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Magazin tierrechte Ausgabe 2/2018 Moderne Gentechnik – Fluch und Segen Tierschutz kommt vor Hausfriedensbruch Kosmetik-Tierversuche: EU-Parlament für weltweites Verbot Interview: Zoos sind und bleiben Gefängnisse!
Inhalt Moderne Gentechnik – Fluch und Segen ................................................................. 4 Die technischen Durchbrüche auf dem Gebiet der Genmanipulation haben großen Einfluss auf die Forschung weltweit. Die Verlierer dieser Entwicklungen sind die Tiere, die aufgrund des Gentechnik-Booms für die Wissenschaft leiden und sterben. Gleichzeitig können die neuen Techniken eingesetzt werden, um humanspezifische, tierleidfreie Forschungsmethoden zu entwickeln. Tierschutz kommt vor Hausfriedensbruch ............................................................. 14 Nach einem aktuellen Urteil des Oberlandesgericht Naumburg gilt Nothilfe auch für Tiere und wiegt schwerer als Hausfriedensbruch. Doch die Bundesregierung Titelbild: ignoriert Naumburg und bleibt bei ihrer persönlichen Rechtsinterpretation. DNA-Struktur: freepik.com/Kotkoa Mäuse: pixabay.de/Etouale Kosmetik-Tierversuche: EU-Parlament für weltweites Verbot ............................ 16 Aus der EU kommen gleich drei gute Nachrichten zu Tierversuchen: Das EU- Parlament setzt sich für ein internationales Tierversuchsverbot für Kosmetik ein, die Kommission will mehr Transparenz bei Tierexperimenten und die Europäische Arzneibuchkommission schafft einen der ältesten und weitverbreitetsten Tierversuche zur Arzneimittelprüfung ab. Impressum ISSN 1434-220 Interview: Zoos sind und bleiben Gefängnisse! .................................................... 18 tierrechte ist der Infodienst der Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Der Psychologe und Sachbuchautor Colin Goldner berichtet über gängige Tierversuchsgegner e. V. und erscheint Missstände, Legitimationsstrategien der Zoos und darüber, wie ein Ausstieg viermal jährlich. Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. aus dem System Zoo funktionieren könnte. Herausgeber/Verlag Menschen für Tierrechte – Bundesverband Weniger Tierleid durch bessere Technik? ................................................................. 6 der Tierversuchsgegner e. V. Mühlenstr. 7a | 40699 Erkrath Tiere als Ersatzteillager – Xenotransplantation ...................................................... 7 Tel. 0211 - 22 08 56 48 | Fax 0211 - 22 08 56 49 info@tierrechte.de | www.tierrechte.de Vom Schaf zum Affen – genetische Kopien durch Klonen ..................................... 8 Redaktion Christina Ledermann, V.i.S.d.P. Interview: Patente machen Tierversuche zu einem profitablen Geschäft! ........ 10 Christiane Hohensee Carolin Spicher Kein Allheilmittel: Genetisch veränderte Tiermodelle .......................................... 11 Christiane Baumgartl-Simons Tierversuchsfrei: Forschung mit Stammzellen ....................................................... 12 Gestaltung Das Atelier | Alexa Binnewies Merkels tierfeindliche Haltung schadet Tieren und Bauern! ............................... 15 www.dasatelier.de Kosmetik-Tierversuche: EU-Parlament für weltweites Verbot ............................ 16 Druck Bartels Druck GmbH, 21337 Lüneburg www.bartelsdruckt.de Landesjagdgesetz NRW: Ein tierschutzpolitischer Offenbarungseid .................. 17 Papier Fachtagung: Umgang mit Jungtieren und Föten ................................................... 20 tierrechte wird auf 100% Recyclingpapier – ausgezeichnet mit dem Umweltengel – Münster: Haltungsverbot nach illegalen Tierversuchen ...................................... 20 gedruckt Skandal: Kulturerbe „Brieftaubenwesen“ ............................................................. 20 Vorstand Charité und TU: 34 Millionen für humane Modellsysteme ................................... 21 ▪ Dr.-Ing. Kurt W. Simons (Vorsitzender) simons@tierrechte.de ▪ Dr. med. vet. Christiane Baumgartl-Simons Niederlande: Weitere Maßnahmen zum Abbau von Tierversuchen ................... 21 (stellvertretende Vorsitzende) Tel. 06751 - 95 03 91 | Fax 06751 - 95 03 92 Liegt vor: Geschäftsbericht 2017 ............................................................................. 21 baumgartl@tierrechte.de ▪ Christina Ledermann (M.A.) Rechtsgutachten: Videokameras im Schlachthof sind möglich ........................... 21 (stellvertretende Vorsitzende) Tel. 0211 - 16 34 54 29 ledermann@tierrechte.de Vorstandsmitglieder Rubriken (alphabetisch) ▪ Susanne Pfeuffer Impressum ................................................................................................................... 2 Telefon 0171 - 888 05 97 pfeuffer@tierrechte.de Editorial ....................................................................................................................... 3 ▪ Manuela Sägner Shop ........................................................................................................................... 22 Tel. 0157 - 77 84 44 42 saegner@tierrechte.de Helfen ........................................................................................................................ 23 ▪ Dr. Ute Teichgräber Kontakt ...................................................................................................................... 24 teichgraeber@tierrechte.de Ehrenmitglied: ▪ Dr. jur. Eisenhart von Loeper 2 tierrechte | Ausgabe 2/2018
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freunde, in dieser Ausgabe haben wir uns ein schwieri- ges und vielschichtiges Thema vorgenommen: die Gentechnik. Der Titel „Moderne Gentech- nik – Fluch und Segen“ sagt schon, um was es geht. Für den aktuellen Gentechnik-Boom leiden und sterben viele Tiere – Tendenz steigend. Für die Xenotransplanta- Mitglied bei tion sollen sie als Ersatzteillager für den Menschen ausgebeutet werden. Mit n pean Coalitio ECEAE – Euro ts neuen Klontechniken will der Mensch „Hochleistungstiere“ produzieren, die al Experimen To End Anim mehr Milch und Fleisch liefern sollen und an der Patentierung gentechnisch ional The Internat veränderter Tiere verdienen Firmen, Patentanwälte und das Europäische InterNICHE – ation Humane Educ Patentamt (EPA). Gleichzeitig können die neuen Techniken auch eingesetzt Net work for Netzwerk e.V. werden, um leistungsfähige humanspezifische und tierleidfreie Forschungs- Gen-ethisches methoden zu entwickeln – beispielsweise mit induzierten pluripotenten e.V. eganer Anbau Biozyklisch-V Stammzellen (iPS). Die kleinen Alleskönner haben ein großartiges Potenzial für die Erforschung von Krankheiten und die Entwicklung neuer Arzneimittel. Überwiegend positiv sind derweil die EU-Neuigkeiten in Sachen Tierversu- che: Das EU-Parlament setzt sich für ein internationales Tierversuchsverbot für Kosmetik ein, die EU-Kommission will (endlich) mehr Transparenz bei Tierexperimenten und die Europäische Arzneibuchkommission hat einen der ältesten Tierversuche abgeschafft. Ermutigendes hören wir auch aus Den Haag: Die niederländische Wissen- schaftsministerin Ingrid van Engelshoven macht sich für eine 40-prozentige Reduzierung von Affenversuchen stark. Darüber hinaus hat sie die König- lich-Niederländische Akademie der Wissenschaften (KNAW) beauftragt, für die tierfreie Erforschung des zentralen Nervensystems eine Planung zu entwickeln. Mit diesen konkreten Maßnahmen bekräftigen die Niederlande ihren Aus- stiegswillen aus dem Tierversuch. Zur Erinnerung: Die Niederlande stellten im Dezember 2016 als erster EU-Staat einen Abbauplan für Tierversuche „Transition to non-animal research“ vor. Der Ausstieg läuft über die Reduk- tion der Tierversuche, ohne dabei Wissenschaft und Medizin in ihrer Quali- tät zu gefährden. Während unser Nachbarland handelt, erweist sich Deutschland in Sachen Tierversuchsabbau als Hemmschuh. Es beurteilt die niederländische Stra- tegie als unsinnig. Wir setzen uns dafür ein, dass Deutschland sich an dem konsequenten Vorgehen der Niederlande orientiert und es dabei unter- stützt. Genau dies fordern wir von den Bundesministerinnen Karliczek und Klöckner, zuletzt Mitte Juni, als wir zu Gast im Bundeslandwirtschaftsminis- terium waren. Und dies werden wir weiter tun. Vielen Dank, dass Sie uns dabei unterstützen. Spenden-/Beitragskonto Herzliche Grüße Bundesverband der Ihre Tierversuchsgegner e. V. Sparkasse Aachen IBAN: DE02 3905 0000 0016 007973 BIC: AACSDE33 Christina Ledermann Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e. V. ist als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Spenden und Mitgliedsbeiträge sind steuerlich absetzbar. Erbschaften und Vermächtnisse sind von der Erbschaftssteuer befreit. Ausgabe 2/2018 | tierrechte 3
Gentechnik Moderne Gentechnik – Fluch und Segen Die technischen Durchbrüche der letzten Jahre auf dem Gebiet der Genmanipulation haben substanziellen Einfluss auf die Forschung weltweit. Die traurigen Verlierer dieser Entwicklungen sind die Tiere, die aufgrund dieses Gentechnik-Booms zusätzlich für die Wissenschaft leiden und sterben. Gleichzeitig können die neuen Techniken eingesetzt werden, um humanspezifische, tierleidfreie Forschungsmethoden zu entwickeln. Die dunkle Seite des Fortschritts Seit dem Jahr 2000 werden gentechnisch veränderte Tiere Für die Situation innerhalb Europas wird es erstmals 2019 in Deutschland gesondert erfasst und der Trend ist in den einen offiziellen umfassenden Bericht geben. Bisherige letzten Jahren stetig steigend. Waren es 2010 noch ungefähr Vergleiche der Zahlen zwischen Mitgliedstaaten bestätigen 25 Prozent aller gezählten Tiere, sind es 2016 schon über jedoch den allgemeinen Aufwärtstrend. 40 Prozent gewesen. Das sind über 1,2 Millionen Tiere. Der Großteil davon waren Mäuse und Fische. Seit 2015 wurden Ausbeutung auf diversen Ebenen sogar mehr solcher Mäuse zu wissenschaftlichen Zwecken Die Motive für die genetische Manipulation von Tieren verwendet, als Tiere, die nicht gentechnisch manipuliert sind vielfältig. Dabei stehen keineswegs immer drängende wurden. medizinische Probleme im Vordergrund. Vielmehr geht es oft auch um wirtschaftliche Ziele (siehe auch den Artikel zu Nur ein Bruchteil statistisch erfasst Patenten, S. 10). Beispielsweise sollen sogenannte Nutztie- Dabei darf man die höchstwahrscheinlich hohe Dunkel- re wie Schweine oder Fische schneller wachsen und größer ziffer nicht vergessen. In der Statistik tauchen lediglich die werden, um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu genetisch manipulierten Tiere auf, die zur Schaffung einer können. Aber nicht nur mehr leisten sollen die Tiere, sondern neuen Zuchtlinie verwendet oder nach der Zucht in weiteren bestenfalls noch bequemer in der Haltung werden, beispiels- Versuchen eingesetzt werden. Gentechnisch veränderte Tiere weise indem bei Rindern die Gene für ihre Hörner abgeschal- aus Vorratshaltung von schon bestehenden Zuchtlinien wer- tet werden. Solche Forschung wird sogar als „zum Wohl der den nur dann erfasst, wenn sie als Folge der Manipulation Tiere“ verkauft, da den Rindern so die schmerzhafte Proze- einen pathologischen Phänotyp zeigen, also unter der Gen- dur der Enthornung erspart werden könnte, die aktuell in manipulation leiden. Wie viele Tiere zum Beispiel bei dem der Rinderhaltung gang und gäbe ist. Kaninchen, Ziegen und Versuch der gentechnischen Veränderung starben, missgebil- Kühe werden genetisch verändert, um als „Bioreaktoren“ det geboren oder bereits als Embryonen abortiert wurden, in ihrer Milch oder im Blut menschliche Eiweiße zu produ- geht nicht aus der Statistik hervor, ebenso wenig wie die zieren. Solche Eiweiße werden zur Herstellung von Medika- Zahl der Tiere, bei denen es misslang, das Erbgut überhaupt menten oder Nahrungsmittelzusätzen verwendet. Schweine zu verändern. Manche Experten schätzen die Dunkelziffer werden zudem als mögliche zukünftige Organspender für für solche nicht gemeldeten Tiere auf ungefähr zwei Drittel den Menschen gehandelt. Dafür werden durch genetische der „verbrauchten“ Tiere. Das würde konkret bedeuten, dass Manipulationen die Organe der Tiere „vermenschlicht“, um 2016 wahrscheinlich über 2,4 Millionen Tiere in Deutschland Abstoßungsreaktionen zu vermindern (siehe Artikel Xeno- für die Gentechnik sterben mussten, ohne dass sie je irgend- transplantation, S. 7). wo registriert wurden. 4 tierrechte | Ausgabe 2/2018
Tiere künstlich krank gemacht bestimmter Gene. So können schädliche Gene, wie zum Bei- In der biomedizinischen Forschung wird das Erbgut von Tie- spiel ein Unfruchtbarkeitsgen, in eine Population eingebracht ren gezielt verändert, um menschliche Krankheitssymptome werden. Nach wenigen Generationen findet es sich bei allen hervorzurufen, die Beschaffenheit von Organen zu verändern Nachkommen wieder, so dass alle Individuen der Population oder anderweitig in den Stoffwechsel der Tiere einzugrei- unfruchtbar sind und letztlich die gesamte Population aus- fen. Gentechnisch veränderte Mäuse und Ratten können so stirbt. Das Prinzip des „Gene-Drive“ ist derzeit hauptsächlich manipuliert und gezüchtet werden, dass sie Tumore bilden, bekannt als Lösungsansatz für die Bekämpfung krankheits- Diabetes bekommen oder taub sind. An solchen sogenannten übertragender oder landwirtschaftsschädigender Insekten, Tiermodellen sollen dann entsprechende menschliche Krank- deren genetische Manipulation rechtlich nicht als Tierversuch heiten studiert und Therapien für den Menschen entwickelt gilt. Allerdings ist auch schon der mögliche Einsatz bei der werden. Bekämpfung sogenannter lokaler Plagen durch Säugetiere, wie Ratten oder Feldmäuse, im Gespräch. Derzeit werden Mehr Tiermodelle zu befürchten mögliche Risiken für Umwelt und ethische Bedenken solcher Hauptauslöser des regelrechten Gentechnik-Booms sind Vorhaben diskutiert. Es ist zu hoffen, dass es bei der Theorie bahnbrechende Fortschritte in der Methodik des „Geno- bleibt. me-Editing“. Heute ist es möglich, unter Verwendung der CRISPR/Cas-Methode (siehe Infokasten, S. 6) ohne großen Segen der Gentechnik: Fortschritte in vitro Aufwand sehr gezielt einzelne Genabschnitte zu verändern. Die brandneuen Techniken zum „Genome Editing“ lassen Es ist zu befürchten, dass durch die neuen Techniken in den sich allerdings auch auf humane Zellkulturen und sogenannte nächsten Jahren immer neue Tiermodelle entwickelt werden induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) anwenden (siehe und so die Zahl der „Versuchstiere“ steigen wird, anstatt zu S. 12/13). Hier kann die Gentechnik ein Segen sein. Sie ermög- sinken. Deswegen ist es jetzt entscheidend, die ethischen licht es, tierleidfreie, human-spezifische Krankheitsmodelle Grenzen effektiv zu ziehen, um die genetische Integrität und zu entwickeln und die molekularen Vorgänge in mensch- Identität der Tiere zu schützen. lichen Zellen zu erforschen. In den richtigen Händen kann die moderne Gentechnik so einerseits die Humanrelevanz Schädlingsbekämpfung durch Gentechnik? der biomedizinischen Forschung verbessern und gleichzeitig Eine weitere Anwendung der neuen „Genome-Edi- Tierversuche ersetzen. ting“-Werkzeuge, an der in den letzten Jahren intensiv geforscht wurde, ist der sogenannte „Gene-Drive“. Der Carolin Spicher „Gene-Drive“ verursacht eine beschleunigte Ausbreitung Die Nacktmaus ist gentechnisch so manipuliert, dass sie ein stark eingeschränktes Immunsystem hat. Fotos: pixabay.com Ausgabe 2/2018 | tierrechte 5
Gentechnik Weniger Tierleid durch bessere Technik? Das aktuelle Gene-Editing-Werkzeug der Wahl ist das sogenannte CRISPR/Cas- gewünschten Allel-Kombinationen be- System, eine Art zielgerichtete „Gen-Schere“, mit der das Erbgut einer Zelle sehr sitzen und diese auch vererben können. viel präziser verändert werden kann, als mit älteren Techniken. Damit ist auch die Diese Methode dauert aufgrund der „Erfolgsrate“ bei der Herstellung gentechnisch veränderter Tiere gestiegen. Nutzung von ES-Zellen länger, aber es Doch dies bedeutet nicht automatisch weniger Leid für die Tiere – im Gegenteil. kann im besten Fall auf langwierige und tierverbrauchsintensive Rückkreu- auch auf die Nachkommen übertragen zungen verzichtet werden. wird. Je nach Kombination fallen dabei unterschiedlich viele „Überschusstiere“ Amputation zur Erfolgskontrolle an. Da es für diese meist keine weite- In jedem Fall müssen alle geborenen re Verwendung gibt, werden sie aus Jungtiere leiden, wenn ihnen für die Kostengründen getötet. Ebenso müssen sogenannte Genotypisierung Gewebe die Eizellen-Spendertiere sterben (siehe entnommen wird. Üblich ist entweder Tabelle). die Amputation einer Zehe oder das Ausstanzen eines Stückchens vom Ohr Manipulation im Mutterleib (Toe- oder Ear-Clipping), manchmal Im Allgemeinen entspricht das Es gibt bei Mäusen auch die Möglich- wird auch ein Stückchen Schwanz abge- Gene-Editing dem Prinzip der 3R, dem keit, die Embryonen bereits im Mut- schnitten. Grundsatz der Reduktion oder Ver- terleib zu manipulieren. Hier sind dann minderung von Tierversuchen. Denn Eizell-Spendertiere und Ammentiere Reduktion von Tierversuchen wegen der präzisen Arbeitsweise das gleiche Tier und die Embryonen muss konsequent verfolgt wer- müssen weniger Tiere sterben, um ein müssen nicht erst eingepflanzt werden, den Tier mit den gewünschten genetischen sondern entstehen durch Verpaarung. Unabhängig davon, welche Methode Eigenschaften zu erhalten. Die Rea- Das spart einige wenige Tiere ein, dafür verwendet wird, bedeutet die Ent- lität sieht jedoch leider anders aus. ist der operative Eingriff zur Genmani- wicklung jedes neuen „Tiermodells“, Denn da mit den neuen Methoden viel pulation an den Muttertieren schwerer, dass zahlreiche Tiere „genutzt“ und mehr neue, sogenannte Tiermodelle als bei der bloßen Embryotransplanta- die meisten frühzeitig getötet werden geschaffen werden, übersteigen diese tion. oder noch vor der Geburt sterben. Dies die Zahl der eingesparten Tiere. Dieser ist ein sehr hoher, ein zu hoher Preis Foto: Fotolia.com/jonnysek Gentechnik-Boom spiegelt sich in den Embryos aus manipulierten em- für die Tiere. Deswegen fordert der stetig steigenden Zahlen gentechnisch bryonalen Stammzellen Bundesverband, dass die ethische Gü- veränderter Tiere wider. Eine weitere Möglichkeit, Tiere ge- terabwägung solcher Projekte äußerst netisch zu verändern, ist die Nutzung streng sein muss. Zudem müssen gezielt Kein Wundermittel gegen embryonaler Stammzellen (ES-Zellen). tierleidfreie Forschungsmodelle entwi- Tierleid Diese können in vitro gentechnisch ckelt und verpflichtend vorgeschrieben Auch mit den neuen Gen-Scheren ist verändert und anschließend in einen werden, um zunächst eine Reduktion der Tierverbrauch für die Herstellung Embryo gepflanzt werden, der sich im von Tierversuchen und perspektivisch eines solchen Tiers enorm hoch und 4- oder 8-Zellstadium befindet. Dieser die Abschaffung dieser genetischen variiert stark zwischen den Spezies. wird ebenfalls in eine Leihmutter ver- Manipulationen zu erreichen. Hinzu kommt, dass es unterschied- pflanzt. Der Unterschied ist hier, dass liche Möglichkeiten gibt, die neuen es Jungtiere gibt, die schon genau die Carolin Spicher Werkzeuge einzusetzen. Die bisheri- ge Standard-Methode sieht vor, dass befruchtete Eizellen, also Embryonen, CRISPR/Cas in vitro gentechnisch manipuliert und CRISPR/Cas ist eine molekularbiologische Methode, um DNA gezielt zu anschließend von einer Leihmutter schneiden und zu verändern (Genome Editing). Gene können mit dem CRISPR/ (Ammentier) ausgetragen werden. Cas-System eingefügt, entfernt oder ausgeschaltet werden. CRISPR steht für Die überlebenden Jungtiere weisen Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats, also kurze, sich meist noch nicht den gewünschten wiederholende DNA-Sequenzen. Diese werden synthetisch hergestellt und Genotyp aus. Nur manche von ihnen so gestaltet, dass sie gezielt auf eine bestimmte Stelle im Ziel-Genom passen. tragen die gewünschten Genvarianten Gekoppelt an ein Cas-Protein, das die DNA schneidet, kann der Komplex so ganz (Allele) und müssen anschließend noch bestimmte Abschnitte im Genom finden und ausschneiden. Zelleigene Repara- aufwändig rückgekreuzt werden, um turmechanismen reparieren dann die entstandene Lücke. Durch die Zugabe von sicher zu gehen, dass die Zielvariante synthetisch hergestellten DNA-Sequenzen, die genau in das entstandene Loch passen, können diese neu eingebaut werden. Dadurch können entweder einfach 6 tierrechte | Ausgabe 2/2018 Genomabschnitte entfernt oder punktgenau verändert werden.
Tiere Zweck Belastung Zahl Die Tiere werden mit Hormonen behandelt, um eine Superovulation auszulösen, d.h. mehr Eizellen reifen zu lassen. Diese werden nach Tötung der Tiere entnom- Weibchen Eizellenspende 6-10 men. Oder die Weibchen werden nach der Hormonbehandlung direkt mit poten- ten Männchen verpaart. Danach werden sie getötet, um die Embryos zu gewinnen. Werden mit sterilen Männchen verpaart, um eine Scheinschwangerschaft auszu- 4-8 Weibchen Ammentier lösen. Anschließend werden ihnen die Embryos operativ eingepflanzt. Am Ende (10 bis 20 gezüchtet) der Tragzeit werden sie getötet und die Jungtiere operativ „geboren“. Begattung/ Bei der Samenspende werden die Tiere i.d.R. vorher getötet, obwohl es mittler- Männchen 2-5 Samenspende weile schon möglich ist, eine Samenspende unter Narkose zu gewinnen. Steril, zur Auslösung der Männchen Sterilisation 2-5 Scheinschwan- gerschaft Embryonen 50-100 Geno- Entnahme von Gewebe zur Genanalyse durch Schwanzbiopsie oder Toe- bzw. Geburtenrate ca. 30% Jungtiere typisierung Nail-Clipping (schwankt stark) Vereinfachte Übersicht über beteiligte Tierzahlen und damit verbundene Eingriffe bei dem standardmäßigen Verfahren zur Herstellung einer genetisch modifizierten Maus. Überschusstiere aus Rückkreuzungen nicht inbegriffen. Tiere als Ersatzteillager – Xenotransplantation Das Forschungsgebiet der Xenotransplantation ist vielleicht das grauenvollste Kapitel der modernen Gentechnik. Hier nutzen Forscher alle ihnen zur Verfügung stehenden Techniken mit dem Hauptziel, Organe für den Menschen auf Vorrat zu züchten, und sprechen den betroffenen Tieren so jeglichen Eigenwert ab. Bei der Xenotransplantation werden Schweine als Organfabriken Zellen, Gewebe oder ganze Organe und Mit dem akuten Mangel an Spender- Körperteile von einer Spezies auf eine organen begründen Wissenschaftler andere übertragen. Dabei kommt es wie Prof. Bruno Reichart (Ludwig-Ma- teilweise zu schwersten Abstoßungs- ximilians-Universität München) die reaktionen bei den Empfängertieren, Notwendigkeit ihrer Forschung, Schwei- die meist unter Schmerzen sterben. Das neherzen in Paviane zu verpflanzen. Prinzip wird in der heutigen Forschung Dem Schwein wurde dabei zum Ver- Foto: pixabay.com in zwei Richtungen verfolgt. Vom hängnis, dass sein Herz anatomisch und Mensch auf das Tier und vom Tier auf physiologisch dem des Menschen sehr gert und wird in dieser Zeit mit über den Menschen. ähnelt und es deshalb als Organspen- 15 Millionen Euro gefördert. Ebenfalls der Nr. 1 für den Menschen gehandelt erforscht wird der Einsatz von Schwei- Zucht von menschlichen Tumo- wird. Paviane wurden als Primaten zum neherzklappen für den Ersatz defekter ren Modellorganismus für den Menschen Klappen beim Menschen sowie die In der biomedizinischen Forschung bestimmt. Um Abstoßungsreaktionen Transplantation von Schweine-Insel- wird seit Jahrzenten menschliches der Empfängertiere auf ein mögli- zellen (Insulin-produzierende Zellen der Gewebe, wie Tumorzellen, auf Mäuse ches Minimum zu reduzieren, werden Bauchspeicheldrüse) zur Behandlung übertragen, um an diesen die Tumor- stark genetisch veränderte Schweine von Diabetes-Patienten. entwicklung zu studieren. Die Tiere erzeugt. Trotz dieser Vorkehrungen entwickeln zum Teil riesige schmerz- kommt es zu Abstoßungsreaktionen Tierleidfreie Lösungsansätze: hafte Geschwülste, bevor sie getötet und die Paviane überleben bislang nicht Bioreaktoren und untersucht werden. Tausende Tiere sehr lange mit den Schweineherzen. Um dem Spenderorganmangel in werden so künstlich krankgemacht Zukunft entgegenzutreten, wären eine und leiden im Namen der Tumorfor- Millionenschwere Forschungs- präventive Medizin, die den Bedarf schung. Aber noch weniger Respekt für projekte von Spenderorganen senken kann die Würde der Tiere zeigt sich in dem Die Förderung des Sonderforschungs- sowie eine verstärkte Förderung von Forschungsbereich, der Tiere als bloße bereichs, der diese Versuche beinhaltet, Forschungsprojekten zur Zucht von Ersatzteillager für uns Menschen sieht. wurde vor zwei Jahren bis 2020 verlän- künstlichen Organen aus Stammzellen Ausgabe 2/2018 | tierrechte 7
Gentechnik in vitro ein ethisch vertretbarer Weg. Bioreaktoren zu integrieren, die in Immunzellen des Patienten verhindert Hier können auch 3D-Drucktechniken Diabetes-Patienten zukünftig die Rolle wird. Mit dieser Methode wären keine zum Einsatz kommen. Ein aktuelles Er- der Bauchspeicheldrüse übernehmen Abstoßungsreaktionen zu befürchten folgsbeispiel der In-vitro-Ansätze ist die sollen. Das besondere an diesen Biore- und es müssten keine Beta-Zellen aus Herstellung von Insulin-produzierenden aktoren ist, dass die spezielle Beschich- Schweinen gewonnen werden. Betazellen aus humanen Stammzellen. tung Nährstoffe und Hormone unge- Ziel der Forschung ist es, diese Zellen in hindert passieren lässt, während der Carolin Spicher künstliche Mini-Organe, sogenannte direkte Kontakt zu den körpereigenen Vom Schaf zum Affen – genetische Kopien durch Klonen Im Sommer 1996 erblickte das Bergschaf Dolly das Licht der auch aus anderem Gewebe. Diese Zellen werden im Labor Welt, das erste Säugetier, welches mittels somatischem Zell- vermehrt, und schließlich wird ihnen der Zellkern, in dem sich kerntransfer geklont wurde. Anfang dieses Jahres machte das Erbgut befindet, entnommen. Ein so erhaltener Zellkern China Schlagzeilen mit den ersten lebensfähigen geklonten wird mit einer Eizelle eines weiteren Tieres verschmolzen. Primaten. Diese Entwicklungen öffnen die Tür für die „Pro- Aus dieser Eizelle wurde der Zellkern – und damit das Erbgut duktion“ von mehr und mehr genetisch veränderten Tieren der „Eizell-Spenderin“ – entfernt. Nach Einpflanzung dieser unterschiedlicher Arten als sogenannte Krankheitsmodelle „zusammengesetzten“ Zelle in ein Muttertier soll dann ein für den Menschen. lebensfähiger Organismus heranwachsen, der genetisch ge- sehen eine „Kopie“ des Tieres darstellt, dem die Körperzellen Bis zu Dollys Geburt galt es als unmöglich, ein bereits aus- entnommen wurden. Allerdings ist ein geringer Anteil Erbgut gewachsenes Tier zu klonen und somit genetisch zu kopie- auch außerhalb des Zellkerns in der Zelle zu finden (in den ren. Seitdem sind viel Zeit und Geld in die Weiterentwicklung sogenannten Mitochondrien, den „Kraftwerken“ der Zelle). von Klontechniken geflossen und mittlerweile ist das Klonen Das Tier, dem die Eizelle entnommen wurde, gibt damit – von „Labormäusen“ zum Standard geworden. Denn: da die auch nach Entfernung des Eizellkerns – einen geringen Anteil Weiterzucht von gentechnisch veränderten Tieren oft schwie- Erbgut an den entstehenden Klon weiter. rig ist, werden Klontechniken für die Massenproduktion von Tieren verwendet. Entnahme von Entnahme von Eizellen Viele Motive befeuern die Klon-Maschinerie Körperzellen Neben dem Forscherdrang, Neues auszuprobieren, sollen geklonte „Hochleistungstiere“ mehr Milch und Fleisch, also letztlich mehr Profit liefern. In der medizinischen Forschung sollen als „Organspender“ vorgesehene genmanipulierte Schweine durch Klonen vermehrt werden (siehe Artikel S. 7, Xenotransplantation), ebenso wie transgene Schafe oder Zie- gen, die in ihrer Milch u. a. menschliche Blutgerinnungsfakto- ren oder industriell nutzbare Eiweiße produzieren. Bedrohte oder bereits ausgestorbene Tiere sollen wieder zum Leben Extraktion Entfernung des Zellkerns des Zellkerns erweckt werden, wobei sich niemand zu fragen scheint, wo diese Tiere leben sollen, wenn ihr Lebensraum nicht mehr existiert oder mehr und mehr zerstört wird. Manche Men- schen können sich nicht damit abfinden, dass das Leben end- Zygoten lich ist und möchten ihren Hund oder ihre Katze nach deren Tod geklont haben. Wie werden Tiere kopiert? Wenn heute vom Klonen gesprochen wird, ist meist vom sogenannten somatischen Zellkerntransfer die Rede. Dazu werden von dem lebenden Tier, das geklont werden soll, Zel- len entnommen, zum Beispiel aus dem Euter, der Haut oder 8 tierrechte | Ausgabe 2/2018
Foto: pixabay.com Hohe Sterberate Befruchtung gewonnene Embryonen im Vierzell- oder Bislang stellt das Klonen von Tieren einen sehr hohen Achtzell-Stadium zweigeteilt und in eine „Leihmutter-Kuh“ Verbrauch von Leben dar, denn die allermeisten der durch eingepflanzt. Da die Zellen in diesem Stadium noch die Fähig- Zellkerntransfer erzeugten Embryonen sterben noch im keit haben, sich zu einem vollständigen Wesen zu entwickeln, Mutterleib ab. Eine Stellungnahme der Europäischen Le- können auf diese Weise aus einem Embryo zwei gemacht wer- bensmittelbehörde EFSA zitiert einige Studien, in denen von den, die sich dann zu zwei Organismen entwickeln. Allerdings mehreren Tausend Versuchen, Rinder zu klonen, lediglich in sterben auch bei diesem Verfahren die Embryonen oft ab. neun Prozent der Fälle lebende Kälber zur Welt kamen, von denen einige kurz nach der Geburt starben. Bei Schweinen Liste der Kritik ist lang ist die „Erfolgsrate“ sogar noch weit niedriger. Die beiden Für Produkte von geklonten Tieren besteht nach Ansicht chinesischen Klonäffchen waren die einzigen zwei lebensfä- des Bundesverbands keinerlei Notwendigkeit. Tiere sollen higen Tiere von ursprünglich 109 erzeugten Embryonen. Die durch das Klonen in noch größerem Maß für vermeintliche Technik beinhaltet außerdem immer auch Manipulationen oder tatsächliche Bedürfnisse des Menschen ausgebeutet und Operationen an weiteren Tieren, die zu Schmerzen, werden. Durch Klonen beeinflusst der Mensch die genetische Leiden und Schäden oder auch Stress führen können. Das Identität eines Individuums nach für ihn zweckdienlichen Gewinnen der Eizellen, Implantieren der Embryonen oder Kriterien. Damit verletzt er Rechte, Eigenwert und Würde der auch das Gebären durch Kaiserschnitt sind schwere Eingriffe Tiere. Außerdem ist zu befürchten, dass die Etablierung von für die Elterntiere. Klontechniken zu einer Einschränkung der genetischen Viel- falt führen könnte. Schon heute sind durch die weit verbrei- Schmerzen, Leiden und Schäden tete Anwendung der Reproduktionstechnologien bei Tieren Die Embryos, die bis zur Geburt überleben, haben oft le- etliche Haustierrassen ausgestorben oder vom Aussterben benslang mit gesundheitlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. bedroht. Dieser Trend wird durch Klonen verstärkt. Bei Rindern, Schafen und Ziegen sind die geklonten Kälber bzw. Lämmer teilweise bei der Geburt zu schwer und zu groß Carolin Spicher (Large Offspring Syndrome – LOS), was einen Kaiserschnitt erforderlich macht. Diese Tiere sind dann teilweise trotzdem nicht lebensfähig, da auch die inneren Organe fehlgebildet Klontiere für die Nahrungsmittelproduktion sein können. Sie sind anfälliger für Krankheiten oder haben Derzeit gilt in der EU für Erzeugnisse wie Milch oder Schwierigkeiten beim Atmen, Saugen und Stehen. Andere Eier von geklonten Tieren keine Kennzeichnungspflicht. bekannte Leiden sind Störungen der Muskelfunktion (auch Allerdings gelten diese Produkte als sogenannte neu- des Herzmuskels), verminderte Anzahl roter und weißer Blut- artige Lebensmittel und fallen somit unter die Novel- körperchen, Lungenversagen, die Ausbildung einer Fettleber Food-Verordnung, müssen also als unbedenklich ausge- oder auch eine abnorme Entwicklung der Nieren. wiesen werden. Aktuell läuft auf EU-Ebene eine hitzige Diskussion darüber, das Klonen von Tieren zu Nahrungs- Zwillingsproduktion mittelzwecken und die Verwendung von Produkten Unter die Kategorie des Klonens fällt auch das sogenannte solcher Tiere zu verbieten. Sollte ein Verbot kommen, soll Embryo-Splitting. Beim Embryo-Splitting, das beispielswei- es für alle sogenannten Nutztierarten gelten. se bei Rindern angewandt wird, werden durch künstliche Ausgabe 2/2018 | tierrechte 9
Gentechnik Patente machen Tierversuche zu einem profitablen Geschäft! Der Tierarzt Dr. Christoph Then beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit der Gen- und Biotechnolo- gie. Er ist Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für unabhängige Folgenab- schätzung in der Biotechnologie, Testbiotech. tierrechte sprach mit ihm über die Patentierung von Tieren, warum sie zu mehr Tierversuchen führt und wer daran verdient. Was haben Patente mit Tierver- scheinlich sind, aber kein wesentlicher medizinischer Nutzen suchen zu tun? erzielt wird. Diese Abwägung wirft erhebliche methodische Dr. Christoph Then: Patente sind und rechtliche Schwierigkeiten auf. Wie ist zum Beispiel ein ein Ausdruck kommerzieller Inte- „wesentlicher medizinischer Nutzen“ zu definieren? Bisher ressen: In der Regel sollen patent- dient diese Regel vor allem dazu, dass Firmen und Patentan- geschützte Erfindungen innerhalb der wälte die bestehenden Verbote mit immer neuen Spitzfindig- Laufzeit der Patente (20 Jahre) möglichst gewinnbringend keiten unterlaufen. Daran verdienen nicht nur Patentanwälte vermarktet werden. Eigentlich sollten Patente nichts mit und die Industrie, sondern auch das EPA selbst: Seine Ein- Tierversuchen zu tun haben. Patente sollen die Nutzung von künfte werden aus der Erteilung von Patenten generiert. Erfindungen schützen und so einen Anreiz für Investitionen schaffen. Anreize, Tierversuche aus wirtschaftlichen Gründen Warum fördern Patente Tierversuche? durchzuführen, stehen den Zielen der europäischen Patent- Patente auf Versuchstiere verwandeln Tierversuche in ein gesetze entgegen. Diese Gesetze verlangen, dass Tierversu- profitables Geschäft. Das zeigte sich bereits bei der Krebs- che möglichst reduziert und ersetzt werden. Das Europäische maus, die von der Industrie regelrecht beworben wurde. Das Patentamt (EPA) erteilt aber routinemäßig Patente auf gen- zeigt sich jetzt wieder bei den neuen Gentechnik-Verfahren, technisch veränderte Versuchstiere und deren Verwendung. bei denen u. a. CRISPR/Cas eingesetzt wird: Alle diese Verfah- ren sind patentiert. Auf der Grundlage dieser Patente haben Seit wann gibt es Patente auf Versuchstiere? sich in den USA Firmen darauf spezialisiert, möglichst kosten- Der Präzedenzfall war 1992 ein Patent auf die sogenannte günstig und schnell Gentechnik-Mäuse und Ratten zu produ- Krebsmaus, die gentechnisch so verändert wurde, dass sie zieren. Auf den Websites von Firmen wie Applied StemCell zwangsläufig an Krebs erkranken muss. Die Firma DuPont, oder Cyagen Biosciences werden Versuchstiere regelmäßig die die patentierten Versuchstiere vermarkten wollte, be- als Sonderangebote angepriesen. Diese Firmen bieten ihre hauptete damals, dass mithilfe dieser Tiere Krebsmedikamen- Dienste auch in Europa an. te entwickelt und Tierversuche eingespart werden könnten. Beide Behauptungen waren nachweislich falsch. Trotzdem Wie gehen Sie gegen Patente auf Tiermodelle vor? hatte dieses Patent erhebliche Auswirkungen auf die weitere Testbiotech hat exemplarische Einsprüche gegen Patente Praxis des EPA: Seitdem wurden bereits rund 1.500 Patente eingereicht, in denen gentechnisch veränderte Menschenaf- auf gentechnisch veränderte Tiere beziehungsweise deren fen beansprucht werden. Zwei Einsprüche wurden gewon- Verwendung in Tierversuchen erteilt. So werden Tierversu- che zu einem Geschäftsfeld, das von wirtschaftlichen Mecha- nismen gesteuert wird. Patentiert werden Mäuse und Ratten ebenso wie Hunde, Katzen und sogar Menschenaffen. Sind Patente auf Tiere erlaubt? Die europäischen Patentgesetze verbieten Patente, wenn diese gegen die guten Sitten und die öffentliche Ordnung verstoßen. Anreize, die dazu führen, dass Tierversuche aus wirtschaftlichen Gründen durchgeführt werden, sind per se unsittlich, müssten also verboten sein. Auch Patente auf Tierarten sind verboten. Das Patentamt legt die bestehenden Verbote aber so aus, dass sie letztlich wirkungslos sind. 1998 hat die EU neue Regeln eingeführt, die Patente auf Foto: testbiotech Tiere eigentlich einschränken sollen, aber wenig hilfreich sind: Demnach dürfen Patente auf genetische Veränderun- gen an Tieren nicht vergeben werden, wenn Leiden wahr- 10 tierrechte | Ausgabe 2/2018
nen, allerdings sind das Einzelfallentscheidun- Was hat die Tierschutzbewegung/Tierrechtsbe- gen. Einsprüche gegen die US-Firma Intrexon wegung gebracht? und die Max-Planck-Gesellschaft waren nicht Testbiotech arbeitet mit Organisationen wie erfolgreich, hier haben wir in der ersten Run- Menschen für Tierrechte zusammen, um mehr de verloren und sind jetzt in der Beschwerde. Öffentlichkeit zu erreichen. Zudem nutzen wir Der Ausgang ist ungewiss. deren spezielle Expertise bei der Diskussion über Ersatzmethoden und die gesetzlichen Grundla- Parallel dazu haben wir an Banken appelliert, sich zu ver- gen. Wir haben zusammen Einsprüche eingelegt und auch pflichten, nicht in Firmen zu investieren, die entsprechende gemeinsam Brief-Aktionen an die Banken durchgeführt. Das Patente anmelden. Banken wie die GLS und die Ethikbank wollen wir gerne fortsetzen. waren hier sehr offen, entsprechende Regelungen fehlen aber nach wie vor. Wir werden also auch da noch einmal Das Interview führte Carolin Spicher aktiv werden müssen. Grafik: testbiotech Kein Allheilmittel: Genetisch veränderte Tiermodelle Jährlich steigt die Nutzung genetisch mehr Arbeitsgruppen nehmen sich vielversprechend aussieht, jedoch veränderter Tiere in der biomedizini- aktuell solcher Probleme an und nut- im menschlichen Patienten versagt? schen Forschung. Dabei stellt sich je- zen komplexe Analysemethoden, um Neben den offensichtlichen Speziesun- doch stets die Frage: Muss man etwas Forschungsergebnisse und Strategien terschieden zwischen Mensch und Tier, tun, nur weil man es kann? nachträglich zu bewerten. Ergebnis- die einem sofort in den Sinn kommen, se dieser Analysen können Hinweise wie zum Beispiel die Physiologie, Produktion und Handel mit soge- geben, ob gewisse Ansätze schon in Lebensführung oder der Einfluss von nannten Tiermodellen ist ein weltwei- der Vergangenheit erfolglos waren und Umweltfaktoren auf die menschliche tes Geschäft. Die Frage, ob dies ethisch so im besten Fall weitere Fehlschläge Gesundheit, gibt es auch molekularbio- gerechtfertigt ist, wird dabei selten verhindern. Für Forscher, die an Tieren logische Schwierigkeiten mit solchen gestellt. forschen, sind solche Rückblicke beson- Modellen. ders relevant, da es gilt, so viel Tierleid Nachträgliche Bewertung essen- wie möglich zu verhindern. Krankheit: Mehr als ein Gen ziell Schuld Zur Entstehung und Heilung neuro- Unzählige Unterschiede zwi- Meist ist es nämlich nicht ausrei- degenerativer Krankheiten wird schon schen Mensch und Tiermodell chend, einfach nur ein bestimmtes seit Jahren mit genetisch veränderten Aber woran liegt es, dass beispiels- Gen entsprechend dem menschlichen Tiermodellen geforscht – mit ver- weise ein potenzieller neuer Wirkstoff Patienten zu verändern. Mehr und schwindend geringem Erfolg. Immer im genetisch veränderten Tiermodell mehr Krankheiten wie beispielsweise Multiple Sklerose, Alzheimer, oder Muskeldystrophien gehen auf Verände- rungen im Genom zurück, die sich auch auf sogenannten nicht-kodierenden Sequenzen befinden. Die sind Bereiche der DNA, auf denen keine definierten Gene beschrieben sind. Diese Regionen haben oft regulatorische Funktion und es ist teilweise nicht genug über die ge- naue Funktionsweise bekannt, als dass man die Situation wirklich in einem Tier Foto: istockphoto.com/littlepeggy künstlich nachstellen könnte. Unterschiede im System Des Weiteren ist es möglich, dass im Tiermodell ein Mangel an human-spe- zifischen, zelleigenen Aktivierungsfak- toren herrscht, die für die Wirksamkeit Das eingeschränkte Immunsystem der Nacktmäuse bewirkt, dass sie keine Abstoßungsreaktionen zeigen, wenn 11 ihnen beispielsweise Gewebeteile von Tumoren implantiert werden. Die Tiere werden nach den Versuchen getötet und untersucht. Ausgabe 2/2018 | tierrechte
Gentechnik eines Arzneistoffes essentiell sind. Oder Gentechnik-Trend muss gestoppt Genehmigung solcher Forschungsvor- die Arzneien können im Tiermodell werden haben miteinfließen, um kurzfristig nicht entsprechend „biotransformiert“, Aufgrund dieser vielen möglichen weiteres Tierleid zu minimieren und also in die letztlich wirksame Form um- Fallgruben ist es umso wichtiger, dass den gegenwärtigen Trend zu stoppen. gewandelt werden und wirken deshalb sich Wissenschaftler umfassend mit Langfristig ist das Ziel, nicht mehr an nicht. Genauso kann es sein, dass im den bekannten Fakten zu den Vorgän- künstlich krank gemachten Tieren zu Tiermodell wirksame Substanzen im gen der Zielkrankheit befassen und forschen, sondern weitere leidfreie Menschen inaktiviert werden. Es kann eine realistische Prognose über den zu humanspezifische Methoden zu entwi- auch passieren, dass ein möglicher neu- erwartenden Erkenntnisgewinn erstel- ckeln und einzusetzen. er Wirkstoff im Menschen nicht in die len, bevor sie die Entwicklung eines Zielregion transportiert werden kann, neuen Modells planen. Dies alles muss Carolin Spicher obwohl dies im Tiermodell möglich war. in die strenge, ethische Abwägung zur Tierversuchsfrei: Forschung mit Stammzellen Gentechnik hat viele bedenkliche und negative Auswirkun- therapeutische Substanzen zu entwickeln. Ein Grund dafür ist gen. Doch es gibt auch positive. So sind induzierte pluripo- die unterschiedliche Physiologie zwischen Mensch und Tier. tente Stammzellen (iPS) zentral zur Herstellung humaner Zudem wird eine Erkrankung beim Menschen oft erst behan- Krankheitsmodelle. Die kleinen Alleskönner sind wiederum delt, wenn ernsthafte Symptome aufgetreten sind, also lange ein Schlüssel zur Erforschung von Krankheiten und neuer nach ihrer Entstehung. Arzneimittel. Gleichzeitig dienen sie dazu, Tierversuche durch humanspezifische Methoden zu ersetzen. Menschliche Krankheitsmodelle Ein Lösungsansatz ist die Entwicklung von In-vitro-Krank- Ob eine Substanz einen therapeutischen Nutzen für den heitsmodellen mit iPS-Zellen. Als pluripotent (von lateinisch Menschen hat, wird heute immer noch an Tieren getestet. plus „mehr“ und lat. potentia „Vermögen, Kraft“) bezeich- Oft an sogenannten Tiermodellen, für die Tiere künstlich net man Stammzellen, die die Fähigkeit besitzen, sich zu krank gemacht werden. Doch abgesehen von der ethischen jedem Zelltyp eines Organismus auszudifferenzieren, da sie Frage zeigt sich immer wieder, dass humanspezifische noch auf keinen bestimmten Gewebetyp festgelegt sind. Da Modelle oft besser geeignet sind, um molekulare Ursachen iPS-Zellen ein großes Potenzial für die Wissenschaft haben, von Krankheiten zu erforschen und zielgerichtet mögliche wird seit Jahren intensiv an ihnen und ihrer Erzeugung ge- forscht. Dadurch konnten die ethisch bedenklichen humanen embryonalen Stammzellen, für deren Erzeugung menschliche Embryonen getötet werden müssten, zu großen Teilen abge- löst werden. Giftigkeitstests an Leber- und Herzzellen Aus induzierten pluripotenten Stammzellen hergestellte humane Leber- und Herzzellen sind beispielsweise geeig- net, um toxische Wirkungen von Arzneimittelkandidaten zu testen (Screening). Da herzgiftige Arzneimittel nicht wei- terentwickelt werden, können ungeeignete Substanzen von vornherein aussortiert werden, das heißt, sie werden auch nicht an Tieren getestet. Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat bereits eine verbesserte Richtli- nie mit einer abgestuften Teststrategie entwickelt, in der Herzzellen aus induzierten pluripotenten Stammzellen einen zentralen Platz einnehmen. Hoffnungsträger Organ-Chips Die Kosmetik- und Pharmaindustrie setzt bereits 4-Organ- Chips mit Leber-, Niere-, Haut- und Darmgewebe oder -zellen Zellkultur-Multiwellplatte mit sechs Einsätzen für adhärente (auf Oberflächen) wachsende Zellen. Foto: Fotolia.com/JCG aus induzierten pluripotenten Stammzellen ein und ver- 12 tierrechte | Ausgabe 2/2018
iPS Zellen Körperzellen Patient Körperzellen Muskelzellen Organe Blutzellen Knochenzellen Induzierte pluripotente Stamzellen (iPSC) können sich in alle wichtigen Zellen des menschlichen Körpers entwickeln. Forscher können iPSC herstellen, indem sie Körperzellen reembryonalisieren. Grafik: metamorworks, Fotolia.com gleicht die Ergebnisse mit früheren Ergebnissen aus Tierver- Darmgewebe zur Entwicklung eines Norovirus-Infektions- suchen. Die große Hoffnung liegt jedoch auf der Nachbil- modells2. Amerikanische Wissenschaftler konnten jüngst ein dung der zehn wichtigsten menschlichen Organe auf einem Gen identifizieren, das eine Rolle bei der Entstehung von Mikrofluidik-Chip. Er verspricht, Tierversuche im Bereich der Parkinson spielt. In den Versuchen an humanen Nervenzellen Giftigkeits- und Medikamententests weitgehend zu ersetzen. stellten sie fest, dass ein anderweitig bekannter Arzneistoff Entwickler sprechen derzeit davon, dass so rund 70 Prozent den Prozess stoppen konnte3. aller Tierversuche in diesem Bereich wegfallen könnten. Stammzell-Tests tierversuchsfrei möglich Erforschung Patienten-spezifischer Arzneimittel Bis vor kurzem testeten Wissenschaftler an Mäusen, ob die Durch die Humanspezifik lassen sich iPS-Zellen auch nut- erzeugten humanen Stammzellen wirklich die gewünschten zen, um Patienten-spezifisch wirksame Substanzen zu finden Pluripotenz-Eigenschaften aufweisen – ein leidvolles Verfah- und deren Funktionsmechanismen zu untersuchen. iPS-Zel- ren. Die zu überprüfenden Zellen wurden den Mäusen unter len werden zudem bereits in klinischen Studien als Zeller- die Haut gespritzt. Bildete sich dort ein Tumor – ein soge- satztherapien bei altersbezogener Makula-Degeneration, nanntes Teratom, galten die Zellen als pluripotent. Mittler- einer Erkrankung der Netzhaut des Auges, die zum Sehver- weile gibt es einige tierversuchsfreie Ersatzverfahren zum Te- lust führen kann, verwendet. Ein aktuelles Beispiel stammt ratomtest, die teilweise preiswerter und schneller sind. Eine aus der Parkinsonforschung: Tübinger Forscher haben eine sehr effektive und zuverlässige Methode ist der PluriTest, der Form des Vitamins B3 in Dopamin-haltigen Nervenzellen, die Daten aus genetischen Profilen von humanen induzierten die aus iPS-Zellen entwickelt worden waren, getestet. Dafür pluripotenten Stammzellen sowie nicht pluripotenten Zellen hatten sie zuvor Hautzellen von Patienten entnommen, die verwendet. einen Gendefekt hatten. Sie beobachteten in der erzeugten Nervenzellkultur, dass das Vitamin den Energiestoffwech- Humanspezifisch statt Tiermodell sel antreibt und die Zellen vor dem Absterben schützt. Der Fazit: Stammzellen eröffnen ein grandioses Potenzial für Wirkstoff soll nun auf seine Therapietauglichkeit getestet die Erforschung von Krankheiten und die Entwicklung neuer werden1. Arzneimittel. Dies tun sie, eben weil sie humanspezifisch sind. Die kleinen Alleskönner bringen so – ganz nebenbei – auch Krankheitsmodelle aus dem 3D-Drucker die tierversuchsfreie Forschung voran. Dieses Doppel-Poten- Auch über einen 3D-Drucker sind bereits zahlreiche In- zial muss im Hinblick auf den anvisierten Ausstieg aus dem vitro-Krankheitsmodelle erzeugt worden, denen eine gen- Tierversuch gezielt gefördert werden. technische Produktion von Zelltypen aus induzierten pluri- potenten Stammzellen vorausgegangen ist, beispielsweise Dr. Christiane Hohensee 1) S chöndorf DC et al. (2018): “The NAD+ precursor, nicotinamide riboside, rescues mitochondrial defects and neuronal loss in iPSC and fly models of Parkinson’s disease“, Cell Reports, 23(10) doi: 10.1016/j.celrep.2018.05.009 2) B arrila J, Radtke AL, Crabbé A, Sarker SF, Herbst-Kralovetz MM, Ott CM, et al. Organotypic 3D cell culture models: using the rotating wall vessel to study host–pathogen interactions. Nat Rev Microbiol 2010;8:791–801. 3) Sangjune Kim, Seung Pil Yun, Saebom Lee, George Essien Umanah, Veera Venkata Ratnam Bandaru, Xiling Yin, Peter Rhee, Senthilkumar S. Karuppagounder, Seung-Hwan Kwon, Hojae Lee, Xiaobo Mao, Donghoon Kim, Akhilesh Pandey, Gabsang Lee, Valina L. Dawson, Ted M. Dawson and Han Seok Ko (2018). GBA1 deficiency negatively affects physiological α-synuclein tetramers and related multimers. PNAS 115 4) 798-803. Ausgabe 2/2018 | tierrechte 13
Magazin Tierschutzrecht Rechtskräftig: Tierschutz kommt vor Hausfriedensbruch Nothilfe und Notwehr gelten auch für Tiere und wiegen Hausrechts durch Eindringen in die Gebäude gerechtfertigt schwerer als Hausfriedensbruch. Mit dieser präzisen Aussa- ist, um sich gegen die staatlich geduldeten Verstöße gegen ge sprach das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg am 22. geltendes Tierschutzrecht zu wehren. Im Klartext heißt das: Februar das Schlusswort in Sachen Eindringen in Ställe, um Der Rechtfertigende Notstand, so wie er im Strafgesetzbuch Tierschutzverstöße aufzuzeichnen – sehr zum Leidwesen der (§ 34) aufgeführt wird, gilt auch für Tiere. Tiere zu schützen Bundesregierung. Insbesondere Bundeslandwirtschaftsmi- überwiegt den Hausfriedensbruch. nisterin Julia Klöckner (CDU) ignoriert Naumburg und bleibt bei ihrer persönlichen Rechtsinterpretation. Klöckners Lösungsansatz Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat jedoch Animal Rights Watch (ARIWA) dokumentierte 2013 massive eine eigene Sicht auf die Dinge. Rechtfertigender Notstand tierschutzrechtliche Verstöße in einem Schweinezucht- und spielt dabei keine Rolle. Der Freispruch von Haldensleben -mastbetrieb in Sachsen-Anhalt per Videoaufzeichnung und beeinflusst Klöckners Rechtstheorie nicht. Für sie ist das erstattete Strafanzeige. Die Ermittlungen der Staatsanwalt- Eindringen in Ställe, um Tiere zu schützen, ein klarer Fall von schaft bestätigten die aufgedeckten Verstöße. Ans Tageslicht kam auch, dass das Kreisveterinäramt die Tierschutzverstöße zumindest geduldet und geltendes Tierschutzrecht nicht durchgesetzt hatte. Während das Strafverfahren gegen die Verantwortlichen des Betriebes eingestellt wurde, erhielten die Tierschützer eine Klage wegen Hausfriedensbruch. Gang durch die Instanzen Das Amtsgericht Haldensleben sprach die Angeklagten im September 2016 frei. Dagegen ging die Staatsanwaltschaft Magdeburg in Berufung. Ein Jahr später bestätigte das Land- gericht Magdeburg den Freispruch aus 2016 (AG Haldensle- ben). Die Staatsanwaltschaft gab jedoch nicht auf und legte beim Oberlandesgericht (OLG) Naumburg Revision gegen den Freispruch vom Hausfriedenbruch ein. Der Revisionsan- trag wurde am 22. Februar 2018 abgewiesen. Damit war der Freispruch vom AG Haldensleben endlich rechtskräftig. Was steckt hinter dem Urteil? Die Filmdokumentation der Tierschutzverstöße war natürlich nur durch heimliches Eindringen in die Anlage möglich. Die Aufzeichnungen führten dazu, dass die Straf- anzeige von ARIWA gegen die Verantwortlichen der „van Gennip Tierzuchtanlagen GmbH“ nicht eingestellt wurde. Die Filmsequenzen veranlassten zunächst die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen und führten letztlich zur Bestätigung der Tierschutzverstöße. Soweit wäre es ohne die Videobelege nicht gekommen. Leider zeigen die langjährigen Erfahrun- gen, dass die Anzeigen ohne zwingende Beweise regelmäßig eingestellt werden. Filme ermöglichen Interessensabwägung Im Fall „van Gennip“ ermöglichten die Filmdokumentati- onen die wichtige Abwägung der unterschiedlichen Inter- essen von Tierhaltern und Tieren. Das Staatsziel Tierschutz, seit 2002 in unserer Verfassung verankert, repräsentiert das hohe Interesse unserer Gesellschaft am Wohlergehen der Tiere. Vor diesem Hintergrund stellen die Gerichte Haldens- leben, Magdeburg und Naumburg fest, dass das Stören des Fotos: soylent-network 14 tierrechte | Ausgabe 2/2018
Magazin Einbruch. Natürlich müsse das Nichteinhalten von Tierschutz- vorschriften bestraft werden. Dafür zuständig seien aber Merkels tierfeindliche keine selbsternannten Stallpolizisten, sondern die Bundes- Haltung schadet Tieren länder mit ihren Tierschutzkontrollen (Veterinärämtern). Hier müsse es genügend streng prüfende Kontrolleure geben, und Bauern! sagte Klöckner am 22. Mai der Berliner Morgenpost, also drei Monate, nachdem der Freispruch vom Hausfriedensbruch Zum Weltbauerntag am 1.Juni veröf- rechtskräftig geworden ist. fentlichte der Bundesverband einen Offenen Brief an Bundeskanzlerin Unentbehrliche Beweismittel Dr. Angela Merkel. Der Autor: Für den tierschutzrechtlichen Vollzug sind natürlich die Dr. jur. Eisenhart von Loeper, Ehren- Bundesländer mit den jeweiligen Veterinärämtern zuständig. mitglied und langjähriger Vorsitzen- Insoweit hat Klöckner Recht. Aber das Tierschutzrecht kommt der des Bundesverbandes. In dem Brief viel zu oft nicht bei den Tieren an, wie der Blick in die Praxis kritisiert er die verhängnisvollen Auswir- zeigt: Tierschutzverstöße in Stallanlagen und auch Tierver- kungen der empathielosen Haltung der Kanzlerin gegenüber suchslaboren sind das Resultat einer unheilvollen Kombinati- Tieren und fordert sie auf, endlich ihrer Verantwortung aus on aus fehlendem Unrechtsbewusstsein der Verursacher, un- dem Staatsziel Tierschutz gerecht zu werden. terbesetzten Veterinärverwaltungen, unwilligen Landräten und windelweichen Rechtsbestimmungen im Tierschutzrecht. In seinem vierseitigen Brief berichtet von Loeper über eine Ein prominentes Beispiel für diese üble Gemengelage sind Begebenheit aus dem Jahr 2005, die die gefühllose Einstel- die Vorgänge um die Schulze Föcking GmbH, die vor wenigen lung der Kanzlerin gegenüber leidenden Tieren offenbare. Wochen die NRW-Landwirtschaftsministerin Christina Schulze Während einer Veranstaltung auf der Internationalen Grü- Föcking letztlich „den Kopf kosteten“. Auch hier hatten nen Woche (IGW) forderte ein Tierschützer den damaligen Tierschützer tierschutzrelevante Zustände im Schweinemast- Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes auf, über die betrieb der familiären Schulze Föcking GmbH gefilmt und betäubungslose Kastration von Ferkeln zu sprechen. Im Vor- als Beweis der Strafanzeige beigefügt. Zusätzlich hat ARIWA beigehen entgegnete Merkel ihm: „Das sind doch nur Tiere!“ im Februar beim Verwaltungsgericht Münster Klage gegen Aber nicht nur aus diesem Grund ist Merkel für von Loeper den Kreis Steinfurt eingereicht, weil das Kreisveterinäramt die tierunfreundlichste Regierungschefin, die Deutschland je tierschutzrechtliche Vorgaben im Maststall Schulze Föcking hatte. „Ihre tierwidrigen Entscheidungen in Sachen Tier- nicht durchgesetzt hat. Auch hier sind die Filmaufnahmen als schutz zeigen, dass Tiere für Sie reine Objekte sind, die man Beweismittel unentbehrlich. nach Belieben nutzen kann. Angesichts der unaussprechli- chen Qualen landwirtschaftlich genutzter Tiere, sind wir zu Politik setzt auf Kriminalisierung einer radikalen Kehrtwende verpflichtet", fordert von Loeper Ungeachtet der aktuellen Urteile konzentriert sich die Po- in seinem Schreiben. litik auf die Kriminalisierung der Tierschützer: Die FDP-Frak- tion in Niedersachsen kündigte an, Tierrechtsorganisationen, Merkel ignoriert Verfassungs-Auftrag die in Ställe eindringen, die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Ferner wirft von Loeper Merkel vor, dass sie dem ver- Das NRW-Innenministerium hat zudem eine Auswertung fassungsmäßigen Auftrag nicht nachkomme, der sich aus über vermeintliche Gewalttaten militanter Tierschützer Artikel 20 a Grundgesetz für die Politik ergibt. „Die einseitige erstellt. Doch dies ist noch nicht alles: Der Koalitionsvertrag Haltung der Bundeskanzlerin angesichts des wachsenden von CDU/CSU und SPD enthält auf Seite 87 noch immer den Leids der Tiere in Tierfabriken und Schlachthöfen ist für eine Satz: „Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand zivilisierte Gesellschaft nicht länger hinnehmbar! Ich fordere effektiv ahnden“. Dieser Satz ist falsch, denn Stalleinbrü- Sie hiermit auf, Ihrer Verantwortung gegenüber den Tieren che können sehr wohl als Hausfriedensbruch strafrechtlich als unseren Mitgeschöpfen gerecht zu werden. Wenn schon verfolgt werden. Daran ändert auch der rechtskräftige nicht als Christin, so wenigstens als dem Grundgesetz ver- Freispruch von Haldensleben nichts. Lediglich Hausfriedens- pflichtete Kanzlerin“, fordert von Loeper. brüche zur Beweissicherung von Tierschutzverstößen erfüllen den Rechtfertigenden Notstand. Genau das ist die neue und Enge Verbindungen zur Agrarlobby herausragende Tierschutzleistung der Gerichte. Wie lange Stattdessen stelle Merkel sich hinter die mächtige Agrar- wollen Frau Klöckner und mit ihr der Koalitionsvertrag den industrie. Führende CDU-Agrarpolitiker unterhielten enge Entwicklungen noch hinterherhinken? Verbindungen zu den großen Agrar- und Bauernverbänden. Dies habe zu einem Rückschritt in der agrar- und tierschutz- Dr. Christiane Baumgartl-Simons politischen Ausrichtung der CDU geführt. Dies zeige sich auch daran, das schlimmste Tierquälereien in den Ställen führen- der CDU-Agrarpolitiker stattfänden. Mit dieser lobbynahen Agrarpolitik entferne sich die CDU vom christlichen Auftrag 5 (182 Js 32201/14) .09.2016 – 3 Cs 224/1 des Schutzes der Tiere als Bestandteil der Schöpfung. AG Haldensleben, 26 201/14 (74 /17) .2017 – 28 Ns 182 Js 32 LG Magdeburg 11.10 .2018 – 2 Rv 157/17 OLG Naumburg, 22.02 Ausgabe 2/2018 | tierrechte 15
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