Nahrungsmittelintoleranz im Säuglings- und Kindesalter
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Schwerpunkt Nahrungsmittelintoleranz im Säuglings- und Kindesalter Während bei Nahrungsmittelallergien ein immunologischer Prozess zu- grunde liegt, beruhen Nahrungsmittelintoleranzen auf metabolischen und osmotischen Mechanismen sowie pharmakologischen Wirkungen, deren Pathophysiologie in vielen Fällen noch nicht vollständig geklärt ist. In die- sem Artikel geht es um Kohlehydratintoleranzen, zum Beispiel gegenüber Laktose, und nicht IgE-vermittelten Immunreaktionen wie FPIAP, FPIES und FPE. Von Pascal Müller1 und Johannes Spalinger2 ahrungsmittel werden häufig als Auslöser gas- ten Reaktionen zählt auch die Zöliakie, welche zu den N trointestinaler Beschwerden vermutet, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen (1, 2). Dies führt zu Nahrungseinschränkungen oder zu selbst auferlegten Diäten. Im Säuglings- und Kindesalter, aufgrund des verhältnismässig grossen Bedarfs an Makro- autoimmunen Erkrankungen gehört. Nahrungsmittelintoleranzen entstehen auf der Basis me- tabolischer und osmotischer Mechanismen (z.B. Fruk- tose- oder Laktoseintoleranz) oder durch pharmakologi- sche Wirkungen (z.B. Histaminintoleranz). Bei einigen und Mikronährstoffen, bedeutet dies ein potenzielles Ri- dieser Reaktionen sind die pathophysiologischen Mecha- siko für eine Fehl- oder Mangelernährung. Bei Verdacht nismen nicht vollständig geklärt. auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit ist diese Dia- gnose daher genau zu prüfen, um dann eine bedarfsge- Laktoseintoleranz rechte und spezifische Diät durchzuführen und das Kind Die wohl am häufigsten vorkommende Kohlehydratun- vor einer unnötigen Nahrungseinschränkung zu schützen. verträglichkeit ist die Laktoseintoleranz. Physiologischer- Nahrungsmittel können auf unterschiedlichem Weg Un- weise wird Laktose durch das Enzym Laktase hydrolysiert verträglichkeitsreaktionen auslösen (Abbildung 1). Nah- und als Glukose und Galaktose im Dünndarm resorbiert. rungsmittelallergien sind immunologisch vermittelt und In der Terminologie muss zwischen der Laktosemal- werden in die klassische Allergie vom Soforttyp (IgE-ver- absorption und der Laktoseintoleranz unterschieden mittelt) und den Typ verzögerter Reaktionen (nicht IgE- werden. vermittelt) unterteilt. Zu den immunologisch vermittel- Bei der Laktosemalabsorption führt eine verminderte Hydrolyse des Disaccharids Laktose zu einer einge- schränkten intestinalen Absorption von Glukose und Ga- laktose (Abbildung 2). Die Symptome der Laktoseintole- ranz entstehen, weil die nicht aufgenommene Laktose in den Dickdarm gelangt und dort infolge bakterieller Fer- mentierung Blähungen, Bauchschmerzen, Flatulenz und Durchfälle verursacht. Die Ursachen einer Laktoseintoleranz sind unterschied- lich, und es ist wichtig, zwischen einer primären (gene- tisch determinierten), sekundären und kongenitalen Form der Laktoseintoleranz zu unterscheiden (Tabelle 1). Eine kongenitale Laktoseintoleranz (Alactasie) ist äus- serst selten und manifestiert sich bereits im Säuglingsal- ter mit profuser Diarrhö. Primäre Laktoseintoleranz: Die adulte (primäre) Laktose- malabsorption ist die häufigste Form der Laktose- 1 Abbildung 1: Klassifizierung der Nahrungsmittelunverträglichkeiten; Pädiatrische Gastroenterologie Ostschweizer Kinderspital 2 NCGS: non celiac gluten sensitivity Pädiatrische Gastroenterologie Kinderspital Luzern LUKS 42 Pädiatrie 2/19
Schwerpunkt intoleranz. Die Prävalenz variiert je nach ethnischem Hintergrund mit einem sehr seltenen Vorkommen in Skandinavien und einer Zunahme der Häufigkeit in Rich- tung Mittelmeerraum (3). Die Laktasepersistenz bezie- hungsweise die Verträglichkeit des Milchzuckers bis ins Erwachsenenalter hat sich im Laufe der Evolution als Polymorphismus in der regulatorischen Region des Lak- tasegens (LCT) entwickelt. An Position –13910 besteht ein Tyrosin/Cytosin-(T/C-)Polymorphismus, wobei die TC- und TT-Genotypen mit Laktasepersistenz verbunden sind. Sekundäre Laktoseintoleranz: Da die Laktase an der Spitze der Dünndarmzotten exprimiert wird, führen ver- schiedene Erkrankungen, welche mit einer Schädigung der Dünndarmmukosa einhergehen, zu einer sekun- dären Laktosemalabsorption. Als selbstlimitierendes Abbildung 2: Laktosemalabsorption und Laktoseintoleranz Phänomen wird dies am häufigsten nach akuten in- fektiösen Gastroenteritiden beobachtet, aber auch bei einer unbehandelten Zöliakie, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen mit Dünndarmbeteiligung oder im high fructose corn syrup, HFCS), welcher in der Nah- Zusammenhang mit einer bakteriellen Dünndarmfehlbe- rungsmittelindustrie als günstiger Süssstoff häufig ver- siedelung. wendet wird, sowie Früchte und Fruchtsäfte. Diagnostik bei Verdacht auf Laktosemalabsorption: Beim Die Absorption der Fruktose hat eine individuell unter- H2-Atemtest wird nach oraler Einnahme von Laktose schiedliche Sättigungsschwelle. Im Dünndarm wird Fruk- (üblicherweise 2 g Laktose/kg KG, max. 50 g) die Was- tose in einem gemeinsamen Transportmechanismus mit serstoffkonzentration (alternativ Methankonzentration) der Glukose aufgenommen (Abbildung 3). Dabei ist GLUT- in der Ausatemluft über einen Zeitraum von 2 bis 3 Stun- 5 ein glukoseunabhängiger, sättigbarer Transporter und den gemessen, und parallel werden allfällige Symptome GLUT-2 ein glukoseabhängiger Co-Transporter mit grosser notiert. Ein sehr früher Anstieg der H2-Konzentration, Kapazität. Somit kann der Fruchtzucker, wenn verbunden mit gastrointestinaler Symptomatik, ist ein gemeinsam mit Traubenzucker konsumiert, einfacher Hinweis für eine bakterielle Dünndarmfehlbesiedelung, resorbiert werden (5). Die intestinale Fruktosemalabsorp- während bei der Laktoseintoleranz die H2-Konzentration tion darf nicht mit der hereditären Fruktoseintoleranz ver- erst nach 1 bis 3 Stunden steigt (4). wechselt werden, bei welcher es aufgrund eines Mangels Die Bestimmung des genetischen Polymorphismus ist in an Aldolase-B zu schweren metabolischen Veränderungen der Pädiatrie nicht sinnvoll, da sich die primäre Laktose- wie Hypoglykämien, Erbrechen und Diarrhö kommt. intoleranz in dieser Altersgruppe selten manifestiert und Diagnostik: Für die Diagnose einer Fruktosemalabsorp- sekundäre Formen übersehen würden. tion steht ein Atemtest zur Verfügung, welcher nach Hinweis: Hat sich im Auslassversuch oder H2-Atemtest demselben Prinzip wie der Laktoseatemtest funktioniert eine Laktoseintoleranz bestätigt, sollte eine sekundäre (4, 7). Form durch die entsprechende Labordiagnostik (inkl. Zö- Behandlung: Therapeutisch muss auch bei Fruktosemal- liakieserologie) ausgeschlossen werden. absorption nicht komplett auf fruktosehaltige Lebens- Behandlung bei Laktoseintoleranz: In der Regel genügt mittel verzichtet werden, denn auch hier soll die indivi- die Reduktion des Milchzuckers bis zur individuellen duelle Toleranzschwelle ausgetestet werden. Nebst Toleranzschwelle, ein vollständiger Laktoseverzicht ist Fruktose und Saccharose werden auch Sorbit, Mannit meist nicht notwendig (5). Wichtig ist, darauf zu achten, und andere Zuckeralkohole und -austauschstoffe nicht dass bei Weglassen tierischer Milchprodukte eine aus- gut vertragen. reichende Kalziumversorgung garantiert wird. Der Le- bensmittelmarkt bietet eine grosse Zahl laktosefreier Produkte an, womit ein genereller Verzicht auf Milch- produkte nicht gerechtfertigt scheint. Ältere Kinder und Jugendliche können vor dem Konsum laktosehaltiger Tabelle 1: Nahrungsmittel ein Enzymersatzprodukt einnehmen (in Formen der Laktoseintoleranz (Laktasemangel) der Schweiz Lacdigest®, 1 Tablette pro ca. 5 g Laktose), um die Folgen des Laktosekonsums zu mindern. Kongenital (Alactasie) Sehr selten! Schwere wässrige Diarrhö ab Beginn der Säuglingsernährung (Muttermilch, Formula) Fruktosemalabsorption Primär (adulte Form, Hypolactasie) Sehr häufig! Die Symptome einer Fruktosemalabsorption unterschei- Symptome meist erst ab dem Schulalter (physiologischer den sich nicht von denjenigen einer Laktoseintoleranz Alterungsprozess) (5). Fruktose ist ein Monosaccharid, dessen Konsum in Sekundär (bei Enteropathie) In jedem Alter westeuropäischen Ländern in den vergangenen Jahr- Zöliakie, postenteritisches Syndrom, M. Crohn, Giardiasis, SIBO zehnten stark zugenommen hat (6). Hauptquellen unse- (small intestinal bacterial overgrowth, Dünndarmfehl- res Fruktosekonsums sind Haushaltszucker (Saccharose, besiedelung) u.a. bestehend aus Glukose und Fruktose), Maissirup (z.B. 2/19 Pädiatrie 43
Schwerpunkt Abbildung 3: und auch vor Beginn der Beikosteinführung auftreten Absorption von Zuckermolekülen im Darm. (A) Ohne funktionierende können (siehe Tabelle 2): Laktase wird das Disaccharid Lak- 1. FPIAP: durch Nahrungsproteine induzierte allergi- tose von den Enterozyten im Darm schen Proktokolitis (food protein induced allergic nicht absorbiert. (B) Die Aufnahme proctocolitis) der Monosaccharide Glukose, Ga- 2. FPIES: durch Nahrungsproteine induziertes Entero- laktose und Fruktose ist von mehre- kolitissyndrom (food protein induced enterocolitis ren Transporterproteinen der Ente- syndrome) rozyten abhängig. Glukose und 3. FPE: durch Nahrungsproteine induzierte Enteropathie Galaktose werden über den (food protein enteropathy). Natrium/Glukose-Co-Transporter 1 (SGLT-1) in den Enterozyten aufge- FPIAP nommen, Fruktose über den gluko- seunabhängigen, sättigbaren Trans- Die durch Nahrungsprotein induzierte allergische Prok- porter GLUT-5. Die Monosaccharide tokolitis (FPIAP) tritt mit einer Prävalenz von zirka werden aus den Enterzyoten via 0,16 Prozent im Säuglingsalter auf und gilt als transiente GLUT-2, einem glukoseabhängigen Erscheinung mit guter Prognose (11). Hauptsymptom Co-Transporter mit grosser Kapazi- sind Blutbeimengungen im Stuhl bei Säuglingen in gu- tät, ins Blut abgegeben. tem Allgemeinzustand, welche nach Weglassen des aus- lösenden Proteins innerhalb von zirka einer Woche ver- schwinden. Die Blutbeimengungen treten in der Regel in FODMAP den ersten 2 bis 8 Lebenswochen auf, in vereinzelten Bei funktionellen gastrointestinalen Beschwerden wie Fällen bereits kurz nach der Geburt und bei 80 Prozent dem Reizdarmsyndrom konnten vor allem bei Erwachse- der Säuglinge innerhalb der ersten 6 Monate (12–14). nen erfreulich gute Therapieerfolge mit einer sogenann- Die Pathophysiologie der FPIAP ist unklar. Es scheint eine ten FODMAP-armen Diät erzielt werden (8). Dabei steht lokale immunologische Reaktion vorzuliegen. Das typische das Akronym FODMAP für fermentierbare Oligo-, Merkmal ist eine ausgeprägte noduläre Hyperplasie bei der Di- und Monosaccharide sowie Polyole, welche bei die- Kolonoskopie und Eosinophilie in der Kolonbiopsie. ser Diät reduziert eingenommen werden müssen. Nach Neuere Studien weisen darauf hin, dass ein verändertes 4 Wochen Karenzphase werden einzelne Nahrungsmit- Mikrobiom möglicherweise ein entscheidender Faktor telgruppen sequenziell wieder in den Speiseplan einge- ist, denn bei Säuglingen mit FPIAP wurden weniger Bi- führt, um auch hier die individuelle Toleranzschwelle fidobacterium spp., Bacteroides fragilis und Lactobacil- beziehungsweise Unverträglichkeit auf einzelne Nah- lus/Enterococcus spp. im Vergleich zu Kontrollpersonen rungsgruppen ermitteln zu können (9). Derzeit ist die gefunden. In einer Studie schien die Zugabe des Probio- Datenlage in der Pädiatrie ungenügend, um eine solch tikums Lactobacillus rhamnosus GG zusammen mit einer einschneidende Diät rechtfertigen zu können. Ernährung aus weitgehend hydrolysierter Kaseinformula zu einer schnelleren Symptomlösung zu führen als die Nicht IgE-vermittelte gastrointestinale alleinige hypoallergene Formula (15, 16). Nahrungsmittelallergien Klinische Merkmale: Das Hauptmerkmal der FPIAP ist Im Gegensatz zur IgE-vermittelten Nahrungsmittelall- Blut im Stuhl – mit oder ohne Schleim – bei einem ge- ergie beschränken sich die Symptome der nicht IgE-ver- sunden Säugling mit normalem Gedeihen. Selten wird mittelten Nahrungsmittelallergie fast ausschliesslich auf Durchfall beobachtet, und die Symptome entwickeln den Magen-Darm-Trakt. Bei der nicht IgE-vermittelten sich in der Regel allmählich. FPIAP tritt sowohl bei ge- Nahrungsmittelallergie manifestieren sich die Symptome stillten als auch bei Säuglingen mit Formula auf (Kuh- typischerweise verzögert und treten oft erst mehrere milch- oder Sojabasis). Kuhmilch scheint der häufigste Stunden nach Einnahme des Nahrungsmittels auf. Anders Auslöser der FPIAP zu sein, gefolgt von Soja und Ei. Bei als bei IgE-vermittelten Lebensmittelallergien stehen bei gestillten Säuglingen verschwanden die Symptome nach nicht IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien keine spe- Eliminierung von Kuhmilch (bei 65%), Ei (bei 19%), Mais zifischen Testverfahren zur Verfügung. Sie werden daher (bei 6%) und Soja (bei 3%), wobei bei 5 Prozent der rein klinisch diagnostiziert, basierend auf der Anamnese, Säuglinge mehrere Nahrungsmittelauslöser vorhanden den Symptomen und dem vermuteten Zusammenhang waren (17–19). mit einzelnen Lebensmitteln. Die Diagnose wird mit Bes- Diagnose: Blutige Stühle bei einem gesund wirkenden serung der Symptome nach Nahrungsmittelkarenz und Säugling und Verschwinden der Blutbeimengungen Wiederauftreten nach einer erneuten Provokation gesi- nach Weglassen des vermuteten Nahrungsmittelpro- chert. teins. Eine probatorische Wiederbelastung mit intaktem Nicht IgE-vermittelte gastrointestinale Nahrungsmittel- Kuhmilchprotein wird nach 2- bis 4-wöchiger Elimina- allergien haben eine günstige Prognose, denn bei der tionsdiät empfohlen. Mehrheit der Kinder verschwinden die Symptome bis Die Allergiediagnostik, welche nicht routinemässig indi- zum Alter von 3 bis 5 Jahren. ziert ist, ist bland, Pricktest und IgE-vermittelte Sensibili- Die folgenden Abschnitte erläutern die Klassifizierung, sierung sind meist negativ. die Pathophysiologie, die Diagnose und die Behandlung Differenzialdiagnosen: idiopathische neonatale tran- der nicht IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergiesyn- siente Kolitis, Analfissuren, nekrotisierende Enterokolitis, drome (10). Grundsätzlich werden drei Formen unter- Infektionen, gastrointestinale Obstruktionen und Gerin- schieden, welche bereits in den ersten Lebensmonaten nungsstörungen. 44 Pädiatrie 2/19
Schwerpunkt Allergenkarenz: Die Intervention beinhaltet typischer- repetitives Erbrechen 1 bis 4 Stunden nach Einnahme des weise die Eliminierung von Kuhmilchproteinen in der verdächtigen Nahrungsmittels – und 3 der folgenden mütterlichen Ernährung und/oder den Wechsel auf eine Nebenkriterien: Lethargie, Hypotonie, Hypothermie, aus- extensiv hydrolysierte Säuglingsformula. Sichtbare rek- geprägte Blässe, Durchfälle, Bedarf einer Notfallauf- tale Blutbeimengungen verschwinden in der Regel in- nahme oder Bedarf an intravenöser Flüssigkeit. nerhalb von 3 bis 4 Tagen. Es wird empfohlen, weiter zu Eine Endoskopie mit Biopsie ist zur Diagnosesicherung stillen, auch wenn nach Elimination der Kuhmilch in der eines FPIES nicht notwendig. Fehlendes Fieber und eine mütterlichen Ernährung die Blutung anhält. In diesen schnelle Erholung (innerhalb von Stunden) sprechen Fällen kann die Elimination anderer Lebensmittel wie eher für das Vorliegen eines FPIES. Im Labor fällt gele- Soja, Ei, Weizen oder Reis erwogen werden, allerdings gentlich eine Leukozytose auf, und in schweren Fällen unter Dokumentation der Symptome. Wenn trotz erwei- wird neben einer metabolischen Azidose auch eine Met- terter Eliminationsdiät die Symptome nicht verschwin- hämoglobinämie festgestellt. den, sollte bei einem ansonsten gesunden Säugling be- Zwischen den Episoden sind die Kinder vollständig be- rücksichtigt werden, dass auch ohne Änderung der schwerdefrei. Eine verzögerte Diagnosestellung ist nicht mütterlichen Ernährung ein spontanes Verschwinden ungewöhnlich. Im Durchschnitt erfolgt die korrekte Dia- der Blutung (20) beobachtet werden kann. gnose eines FPIES erst nach 2 bis 10 Episoden. Die All- Bei mit Formula ernährten Säuglingen wird in erster Linie ergiediagnostik ist meist negativ (Pricktest und spezifi- die Verwendung einer extensiv hydrolisierten Säuglings- sche IgE). Eine genaue Anamnese soll allfällige Auslöser formula empfohlen und bei fehlendem Ansprechen der eruieren und zu einer strikten Karenz der entsprechen- Wechsel auf eine aminosäurenbasierte Formulamilch. den Nahrungsmittel führen. Wiedereinführung der Nahrung: In den meisten Fällen Es sind Formen eines chronischen FPIES bekannt, wobei kann die Wiedereinführung vor dem ersten Lebensjahr Symptome wie Erbrechen, Durchfall und Gedeihstörung erfolgen. Bei Wiederauftreten von Symptomen wird ein bei Kindern unter Kuhmilch- oder Sojaformula im Vor- erneuter Versuch erst nach 6 (bis 12) Monaten empfoh- dergrund stehen. len. Wenn aus der Anamnese keine Hinweise auf eine Differenzialdiagnosen: Die Differenzialdiagnosen eines frühere Sofortreaktion vorliegen, kann die Nahrungsein- schweren FPIES umfassen in erster Linie Sepsis oder ana- führung schrittweise zu Hause erfolgen. phylaktischen Schock und gastrointestinale Erkrankun- Prognose: Die Krankheit ist selbstlimitierend, und die gen wie Invagination, Volvulus, Pylorusstenose, nekroti- Prognose ist gut. Nur ein kleiner Teil der Säuglinge ent- sierende Enterokolitis, entzündliche Darmerkrankungen wickelt ein Rezidiv beziehungsweise eine Kuhmilchpro- oder Zöliakie. tein- oder sonstige Nahrungsmittelallergie. Akutbehandlung: Die grösste Bedrohung beim akuten Eine Toleranzentwicklung ist in der Regel bis zum Alter FPIES ist der hypovolämische Schock und das anhaltende von 1 bis 3 Jahren zu erwarten. Prognostisch günstig Erbrechen. Eine rasche intravenöse Flüssigkeitszufuhr scheinen ein frühes Auftreten der Symptome und eine und eine engmaschige Kreislaufüberwachung in einem blande Atopieanamnese zu sein, vor allem beim gestill- geeigneten Umfeld (Intensivstation) sind daher entschei- ten Kind (21, 23, 24). dend. Medikamentös hilft die Gabe von Ondansetron als Antiemetikum, vor allem bei milden und mittelschweren FPIES Verläufen. Das mit Nahrungsmittelprotein assoziierte Enterokolitis- syndrom (FPIES) präsentiert sich typischerweise bei Säug- lingen unter 9 Monaten (median 5–7 Monate). Klini- sches Hauptmerkmal ist repetitives Erbrechen mit teilweise bedrohlich reduziertem Allgemeinzustand. Als Auslöser kommen im frühen Säuglingsalter vor allem Tabelle 2: Kuhmilchproteine oder Soja infrage. Nach Einführung Vergleich der nicht IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien der Beikost sind es, gemäss der traditionellen Reihen- FPIES FPIAP FPE folge der Beikosteinführung, eine Vielzahl anderer Nah- Hauptsymptome repetitives Erbrechen, Blut im Stuhl bei chronische Diarrhö mit rungsmittel wie Getreide, Hafer, Reis, Fisch, Ei und Ge- schockartige akute «gesundem» Malabsorption flügel. Kinder mit einer atopischen Belastung tragen ein Episoden Säugling grösseres Risiko. Der pathophysiologische Zusammen- Prädilektionsalter 1 Tag bis 1 Jahr 1 Tag bis 6 Monate bis zum Alter von hang dieser nicht IgE-vermittelten schweren Reaktion ist 2 Jahren unklar, die akute Symptomatik ist Folge von Permeabili- Hauptsächlich Milch, Soja, Reis Milch, Soja Milch, Soja, Weizen, Ei tätsänderungen des Darms und einer damit verbunde- verantwortliche nen erheblichen Flüssigkeitsverschiebung (21, 22). Nahrungsmittel Klinische Merkmale: Das typische klinische Zeichen eines Multiple > 50% Milch/Soja, 40% Milch/Soja selten akuten FPIES ist das heftige Erbrechen, einhergehend Sensibilisierungen bei > 35% mehr mit Durchfall, Bauchschmerzen, Kreislaufdekompensa- als 1 Nahrungsmittel Ernährung bei Formulamilch > 50% exklusiv Formulamilch tion und/oder Lethargie. Häufig wird eine Hypothermie Erstmanifestation gestillt festgestellt. Schwere Formen lassen sich daher von einer Prognose, Alter bei > 3 Jahre 1 bis 2 Jahre 1 bis 3 Jahre Sepsis oder einer schweren Dehydratation klinisch nicht zu erwartender unterscheiden. Die Diagnose FPIES wird häufig erst nach Heilung mehrmaligen Episoden gestellt. Diagnose: Die Diagnose basiert auf dem Hauptkriterium – 2/19 Pädiatrie 45
Schwerpunkt Literatur: Langzeittherapie und Wiedereinführung der Nahrung: 1. Halpert A et al.: What patients know about irritable bowel syndrome (IBS) and what Lässt sich das auslösende Nahrungsmittel anamnestisch they would like to know. National Survey on Patient Educational Needs in IBS and nicht eruieren, sind standardisierte Provokationen im development and validation of the Patient Educational Needs Questionnaire (PEQ). stationären Setting indiziert. Therapeutisch ist eine Am J Gastroenterol 2007; 102(9): 1972–1982. strikte Karenz der entsprechenden Nahrungsmittel ein- 2. Chumpitazi BP et al.: Self-perceived food intolerances are common and associated zuhalten. Beim flaschenernährten Säugling geschieht with clinical severity in childhood irritable bowel syndrome. J Acad Nutr Diet 2016; dies primär mit einer extensiv hydrolisierten beziehungs- 116(9): 1458–1464. 3. Curry A: Archaeology: The milk revolution. 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