Monat - Ukrainer*innen mit Behinderungen

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Monat - Ukrainer*innen mit Behinderungen
Die Zeitschrift
monat
  Ausgabe 1/2022

  Ukrainer*innen
  mit Behinderungen

      behindertenrat • www.behindertenrat.at • Aboservice Tel.: (01) 513 1 533 • Abo: 24,00 Euro/Ausland + Porto
Monat - Ukrainer*innen mit Behinderungen
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2   www.behindertenrat.at
Monat - Ukrainer*innen mit Behinderungen
Foto: Janousek
editorial
            Liebe Leser*innen!

            D
                 er im April des Vorjahres tödlich verunglückte Präsident des Ös-
                 terreichischen Behindertenrats, Herbert Pichler, dessen Nachfolge
                 ich Ende November des Vorjahres antreten durfte, bleibt unver-
            gessen. Freuen Sie sich auf das Gedenkturnier zu seinen Ehren am 15.
            Mai (Details finden Sie auf Seite 10) und erfahren Sie auf Seite 23, wer
            mit dem Herbert-Pichler-Inklusions-Medienpreis 2021/22 ausgezeich-
            net wurde.

            Nach zwei intensiven Jahren, in denen sich der Behindertenrat dafür
            eingesetzt hat, dass Menschen mit Behinderungen gut durch die
            COVID-19-Pandemie kommen, hat sich unsere Organisation nicht nur
            innerhalb des Präsidiums neu aufgestellt.
            Lernen Sie auf Seite 7 die neue Geschäftsführerin Ghislaine Sekerka
            kennen, die seit 1. April gemeinsam mit Generalsekretär Bernhard
            Bruckner die Geschicke des Behindertenrats lenkt.

            Die Situation in der Ukraine macht mich und das gesamte Team wahr-
            scheinlich ebenso fassungslos wie Sie. Nun ist es an der Zeit, zusam-
            menzustehen. In dieser Ausgabe unserer Zeitschrift monat rücken wir
            daher Menschen mit Behinderungen aus der Ukraine ins Zentrum der
            Aufmerksamkeit: Und zwar sowohl jene, die sich (noch) in der Ukraine
            befinden als auch die vielen Personen, die sich auf den Weg gemacht
            haben, um den Kriegswirren zu entkommen.

            Auf welche Barrieren Menschen mit Behinderungen dabei stoßen und
            was wir vom Behindertenrat fordern, damit diese überwunden werden,
            lesen Sie ab Seite 16. Auf den darauffolgenden Seiten vermitteln wir
            Informationen in Leichter Sprache, und ab Seite 20 erfahren Sie, wel-
            che Projekte mittlerweile entwickelt und welche europäische Resolution
            verabschiedet wurde. 

                                                                       Mit besten Grüßen
                                                                    Mag. Michael Svoboda

                                                                       www.behindertenrat.at   3
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4   www.behindertenrat.at
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Aus dem Inhalt                                                                                             Ausgabe 1/2022

Editorial                             3

Neue Geschäftsführerin               7

Angstfrei mobil		                     9

Herbert Pichler Cup                  10

30 Jahre BIZEPS                      14

Schwerpunkt: Menschen mit
Behinderungen aus der Ukraine        16

EDF-Resolution                       22

Beratungsstelle LIFEtool             24

Chronische Krankheiten               26

Manfred & Annemarie Srb
verstorben                           32

Zero Project Conference              34

                                          A                                      M
Nachruf                              34         nlässlich des ersten Todesta-           enschen mit Behinderungen
                                                ges von Herbert Pichler findet          aus der Ukraine stehen im
Veranstaltungen                      35         am 15. Mai 2022 im Freizeit-            Fokus dieser Ausgabe.
                                          zentrum Perchtoldsdorf der 1. in-      Zahlreiche Initiativen machen sich
     Gefördert aus den Mitteln des        klusive HERBERT PICHLER CUP statt.     dafür stark, dass jene, die nach
     Sozialministeriums                   Das Motto des Hallenturniers lautet    Österreich geflüchtet sind, selbstbe-
                                          "Inklusion – Fußball – Werte".         stimmt leben können.

                                                               Seiten 8 bis 10                            Ab Seite 16

IMPRESSUM: Medieninhaber: Österreichischer Behindertenrat · Herausgeber: Michael Svoboda · Redaktion:
Ghislaine Sekerka - Kerstin Huber-Eibl · Adresse: 1100 Wien, Favoritenstraße 111/11, Tel.: 01 513 1533,
Mail: presse@behindertenrat.at · Website: www.behindertenrat.at · Offenlegung nach dem Mediengesetz:
www.behindertenrat.at/impressum · Gestaltung, Anzeigenverkauf, Layout und Druck: Die Medienmacher GmbH · 8151
Hitzendorf · Filiale: 4800 Attnang-Puchhheim, 07674 62 900, www.diemedienmacher.co.at · Cover: pixabay · Nachdruck
nur nach ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung der Redaktion gestattet. · Nicht alle Artikel entsprechen unbedingt
der Meinung der Redaktion. Wir haben das Ziel, eine möglichst breite Diskussionsbasis für behindertenpolitische Themen
und Standpunkte zu schaffen und die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen. · Bankverbindung: easy-
bank, IBAN: AT85 1420 0200 1093 0600, BIC: EASYATW1 DVR 08 67594 · ZVR-Zahl: 413797266 · Erscheinungsort Wien.

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Monat - Ukrainer*innen mit Behinderungen
Aktuell                                                                                                    Ausgabe 1/2022

    KOLUMNE                                                   Antrittsbesuch
     Von Bernhard Bruckner

    V  or einem Jahr wurde Präsident Herbert Pichler
       unerwartet aus dem Leben gerissen. Auch wenn
    es nach seinem Tod kurz so schien, als ob die Welt
    stehenbleiben würde, verständigten sich die Funktio-
    när*innen und das Team des Behindertenrats schnell
    darauf, den von ihm eingeschlagenen Weg fortzufüh-
    ren.

    Was ist seitdem passiert?
    Die COVID-Krise hatte uns weiterhin fest im Griff, aber
    wir konnten immer besser die Interessen von Men-
    schen mit Behinderungen in die politischen Entschei-

                                                              A
    dungsfindungen einbringen.                                      m 12. April 2022 war der Österreichische Behin-
                                                                    dertenrat zum Antrittsbesuch bei Sozialminister
    Seitens des Behindertenrats wurde aktiv an der Erstel-          Johannes Rauch eingeladen.
    lung des NAP Behinderung 2022-2030 mitgearbeitet.
    Im November 2021 wurde ein Delegiertentag abgehal-        Der Behindertenrats-Vizepräsident Klaus Widl (CBMF),
    ten und ein neues schlagkräftiges Präsidium gewählt.      die 5. Vizepräsidentin Roswitha Schachinger (WAG Assis-
    Aktuell beschäftigen uns der grausame Angriffskrieg       tenzgenossenschaft), der Generalsekretär des Behinder-
    von Russland und die dadurch ausgelöste humanitäre        tenrats, Bernhard Bruckner, Martin Ladstätter (BIZEPS)
    Katastrophe.                                              und die Sozialrechts-Expertin Regina Baumgartl (KOBV)
                                                              nützten den Gespächstermin, um sich mit dem Sozialmi-
    Im Zusammenhang mit der Aufnahme von geflüchte-
                                                              nister über die drängendsten Forderungen von Menschen
    ten Menschen mit Behinderungen hat Österreich je-
                                                              mit Behinderungen auszutauschen.
    doch seine Aufgaben noch nicht erfüllt. Die behinde-
    rungsbedingten Bedarfe (Unterstützung, Hilfsmittel,
    usw.) werden nämlich aktuell in der Grundversorgung       Themen des Gesprächs waren der Nationale Aktionsplan
    nicht adäquat abgedeckt.                                  Behinderung 2022 – 2030, der Inklusionsfonds sowie
                                                              Arbeitsangebote, Arbeitslosigkeit, Persönliche Assistenz,
    Ich hoffe sehr, dass die Politik dem Thema geflüchtete    Teuerung und die Pflegereform. 
    Menschen mit Behinderungen bald die erforderliche
    Aufmerksamkeit schenkt und ihnen die Unterstützung
    zukommen lässt, die sie benötigen. 

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Behindertenrat                                                                                          Ausgabe 1/2022

Neu im Team:
Ghislaine Marie Sekerka
S
     eit 1. April 2022 ist Mag.        Congress in Mexiko mit. Weitere
     Ghislaine Sekerka Geschäfts-      Highlights waren der Aufbau der
     führerin des Österreichischen     Marketingabteilung der albanischen
Behindertenrats.                       Lotterie und die ständige Vertretung
                                       der Österreichischen Lotterien in
1974 in Klagenfurt geboren, ging       den Marketing Workinggroups von
sie nach der Matura am Musikgym-       EuroMillionen zur Spielentwicklung
nasium Viktring 1992 nach Wien.        und zu Innovationen.
Zunächst studierte sie an der Uni-
versität Wien Sportwissenschaften/     Nach 14 Jahren im Marketing
Management und nahm anschlie-          wechselte Ghislaine Sekerka in den
ßend das Studium der Betriebswirt-     Vertrieb und betreute als Außen-
schaft an der Wirtschaftsuniversität   dienstmitarbeiterin Partner in Wien.   Zu jeder passenden Gelegenheit
Wien auf, das sie 2001 abschloss.      Aufgrund von zwei Knieoperationen      fährt sie nach Kärnten – im Sommer,
                                       war sie gezwungen, die lehrreiche,     um zum See zu „rad´ln“ und im
Die ersten beruflichen Stationen       spannende und schöne Zeit im Au-       Winter zum Schifahren.
waren Kohl & Partner (Tourismusbe-     ßendienst zu beenden und wechsel-
ratung) und RegioPlan Consulting       te wieder in die Zentrale als Busi-    Ausschlaggebend für ihre Bewer-
GmbH (Standortberatung). Anschlie-     ness Development Managerin. Ihre       bung beim Behindertenrat war ihr
ßend war sie als Assistentin der       Hauptaufgaben waren die Optimie-       langjähriger Wunsch, die wichtige
Geschäftsführung bei der Olympus       rung des Vertriebsnetzes, B2B Sales,   Arbeit ihres bereits verstorbenen
Austria GmbH tätig.                    Vertriebstools, Projektmanagement,     Vaters und Behindertenanwalts von
                                       Controlling, Schulungen und Cont-      Kärnten, Dr. Horst Sekerka fortzu-
Ab 2003 war sie bei den Österrei-      ent Management.                        setzen. Ihre tiefe Überzeugung für
chischen Lotterien beschäftigt, wo                                            die Wichtigkeit von Inklusion auf-
sie mehr als 14 Jahre im Bereich       Mit ihrer langjährigen Erfahrung als   grund ihrer Erfahrungen als Mutter
Marketing für verschiedene Pro-        zertifizierte Service Design Traine-   eines Kindes mit Autismus zeichnen
dukte (Toto, EuroMillionen, Bingo,     rin (Design und Moderation von         sie besonders aus.
Zahlenlotto, Rubbel- und Brieflos)     kundenzentrierten Produktentwick-
verantwortlich war. Anschließend       lungsprozessen) und Systemischer       „Es freut mich sehr, dass ich meine
arbeitete Ghislaine Sekerka im Inno-   Business Coach und einem tiefen        vielfältigen Erfahrungen, die ich in
vationsbereich für Spielentwicklung    Verständnis für Menschen und orga-     meinem bisherigen Berufsleben ge-
und Serviceoptimierung. Darüber        nisatorische Zusammenhänge sowie       macht habe, nun in meinem neuen
hinaus war sie zwei Jahre lang für     einem klaren Blick für Potentiale      Tätigkeitsfeld beim Behindertenrat
den Bereich Customer Insights und      verbindet sie verschiedene Metho-      einbringen kann, um gemeinsam mit
Customer Experience Management         den zur Erarbeitung von maßge-         dem äußerst erfahrenen und herz-
verantwortlich.                        schneiderten Lösungen.                 lichen Team weiterzuwachsen und
                                                                              sinnstiftende Arbeit für Menschen
Spezielle Berufserfahrung bringt       Mit ihren beiden Söhnen Luca und       mit Behinderung zu leisten.“ 
unsere neue Geschäftsführerin durch    Nico (12 und 14 Jahre) und ihrem
die Teilnahme am Forum Alpbach         Mann lebt sie in Hietzing. Ihre
als Service Designerin für Work-       Freizeit verbringt Ghislaine Sekerka
shops, durch Innovationsarbeit im      mit ihrer Familie meistens in der
Glücksspielangebot und Services und    Natur, im Theater, Museum oder sie
ihre Teilnahme am World Lottery        streunt durch Wien.

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Behindertenrat

Neu im Team
Kerstin Huber-Eibl

D
      en Bereich Öffentlichkeits-         mit dem Studium der Pädagogik
      arbeit und Kommunikation            sowie der Publizistik- und Kom-
      verantwortet seit 1. April          munikationswissenschaft, das sie
Mag. Kerstin Huber-Eibl. Neben der        mit einer Diplomarbeit zum Thema
Betreuung der Kommunikationska-           Mobbing abschloss. Einige Jahre
näle wie der Zeitschrift monat, der       später nahm sie ein Lehramtsstudi-       wo sie in den Bereichen Print und
Website, Social Media und des News-       um im Fachbereich Information und        Online tätig war. Von Mai 2017 bis
letters kümmert sich unsere neue          Kommunikation an der Pädagogi-           März 2022 baute die Mutter dreier
Mitarbeiterin um die Presse- und          schen Hochschule Wien auf. Kerstin       Kinder im Alter von zehn, 16 und
Öffentlichkeitsarbeit. „Die Arbeit für    Huber-Eibl absolvierte zahlreiche        19 Jahren bei der Multiple Sklerose
den Österreichischen Behinderten-         Fortbildungen, zuletzt im Bereich        Gesellschaft, einer Mitgliedsorgani-
rat stellt für mich eine spannende,       Online Marketing.                        sation des Österreichischen Behin-
freudvolle Herausforderung dar. Ich                                                dertenrats, den Bereich Kommunika-
bin überzeugt, dass mittels Kom-          Seit ihrem Umzug nach Wien ar-           tion aus.
munikation Barrieren in den Köpfen        beitete sie für die Austria Presse
vieler Menschen überwunden wer-           Agentur, das Institut Gesundheit         Ihre Freizeit verbringt unsere neue
den. Dazu möchte ich beitragen.“          und Kommunikation, den Österrei-         Kommunikatorin am liebsten mit
                                          chischen Gewerkschaftsbund, die          ihrem Mann und ihren Kindern, vor
Die 1975 geborene Salzburgerin be-        Universität Wien und einen medi-         allem in der Natur und auf zahlrei-
gann 1995 an der Universität Wien         zinischen Fachzeitschriftenverlag,       chen Reisen. 

Be Our Ally!                                          Von Kerstin Huber-Eibl

14. Diversity Ball am 7. Mai im Kursalon Wien

D
     er 14. Diversity Ball steht für      In der Ballnacht soll marginalisierten
     Vielfalt, Akzeptanz, Gleichstel-     Personen und Gruppen Sichtbarkeit
     lung und Barrierefreiheit. Am        verschafft werden und herausgefun-
Magenta Carpet jede*r ein Star – ob       den werden, wie wir auch im Alltag
in High Heels oder im Rollstuhl.          bessere Verbündete sein können.

Unter dem Motto „BE OUR ALLY“ wird        Keine Style-Codes
dazu eingeladen, sich gemeinsam zu        Die Ballgäste können sich auch in
verbünden und dies auch ordentlich        diesem Jahr von ihrem eigenen Stil
zu feiern. Als Ally wird eine Person      inspirieren lassen. Erlaubt ist alles,
bezeichnet, die sich für die Rechte       was gefällt! Ob im chicen Vintage        einem Dankesempfang. Bei diesem
benachteiligter und unterdrückter         Dress, im ausgefallenen Kostüm oder      werden „The Lovemore Awards“ ver-
Personen und/oder Gruppen einsetzt.       in edler Ballrobe: alle sind frei, das   geben. Der offizielle Einlass erfolgt
Auch wenn diese Person selbst nicht       zu tragen, was ihnen gefällt.            um 20:00 Uhr.
betroffen ist: Ein Ally zu ein bedeutet
aktiv zu sein und beschreibt einen        The Lovemore Award                         Tickets und Infos
lebenslangen Lernprozess.                 Vor dem offiziellen Einlass versam-        erhalten Sie unter
                                          meln sich Verbündete des Balls zu          www.diversityball.at/tickets

8         www.behindertenrat.at
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Ausgabe 1/2022

Angstfrei mobil
Forschungsprojekt                    Von Brigitte Heller

I
   m Rahmen des Projekts „Angstfrei mobil“ werden
   Anforderungen von Personen, deren psychischen
   Belastung durch Alltagsangst verursacht wird,
erhoben. Das Projektteam entwickelt Maßnahmen zur
besseren Informationsvermittlung, zur Verbesserung
des Sicherheitsgefühls und der Nutzbarkeit für Men-
schen mit Ängsten im öffentlichen Verkehr.                 Menschen mit Angststörung behalten die Umgebung im Blick.
                                                                  Foto: pexels/Valeriya Kobzar

Mobilität ist im Alltagshandeln ein wichtiger Aspekt und
ermöglicht Teilhabe am sozialen Geschehen. Räumlich        denplatz durch die U4-Station gehen, um zur Urania zu
mobil unterwegs zu sein bedeutet für einige Personen-      kommen. Das ist aber vorab nicht ersichtlich.“
gruppen, etwa Menschen mit einer psychischen Belas-
tung – verursacht durch Alltagsangst – eine Bedrohung.     Die Umgebung im Blick
Dies kann zum Ausschluss vom sozialen Geschehen oder       Das klingt jetzt noch nicht sehr speziell, aber im Gegen-
zum Vermeiden bestimmter Mobilitätsangebote führen.        satz zu Menschen ohne psychische Erkrankungen, die
                                                           unterwegs zum Beispiel noch eine App nutzen können,
Verkehrsteilnahme mit Angst                                sind Menschen mit Angststörung während der Fahrt da-
Personen mit psychischer Erkrankung benutzen öffent-       mit beschäftigt, die Umgebung im Blick zu haben.
liche Verkehrsmittel oft ungern, denn für viele stellen
insbesondere Menschenansammlungen eine große               Oft ist es nötig zu schauen, ob viele Leute im Waggon
Herausforderung dar.                                       sind, die vielleicht den Weg zur Türe verstellen. Manche
                                                           Menschen, beispielsweise solche mit einer Sozialphobie,
Seit Oktober 2020 läuft in Wien das Forschungsprojekt      trauen sich nicht, andere Verkehrsteilnehmer*innen
„Angstfrei mobil“, das die Bedürfnisse von Verkehrsteil-   darum zu bitten, den Weg freizumachen. Zahlreiche Men-
nehmer*innen mit Angsterkrankungen im Fokus hat. Mit       schen mit Zwangsstörungen haben wiederum Angst, mit
Kooperationspartner*innen wie beispielsweise den Wie-      anderen Menschen oder der Ausstattung durch Berüh-
ner Linien, WiPARK, der Universität Wien, tbw-research     rung in Kontakt zu kommen. Andere Betroffene haben
und dem Verein Lichterkette wird versucht, Barrieren       Panikattacken auf Grund von Platzmangel.
für Menschen mit psychischer Erkrankung abzubauen.
Die Lichterkette stellt die Erfahrungsexpert*innen für     Ruhe und Orientierung
Befragungen und ist an jeder Sitzung als Betroffenen-      Es fehlt zum Beispiel an ausgewiesenen Ruhebereichen
vertretung beratend beteiligt.                             in den Öffis, Uhren zur zeitlichen Orientierung oder auch
                                                           an Personen, an die sich Betroffene vertrauensvoll wen-
Herausfordernde Fahrt mit Öffis                            den können, wenn die sich unwohl fühlen.
Man denkt bei Barrierefreiheit meist an bauliche Ver-
besserungen für Menschen mit körperlicher oder Sin-        „Angstfrei mobil“ setzt sich mit all diesen Fragen aus-
nesbehinderung, doch eine Erfahrungsexpertin aus dem       einander. Die Studie läuft noch bis Dezember 2022 und
Bereich der Angststörungen berichtet, wie sie eine Fahrt   bringt hoffentlich viele positive Veränderungen – nicht
mit öffentlichen Verkehrsmitteln empfindet: „Ich muss      nur für Menschen mit psychischen Erkrankungen, denn
meine Wege meiste vorab genau planen. Ich schaue zu        Barrierefreiheit ist für alle Menschen von Vorteil.
Hause nach und notiere mir, welche Linien ich brauche
und wo man umsteigen muss. Oft fehlen Informationen,
wie etwa, welchen Ausgang muss man nutzen, um ans           Mehr erfahren Sie unter
Ziel zu kommen. Zum Beispiel, wenn man in Wien zur          www.angstfreimobil.at
Urania will, muss man bei der U Bahn-Haltestelle Schwe-

                                                                                                 www.behindertenrat.at         9
Monat - Ukrainer*innen mit Behinderungen
Barrierefreiheit                                                                                                     Ausgabe 1/2022

Parlament – FAIR FÜR ALLE		                                                                          Von Wolfhard Drabek

D
   er Umbau des Parlaments ist in vollem Gange. Die
   Wiedereröffnung soll pünktlich zum 26. Oktober
   2022 stattfinden. Auf Barrierefreiheit wird beim
Umbau großer Wert gelegt.

Die Politik ist für alle Menschen im Land gleichermaßen da
und Demokratie ein wertvolles Gut. Genau das soll im neu
geschaffenen Besucher*innen-Zentrum des Parlaments
anschaulich dargestellt werden. Dieser Ort soll, gemein-
sam mit der umgebauten Bibliothek, für alle Menschen in       Parlamentsgebäude              Foto: Parlamentsdirektion/Christian Hikade
gleichem Ausmaß zugänglich und benutzbar sein.
Somit lautet das Ziel: umfassende Barrierefreiheit.           So ist geplant, dass bereits bei der Eröffnung am National-
                                                              feiertag das FAIR FÜR ALLE-Siegel am Eingang zu sehen
Diese Bemühungen sollen auch aktiv nach außen getragen        sein wird. 
werden. Die Parlamentsdirektion hat entschieden, das Be-
sucher*innen-Zentrum und die Bibliothek des Parlaments         Weitere Informationen
FAIR FÜR ALLE zertifizieren zu lassen. Der Zertifizierungs-    finden Sie unter www.fairfueralle.at
prozess sollte noch im ersten Quartal 2022 beginnen.

Herbert Pichler Cup                                               Gedenkturnier am 15. Mai 2022
                                                                                                         Von Nikolas Karner

A
      nlässlich des ersten To-
      destag von Herbert Pichler                                                   sein jahrzehntelanges Engagement
      findet am 15. Mai 2022 von                                                   für Inklusion Miteinander, Fairplay
11:00 bis 16:00 Uhr der 1. inklu-                                                  und Spielfreude im Mittelpunkt
sive HERBERT PICHLER CUP statt.                                                    stehen“, freut sich Nikolas Karner
Das Hallenturnier wird unter                                                       vom Verein „SPIELERPASS“ auf das
dem Motto "Inklusion – Fuß-                                                        Turnier: „Herbert waren das Zusam-
ball – Werte" im Freizeitzentrum                                                   menführen von Menschen und das
Perchtoldsdorf gespielt.                                                           Netzwerken sehr wichtig. Deswegen
                                                                                   werden alle Teilnehmer*innen den
Sechs Teams mit je 15 Spieler*in-                                                  Teams zugelost.“
nen bestreiten das Turnier. Jah-
relange Wegbegleiter*innen aus                                                      Weil der HERBERT PICHLER CUP
Sport und Politik werden ebenso                                                     ehrenamtlich organisiert wird, wird
mit von der Partie sein wie viele                                                   weder von Zuschauer*innen noch
Freund*innen. Weil für Herbert                                                      Teilnehmer*innen Eintritt verlangt.
Pichler Werte und Fußball sehr                                                      Mit freiwilligen Spenden wird die
wichtig waren, wurden die Teams nach bekannten                zweite Auflage des Turniers im nächsten Jahr unter-
Vereinen und gesellschaftlichen Werten benannt. So            stützt. Für Unterhaltung sorgt ein buntes Programm mit
treten etwa die Teams Real Respekt und Inter Inklusion        Fußball, Freestyle, E-Rolli-Fußball, einer Tombola und
an. „Herbert stand Zeit seines Lebens für Fairness und        DJs. Der Zuschauerbereich ist barrierefrei, für Getränke
Inklusion. An diesem Tag sollen im Gedenken an ihn und        und Speisen ist gesorgt. 

10       www.behindertenrat.at
Verständliche Information                                                                                   Ausgabe 1/2022

Millionen-Förderung für Capito
Barrierefreie und verständliche Informationen			                                               Von Klaus Candussi

S
     eit mittlerweile 20 Jahren be-
     reitet capito komplexe Infor-
     mationen für alle Menschen
verständlich auf. Nun gelangte
das Sozialunternehmen in die Liga
der besten digitalen Start-Ups in
Europa und bekommt Zugang zur
Millionen-Förderung des Europäi-
schen Innovationsrats.

Gesellschaftliches Unternehmertum
bzw. Social Entrepreneurship bedeu-
tet, dass eine Geschäftsidee wirt-
schaftlich so umgesetzt wird, dass
sie zur Lösung eines gesellschaftli-
chen Problems beiträgt. Als Wal-
burga Fröhlich und Klaus Candussi
vor 20 Jahren das Sozialunterneh-
men capito gründeten, wollten sie
beweisen, wie sich gesellschaftlicher
Mehrwert mit unternehmerischem
Erfolg verbinden lässt. Fröhlich und
Candussi sind überzeugt, dass „ver-
ständliche Information der Schlüssel
zur Welt“ ist. Sie möchten, dass in
Zukunft alle Menschen sagen kön-        Walburga Fröhlich und Klaus Candussi			                   Foto: Stiefkind Fotografie OG

nen: „capito! Ich habe verstanden.“
                                        den selektiven Auswahlprozess in       “Die EIC-Förderung ermöglicht uns
Mithilfe einer automatisierten          die Liga der besten digitalen Start-   zwei ganz wichtige Entwicklungs-
Vereinfachungs-Software wurden          Ups in Europa und damit Zugang zu      schritte.
bereits Millionen Menschen un-          einer Förderung des Europäischen
terstützt, bedeutende Inhalte zu        Innovationsrat (European Innova-       Zum einen können wir nun die auto-
verstehen. Alle Informationen, die      tion Council, EIC) in Höhe von 1,72    matisierte Vereinfachungs-Software
capito zur Verfügung stellt, werden     Millionen Euro. Damit möchte capito    von capito und die dahinter liegen-
von Personen mit geringer Sprach-       den Durchbruch auf internationaler     de künstliche Intelligenz mit voller
kompetenz auf Verständlichkeit          Ebene schaffen.                        Kraft weiterentwickeln, zum anderen
getestet. So konnten mittlerweile                                              die digitalen Angebote künftig auch
hunderte Arbeitsplätze für Menschen     Bislang wurde die Entwicklung des      für Englisch, Spanisch und Franzö-
mit Lernschwierigkeiten und Behin-      Sozialunternehmens vom öster-          sisch anbieten und so mehr als 100
derungen geschaffen werden.             reichischen Sozialministerium,         Millionen Menschen weltweit helfen,
                                        von der Austria Wirtschaftsservice     wichtige Informationen zu verste-
European Innovation                     Gesellschaft, der steirischen Wirt-    hen“, freut sich das capito-Grün-
Accelerator                             schaftsförderungsgesellschaft und      dungs-Duo Klaus Candussi und
Als eines der ersten europäischen       der österreichischen Forschungsför-    Walburga Fröhlich. 
Sozialunternehmen schaffte capito       derungsgesellschaft gefördert.

                                                                                      www.behindertenrat.at              11
Interessenvertretung

Erwachsenenvertretung
                                                                                                    Foto: Norbert Krammer

Selbstbestimmt und individuell					                                                          Von Norbert Krammer

K
    lare Regeln und strengen Befristungen im öster-       neben der Boulevard-Story die Frage, ob sich die Prob-
    reichischen Erwachsenenschutzgesetz sind wich-        leme, wie sie in den USA geschehen sind, in Österreich
    tig. Das wurde in der aktuellen Diskussion um die     vergleichbar einstellen könnten. Die Rechtslage unter-
Entmündigung von Britney Spears deutlich.                 scheidet sich deutlich, aber manche Problembereiche
                                                          des amerikanischen Vormundschaftsrechtes – zu wenig
US-Popstar Britney Spears protestierte lautstark gegen    Kontrolle, unbefristete Dauer, mangelnde Alternativen
die Vertretung durch ihren Vater und versuchte mit        – sind uns aus der Zeit des Sachwalterrechts noch gut in
rechtlicher Unterstützung, die gerichtlich angeordnete    Erinnerung.
Vormundschaft wieder loszuwerden. Die mediale Bericht-
erstattung und Unterstützung ihrer Fans durch die Bewe-   Das Erwachsenenschutzgesetz löste 2018 das antiquierte
gung „Free Britney“ führte zu einer gerichtlichen Über-   Sachwalterrecht ab. Vorangegangen waren jahrelange
prüfung, zur Abberufung ihres Vaters als Vormund und      Beschwerden über Missachtung von Selbstbestimmung,
letztendlich zur Aufhebung der Vormundschaft. In der      fehlende Kontrolle der Vertreter*innen, Missbrauch der
Berichterstattung über die angeordnete Vormundschaft      Machtfülle und fehlende Alternativen zum weitreichen-
wurden neben der unterdrückten Selbstbestimmungs-         den Grundrechtseingriff. Sachwalterschaft war gleich-
möglichkeit auch negative Seiten des kalifornischen       bedeutend mit dem Verlust der Geschäftsfähigkeit. Dies
Vormundschaftsrechtes problematisiert. Die Medienbe-      wurde als demütigend erlebt und wurde auch nicht durch
richte zeichneten das Bild einer schwarz-weiß-Entschei-   neue, professionelle Vertretungsformen der Vereinssach-
dungsmöglichkeit, die in der Aufhebung der Vormund-       walterschaft ausgeglichen.
schaft endete. Die Feinheiten und Komplexität samt
strafrechtlicher Vorwürfe gegen den Vater bleiben durch   Die 2008 von Österreich ratifizierte UN-Behinderten-
die Vereinfachung der Medien meist unberücksichtigt.      rechtskonvention zeigte auch rechtlich die Grenzen für
                                                          das Sachwalterrecht auf und ebnete den Weg für das
Entwicklung der Vertretung in Österreich                  neue Erwachsenenschutzrecht. Seit Juli 2018 gibt es ne-
Für österreichische Medienkonsument*innen stellte sich    ben Vertretungsmöglichkeiten mit hohem bis mittleren

12       www.behindertenrat.at
Ausgabe 1/2022

Selbstbestimmungsgrad – von der Vorsorgevollmacht bis       Entscheidungsfähigkeit aufgrund psychischer Erkran-
zur gesetzlichen Erwachsenenvertretung – die gerichtli-     kung oder vergleichbaren Beeinträchtigung sowie der
che Erwachsenenvertretung ohne automatischen Verlust        Unvermeidbarkeit einer Stellvertretung, aber auch das
der Geschäftsfähigkeit und mit flankierenden Maßnah-        Vorliegen konkreter Nachteile, die durch die Vertretung
men zur Absicherung der Selbstbestimmung.                   abzuwenden sind. Einer möglichen Bestellung geht ein
                                                            Abklärungsverfahren durch einen Erwachsenenschutzver-
Erwachsenenschutzgesetz sichert Rechte ab                   ein voraus. Die Verfahrensrechte wurden ausgebaut, ein
Während das Sachwalterrecht dem medizinischen und           „pauschaler Wirkungsbereich“ wird verunmöglicht und
damit defizitorientierten Modell von Behinderung ver-       durch die verpflichtende Beschreibung gegenwärtig zu
pflichtet war, wird im Erwachsenenschutzgesetz ver-         besorgender und bestimmt zu bezeichnender Angelegen-
sucht, das an den Menschenrechten orientierte Modell        heiten abgelöst.
von Behinderung der UN-Behindertenrechtskonvention
weitgehend umzusetzen.                                      Nur im Ausnahmefall wird ein Genehmigungsvorbehalt
                                                            zur Abwendung einer ernstlichen und erheblichen Gefahr
Neben der Rechtsfähigkeit bleibt die Handlungsfähigkeit     bei bestimmten rechtsgeschäftlichen Handlungen ange-
auch bei einer Vertretung erhalten. Seit 2018 wird dieses   ordnet. Dadurch bedarf es dann der Zustimmung der/des
Prinzip umgesetzt, wenn auch mit Übergangsphasen            Erwachsenenvertreter*in. Grundsätzlich ist die gerichtli-
und vielfach erst in kleinen Schritten. Selbstbestimmung    che Erwachsenenvertretung auf drei Jahre befristet und
hat grundsätzlich Vor- und eine Stellvertretung Nach-       kann nur in einem Erneuerungsverfahren, mit Anhörung
rang. Eine Vertretung ist im Rechtsverkehr nur zulässig,    der vertretenen Person, nochmaligem Auftrag an den
wenn dies aufgrund einer psychischen Erkrankung oder        Erwachsenenschutzverein zu einem Clearingbericht und
vergleichbaren Beeinträchtigung nicht selbst oder mit       auf Antrag auch mit neuerlicher mündlicher Verhand-
Unterstützung erfolgen kann, die Entscheidungsfähig-        lung, wieder auf drei Jahre beschlossen werden. Die
keit nicht ausreichend vorliegt und die Vertretung zur      gerichtliche Kontrolle und die Berichtspflichten für die
Wahrung der Rechte und Interessen unvermeidlich ist.        Erwachsenenvertreter*in wurden ausgeweitet.

Möglichkeiten der Vertretung                                Mehr selbstgewählte und weniger angeord-
Die Vertretung kann im Rahmen einer Vorsorgevollmacht       nete Vertretungen
vorab verfügt und später bei Eintritt des Vorsorgefalls     Die Zahl ehemaliger Sachwalterschaften reduzierte sich
wirksam werden. Oder es wird eine gewählte Erwachse-        nach Überleitung in das neue Erwachsenenschutzgesetz,
nenvertretung errichtet, wenn die Vorsorgevollmacht         Erneuerungsverfahren und Kontrollen von 52.746 im Juli
nicht möglich ist, aber mit geminderter Entscheidungs-      2018 auf 36.505 zum 31.12.2021, das entspricht einer
fähigkeit die Ermächtigung für eine selbstgewählte          Reduktion von über 30 Prozent. Damit wurde ein Ziel der
Vertretung und die Festlegung des Wirkungsbereiches         Reform – neben qualitativen Verbesserungen – erreicht:
erfolgen kann. Nur wenn beide Möglichkeiten nicht           Der bisher stetige Anstieg der gerichtlichen Erwachse-
umsetzbar sind oder dies gewünscht ist, kann bei stark      nenvertretung wurde gebremst und durch neue Möglich-
eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit eine gesetz-         keiten der Vertretung großteils ersetzt.
liche Erwachsenenvertretung registriert werden. Der
Umfang ist auf gesetzlich festgelegte Wirkungsbereiche      Die Statistik weist zusätzlich 5.599 gewählte Erwachse-
eingegrenzt, der Personenkreis nächster Angehöriger         nenvertretungen aus. Auch die gesetzliche Erwachsenen-
genau definiert und auf drei Jahre befristet, wobei eine    vertretung verzeichnet gegenüber der bisherigen Ange-
neuerliche Registrierung möglich ist. Errichtung und        hörigenvertretung einen enormen Zuwachs auf 21.091
Registrierung sind bei Erwachsenenschutzvereinen,           registrierte Vertretungen. Vorsorgevollmachten stiegen
Notar*innen und Rechtsanwält*innen möglich. Gerichte        auf 193.944 errichtete Vollmachten.
werden darüber informiert und sind für Genehmigungen
und Kontrolle zuständig.                                    Die Übergangsphase für die Reform ist bis Ende 2023
                                                            begrenzt, dann sollten die letzten Erneuerungsverfahren
Gerichtliche Erwachsenenvertretung                          starten oder Alternativen – bis hin zu anderen geeig-
Auch für die gerichtliche Erwachsenenvertretung gelten      neten Unterstützungen, die eine Vertretung nicht mehr
die beschriebenen Voraussetzungen: Eingeschränkte           notwendig machen – gefunden werden. 

                                                                                       www.behindertenrat.at       13
Peer-Beratung

Jubiläum
30 Jahre Peer-Beratung bei BIZEPS                               Von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben

D
     as BIZEPS Peer-Beratungszen-       großer ORF-Bericht. „Nach diesem       Experten in eigener Sache zu sein, ist
     trum feierte am 12. März 2022      Bericht“, erinnert sich Martin Lad-    grundlegend für die Peer-Beratung.
     das 30-jährige Jubiläum.           stätter, „ist unser Anrufbeantworter   Magdalena Scharl ist Peer-Beraterin
                                        nicht mehr stillgestanden.“            bei BIZEPS seit dem Jahr 2001. Sie
Das Peer-Beratungszentrum BIZEPS                                               führt aus: „Beratung ist eigentlich
wurde 1992 gegründet. Inspiration       Empowerment durch eine                 nicht ganz das passende Wort, wenn
war die Behindertenbewegung in den      Beratung auf Augenhöhe                 es um das Konzept der Peer-Bera-
USA, die das Konzept der Peer-Bera-     Ein wichtiges Element der Peer-Bera-   tung geht. Als Beraterin begleite
tung als wichtiges Instrument ihrer     tung ist Empowerment. Die Wünsche      ich Menschen in einer ähnlichen
Bewegung etabliert hatte. „Mir wurde    der Betroffenen und der Glaube an      Lebenssituation dabei, ihren eigenen
damals klar, wie stark und mächtig      deren Fähigkeit, Expertinnen und       Weg in ein selbstbestimmtes Leben
die Peer-Beratung für unsere Sache
sein kann“, so Martin Ladstätter,
Obmann von BIZEPS, der sich seit
den Anfängen bei BIZEPS engagiert.
Mittlerweile hat sich Peer-Beratung
auch in Österreich etabliert und ist
nicht mehr wegzudenken.

Neuheit in der österreichi-
schen Beratungslandschaft
Obmann Martin Ladstätter erinnert
sich: „Als wir damals mit unserer
Peer-Beratung starteten, haben wir
völliges Neuland betreten. Bevor
BIZEPS das erste Zentrum für Selbst-
bestimmtes Leben in Österreich
wurde, war es eine Selbsthilfegruppe,
in der Menschen erkannten, dass
Wissen Macht ist. Wir haben damals
festgestellt, dass jede und jeder von
uns Wissen besitzt, das es wert ist,
weitergegeben zu werden.“ Was als
gegenseitiger Austausch begann,
führte zur Gründung des ersten
Peer-Beratungszentrums. Bevor
BIZEPS eigene Büroräume bekam,
arbeitete BIZEPS von einem Behin-
dertenheim aus.
Die Zahl der Peer-Beraterinnen und
Peer-Berater bei BIZEPS wächst
ständig. Damals waren es nur vier
bis fünf Berater*innen. Doch die
Bekanntheit von BIZEPS nahm sehr
schnell zu. Der Grund dafür war ein

14       www.behindertenrat.at
Ausgabe 1/2022

zu finden. Die Stärke der Beratungs-     Peer-Beraterin ist, erklärt: „Ich finde   Die Möglichkeiten der selbstbestimm-
methode liegt für mich darin, dass       es besonders schön, zu erleben,           ten Lebensführung von Menschen
sie Menschen mit Behinderungen           wenn Kund*innen, denen anfangs            mit Behinderungen stehen und fallen
etwas zutraut. Diese sind oft gar        keiner etwas zugetraut hat, es schaf-     mit gesellschaftlichen Veränderun-
nicht gewohnt, wirklich nach ihrer       fen, ihre Stärke zu finden und allen      gen. Auch wenn sich seit den 1990er
Meinung gefragt zu werden und            Widerständen zum Trotz ihr Leben          Jahren einiges getan hat, gibt es in
ihre Angelegenheiten selbst in die       selbstbestimmt meistern.“                 der Behindertenpolitik noch einiges
Hand zu nehmen. Fertige Lösungen                                                   zu erkämpfen. Die praktische Umset-
anzubieten, würde heißen, den Kun-       Mit Tatendrang in die                     zung des Nationalen Aktionsplans ist
dinnen und Kunden Erfolgserlebnisse      Zukunft                                   nur eines der langjährigen Verspre-
vorzuenthalten.“                         Angesichts des Jubiläums blickt das       chen, das immer noch nicht eingelöst
                                         BIZEPS Beratungsteam erfreut auf          wurde. „Wir werden weiterhin für
Der Erfolg der Beraterinnen und Be-      den Erfolg der Beratungsstelle zu-        unsere Rechte kämpfen und uns nur
rater von BIZEPS liegt im Erfolg ihrer   rück. Doch auch wenn BIZEPS schon         mit Taten und nicht mit Worten zu-
Kund*innen.                              viel erreicht hat, ist Ausruhen noch      friedengeben“, so Martin Ladstätter
Cornelia Scheuer, die seit 2007          lange nicht angesagt.                     kämpferisch.

                                                                                   Peer-Beratung als Grundstein
                                                                                   für gesellschaftliche Verän-
                                                                                   derungen
                                                                                   Viele der gesellschaftlichen Ver-
                                                                                   änderungen, die im Laufe der Zeit
                                                                                   erreicht wurden, haben Menschen
                                                                                   mit Behinderungen selbst erkämpft.
                                                                                   Die Selbstbestimmung, die sie für
                                                                                   das eigene Leben erreichen wollen,
                                                                                   kann durch den Zusammenschluss
                                                                                   mit Gleichgesinnten zum Grundstein
                                                                                   für die Selbstbestimmung anderer
                                                                                   werden. Die Geschichte der BIZEPS
                                                                                   Peer-Beratungsstelle ist ein Beispiel
                                                                                   für eine solche Entwicklung. Was als
                                                                                   Austausch einiger weniger begann,
                                                                                   ist gewachsen und hat schon vieles
                                                                                   bewirkt. Jeder weitere Mensch, der
                                                                                   durch das Vorbild anderer seine eige-
                                                                                   nen Stärken und seinen eigenen Mut
                                                                                   findet, ist ein weiterer Sieg für die
                                                                                   Selbstbestimmt-Leben-Bewegung. 

                                                                                    Infobox
                                                                                    BIZEPS – Zentrum für
                                                                                    Selbstbestimmtes Leben
                                                                                    Schönngasse 15-17/4
                                                                                    1020 Wien
                                                                                    Tel.: 01 523 89 21
                                                                                    E-Mail: office@bizeps.or.at
                                                                                    Web: www.bizeps.or.at

                                                                 Grafik: BIZEPS

                                                                                          www.behindertenrat.at       15
Ukrainer*innen mit Behinderungen

Menschen mit Behinderungen
aus der Ukraine
Jetzt ist Hilfe gefragt
                                  Von Kerstin Huber-Eibl

I
    n der Ukraine leben rund 2,7 Millionen Menschen mit
    Behinderungen. Die meisten von ihnen haben ohne
    Unterstützung keine Möglichkeit, den Kriegswirren
zu entkommen. Der Österreichische Behindertenrat
fordert einen priorisierten und barrierefreien Zugang zur
Flucht, aber auch barrierefreie humanitäre Hilfe für Men-
schen mit Behinderungen in der Ukraine. Darüber hinaus
müssen die Leistungen im Rahmen der Grundversorgung
in Österreich an die Bedarfe von geflüchteten Personen
mit Behinderungen angepasst werden.

Ukrainer*innen mit Behinderungen sind oftmals in ihren
eigenen vier Wänden gefangen. Viele bleiben während
Luftangriffen in ihren Wohnungen, da sie Schutzräume
nicht erreichen können und diese zudem nicht barrie-
refrei sind. Doch auch eine Flucht können die meisten
Menschen mit Behinderungen nicht ins Auge fassen.            Eine Behinderung erschwert die Flucht enorm.    Foto: Pexels
Diese wäre nämlich enorm gefährlich, da Flüchtende auf
zahlreiche Barrieren stoßen und ihre Kraft womöglich
nicht reichen würde.                                         fliehen, sind sie einem hohen Risiko ausgesetzt, Gewalt
                                                             zu erleben. Dies betrifft vor allem Frauen und Kinder.
Es fehlt an Unterstützung                                    Jene, die in Österreich Fuß fassen möchten, sollten un-
Unterstützungsnetzwerke sind vor allem für Menschen          bedingt Bedingungen vorfinden, die ihre behinderungs-
mit Behinderungen enorm wichtig. Doch gerade während         bedingten Bedarfe abdecken.
des Kriegs brechen diese mehr und mehr zusammen.             Doch behinderungsbedingte Bedarfe von geflüchteten
Auch die Versorgung mit Nahrungsmittel, Medikamenten         Menschen mit Behinderungen werden vom Staat Öster-
und Hilfsmitteln wird immer knapper. In Institutionen        reich nicht ausreichend abgedeckt. Konkret betrifft das
lebende Menschen mit Behinderungen laufen Gefahr,            Hilfsmittel und Unterstützung.
dass sie dort schutzlos zurückgelassen werden. Auch
wenn sich die Ukrainer*innen so gut wie möglich              Dies liegt in erster Linie daran, dass geflüchtete Men-
gegenseitig unterstützen, brauchen sie dringend Hilfe        schen mit Behinderungen nach den Behindertenhil-
von außen.                                                   fe-Gesetzen der Bundesländer keinen Anspruch auf
„Wir sind tief betroffen von der lebensbedrohlichen          Leistungen aus der Behindertenhilfe wie beispielsweise
Situation für Menschen mit Behinderungen in der Ukrai-       Betreuung oder Assistenz haben. Ihre Bedarfe werden
ne. Der Österreichische Behindertenrat setzt sich dafür      aber auch nicht im Rahmen der Grundversorgung abge-
ein, dass barrierefreie humanitäre Hilfe vor Ort geleistet   deckt, auf die alle nach Österreich geflüchteten Perso-
wird und Menschen mit Behinderungen priorisiert evaku-       nen Anspruch haben.
iert werden“, betont der Präsident des Österreichischen
Behindertenrats, Michael Svoboda.                            Grundversorgung an geflüchtete Menschen
                                                             mit Behinderungen anpassen
Geflüchtete Menschen mit Behinderungen                       Viele Menschen mit Behinderungen müssen ihre Medi-
Versuchen Menschen mit Behinderungen, ins Ausland zu         kamente, ihren Rollstuhl, ihre Krücken oder Lesehilfen

16       www.behindertenrat.at
Ausgabe 1/2022

zurücklassen. Hilfsmittel sind aber bedeutsam für ein       Österreich erfasst werden. Außerdem ist die Barrierefrei-
selbstbestimmtes Leben. Es ist daher unbedingt nötig,       heit staatlicher und privater Unterkünfte zu erfassen, um
dass Hilfsmittel neben Betreuungsleistungen und psy-        eine zielsichere Zuteilung zu ermöglichen.
chosozialer Unterstützungsleistungen bedarfsgerecht zur
Verfügung stehen.                                           „Geflüchtete Menschen mit Behinderungen dürfen nicht
                                                            vergessen werden. Sie haben fernab ihrer Heimat keine
„Die Grundversorgungsvereinbarung sieht medizinische        Netzwerke und meist auch keine Hilfsmittel für ein
und soziale Unterstützungsleistungen für geflüchtete        selbstbestimmtes Leben. Damit Österreich seine huma-
Menschen grundsätzlich vor. Jetzt ist es an der Zeit, die   nitäre Pflicht erfüllen kann, braucht es ein koordiniertes
gesetzlichen Vorgaben in die Praxis umzusetzen“, betont     Vorgehen des Innenministeriums und der Bundeslän-
Präsident Svoboda. Darüber hinaus fordert barrierefreie     der“, betont Behindertenrats-Präsident Svoboda. 
Unterkünfte.
                                                              Mehr Informationen
Behinderungsbedingte Bedarfe bei Regist-                      Eine Sammlung von Informationen und Hilfsangeboten
rierung erfassen                                              für Schutzsuchende aus der Ukraine, die Hilfe benöti-
Um geflüchtete Menschen mit Behinderungen mit allem           gen, und Menschen, die Hilfe leisten möchten, finden
zu versorgen, was sie benötigen, müssen ihre behinde-         Sie unter www.ogy.de/ukraine-hilfsangebote
rungsbedingten Bedarfe bereits bei der Registrierung in

Integration und Inklusion
Kostenlose Sportwochen für Menschen aus der Ukraine                                                     Von Kerstin Huber-Eibl

M
      enschen mit Behinderungen, die aus der Ukrai-
      ne nach Österreich geflüchtet sind, können an
      allen Sportwochen des Österreichischen Behin-
dertensportverbands kostenlos teilnehmen.

Seit mehr als 60 Jahren vermittelt der Österreichische
Behindertensportverband (ÖBSV) Menschen mit Behin-
derungen die Vorteile von Bewegung und Sport für ihr
tägliches Leben. Der Lohn: Erhöhte Mobilität, gesteiger-
te Lebensqualität, mehr Lebensfreude und nicht zuletzt
Integration und Inklusion in die Gesellschaft.

Sport für Menschen mit Behinderungen und
Fluchterfahrung                                             Integrations-Outdoorsportwoche des ÖBSV in Öblarn
Das Angebot der beliebten Sportwochen des ÖBSV                    Foto: OBSV/Daniel Kudernatsch

wurde im Vorjahr um eine Sportwoche für Menschen mit
Behinderung und Fluchterfahrung erweitert. Da mittler-        Mehr Informationen
weile immer mehr Menschen mit Behinderungen aus der           Interessierte können sich per E-Mail an office@obsv.at
Ukraine nach Österreich kommen, ermöglicht der Verein         wenden und bekommen so Informationen über Freiplät-
nun nach Österreich geflohenen Ukrainerinnen und Uk-          ze. Informationen über die Sportwochen des ÖBSV sind
rainern mit Behinderungen die kostenlose Teilnahme an         unter obsv.at/sport/sportwochen zu finden.
sämtlichen Sportwochen. 

                                                                                                  www.behindertenrat.at       17
Ukrainer*innen mit Behinderungen

Krieg in der Ukraine
Informationen in Leichter Sprache                                                      Von Lebenshilfe e.V.

In der Ukraine ist Krieg.
Vielen Menschen macht das Angst.

Die Ukraine ist ein Land im Osten von Europa.
Die Ukraine hat auch eine Grenze zu Russland.
Ende Februar hat Russland die Ukraine angegriffen.
In der Ukraine ist jetzt Krieg.
Das heißt zum Beispiel:
• Russland wirft Bomben auf Städte in der Ukraine.
• Russland hat viele Soldaten in die Ukraine geschickt. Die Soldaten haben Waffen und Panzer.
• Es gibt viele Kämpfe. Denn die Ukrainer wehren sich gegen die russischen Soldaten.

Bei den Angriffen und Kämpfen sind viele Menschen gestorben.
Darunter waren auch Kinder und alte Menschen.
Auch viele Häuser sind kaputt.
In den Geschäften gibt es nur noch wenig zu kaufen.
In manchen Städten gibt es
keinen Strom und kein Wasser mehr.

Die Menschen in der Ukraine haben deshalb große Angst.
Viele müssen jetzt aus der Ukraine fliehen.
Vor allem Frauen und Kinder verlassen das Land.
Die Männer müssen in der Ukraine bleiben.
Sie sollen dort kämpfen.
Mehr als 3 Millionen Menschen haben die Ukraine schon verlassen.
Sie fliehen zum Beispiel nach Polen, Deutschland oder Österreich.

Warum hat Russland die Ukraine angegriffen?
Wladimir Putin ist der Präsident von Russland.
Das heißt: Er ist der Chef der Regierung.
Wladimir Putin will mehr Macht haben.
Wladimir Putin sagt:
• Die Ukraine soll zu Russland gehören.
• Die Ukraine soll eine neue Regierung bekommen.
• Die Regierung will Russland bestimmen.                                Alle Grafiken: Reinhild Kassing, reinhildkassing.de

• Die Ukraine soll keine eigenen Waffen haben.
• Die Ukraine soll nicht bei der Nato mitmachen.

Die Nato ist eine Gruppe von mehr als 30 Ländern.
Auch die USA und Deutschland sind dabei.

18     www.behindertenrat.at
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Die Länder der Nato haben versprochen:
Dass sie sich gegenseitig helfen,
wenn ein Land der Nato angegriffen wird.
Man sagt dazu auch:
Die Nato ist ein Verteidigungs-Bündnis.

Russland macht bei der Nato nicht mit.
Auch die Ukraine ist bisher nicht in der Nato.
Russland fühlt sich durch die Nato bedroht.
Die Ukraine ist ein Nachbar-Land von Russland.
Darum will Wladimir Putin nicht:
Dass die Ukraine bei der Nato mitmacht.

Der Krieg macht mir Angst – was kann ich dagegen
tun?
Die Bilder aus der Ukraine machen vielen Menschen Angst.
Das ist normal.

Das kann gegen die Angst helfen:
• Schauen Sie nur einmal am Tag Nachrichten.
• Schalten Sie die Nachrichten aus, wenn Sie Angst bekommen.
• Machen Sie sich klar: Sie sind hier in Österreich sicher.
• Sprechen Sie über Ihre Ängste. Zum Beispiel: Mit Ihren Freunden, mit Ihrer Familie, mit Ihren
   Betreuerinnen und Betreuern.

Das fordert der Behindertenrat
In der Ukraine leben auch viele
Menschen mit Behinderungen.
Um diese Menschen macht sich der
Behindertenrat große Sorgen.

Menschen mit Behinderungen und ihre Familien
dürfen in der Ukraine nicht vergessen werden.

Es kommen auch Menschen mit Behinderungen
aus der Ukraine nach Österreich.

Viele können ihre Brille, ihren Rollstuhl oder ihre Krücken nicht mitnehmen.
Österreich muss dafür sorgen, dass sie das bekommen.

Es muss auch Wohnungen ohne Hindernisse geben. 

 Wir danken der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V., dass sie uns den Text zur Verfügung gestellt hat.

                                                                              www.behindertenrat.at       19
Ukrainer*innen mit Behinderungen

Obdach geben
Menschen mit Behinderung auf der Flucht finden
Unterkunft im Haus Waldpension 					                                                                  Von Helga Bachleitner

D
      ie Heimat verlassen                                                                       Am 13. März 2022 kam ein
      zu müssen, in ein an-                                                                     größerer Konvoi nach Öster-
      deres Land gehen, wo                                                                      reich, 35 erschöpfte Menschen
man niemand kennt und die                                                                       landeten schließlich nach
Sprache nicht spricht, ist eine                                                                 mehr als 72 Stunden Reise
furchtbar belastende Situati-                                                                   ins Ungewisse in Hochegg bei
on. Menschen mit Behinderun-                                                                    Grimmenstein in Niederös-
gen sind im Krieg und auf der                                                                   terreich. "Wir wollten helfen
Flucht noch dazu besonders                                                                      und haben unsere Kapazitä-
gefährdet. Abhängig von der                                                                     ten genutzt, um Menschen
Behinderung haben sie mit                                                                       mit Behinderungen rasch ein
unterschiedlichen Heraus-                                                                       Dach über dem Kopf, wo sie
forderungen zu kämpfen.                                                                         geschützt sind, zu bieten. Es
Alle haben aber das Problem,                                                                    ist für alle eine schwierige und
dass Evakuierungspläne und                                                                      emotionale Zeit. Da kann man
humanitäre Hilfe Menschen                                                                       nicht wegschauen," beschreibt
mit Behinderungen nicht be-                                                                     Vorstandsvorsitzender Elmar
                                                                        Foto: Eva Rottensteiner
rücksichtigen. Bunker sind für                                                                  Fürst die Situation. Das Team
Menschen mit Behinderungen oft nicht nutzbar oder erst         der Waldpension kam zum Teil aus dem freien Wochen-
gar nicht auffindbar. Auf der Flucht gibt es weitere Hür-      ende, um als erste Ansprechpartner*innen zur Verfügung
den: Die Versorgung auf der Strecke und in Unterkünften        zu stehen. Vorstandsvorsitzender Elmar Fürst: „Hier wur-
kann teilweise nicht gewährleistet werden. Viele sind auf      de flexibel reagiert, um in einer Ausnahmesituation, für
Hilfsmittel, spezifische Medikamente oder Pflegeartikel        die es nun einmal keine planbaren Abläufe gibt, rasch
angewiesen. Auf der Flucht gehen Hilfsmittel allerdings        und professionell das Erforderliche zu tun.“
oft kaputt oder müssen zurückgelassen werden. Die
Flüchtlingsunterkünfte sind dann nicht immer für Men-          Im Laufe der folgenden Tage und Woche wurden die er-
schen mit unterschiedlichen Behinderungen ausgerichtet         forderlichen bürokratischen Schritte unternommen, da-
bzw. nicht barrierefrei ausgestattet. Damit sind nicht         mit alle Geflüchteten in die Grundversorgung aufgenom-
nur bauliche Maßnahmen wie Rampen, sondern auch                men werden können. Da die Waldpension ein Haus für
geschultes Personal und adäquate Versorgung gemeint.           Urlaub und Dauerwohnen ist, können die geflüchteten
Meist fehlen auch vorab recherchierbare Hinweise zu            Menschen in Zimmern bzw. sogar kleinen Wohneinheiten
barrierefreier Ausstattung. Ist für die betroffenen Perso-     untergebracht werden. Der Veranstaltungssaal im ersten
nen nicht sicher, dass die Notunterkunft auf die eigenen       Stock wurde zum Speisesaal, wo dreimal am Tag gemein-
Bedürfnisse eingestellt ist, trauen sich viele oft gar nicht   sam Mahlzeiten eingenommen werden. Die barrierefreie
zu fliehen.                                                    Gestaltung des Hauses ist nicht nur für Menschen mit
                                                               körperlicher Beeinträchtigung ideal. Da jedes Stockwerk
Hilfsgemeinschaft bietet barrierefreie                         in einer anderen Farbe gestaltet ist, finden sich auch
Unterkunft                                                     jene hier zurecht, die unsere Schrift nicht lesen können.
Zu Beginn des Ukraine-Krieges hat sich die Hilfsgemein-
schaft der Blinden und Sehschwachen daher entschlos-            „Ursprünglich haben wir zehn Plätze für blinde und seh-
sen, das Haus Waldpension für geflüchtete Menschen             behinderte Menschen angeboten,“ erklärt Elmar Fürst.
mit Behinderungen, die auf eine barrierefreie Umgebung         „Aber wir konnten diese Menschen doch nicht auf der
angewiesen sind, zu öffnen.                                    Straße stehen lassen.“ Nun gilt es, den Alltag zu bewäl-
                                                               tigen und die Weichen für die Zukunft zu stellen. 

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Ausgabe 1/2022

Stift Fiecht in Tirol – Sicherer Hafen
Die Lebenshilfe Tirol begleitet und empowert ihre Gäste aus der
Ukraine mit dem Fokus auf Selbstbestimmung und Teilhabe.
                                                                                               Von Ulli Pizzignacco-Widerhofer

                                                                      sind der Ausgleich zur wieder gestarteten Schule. Der
                                                                      Unterricht findet derzeit in vier Klassenzimmern statt
                                                                      und wird von der Bildungsdirektion des Landes organi-
                                                                      siert. „Uns ist wichtig, dass sie bald am regulären Un-
                                                                      terricht in den Schulen der Umgebung teilnehmen – ein
                                                                      erster Schritt in Richtung Teilhabe. Einige nehmen auch
                                                                      am Online-Unterricht teil, der von ihren ukrainischen
                                                                      Heimatschulen angeboten wird. Die Kleineren haben die
                                                                      Spielzimmer und den Innenhof des Stiftes erobert und
                                            Foto: Lebenshilfe Tirol
                                                                      erkunden in Begleitung die nähere Umgebung“, berich-

E
    in Ort der Sicherheit, an dem Menschen aus der                    tet Georg Willeit.
    Ukraine einen möglichst normalen Alltag verbrin-
    gen können: Das ist das Stift Fiecht derzeit für 98               Im Hinblick auf die Leitung und Koordination vor Ort
Kinder mit und ohne Behinderungen sowie 44 Mütter                     legte die Lebenshilfe von Anfang an Wert auf Erfahrung
und Begleitpersonen. Am 25. März 2022 sind sie in Tirol               und fachliche Expertise. Das aktuelle interimistische Lei-
angekommen – müde von der nächtlichen Busfahrt von                    tungsduo sowie deren Nachfolger*innen bringen Erfah-
Lemberg.                                                              rung im Flüchtlingsbereich, in der Krisenintervention, im
                                                                      Krisenmanagement und in der Projektkoordination in der
„Ausgehend von diesem Ort des Ankommens begleiten                     Humanitären Hilfe auf internationaler Ebene mit.
wir Kinder, Jugendliche, ihre Mütter und Begleitperso-
nen. Je nachdem was sie sich für ihre Zukunft vorstellen              In Stift Fiecht komplettieren Dolmetscher*innen, As-
– wir unterstützen und empowern sie. Sei es, dass sie in              sistent*innen, die zusätzlich einschlägige Sprachkennt-
gemeindenahen, kleinstrukturierten Settings Fuß fassen,               nisse bzw. eine Ausbildung in Elementarpädagogik
sei es, dass sie zu Verwandten, Freundinnen oder Freun-               haben, Pflegefachkräfte, eine Fahrerin mit Hausmeister-
den weiterreisen. Wir sind eine Art Drehscheibe. Die                  tätigkeiten und ein Nachtportier das hauptamtliche
Gäste kommen zur Ruhe, werden in allen Belangen von                   Personal. „Unsere Gäste haben einen hohen Bedarf an
uns begleitet und entscheiden, was ihr nächster Schritt               medizinischer Versorgung und Therapien, der durch die
ist“, umreißt Georg Willeit, Geschäftsführer der Lebens-              Universitätsklinik Innsbruck und lokale Ärztinnen und
hilfe Tirol, die Haltung der Organisation.                            Ärzte abgedeckt wird“, bedankt sich Georg Willeit.

Die Lebenshilfe weist seit Beginn des Krieges auf die                 Auch die Zusammenarbeit mit den Mitgliedern der Arge
Verletzung der grundlegendsten Menschenrechte hin                     SoDiT, dem Zusammenschluss aller Tiroler Dienstleister
                                                                      SoDiT
und bietet Unterstützung, zumal Menschen mit Behinde-                 für Menschen mit Behinderungen, sei angesichts deren
rungen in Krisen oft übersehen bzw. strukturell margina-              Fach-Expertise von unschätzbarem Wert.
lisiert werden. „Sei es, dass die Zugänge zu Luftschutz-
kellern nicht barrierefrei sind, Fluchtwege schwierig oder            Erste Zwischenbilanz
die Barrieren im Zufluchtsland höher sind. Umso mehr                  Georg Willeit: „Um die Rechte Schutzsuchender zu
freuen wir uns, die Unterstützung, die wir dem Land Tirol             verwirklichen braucht es Viele: Botschaft, Honorarkon-
zugesagt haben, einzulösen“, so Georg Willeit.                        sul, Land, Gemeinde, Zivilgesellschaft, Rechtsberatung,
                                                                      Partner und die laufende Abstimmung mit dem Gene-
Gut angekommen und eingelebt                                          ralsekretariat der Lebenshilfe Österreich hin zu den auf
Die Kinder und Jugendlichen haben sich gut eingelebt:                 europäischer Ebenen tätigen Organisationen wie EASPD,
Fußballspielen, Straßenkreide malen, oder Radfahren                   Inclusion Europe oder Humanity International.“ 

                                                                                                  www.behindertenrat.at       21
Interessenvertretung                                                                                      Ausgabe 1/2022

EDF-Resolution
zum Schutz und zur Sicherheit von
Menschen mit Behinderungen im
Krieg in der Ukraine
           Gekürzte Übersetzung von Gudrun Eigelsreiter
                                                                                                             Foto: pixabay

I
    n der Ukraine sind um die 2,7 Millionen Menschen mit
    Behinderungen registriert. Die Ukraine wird seit dem        me von Menschen, die Sicherheit vor dem Krieg in der
    24. Februar 2022 von Russland militärisch angegrif-         Ukraine suchen. Dazu gehören auch die Bereitstellung
fen. Menschen und Kinder mit Behinderungen sowie ihre           barrierefreie Unterkünfte sowie erforderlicher Unter-
Familien sind einem ernsthaften Risiko für ihr Leben, ihr       stützungsdienste, um die Inklusion in die Gemein-
Wohlergehen und ihre Sicherheit ausgesetzt, insbesonde-         schaft zu erleichtern;
re diejenigen, die in segregierenden Einrichtungen leben.   •   Sicherstellung spezifischer Maßnahmen, um den Men-
                                                                schenhandel und die sexuelle Ausbeutung von Perso-
Fordert der EDF-Vorstand die EU und die EU-Mitglied-            nen, einschließlich Menschen mit Behinderungen, die
staaten zu folgenden Aktivitäten auf:                           die Ukraine verlassen, zu verhindern, zu bekämpfen
• Beteiligung an internationalen Friedensaktionen;              und zu sanktionieren, mit besonderem Augenmerk auf
• Gewährleistung und Bereitstellung Humanitärer Hilfe           Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die einem
    für Menschen mit Behinderungen und ihre Familien in         höheren Risiko von Gewalt und Missbrauch ausgesetzt
    der Ukraine in Zusammenarbeit mit lokalen Organisa-         sind;
    tionen, auch durch EU-Finanzierung. Humanitäre Hilfe    •   Sicherstellen, dass die Durchführungspartner bei
    sollte Menschen und Kindern in ihren Wohnungen,             humanitären Aktivitäten auch auf die Bedarfe von
    Notunterkünften, Krankenhäusern (einschließlich             Menschen mit Behinderungen in all ihrer Vielfalt
    psychiatrischer Kliniken), Gefängnissen und Wohnein-        eingehen, indem sie die Leitlinien des Interinstituti-
    richtungen zugutekommen, die alle einer ernsthaften         onellen Ständigen Ausschusses (IASC) zur Einbezie-
    Gefahr für ihr Leben ausgesetzt sind;                       hung von Menschen mit Behinderungen in humanitäre
• Sicherstellung der sicheren und schnellen EU-Einreise         Maßnahmen anwenden;
    von ukrainischen Migrant*innen und anderer Perso-       •   Zusammenarbeit mit Organisationen, die Menschen
    nen, die aus der Ukraine fliehen, ungeachtet ihrer          mit Behinderungen vertreten, um humanitäre Hilfe zu
    Nationalität und ethnischen Zugehörigkeit, wobei            entwickeln und umzusetzen, um Menschen mit Behin-
    Maßnahmen ergriffen werden, um Flüchtlinge mit              derungen Beratung, Unterstützung und Hilfe anzu-
    Behinderungen einzubeziehen. Hier sind barrierefreie        bieten, wobei Frauen und Kindern mit Behinderungen
    Transportmittel, Verfahren, Unterbringung und Kom-          besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss;
    munikation von wesentlicher Bedeutung;                  •   Sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen, die
• Identifizierung von Menschen, die medizinische Hilfe          von der „Richtlinie über vorübergehenden Schutz“
    benötigen, und Sicherstellung von angemessener,             profitieren, Zugang zu Schutz sowie Diensten haben,
    medizinischer Versorgung, nicht nur für medizinische        die von der Richtlinie zugewiesen werden, einschließ-
    Notfallhilfe, sondern auch zur Unterstützung von Men-       lich zusätzlicher Unterstützung für behinderungsbezo-
    schen mit chronischen Erkrankungen wie Epilepsie,           gene Dienste. 
    Diabetes und Herzkrankheiten;
• Bereitstellung neuer Mittel, um die Folgen des Krieges    Mehr Informationen
    zu bewältigen, und Sicherstellung, dass diese Mittel
    auch den Bedarfen von Menschen mit Behinderungen
    Rechnung tragen;                                        https://ogy.de/EDF-Resolution
• Zuweisung dringend benötigter Ressourcen an die
    Nachbarländer der Ukraine;                              https://ogy.de/EDF-Ukraine-Krise
• Berücksichtigung von geflüchteten Menschen mit
    Behinderungen in den nationalen Plänen zur Aufnah-

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