Monat - Ukrainer*innen mit Behinderungen
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Die Zeitschrift monat Ausgabe 1/2022 Ukrainer*innen mit Behinderungen behindertenrat • www.behindertenrat.at • Aboservice Tel.: (01) 513 1 533 • Abo: 24,00 Euro/Ausland + Porto
Foto: Janousek editorial Liebe Leser*innen! D er im April des Vorjahres tödlich verunglückte Präsident des Ös- terreichischen Behindertenrats, Herbert Pichler, dessen Nachfolge ich Ende November des Vorjahres antreten durfte, bleibt unver- gessen. Freuen Sie sich auf das Gedenkturnier zu seinen Ehren am 15. Mai (Details finden Sie auf Seite 10) und erfahren Sie auf Seite 23, wer mit dem Herbert-Pichler-Inklusions-Medienpreis 2021/22 ausgezeich- net wurde. Nach zwei intensiven Jahren, in denen sich der Behindertenrat dafür eingesetzt hat, dass Menschen mit Behinderungen gut durch die COVID-19-Pandemie kommen, hat sich unsere Organisation nicht nur innerhalb des Präsidiums neu aufgestellt. Lernen Sie auf Seite 7 die neue Geschäftsführerin Ghislaine Sekerka kennen, die seit 1. April gemeinsam mit Generalsekretär Bernhard Bruckner die Geschicke des Behindertenrats lenkt. Die Situation in der Ukraine macht mich und das gesamte Team wahr- scheinlich ebenso fassungslos wie Sie. Nun ist es an der Zeit, zusam- menzustehen. In dieser Ausgabe unserer Zeitschrift monat rücken wir daher Menschen mit Behinderungen aus der Ukraine ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Und zwar sowohl jene, die sich (noch) in der Ukraine befinden als auch die vielen Personen, die sich auf den Weg gemacht haben, um den Kriegswirren zu entkommen. Auf welche Barrieren Menschen mit Behinderungen dabei stoßen und was wir vom Behindertenrat fordern, damit diese überwunden werden, lesen Sie ab Seite 16. Auf den darauffolgenden Seiten vermitteln wir Informationen in Leichter Sprache, und ab Seite 20 erfahren Sie, wel- che Projekte mittlerweile entwickelt und welche europäische Resolution verabschiedet wurde. Mit besten Grüßen Mag. Michael Svoboda www.behindertenrat.at 3
Aus dem Inhalt Ausgabe 1/2022 Editorial 3 Neue Geschäftsführerin 7 Angstfrei mobil 9 Herbert Pichler Cup 10 30 Jahre BIZEPS 14 Schwerpunkt: Menschen mit Behinderungen aus der Ukraine 16 EDF-Resolution 22 Beratungsstelle LIFEtool 24 Chronische Krankheiten 26 Manfred & Annemarie Srb verstorben 32 Zero Project Conference 34 A M Nachruf 34 nlässlich des ersten Todesta- enschen mit Behinderungen ges von Herbert Pichler findet aus der Ukraine stehen im Veranstaltungen 35 am 15. Mai 2022 im Freizeit- Fokus dieser Ausgabe. zentrum Perchtoldsdorf der 1. in- Zahlreiche Initiativen machen sich Gefördert aus den Mitteln des klusive HERBERT PICHLER CUP statt. dafür stark, dass jene, die nach Sozialministeriums Das Motto des Hallenturniers lautet Österreich geflüchtet sind, selbstbe- "Inklusion – Fußball – Werte". stimmt leben können. Seiten 8 bis 10 Ab Seite 16 IMPRESSUM: Medieninhaber: Österreichischer Behindertenrat · Herausgeber: Michael Svoboda · Redaktion: Ghislaine Sekerka - Kerstin Huber-Eibl · Adresse: 1100 Wien, Favoritenstraße 111/11, Tel.: 01 513 1533, Mail: presse@behindertenrat.at · Website: www.behindertenrat.at · Offenlegung nach dem Mediengesetz: www.behindertenrat.at/impressum · Gestaltung, Anzeigenverkauf, Layout und Druck: Die Medienmacher GmbH · 8151 Hitzendorf · Filiale: 4800 Attnang-Puchhheim, 07674 62 900, www.diemedienmacher.co.at · Cover: pixabay · Nachdruck nur nach ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung der Redaktion gestattet. · Nicht alle Artikel entsprechen unbedingt der Meinung der Redaktion. Wir haben das Ziel, eine möglichst breite Diskussionsbasis für behindertenpolitische Themen und Standpunkte zu schaffen und die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen. · Bankverbindung: easy- bank, IBAN: AT85 1420 0200 1093 0600, BIC: EASYATW1 DVR 08 67594 · ZVR-Zahl: 413797266 · Erscheinungsort Wien. www.behindertenrat.at 5
Aktuell Ausgabe 1/2022 KOLUMNE Antrittsbesuch Von Bernhard Bruckner V or einem Jahr wurde Präsident Herbert Pichler unerwartet aus dem Leben gerissen. Auch wenn es nach seinem Tod kurz so schien, als ob die Welt stehenbleiben würde, verständigten sich die Funktio- när*innen und das Team des Behindertenrats schnell darauf, den von ihm eingeschlagenen Weg fortzufüh- ren. Was ist seitdem passiert? Die COVID-Krise hatte uns weiterhin fest im Griff, aber wir konnten immer besser die Interessen von Men- schen mit Behinderungen in die politischen Entschei- A dungsfindungen einbringen. m 12. April 2022 war der Österreichische Behin- dertenrat zum Antrittsbesuch bei Sozialminister Seitens des Behindertenrats wurde aktiv an der Erstel- Johannes Rauch eingeladen. lung des NAP Behinderung 2022-2030 mitgearbeitet. Im November 2021 wurde ein Delegiertentag abgehal- Der Behindertenrats-Vizepräsident Klaus Widl (CBMF), ten und ein neues schlagkräftiges Präsidium gewählt. die 5. Vizepräsidentin Roswitha Schachinger (WAG Assis- Aktuell beschäftigen uns der grausame Angriffskrieg tenzgenossenschaft), der Generalsekretär des Behinder- von Russland und die dadurch ausgelöste humanitäre tenrats, Bernhard Bruckner, Martin Ladstätter (BIZEPS) Katastrophe. und die Sozialrechts-Expertin Regina Baumgartl (KOBV) nützten den Gespächstermin, um sich mit dem Sozialmi- Im Zusammenhang mit der Aufnahme von geflüchte- nister über die drängendsten Forderungen von Menschen ten Menschen mit Behinderungen hat Österreich je- mit Behinderungen auszutauschen. doch seine Aufgaben noch nicht erfüllt. Die behinde- rungsbedingten Bedarfe (Unterstützung, Hilfsmittel, usw.) werden nämlich aktuell in der Grundversorgung Themen des Gesprächs waren der Nationale Aktionsplan nicht adäquat abgedeckt. Behinderung 2022 – 2030, der Inklusionsfonds sowie Arbeitsangebote, Arbeitslosigkeit, Persönliche Assistenz, Ich hoffe sehr, dass die Politik dem Thema geflüchtete Teuerung und die Pflegereform. Menschen mit Behinderungen bald die erforderliche Aufmerksamkeit schenkt und ihnen die Unterstützung zukommen lässt, die sie benötigen. 6 www.behindertenrat.at
Behindertenrat Ausgabe 1/2022 Neu im Team: Ghislaine Marie Sekerka S eit 1. April 2022 ist Mag. Congress in Mexiko mit. Weitere Ghislaine Sekerka Geschäfts- Highlights waren der Aufbau der führerin des Österreichischen Marketingabteilung der albanischen Behindertenrats. Lotterie und die ständige Vertretung der Österreichischen Lotterien in 1974 in Klagenfurt geboren, ging den Marketing Workinggroups von sie nach der Matura am Musikgym- EuroMillionen zur Spielentwicklung nasium Viktring 1992 nach Wien. und zu Innovationen. Zunächst studierte sie an der Uni- versität Wien Sportwissenschaften/ Nach 14 Jahren im Marketing Management und nahm anschlie- wechselte Ghislaine Sekerka in den ßend das Studium der Betriebswirt- Vertrieb und betreute als Außen- schaft an der Wirtschaftsuniversität dienstmitarbeiterin Partner in Wien. Zu jeder passenden Gelegenheit Wien auf, das sie 2001 abschloss. Aufgrund von zwei Knieoperationen fährt sie nach Kärnten – im Sommer, war sie gezwungen, die lehrreiche, um zum See zu „rad´ln“ und im Die ersten beruflichen Stationen spannende und schöne Zeit im Au- Winter zum Schifahren. waren Kohl & Partner (Tourismusbe- ßendienst zu beenden und wechsel- ratung) und RegioPlan Consulting te wieder in die Zentrale als Busi- Ausschlaggebend für ihre Bewer- GmbH (Standortberatung). Anschlie- ness Development Managerin. Ihre bung beim Behindertenrat war ihr ßend war sie als Assistentin der Hauptaufgaben waren die Optimie- langjähriger Wunsch, die wichtige Geschäftsführung bei der Olympus rung des Vertriebsnetzes, B2B Sales, Arbeit ihres bereits verstorbenen Austria GmbH tätig. Vertriebstools, Projektmanagement, Vaters und Behindertenanwalts von Controlling, Schulungen und Cont- Kärnten, Dr. Horst Sekerka fortzu- Ab 2003 war sie bei den Österrei- ent Management. setzen. Ihre tiefe Überzeugung für chischen Lotterien beschäftigt, wo die Wichtigkeit von Inklusion auf- sie mehr als 14 Jahre im Bereich Mit ihrer langjährigen Erfahrung als grund ihrer Erfahrungen als Mutter Marketing für verschiedene Pro- zertifizierte Service Design Traine- eines Kindes mit Autismus zeichnen dukte (Toto, EuroMillionen, Bingo, rin (Design und Moderation von sie besonders aus. Zahlenlotto, Rubbel- und Brieflos) kundenzentrierten Produktentwick- verantwortlich war. Anschließend lungsprozessen) und Systemischer „Es freut mich sehr, dass ich meine arbeitete Ghislaine Sekerka im Inno- Business Coach und einem tiefen vielfältigen Erfahrungen, die ich in vationsbereich für Spielentwicklung Verständnis für Menschen und orga- meinem bisherigen Berufsleben ge- und Serviceoptimierung. Darüber nisatorische Zusammenhänge sowie macht habe, nun in meinem neuen hinaus war sie zwei Jahre lang für einem klaren Blick für Potentiale Tätigkeitsfeld beim Behindertenrat den Bereich Customer Insights und verbindet sie verschiedene Metho- einbringen kann, um gemeinsam mit Customer Experience Management den zur Erarbeitung von maßge- dem äußerst erfahrenen und herz- verantwortlich. schneiderten Lösungen. lichen Team weiterzuwachsen und sinnstiftende Arbeit für Menschen Spezielle Berufserfahrung bringt Mit ihren beiden Söhnen Luca und mit Behinderung zu leisten.“ unsere neue Geschäftsführerin durch Nico (12 und 14 Jahre) und ihrem die Teilnahme am Forum Alpbach Mann lebt sie in Hietzing. Ihre als Service Designerin für Work- Freizeit verbringt Ghislaine Sekerka shops, durch Innovationsarbeit im mit ihrer Familie meistens in der Glücksspielangebot und Services und Natur, im Theater, Museum oder sie ihre Teilnahme am World Lottery streunt durch Wien. www.behindertenrat.at 7
Behindertenrat Neu im Team Kerstin Huber-Eibl D en Bereich Öffentlichkeits- mit dem Studium der Pädagogik arbeit und Kommunikation sowie der Publizistik- und Kom- verantwortet seit 1. April munikationswissenschaft, das sie Mag. Kerstin Huber-Eibl. Neben der mit einer Diplomarbeit zum Thema Betreuung der Kommunikationska- Mobbing abschloss. Einige Jahre näle wie der Zeitschrift monat, der später nahm sie ein Lehramtsstudi- wo sie in den Bereichen Print und Website, Social Media und des News- um im Fachbereich Information und Online tätig war. Von Mai 2017 bis letters kümmert sich unsere neue Kommunikation an der Pädagogi- März 2022 baute die Mutter dreier Mitarbeiterin um die Presse- und schen Hochschule Wien auf. Kerstin Kinder im Alter von zehn, 16 und Öffentlichkeitsarbeit. „Die Arbeit für Huber-Eibl absolvierte zahlreiche 19 Jahren bei der Multiple Sklerose den Österreichischen Behinderten- Fortbildungen, zuletzt im Bereich Gesellschaft, einer Mitgliedsorgani- rat stellt für mich eine spannende, Online Marketing. sation des Österreichischen Behin- freudvolle Herausforderung dar. Ich dertenrats, den Bereich Kommunika- bin überzeugt, dass mittels Kom- Seit ihrem Umzug nach Wien ar- tion aus. munikation Barrieren in den Köpfen beitete sie für die Austria Presse vieler Menschen überwunden wer- Agentur, das Institut Gesundheit Ihre Freizeit verbringt unsere neue den. Dazu möchte ich beitragen.“ und Kommunikation, den Österrei- Kommunikatorin am liebsten mit chischen Gewerkschaftsbund, die ihrem Mann und ihren Kindern, vor Die 1975 geborene Salzburgerin be- Universität Wien und einen medi- allem in der Natur und auf zahlrei- gann 1995 an der Universität Wien zinischen Fachzeitschriftenverlag, chen Reisen. Be Our Ally! Von Kerstin Huber-Eibl 14. Diversity Ball am 7. Mai im Kursalon Wien D er 14. Diversity Ball steht für In der Ballnacht soll marginalisierten Vielfalt, Akzeptanz, Gleichstel- Personen und Gruppen Sichtbarkeit lung und Barrierefreiheit. Am verschafft werden und herausgefun- Magenta Carpet jede*r ein Star – ob den werden, wie wir auch im Alltag in High Heels oder im Rollstuhl. bessere Verbündete sein können. Unter dem Motto „BE OUR ALLY“ wird Keine Style-Codes dazu eingeladen, sich gemeinsam zu Die Ballgäste können sich auch in verbünden und dies auch ordentlich diesem Jahr von ihrem eigenen Stil zu feiern. Als Ally wird eine Person inspirieren lassen. Erlaubt ist alles, bezeichnet, die sich für die Rechte was gefällt! Ob im chicen Vintage einem Dankesempfang. Bei diesem benachteiligter und unterdrückter Dress, im ausgefallenen Kostüm oder werden „The Lovemore Awards“ ver- Personen und/oder Gruppen einsetzt. in edler Ballrobe: alle sind frei, das geben. Der offizielle Einlass erfolgt Auch wenn diese Person selbst nicht zu tragen, was ihnen gefällt. um 20:00 Uhr. betroffen ist: Ein Ally zu ein bedeutet aktiv zu sein und beschreibt einen The Lovemore Award Tickets und Infos lebenslangen Lernprozess. Vor dem offiziellen Einlass versam- erhalten Sie unter meln sich Verbündete des Balls zu www.diversityball.at/tickets 8 www.behindertenrat.at
Ausgabe 1/2022 Angstfrei mobil Forschungsprojekt Von Brigitte Heller I m Rahmen des Projekts „Angstfrei mobil“ werden Anforderungen von Personen, deren psychischen Belastung durch Alltagsangst verursacht wird, erhoben. Das Projektteam entwickelt Maßnahmen zur besseren Informationsvermittlung, zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls und der Nutzbarkeit für Men- schen mit Ängsten im öffentlichen Verkehr. Menschen mit Angststörung behalten die Umgebung im Blick. Foto: pexels/Valeriya Kobzar Mobilität ist im Alltagshandeln ein wichtiger Aspekt und ermöglicht Teilhabe am sozialen Geschehen. Räumlich denplatz durch die U4-Station gehen, um zur Urania zu mobil unterwegs zu sein bedeutet für einige Personen- kommen. Das ist aber vorab nicht ersichtlich.“ gruppen, etwa Menschen mit einer psychischen Belas- tung – verursacht durch Alltagsangst – eine Bedrohung. Die Umgebung im Blick Dies kann zum Ausschluss vom sozialen Geschehen oder Das klingt jetzt noch nicht sehr speziell, aber im Gegen- zum Vermeiden bestimmter Mobilitätsangebote führen. satz zu Menschen ohne psychische Erkrankungen, die unterwegs zum Beispiel noch eine App nutzen können, Verkehrsteilnahme mit Angst sind Menschen mit Angststörung während der Fahrt da- Personen mit psychischer Erkrankung benutzen öffent- mit beschäftigt, die Umgebung im Blick zu haben. liche Verkehrsmittel oft ungern, denn für viele stellen insbesondere Menschenansammlungen eine große Oft ist es nötig zu schauen, ob viele Leute im Waggon Herausforderung dar. sind, die vielleicht den Weg zur Türe verstellen. Manche Menschen, beispielsweise solche mit einer Sozialphobie, Seit Oktober 2020 läuft in Wien das Forschungsprojekt trauen sich nicht, andere Verkehrsteilnehmer*innen „Angstfrei mobil“, das die Bedürfnisse von Verkehrsteil- darum zu bitten, den Weg freizumachen. Zahlreiche Men- nehmer*innen mit Angsterkrankungen im Fokus hat. Mit schen mit Zwangsstörungen haben wiederum Angst, mit Kooperationspartner*innen wie beispielsweise den Wie- anderen Menschen oder der Ausstattung durch Berüh- ner Linien, WiPARK, der Universität Wien, tbw-research rung in Kontakt zu kommen. Andere Betroffene haben und dem Verein Lichterkette wird versucht, Barrieren Panikattacken auf Grund von Platzmangel. für Menschen mit psychischer Erkrankung abzubauen. Die Lichterkette stellt die Erfahrungsexpert*innen für Ruhe und Orientierung Befragungen und ist an jeder Sitzung als Betroffenen- Es fehlt zum Beispiel an ausgewiesenen Ruhebereichen vertretung beratend beteiligt. in den Öffis, Uhren zur zeitlichen Orientierung oder auch an Personen, an die sich Betroffene vertrauensvoll wen- Herausfordernde Fahrt mit Öffis den können, wenn die sich unwohl fühlen. Man denkt bei Barrierefreiheit meist an bauliche Ver- besserungen für Menschen mit körperlicher oder Sin- „Angstfrei mobil“ setzt sich mit all diesen Fragen aus- nesbehinderung, doch eine Erfahrungsexpertin aus dem einander. Die Studie läuft noch bis Dezember 2022 und Bereich der Angststörungen berichtet, wie sie eine Fahrt bringt hoffentlich viele positive Veränderungen – nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln empfindet: „Ich muss nur für Menschen mit psychischen Erkrankungen, denn meine Wege meiste vorab genau planen. Ich schaue zu Barrierefreiheit ist für alle Menschen von Vorteil. Hause nach und notiere mir, welche Linien ich brauche und wo man umsteigen muss. Oft fehlen Informationen, wie etwa, welchen Ausgang muss man nutzen, um ans Mehr erfahren Sie unter Ziel zu kommen. Zum Beispiel, wenn man in Wien zur www.angstfreimobil.at Urania will, muss man bei der U Bahn-Haltestelle Schwe- www.behindertenrat.at 9
Barrierefreiheit Ausgabe 1/2022 Parlament – FAIR FÜR ALLE Von Wolfhard Drabek D er Umbau des Parlaments ist in vollem Gange. Die Wiedereröffnung soll pünktlich zum 26. Oktober 2022 stattfinden. Auf Barrierefreiheit wird beim Umbau großer Wert gelegt. Die Politik ist für alle Menschen im Land gleichermaßen da und Demokratie ein wertvolles Gut. Genau das soll im neu geschaffenen Besucher*innen-Zentrum des Parlaments anschaulich dargestellt werden. Dieser Ort soll, gemein- sam mit der umgebauten Bibliothek, für alle Menschen in Parlamentsgebäude Foto: Parlamentsdirektion/Christian Hikade gleichem Ausmaß zugänglich und benutzbar sein. Somit lautet das Ziel: umfassende Barrierefreiheit. So ist geplant, dass bereits bei der Eröffnung am National- feiertag das FAIR FÜR ALLE-Siegel am Eingang zu sehen Diese Bemühungen sollen auch aktiv nach außen getragen sein wird. werden. Die Parlamentsdirektion hat entschieden, das Be- sucher*innen-Zentrum und die Bibliothek des Parlaments Weitere Informationen FAIR FÜR ALLE zertifizieren zu lassen. Der Zertifizierungs- finden Sie unter www.fairfueralle.at prozess sollte noch im ersten Quartal 2022 beginnen. Herbert Pichler Cup Gedenkturnier am 15. Mai 2022 Von Nikolas Karner A nlässlich des ersten To- destag von Herbert Pichler sein jahrzehntelanges Engagement findet am 15. Mai 2022 von für Inklusion Miteinander, Fairplay 11:00 bis 16:00 Uhr der 1. inklu- und Spielfreude im Mittelpunkt sive HERBERT PICHLER CUP statt. stehen“, freut sich Nikolas Karner Das Hallenturnier wird unter vom Verein „SPIELERPASS“ auf das dem Motto "Inklusion – Fuß- Turnier: „Herbert waren das Zusam- ball – Werte" im Freizeitzentrum menführen von Menschen und das Perchtoldsdorf gespielt. Netzwerken sehr wichtig. Deswegen werden alle Teilnehmer*innen den Sechs Teams mit je 15 Spieler*in- Teams zugelost.“ nen bestreiten das Turnier. Jah- relange Wegbegleiter*innen aus Weil der HERBERT PICHLER CUP Sport und Politik werden ebenso ehrenamtlich organisiert wird, wird mit von der Partie sein wie viele weder von Zuschauer*innen noch Freund*innen. Weil für Herbert Teilnehmer*innen Eintritt verlangt. Pichler Werte und Fußball sehr Mit freiwilligen Spenden wird die wichtig waren, wurden die Teams nach bekannten zweite Auflage des Turniers im nächsten Jahr unter- Vereinen und gesellschaftlichen Werten benannt. So stützt. Für Unterhaltung sorgt ein buntes Programm mit treten etwa die Teams Real Respekt und Inter Inklusion Fußball, Freestyle, E-Rolli-Fußball, einer Tombola und an. „Herbert stand Zeit seines Lebens für Fairness und DJs. Der Zuschauerbereich ist barrierefrei, für Getränke Inklusion. An diesem Tag sollen im Gedenken an ihn und und Speisen ist gesorgt. 10 www.behindertenrat.at
Verständliche Information Ausgabe 1/2022 Millionen-Förderung für Capito Barrierefreie und verständliche Informationen Von Klaus Candussi S eit mittlerweile 20 Jahren be- reitet capito komplexe Infor- mationen für alle Menschen verständlich auf. Nun gelangte das Sozialunternehmen in die Liga der besten digitalen Start-Ups in Europa und bekommt Zugang zur Millionen-Förderung des Europäi- schen Innovationsrats. Gesellschaftliches Unternehmertum bzw. Social Entrepreneurship bedeu- tet, dass eine Geschäftsidee wirt- schaftlich so umgesetzt wird, dass sie zur Lösung eines gesellschaftli- chen Problems beiträgt. Als Wal- burga Fröhlich und Klaus Candussi vor 20 Jahren das Sozialunterneh- men capito gründeten, wollten sie beweisen, wie sich gesellschaftlicher Mehrwert mit unternehmerischem Erfolg verbinden lässt. Fröhlich und Candussi sind überzeugt, dass „ver- ständliche Information der Schlüssel zur Welt“ ist. Sie möchten, dass in Zukunft alle Menschen sagen kön- Walburga Fröhlich und Klaus Candussi Foto: Stiefkind Fotografie OG nen: „capito! Ich habe verstanden.“ den selektiven Auswahlprozess in “Die EIC-Förderung ermöglicht uns Mithilfe einer automatisierten die Liga der besten digitalen Start- zwei ganz wichtige Entwicklungs- Vereinfachungs-Software wurden Ups in Europa und damit Zugang zu schritte. bereits Millionen Menschen un- einer Förderung des Europäischen terstützt, bedeutende Inhalte zu Innovationsrat (European Innova- Zum einen können wir nun die auto- verstehen. Alle Informationen, die tion Council, EIC) in Höhe von 1,72 matisierte Vereinfachungs-Software capito zur Verfügung stellt, werden Millionen Euro. Damit möchte capito von capito und die dahinter liegen- von Personen mit geringer Sprach- den Durchbruch auf internationaler de künstliche Intelligenz mit voller kompetenz auf Verständlichkeit Ebene schaffen. Kraft weiterentwickeln, zum anderen getestet. So konnten mittlerweile die digitalen Angebote künftig auch hunderte Arbeitsplätze für Menschen Bislang wurde die Entwicklung des für Englisch, Spanisch und Franzö- mit Lernschwierigkeiten und Behin- Sozialunternehmens vom öster- sisch anbieten und so mehr als 100 derungen geschaffen werden. reichischen Sozialministerium, Millionen Menschen weltweit helfen, von der Austria Wirtschaftsservice wichtige Informationen zu verste- European Innovation Gesellschaft, der steirischen Wirt- hen“, freut sich das capito-Grün- Accelerator schaftsförderungsgesellschaft und dungs-Duo Klaus Candussi und Als eines der ersten europäischen der österreichischen Forschungsför- Walburga Fröhlich. Sozialunternehmen schaffte capito derungsgesellschaft gefördert. www.behindertenrat.at 11
Interessenvertretung Erwachsenenvertretung Foto: Norbert Krammer Selbstbestimmt und individuell Von Norbert Krammer K lare Regeln und strengen Befristungen im öster- neben der Boulevard-Story die Frage, ob sich die Prob- reichischen Erwachsenenschutzgesetz sind wich- leme, wie sie in den USA geschehen sind, in Österreich tig. Das wurde in der aktuellen Diskussion um die vergleichbar einstellen könnten. Die Rechtslage unter- Entmündigung von Britney Spears deutlich. scheidet sich deutlich, aber manche Problembereiche des amerikanischen Vormundschaftsrechtes – zu wenig US-Popstar Britney Spears protestierte lautstark gegen Kontrolle, unbefristete Dauer, mangelnde Alternativen die Vertretung durch ihren Vater und versuchte mit – sind uns aus der Zeit des Sachwalterrechts noch gut in rechtlicher Unterstützung, die gerichtlich angeordnete Erinnerung. Vormundschaft wieder loszuwerden. Die mediale Bericht- erstattung und Unterstützung ihrer Fans durch die Bewe- Das Erwachsenenschutzgesetz löste 2018 das antiquierte gung „Free Britney“ führte zu einer gerichtlichen Über- Sachwalterrecht ab. Vorangegangen waren jahrelange prüfung, zur Abberufung ihres Vaters als Vormund und Beschwerden über Missachtung von Selbstbestimmung, letztendlich zur Aufhebung der Vormundschaft. In der fehlende Kontrolle der Vertreter*innen, Missbrauch der Berichterstattung über die angeordnete Vormundschaft Machtfülle und fehlende Alternativen zum weitreichen- wurden neben der unterdrückten Selbstbestimmungs- den Grundrechtseingriff. Sachwalterschaft war gleich- möglichkeit auch negative Seiten des kalifornischen bedeutend mit dem Verlust der Geschäftsfähigkeit. Dies Vormundschaftsrechtes problematisiert. Die Medienbe- wurde als demütigend erlebt und wurde auch nicht durch richte zeichneten das Bild einer schwarz-weiß-Entschei- neue, professionelle Vertretungsformen der Vereinssach- dungsmöglichkeit, die in der Aufhebung der Vormund- walterschaft ausgeglichen. schaft endete. Die Feinheiten und Komplexität samt strafrechtlicher Vorwürfe gegen den Vater bleiben durch Die 2008 von Österreich ratifizierte UN-Behinderten- die Vereinfachung der Medien meist unberücksichtigt. rechtskonvention zeigte auch rechtlich die Grenzen für das Sachwalterrecht auf und ebnete den Weg für das Entwicklung der Vertretung in Österreich neue Erwachsenenschutzrecht. Seit Juli 2018 gibt es ne- Für österreichische Medienkonsument*innen stellte sich ben Vertretungsmöglichkeiten mit hohem bis mittleren 12 www.behindertenrat.at
Ausgabe 1/2022 Selbstbestimmungsgrad – von der Vorsorgevollmacht bis Entscheidungsfähigkeit aufgrund psychischer Erkran- zur gesetzlichen Erwachsenenvertretung – die gerichtli- kung oder vergleichbaren Beeinträchtigung sowie der che Erwachsenenvertretung ohne automatischen Verlust Unvermeidbarkeit einer Stellvertretung, aber auch das der Geschäftsfähigkeit und mit flankierenden Maßnah- Vorliegen konkreter Nachteile, die durch die Vertretung men zur Absicherung der Selbstbestimmung. abzuwenden sind. Einer möglichen Bestellung geht ein Abklärungsverfahren durch einen Erwachsenenschutzver- Erwachsenenschutzgesetz sichert Rechte ab ein voraus. Die Verfahrensrechte wurden ausgebaut, ein Während das Sachwalterrecht dem medizinischen und „pauschaler Wirkungsbereich“ wird verunmöglicht und damit defizitorientierten Modell von Behinderung ver- durch die verpflichtende Beschreibung gegenwärtig zu pflichtet war, wird im Erwachsenenschutzgesetz ver- besorgender und bestimmt zu bezeichnender Angelegen- sucht, das an den Menschenrechten orientierte Modell heiten abgelöst. von Behinderung der UN-Behindertenrechtskonvention weitgehend umzusetzen. Nur im Ausnahmefall wird ein Genehmigungsvorbehalt zur Abwendung einer ernstlichen und erheblichen Gefahr Neben der Rechtsfähigkeit bleibt die Handlungsfähigkeit bei bestimmten rechtsgeschäftlichen Handlungen ange- auch bei einer Vertretung erhalten. Seit 2018 wird dieses ordnet. Dadurch bedarf es dann der Zustimmung der/des Prinzip umgesetzt, wenn auch mit Übergangsphasen Erwachsenenvertreter*in. Grundsätzlich ist die gerichtli- und vielfach erst in kleinen Schritten. Selbstbestimmung che Erwachsenenvertretung auf drei Jahre befristet und hat grundsätzlich Vor- und eine Stellvertretung Nach- kann nur in einem Erneuerungsverfahren, mit Anhörung rang. Eine Vertretung ist im Rechtsverkehr nur zulässig, der vertretenen Person, nochmaligem Auftrag an den wenn dies aufgrund einer psychischen Erkrankung oder Erwachsenenschutzverein zu einem Clearingbericht und vergleichbaren Beeinträchtigung nicht selbst oder mit auf Antrag auch mit neuerlicher mündlicher Verhand- Unterstützung erfolgen kann, die Entscheidungsfähig- lung, wieder auf drei Jahre beschlossen werden. Die keit nicht ausreichend vorliegt und die Vertretung zur gerichtliche Kontrolle und die Berichtspflichten für die Wahrung der Rechte und Interessen unvermeidlich ist. Erwachsenenvertreter*in wurden ausgeweitet. Möglichkeiten der Vertretung Mehr selbstgewählte und weniger angeord- Die Vertretung kann im Rahmen einer Vorsorgevollmacht nete Vertretungen vorab verfügt und später bei Eintritt des Vorsorgefalls Die Zahl ehemaliger Sachwalterschaften reduzierte sich wirksam werden. Oder es wird eine gewählte Erwachse- nach Überleitung in das neue Erwachsenenschutzgesetz, nenvertretung errichtet, wenn die Vorsorgevollmacht Erneuerungsverfahren und Kontrollen von 52.746 im Juli nicht möglich ist, aber mit geminderter Entscheidungs- 2018 auf 36.505 zum 31.12.2021, das entspricht einer fähigkeit die Ermächtigung für eine selbstgewählte Reduktion von über 30 Prozent. Damit wurde ein Ziel der Vertretung und die Festlegung des Wirkungsbereiches Reform – neben qualitativen Verbesserungen – erreicht: erfolgen kann. Nur wenn beide Möglichkeiten nicht Der bisher stetige Anstieg der gerichtlichen Erwachse- umsetzbar sind oder dies gewünscht ist, kann bei stark nenvertretung wurde gebremst und durch neue Möglich- eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit eine gesetz- keiten der Vertretung großteils ersetzt. liche Erwachsenenvertretung registriert werden. Der Umfang ist auf gesetzlich festgelegte Wirkungsbereiche Die Statistik weist zusätzlich 5.599 gewählte Erwachse- eingegrenzt, der Personenkreis nächster Angehöriger nenvertretungen aus. Auch die gesetzliche Erwachsenen- genau definiert und auf drei Jahre befristet, wobei eine vertretung verzeichnet gegenüber der bisherigen Ange- neuerliche Registrierung möglich ist. Errichtung und hörigenvertretung einen enormen Zuwachs auf 21.091 Registrierung sind bei Erwachsenenschutzvereinen, registrierte Vertretungen. Vorsorgevollmachten stiegen Notar*innen und Rechtsanwält*innen möglich. Gerichte auf 193.944 errichtete Vollmachten. werden darüber informiert und sind für Genehmigungen und Kontrolle zuständig. Die Übergangsphase für die Reform ist bis Ende 2023 begrenzt, dann sollten die letzten Erneuerungsverfahren Gerichtliche Erwachsenenvertretung starten oder Alternativen – bis hin zu anderen geeig- Auch für die gerichtliche Erwachsenenvertretung gelten neten Unterstützungen, die eine Vertretung nicht mehr die beschriebenen Voraussetzungen: Eingeschränkte notwendig machen – gefunden werden. www.behindertenrat.at 13
Peer-Beratung Jubiläum 30 Jahre Peer-Beratung bei BIZEPS Von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben D as BIZEPS Peer-Beratungszen- großer ORF-Bericht. „Nach diesem Experten in eigener Sache zu sein, ist trum feierte am 12. März 2022 Bericht“, erinnert sich Martin Lad- grundlegend für die Peer-Beratung. das 30-jährige Jubiläum. stätter, „ist unser Anrufbeantworter Magdalena Scharl ist Peer-Beraterin nicht mehr stillgestanden.“ bei BIZEPS seit dem Jahr 2001. Sie Das Peer-Beratungszentrum BIZEPS führt aus: „Beratung ist eigentlich wurde 1992 gegründet. Inspiration Empowerment durch eine nicht ganz das passende Wort, wenn war die Behindertenbewegung in den Beratung auf Augenhöhe es um das Konzept der Peer-Bera- USA, die das Konzept der Peer-Bera- Ein wichtiges Element der Peer-Bera- tung geht. Als Beraterin begleite tung als wichtiges Instrument ihrer tung ist Empowerment. Die Wünsche ich Menschen in einer ähnlichen Bewegung etabliert hatte. „Mir wurde der Betroffenen und der Glaube an Lebenssituation dabei, ihren eigenen damals klar, wie stark und mächtig deren Fähigkeit, Expertinnen und Weg in ein selbstbestimmtes Leben die Peer-Beratung für unsere Sache sein kann“, so Martin Ladstätter, Obmann von BIZEPS, der sich seit den Anfängen bei BIZEPS engagiert. Mittlerweile hat sich Peer-Beratung auch in Österreich etabliert und ist nicht mehr wegzudenken. Neuheit in der österreichi- schen Beratungslandschaft Obmann Martin Ladstätter erinnert sich: „Als wir damals mit unserer Peer-Beratung starteten, haben wir völliges Neuland betreten. Bevor BIZEPS das erste Zentrum für Selbst- bestimmtes Leben in Österreich wurde, war es eine Selbsthilfegruppe, in der Menschen erkannten, dass Wissen Macht ist. Wir haben damals festgestellt, dass jede und jeder von uns Wissen besitzt, das es wert ist, weitergegeben zu werden.“ Was als gegenseitiger Austausch begann, führte zur Gründung des ersten Peer-Beratungszentrums. Bevor BIZEPS eigene Büroräume bekam, arbeitete BIZEPS von einem Behin- dertenheim aus. Die Zahl der Peer-Beraterinnen und Peer-Berater bei BIZEPS wächst ständig. Damals waren es nur vier bis fünf Berater*innen. Doch die Bekanntheit von BIZEPS nahm sehr schnell zu. Der Grund dafür war ein 14 www.behindertenrat.at
Ausgabe 1/2022 zu finden. Die Stärke der Beratungs- Peer-Beraterin ist, erklärt: „Ich finde Die Möglichkeiten der selbstbestimm- methode liegt für mich darin, dass es besonders schön, zu erleben, ten Lebensführung von Menschen sie Menschen mit Behinderungen wenn Kund*innen, denen anfangs mit Behinderungen stehen und fallen etwas zutraut. Diese sind oft gar keiner etwas zugetraut hat, es schaf- mit gesellschaftlichen Veränderun- nicht gewohnt, wirklich nach ihrer fen, ihre Stärke zu finden und allen gen. Auch wenn sich seit den 1990er Meinung gefragt zu werden und Widerständen zum Trotz ihr Leben Jahren einiges getan hat, gibt es in ihre Angelegenheiten selbst in die selbstbestimmt meistern.“ der Behindertenpolitik noch einiges Hand zu nehmen. Fertige Lösungen zu erkämpfen. Die praktische Umset- anzubieten, würde heißen, den Kun- Mit Tatendrang in die zung des Nationalen Aktionsplans ist dinnen und Kunden Erfolgserlebnisse Zukunft nur eines der langjährigen Verspre- vorzuenthalten.“ Angesichts des Jubiläums blickt das chen, das immer noch nicht eingelöst BIZEPS Beratungsteam erfreut auf wurde. „Wir werden weiterhin für Der Erfolg der Beraterinnen und Be- den Erfolg der Beratungsstelle zu- unsere Rechte kämpfen und uns nur rater von BIZEPS liegt im Erfolg ihrer rück. Doch auch wenn BIZEPS schon mit Taten und nicht mit Worten zu- Kund*innen. viel erreicht hat, ist Ausruhen noch friedengeben“, so Martin Ladstätter Cornelia Scheuer, die seit 2007 lange nicht angesagt. kämpferisch. Peer-Beratung als Grundstein für gesellschaftliche Verän- derungen Viele der gesellschaftlichen Ver- änderungen, die im Laufe der Zeit erreicht wurden, haben Menschen mit Behinderungen selbst erkämpft. Die Selbstbestimmung, die sie für das eigene Leben erreichen wollen, kann durch den Zusammenschluss mit Gleichgesinnten zum Grundstein für die Selbstbestimmung anderer werden. Die Geschichte der BIZEPS Peer-Beratungsstelle ist ein Beispiel für eine solche Entwicklung. Was als Austausch einiger weniger begann, ist gewachsen und hat schon vieles bewirkt. Jeder weitere Mensch, der durch das Vorbild anderer seine eige- nen Stärken und seinen eigenen Mut findet, ist ein weiterer Sieg für die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung. Infobox BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben Schönngasse 15-17/4 1020 Wien Tel.: 01 523 89 21 E-Mail: office@bizeps.or.at Web: www.bizeps.or.at Grafik: BIZEPS www.behindertenrat.at 15
Ukrainer*innen mit Behinderungen Menschen mit Behinderungen aus der Ukraine Jetzt ist Hilfe gefragt Von Kerstin Huber-Eibl I n der Ukraine leben rund 2,7 Millionen Menschen mit Behinderungen. Die meisten von ihnen haben ohne Unterstützung keine Möglichkeit, den Kriegswirren zu entkommen. Der Österreichische Behindertenrat fordert einen priorisierten und barrierefreien Zugang zur Flucht, aber auch barrierefreie humanitäre Hilfe für Men- schen mit Behinderungen in der Ukraine. Darüber hinaus müssen die Leistungen im Rahmen der Grundversorgung in Österreich an die Bedarfe von geflüchteten Personen mit Behinderungen angepasst werden. Ukrainer*innen mit Behinderungen sind oftmals in ihren eigenen vier Wänden gefangen. Viele bleiben während Luftangriffen in ihren Wohnungen, da sie Schutzräume nicht erreichen können und diese zudem nicht barrie- refrei sind. Doch auch eine Flucht können die meisten Menschen mit Behinderungen nicht ins Auge fassen. Eine Behinderung erschwert die Flucht enorm. Foto: Pexels Diese wäre nämlich enorm gefährlich, da Flüchtende auf zahlreiche Barrieren stoßen und ihre Kraft womöglich nicht reichen würde. fliehen, sind sie einem hohen Risiko ausgesetzt, Gewalt zu erleben. Dies betrifft vor allem Frauen und Kinder. Es fehlt an Unterstützung Jene, die in Österreich Fuß fassen möchten, sollten un- Unterstützungsnetzwerke sind vor allem für Menschen bedingt Bedingungen vorfinden, die ihre behinderungs- mit Behinderungen enorm wichtig. Doch gerade während bedingten Bedarfe abdecken. des Kriegs brechen diese mehr und mehr zusammen. Doch behinderungsbedingte Bedarfe von geflüchteten Auch die Versorgung mit Nahrungsmittel, Medikamenten Menschen mit Behinderungen werden vom Staat Öster- und Hilfsmitteln wird immer knapper. In Institutionen reich nicht ausreichend abgedeckt. Konkret betrifft das lebende Menschen mit Behinderungen laufen Gefahr, Hilfsmittel und Unterstützung. dass sie dort schutzlos zurückgelassen werden. Auch wenn sich die Ukrainer*innen so gut wie möglich Dies liegt in erster Linie daran, dass geflüchtete Men- gegenseitig unterstützen, brauchen sie dringend Hilfe schen mit Behinderungen nach den Behindertenhil- von außen. fe-Gesetzen der Bundesländer keinen Anspruch auf „Wir sind tief betroffen von der lebensbedrohlichen Leistungen aus der Behindertenhilfe wie beispielsweise Situation für Menschen mit Behinderungen in der Ukrai- Betreuung oder Assistenz haben. Ihre Bedarfe werden ne. Der Österreichische Behindertenrat setzt sich dafür aber auch nicht im Rahmen der Grundversorgung abge- ein, dass barrierefreie humanitäre Hilfe vor Ort geleistet deckt, auf die alle nach Österreich geflüchteten Perso- wird und Menschen mit Behinderungen priorisiert evaku- nen Anspruch haben. iert werden“, betont der Präsident des Österreichischen Behindertenrats, Michael Svoboda. Grundversorgung an geflüchtete Menschen mit Behinderungen anpassen Geflüchtete Menschen mit Behinderungen Viele Menschen mit Behinderungen müssen ihre Medi- Versuchen Menschen mit Behinderungen, ins Ausland zu kamente, ihren Rollstuhl, ihre Krücken oder Lesehilfen 16 www.behindertenrat.at
Ausgabe 1/2022 zurücklassen. Hilfsmittel sind aber bedeutsam für ein Österreich erfasst werden. Außerdem ist die Barrierefrei- selbstbestimmtes Leben. Es ist daher unbedingt nötig, heit staatlicher und privater Unterkünfte zu erfassen, um dass Hilfsmittel neben Betreuungsleistungen und psy- eine zielsichere Zuteilung zu ermöglichen. chosozialer Unterstützungsleistungen bedarfsgerecht zur Verfügung stehen. „Geflüchtete Menschen mit Behinderungen dürfen nicht vergessen werden. Sie haben fernab ihrer Heimat keine „Die Grundversorgungsvereinbarung sieht medizinische Netzwerke und meist auch keine Hilfsmittel für ein und soziale Unterstützungsleistungen für geflüchtete selbstbestimmtes Leben. Damit Österreich seine huma- Menschen grundsätzlich vor. Jetzt ist es an der Zeit, die nitäre Pflicht erfüllen kann, braucht es ein koordiniertes gesetzlichen Vorgaben in die Praxis umzusetzen“, betont Vorgehen des Innenministeriums und der Bundeslän- Präsident Svoboda. Darüber hinaus fordert barrierefreie der“, betont Behindertenrats-Präsident Svoboda. Unterkünfte. Mehr Informationen Behinderungsbedingte Bedarfe bei Regist- Eine Sammlung von Informationen und Hilfsangeboten rierung erfassen für Schutzsuchende aus der Ukraine, die Hilfe benöti- Um geflüchtete Menschen mit Behinderungen mit allem gen, und Menschen, die Hilfe leisten möchten, finden zu versorgen, was sie benötigen, müssen ihre behinde- Sie unter www.ogy.de/ukraine-hilfsangebote rungsbedingten Bedarfe bereits bei der Registrierung in Integration und Inklusion Kostenlose Sportwochen für Menschen aus der Ukraine Von Kerstin Huber-Eibl M enschen mit Behinderungen, die aus der Ukrai- ne nach Österreich geflüchtet sind, können an allen Sportwochen des Österreichischen Behin- dertensportverbands kostenlos teilnehmen. Seit mehr als 60 Jahren vermittelt der Österreichische Behindertensportverband (ÖBSV) Menschen mit Behin- derungen die Vorteile von Bewegung und Sport für ihr tägliches Leben. Der Lohn: Erhöhte Mobilität, gesteiger- te Lebensqualität, mehr Lebensfreude und nicht zuletzt Integration und Inklusion in die Gesellschaft. Sport für Menschen mit Behinderungen und Fluchterfahrung Integrations-Outdoorsportwoche des ÖBSV in Öblarn Das Angebot der beliebten Sportwochen des ÖBSV Foto: OBSV/Daniel Kudernatsch wurde im Vorjahr um eine Sportwoche für Menschen mit Behinderung und Fluchterfahrung erweitert. Da mittler- Mehr Informationen weile immer mehr Menschen mit Behinderungen aus der Interessierte können sich per E-Mail an office@obsv.at Ukraine nach Österreich kommen, ermöglicht der Verein wenden und bekommen so Informationen über Freiplät- nun nach Österreich geflohenen Ukrainerinnen und Uk- ze. Informationen über die Sportwochen des ÖBSV sind rainern mit Behinderungen die kostenlose Teilnahme an unter obsv.at/sport/sportwochen zu finden. sämtlichen Sportwochen. www.behindertenrat.at 17
Ukrainer*innen mit Behinderungen Krieg in der Ukraine Informationen in Leichter Sprache Von Lebenshilfe e.V. In der Ukraine ist Krieg. Vielen Menschen macht das Angst. Die Ukraine ist ein Land im Osten von Europa. Die Ukraine hat auch eine Grenze zu Russland. Ende Februar hat Russland die Ukraine angegriffen. In der Ukraine ist jetzt Krieg. Das heißt zum Beispiel: • Russland wirft Bomben auf Städte in der Ukraine. • Russland hat viele Soldaten in die Ukraine geschickt. Die Soldaten haben Waffen und Panzer. • Es gibt viele Kämpfe. Denn die Ukrainer wehren sich gegen die russischen Soldaten. Bei den Angriffen und Kämpfen sind viele Menschen gestorben. Darunter waren auch Kinder und alte Menschen. Auch viele Häuser sind kaputt. In den Geschäften gibt es nur noch wenig zu kaufen. In manchen Städten gibt es keinen Strom und kein Wasser mehr. Die Menschen in der Ukraine haben deshalb große Angst. Viele müssen jetzt aus der Ukraine fliehen. Vor allem Frauen und Kinder verlassen das Land. Die Männer müssen in der Ukraine bleiben. Sie sollen dort kämpfen. Mehr als 3 Millionen Menschen haben die Ukraine schon verlassen. Sie fliehen zum Beispiel nach Polen, Deutschland oder Österreich. Warum hat Russland die Ukraine angegriffen? Wladimir Putin ist der Präsident von Russland. Das heißt: Er ist der Chef der Regierung. Wladimir Putin will mehr Macht haben. Wladimir Putin sagt: • Die Ukraine soll zu Russland gehören. • Die Ukraine soll eine neue Regierung bekommen. • Die Regierung will Russland bestimmen. Alle Grafiken: Reinhild Kassing, reinhildkassing.de • Die Ukraine soll keine eigenen Waffen haben. • Die Ukraine soll nicht bei der Nato mitmachen. Die Nato ist eine Gruppe von mehr als 30 Ländern. Auch die USA und Deutschland sind dabei. 18 www.behindertenrat.at
Ausgabe 1/2022 Die Länder der Nato haben versprochen: Dass sie sich gegenseitig helfen, wenn ein Land der Nato angegriffen wird. Man sagt dazu auch: Die Nato ist ein Verteidigungs-Bündnis. Russland macht bei der Nato nicht mit. Auch die Ukraine ist bisher nicht in der Nato. Russland fühlt sich durch die Nato bedroht. Die Ukraine ist ein Nachbar-Land von Russland. Darum will Wladimir Putin nicht: Dass die Ukraine bei der Nato mitmacht. Der Krieg macht mir Angst – was kann ich dagegen tun? Die Bilder aus der Ukraine machen vielen Menschen Angst. Das ist normal. Das kann gegen die Angst helfen: • Schauen Sie nur einmal am Tag Nachrichten. • Schalten Sie die Nachrichten aus, wenn Sie Angst bekommen. • Machen Sie sich klar: Sie sind hier in Österreich sicher. • Sprechen Sie über Ihre Ängste. Zum Beispiel: Mit Ihren Freunden, mit Ihrer Familie, mit Ihren Betreuerinnen und Betreuern. Das fordert der Behindertenrat In der Ukraine leben auch viele Menschen mit Behinderungen. Um diese Menschen macht sich der Behindertenrat große Sorgen. Menschen mit Behinderungen und ihre Familien dürfen in der Ukraine nicht vergessen werden. Es kommen auch Menschen mit Behinderungen aus der Ukraine nach Österreich. Viele können ihre Brille, ihren Rollstuhl oder ihre Krücken nicht mitnehmen. Österreich muss dafür sorgen, dass sie das bekommen. Es muss auch Wohnungen ohne Hindernisse geben. Wir danken der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V., dass sie uns den Text zur Verfügung gestellt hat. www.behindertenrat.at 19
Ukrainer*innen mit Behinderungen Obdach geben Menschen mit Behinderung auf der Flucht finden Unterkunft im Haus Waldpension Von Helga Bachleitner D ie Heimat verlassen Am 13. März 2022 kam ein zu müssen, in ein an- größerer Konvoi nach Öster- deres Land gehen, wo reich, 35 erschöpfte Menschen man niemand kennt und die landeten schließlich nach Sprache nicht spricht, ist eine mehr als 72 Stunden Reise furchtbar belastende Situati- ins Ungewisse in Hochegg bei on. Menschen mit Behinderun- Grimmenstein in Niederös- gen sind im Krieg und auf der terreich. "Wir wollten helfen Flucht noch dazu besonders und haben unsere Kapazitä- gefährdet. Abhängig von der ten genutzt, um Menschen Behinderung haben sie mit mit Behinderungen rasch ein unterschiedlichen Heraus- Dach über dem Kopf, wo sie forderungen zu kämpfen. geschützt sind, zu bieten. Es Alle haben aber das Problem, ist für alle eine schwierige und dass Evakuierungspläne und emotionale Zeit. Da kann man humanitäre Hilfe Menschen nicht wegschauen," beschreibt mit Behinderungen nicht be- Vorstandsvorsitzender Elmar Foto: Eva Rottensteiner rücksichtigen. Bunker sind für Fürst die Situation. Das Team Menschen mit Behinderungen oft nicht nutzbar oder erst der Waldpension kam zum Teil aus dem freien Wochen- gar nicht auffindbar. Auf der Flucht gibt es weitere Hür- ende, um als erste Ansprechpartner*innen zur Verfügung den: Die Versorgung auf der Strecke und in Unterkünften zu stehen. Vorstandsvorsitzender Elmar Fürst: „Hier wur- kann teilweise nicht gewährleistet werden. Viele sind auf de flexibel reagiert, um in einer Ausnahmesituation, für Hilfsmittel, spezifische Medikamente oder Pflegeartikel die es nun einmal keine planbaren Abläufe gibt, rasch angewiesen. Auf der Flucht gehen Hilfsmittel allerdings und professionell das Erforderliche zu tun.“ oft kaputt oder müssen zurückgelassen werden. Die Flüchtlingsunterkünfte sind dann nicht immer für Men- Im Laufe der folgenden Tage und Woche wurden die er- schen mit unterschiedlichen Behinderungen ausgerichtet forderlichen bürokratischen Schritte unternommen, da- bzw. nicht barrierefrei ausgestattet. Damit sind nicht mit alle Geflüchteten in die Grundversorgung aufgenom- nur bauliche Maßnahmen wie Rampen, sondern auch men werden können. Da die Waldpension ein Haus für geschultes Personal und adäquate Versorgung gemeint. Urlaub und Dauerwohnen ist, können die geflüchteten Meist fehlen auch vorab recherchierbare Hinweise zu Menschen in Zimmern bzw. sogar kleinen Wohneinheiten barrierefreier Ausstattung. Ist für die betroffenen Perso- untergebracht werden. Der Veranstaltungssaal im ersten nen nicht sicher, dass die Notunterkunft auf die eigenen Stock wurde zum Speisesaal, wo dreimal am Tag gemein- Bedürfnisse eingestellt ist, trauen sich viele oft gar nicht sam Mahlzeiten eingenommen werden. Die barrierefreie zu fliehen. Gestaltung des Hauses ist nicht nur für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung ideal. Da jedes Stockwerk Hilfsgemeinschaft bietet barrierefreie in einer anderen Farbe gestaltet ist, finden sich auch Unterkunft jene hier zurecht, die unsere Schrift nicht lesen können. Zu Beginn des Ukraine-Krieges hat sich die Hilfsgemein- schaft der Blinden und Sehschwachen daher entschlos- „Ursprünglich haben wir zehn Plätze für blinde und seh- sen, das Haus Waldpension für geflüchtete Menschen behinderte Menschen angeboten,“ erklärt Elmar Fürst. mit Behinderungen, die auf eine barrierefreie Umgebung „Aber wir konnten diese Menschen doch nicht auf der angewiesen sind, zu öffnen. Straße stehen lassen.“ Nun gilt es, den Alltag zu bewäl- tigen und die Weichen für die Zukunft zu stellen. 20 www.behindertenrat.at
Ausgabe 1/2022 Stift Fiecht in Tirol – Sicherer Hafen Die Lebenshilfe Tirol begleitet und empowert ihre Gäste aus der Ukraine mit dem Fokus auf Selbstbestimmung und Teilhabe. Von Ulli Pizzignacco-Widerhofer sind der Ausgleich zur wieder gestarteten Schule. Der Unterricht findet derzeit in vier Klassenzimmern statt und wird von der Bildungsdirektion des Landes organi- siert. „Uns ist wichtig, dass sie bald am regulären Un- terricht in den Schulen der Umgebung teilnehmen – ein erster Schritt in Richtung Teilhabe. Einige nehmen auch am Online-Unterricht teil, der von ihren ukrainischen Heimatschulen angeboten wird. Die Kleineren haben die Spielzimmer und den Innenhof des Stiftes erobert und Foto: Lebenshilfe Tirol erkunden in Begleitung die nähere Umgebung“, berich- E in Ort der Sicherheit, an dem Menschen aus der tet Georg Willeit. Ukraine einen möglichst normalen Alltag verbrin- gen können: Das ist das Stift Fiecht derzeit für 98 Im Hinblick auf die Leitung und Koordination vor Ort Kinder mit und ohne Behinderungen sowie 44 Mütter legte die Lebenshilfe von Anfang an Wert auf Erfahrung und Begleitpersonen. Am 25. März 2022 sind sie in Tirol und fachliche Expertise. Das aktuelle interimistische Lei- angekommen – müde von der nächtlichen Busfahrt von tungsduo sowie deren Nachfolger*innen bringen Erfah- Lemberg. rung im Flüchtlingsbereich, in der Krisenintervention, im Krisenmanagement und in der Projektkoordination in der „Ausgehend von diesem Ort des Ankommens begleiten Humanitären Hilfe auf internationaler Ebene mit. wir Kinder, Jugendliche, ihre Mütter und Begleitperso- nen. Je nachdem was sie sich für ihre Zukunft vorstellen In Stift Fiecht komplettieren Dolmetscher*innen, As- – wir unterstützen und empowern sie. Sei es, dass sie in sistent*innen, die zusätzlich einschlägige Sprachkennt- gemeindenahen, kleinstrukturierten Settings Fuß fassen, nisse bzw. eine Ausbildung in Elementarpädagogik sei es, dass sie zu Verwandten, Freundinnen oder Freun- haben, Pflegefachkräfte, eine Fahrerin mit Hausmeister- den weiterreisen. Wir sind eine Art Drehscheibe. Die tätigkeiten und ein Nachtportier das hauptamtliche Gäste kommen zur Ruhe, werden in allen Belangen von Personal. „Unsere Gäste haben einen hohen Bedarf an uns begleitet und entscheiden, was ihr nächster Schritt medizinischer Versorgung und Therapien, der durch die ist“, umreißt Georg Willeit, Geschäftsführer der Lebens- Universitätsklinik Innsbruck und lokale Ärztinnen und hilfe Tirol, die Haltung der Organisation. Ärzte abgedeckt wird“, bedankt sich Georg Willeit. Die Lebenshilfe weist seit Beginn des Krieges auf die Auch die Zusammenarbeit mit den Mitgliedern der Arge Verletzung der grundlegendsten Menschenrechte hin SoDiT, dem Zusammenschluss aller Tiroler Dienstleister SoDiT und bietet Unterstützung, zumal Menschen mit Behinde- für Menschen mit Behinderungen, sei angesichts deren rungen in Krisen oft übersehen bzw. strukturell margina- Fach-Expertise von unschätzbarem Wert. lisiert werden. „Sei es, dass die Zugänge zu Luftschutz- kellern nicht barrierefrei sind, Fluchtwege schwierig oder Erste Zwischenbilanz die Barrieren im Zufluchtsland höher sind. Umso mehr Georg Willeit: „Um die Rechte Schutzsuchender zu freuen wir uns, die Unterstützung, die wir dem Land Tirol verwirklichen braucht es Viele: Botschaft, Honorarkon- zugesagt haben, einzulösen“, so Georg Willeit. sul, Land, Gemeinde, Zivilgesellschaft, Rechtsberatung, Partner und die laufende Abstimmung mit dem Gene- Gut angekommen und eingelebt ralsekretariat der Lebenshilfe Österreich hin zu den auf Die Kinder und Jugendlichen haben sich gut eingelebt: europäischer Ebenen tätigen Organisationen wie EASPD, Fußballspielen, Straßenkreide malen, oder Radfahren Inclusion Europe oder Humanity International.“ www.behindertenrat.at 21
Interessenvertretung Ausgabe 1/2022 EDF-Resolution zum Schutz und zur Sicherheit von Menschen mit Behinderungen im Krieg in der Ukraine Gekürzte Übersetzung von Gudrun Eigelsreiter Foto: pixabay I n der Ukraine sind um die 2,7 Millionen Menschen mit Behinderungen registriert. Die Ukraine wird seit dem me von Menschen, die Sicherheit vor dem Krieg in der 24. Februar 2022 von Russland militärisch angegrif- Ukraine suchen. Dazu gehören auch die Bereitstellung fen. Menschen und Kinder mit Behinderungen sowie ihre barrierefreie Unterkünfte sowie erforderlicher Unter- Familien sind einem ernsthaften Risiko für ihr Leben, ihr stützungsdienste, um die Inklusion in die Gemein- Wohlergehen und ihre Sicherheit ausgesetzt, insbesonde- schaft zu erleichtern; re diejenigen, die in segregierenden Einrichtungen leben. • Sicherstellung spezifischer Maßnahmen, um den Men- schenhandel und die sexuelle Ausbeutung von Perso- Fordert der EDF-Vorstand die EU und die EU-Mitglied- nen, einschließlich Menschen mit Behinderungen, die staaten zu folgenden Aktivitäten auf: die Ukraine verlassen, zu verhindern, zu bekämpfen • Beteiligung an internationalen Friedensaktionen; und zu sanktionieren, mit besonderem Augenmerk auf • Gewährleistung und Bereitstellung Humanitärer Hilfe Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die einem für Menschen mit Behinderungen und ihre Familien in höheren Risiko von Gewalt und Missbrauch ausgesetzt der Ukraine in Zusammenarbeit mit lokalen Organisa- sind; tionen, auch durch EU-Finanzierung. Humanitäre Hilfe • Sicherstellen, dass die Durchführungspartner bei sollte Menschen und Kindern in ihren Wohnungen, humanitären Aktivitäten auch auf die Bedarfe von Notunterkünften, Krankenhäusern (einschließlich Menschen mit Behinderungen in all ihrer Vielfalt psychiatrischer Kliniken), Gefängnissen und Wohnein- eingehen, indem sie die Leitlinien des Interinstituti- richtungen zugutekommen, die alle einer ernsthaften onellen Ständigen Ausschusses (IASC) zur Einbezie- Gefahr für ihr Leben ausgesetzt sind; hung von Menschen mit Behinderungen in humanitäre • Sicherstellung der sicheren und schnellen EU-Einreise Maßnahmen anwenden; von ukrainischen Migrant*innen und anderer Perso- • Zusammenarbeit mit Organisationen, die Menschen nen, die aus der Ukraine fliehen, ungeachtet ihrer mit Behinderungen vertreten, um humanitäre Hilfe zu Nationalität und ethnischen Zugehörigkeit, wobei entwickeln und umzusetzen, um Menschen mit Behin- Maßnahmen ergriffen werden, um Flüchtlinge mit derungen Beratung, Unterstützung und Hilfe anzu- Behinderungen einzubeziehen. Hier sind barrierefreie bieten, wobei Frauen und Kindern mit Behinderungen Transportmittel, Verfahren, Unterbringung und Kom- besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss; munikation von wesentlicher Bedeutung; • Sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen, die • Identifizierung von Menschen, die medizinische Hilfe von der „Richtlinie über vorübergehenden Schutz“ benötigen, und Sicherstellung von angemessener, profitieren, Zugang zu Schutz sowie Diensten haben, medizinischer Versorgung, nicht nur für medizinische die von der Richtlinie zugewiesen werden, einschließ- Notfallhilfe, sondern auch zur Unterstützung von Men- lich zusätzlicher Unterstützung für behinderungsbezo- schen mit chronischen Erkrankungen wie Epilepsie, gene Dienste. Diabetes und Herzkrankheiten; • Bereitstellung neuer Mittel, um die Folgen des Krieges Mehr Informationen zu bewältigen, und Sicherstellung, dass diese Mittel auch den Bedarfen von Menschen mit Behinderungen Rechnung tragen; https://ogy.de/EDF-Resolution • Zuweisung dringend benötigter Ressourcen an die Nachbarländer der Ukraine; https://ogy.de/EDF-Ukraine-Krise • Berücksichtigung von geflüchteten Menschen mit Behinderungen in den nationalen Plänen zur Aufnah- 22 www.behindertenrat.at
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