMEINSCHAFT FÜR VIELFÄLTIGE UND ZUKUNFTSFÄHIGE QUARTIERE WAGEN - Beiträge zur IBA_Wien 2022 BAND 24
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Beiträge zur IBA_Wien 2022 BAND 24 MEHR GEMEINSCHAFT FÜR VIELFÄLTIGE UND ZUKUNFTSFÄHIGE QUARTIERE WAGEN Mirjam Mieschendahl, Beatrice Stude, Lena Schartmüller
Impressum Mehr Gemeinschaft für vielfältige und zukunftsfähige Quartiere wagen. Beiträge zur IBA_Wien 2022 Herausgeberin IBA_Wien 2022 Neues soziales Wohnen Verfasser*innen: Mirjam Mieschendahl, Beatrice Stude, Lena Schartmüller Covergestaltung IBA_Wien 2022 Copyright Das Copyright für die Texte liegt bei den Autor*innen. Das Copyright für die Abbildungen liegt bei den Fotograf*innen bzw. Inhaber*innen der Bildrechte. Alle Rechte vorbehalten. Umschlagsgrafik: Sandra Högendorfer Info-Illustrationen: Beatrice Stude Gestaltung: Jeannine Metz Im Auftrag der IBA_Wien 2022, MA 50, Wohnbauforschung Wien, 2020 2
INHALTSVERZEICHNIS EINFÜHRUNG S. 4 EINZEL - UND KLEINSTUNTERNEHMEN UND IHRE RÄUME ZUM ARBEITEN S. 7 Warum kleinteilige Mischnutzung im Quartier? Wer sind die Einzel- und Kleinstunternehmen? Einzel- und Kleinstunternehmen zwischen Hoffen und Bangen: Raum halten oder kündigen? Warum haben es Frauen schwerer, ihre Räume zum Arbeiten zu halten oder Räume neu anzumieten? Shared-Spaces und kommerzielle Co-Working-Spaces verlieren in der Krise Mieter*innen LERNEN VON INNOVATOR*INNEN UND RAUMANBIETER*INNEN S. 15 Wie erging es den Wiener Innovator*innen und Raumanbieter*innen in der Krise? 7 Learnings von den Innovator*innen und Raumanbieter*innen FAZIT S. 28 Mehr Gemeinschaft für vielfältige und zukunftsfähige Quartiere wagen ANHANG S. 30 3
EINFÜHRUNG Am 16. März ging Österreich in den Covid-19 massiven Ausdünnen der lokalen Infrastruktur -bedingten Lockdown. Die Menschen waren führen, die elementar wichtig für die Menschen angehalten, in ihren Wohnungen zu bleiben, und ihre Lebensqualität in einem Quartier ist. soziale Kontakte zu reduzieren und die lokale Wirtschaft stand von da an über mehrere Wochen Wir rechneten damit, dass kleinteilig genutzte still. Gewerbeflächen als erstes gekündigt werden, da die Einzel- und Kleinstunternehmen ihre Fixkosten aus Besonders betroffen von den wirtschaftlichen Mangel an Rücklagen schnell verringern müssten. Folgen der Covid-19-Maßnahmen, waren die Unsere Schlussfolgerung war, dass ein steigender Einzel- und Kleinstunternehmen sowie die Künst- Leerstand in Wien das sichtbarste Zeichen dafür ler*innen und Kulturschaffenden. Viele von ihnen werden wird, dass sich die Alltagsökonomie in konnten in den letzten Jahren keine Rücklagen den Stadtteilen zurückbildet. Die Folgen: Weniger bilden, um Wochen oder Monate ohne Einnahmen Nahversorgungsangebote, weniger Dienstleis- zu überbrücken. Die prekäre Lage vieler Selbststän- tungen, weniger Kultur und Gastronomie und alles diger wurde in der Krise deutlich sichtbar. Und: in allem weniger soziale Knotenpunkte, die so Zum ersten Mal bekam auch die breitere Öffent- wichtig für das Miteinander in einem Quartier und lichkeit in Wien eine Vorstellung davon, wie es damit für die Stadt sind. wäre, wenn es keine Nahversorgung im Umfeld gibt. Das führte dazu, dass für eine kurze Zeit die Die Auswirkungen der Krise auf Stadtteil- lokalen Akteur*innen im Mittelpunkt standen ebene und zukünftige Quartiersentwicklung und zahlreiche Projekte (Gutschein-Plattformen, festhalten Crowdfunding-Angebote, Händlerverzeichnisse Um festzuhalten, wie es den Mieter*innen von etc.) aus dem Boden gestampft, staatliche Unter- kleinen Gewerbeflächen geht, starteten wir am 6. stützungspakete geschnürt und Kampagnen à la April die erste Umfrage zum Thema und fragten, Kauf lokal ausgerollt wurden (z. B.: gemeinsam- ob die Mieter*innen beabsichtigen, ihre Gewerbe- schaffenwirdas.at (Gerlinde Schmid Communica- flächen zu halten oder zu kündigen (morgenjungs tions GmbH 2020) oder „Nunus Ladenliste für den GmbH 2020a). heimischen Handel” (Kaller 2020)). Wir hofften, damit einen Indikator zu bekommen, Diese Wertschätzung war für viele Akteur*innen wann und wie die Krise bei den Einzel- und vollkommen neu. Mit der Wiedereröffnung der Kleinstunternehmen ankommt. Wir suchten nach Geschäfte und der Gastronomie verschwand das Anhaltspunkten, wie man abseits von finanzieller allgemeine Interesse jedoch wieder. Die Folgen der staatlicher Unterstützung die Situation stabili- Pandemie auf unsere lokalen Strukturen waren zu sieren könnte. Alle 2 Monate wiederholten wir die diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar. Umfrage, im Laufe des Corona Jahres 2020 wurden 4 Umfragen durchgeführt. Die Umfragen sind nicht Das Team hinter imGrätzl.at hatte sich zu diesem repräsentativ, aber vermitteln ein Stimmungsbild, Zeitpunkt bereits mehrere Jahre mit den Arbeits- wie es den Einzel- und Kleinstunternehmen und und Lebensrealitäten von Einzel- und Kleinst- anderen lokalen Akteur*innen mit ihren Räumen unternehmen in Wien beschäftigt. Durch unsere zum Arbeiten erging. Arbeit wussten wir, dass die kleinteilige lokale Wirtschaft fragiler ist, als es der Allgemeinheit Gleichzeitig beobachteten wir, dass in der Krise bewusst war. Globalisierung, Digitalisierung und Qualitäten sichtbar wurden, die wir so nicht der Strukturwandel hatten die Einzel- und erwartet hatten. Den ersten Hinweis darauf Kleinstunternehmen in den letzten Jahren bereits bekamen wir bei einer eigenen Aktion auf unserer vor große Herausforderungen gestellt. Wir Plattform imGrätzl.at. Am 18. März riefen wir zu befürchteten: Die Krise könnte nun zu einem 4
Selbstständige für Selbstständige auf (morgenjungs Was uns besonders wichtig ist: Ein ganzer Abschnitt GmbH 2020b). Die Idee war, dass Selbstständige in diesem Papier dreht sich um selbstständig andere Selbstständige in Wien mit kostenlosen tätige Frauen. Er liefert Anregungen, wie diese in online Beratungen dabei unterstützen, in der Krise Zukunft noch stärker mit Räumen zum Arbeiten handlungsfähig zu bleiben. Wir rechneten damit, und flexiblen Mietmodellen unterstützt werden dass sich einige wenige Freiwillige melden würden. können, damit sie eine bessere Ausgangsbasis Das Überraschende war: Innerhalb kürzester Zeit für ihre unternehmerische Tätigkeit bekommen. versammelten sich knapp 300 Selbstständige, die Frauen mussten in der Krise als erstes und dazu über 2.000 kostenlose Beratungsstunden, doppelt zurückstecken, da viele zusätzliche Betreu- u. a. in den Bereichen Marketing, Digitalisierung, ungspflichten übernommen haben. Das bestätigte Finanzen, Recht, Coaching und Wohlbefinden, zur eine unserer Umfragen, die wir speziell zu diesem Verfügung stellten. Damit unterstützten sie über Thema durchgeführt haben. 500 Unternehmer*innen. Die Aktion lief 6 Monate. Um die Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit von Was war da passiert? Ist es möglich, dass lokale selbstständigen Frauen zu verbessern, kann eine Netzwerke und Communitys entgegen der Stadt nichts Wichtigeres tun, als für sie gleich- landläufigen Meinung gar kein Feelgood-Luxus wertige Rahmenbedingungen bereit zu stellen und für gute Zeiten sind, sondern ihren Wert erst so sie zu ermächtigen – auch wirtschaftlich. Wenn es richtig in Krisen und schwierigen Situationen einer Gesellschaft nicht gelingt, Frauen gerecht zu zeigen? behandeln, wird diese Gesellschaft in der nächsten Krise oder bei der nächsten Innovationswelle zu Wir wollten herausfinden, ob wir es mit einem den Verlierer*innen gehören. Einzelphänomen zu tun hatten oder, ob andere Menschen ebenfalls positive Community-Effekte Die Studie des Weltwirtschaftsforums (WEF) in der Krise beobachtet hatten. Uns interessierte, untersucht in 149 Ländern die Gleichberech- ob es vielleicht noch weitere Instrumente gab, die tigung von Männern und Frauen. Für 2019 zeigt sich in der Krise bewährt hatten und die eingesetzt der „Global Gender Gap Index“ an, dass Österreich werden können, um kleinteilige lokale Wirtschafts- im Bereich Gleichberechtigung in der Wirtschaft strukturen zu stärken bzw. neu aufzubauen. weit hinten liegt. Generell steht Österreich bei der wirtschaftlichen Partizipation von Frauen weltweit Wir starteten unsere Spurensuche bei denjenigen, nur auf Rang 86, bei der Lohnschere - Bezahlung die Einzel- und Kleinstunternehmen im größerem für gleiche Arbeit - landet Österreich sogar nur Umfang Raum geben und, die dafür bekannt sind auf dem 108. Platz. Auch bei der Gesundheit von innovative Wege zu gehen. Wie sind die Rauman- Frauen liegt Österreich nur an 82. Stelle (World bieter*innen durch die Krise gekommen? Welche Economic Forum 2019). Learnings können sie uns mitgeben? Ziel des vorliegenden Arbeitspapiers ist es, Wir haben dafür IBA_Wien-Projekte befragt, die aufzuzeigen, welche Instrumente und Lösungen Innovationen für die Zukunft des sozialen Wohnens Innovator*innen und Pionier*innen in der Krise in neuen Stadtentwicklungsgebieten umsetzen entwickelt und eingesetzt haben, um Mieter*innen und die Macher*innen hinter den ältesten Co-Wor- von Gewerbeflächen oder von Räumen zum king-Spaces in Wien. Wir haben mit Betrei- Arbeiten zu halten. Wir gehen der Frage nach, ber*innen von neuen Spaces gesprochen, aber auch was wir daraus für die Zukunft lernen können, um mit Baugruppen, die im Erdgeschoss kleinteilige Quartiere nachhaltig zu beleben und kleinteilige Gewerbeflächen umgesetzt haben. Wichtiger Mischnutzung in Stadtteilen zu bewahren. Diese Input kam auch vom Flächenmanagement in neuen Instrumente können dabei helfen, Strukturen der Stadtteilen und von Akteur*innen im Themenfeld Alltagsökonomie in neuen Stadtteilen aufzubauen soziale Nachhaltigkeit. und sie dabei von Anfang an mit zusätzlicher Widerstandskraft zu versehen. 5
Für wen ist das Arbeitspapier gedacht? Mit wem haben wir gesprochen? (Siehe S. 30) Für alle, die sich lebendige Stadtteile und eine hohe Lebensqualität in einer Stadt wünschen. ▶ Alexander Kopecek, Vorstand der Wien 3420 Für Menschen aus Politik und der Verwaltung, Aspern Development AG und Geschäftsführer für Aktivist*innen, Stadtplaner*innen, Bauträ- der Aspern Einkaufsstraßen GmbH / Seestadt ger*innen, für Raumanbieter*innen, für Vermie- Aspern ter*innen und für die lokalen Akteur*innen selbst. ▶ Daniela S. Fiedler, Projektleitung und Welche Themen werden nicht behandelt? Vorstandsmitglied wohnbund:consult, MIO Gewerbecluster Die Folgen der Krise auf die größeren Gewerbe- und Büroflächen haben wir ausgespart. Wir gehen ▶ Gernot Tscherteu, Gründer und Geschäftsführer, auch nicht näher auf die staatlichen finanziellen Realitylab Unterstützungspakete für Einzelunternehmen und Selbstständige ein, da eine seriöse Bewertung zu ▶ Michael Pöll, Gründer, Betreiber und diesem Zeitpunkt noch nicht möglich war. Hausmeister, Rochuspark ▶ Monika Witzany, Musikerin, Bewohnerin und Um welche Arten von Räumen geht es? Delegierte der AG Veranstaltungen, Raumver- Ob im Hinterhof im 1. Stock oder im Geschäfts- mietung, Kunst&Kultur, Gleis 21 lokal im Erdgeschoss: Überall dort, wo Menschen ▶ Nicole Lieger, Präsidentin, Markhof außerhalb ihrer Wohnung tätig sind, um Dinge zu erschaffen, Vorhaben umzusetzen und ihre ▶ Patricia Ziegler, Gründerin und Geschäftsfüh- Arbeit verrichten, sind für uns Orte, die wir unter rerin von The Nest den Begriffen Gewerbeflächen und Räume zum Arbeiten zusammenfassen – unabhängig von ▶ Peter Rippl, Initiator und Vorstandsmitglied, der Rechtsform der Tätigen und der ursprünglich die Hauswirtschaft zugewiesenen Nutzungskategorie. ▶ Roland Hemedinger, Vorstandsvorsitzender des Vereins Paradocks, Betreiber von Das Packhaus ▶ Stefan Yazzie Herbert, Mitgründer und Geschäftsführer, House of Bandits Abb. 1: Überblick über den Projektablauf 6
EINZEL- & KLEINSTUNTERNEHMEN UND IHRE RÄUME ZUM ARBEITEN Warum kleinteilige Mischnutzung im Quartier? Die ökologischen Anforderungen an unsere Städte sterben wird und es letztlich kein Gegenmittel verändern sich massiv und Infrastrukturen gelangen gibt. Ansonsten wird weiterhin Geld in Strukturen an ihre Kapazitätsgrenzen. Das hat Einfluss auf die gesteckt, die ein Ablaufdatum haben. Geld, das Stadtplanung. Eine stärker nutzungsgemischte woanders besser aufgehoben wäre. Stadt oder ein gemischtes Quartier ermöglichen eine Stadt der kurzen Wege und damit auch einen Indem neue Nutzungen den Weg in das Abschied von der autogerechten Stadt, die nicht Erdgeschoss finden, können Quartiere und Stadt- mehr zukunftsfähig ist. Eine Stadt der kurzen Wege teilzentren davon unabhängig neu belebt werden. bedeuten auch eine Auflösung der räumlichen Trennung der Funktionen: Arbeiten, Wohnen, Wir haben in diesem Papier das Mikroskop Produktion und Versorgen. deshalb noch ein wenig schärfer eingestellt und Raumanbieter*innen befragt, die auf ihren Flächen Für zukunftsfähige Quartiere werden immer Konzepte mit einem Nutzungsmix realisieren. Auf wieder folgende Aspekte genannt: kleinstem Raum wird sozusagen das nutzungs- gemischte Quartier und das Miteinander erprobt. ▶ Wohnen für unterschiedlichste Nutzer*innen- Zugegeben, ein vielleicht etwas ungewöhnlicher gruppen Ansatz, aber was in der kleinsten Einheit passiert, ▶ Aktive, multi- und intermodale Mobilität ist auch immer ein Spiegel des großen Ganzen. Unser Interesse gilt denjenigen Akteur*innen, die ▶ Urbane Arbeitswelten und Versorgungs- die tragenden Säulen für eine funktionierende, konzepte kleinteiligen Nutzungsmischung im Quartier sind: Einzel- und Kleinstunternehmen, Kunst- und ▶ Soziale Treffpunkte, Kultur- und Freizeit- Kulturschaffende und andere lokale Macher*innen. angebote ▶ Freiraumqualität, Grün, Klimaanpassung Angesichts der sinkenden Bedeutung des Einzel- handels können andere Nutzungen und ihre Akteur*innen einen wesentlichen Beitrag leisten, um die Nutzungsvielfalt in den Quartieren anzureichern und zu stabilisieren. Denn die klassische Einkaufsstraße ist kein Zukunftsmodell. Ja, der Einzelhandel gehört auch in die Stadtteil- zentren, aber es wird zukünftig deutlich weniger Händler*innen geben. Diese Entwicklung wurde durch die Krise stark beschleunigt. Es ist wichtig, zu begreifen, dass der Einzelhandel zu großen Teilen in den Innenstädten und Stadtteilzentren 7
Wer sind die Einzel- und Kleinstunternehmen? Die Kleinstunternehmen sind statistisch nicht im ständig Erwerbstätigen 11.637 Euro, wobei Frauen selben Umfang wie die Einzelunternehmen erfasst. 7.893 Euro erzielten und Männer 15.637 Euro. Die Deswegen konzentrieren wir uns in diesem Teil auf Einkünfte sind je nach Branche, Mehrfachbe- die Einzelunternehmen, die auch zahlenmäßig schäftigung und Geschlecht sehr unterschiedlich die verbreitetste Unternehmensform in Österreich (Rechnungshof 2018). sind. 2018 waren mit 316.000 rund 60 % aller bestehenden Unternehmen in Österreich Einzel- Einzelunternehmen, auch Einpersonenunter- unternehmen (Oschischnig 2019). nehmen (EPU) genannt, sind im Vergleich zu Arbeitgeber*innenbetrieben jünger, häufiger Einzelunternehmen sind eine heterogene, sich weiblich und besser gebildet (Schartmüller 2020). stetig verändernde, aber laufend wachsende Gruppe: Die Anzahl der Einzelunternehmen ist von In Wien sind rund 40 % der EPU weiblich. Unter 2014 bis 2018 um knapp 37.000 gestiegen (Riedl den Unternehmensneugründungen wächst der 2019) – das entspricht einem Wachstum von Frauenanteil stetig – 2017 wurden 45 % aller 13,5 %. Aus dem Einkommensbericht 2018 des Unternehmen von Frauen gegründet (Grabner Rechnungshofes wird deutlich, dass viele Selbst- 2018). Auch deshalb rücken wir bei unserer Arbeit ständige schon vor der Krise am Existenzminimum selbstständig tätige Frauen besonders in den Fokus lebten. Insgesamt betrugen die mittleren Jahres- (siehe S. 12). einkünfte (vor Steuer) der ausschließlich selbst- Abb. 2: Branchen und Entwicklung der Anzahl der Einpersonenunternehmen (Riedl 2019) 8
Einzel- & Kleinstunternehmen zwischen Hoffen und Bangen: Raum halten oder kündigen? „Da wir gerade sozusagen „ums Überleben bei 276 m² liegt (Schartmüller 2020), gaben bei kämpfen“ (dramatisch formuliert, aber ja, ist unseren Umfragen rund drei Viertel der Teilneh- auch dramatisch – all meine Ersparnisse und mer*innen an, weniger als 100 m² zu nutzen. drei Jahre Energie und Herzblut stecken da drin und ich möcht einfach nicht, dass das Zentrum Praxisgemeinschaften sind weit verbreitet, ebenso verloren geht!)” geteilte Studios oder Bürogemeinschaften. — eine Raumteilerin im August 2020 per E-Mail Zusätzlich zur finanziellen Komponente bieten diese Orte Möglichkeiten für den im Home-Office Damit ist die Zwickmühle gut beschrieben, in vermissten Austausch bzw. Auswege aus der der viele Einzel- und Kleinstunternehmen mit sozialen Isolation oder der intensiven häuslichen angemieteten Arbeitsräumen und Gewerbe- (Familien-) Situation. Sie bieten weiters Zugang zu flächen während der Krise stecken: Raum behalten benötigter Infrastruktur z. B. Equipment wie etwa oder kündigen? Viele können mit ihrer Tätigkeit Massageliegen, Yogamatten oder professionelle nicht einfach ins Home-Office wechseln, ein Drucker, Beamer, Scanner, aber auch Werkzeug und Aufkündigen des Raumes kommt (zunächst) einer Maschinen. Diese Strukturen aufzubauen, kostet Betriebsaufgabe gleich, wenn kein anderer Raum Zeit und Energie. Wenn diese Räume aufgegeben gefunden wird. Einerseits kann die Miete kaum werden, verliert der Stadtteil damit auch kleine aufgebracht werden, andererseits wurde in das Kooperationskraftwerke. Mit dem Wegfall dieser Aktivieren der Räume so viel Energie gesteckt, Gemeinschaften wird der soziale Kitt im Stadtteil dass Kündigen der letzte Ausweg ist. Man darf dünner. Mit dem Wegfall des Raumes bricht nicht vergessen, dass das Aktivieren einer Gewer- speziell für die beteiligten Einzelunternehmen ihr befläche besonders für die Einzelunternehmen unmittelbares Netzwerk zusammen. Wenn der ein immenser Kraftakt ist: Renovierungskosten Raum erst einmal weg ist, braucht es entweder und eventuelle Maklerprovisionen sind eine große schnell eine Alternative oder aber die selbst- finanzielle Hürde, wenn man zu den Wenigver- ständige Tätigkeit kann nicht mehr ausgeübt diener*innen gehört. In diesem Segment werden werden. Unsere erste Umfrage im April ergab, dass Räume vielfach mit anderen Mieter*innen geteilt, 87 % der Umfrageteilnehmer*innen ihrer Tätigkeit weil die angebotenen Flächen zu groß und damit nicht im Home-Office nachgehen können. zu teuer für die Einzelunternehmer*innen sind. Während die durchschnittlich nachgefragte Fläche Ø Gewerbeflächen-Angebot 3/4 der EPU benötigen Ø Ø Ø 15 €/m² 276 m² < 100 m² 4.140 € pro Monat Abb. 3: Gegenüberstellung der durchschnittlichen angebotenen und nachgefragten Fläche 9
Für viele Einzel- und Kleinstunternehmen ist ihre Einnahmen ja/nein? Gewerbefläche ihre Existenzgrundlage – nur mit dieser Fläche können sie weiterhin selbstständig Bei der ersten Umfrage im April 2020 sah die tätig sein und Einnahmen generieren. Deshalb ist Situation noch folgendermaßen aus: es wichtig, die Flächen zu halten, damit sie ihre ▶ 46 % der Umfrageteilnehmer*innen geben an, Tätigkeit weiterführen können. dass sie seit den Covid-19-Maßnahmen keine Einnahmen mehr haben. Wie wackelig die Situation bereits nach vier Wochen Lockdown war, hat uns die erste Umfrage ▶ 40 % geben an, dass sie seit den Covid-19- gezeigt: 26 % der 120 Umfrageteilnehmer*innen Maßnahmen weniger Einnahmen haben. hatten angegeben, dass sie ihre angemieteten Gewerbeflächen planen zu kündigen oder dies ▶ 6 % geben an, dass sie keine Umsatzeinbußen schon getan hatten. 74 % der Umfrageteilneh- haben. mer*innen versuchen ihre Gewerbefläche bzw. ihren Raum zum Arbeiten zu halten. Im November 2020 sieht die Einnahmesituation bei den Umfrageteilnehmer*innen besser aus: Die letzte Umfrage führten wir im November 2020 während des zweiten Lockdowns durch. 132 ▶ Nur noch 12,9 % der Umfrageteilneh- Mieter*innen von Gewerbeflächen oder Räumen mer*innen geben an, dass sie seit den Covid-19- zum Arbeiten nahmen teil. Maßnahmen gar keine Einnahmen mehr haben. 73,5 % der Umfrageteilnehmer*innen möchten ▶ 69,7 % geben an, dass sie seit den Covid-19- ihre Gewerbefläche halten, 26,5 % planen ihre Maßnahmen weniger Einnahmen haben. Fläche zu kündigen oder haben dies schon getan. ▶ 12,9 % geben an, dass sie keine Umsatzein- Damit entsprechen die Werte fast exakt denen bußen haben. aus der ersten Umfrage im April. Das hat uns überrascht. Das imGrätzl-Team hatte damit Wir fragten auch ab, ob die staatlichen gerechnet, dass der Anteil an Gewerbeflächen, die Covid-19-Unterstützungsmaßnahmen greifen? weiterhin gehalten werden können, diesmal höher liegt, weil mittlerweile die staatlichen finanziellen Im April bei der ersten Umfrage hatten die Um- Unterstützungsmaßnahmen greifen müssten. frageteilnehmer*innen folgende Angaben dazu gemacht: Tatsächlich werden aber auch die Mieten nach ▶ 60 % haben finanzielle Unterstützung aus dem wie vor in einem höheren Ausmaß über eigene Covid-19-Maßnahmenpaket beantragt. Rücklagen finanziert, wie die Antworten im November auf die Frage zeigen: ▶ 40 % haben das nicht getan. ▶ 27 % geben an, dass sie die Miete durch ihre ▶ 42 % derjenigen, die finanzielle Unterstützung Einnahmen decken können. aus dem Covid-19-Maßnahmenpaket beantragt ▶ 23 % greifen zu ihren eigenen Rücklagen, um die und bereits bekommen haben, sagen, dass es Miete zu finanzieren. weniger ist, als sie benötigen. ▶ 21 % decken die Miete mit Hilfe der staatlichen Bei der vierten Umfrage im November sieht die finanziellen Unterstützungsmaßnahmen. Situation so aus: ▶ 8 % geben an, dass sie die Räume derzeit über ▶ 62,9 % haben finanzielle Unterstützung aus eine Untervermietung halten können. dem Covid-19-Maßnahmenpaket beantragt. ▶ 37,1 % haben keine finanzielle Unterstützung beantragt. 10
Diejenigen Umfrageteilnehmer*innen, Mietreduktion nach dem ABGB rechtens ist und in die finanzielle Unterstützung aus dem welcher Höhe diese ausfallen muss (ABGB §1096, Covid-19-Maßnahmenpaket beantragt haben, §1104, §1105). Die Vermieter*innen vor Gericht zu geben an: treffen, ist keine angenehme Situation. Zudem ist in dieser angespannten Situation kaum Energie ▶ 44,6 %, dass es weniger ist, als sie benötigen. vorhanden, einen weiteren Schauplatz zu eröffnen. ▶ 37,6 %, dass sie Unterstützung in ausreichender Deshalb wurden viele Mieten hauptsächlich aus Höhe erhalten haben. eigenen Rücklagen (30 %) beglichen, die dann aber in Zukunft fehlen, wenn Kund*innen weiterhin ▶ 17,8 %, dass sie eine Ablehnung und keine ausbleiben und weitere Monate überbrückt werden Unterstützung bekommen haben. müssen. Die Mieter*innen beklagten, dass eine offizielle, belastbare Regelung für Mieter*innen Viele Kündigungen gehen mit der Abnahme oder und Vermieter*innen fehlt. dem Wegfall der Einnahmen einher. Zu den Folgen der Covid-19-Maßnahmen auf die finanzielle Situation der Selbstständigen in Österreich Was würde helfen, um die Gewerbeflächen in der wurden mehrere Befragungen durchgeführt und Krise halten zu können? diese kamen alle zum selben Schluss: „Besonders hart getroffen von den Maßnahmen gegen das Folgende Punkte haben die Coronavirus sind laut Befragung von 1.200 in Umfrageteilnehmer*innen angegeben: Österreich lebenden Erwachsenen die Selbst- ständigen. In dieser Gruppe haben gut zwei Drittel ▶ Staatliche finanzielle Unterstützung speziell (68,5 %) weniger Einkommen als vor der Krise. [...] für die Mietzinskosten der Gewerbeflächen und Betroffene Selbstständige haben im Schnitt fast Räume zum Arbeiten – neben und zusätzlich zu 1.100 Euro (43 % ihres Einkommens) weniger zur den Lebenshaltungskosten (Wohnungsmiete, Verfügung, Angestellte gut 600 Euro. Auch haben Essen einkaufen) Haushalte mit Kindern überdurchschnittlich viel verloren (gut 800 Euro), Single-Haushalte (unter ▶ Klare Richtlinien für Vermieter*innen zur 500 Euro) deutlich weniger.” (APA 2020). Mietzinsreduktion ▶ Genehmigung von Untervermietung der Räume Aus unseren Umfragen wurde auch deutlich, dass als Chance für die Mieter*innen (Raum teilen = sich die Kommunikation mit den Vermieter*innen Kosten teilen) häufig schwierig gestaltete: 25 % der Umfrageteil- nehmer*innen haben es versucht, aber konnten ▶ Mietstundungen sind keine Lösung, weil es keine Vereinbarung mit ihren Vermieter*innen die prekäre Situation zeitlich nur nach hinten über eine Mietreduktion bzw. Mietstundung verschiebt treffen – ihre Anfrage wurde abgelehnt. 26 % der Umfrageteilnehmer*innen konnten mit ihren ▶ Planbarkeit, wann es wie weitergehen kann, Vermieter*innen eine Mietreduktion vereinbaren z. B. verlässliche, klare Rahmenbedingungen und 7 % eine Mietstundung. 42 % fragten nicht um für Veranstaltungen eine Mietreduktion an. Vielen war nicht klar, wer berechtigt ist eine Mietreduktion einzufordern. Denn in letzter Konsequenz muss jeder Fall vor Gericht gebracht werden, damit geprüft werden kann, ob eine 11
Warum haben es Frauen schwerer, ihre Räume zum Arbeiten zu halten oder Räume neu anzumieten? Diese Frage wird anhand eines Beispiels, das genau der Ferienzeit die Kinder weiter beaufsichtigt. Die so passiert sein könnte, beantwortet. Barbara Nachfrage nach Foto-Shootings war zu diesem heißt in Wirklichkeit nicht so und es gibt nicht nur Zeitpunkt auch noch nicht wieder angesprungen. eine Barbara. Dieses Beispiel wurde aus verschie- Durch die Kinderbetreuung und Hausarbeit hatte denen Geschichten zusammengetragen und steht Barbara auch keine Zeit, den Kontakt zu poten- exemplarisch für die Lebens- und Arbeitsrealitäten ziellen Kund*innen wieder aufzunehmen oder in selbstständig tätiger Frauen. Marketing zu investieren. Dürfen wir vorstellen: Barbara, Fotografin Ende September kündigte sie dann die Nachmittage im Foto-Studio. Ihr fehlte es an Planungssicherheit Eigentlich dachte Barbara immer alles richtig und das Studio produzierte laufend Kosten. gemacht zu haben: Studium der BWL, postuniver- Außerdem war in der unsicheren Lage klar, dass sitäre Weiterbildungen, um neben dem kaufmän- ihr Mann und sein Vollzeitjob Vorrang hatten. Er nischen Wissen auch in anderen Bereichen fit zu kann mit seinem Gehalt zur Not die Familie alleine werden. 15 Jahre arbeitete sie sich hoch. Als hoch- durchbringen, Barbara nicht. bezahlte Controllerin eines Verlagshauses leitete sie ein Team von drei Leuten – bis sie Mutter von Für Barbara ist das alles sehr schmerzhaft, speziell zwei Kindern wurde: Heute steht auf Barbaras Vi- auch der Verlust des Studios, denn für sie war das sitenkarte nicht mehr „Abteilungsleiterin”, sondern Studio das sichtbare Zeichen für den Erfolg ihrer „Fotografin”. Selbstständigkeit. Nun hat sie das Gefühl, dass die 3 Jahre Aufbauarbeit umsonst waren. Nach der Elternkarenz wollte sie nicht zurück ins Unternehmen, u. a. weil es an flexiblen Arbeits- So wie Barbara erging es vielen selbstständig zeitmodellen fehlte. Eine vergleichbare Stelle tätigen Frauen mit ihren angemieteten Räumen fand sie nicht mehr. Sie entschloss sich deshalb zum Arbeiten. für die Selbstständigkeit. Ihr Vater hatte Barbara sehr früh mit seiner Leidenschaft für das Fotogra- Die Stimmen aus unserer Umfrage speziell unter fieren begeistert. Sie hatte Talent, aber es war ein Mieterinnen bestätigen das: beruflicher Traum, der für die Realität zu unsicher erschien. Durch die neue Situation und nach ▶ „Meine Ausstellungen sind abgesagt und die mehreren Aus- bzw. Weiterbildungen fühlte sie Kinderbetreuung zieht Arbeitszeit von der sich für den Schritt in die Selbstständigkeit bereit. Produktion ab.“ Mittlerweile ist sie im dritten Jahr als Fotografin ▶ „Ich muss meine Rücklagen einsetzen zum selbstständig tätig. Vorm ersten Lockdown lief Büroraum halten, während ich daheim arbeite es für Barbara beruflich immer besser, jedes Jahr und die Kinder betreue.“ nahmen die Kund*innen und Aufträge zu. Um ▶ „In meiner Branche gab es einen totalen ihre Aufträge abzuwickeln, hat sie sich für drei Einbruch, daher muss ich mich neu orientieren Halbtage in ein Foto-Studio eingemietet. Während und andere Möglichkeiten finden.“ des ersten Lockdowns kümmert sich Barbara dann aber hauptsächlich um die Kinder und den Haushalt, da ihr Mann nicht in Kurzarbeit war und im Home-Office seine Ruhe brauchte. Im Juli konnte Barbaras Mann wieder zurück an seinen Arbeitsplatz. Das Paar entschied, dass Barbara in 12
Unser Team hat in den letzten Jahren sehr häufig dass dieses Ungleichgewicht für Frauen schnell das Phänomen beobachtet, dass mit dem Schritt zum Problem wird. Da sie für einen Großteil der aus dem Home-Office das Selbstbewusstsein und unbezahlten Tätigkeiten verantwortlich gemacht das Vertrauen bei den Frauen steigt, dass sie mit werden, greifen sie öfter auf Teilzeitarbeitsmo- ihrer unternehmerischen Tätigkeit erfolgreich delle zurück: 33 % der Einzelunternehmerinnen sein können. Das unternehmerische Vorhaben ist in Teilzeit tätig, bei Einzelunternehmern liegt bekommt dadurch eine neue Ernsthaftigkeit. Die der Anteil nur bei 11 % (Grabner 2018). Daraus externen Räume sind ein Zeichen für den Profes- folgt ein niedriges Einkommen, das wiederum die sionalisierungsgrad und Erfolg der selbststän- Anmietung von externen Räumen für Einzelunter- digen Tätigkeit. Sie machen die Selbstständigkeit nehmerinnen schwer bis unmöglich macht. oftmals überhaupt erst sichtbar. Da spielt auch mit, dass im öffentlichen Diskurs das Arbeiten Gerade Frauen sind zusätzlich dazu mehrfach vom Home-Office aus oftmals als besseres Hobby belastet: Rund 73 % der unternehmerisch angesehen wird, mit dem sich speziell die Frauen tätigen Mütter – bei den Vätern sind es nur 11 % ein Taschengeld dazu verdienen. – übernehmen Betreuungspflichten, 42 % fühlen sich dadurch beeinträchtigt (Grabner 2018). Anders als Barbara können sich viele Frauen, selbst Während der Krise wurde von Frauen noch mehr wenn sie es wollten, die Miete für einen externen unbezahlte Sorgearbeit geleistet: In unserer dritten Raum zum Arbeiten nicht leisten. Weibliche EPU Umfrage speziell mit selbstständigen Frauen verfügen über ein Medianeinkommen von 7.893 gaben 43 % an, dass sie zusätzliche Aufgaben im Euro jährlich – vor Steuern (Rechnungshof 2018). Haushalt bzw. Pflege- und Betreuungspflichten Der Gender Pay Gap, die Lücke im Einkommen der übernommen haben. Das hatte bei 61 % von den 43 Geschlechter, klafft bei den selbstständig Tätigen % Auswirkungen auf die selbstständige Tätigkeit. besorgniserregend auseinander. Bereits vor der Mehr als die Hälfte mussten dadurch Krise leisteten in Österreich Frauen zwei Drittel der Einkommenseinbußen beklagen: Die Kündigung Haus- und Sorgearbeit – unbezahlt. Fakt ist auch, der angemieteten Räume ist die Folge. 13
Was kann man tun, um selbstständig tätige Mietbeihilfen, als Anreiz, die Räume zum Arbeiten Frauen zu stärken? zu halten. Grundsätzlich sollten Frauen bereits in der Gründungsphase, also beim Start ihrer selbst- Das imGrätzl-Team hat seit 2015 hunderte ständigen Tätigkeit, unterstützt werden, damit sie Einpersonenunternehmen, mehrheitlich Frauen, externe Räume zum Arbeiten anmieten und damit persönlich getroffen und befragt, was die Erfolgs- in ein Netzwerk eintauchen können. Dadurch faktoren und Hürden ihrer Selbstständigkeit sind. wäre eine wichtige Voraussetzung geschaffen, Diejenigen, die externe Räume zur Ausübung dass sich die Unternehmen der Frauen erfolgreich ihrer selbstständigen Tätigkeit genutzt haben, entwickeln können. waren meist viel zufriedener mit ihrer Selbststän- digkeit als diejenigen, die ihrer Selbstständigkeit Essentiell ist, dass sie sich die Räume und im Home-Office nachgingen. Selbstständige mit Netzwerke, denen sie sich anschließen möchten, eigenen Räumlichkeiten zum Arbeiten waren auch am Markt selber aussuchen können. Genauso wie finanziell erfolgreicher. Die selbstständig tätigen es möglich ist, einen Arbeitsplatz im Home-Office Frauen im Home-Office gaben in den Gesprächen abzusetzen, könnte es eine entsprechende häufig an, dass sie gerne einen externen Raum zum Förderung geben: Zum Beispiel einen Zuschuss Arbeiten anmieten würden, sich ihn aber nicht (Raumhunderter) für alle, die externe Räume zum leisten können, da sie für die Miete nicht mehr als Arbeiten anmieten. Das wäre ein zusätzlicher 100 bis 200 Euro aufwenden können. finanzieller Anreiz, neben der steuerlichen Absetzbarkeit. Der Zugang zu geeignetem Raum ist ein Schlüssel zu unternehmerischem Erfolg und mehr Zufrie- Eine positive Folge davon könnte sein, dass dadurch denheit. Deshalb braucht es leistbare Rauman- mehr Leerstände aktiviert werden, sich neue gebote und spezielle Maßnahmen, wie z. B. Netzwerke bilden und Stadtteile belebt werden. Shared-Spaces und kommerzielle Co-Working-Spaces verlieren in der Krise Mieter*innen Die Auslastung und Einnahmen der Anbie- abzusehen ist, wie groß der Schaden wirklich ist, ter*innen von Co-Working-Spaces, von Arbeits- die Hoffnung besteht immer noch, dass man mit plätzen auf Zeit, brachen stellenweise um einem dunkelblauen Auge davonkommt.” (DPA 50 - 70 % in Deutschland ein. 2020). Selbstständigen fehlten die Aufträge, Start-ups In Österreich gibt es keinen Verband für die Anbie- hatten Liquiditätsengpässe, Firmen benötigten ter*innen von Arbeitsplätzen auf Zeit und Daten für Videokonferenzen im Home-Office keine werden nicht erhoben, aber diese Erzählung Besprechungsräume mehr. Events fanden nicht hörten wir auch in Wien. Es war die Rede von statt. Bis Anfang des Jahres 2020 boomte das einzelnen Co-Working-Spaces, die auf einen Geschäft der klassischen Co-Working-Spaces. Schlag fast alle ihre Mieter*innen verloren hatten. Nach dem Corona-Ausbruch ist es laut Tobias Freie Plätze wurden auf Facebook verlost und Kollewe, Präsidiumsmitglied im Bundesverband Schnäppchen-Angebote geschnürt. Das war ein Co-Working-Spaces Deutschland (BVCS), zu sichtbares Zeichen dafür, dass sich diese Spaces im einem „deutlichen Rückgang der Nutzerzahlen“ Krisenmodus befanden. gekommen (Hoffmann 2020). In einem anderen Artikel betont er, „dass es derzeit noch nicht 14
LERNEN VON INNOVATOR*INNEN UND RAUMANBIETER*INNEN Wie erging es den Wiener Innovator*innen und Raumanbieter*innen in der Krise? „Dadurch, dass es unklar war, wie lange das der Corona Krise stand die alljährliche Verlän- anhalten wird, dieser ganze Lockdown, da haben gerung der Zwischennutzung an – die hatte wir schon die Überlegungen machen müssen: sich verzögert und der Vermieter packte im Mai Geben wir das gesamte Gebäude auf?“ schließlich noch eine Mieterhöhung obendrauf. — Stefan Yazzie Herbert im Juli 2020, House of Währenddessen zahlten viele Mieter*innen im Bandits April keine Miete – hier gab es viel Klärungs- bedarf und zusätzlich musste dann auch noch Wir waren gespannt, welche Erfahrungen die die Mieterhöhung an die Mieter*innen weiter- Raumanbieter*innen in der Krise gemacht hatten gegeben werden. und, ob sie Community-Effekte (siehe S. 17) in der ▶ Gleis 21, das Wohnprojekt, hatte eine große Krise beobachtet und Lösungen für ihre Heraus- Gastrofläche im Erdgeschoss leer stehen. Der forderungen gefunden hatten. Wir führten neue Veranstaltungsaal war erst Mitte Oktober Gespräche mit den Macher*innen von House 2019 fertig geworden und die Bespielung des of Bandits, Markhof, Rochuspark, The Nest, Das Saals kam gerade richtig ins Laufen – dann Packhaus und dem Wohnprojekt Gleis 21. Bei dem wurde alles gestoppt. Gewerbecluster Mio sprachen wir mit Wohnbund Consult. Außerdem gab es Gespräche mit Die Hauswirtschaft, Realitylab und Wien 3420 Aspern Besonders auffällig war: Development GmbH. Weitere Informationen zu ▶ Die Mehrzahl der Projekte hatte nach dem den Interview- partner*innen befinden sich im ersten Lockdown weniger als drei Stammmie- Anhang. ter*innen oder gar keine verloren. Bei Projekten mit bis zu 50 Mieter*innen lag das weit unter Die Herausforderungen der Innovator*innen in der durchschnittlichen Anzahl an Kündigungen der Krise: (Hoffmann 2020). Beim Gewerbecluster Mio kündigten z. B. gar keine der Mieter*innen, was ▶ House of Bandits überlegte am Anfang der sicher auch an den günstigen Mietpreisen lag. Krise, ob sie das vierstöckige Gebäude vielleicht ganz aufgeben müssten. ▶ Bemerkenswert war auch, dass im Mai und Juni fast alle unserer Interviewpartner*innen bereits ▶ Markhof und The Nest hatten vor allem mit Lösungen für ihre aktuellen Herausforderungen dem Wegfall der Seminar- und Veranstaltungs- gefunden hatten. Sie alle waren schnell, agil schiene, die einen wichtigen Teil der Einnahmen und anpassungsfähig. ausmachen, zu kämpfen. ▶ Bei der zweiten Fragerunde Ende Oktober stellte ▶ Rochuspark, aber auch andere Projekte, hätte sich heraus, dass einige Projekte, trotz der sich von den Vermieter*innen bzw. den Eigen- Pandemie, in einigen Bereichen sogar Zuwächse tümer*innen ein Entgegenkommen gewünscht. verzeichnen konnten: The Nest musste zwar ▶ Das Packhaus traf es besonders hart: Kurz vor auf Einnahmen aus der Veranstaltungsschiene 15
verzichten und hatte auch die Anzahl der Tische Mieter*innen zu gewinnen und ihre Projekte in der reduziert, aber die Nachfrage aus dem Stadtteil Krise abzusichern. nahm überraschend zu, so dass The Nest nun voll ist und eine Warteliste eingeführt hat. Unsere Hoffnung ist, dass diese Instrumente dabei Die Hauswirtschaft konnte seit dem Sommer helfen, Lösungen zu entwickeln, um bestehende acht zusätzliche Mitglieder für die Genossen- Strukturen der Alltagsökonomie in Quartieren zu schaft gewinnen. Bei Mio wurde eine größere stärken und neue aufzubauen. Gleichzeitig tragen Bürofläche von 100 qm erstmalig vermietet, die Instrumente zur Stärkung der Widerstands- gekündigt hat niemand. kraft bei. Wir haben die Beobachtungen und Lösungen der Innovator*innen in zwei Runden (Juni/Juli und Oktober 2020) gesammelt und die wichtigsten Learnings zusammengefasst. Sie zeigen, was ihnen geholfen hat, ihre Mieter*innen zu halten, neue 7 Learnings von den Innovator*innen und Raumanbieter*innen 16
1 Community aufbauen und von Anfang an leben Kreativschaffende aus angrenzenden Branchen. Durch die räumliche Nähe entstehen laufend Kooperationen und neue Projekte. Das House of Bandits ist nicht nur Raumanbieter, sondern auch „Aber wir haben Gott sei Dank eine starke eine offene Kreativ-Agentur: Jobs werden geteilt Community: Wir haben mit jeder*m Einzelne*n und Projekte gemeinsam durchgeführt. gesprochen und [...] Wir haben zwei Communi- ty-Manager zur Zeit, weil der eine ist quasi am Wie funktioniert Community-Building? Gehen und der bildet den anderen aus. Zu zweit Nachhaltiges Community-Building steht und machen sie das beide gerade ziemlich gut.“ fällt mit den Menschen oder der Gruppe, die — Stefan Yazzie Herbert im Juli 2020, House of eine Gemeinschaft bewusst aufbauen möchten. Bandits Das ist der erste und wichtigste Schritt. Michael Pöll, Gründer vom Rochuspark, sieht seine Fast alle Interviewpartner*innen kamen von sich aus Hauptaufgabe darin, dafür zu sorgen, dass alle auf den Community-Faktor zu sprechen und bekräf- Mieter*innen angedockt sind und sich als Teil der tigten, wie wichtig die Gemeinschaft gerade in Gemeinschaft wahrnehmen. Er selber sieht sich Krisenzeiten ist. Die Raumanbieter*innen, die Wert als Kommunikationsschnittstelle. Als menschliche auf eine Community legen und diese aufgebaut Matching-Schnittstelle vernetzt er die Menschen hatten, wurden von ihren Mieter*innen in der Krise untereinander. Er weiß, wer gerade was braucht bzw. unterstützt: Auch wenn die Mieter*innen den Platz wo sich neue Projekte ergeben und wer Interesse nicht brauchten, kündigten sie ihn nicht. Die Unter- haben könnte. Die wichtigste Zutat ist Zeit und ein stützung war aber keine Einbahnstraße, sondern echtes Interesse am Gegenüber. Funktionierende erfolgte gegenseitig: Die Raumanbieter*innen Communitys und nachhaltige Bindungen bilden unterstützten zum Teil die Mieter*innen, die keine sich über laufenden Austausch. Gute Communi- Einnahmen mehr hatten und sich die Miete nicht ty-Manager*innen sind Gastgeber*innen, die leisten konnten. Beispielsweise setzten sie die einen Rahmen für Bindungen zwischen den Miete herab oder zeitweise aus. Mitgliedern schaffen, diese explizit fördern und Gemeinschaftserlebnisse ermöglichen. Die Raumanbieter*innen, die nicht in eine Community investiert hatten, hatten in der Krise viel Im House of Bandits gab es in der Krise zwei stärker zu kämpfen, da die Bindung und Loyalität bei Community-Manager: Ersterer wollte das Projekt den Mieter*innen geringer bis gar nicht ausgeprägt verlassen und bildete zu dieser Zeit den künftigen war. Das ist vergleichbar mit den Entwicklungen bei Community-Manager aus. Die Aufgabe: Dafür den rein kommerziellen Co-Working-Spaces, die sorgen, dass die Community of Creators in der Krise mit bis zu 70 % Mieter*innenschwund in der Krise zusammenhält. zu kämpfen hatten (Hoffmann 2020). Der Grund: Mieter*innen, die nicht nur Raum zur Verfügung Bei Markhof trafen sich Interessierte bereits auf gestellt bekommen, sondern gleichzeitig in eine den Baustellen. Viele der Menschen der ersten Community eingebettet werden, verlieren mit Stunde sind heute noch in das Projekt Markhof einer Kündigung nicht nur Raum, sondern auch involviert bzw. eingemietet. Über die Jahre haben das soziale Umfeld, Kolleg*innen und teilweise sich tragfähige Beziehungen aufgebaut, u. a. auch den Zugang zu Kund*innen, Projekten und weil die Netzwerke bereits vor Bezug der Räume Aufträgen: Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes und geknüpft waren. Das ist auch bei der Hauswirt- des Netzwerkes können also finanzielle Einbußen schaft und Gleis 21 der Fall. Beim Gewerbecluster einhergehen. Mio hat die Prozessbegleitung die Nutzer*innen des Erdgeschosses, deren Mieten gestützt werden, The Nest und House of Bandits haben die und die des ersten Obergeschosses, die normale Möglichkeit einer Zusammenarbeit zwischen ihren Miete zahlen, als Einheit gesehen. Dadurch konnte Mieter*innen stark in ihrem Konzept eingewoben: sich über beide Ebenen eine Community bilden. The Nest ist Arbeitsraum für Musiker*innen und Die Haltung und das Agieren der Prozessbe- 17
gleitung bzw. der Vermieter*innen wirkt und bildet Andere positive Effekte für das Quartier sind: Gemeinschaft – à la: Wenn dir jemand oft (genug) ▶ Eine aktive Gemeinschaft aus Einzel- und sagt: Du bist Teil dieser Gemeinschaft, bist du es Kleinstunternehmen im Quartier vermittelt irgendwann! Vertrauen, Stabilität und Zusammenhalt. Die Mehrzahl der Raumanbieter*innen, die wir Dadurch bleibt das Quartier für lokale Unter- befragt haben, haben hervorgehoben wie wichtig nehmer*innen, Bewohner*innen und andere die Gemeinschaft für die Stabilität des gemeinsam Akteur*innen attraktiv. genutzten Ortes war und ist. Zusammenfassend: Gibt es eine starke Community, gibt es weniger ▶ Es steigert aber auch die Attraktivität des Kündigungen. Die Mehrzahl der Mieter*innen Quartiers nach außen. Eine aktive Community konnten in der Krise gehalten werden. Das sichert macht das Quartier anziehend, es ist lebendiger wiederum den wirtschaftlichen Fortbestand der und wird dadurch auch in der Außenwahr- Räume zum Arbeiten. nehmung präsenter. ▶ Die Vernetzung eröffnet Kooperationspoten- Welche Vorteile kann der Aufbau einer ziale für die Mitglieder der Community: Es Community für ein Quartier haben? ergeben sich (gemeinsame) Aufträge, neue Wirtschaftlich gesehen, entspricht das Commu- Chancen und neue Projekte, aber auch Räume nity-Management dem Aufbau und der Pflege und neue Raumpartner*innen. der Kundenbindung. Aus anderen Branchen weiß man, wie ineffektiv es ist, wenn man nur Mittel ▶ Eine Community ermöglicht nachhaltige und zur Neukundengewinnung (in dem Fall: Mieter- wechselseitige Unterstützung. gewinnung) einsetzt, aber die Kundenbindung ▶ Es entstehen dichtere Netze der Solidarität in vernachlässigt. Die gängige Faustregel: Es kostet den Vierteln. Das soziale Kapital im Stadtteil rund fünfmal so viel, eine*n neue*n Kund*in zu nimmt zu und der Spaltung der Gesellschaft gewinnen, als eine*n bestehende*n Kund*in zu wird entgegengewirkt. halten. Ein Community-Management für die Einzel- Denn unsere Beobachtung bislang ist: Die Selbst- und Kleinstunternehmen und andere lokale ständigen, Einzel- und Kleinstunternehmen Akteur*innen in einem Stadtteil zu installieren, speziell im Bestand sind sehr wenig untereinander ist so gesehen wirtschaftlich überaus sinnvoll. vernetzt. Es fehlt ihnen an Kontakten mit Gleich- Es gibt weniger Fluktuation, weniger Leerstand, gesinnten im nahen lokalen Umfeld. Die lokalen mehr Angebote, die Attraktivität steigt und es Akteur*innen haben nicht die Ressourcen und es müssen weniger Mittel zur Neugewinnung von fehlt der Rahmen, um Kontakte zunächst ziellos Mieter*innen eingesetzt werden. Es ist mit dem aufzubauen und zu pflegen. Sie sind es außerdem Fortschreiten der Digitalisierung effizienter, ein gewöhnt, sich als Einzelkämpfer*innen den Community-Management für ein Quartier als nur Herausforderungen zu stellen – dadurch bleiben für ausgesuchte Flächen und Straßen zu instal- viele Chancen ungenutzt. lieren, da durch den Einsatz von digitalen Tools der Aufwand bei der Community-Organisation in Eine der Lehren aus den Gesprächen mit den den letzten Jahren spürbar gesunken ist. Mit der Innovator*innen: Eine Gemeinschaft bildet sich Krise haben die Einzelunternehmen vielfach auch nicht zufällig, es muss sich jemand aktiv darum ihre Technik-Berührungsängste abgelegt und den kümmern. Pro Stadtteil braucht es eine engagierte Umgang mit digitalen Tools erlernt. Das gewich- Person (bezahlt), die proaktiv auf die Menschen tigere Argument: Wenn alle lokalen Akteur*innen zugeht und den Community-Aufbau bzw. die in einem Quartier teilhaben können, werden Vernetzung federführend übernimmt. Es braucht entsprechend mehr Synergien und mehr Chancen auch die Infrastruktur dazu: Digitale Tools, aber für das Quartier entstehen. Erst dann entsteht eine auch Räume für Treffen und Begegnungen. quartiersübergreifende Dynamik, die das Quartier belebt und nach vorne bringt. 18
2 3420 aspern development GmbH zog aus der Krise Im Gespräch bleiben den Schluss, dass es Sinn macht den Verein für die Unternehmer*innen in der Seestadt zu stärken, auch wenn es schwierig ist damit die Kommunikation auch in Krisenzeiten gewährleistet bleibt. Potentiale, die in der Gemein- „Wir haben gemerkt, dass sich viele Hausverwal- schaft liegen, können dadurch leichter identifiziert tungen in der Corona-Krise sehr schwer getan werden – z. B. kann eine gemeinsame Auslieferung haben. Manche waren überlastet und schwer organisiert oder sich gegenseitig mit Sichtbarkeit erreichbar. [...] Wir haben dennoch versucht den unterstützt werden. Kontakt mit den Bewohner*innen nicht abreißen zu lassen. Aber es war auch für uns schwierig sie zu erreichen. [...] Während mit den Baugruppen 3 das Programm relativ normal weitergelaufen ist – nur halt als Zoom-Meetings.” Digitale Kommunikations- — Gernot Tscherteu im Juli 2020 – Realitylab kanäle & Formate etablieren Die Mieterin einer Geschäftsfläche im 9. Bezirk erzählte uns, dass sie aus lauter Verärgerung, weil der Vermieter nicht erreichbar war, ihren Der Austausch hat trotzdem stattgefunden – Mietvertrag gekündigt hat. Er antwortete einfach fast täglich. [...] Wir haben sogar ein Online-Ge- nicht auf ihre Anfrage nach einer Mietreduktion, meinschaftswochenende gehabt, wo wir ein auch weitere Kontaktversuche waren vergebens. Wochenende gemeinsam online miteinander verbracht haben: 3 Tage mit unterschiedlichen Unsere Gesprächspartner*innen erzählten von Themenblöcken, wo wir uns zu definierten ganz unterschiedlichen Erfahrungen, wie die Zeiten getroffen haben, es hat jeder 5-6 Kommunikation innerhalb der eigenen Projekte Stunden in Konferenzen verbracht. Es gab auch oder auch mit Partner*innen ablief: Während eine Hotellobby – ein offener Bereich, wo wir die einen Rundmails an alle verfassten, redeten abhängen konnten, da ist dann daneben gekocht andere mit jeder*m Einzelnen persönlich. Die worden und so Dinge.“ Macher*innen von House of Bandits, Markhof, The — Peter Rippl im Juni 2020, Die Hauswirtschaft Nest und Rochuspark standen im engen Kontakt mit ihren Mieter*innen bzw. Mitgliedern und es In der Phase der Kontaktbeschränkungen haben fand ein Austausch darüber statt, wer wie und die Baugruppen bewiesen, dass sie sehr agil auf in welchem Umfang von der Krise betroffen war. veränderte Bedingungen reagieren können. Sie Mit dem Wissen konnte Hilfe und Unterstützung waren auch am schnellsten im Schaffen einer organisiert werden. Das stärkte die Solidarität neuen digitalen Kommunikationsinfrastruktur und aller. Patricia Ziegler von The Nest verschickte verlegten ihr Miteinander in den digitalen Raum. außerdem laufend Updates mit Unterstützungs- Die Einschränkungen hatten somit keine Auswir- möglichkeiten für Musik- und Kulturschaffende an kungen auf ihre Abstimmungs- und Planungspro- ihre Mieter*innen. Diese Infos veröffentlichte sie zesse, vielmehr hat sich gezeigt, dass die Gruppe auch in ihrem Blog bzw. ihren Social Media Kanälen auch in Krisenzeiten handlungsfähig ist. Dieses und konnte dadurch die Bekanntheit von The Nest Erlebnis schweißt zusammen. zusätzlich steigern. Unsere Gesprächspartner*innen bei Wohnbund Diejenigen Gesprächspartner*innen, die in der Consult und Realitylab bestätigten das. Sie Krise sofort proaktiv das Gespräch mit ihren führten ihre Arbeit ebenfalls digital weiter. Sie Mieter*innen suchten, hatten zudem von Anfang haben ihre Veranstaltungen für Baugruppen und an einen guten Überblick, wie sich die Situation für die firmeninterne Kommunikation auf eine neue ihr eigenes Unternehmen entwickeln könnte. 19
digitale Kommunikationsebene gehoben, z. B. und Social Media Arbeit in Form von regelmäßigen durch Einrichten einer Gruppe im Messenger oder Beiträgen auf Twitter, Facebook, Linkedin und tägliche digitale Jour Fixes. Sie hielten ihre Veran- Instagram. Peter Rippl, der Initiator der Hauswirt- staltungen als Videokonferenz ab und es funktio- schaft, hat bereits vor Jahren eine Facebook Gruppe nierte besser als erwartet. für Bewohner*innen und lokale Akteur*innen im Nordbahnviertel gestartet und moderiert sie noch Die Hauswirtschaft stand nicht nur vor der Frage, heute. Mittlerweile hat sie über 3.700 Mitglieder wie sie sich intern organisieren, sondern auch, wie und ist damit die Drehscheibe für Informationen sie die nächste Phase der Mitgliedergewinnung im Stadtteil. und -aufnahme in die Genossenschaft gestalten können. Die üblichen Abläufe waren durch die Gemeinsam digital sichtbar sein Covid-19-Maßnahmen nicht mehr durchführbar. Ihnen kam jetzt zugute, dass sie schon vor der Krise Dagegen haben viele Einzel- und Kleinstunter- die digitalen Kommunikationskanäle aufgebaut nehmen erst mit Covid-19 damit begonnen sich hatten, um Interessierte zu erreichen. Die Infover- intensiver mit den digitalen Tools und Möglich- anstaltungen, sowie die weitere Prozessorgani- keiten zu beschäftigen. Die Akteur*innen der sation wurden in den digitalen Raum verlegt. Ein kleinteiligen lokalen Wirtschaft standen der Learning bei der Hauswirtschaft: Die digitalen Digitalisierung vor der Pandemie in vielen Fällen Veranstaltungen waren sogar noch besser besucht, ablehnend gegenüber. Doch jede Krise hat Trans- als die analogen Veranstaltungen vor der Krise. formationskraft: Die Kontaktbeschränkungen Trotz der ungewöhnlichen Umstände konnten sie dieser Krise haben einen Digitalisierungsschub bei auf diese Weise bis November acht neue Mitglieder den Einzel- und Kleinstunternehmen ausgelöst. – und damit künftige Mieter*innen der Gewer- Viele haben sich erstmals an E-Commerce, beflächen – gewinnen und in die Genossenschaft digitale Services und digitale Formate herange- aufnehmen. traut. Wo aber die Angebote bei den potenziellen Kund*innen in der Umgebung sichtbar machen, The Nest geht noch einen Schritt weiter: Patricia wenn es keine etablierten digitalen Kommunikati- Ziegler hält nicht nur digital den Kontakt zu ihren onskanäle im Stadtteil gibt? Mieter*innen, sondern hat sich Gedanken darüber Um diese Kanäle aufzubauen, braucht es jedenfalls gemacht, was ihre Mieter*innen in der Situation eine Person, die das organisiert. Es erspart viel wirklich unterstützen könnte. Alle Mieter*innen Arbeit, Zeit und Geld, wenn digitale Kommunikati- und ihr Netzwerk kommen aus der Musik- und onskanäle auf Stadtteilebene bei der Planung von Kreativbranche, d. h. viele haben durch die neuen Quartieren mitgedacht und überall kommu- Pandemie weniger oder gar keine Einnahmen niziert werden. Mit dem Aufbau dieser Kanäle ist mehr. Deshalb reichte Patricia Ziegler nach dem es aber nicht getan – sie müssen auch gepflegt ersten Lockdown eine Förderung ein, um einen und moderiert werden. Zusätzlich dazu benötigt Web-Shop bei The Nest aufzubauen, über den ihre es Einführungsformate, bei denen die Kanäle Mieter*innen in Zukunft ihre Produkte bzw. auch vorgestellt und die Tools erklärt werden. Die klein- Dienstleistungen verkaufen können. The Nest baut teilige Nutzungsmischung in den Quartieren wird die digitale Infrastruktur und den Rahmen auf, merklich davon profitieren, wenn noch mehr lokale damit ihre Mieter*innen zusätzliche Einnahmen Akteur*innen den digitalen Werkzeuggebrauch generieren können. Sie bietet damit nicht nur beherrschen. Raum, sondern auch einen digitalen Vertriebs- kanal plus entsprechende Marketingleistungen an. Zusätzlich dazu, hat sich das Konsumentenver- halten in den letzten Jahren massiv Richtung Fast alle unsere Gesprächspartner*innen haben online verlagert. Es ist zwingend notwendig, dass auch schon vor der Krise digitale Kanäle bespielt, die Angebote der Alltagsökonomie auch digital um ihre Raumangebote sichtbarer zu machen und sichtbarer werden. Dabei müssen wir die lokalen sich mit Interessierten zu vernetzen. Dazu inves- Akteur*innen tatkräftig unterstützen z. B. durch tierten sie in eigene Websites, Blogs, Newsletter 20
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