Die Geschichte der Haltung von Elefanten in Menschenobhut

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Die Geschichte der Haltung von Elefanten in Menschenobhut
Die Geschichte der Haltung von Elefanten
                                in Menschenobhut
                                                                       Fred Kurt

Seit wenigstens 3.500 Jahren fangen,                      domestizierten, sondern Wildtiere in   sche Elefanten stehen in Zoos und
zähmen und dressieren Menschen Ele-                       Menschenobhut und die meisten von      Zirkussen (BAKER & KASHIO,
fanten. Doch Elefanten wurden nie                         ihnen wurden und werden immer noch     2002; EUROPEAN ELEPHANT
planmäßig gezüchtet und dabei der                         aus Wildbeständen gefangen.            GROUP, 2003). Häufig sind die
Umwelt des Menschen angepasst, wie                                                               Lebensbedingungen gefangener Ele-
es mit typischen Haustieren wie etwa                      In den Ursprungsländern leben zur      fanten so miserabel, dass sie physische
Rind, Pferd oder Haushund geschah                         Zeit ungefähr 14.000 Asiatische Ele-   und psychische Belastung nicht durch
und immer noch geschieht. Gezähmte                        fanten in Menschenobhut, weitere       genetische oder traditionelle Anpas-
und abgerichtete Elefanten sind keine                     1.000 Asiatische und 1.000 Afrikani-   sungen an den natürlichen Lebensraum
                                                                                                 bewältigen können. Physische, psy-
                                                                                                 chische und verhaltensbedingte Stö-
                                                                                                 rungen sind offensichtlich. Von weni-
                                                                                                 gen Ausnahmen abgesehen werden
                                                                                                 Elefanten in direktem Kontakt zum
                                                                                                 Menschen gehalten. Ernsthafte Unfälle
                                                                                                 ereignen sich verhältnismäßig häufig.
                                                                                                 Der Beruf des Elefantenpflegers und
                                                                                                 -trainers gilt als gefährlich. Fang,
                                                                                                 Zähmung, Dressur und Führen von
                                                                                                 Elefanten sind traditionell verbunden
                                                                                                 mit Misshandlungen, die seit dem
                                                                                                 Altertum mit Recht kritisiert werden.
                                                                                                 Allerdings verweisen „Elefanten-
                                                                                                 männer“, sogar solche aus westlichen
                                                                                                 Zoos und Zirkussen, auf ihre alten
                                                                                                 asiatischen Traditionen. Diese Tradi-
                                                                                                 tionen entstanden aber just in buddhis-
                                                                                                 tischen und hinduistischen Regionen,
                                                                                                 wo Elefanten religiös verehrt werden
                                                                                                 und ihre Tötung tabu ist.

                                                                                                 Um dieses Missverständnis zu erklä-
                                                                                                 ren, beginnt dieser Beitrag mit einem
                                                                                                 kurzen Überblick über die Geschichte
                                                                                                 der Elefantenkulturen. Der zweite
                                                                                                 Abschnitt widmet sich dem Wohler-
                                                                                                 gehen der Elefanten in verschiedenen
                                                                                                 Haltungsformen, der dritte befasst
                                                                                                 sich mit den Möglichkeiten der Arter-
                                                                                                 haltung in Menschenobhut. Die Daten
                                                                                                 dieses Beitrages stammen aus verschie-
                                                                                                 denen Studien und Reisen, die der
                                                                                                 Autor während der letzten 50 Jahre
                                                                                                 in Sri Lanka, Südindien, Assam,
                                                                                                 Myanmar und Thailand, bzw. in ver-
                                                                                                 schiedenen europäischen Zoos und
                                                                                                 Zirkussen durchgeführt hat.

                                                                                                 Dschungeldörfer

                                                                                                 Im 15. vorchristlichen Jahrhundert
Abb. 1: Ein Pannikiya (traditioneller Elefantenfänger auf Sri Lanka) baut eine Schlingenfalle.
                                                                                                 entstanden in Nordostindien und
Uda Walawe, Sri Lanka.                                                                           Südchina fast gleichzeitig Elefanten-
A Pannikiya, a traditional elephant catcher of Sri Lanka, prepares a noose trap. Uda Walawe,     kulturen bei jagenden Stämmen, die
Sri Lanka.                                                                  (Foto: Fred Kurt)    ihre Praktiken geändert hatten, den

Zeitschrift des Kölner Zoo · Heft 2/2006 · 49. Jahrgang                                                                              59
Die Geschichte der Haltung von Elefanten in Menschenobhut
Abb. 2: Ein junges Weibchen (links unten)
lockt einen Bullen in seine Nähe. Schlingen-
fänger fesseln ihn an Hals und Hinterbeinen.
Tempelfries aus Konarak um 1250.
A young female (below left) decoys a wild
bull in its neighbourhood while hunters
noose him on neck and hind feet. Carving in
the temple of Konarak about 1250 AD.
                          (Foto: Peter Jaeggi)

Elefanten als ihr Totem betrachteten
und ihn zwar jagten, aber nicht töte-
ten. Kleine Gruppen von Jägern fingen
selektiv junge Elefanten in Boden-               Abb. 4: Die Halsschlinge wird gesichert, bevor der Frischfang aus der Grube geführt wird.
oder Handschlingen (Abb. 1 und                   Kerala, Südindien.
Abb. 2). Einige der Stämme lernten,              The neck rope is secured, before the captured elephant is taken out of the pit. Kerala, South
wie sich Elefantengruppen in natür-              India.                                                             (Foto: Jacob V. Cheeran)
liche Fallen, zum Beispiel Schluchten
oder Gewässer oder einfach gebaute               fanten und waren zudem Ärzte und                hörigen über Ökologie und Verhalten
Fallgruben (Abb. 3 und Abb. 4) und               Priester, die das Totem, d.h. das Fang-         der Elefanten enorm. Enge Beziehun-
Fanggehege treiben ließen, bevor sie             verbot, ausschalten konnten, indem              gen zwischen ihnen und ihren Elefan-
gefesselt wurden. Später lernten einige          sie die Jagd mit langwierigen Ritualen          ten sind Gang und Gäbe und Unfälle
dieser Kulturen, auf dem Rücken zah-             vorbereiteten (GILES, 1930). Für die            äußerst selten.
mer Elefanten reitend sich unbemerkt             Stammesangehörigen waren die Elefan-
wilden Artgenossen zu nähern, um                 ten Statussymbol, Reit- und Transport-          Feudalsysteme
sie mit Schlingen fangen zu können               tiere und später während Feudal- und
(KURT, 1992).                                    Kolonialzeiten auch Handelsobjekte.             Im Altertum und Mittelalter besaßen
                                                                                                 die buddhistischen, hinduistischen
Das Wissen über Verhaltensweisen,                In abgelegenen Gebieten überlebten              und später die islamistischen Herr-
Nahrungs- und Heilpflanzen von wil-              bis heute elefantenführende Stammes-            scherfamilien das Elefantenmonopol.
den wie zahmen Elefanten bewahrten               angehörige (Abb. 5), die ihre Tiere             Sie verlangten nach großen Elefanten-
die alten erfahrenen Meister der Jagd,           extensiv halten, d.h. die gezähmten             beständen. Die Tierriesen waren Sta-
die es an jüngere Stammesangehörige              Elefanten leben mit „gehobbelten“,              tussymbole, fanden Verwendung beim
weitergaben. Jeder der Jäger begann              d.h. zusammengebundenen Vorder-                 Transport und beim Bau von Tempeln,
seine Karriere als Helfer und Spuren-            füßen, im Dschungel, wenn sie nicht             Palästen und Staudämmen. Sie wirkten
leser, bevor er Reiter, Fänger und               gebraucht werden. Dort finden sie ihre          als Scharfrichter,als Kampf- und Kriegs-
schließlich Meister wurde. Die Meister           Nahrung, trinken, schlafen und treffen          elefanten. Beim Bau der Tempelanlagen
besaßen das gesamte Wissen über Ele-             mit wilden wie zahmen Artgenossen               von Angkhor (1113 bis 1115) fanden
                                                 zusammen. Zwischen zahmen Elefan-               neben 100.000 Menschen auch 60.000
                                                 ten entstehen enge soziale Beziehun-            Elefanten Arbeit. Die indischen Groß-
                                                 gen. Sie pflanzen sich regelmäßig fort,         reiche der Maurya (322 bis 185 v.Chr.),
                                                 wenn die Besitzer nichts dagegen                der Delhi Sultane (1200 bis 1526) oder
                                                 unternehmen. Bei Geburten und Auf-              der Moghulen (1527 bis 1700) hielten
                                                 zucht helfen Ammen. Väter der in                Herden von wenigstens 3.000 bis
                                                 Menschenobhut geborenen Jungtiere               40.000 Elefanten. Bereits im vierten vor-
                                                 sind meist wilde Bullen, die den ge-            christlichen Jahrhundert exportierten
                                                 fangenen überlegen sind. Während                indische Reiche jährlich Hunderte von
                                                 einer vergleichsweise kurzen Musth-             Elefanten in den Nahen und Mittleren
                                                 zeit werden gefangene Bullen an Ket-            Orient und nach Zentralchina als
                                                 ten gelegt. Allerdings lassen Legenden          Tauschmittel für Pferde, die im Kern-
                                                 vermuten, dass erwachsene Bullen                raum der Elefantenkulturen äußerst
Abb. 3: Ein junger Elefant wird in einer Fall-
grube gefangen. Kerala, Südindien.               während der Musth, einem brunftähn-             krankheitsanfällig waren. Vor 2.300
A young elephant has been caught in a pit        lichen Zustand, ursprünglich freige-            Jahren, als die Mittelmeermächte ihre
trap. Kerala, South India.                       lassen wurden. Heute noch ist das               Armeen ausbauten, führten südindi-
                    (Foto: Jacob V. Cheeran)     praktische Wissen der Stammesange-              sche Experten die Kunst des Zähmens

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Die Geschichte der Haltung von Elefanten in Menschenobhut
Abb. 5: Nardi, ein Dorf der traditionell elefantenführenden Kurumbas. Tamil Nadu, Südindien.
Nardi, a village of traditionally elephant riding tribal people in Tamil Nadu, South India.                            (Foto: Fred Kurt)

und Führens von Afrikanischen                 wurden (Abb. 7 und Abb. 8) und wur-              mäßig. Daher wurden Menschen, die
Elefanten in Ägypten und später in            den ausschließlich vom Menschen ge-              einen Elefanten reizten, bestraft. Wur-
Karthago und Axum (Äthiopien) ein.            füttert. Soziale Kontakte zwischen ge-           den sie von einem Elefanten getötet,
                                              fangenen Elefanten wurden vermieden              hatten die Hinterbliebenen kein Klage-
Viele der Elefanten in Südasien kamen         und solche mit wilden waren unwahr-              recht. Hingegen wurde die Nachlässig-
als Tribute von Vasallen und als Kriegs-      scheinlich. Fortpflanzung war uner-              keit von Pfleger und Besitzer, die zum
beute in die Ställe der Feudalherren.         wünscht und galt sogar als schlechtes            Tode eines Elefanten führten, als Kapi-
Zusätzliche Tiere kauften sie von             Omen. Unfälle ereigneten sich regel-             talverbrechen geahndet.
Stammesangehörigen oder befreunde-
ten Mächten. Zudem befriedigten die
Herrscherhäuser ihren Elefantenhun-
ger mit Fangaktionen, welche die
Jagden der Urbevölkerung ums Viel-
fache übertrafen. Die Männer ganzer
Regionen mussten große Herden in
Schluchten, Seen oder große Kraale
treiben, wo Kampfelefanten, Hunger
und Durst die Frischfänge dermaßen
schwächten, dass viele an Erschöpfung
starben. Solche so genannten Kheddas
verlangten nach hochspezialisierten
Kasten von Futtersammlern, Seilma-
chern, Schlingenfängern, Ausbildern,
Elefantendoktoren und Dutzenden
von Kumkies, d.h. Helferelefanten.

Hunderte von Elefanten lebten in den
Städten in einem intensiven Haltungs-
system wie es heute noch in Tempel-
bezirken oder Touristenzentren zu
finden ist (Abb. 6). Sie standen immer        Abb. 6: Die meisten Tempelelefanten in Kerala (Südindien) sind Bullen.
an Ketten, wenn sie nicht gebraucht           Most temple elephants in Kerala (South India) are bulls.                 (Foto: Fred Kurt)

                                                                                                                                     61
Die Geschichte der Haltung von Elefanten in Menschenobhut
Abb. 7: Intensiv gehaltene Elefanten leben an Ketten, wenn sie nicht     Abb. 8: Der Tempel von Guruvayur in Kerala (Südindien) besitzt
gebraucht werden. Kegalle, Sri Lanka.                                    rund 70 Bullen.
When not used, intensively kept elephants live on chains. Kegalle, Sri   The temple of Guruvajur in Kerala (South India) possesses about 70
Lanka.                                             (Foto: Fred Kurt)     bulls.                                           (Foto: Fred Kurt)

Innerhalb der Feudalsysteme kannte               Kolonialzeit                                   oder als willkommene Hilfskräfte für
niemand alles Wissen um den Elefan-                                                             Forstwirtschaft und Armee (Abb. 10).
ten. Jeder mit den Tierriesen Betraute           Im 18. und 19. Jahrhundert erhöhte             Jetzt arbeiteten plötzlich Forstdienste
war ein Spezialist. Eine Reihe von               die holländische Kolonialmacht in Sri          und Stammesangehörige eng zusam-
„Handbüchern“ regelten Haltung und               Lanka die Nachfrage nach gefangenen            men. In Süd- und Nordostindien,
Pflege der Elefanten. Es sind für west-          Elefanten enorm, ließ bis zu 400 in            Myanmar und Thailand wuchs der
liche Wissenschaft kaum verständliche            einen einzigen Kraal treiben (Abb. 9)          Bestand zahmer Elefanten in den
Werke, in denen das Wissen der ele-              und exportierte jährlich 200 bis 300           Dschungeldörfern rasch an.
fantenführenden Stammesangehörigen               der überlebenden Frischfänge nach
und der Pferdehaltung vermischt wer-             Süd- und Nordindien. Im 19. und 20.            Im 19. und frühen 20. Jahrhundert
den mit transzendentalem Denken                  Jahrhundert leitete die British Indian         verbesserten britische Beamte die Hal-
und wilden Spekulationen, die sich oft           Company eine tiefgreifende Land-               tungsform und formulierten eine
widersprechen. Allerdings entwickel-             schaftsveränderung auf dem indischen           Reihe von Richtlinien, welche Fang,
ten buddhistische und hinduistische              Subkontinent ein. Riesige Waldgebiete          Haltung und Arbeitsleistung regulier-
Feudalsysteme bereits im Altertum                fielen dem Kahlschlag zum Opfer, um            ten. Für die nach wie vor in Waldge-
respektable Managementpläne zur Er-              Teegärten und Pflanzungen Platz zu             bieten extensiv gehaltenen Elefanten
haltung der wilden Elefantenbestände.            machen und um den Holzhunger                   schrieben sie energiereiche Zusatz-
Der selektive Fang von Stoßzähne tra-            der Schiffsbauer und Eisenbahngesell-          nahrung aus Reis, Kopra, Zuckerrohr
genden Bullen in Sri Lanka führte zu             schaften zu stillen. Wilde Elefanten           und Salz vor (Abb. 11). Das Wissen
einer Zunahme von stoßzahnlosen                  galten entweder als Schädlinge und             der Kolonialherren über wilde Elefan-
„Maknas“ um nahezu 100%.                         erlagen zu Tausenden den Sportjägern,          ten bezog sich auf eigene Jagderleb-
                                                                                                nisse oder Berichte von Einheimischen
                                                                                                und auf das Wissen über gefangene
                                                                                                Elefanten aus Aufzeichnungen kolo-
                                                                                                nialer Tierärzte.

                                                                                                Zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter-
                                                                                                hielten britische Holzgesellschaften
                                                                                                allein in Myanmar einen Bestand von
                                                                                                etwa 10.000 Arbeitselefanten, die sich
                                                                                                in erstaunlich hohem Maße fortpflanz-
                                                                                                ten. Trotzdem stammten die meisten
                                                                                                Tiere weiterhin von Fangaktionen.
                                                                                                Zwischen dem späten 19. Jahrhundert
                                                                                                und 1950 wurden jährlich allein in
                                                                                                Assam wenigstens 500 Elefanten ge-
                                                                                                fangen. Beachtliche Fangergebnisse
                                                                                                wurden aus anderen Teilen Indiens
                                                                                                (Abb. 12), aus Myanmar und Sri
                                                                                                Lanka gemeldet. Neugeborene Frisch-
Abb. 9: Im 18. und 19. Jahrhundert vergrößerten die holländischen und später die britischen
Kolonialmächte die traditionellen Kraale und damit die Zahl der gefangenen Elefanten. Sri       fänge, welche die Fangaktionen über-
Lanka.                                                                                          lebten, galten als billiges Nebenpro-
In the 18th and 19th century Dutch and later British colonial powers enlarged the traditional   dukt. Sie wurden an Tierhändler aus
kraals and the number of captured elephants. Sri Lanka.                  (Archiv: Fred Kurt)    dem Westen verkauft.

62
Die Geschichte der Haltung von Elefanten in Menschenobhut
Abb. 10: Ein Teil der Hilfskräfte während einer Kraalfangaktion in Kakanakote, Karnataka,      Abb. 11: Extensiv gehaltene Elefanten erhal-
Südindien.                                                                                     ten energiereiches Zusatzfutter. Nardi, Tamil
A part of the capturing team during a kraal operation in Kakanakote, Karnataka, South India.   Nadu, Südindien.
                                                                        (Archiv: Fred Kurt)    Extensively kept elephants receive daily
                                                                                               additional portions of food rich in energy.
Zwischen dem 18. und der Mitte des             150 Asiatische) bis 2020 ausgestorben           Nardi, Tamil Nadu, South India.
                                                                                                                          (Foto: Fred Kurt)
19. Jahrhunderts kamen weniger als             sein. In 83 europäischen Zoos und
50 Elefanten (beide Arten) nach Europa         Safariparks lebte 2005 ein Bestand von
und Amerika. Als dann aber riesige             300 Asiatischen Elefanten, der ohne             KURT, 2006, dieses Heft), was unter
Dschungelgebiete in Südasien weichen           Importe bis 2015 bis auf etwa 180               anderem auch zu einer Zunahme der
mussten, schoss die Anzahl der Ele-            Tiere in 25 bis 30 Anlagen einbrechen           Geburten führt (Abb. 13). Ketten
fanten in Zoo und Zirkus in einer              und sich dann stabilisieren oder gar            machen zunehmend großzügigen
ungeahnten Weise nach oben. Zwi-               leicht ansteigen wird. Wahrscheinlich           Boxen Platz. Bullen leben ausschließ-
schen dem Ende des 19. und der Mitte           wird sich ein Bestand von 218 Afrika-           lich in „protected conctact“. Besonders
des 20. Jahrhunderts besaßen die               nischen Elefanten in den kommenden              in den Niederlanden, in Frankreich
großen amerikanischen und europäi-             zehn Jahren zahlenmäßig halten kön-             und Spanien breitet sich dieses Hal-
schen Zirkusse Herden von 40 bis 70            nen (HAUFELLNER, 2005).                         tungssystem für alle Elefanten aus. In
Elefanten (OETTERMANN, 1982).                                                                  Nordamerika und Südeuropa sind in
Der Zirkus betrachtete den Elefanten           Eine zunehmende Zahl moderner                   den letzten Jahren einige großflächige
als Haustier und hielt ihn an Ketten.          europäischer Zoos hält Elefanten unter          Elefantenparks entstanden, die ent-
Viele schwere, oft tödliche Unfälle            naturnahen Bedingungen (GARAÏ &                 weder Problemtiere aufnehmen oder
nahm er in Kauf. Im Zoo lebten die
ersten Elefanten in Gehegen. Doch
rasch setzte sich auch hier die wesent-
lich billigere Kettenhaltung durch.
Auch im Zoo hatten die Tierriesen wie
im Zirkus aufzutreten und Besucher
durch den Zoo zu tragen. Dabei ent-
puppten sich Bullen als gefährliches
Problem. Viele mussten getötet wer-
den und die meisten Zoos hielten
fortan nur noch Elefantenkühe.

Die gegenwärtige Situation

Ohne Importe und/oder drastische
Erhöhung der Nachwuchsraten ver-
schwinden die Elefantenbestände in
Nordamerika innerhalb der kommen-
den 50 Jahre (WIESE, 2000). In                 Abb. 12: Die zweitletzte Kraalfangaktion in Kakanakote, Karnataka, Südindien, fand 1968
Europa wird der gegenwärtige Be-               statt.
stand von etwa 240 Elefanten in 88             The second last kraal operation in Kakanakote, Karnataka, South India, took place in 1968.
Zirkusunternehmen (90 Afrikanische,                                                                                      (Foto: Fred Kurt)

                                                                                                                                         63
Die Geschichte der Haltung von Elefanten in Menschenobhut
250

        Elephas maximus

200

150

                                          EU

100

 50

                                                       NA

  0
        1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990    2000

 90

         Loxodonta africana

 60
                                     EU

 30

                                                       NA

 0
   40
 1940      50
          1950      60
                  1960      70
                          1970      80
                                  1980      90
                                           1990    100
                                                  2000         110

Abb. 13: Oben: Bis zum März 2006 wurden
in Europa (EU ) 243 Asiatische Elefanten
(Elephas maximus) geboren. In Nordameri-
ka (NA ) sind es 154.
Unten: Die erste Zoogeburt eines Afrikani-
schen Elefanten (Loxodonta africana) fand
1943 statt. Bis heute wurden in Europa
(EU ) 81 und in Nordamerika (NA ) 45
geboren. Daten: European Elephant Group.
Above: Until March 2006 243 Asian
elephants were born in Europe (EU ) and
154 in North America (NA ).                                                                          Mütter          Mothers
Below: In 1943 the first African elephant was                            Noch nicht reproduzierende Töchter          Not yet reproducing daughters
born in a western zoo. Until today 81 were                                                            Söhne          Sons
born in Europe (EU ) and 45 in North                                                     Leben in Pinnawela          Living at Pinnawela
America (NA ).                                                            An Tempel oder Armee abgegeben             Donated to temples or army
                                                                                       Künstlich aufgezogen          Artificially raised
überzählige Bullen. NOGGE (2004)
gibt eine ausführliche Darstellung                                   Abb. 14: Entwicklung der Mutterfamilien in der Pinnawela Elephant Orphanage von Sri
über die Geschichte der Elefantenhal-                                Lanka zwischen 1983 und 2003.
tung im Kölner Zoo.                                                  Development of mother-offspring groups at the Pinnawela Elephant Orphanage of Sri Lanka
                                                                     between 1983 and 2003.
In den asiatischen Ursprungsländern
schwinden die in Menschenobhut                                       (BIST et al., 2002). Die meisten             Das Wissen der Stammesangehörigen
lebenden Bestände mehr oder weniger                                  Arbeitselefanten Thailands waren             ist verloren gegangen. Die häufig dro-
schnell in Folge stark eingeschränkter                               plötzlich arbeitslos, als 1989 die Regie-    gen- und alkoholabhängigen Führer
Fangaktionen, hoher Juvenilsterblich-                                rung den Holzeinschlag verbot. Ent-          versuchen mit brutalsten Methoden
keit und fehlender Arbeitsmöglichkei-                                weder erschienen sie dann zusammen           die Tiere gefügig zu halten und schwere
ten, die zu einer Abwanderung vieler                                 mit ihren Mahuts auf Betteltouren in         Unfälle sind die logische Konsequenz.
Arbeitselefanten von den letzten Wäl-                                den Städten und Tourismuszentren             Aber immerhin entwickeln sich in
dern in städtische Gebiete führten                                   oder in Laos bei illegalen Holzfäller-       Thailand, Indien und auf Sri Lanka
(BAKER & KASHIO, 2002). In Indien                                    camps, wo ihnen Amphetamine ver-             neue Haltungsformen, Elefantenparks
zum Beispiel führten die Restriktionen                               abreicht werden, um ihre Arbeits-            und Waisenstationen. In Sri Lankas
von Holzfällaktionen, die der Oberste                                leistung zu erhöhen. Schließlich enden       Pinnawela Elephant Orphanage, wo
Gerichtshof 1996 verfügte, zu einem                                  die völlig überarbeiteten Tiere in           zwischen 60 bis 70 Elefanten leben,
beachtlichen Exodus von zahmen Ele-                                  Schlachthäusern. Ihr Fleisch wird            begann 1982 ein erfolgreiches Zucht-
fanten aus Assam, während die Zahl                                   dann verkauft (SALWALA, 2002).               programm. Bis heute sind dort wenig-
der in den Tempeln von Kerala gehal-                                                                              stens 23 Junge zur Welt gekommen
tenen Elefanten von 250 in 1983 auf                                  In vielen städtischen Gebieten führen        (Abb. 14). Nur eines starb kurz nach
mehr als zur Zeit 800 hoch schnellte                                 unerfahrene Menschen die Elefanten.          der Geburt.

64
Die Geschichte der Haltung von Elefanten in Menschenobhut
Fang und Einbrechen

Wie aus dem bereits Geschriebenen
hervorgeht, hat Gefangenschaft für
Elefanten viele Gesichter. Sie umfassen
eine Bandbreite, die Dschungelcamps
einschließt, wo Elefanten in natürlicher
ökologischer und sozialer Umwelt
leben ebenso wie Haltungsformen, in
denen sie mehr oder weniger einzeln
an Ketten leben. Gefangene Elefanten
können von Menschen versorgt und
geführt werden, die ihr traditionelles
Wissen vom Leben wilder Elefanten
ableiten, wie von Opportunisten,
denen das Wissen um wilde Elefanten
völlig fehlt, die aber Elefanten als poten-
tiell gefährliche Haustiere betrachten
und sie dementsprechend behandeln.
Ein derart breites Haltungsspektrum
führt zu den verschiedensten Formen           Abb. 15: Ein Arbeitselefant baut einen Zähmungs-Kraal. Coorg, Südindien.
von physischem und psychischem                A working elephant builds the taming-kraal. Coorg, South India.        (Foto: Fred Kurt)
Stress.
                                              schützen den Wildfang vor Schlägen,            raubende Training durch brutale
Alle Fangmethoden führen zum kom-             den Trainer vor Fußtritten und                 Zähmungsmethoden in direktem
pletten Zerfall bestehender sozialer          Rüsselhieben. Bei beiden Methoden              Kontakt ersetzt wurde (Abb. 17).
Beziehungen. Frischfänge wurden               lernt der Frischfang die ersten Kom-           Die Frischfänge wurden dabei voll-
früher nach dem Fang in Schlingen             mandi, zum Beispiel „Vorwärts“,                ständig gefesselt (oft sogar der Rüssel).
oder Kraals durch Kampfelefanten,             „Rückwärts“ oder „Fußheben“ ledig-             Man fesselte ihre Hälse an starke
Wasser- und Futterentzug geschwächt,          lich mit „positive enforcement“, also          Bäume, so dass sie sich nicht hinlegen
bevor sie in die Trainingscamps               dank Belohnung mit Futter, das er aus          konnten. Holzgestelle oder „Schau-
kamen. Solche Einflüsse spiegeln sich         der Hand des zukünftigen Mahuts                keln“, wie in Sri Lanka oder einigen
wider in hohen Sterblichkeitsraten: In        nimmt.                                         Gebieten Myanmars (Abb. 18),
den zahlreichen Fallgruben Südindiens                                                        erzwangen die aufrechte Haltung.
starben bis ins 19. Jahrhundert bis zu        Während der Feudal- und später der             Zudem wurden Hinter- wie Vorder-
90% der Frischfänge, während auf Sri          Kolonialzeit stieg die Nachfrage nach          füße eng aneinander gebunden.
Lanka 86 bis 97% der Elefanten, die           Elefanten dermaßen an, dass dieses             Helferelefanten hatten dann den
von den Pannikiyas, die sich mutig zu         verhältnismäßig humane, aber zeit-             Frischfang so zu „spannen“, dass
Fuß in die wilden Herden wagten und
selektiv junge Elefanten mit Hand-
schlingen fingen, überlebten. In den
riesigen Kraalanlagen der Holländer
und Briten starben im 19. Jahrhundert
bis zu 70% der Frischfänge. Später
gelang es, die Verluste auf 5 bis 30%
zu verringern. Bei Mela-Shikar, die
Methode, bei der die Jäger Wildelefan-
ten vom Rücken hochspezialisierter
Jagdelefanten mit Schlingen sicherten,
starben in Myanmar etwa 14%
(KURT et al., 1995).

Die Kurumbas in Südindien, die seit
2.000 Jahren mit Fang und Führung
vertraut sind, zähmten die Frischfänge
unter „protected contact“. Sie hielten
sie nach dem Fang einzeln in einem re-
lativ großen Kraal von ungefähr 20 m2
Grundfläche (Abb. 15 und Abb. 16).
In Teilen Thailands und Myanmars
werden Frischfänge oder in Gefangen-          Abb. 16: Junge Elefanten, die in Menschenobhut geboren werden, lernen den Zähmungs-
schaft geborene Elefanten in kleinere         Kraal in Anwesenheit der Mutter kennen. Mudumalai, Tamil Nadu, Südindien.
Kraals verbracht, die den gleichen            Young captive born elephants become familiar with the taming-kraal in the presence of their
Effekt haben: Starke Baumstämme               mothers. Mudumalai, Tamil Nadu, South India.                             (Foto: Fred Kurt)

                                                                                                                                      65
Die Geschichte der Haltung von Elefanten in Menschenobhut
Abb. 17: Frischfang, der in direktem Kontakt gezähmt wird. Wunden        Abb. 18: Zähmung eines in Menschenobhut geborenen Elefanten in
sind unvermeidlich. Kakanakote, Karnataka, Südindien.                    Myanmar.
Newly captured elephant tamed in direct contact. Wounds are in-          Taming of a captive born elephant in Myanmar.
evitable. Kakanakote, Karnataka, South India.     (Foto: Fred Kurt)                                                    (Foto: Fred Kurt)

die vorderen und hinteren Fußketten             In Dschungelcamps, wo heute noch                 ursprünglicheren Haltungssystemen
ihn schließlich in einer Position               Elefanten zur Welt kommen, trennen               lernte das Kind in Anwesenheit seiner
hielten, in der das Körpergewicht               die Mahuts gewaltsam die Jungtiere im            Mutter, meist indem es diese imitierte,
schmerzvoll auf Ellbogen- und Knie-             Alter von wenigstens zwei (Südindien)            und das quälerische Einbrechen fand
gelenke drückte. Während dem Ein-               oder wenigstens vier (Myanmar) Jah-              nicht statt. So geschieht dies heute
brechen wurden Elefanten, sobald sie            ren von ihren Müttern und zähmen sie             noch z.B. auf den Andamanen oder
sich zur Wehr setzen, von mehreren              mit den bereits erwähnten Methoden.              in modernen Zoos. In intensiven
Männern geschlagen. Wohlverhalten               Die Trennung erfolgt, um Angriffe der            Haltungssystemen, wie z.B. das der
belohnte der zukünftige Mahut mit               Mutter und erhöhte Renitenz der                  Tempelelefanten von Kerala, werden
Futter (Abb. 19) und die Schar der              Jungen zu vermeiden. Genaue Pläne                Bullen regelmäßig nach Ablauf ihrer
Peiniger stimmte ein in einen beruhi-           der Beamten verhindern, dass sich                Musthperioden zur Wiederherstellung
genden Chorgesang (Abb. 20). Aber               Mutter und Kind je wieder treffen.               der Dominanzverhältnisse zwischen
immerhin überlebte selbst bei solchen           Die Trennung vor dem Training und                Mahut und Elefant erneut eingebro-
brutalen Methoden des Einbrechens               das Einbrechen von Jungen, die in                chen (Abb. 21).
noch ein letzter Respekt vor dem Tier-          Menschenobhut zur Welt kamen,
riesen. Ließ die Renitenz der Frisch-           scheint ebenfalls mit der hohen
fänge nach drei bis fünf Tagen nicht            Nachfrage nach Elefanten und mit
nach, entließ man sie in die Freiheit           der damit verbundenen Zeitnot der
zurück.                                         Mahuts zusammenzuhängen. Denn in

                                                                                                 Abb. 20: Die Zähmung ist abgeschlossen,
                                                                                                 wenn Menschen den Frischfang berühren
                                                                                                 können und der zukünftige Mahut sich auf
                                                                                                 den Hinterrücken setzen kann. Kakanakote,
                                                                                                 Karnataka, Südindien.
                                                                                                 Taming ends when men can touch the newly
Abb. 19: Während der Zähmung füttert der zukünftige Mahut den Frischfang. Kakanakote,            captured elephant and the future mahout can
Karnataka, Südindien.                                                                            sit on the hind back of the elephant. Kakana-
During taming the future mahout is feeding the newly captured elephant. Kakanakote, Karnataka,   kote, Karnataka, South India.
South India.                                                                (Foto: Fred Kurt)                                (Foto: Fred Kurt)

66
Die Geschichte der Haltung von Elefanten in Menschenobhut
Abb. 21: Tempelbullen werden regelmäßig nach der Musth erneut      Abb. 22: Frischfänge lernen durch Imitation von Helferelefanten,
eingebrochen.                                                      zwischen denen sie angebunden werden. Kakanakote, Karnataka,
Regularly after musth, temple bulls are broken in again.           Südindien.
                               (Archiv: European Elephant Group)   Newly captured elephants are fettered between two helper elephants
                                                                   and learn by imitation. Kakanakote, Karnataka, South India.
                                                                                                                    (Foto: Fred Kurt)

Dressur und Arbeit                           Intensive Haltungssysteme und damit          Mahuts, die jungen Elefanten erlaub-
                                             auch der Zirkus betrachteten Aggres-         ten, ältere Artgenossen bei der
Elefanten, die in Kraalen gezähmt            sionen nie als Konsequenz der nahezu         Dressur zu imitieren und damit
werden, lernen das Befolgen einfacher        permanenten Kettenhaltung und der            aktiv zu lernen. Sie erzwangen die
Befehle unter geschütztem Kontakt            regelmäßigen Züchtigungen. Ganz              gewünschten Tricks mit Hilfe von
und durch Belohnung. Ihre spätere            im Gegenteil: Besitzer und Führer            Fesseln, Seilen und sogar Kränen.
Ausbildung erfolgt in direktem Kon-          glaubten fest, dass andauernde Unter-
takt zum Menschen und mit Hilfe              drückung schließlich zur kompletten          Die Arbeit, welche Elefanten in Holz-
von zwei oder mehr Helferelefanten           Unterwerfung führen würde. Dies              fällerlagern täglich während höchstens
(Abb. 22), die auf jeder Seite des Aus-      war nicht die einzige Fehlinterpreta-        sechs Stunden zu leisten haben, ist
zubildenden angebunden werden. So            tion der Zirkustrainer. Ihnen fehlte         zweifellos hart, aber auch vielfältiger
lernt dieser einen Menschen zuerst auf       das traditionelle Wissen asiatischer         und abwechslungsreicher als alles
dem Hinterrücken, zuletzt auf Schul-
ter und Hals zu tragen und die Helfer-
elefanten zu imitieren, welche den
gesprochenen und taktilen Befehlen
der Trainer gehorchen. Die Arbeits-
elefanten in den Dschungeldörfern
werden entweder ohne physische
Hilfsmittel (Laos), mit kurzen Ruten
(Kurumbas, Südindien, Abb. 23) oder
einfachen Elefantenhaken (Südost-
asien) geführt.

Zur Kontrolle der Elefanten führten
die Feudalsysteme ein ausgeklügeltes
Kettenwerk ein, mit dem der reitende
oder neben dem Elefanten gehende
Mahut die Schrittlängen des Tieres ver-
kürzen konnte (Abb. 24). Besonders
renitente Elefanten wurden zudem mit
scharfkantigen oder dornenbewehrten
Fußfesseln kontrolliert sowie mit Lan-
zen und Messern. Musth-Bullen an
den Fürstenhöfen waren Symbole für
Fruchtbarkeit und Reichtum und               Abb. 23: Kurumbas führen ihre Elefanten      Abb. 24: Wie alle intensiv gehaltenen Elefan-
wurden in Kriegen eingesetzt. Kriegs-        lediglich mit einer dünnen Rute. Nardi,      ten werden Tempelelefanten mit Hilfe eines
elefanten lernten mit Hilfe des Ankus,       Tamil Nadu, Südindien.                       komplizierten Kettensystems und langen
                                             Kurumbas guide their elephants only          Stangen geführt. Kerala, Südindien.
des Elefantenhakens, ihre Köpfe un-          with a thin rod. Nardi, Tamil Nadu,          Like all intensively kept elephants also temple
natürlich hoch zu tragen, um den             South India.                                 bulls are controlled with an elaborate chain
Mahut, der auf dem Nacken saß, vor                                   (Foto: Fred Kurt)    work and long poles. Kerala, South India.
feindlichen Geschossen zu schützen.                                                                                    (Foto: Fred Kurt)

                                                                                                                                      67
Abb. 25: Verglichen mit den Aktivitäten anderer gefangener Elefanten     Abb. 27: Intensiv gehaltene Elefanten tragen häufig Wunden und
ist die Beschäftigung in Holzfällercamps vielfältig. Mudumalai, Tamil    Narben am ganzen Körper. Kandy, Sri Lanka.
Nadu, Südindien.                                                         Intensively kept elephants often carry wounds and scars all over their
As compared to the activities of other captive elephants the work in     bodies. Kandy, Sri Lanka.
timber camps is variable. Mudumalai, Tamil Nadu, South India.                                                           (Foto: Marion Garaï)
                                                     (Foto: Fred Kurt)

andere, was Menschen anderswo den                und ineinander verkeilen. Hochspe-              gruppen erreichen, wo auch an-
Tierriesen abfordern (Abb. 25). Häufig           zialisierte Bullen lösen dann gelegent-         steckende Krankheiten wie z.B.
sind sie zum „Mitdenken“ gefordert.              lich sogar schwimmend das Gewirr                Pocken und Tuberkulose am häufig-
So unterlegen sie den zu schleppenden            (GALE, 1974). Derartige körperlich              sten sind (EUROPEAN ELEPHANT
Baumstämmen, wenn sie in steilen                 wie kognitiv anspruchsvolle Leistun-            GROUP, 2000). Bei intensiv gehalte-
Gebieten ins Rutschen oder Rollen                gen sind zirkusreif. Im wirklichen              nen Elefanten auf Sri Lanka zeigte
kommen, sofort kopfgroße Steine                  Zirkus dagegen kennen Elefanten,                bereits ein Viertel der Jungtiere leicht
oder armdicke Aststücke und stoppen              wenn es hoch kommt, etwa ein                    sichtbare Wunden von Haken und
mit diesen Keilen ungewünschte                   Dutzend Tricks (z.B. Vorwärts- und              Messern der Mahuts und 95% der
Bewegung der Last. In Myanmar                    Rückwärtsgehen, Stehen, Hochstehen,             über 45 Jahre alten waren an verschie-
schleppen die Arbeitselefanten die               Sitzen, Liegen, Fassen und Fangen),             denen Körperstellen regelmäßig ver-
Stämme bis zum nächsten Fluss, der               die sie als Jungtiere lernten und dann          letzt worden (LUDESCHER, 2001).
sie beim nächsten Hochwasser weiter              stereotyp bei entsprechendem Kom-
transportiert. Doch in felsigen Strom-           mando zeigen müssen. Auch neue                  Fehlendes Wissen um den Elefanten
schnellen können sie sich verfangen              Programme schaffen kaum Abwechs-                kann physischen Stress vergrößern.
                                                 lung, sind sie doch lediglich neue              Zirkusleute, zum Beispiel, überschät-
                                                 Abfolgen bereits bekannter Tricks.              zen regelmäßig die Muskelkraft der
                                                 Noch eintöniger verlaufen die Leis-             Tierriesen und zwingen sie zu extrem
                                                 tungen von Tempelelefanten (Abb.26).            kräftezehrenden Tricks, die regel-
                                                                                                 mäßig zu Hernien und Schädigungen
                                                 Gefangenschaft und                              von Gelenken und Sehnen führen.
                                                 physischer Stress                               Erfrorene Ohrränder finden sich
                                                                                                 regelmäßig bei schlechter Haltung im
                                                 Zeichen von Stress verursacht durch             Westen und können auch infolge von
                                                 Hunger, physisches und thermales                Schock und Stress beschleunigt auftre-
                                                 Leiden, Wunden und Krankheit sind               ten (GARAÏ, 1997), während Sonnen-
                                                 oft leicht auszumachen, z.B. in un-             brand in Südasien regelmäßig auftritt,
                                                 natürlich wachsenden Extremitäten               wenn intensiv gehaltene Elefanten
                                                 und Hufen, Wunden, entzündeten                  während langer Zeit ungeschützt in
                                                 oder blinden Augen. Es sind Folgen              der prallen Sonne stehen müssen. Pral-
                                                 von mehr oder weniger permanenter               les Sonnenlicht kann auch zu Augen-
                                                 Haltung an Ketten oder in kleinen               schäden führen. Erkrankungen und
                                                 Ställen, Überarbeitung, häufigen Be-            Verletzungen der Augen kommen bei
                                                 strafungen, schmutzigen und feuch-              allen in Menschenobhut gehaltenen
                                                 ten Standplätzen und Sorglosigkeit              Elefanten vor, sind aber bei intensiv
                                                 (Abb. 27). Es liegen genügend Studien           gehaltenen vergleichsweise häufig.
                                                 vor, die dokumentieren, dass solche             Von 121 durch KERSCHBAUMER
                                                 Symptome physischen Stresses häufi-             (2001) auf Sri Lanka untersuchten
Abb. 26: Intensiv gehaltene Elefanten            ger bei intensiver als bei extensiver           Tieren hatten 55% pathologische Ver-
während einer Perahera. Kandy, Sri Lanka.        Haltung vorkommen und ein erschre-              änderungen an einem oder beiden
Intensively kept elephants during a Perahera.    ckendes Ausmaß in Kleinzirkussen                Augen. Die auffallendsten waren
Kandy, Sri Lanka.          (Foto: Fred Kurt)     oder in elefantenführenden Bettler-             gering- bis hochgradig seröser Aus-

68
fluss (bei 35% aller untersuchten
Tiere), Nickhautvorfall (26%), Linsen-
trübung (12%), Bindehautentzündung
(3%) und Bulbusretraktion bzw. Bul-
busverlust (3%).

Verzögertes Körperwachstum ist ein
typisches Symptom intensiver Ele-
fantenhaltung. Extremfälle sind von
Elefanten bei südasiatischen Privat-
besitzern bekannt sowie vor allem von
Afrikanischen Elefanten in europä-
ischen Kleinzirkussen. Es tritt auch
infolge von Schock und Stress auf.
Unterernährung verzögert die Puber-
tät. Ausgelöst wird sie durch unge-
nügende Futtermenge, dem Fehlen
genügender Zeit, um die dargebotene
Nahrung aufzunehmen oder dem
fehlenden Wissen des Elefanten, wie
das dargebotene Futter mundgerecht
vorbereitet werden kann. Unterer-
nährung kann auch Folge geringer
Futterqualität sein. Arbeitselefanten in
Dschungelcamps finden die gleichen
Futterpflanzen wie die wildlebenden
Artgenossen. Zudem erhalten oder
erhielten sie vielerorts energiereiches
Zusatzfutter. Die in Südindien und auf
Sri Lanka intensiv gehaltenen Elefan-
ten leben fast ausschließlich lediglich
vom Laub und Holz von drei Pflan-
zenarten (Abb. 28). Bettelnde Elefan-
ten auf den Straßen südasiatischer
Hauptstädte ernähren sich vorwie-
gend von Abfall oder stark kontami-
niertem Gras (KURT & MAR, 2003).

Zahlreiche moderne Zoos begannen,
verschiedenstes Futter anzubieten und
füttern ihre Elefanten u.a. auch mit
möglichst großen Ästen verschieden-
ster europäischer Baumarten. Diese
Form des „behavioural enrichments“,
gewissermaßen Beschäftigungsthera-
pie, reduziert die pro Zeiteinheit auf-    Abb. 28: Intensiv gehaltene Elefanten leben von wenigen Pflanzenarten, z.B. Kitulpalmen.
genommene Nahrungsmenge wesent-            Kandy, Sri Lanka.
lich und damit auch die notorischen        Intensively kept elephants live from a few plant species, as for instance Kitul palms. Kandy, Sri
Übergewichtsprobleme von Zooele-           Lanka.                                                                         (Foto: Fred Kurt)
fanten, welche in extremen Fällen
zu ernsthaften gesundheitlichen Pro-       Müttern und Nachkommen schaffen                   den 29 früh, d.h. spätestens im Alter
blemen an Gelenken und Sehnen              Waisen. Von 438 Asiatischen Elefan-               von drei Jahren, von ihren Müttern
der Extremitäten führen (KURT &            ten, die in westliche Zoos gebracht               getrennt. Bei 34 gab es entweder keine
KUMARASINGHE, 1998).                       wurden, waren ungefähr 50% Neuge-                 oder eine vergleichsweise späte Tren-
                                           borene (1 bis 2 Jahre) und 25% ältere             nung frühestens im vierten Lebens-
Gefangenschaft und sozialer Stress         Kinder (3 bis 4 Jahre), als sie von ihren         jahr. Die Gruppe der „Frühgetrenn-
                                           Familien getrennt worden waren und                ten“ brachten 51 Nachkommen zur
Beziehungen zwischen Müttern,              hatten nie die Gelegenheit, Geburten              Welt. Davon wurden lediglich 33%
Ammen und Töchtern bestehen zeit-          mitzuerleben oder gar dabei zu helfen             angenommen, 67,7% kamen tot zur
lebens. Zahlreiche Verhaltensweisen        und damit Erfahrungen zu sammeln,                 Welt, wurden von ihren Müttern nicht
etablieren sich nur dann richtig, wenn     die ihnen später die Geburt eigener               angenommen oder gar getötet. In der
junge Elefanten in enger Gesellschaft      Nachkommen erleichtern könnten.                   zweiten Gruppe der „Spät- oder
mit älteren Artgenossen aufwachsen.        Von 63 fortpflanzungsfähigen Elefan-              Nichtgetrennten“ wurden 80,3% der
Fang und gewaltsame Trennung von           tenkühen in europäischen Zoos wur-                61 Nachkommen angenommen und

                                                                                                                                         69
die Regel. Sie bestehen aus Tieren aller
                                                                                             Altersgruppen und beiden Geschlech-
                                                                                             tern.

                                                                                             Eine andere typische Verhaltensweise
                                                                                             intensiv gehaltener Elefanten erfuhr,
                                                                                             jedenfalls in den Ursprungsländern,
                                                                                             bis heute kaum Beachtung. Damit sind
                                                                                             verschiedene Formen von Bewegungs-
                                                                                             stereotypien gemeint. Stereotypien
                      Schulterhöhe Bullen                   Schulterhöhe Weibchen
                                                                                             wie „Weben“ sind Symptome eines
                      Shoulder height bulls                 Shoulder height females
                                                                                             komplexen pathologischen Prozesses,
                                                                                             der ursprünglich ausgelöst wird durch
                                                                                             soziale Isolation im Jugendalter. Bei
                                                                                             regelmäßig angebundenen Elefanten
                                                                                             entwickelt sich das „Weben“ aus voll-
                                                                                             ständigen Vorwärts- und Rückwärts-
                                                                                             schritten und suchenden Rüsselbewe-
                                                                                             gungen. Mit zunehmendem Alter und
                                                                                             Zeit in Gefangenschaft ritualisiert sich
                                                                                             dieses Suchverhalten, d.h. die einzel-
                                                                                             nen Bewegungen reduzieren sich all-
                      Gewicht Bullen                        Gewicht Weibchen                 mählich zum „Weben“, zum Vor- und
                      Weight bulls                          Weight females                   Rückwärtsschaukeln oder regelmäßi-
                                                                                             gen Hin- und Herbewegungen des
                                                                                             Körpers und/oder rhythmischem
                                                                                             Kopfnicken (Abb. 31). Stereotypien
       in Pinnawela geborene Elefanten           Animals born in Pinnawela                   sind übrigens nicht zwangsläufig
                               Waisen            Orphans                                     Anzeichen für schlechte Haltungs-
                           Mittelwert            Mean                                        bedingungen, wie Tierschutzorganisa-
      10% Abweichung vom Mittelwert              Deviation of 10% from mean                  tionen glauben (z.B. CLUBB &
                                                                                             MASON, 2001), sicher aber Anzei-
Abb. 29: Schulterhöhe (in cm) und geschätztes Gewicht (in kg) von Bullen und Weibchen in     chen für ein Trauma im Jugendalter.
der Pinnawela Elephant Orphanage verglichen mit den mittleren Schulterhöhen und Gewich-
ten von wilden Elefanten. Altersangaben in Jahren.
Shoulder height (in cm) and estimated weight (in kg) of males and females in the Pinnawela   Sozial integrierte Elefanten weben,
Elephant Orphanage compared with the mean shoulder height and weight of wild elephants.      wenn überhaupt, nur während der
Age is given in years.                                                                       Trennungen von vertrauten Kumpa-
                                                                                             nen. Bei älteren Tieren, die während
lediglich 19,7% wurden entweder               ihren Müttern und Ammen. Die psy-              vieler Jahre fast ausschließlich in Ketten
nicht angenommen, tot geboren oder            chischen Effekte auf Waisen, die ohne          lebten, können selbst kleinste Aufre-
getötet.                                      Mütter und Ammen aufwachsen, soll-             gungen stereotypes Verhalten auslösen
                                              ten nicht unterschätzt werden, da sie          und sie „weben“ auch, wenn sie „nicht
Die Anwesenheit von Müttern und               zu physischen wie psychischen Ent-             wissen, was sie tun sollen“, selbst
Ammen kann ausschlaggebend sein               wicklungsstörungen führen (GARAÏ               dann, wenn sie plötzlich kettenfrei
für die physische Entwicklung der             et al., eingereicht).                          gehalten werden (KURT & GARAÏ,
Nachkommen, was Beobachtungen in                                                             2006). Solche Elefanten fallen auf
der Pinnawela Elephant Orphanage              Solche engen Beziehungen zwischen              durch verzögertes Wachstum, verspä-
ergaben (KURT, 2001; KURT &                   jungen und älteren Elefanten finden            tete Pubertät und sie sind häufig nicht
GARAÏ, 2006). Zahlreiche Waisen ha-           bei intensiver Haltung kaum statt, weil        mehr in der Lage, sich sozial normal
ben verzögertes Wachstum (Abb. 29)            dieses System Sozialverhalten unter-           zu verhalten.Manche Zirkusangehörige
und bereiten ihre Nahrungsportionen,          drückt und beispielsweise Zirkuselefan-        interpretieren die meist vor und nach
die verhältnismäßig klein sind, häufig        ten entsprechend ihrer Körpergröße             Proben oder Vorstellungen auftreten-
mit ineffektiven Methoden vor                 im Stall an Ketten zu stehen haben und         den Stereotypien als Voraussetzung
(Abb. 30). Als ineffektiv gelten jene         damit Jungtiere von Älteren und Er-            für normale Blutzirkulation oder gar
Methoden der Futtervorbereitung, bei          fahrenen kaum etwas lernen können.             als Zeichen der Freude.
denen entweder Backenzähne oder               In Südasien leben intensiv gehaltene
Rüsselhand die zu zerkleinernden              Elefanten in sozial ziemlich homo-             Menschen und Elefanten
Pflanzenteile fixieren, so dass der Pro-      genen Gruppen. So stehen zum Bei-
zess von Kauen und Nachschub zeit-            spiel in den Tempeln von Kerala                Bei der Kraalmethode übernimmt der
raubend unterbrochen wird. Doch               praktisch nur Bullen und in Jaipur, wo         zukünftige Mahut Zähmung und Dres-
keines der Jungtiere, die mit ihren           Elefanten Touristen zu den Palästen            sur. Bei Methoden im direkten Kontakt
Familien aufwuchsen, wuchs lang-              tragen, nahezu nur Weibchen. In den            hält sich der zukünftige Mahut mit
samer als wilde Elefanten. Offenbar           Dschungelcamps mit extensiver Hal-             Schlägen zurück, füttert und lobt den
lernten sie effektive Methoden von            tung sind sozial heterogene Gruppen            Frischfang. Zwischen Mahut und Ele-

70
Entlang eines Gradienten zwischen
                                                                                             den Extremen der Haltungsformen,
                                                                                             also zwischen extensiver Haltung im
                                                                                             Dschungel und intensiver Haltung in
                                                                                             städtischen Gebieten, werden die
                                                                                             Methoden und Hilfsmittel der Zäh-
                                                                                             mung und Führung immer brutaler.
                Caryota St.                          Cocos                                   Dabei nimmt das Wohlbefinden der
                                                                                             Elefanten eindeutig ab. Außerdem
                                                                                             stirbt das Wissen um den Elefanten
                                                                                             zunehmend aus, was neben vielem an-
                                                                                             deren auch aus den Kenntnissen über
                                                                                             natürliche Heilmittel besteht. Dies-
                                                                                             bezüglich interviewte WASANTHA
                                                                                             KUMARI GODAGAMA (1996) auf
                                                                                             Sri Lanka 82 Elefantenbesitzer. Von
                                                                                             ihnen hatten 54 wenig oder kein
                                                                                             Wissen, aber immerhin 67 ließen ihre
                                                                                             Tiere von einem Aliwedamahattaya,
                 Caryota L.                          Artocarpus                              einem traditionellen Elefantendoktor
                                                                                             behandeln, an dessen Erfolg auch drei
                                                                                             Viertel der Mahuts glauben. Ihr
                                                                                             Wissen führen diese seit der Feudal-
                                                                                             zeit traditionellen Elefantendoktoren
                                                                                             auf alte Schriften zurück, die im Laufe
                                                                                             von 2.000 Jahren oft falsch wieder-
                                                                                             gegeben wurden und heute zu
                                                                                             falscher Behandlung führen können.
                                                                                             So finden an Stelle der einst durchaus
                                                                                             sinnvollen Augenmedikamente ledig-
                                                                                             lich noch die Behandlung des Augen-
                   Normales Wachstum             Normal body growth                          umfelds mit ringförmig aufgetragenem
                  Verzögertes Wachstum           Retarded body growth                        Öl statt, was übrigens auch westliche
                                                                                             Zirkusse und Zoos übernahmen.
Abb. 30: Mittleres Frischgewicht der vorbereiteten Futterportionen von den Stämmen           Den dunklen Ringen kommt aber
der Kitul-Palme (Caryota), Wedeln der Kokos-Palme (Cocos) und der Kitul-Palme sowie
Ästen des Jack-Baumes (Artocarpus) dargestellt in Abhängigkeit von Alter und Körper-         keine heilende Wirkung zu, wie
wachstum.                                                                                    WIESNER (1992) zeigte und dabei
Mean wet weight of food portions prepared from Caryota stems, Cocos leaves, Caryota leaves   auf den mythischen Charakter des
and Artocarpus branches according to age and body growth.                                    auffallenden Merkmals hinwies: Die
                                                                                             schwarze Umrandung der Augen
fant kann sich im Laufe der Zeit eine         und riskiert dabei Angriffe, die er wie-       dient als Abwehrzauber gegen den
enge Beziehung entwickeln, die täglich        derum mit Schlägen pariert. So wird            „Bösen Blick“.
zweimal verstärkt wird, wenn der              der Führer allmählich zum Peiniger,
Mahut seinen Elefanten beim Baden             sein Elefant zur tödlichen Gefahr. Die         In Indien und auf Sri Lanka ging ein
ausgiebig schrubbt und massiert. Ein          Häufigkeit von Strafen korreliert posi-        Großteil des traditionellen Wissens
guter Mahut erlaubt seinem Elefanten          tiv mit der Häufigkeit von Unfällen.           über Heilpflanzen allmählich verlo-
während des Marsches und der Arbeit           Die Kurumbas in den südindischen               ren. In Thailand geschieht es jetzt
Nahrung aufzunehmen und führt ihn             Wäldern führen ihre Arbeitselefanten           abrupt; denn Arbeitslosigkeit trieb
gelegentlich zum Wasser. Er kann die          äußerst einfühlend. Schläge mit der            Stammesangehörige und ihre Elefan-
Stimmung seines Elefanten abschätzen          dünnen Holzrute sind selten. Unfälle           ten schlagartig aus den plötzlich
und fordert nicht allzu viel, wenn die-       ereignen sich kaum. Intensiv gehal-            geschützten Wäldern in die Städte und
ser schlecht gelaunt ist. Trotzdem darf       tene Elefanten auf Sri Lanka werden            Touristenzentren, wo, wenn über-
er seine dominante Rolle nicht verlie-        regelmäßig mit dem Ankus geschlagen            haupt, zunehmend westliche Medi-
ren. Allerdings ändert sich das Rang-         und gestochen. Dass sich derart                kamente zum Einsatz kommen
verhältnis während der Musth; denn            gequälte Tiere widersetzen, zeigt die          (PREECHA et al., 2005). Aber im-
Musth bedeutet absolute Dominanz.             Statistik: Auf Sri Lanka gelten 25%            merhin kennen die älteren Mahuts
Musth-Bullen greifen selektiv ihre            der „zahmen“ Elefantinnen als poten-           noch wenigstens 83 Heilmittel aus
Führer an.                                    tiell gefährlich und 8% haben schon            78 Pflanzen- und sechs Tierarten
                                              wenigstens einen Menschen getötet.             sowie Mineralien (NEIMANIS &
Bei intensiver Haltung sind die Elefan-       Bei Bullen sind die Werte höher:               PRANEE, 2005). Die meisten stamm-
tenführer häufig unerfahren und die           40% sind allgemein gefährlich und              ten von streng gehüteten und tra-
von ihren Tieren verlangten Arbeits-          20% haben schon wenigstens einen               dierten Kenntnissen aus uralten und
zeiten häufig zu lang. Hier muss sich         Menschen getötet (ILANGAKOON,                  immer wieder überprüften Direkt-
der Mahut mit Strafen durchsetzen             1993).                                         beobachtungen an wilden Elefanten,

                                                                                                                                 71
rungsprozesses (GARAÏ & KURT,
                                                                                                2006, dieses Heft) Stress bedingen, den
                                                                                                Elefanten wie andere Tiere auch u.a.
                                                                                                mit vermehrter Angriffslust zu bewäl-
                                                                                                tigen versuchen.

                                                                                                Nationale und internationale Tier-
                                                                                                schutzorganisationen bemühen sich
                                                                                                heute um das Wohlergehen der gefan-
                                                                                                genen Elefanten in Indien, Thailand
                                                                                                und anderen Ländern. Sie finanzieren
                                                                                                fahrende Kliniken, Tierärzte und
                                                                                                Handbücher über die Pflege der Tier-
                                                                                                riesen. Doch auch ihnen ist es bis
                                                                                                heute nicht gelungen, die intensiven
                                                                                                Haltungsbedingungen grundsätzlich
                                                                                                zu ändern oder wenigstens die Zahl
                                                                                                der tierquälerisch gehaltenen Elefanten
                                                                                                zu verkleinern. Vergeblich warten die
                                                                                                Mahuts in städtischen Gebieten auf
                                                                                                höhere Löhne und höheren sozialen
                                                                                                Status.

                                                                                                Wohin mit 14.000 zahmen Elefanten
                                                                                                in den Ursprungsländern?

                                                                                                Ungefähr 14.000 Asiatische Elefanten
                                                                                                leben zur Zeit in Menschenobhut. Das
                                                                                                sind 25 bis 30% des weltweiten Ge-
Abb. 31: Entwicklung von Stereotypien bei 44 Elefanten. Mit zunehmendem Alter und Zeit          samtbestandes von Elephas maximus.
in Menschenobhut werden die Vorschritte reduziert (oben), Kopf- und Rüsselbewegungen            Für eine hochbedrohte Tierart wie
erfolgen dabei zunehmend senkrecht zur Körperachse oder es werden Nickbewegungen                den Asiatischen Elefanten bedeutet
entwickelt.                                                                                     Gefangenschaft, in der er sich
Development of stereotypy in 44 Asian elephants. With increasing age and time in captivity
                                                                                                kaum fortpflanzt, einen ernsthaften
forward steps are reduced (above) and head and trunk are increasingly moved vertically to the
longitudinal body axis or “nodding” appears (below).                                            Verlust von genetischer und etholo-
                                                                                                gischer Vielfalt. Elefanten gelten als
die etwa bei Verdauungsstörungen                Bis ins 20. Jahrhundert erlangten die           „keystone-species“. Solche „Schlüssel-
und Parasitenbefall oder kurz vor               Meister der ursprünglichen Elefanten-           arten“ spielen eine bedeutende Rolle
Geburten bestimmte heilende und                 kulturen nicht nur als Naturheilkun-            innerhalb ihres arttypischen Ökosys-
lindernde Pflanzen oder Mineralien              dige hohes Ansehen. Einige wurden               tems, indem sie Salzlager und Wasser-
aufnehmen.                                      Träger hoher Orden und sogar Mi-                quellen erschließen, Samen verbreiten
                                                nister. Gelegentlich erreichten ihre            und in Zusammenarbeit mit Klein-
Gleiches ist von afrikanischen Men-             Söhne Königsrang, wie Jayavarman II.            lebewesen die Bodenfruchtbarkeit
schenaffen bekannt, von denen die               (ca. 770 bis ca. 843), der Gründer von          erhöhen. Von einem ökologischen
moderne Zoopharmakognosie (das                  Angkor, oder Weltruhm als Filmstar              Standpunkt aus betrachtet, bedeutet
Wissen um die Selbstmedikation bei              wie Selar Shaik Sabu (1924 bis 1963),           Gefangenschaft Verlust von ökolo-
Wildtieren) annimmt, dass sie aus-              der „Jungle Boy“ und „Dieb von Bag-             gischen Funktionen in natürlichen
schlaggebend waren für das Wissen der           dad“, dessen Vater Mahut beim letzten           Ökosystemen. Nachzucht in Men-
Medizinmänner (HUFFMAN, 2001).                  regierenden Maharadscha von Mysore              schenobhut ist zwangsläufig eine
In Südasien fehlen Menschenaffen bis            war. Heute leben die Elefantenführer            der Möglichkeiten zur Erhaltung aller
auf den auf kleinen Verbreitungsinseln          in städtischen Gebieten am Existenz-            Formen natürlicher Vielfalt.
vorkommenden Orang-Utan. So lag                 minimum und viele von ihnen sind,
es nahe, dass sich Stammesangehörige            wahrscheinlich infolge permanenter              In Südasien leben noch 60% der
auf der Suche nach natürlichen Heil-            Angst, drogen- oder alkoholabhängig             14.000 gefangenen Elefanten im oder in
mitteln an den allgegenwärtigen,                geworden. Auf Sri Lanka stammt nur              der Nähe von Waldgebieten (BAKER
erkenntnisfähigen, Traditionen bilden-          noch jeder Dritte aus traditionellen            & KASHIO, 2002). Nach dem Verbot
den Elefanten hielten und sich dessen           Mahutfamilien. Die meisten wissen               forstwirtschaftlicher Nutzung natürli-
medizinische Kenntnisse zu eigen                nicht, dass die Aggressivität intensiv          cher Restwälder in mehreren Ländern
machten. Die Heilpflanzen der Elefan-           gehaltener Elefanten durch Kettenhal-           gilt es neue Aufgaben für Arbeitsele-
ten wirken tatsächlich auch beim                tung auf kleinstem Raum von etwa                fanten zu finden, um den Exodus in
Menschen. Logischerweise waren die              16 m2 erhöht wird, und sie wissen               städtische Gebiete zu vermeiden. Dank
Meister der ursprünglichen Elefanten-           nicht, dass extrem eingeschränkte               ihrer Geländegängigkeit eignen sich
kulturen auch zuständig für die                 Bewegungsfreiheit ebenso wie das                Elefanten hervorragend als Reittiere
Behandlung kranker Menschen.                    Fehlen des artspezifischen Sozialisie-          für Wildschutzpatrouillen, Wissen-

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schaftler und Ökotouristen. Besonders
in Indien und Nepal sind sie unersetz-
liche Partner für Naturschutz und
Forschung. Seit dem Altertum tragen
hochspezialisierte Jagdelefanten Fän-
ger in wilde Herden zur Mela Shikar,
zum selektiven Schlingenfang von
Wildelefanten. In Indien, Malaysia,
Myanmar und Thailand spielen solche
Tiere heute immer noch eine wichtige
Rolle bei der Ausbildung oder Um-
siedlung von Wildelefanten.

Ökotourismus mit Reitelefanten hat
sich in Indien und Thailand etabliert
und breitet sich zur Zeit in Kambod-
scha, Sri Lanka und Vietnam rasch aus.
Auch im Naturschutz könnten ver-
mehrt Elefanten eingesetzt werden.
Thailand z.B. besitzt 100 National-
parks und andere Schutzgebiete. Wenn
jedes von ihnen lediglich vier „über-     Abb. 32: Eine Alternative zur traditionellen Elefantenhaltung könnte die Pinnawela Elephant
flüssig“ gewordene Arbeitselefanten       Orphanage auf Sri Lanka werden.
für Schutzpatrouillen beschäftigte,       The Pinnawela Elephant Orphanage of Sri Lanka could become an alternative to the traditio-
könnten 400 in natürlichem Habitat        nal methods of elephant keeping.                                       (Foto: Marion Garaï)
überleben (SALWALA, 2002). Die
Erhaltung von Arbeitselefanten in         arteigenen Ammen besser aufwachsen             wilden Elefanten durch die Wälder
Dschungelgebieten bedeutet auch           können. Unter den überflüssig gewor-           von Kambodscha, Laos und Vietnam.
Arbeit für die Lokalbevölkerung,          denen Arbeitselefanten wäre es leicht          Heute sind es noch einige Hundert
die sich häufig aus Stammesange-          solche Ammen zu finden, denn viele             (BAKER & KASHIO, 2002). Elfen-
hörigen zusammensetzt. Ihr traditio-      erwachsene Elefantenkühe, sogar sol-           beinwilderer und Bauern, die ihre
nelles Wissen über Elefanten und          che, die sich nie fortgepflanzt haben,         Felder schützen, töten selektiv Bullen.
natürliche Vielfalt könnte zu einem       verhalten sich altruistisch gegenüber          In Südindien führte dies bereits vor
wichtigen Beitrag für Naturschutz         Jungtieren, ja stillen sie sogar (GARAÏ,       20 Jahren zu oft unnatürlichen Ge-
und angewandte Forschung werden.          1977). Ammen sollten zukünftig auch            schlechterverhältnissen, im Extremfall
                                          in so genannten Transit Homes Ver-             von nur einem erwachsenen Bullen auf
Vor 2.000 Jahren schlug die Arthasa-      wendung finden. In Transit Homes,              300 erwachsene Weibchen (KURT et
stra, ein indisches Werk über Staats-     wie zum Beispiel dem am Rande des              al., 1995).
führung, den Herrschern vor, ein          Uda Walawe Nationalparks auf Sri
Mrgavana, einen eingezäunten Park,        Lanka, wachsen Elefantenwaisen bis             Im Way Kambas Nationalpark von
für (gezähmte) Elefanten und andere       ins Alter von fünf bis neun Jahren             Sumatra führten Wilderei und Fang-
Wildtiere zu schaffen. Diese Idee muss    in Menschenobhut auf, bevor sie                aktionen durch das Indonesian Forest
heute wieder aufgegriffen werden.         gruppenweise ausgewildert werden.              Department zu einer messbaren Ver-
Große eingezäunte Flächen von             Die bisherigen Experimente in Uda              änderung in der Altersstruktur des
wenigstens einem km2 und mit elefan-      Walawe sollen bisher erfolgreich ver-          schwindenden Bestandes, der zuneh-
tengerechter Einrichtung könnten          laufen sein, obwohl die Neuzugänge             mend vor allem aus drei- bis sieben-
verwaisten und anderen Problem-           verzögertes Wachstum hatten und                jährigen Mitgliedern besteht (REILLY,
elefanten, z.B. gefährlichen oder über-   wenigstens einer starb (JAYAWAR-               2002). Fehlender Kontakt zu allen
flüssigen, neuen Lebensraum bieten,       DENA et al., 2002). Beides beruht              sozialen Klassen bedingt bei Elefanten
in dem sie künstlich gefüttert und        wahrscheinlich auf dem Fehlen von              physische und psychische Fehlent-
veterinärmedizinisch betreut, sonst       Ammen (GARAÏ & KURT, 2006,                     wicklungen (GARAÏ & KURT, 2006,
aber ohne Kontakt zu Menschen             dieses Heft).                                  dieses Heft), was bis vor kurzer Zeit
gehalten werden. In Südeuropa und                                                        nur aus Zoos bekannt war. Zooähn-
den USA existieren bereits solche         In Südasien schmelzen gleichermaßen            liche Verhältnisse entstehen für Wild-
Anlagen und in Südafrika liegt reiche     die letzten Waldgebiete und die                elefanten aber auch dadurch, dass ihre
Erfahrung vor mit der Pflege von          Bestände der wilden Elefanten. In              klein gewordenen letzten Lebensräume
Elefanten in großen eingezäunten          Riau (Zentralsumatra) zum Beispiel             zunehmend eingezäunt werden müs-
Gehegen (GARAÏ, 2002).                    brach infolge rücksichtsloser Waldro-          sen, um Menschen und Felder vor
                                          dung und Wilderei der Bestand von              Elefanten und Elefanten vor Men-
Neben der Pinnawela Elephant Orpha-       schätzungsweise 1.100 bis 1.600 Ele-           schen zu schützen. Derart isolierte
nage auf Sri Lanka (Abb. 32) kümmern      fanten in 1983 auf 350 bis 430 in 2003         Restbestände bedürfen zunehmend
sich ähnliche Stationen in Assam,         zusammen (WWF INDONESIA,                       veterinärmedizinischer Betreuung und
Malaysia oder Thailand um verwaiste       2006). Noch in der Mitte des letzten           Umsiedlungen, wie sie in Zoos typisch
Elefanten, die mit Unterstützung von      Jahrhunderts zogen Abertausende von            sind. Kurz: Die Lebensbedingungen

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