NARREN UNTER SICH - 2 Euro - Arge für Obdachlose

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NARREN UNTER SICH - 2 Euro - Arge für Obdachlose
Arge für Obdachlose                                 Stra enzeitung von Randgruppen und sozial Benachteiligten

Ausgabe 209 ı FEBRUAR 2020 ı 1 Euro bleibt den VerkäuferInnen ı Achten Sie auf den Verkaufsausweis        2 Euro

                                                                   NARREN UNTER SICH
IMPRESSUM                      LESERBRIEFE UND REAKTIONEN

Die Straßenzeitung Kupfermuckn ist ein Angebot zur
                                                         Beeindruckende Ausgabe                            Die Zukunft liegt also im »Etwas-Werden«.
Selbsthilfe für Wohnungslose und für Menschen an oder
unter der Armutsgrenze. Unsere Zeitung versteht sich
                                                                                                           »Besser-Werden«, »Schneller-Werden«, »Ler-
als Sprachrohr für Randgruppen und deren Anliegen.       Liebes Redaktionsteam! Eure Kupfermuckn           nen« oder immer »Mehr-Haben-Wollen«.
Der Zeitungsverkauf und das Schreiben bringen neben
                                                         ist für mich eine Qualitätszeitung ersten Ran-    Hauptsache etwas werden, damit wir das, was
dem Zuverdienst das Gefühl, gemeinsam etwas ge-
schaffen zu haben. Von Wohnungslosigkeit Betroffene      ges, die ich mir immer gerne kaufe. Die Aus-      wir sind verändern können. Doch was SIND
bilden mit Mitarbeitern des Vereins »Arge für Obdach-    gabe 207 hat mich besonders beeindruckt und       wir? In der heutigen Gesellschaft ist es uns
lose« in partnerschaftlichem Verhältnis die Redaktion.
                                                         ich habe sie innerhalb eines Tages komplett       nicht erlaubt, einfach zu »sein«. Nämlich das,
Redaktion                                                gelesen. Der Artikel über »würdevolle Beiset-     was wir »sind«! Zeitlich gesehen bestimmt
Straßenzeitung Kupfermuckn, Marienstraße 11, 4020        zungen« und das Interview mit den Bestattern      unsere Vergangenheit das, was wir jetzt sind.
Linz, Tel. 0732/770805-13, kupfermuckn@arge-ob-
                                                         der Linz AG fanden mein Interesse. Die Ge-        Unsere Vergangenheit können wir aber nicht
dachlose.at, www.kupfermuckn.at
                                                         dichte von Ursula, Sigi, Roland und ganz be-      ändern. Also SIND wir schon das, was wir
Projektleitung, Koordination, Layout, Fotos:             sonders von Angela haben mich sehr berührt        sind. Wieso wollen wir das, was wir sind,
Heinz Zauner (hz), Chefredakteur
                                                         (in Angela steckt großes Talent). Bitte berich-   noch verändern? Um was zu erreichen? Dass
Daniela Warger (dw), Leitung Redaktion
                                                         tet weiterhin so engagiert über die Situation     das, was wir werden, wieder zur Vergangen-
Daniel Egger (de), Redaktion
Katharina Krizsanits (kk), Vertrieb                      und die Schicksale wohnungsloser Menschen         heit wird und unsere Gegenwart bestimmt, nur
Walter Hartl (wh), Layout, Technik
                                                         - das kann jedem vom uns sehr schnell passie-     um diese Gegenwart erneut zu verändern?
                                                         ren - damit zeigt ihr die Ursachen, die Mög-      Welchen Zweck soll das erfüllen? Damit wir
Redakteure: Angela, Anton, Anna Maria, August, Bertl,
Christine, Claudia, Helmut, Heinz, Johannes, Leo,        lichkeiten zur Verbesserung, Wege des guten       immer eine »bessere« Version unseres Selbst
Manfred F., Manfred R., Manfred S., Sonja, Ursula,
                                                         Zusammenlebens und vor allem die persönli-        sind, nur um dann festzustellen, dass sie uns
Walter; Freie Mitarbeiterin: Margit                                                                        wieder nicht genügt? Wo endet dieser Kreis-
                                                         chen Erfolgsgeschichten, die mich immer
Titelfoto (dw): »Ursula, die gute Fee«                   wieder beeindrucken. Mit einem herzlichem         lauf? Ich war - ich bin - ich werde sein. Das ist
Auflage: 30.000 Exemplare                                »Glück auf!« Toni Steinmetz (Wien)                das Muster in dem wir leben. Doch das Ein-
                                                                                                           zige was wirklich ist, ist, dass ich BIN! Das ist
Bankverbindung und Spendenkonto
Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz                                                            die zweifelsfreie Wirklichkeit. Alles andere
IBAN: AT461860000010635860, BIC: VKBLAT2L
                                                         Gedanken zu: »Sklaven der Zeit«                   existiert nur in unseren Gedanken. Können
                                                                                                           wir es schaffen, uns an diesem »Ich bin« fest-
Ausgabe in Linz, Wels, Steyr und Vöcklabruck             Was bedeutet Zeit für uns - »Zeit«? Abgese-       zuhalten, ohne uns dabei Sorgen um unsere
Menschen, die in Armut leben und ihren Lebensmittel-
punkt in Oberösterreich haben, können sich Montag bis    hen von Sonnenauf- und Sonnenuntergang?           Vergangenheit oder unserer Zukunft zu ma-
Freitag zwischen 8 und 12 Uhr bei den Ausgabestellen     Abgesehen von irgendwelchen Terminen, die         chen? »ICH BIN« ist das, was zählt. Dort gibt
melden und erhalten einen Verkäuferausweis. 50 Pro-      wir einhalten müssen? Zeit ist Vergangenheit,     es keinen Unterschied zwischen den Men-
zent des Verkaufspreises verbleiben den Verkäufern.
                                                         Gegenwart und Zukunft. Wer sind wir in der        schen, denn jeder Mensch IST. Egal wo er
Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz, Tel.,   Zeit? Welche Rolle spielen wir als Mensch in      herkommt oder wie er ausschaut, wieviel Geld
0732/770805-19                                           der Zeit? Das, was wir sind, ist die Gegenwart.   er hat oder wie viel oder wie wenig er besitzt!
Soziales Wohnservice Wels, E 37, Salzburgerstraße 46,
4600 Wels, Tel. 07242/290663                             Das, was wir waren ist die Vergangenheit und      Solange wir die Kraft des »Ich bin« nicht
Verein Wohnen Steyr, B 29, Hessenplatz 3, 4400 Steyr,    das, was wir sein werden, ist die Zukunft,        wahrnehmen, solange wird es einen Unter-
Tel. 07252/50 211                                        richtig? Also hat uns das, was wir waren dazu     schied geben, wird es Bewertungen geben, die
Verein Wohnungslosenhilfe Mosaik, Gmundner Straße
102, 4840 Vöcklabruck, Tel. 07672/75145                  gemacht, was oder wer wir heute sind. Und         Menschen in Schubladen steckt. Aber vor al-
                                                         das, was wir jetzt sind, werden wir auch in       lem werden wir das bleiben, was wir waren
Medieninhaber und Herausgeber                            Zukunft sein. Die Vergangenheit ist also un-      und in der Zukunft sein werden: Sklaven der
Vorstand des Vereines »Arge für Obdachlose«, Vorsit-
zende Mag.a Elisabeth Paulischin, Marienstraße 11,       sere Gegenwart und wird zu unserer Zukunft.       Zeit! Bernhard Albin
4020 Linz, www.arge-obdachlose.at

                       International
                       Die Kupfermuckn ist Mitglied      Achten Sie bitte auf den Verkaufsausweis!
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                       of Street Papers« INSP                                                                         Liebe Leserinnen und Leser!
                       www.street-papers.com

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                                                                                                                      und Verkäufern mit sichtbar getra-
                                                                                                                      genem und aktuellem Ausweis in
                                                                                                                      blauer Farbe. Nur so können Sie
                                                                                                                      sicher sein, dass auch wirklich die
                                                                                                                      Hälfte des Ertrages der Zielgruppe
                                                                                                                      zugute kommt: Wohnungslosen
                                                                                                                      und Menschen, die in Armut leben
                                                                                                                      und ihren Lebensmittelpunkt in
                                                                                                                      Ober­österreich haben.
2                      02/2020
Aus war es mit der Freiheit
Betroffene berichten über ihre Gefängnis-Erfahrungen

Zuerst saß ich wegen Betrugs,                    betrug. Ich schlief in Hotels, meist in Pensio-   nung und keine wirklichen Zukunftsperspek-
                                                 nen und bezahlte nichts, hatte dies auch nie      tiven. Also wenn die mich länger einsperren,
danach wegen Schwarzfahrens                      vor. Meine Strafe wurde zur Bewährung aus-        dachte ich mir, könnte das nur gut für mich
                                                 gesetzt: »Sechs Monate auf drei Jahre.« Zur       sein. Am nächsten Tag kam ich zu drei ande-
Ich war schon ein paar Mal im Gefängnis. Es      Bewährungshilfe musste ich jedoch nur zwei        ren Frauen in die Zelle. Nun hatte ich die
waren meist nur wenige Tage, worüber ich         Jahre gehen, weil der Richter gnädig mit mir      Möglichkeit, mich mit jemandem zu unterhal-
glücklich bin. Das erste Mal wurde ich mit       war. Ich war inzwischen verheiratet, hatte eine   ten. Eine war höchstens drei Jahre älter als
zwanzig verhaftet. Am Anfang war es ein rie-     fixe Arbeit und eine Wohnung. Eine sozusa-        ich. Sie wollte das Hauptpostamt am Bahnhof
sengroßer Schock. Aus war es mit der Frei-       gen »gute Sozialprognose«. In der »Nietz-         zu überfallen, was ihr aber nicht gelang. Sie
heit. Das war eigentlich nicht das Schlimmste,   schestraße« (Bundespolizeidirektion, Anm.)        zeigte mir die Kleidung, die sie dafür anhatte.
obwohl ich nicht wusste, wie lange ich drin-     saß ich dann nur noch wegen Schwarzfahrens.       Nicht unbedingt die übliche Bankräuber-Ver-
nen bleiben müsste, da die Urteilsverkündung     Beim ersten Mal erinnere ich mich noch, dass      kleidung. Sie streckte mir einen grellfarbenen
noch ausstand. Schlimm war die Einzelhaft, in    es eine lange Nacht war, da ich kaum schlafen     Pulli und eine ähnliche helle Hose entgegen.
die man mich steckte, da ich noch nie im Ge-     konnte. »Wie geht es nun weiter mit mir? Wie      Die konnte nur froh sein, dass es ein Versuch
fängnis war. Ich bin damals nur ins »Landl«      lange behalten die mich? Wie wird das Ge-         war und sie keine Waffe bei sich hatte. So be-
gekommen, weil ich nicht zur Verhandlung         richt über mich urteilen?« Solche Gedanken        kam sie keine längere Strafe aufgebrummt.
nach Steyr gefahren war. Am Anfang, als ich      geisterten in meinem Kopf herum. Na gut, ich      Die andere hatte ihren Freund auf dem Gewis-
auf der Straße landete, beging ich einen Miet-   hatte zu dieser Zeit keine Arbeit, keine Woh-     sen. Sie beging einen Totschlag. Die Dritte
                                                                                                                       02/2020                  3
hungen haben sich sehr wohl gelohnt, und
                                                                                                              darüber freue ich mich. Georg

                                                                                                              Alle brüllten dann: »Schleich
                                                                                                              di, du Drecksau«
                                                                                                              Ich bin jetzt 32 Jahre alt und war vor zehn
                                                                                                              Jahren für 18 Monate im Häfn. Als ich noch
                                                                                                              unbescholten war, dachte ich mir immer, dass
                                                                                                              es im Häfn echt schlimm sein muss. Und so
                                                                                                              denken sicher die meisten Leute. Aber ich
                                                                                                              muss sagen, wenn man ein korrekter Mensch
                                                                                                              ist, ist es erträglich. Ist man hingegen ein
                                                                                                              Arschloch, dann ist es im Häfn nicht grad be-
                                                                                                              quem. Trotz allem fehlt einem im Knast die
                                                                                                              Freiheit! Am schlimmsten wird man von den
                                                                                                              Mitinsassen behandelt, wenn man ein Kinder-
                                                                                                              schänder oder Vergewaltiger ist. Und das ist
                                                                                                              recht so. Ich habe es selbst einmal erlebt, wie
                                                                                                              ein verurteilter Vergewaltiger mit uns in den
                                                                                                              Sportraum gegangen ist. Er war nicht einmal
                                                                                                              eine Minute im Saal, als der Beamte zu ihm
                                                                                                              sagte, es wäre besser, wenn er wieder in sei-
                    Oben: Gefängnis in Garsten, Seite 3: Gestellte Szene. Fotos: hz
                                                                                                              nen Haftraum zurückginge. Denn alle brüllten
                                                                                                              laut: »Schleich di du Drecksau«. Als ich in
hatte mehrere Male einen Betrug begangen.                   in die Nietzsche-Straße in Polizeihaft.« Ich      U-Haft kam, war ich auf sechs Milligramm
Da sie eine Wiederholungstäterin war, musste                musste zum Erkennungsdienst. Es folgten die       Subutex eingestellt. Frau K. hat mich bei
sie dort länger verweilen. Ich konnte drei Tage             Abnahme meiner Fingerabdrücke, ein Foto           Haftantritt auf hundert Milligramm Methadon
später, nach der Urteilsverkündung wieder                   und die Einvernahme zum Delikt. Nur durch         umgestellt. Die Dosis war viel zu viel für
heimgehen. Vier Mal hatte ich dann nochmals                 die Intervention meines Rechtsanwaltes ent-       mich. Also spuckte ich jeden zweiten Tag die
die Gelegenheit, mich für ein paar Tage in                  kam ich einer einmonatigen Haftstrafe. Meine      Tabs aus und verkaufte sie weiter oder ver-
Polizeigewahrsam zu begeben. Meist hatte ich                Hausbank überwies die fällige Kaution, und        wendete sie als Tauschmittel. Aufgrund der
nette Zellengenossinnen. Man lernt aber auch                mein Anwalt holte mich nach Vorweis der           extrem hohen Dosis nahm ich innerhalb von
außerhalb der Gefängnismauern genug Men-                    Zahlungsbestätigung von der Polizeidirektion      sechs Monaten 50 Kilogramm zu. Selbst die
schen kennen, die einiges verbrochen haben.                 ab. Die zuständigen Polizei-Beamten verhiel-      älteste Beamtin, die kurz vor ihrer Pensionie-
Zu meinem Freundes- und Bekanntenkreis ge-                  ten sich mir gegenüber sachlich und fair. Für     rung stand, hatte so eine Gewichtszunahme
hören unter anderem Mörder, Einbrecher und                  mich war die Sache gegessen. Meinen Job           noch nie erlebt. Ich bin von meinem Wesen
Betrüger. Alle haben ihre Strafe verbüßt.                   hatte ich leider verloren und die darauffolgen-   her ein sehr korrekter Mensch und daher ging
Heuer erfuhr ich von einer Freundin, dass ein               den Jahre verliefen sehr holprig auf dem Weg      es mir im Häfn den Umständen entsprechend
Bekannter von uns auch im Gefängnis sitzt.                  zur Verbesserung meiner persönlichen Situa-       gut. Und ich bin total froh darüber, dass ich
Ich hätte nie vermutet, dass er ein Gewalttäter             tion. Viele Behördengänge, Arbeits- und Woh-      nicht mehr auf Bewährung bin. Seit fast zwei
ist. Er war immer ein ruhiger Mensch, mit                   nungssuche sowie Bittgesuche bei mehreren         Jahren wohne ich wieder in Steyr und bin echt
dem man auch lachen konnte. Er hat junge                    Sozialinstituten pflasterten meinen Weg zu        glücklich darüber, dass ich von einer Genos-
Mädchen missbraucht. Seit ich das weiß, be-                 dem Ziel, aus dem Schlamassel wieder her-         senschaft so eine super Wohnung bekommen
zeichne ich ihn nicht mehr als meinen Freund.               auszukommen. Durch meine Erfahrung klü-           habe. Davor hatte ich immer Wohnungen von
Er hat meines Erachtens das Abscheulichste                  ger geworden, vermied ich Aktionen und Re-        Privatvermietern und das war jedes Mal ein
getan, was ein Mensch nur tun kann. Sonja                   aktionen, welche mich eventuell in den Blick-     Reinfall. Jetzt bin ich auf der Suche nach Ar-
                                                            bereich der Exekutive gebracht hätten. Müh-       beit. Harald
                                                            sam war es auf jeden Fall, mich in die Norma-
Mein Anwalt holte mich von                                  lität zu begeben. Mit dem heurigen Jahr ver-
der Polizeidirektion ab                                     abschiede ich mich von all der Last, die mich     Der Pilot kam auf mich zu und
                                                            jahrzehntelang so gedrückt hatte. Meine Be-       nahm mir die Pistole weg
1987 war mein persönliches Katastrophen-                    denken gegen Polizei und Justiz haben sich
jahr. Wohnhaft im B37 in Linz, war ich vorü-                erledigt, denn sämtliche Ermittlungen gegen       Im Jahr 1992 nahm ich bei einem Flug mit der
bergehend in einer Leasingfirma tätig. Ich war              mich waren ja die Folge meines teilweise          »Lauda Air« nach Athen eine Plastikspiel-
verschuldet und alkoholabhängig. Es war an                  fragwürdigen Verhaltens. Im Nachhinein            zeug-Pistole mit. Die Waffe sah einer »Walter
einem Sonntagabend. Meine Reisetasche für                   muss ich sogar ein wenig schmunzeln, wie          ppk« sehr ähnlich. Diese wollte ich einem be-
die Abreise Montag früh war schon gepackt,                  uneinsichtig und dumm ich im meinen ärgsten       freundeten Jungen, den ich schon länger
als Polizeibeamte an meiner Zimmertür ge-                   Jahren agiert hatte. Ich werde mich in Zukunft    kannte, in Athen als Geschenk überreichen.
klopft hatten. Mir wurde Betrug vorgeworfen.                davor hüten, den Bogen zu überspannen. Eh-        Im Flugzeug saß ich neben einer sehr feschen
Ich bekam den Haftbefehl. Nun hieß es: »Ab                  renwort! Wenn es auch hart war, meine Bemü-       Frau, die angeblich als Reiseleiterin in Kreta
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arbeitete. Der wollte ich imponieren und          Einzelzelle. Als ich wieder auf freiem Fuß       mir gesagt, dass ich bis zu zehn Jahre Haft
zeigte ihr meine offene Fototasche, in der die    war, suchte ich mir einen neuen Schlafplatz.     bekommen könnte, weil ich schon vorbestraft
Pistole lag. Ich sagte, diese Pistole sei nicht   Im Keller eines öffentlichen Gebäudes fand       war. Ich war die ersten neun Monate in der
echt. Sie war aber amscheinend trotzdem sehr      ich Unterschlupf. Nur der Gebäude-Inhaber        Jugendvollzugsanstalt (JVA) in Wels. Nach
erschrocken. Auf dem Weg zur Toilette infor-      wusste von meinem Aufenthalt. Er erlaubte        sechs Monaten hatte ich dann die Verhand-
mierte sie dann heimlich das Flugpersonal.        mir, dort zu übernachten. Fast zwei Monate       lung. Die Strafe wurde auf fünf Jahre gesetzt.
Daraufhin kam der Pilot höchstpersönlich auf      konnte ich dort ungestört schlafen. Eines        Mein einziger Gedanke war: »Das ist jetzt
mich zu und nahm mir die Spielzeug-Pistole        Abends wollte ich mit zwei Freunden wieder       mein Ende.« Ich dachte auch an Suizid, aber
ab. Der Flughafen Athen wurde informiert          in meinen Keller gehen. Da war plötzlich ein     das konnte ich nicht, weil ich einerseits sehr
und einige Polizeibeamte holten mich aus          riesengroßes Schloss aus Eisen an der Tür an-    gläubig bin und andererseits dies meiner Fa-
dem Flugzeug. Drei Tage lang blieb ich in ei-     gebracht. Wir hatten keine Chance, reinzu-       milie nicht antun wollte. Darum versuchte ich,
nem Gefängnis in Athen. Die Zelle war sehr        kommen. Wir gingen zum Inhaber des Gebäu-        das Beste daraus zu machen. Alleine schon,
spartanisch. Ich schlief mit einer Decke am       des. Er meinte: »Ihr könnt im Nebengebäude       weil es in der JVA die Möglichkeit gibt, seinen
Boden. Das Essen war überraschend gut. Ich        schlafen, das gehört auch mir.« Als wir uns      Abschluss nachzuholen. Dann wurde ich zum
wurde einige Male vernommen und kam dann          auf den Weg dorthin machten, hörten wir noch     ersten Mal in ein größeres Gefängnis über-
vor Gericht. Ein Sozialarbeiter der Botschaft     Scheiben klirren, dachten uns aber nichts da-    stellt. Ich kam also in die Justizanstalt Stein in
hat übersetzt und mir sehr geholfen. Ich be-      bei. Kurze Zeit später standen circa 15 Poli-    Niederösterreich. Dort hatte ich nun also die
kam fünf Jahre Aufenthaltsverbot in Grie-         zisten vor uns. Sie schrien: »Runter auf den     Möglichkeit, eine Lehre als Tischler zu begin-
chenland. Aus Österreich reisten zwei Polizei-    Boden!« Dabei drückten sie uns ihre Waffen       nen. Die fünf Jahre sollten damit doch schnel-
beamte an, die mich zurück nach Wien brach-       an den Kopf, so fest, dass es weh tat. Dann      ler vergehen. Ich begann mit einem Lehrgang.
ten. Sie meinten, ich wäre zwar harmlos, aber     fesselten sie unsere Beine und Hände mit         Es dauerte 18 Monate, bis ich diesen mit gu-
wenn ich aggressiv würde, dann müssten sie        Handschellen. Wie Käfer lagen wir bewe-          tem Erfolg abgeschlossen hatte. Danach hatte
mir Handschellen anlegen. In vielen österrei-     gungslos am Boden. Mit einem Schub-Bus           ich jedoch noch drei Jahre in Haft zu überste-
chischen Zeitungen wurde groß von einer dro-      kamen wir ins Polizeirevier in der Nietzsche-    hen. Diese wollte ich sinnvoll nutzen. So be-
henden Flugzeug-Entführung berichtet. In der      straße. Dort wurden wir einzeln verhört und      gann ich noch eine Lehre als Friseur. Diesen
Kronen-Zeitung stand sogar: »Pistolen-Fucht-      mussten zwei Nächte separat in einer Zelle       Lehrgang gab es jedoch leider nicht in der JVA
ler in Lauda-Air-Maschine«. Nach sieben Jah-      verbringen. Dort erfuhren wir auch vom           Stein, sondern nur in Wien Simmering. Also
ren wollte ich mit dem Zug wieder einmal          Grund der Verhaftung. Wir wurden beschul-        wurde ich dorthin überstellt. Ich stellte mir
nach Griechenland reisen. An der Grenze           digt, die Fensterscheibe eingeschlagen zu ha-    diese Anstalt wie die Hölle vor, da es angeb-
wurde ich zurückgeschickt. Sie sagten mir,        ben. Ich vermute mal, dass wir reingelegt wur-   lich wie ein amerikanisches Gefängnis sein
dass mein Aufenthaltsverbot auf zehn Jahre        den. Es war furchtbar, ein Alptraum. Unschul-    sollte. Das fing schon bei den Mitgefangenen
verlängert worden war. Und so machte ich          dig saßen wir dort. Zigaretten gab es keine.     an. Das waren hauptsächlich junge Erwach-
nicht noch einmal Bekanntschaft mit einem         Schlimmer jedoch war, dass wir so behandelt      sene. Mit denen hatte ich nur Probleme, da ich
griechischen Gefängnis. Anton                     wurden. Jetzt gilt es für mich nur noch, meine   leider ein Außenseiter war. Dort waren die
                                                  Unschuld zu beweisen. Daniel                     meisten der Gefangenen aus Wien. Sie kann-
                                                                                                   ten sich fast alle untereinander. Doch ich war
Dabei drückten sie uns ihre Waf-                                                                   leider ein Fremder und kannte niemanden.
fen an den Kopf, dass es weh tat                  Ich schloss im Gefängnis eine                    Daher war ich ein gefundenes Fressen für die
                                                  Frisör-Lehre ab und wurde fit                    anderen. Es dauerte fast ein Jahr, bis ich end-
Ich lebe nun knapp drei Jahre auf der Straße.                                                      lich einen Freund - oder besser gesagt: einen
In Notschlafstellen finde ich keinen Platz, da    Ich war von 2009 bis 2013 wegen Besitzes         Verbündeten - fand. Wir passten aufeinander
ich deutscher Staatsbürger bin. Meinen Zelt-      von über einem Kilogramm Heroin in Haft.         auf. So konnte ich mich wieder auf meine
platz an der Donaulände musste ich im Früh-       Als ich im Februar 2009 verhaftet wurde,         Lehre konzentrieren und nebenbei auch noch
ling bereits räumen – drei Mal hatte mich die     dachte ich, mein Leben sei zu Ende. Ich war      mein Fitnesstraining aufrecht erhalten. Ge-
Polizei vertrieben. Damals war ich deswegen       zwanzig Jahre alt und hatte eine Freundin die    wichtheben war mein Hobby. Der Nachteil
zum ersten Mal in der »Nietzsche« in einer        ich sehr liebte. Bei meiner Verhaftung wurde     war nur, dass ich extrem zunahm. Daher war

                                                                                                                         02/2020                   5
Zufällig traf ich sie einige Tage danach in mei-
                                                                                                                nem Stammlokal. Ich war schon ziemlich be-
                                                                                                                trunken. Da sah ich, wie sie sich mit einem
                                                                                                                anderen an der Bar vergnügte. Und dann sah
                                                                                                                ich auch noch ein Packerl Tschick neben ihr
                                                                                                                liegen. Es war eindeutig meine Marke. Meine
                                                                                                                fünf Stangen Zigaretten waren also auch noch
                                                                                                                in ihrem Besitz, musste ich mit Entsetzen fest-
                                                                                                                stellen. Ziemlich wütend ging ich auf sie zu
                                                                                                                und forderte sie auf, mir diese sofort zu geben.
                                                                                                                Sie weigerte sich. In meiner Wut und Eifer-
                                                                                                                sucht packte ich sie am Kragen und riss ihr die
                                                                                                                Bluse runter. Nun stand sie nur noch im BH
                                                                                                                da. Sie war außer sich und verließ fluchtartig
                                                                                                                das Lokal. Was ich noch nicht wusste, war,
                                                                                                                dass sie zur Polizei ging und mich angezeigt
                                                                                                                hatte. Ich setzte mich seelenruhig auf meinen
                                                                                                                Stammplatz und bestellte ein Bier. Nach
                                                                                                                knapp 20 Minuten betraten zwei Polizisten
                                                                                                                das Lokal. Sie steuerten auf mich zu und for-
                                                                                                                derten mich auf, mitzukommen. Im Wachzim-
                                                                                                                mer musste ich Rede und Antwort stehen.
                                                                                                                Vollkommen außer mir vor Wut erzählte ich
                                                                                                                ihnen in meinem bereits bedenklichen, stark
                                                                                                                alkoholisierten Zustand, warum ich das getan
                                                                                                                hatte. Ich wurde dann auch noch ziemlich auf-
                                                                                                                müpfig gegenüber den Beamten. Bevor sie
                                                                                                                mich in die Ausnüchterungszelle steckten, lie-
                                                                                                                ßen sich mich blasen. Ich hatte über zwei Pro-
                                                                                                                mille im Blut. Die Handschellen klickten. Ich
                                                                                                                musste ihnen mein letztes Hab und Gut -
    Die Kupfermuckn-Redakteure waren in den ausgeliehenen Uniformen gleich voller Diensteifer. Foto: wh         meine ziemlich leere Geldtasche und ein halb-
                                                                                                                leeres Packerl Zigaretten aushändigen. In der
das Resultat erst nach Monaten an hartem                      Mein Inneres war richtig ausgeglichen. Ich        kleinen Zelle gab es nur eine Pritsche mit
Training zu sehen. Ich hatte also eine gute                   fühlte mich einfach gut und gesund! Bei mei-      Wolldecke und Polster drauf und ein Rinnsal,
Beschäftigung in der Haft, was meiner Psyche                  nem ersten Ausgang nach dreieinhalb Jahren        wo ich die Notdurft verrichten konnte. Die
sehr gut tat. Und meine Lehrausbildung hatte                  staunte ich, dass ich noch so viele und so gute   Pritsche war noch ziemlich blutverschmiert
ich ja auch noch. Diese dauerte noch 18 Mo-                   Freunde hatte. Ich hatte nur noch 86 Kilo-        von meinem Vorgänger. Da ich dort nicht
nate. Allerdings machte es im Gefängnis kein                  gramm und sah gut aus. In der Justiz hatte ich    schlafen konnte, blieb ich wach, bis der
gutes Bild, wenn man als Mann ein Friseur                     auch diverse Sachen aus Holz gemacht wie          nächste Tag anbrach. Die Beamten ließen
war. Dazu müsste man doch schwul sein,                        Bilderrahmen und kleine Sachen, die ich dann      mich dann nochmals blasen. Als ich dann end-
oder? Das bin ich aber auf keinen Fall. Meine                 den Beamten schenkte. Ich hatte auch in der       lich nüchtern war, durfte ich die Zelle verlas-
Mitgefangenen glaubten das jedoch trotzdem.                   Tischlerei der Justizanstalt gearbeitet, wo wir   sen. Ein paar Wochen später kam es dann zu
Am Anfang hatte ich deswegen fast täglich                     für andere Gefängnisse verschiedene Sachen        einer Verhandlung. Zur Strafe musste ich ihr
eine Schlägerei, aber mit der Zeit wurde es                   gemacht hatten. Der Vorteil der Friseurlehre      eine neue Bluse kaufen. Helmut
immer erträglicher, weil andere Häftlinge ka-                 war, dass ich meinen Mitgefangenen für eine
men, die interessanter waren als ich. Dann                    Packung Zigaretten die Haare schneiden
konnte ich mich wieder auf meine Lehre als                    konnte. Drei Monate vor meiner Entlassung
                                                                                                                Nummer zwei und ich bekamen
Friseur konzentrieren. Nach 18 Monaten hatte                  wurde ich als Freigänger eingestuft. Das war      das äußere Bett an der Wand
ich dann meine Gesellen-Prüfung. Die habe                     ein Vorteil, denn ab sofort durfte ich dann je-
ich sogar mit ausgezeichnetem Erfolg abge-                    des Wochenende nach Hause gehen. Ich              Als ich zum ersten Mal ins Gefängnis kam,
schlossen. Nach meiner Lehre musste ich wie-                  konnte endlich mein neues Leben in die Hand       waren es sechs Wochen im Polizei-Anhalte-
der zurück nach Stein. Als ich mit dem Justiz-                nehmen. 2013 wurde ich entlassen und saß          Zentrum. Ich hatte etwas Angst. Schon beim
Bus von Wien nach Stein fuhr, war mir be-                     seither nie wieder hinter Gittern. Rene           Einchecken ging es los. Überall lauerten Poli-
wusst, dass mir noch ein Jahr blieb. Erst dann                                                                  zeibeamte und Schubhäftlinge. Ich dachte mir,
winkte die Freiheit. Im letzten Jahr hatte ich                                                                  ich bin im falschen Film. Doch ich konnte ja
die Erlaubnis, Ausgänge zu machen. Ich war
                                                              Nach einer Eifersuchts-Tat kam                    nicht weg. Nach der Untersuchung durch den
wirklich stolz auf mich, dass ich die Haft so                 ich in die Ausnüchterungszelle                    Amtsarzt wurde ich in die mir zugewiesene
gut überstanden hatte. Das konnte ich den                                                                       Zelle gebracht. Es war eine circa zehn Quad-
zwei Ausbildungen verdanken, die ich ma-                      Vor einigen Jahren ging wieder einmal eine        ratmeter große Drei-Mann-Zelle. Darin befan-
chen durfte. Durch das Trainieren wurde ich                   meiner Beziehungen zu Ende. Meine sieben          den sich ein festgemachter Tisch, vier fixierte
sowohl körperlich als auch geistig stärker.                   Sachen lagen noch bei ihr in der Wohnung.         Hocker ohne Lehne, ein WC und ein Wasch-
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becken. Er war jedoch oben und unten offen,
so dass man immer gehört hat, wenn sich je-
mand darin aufgehalten hatte. Es waren be-
reits zwei Insassen in der Zelle. Einer meiner
Zellengenossen und ich bekamen das äußere
Bett an der Wand. Meine Habseligkeiten
musste ich in einem viel zu kleinen Spind ver-
stauen. Ein paar meiner Klamotten musste ich
in meinen Sporttaschen unter dem Bett lassen,
da für diese kein Platz mehr übrig war. Mein
Rasierzeug musste ich den Beamten abgeben,
da man sich oder andere damit verletzen hätte
können. Ich bekam einen halben Liter Becher,
eine Wolldecke, eine Plastikgabel und ein
Plastikmesser. »Nun gut, was soll es«, dachte
ich mir, »mach das Beste daraus«. Mit den
beiden Zellengenossen wurde ich schnell
warm, nicht falsch verstehen. Obwohl einer
der beiden wollte mich anscheinend testen, er
war schon über fünfzig und hatte sich mit den
anderen Insassen was ausgemacht. Wenn wir
duschen gingen, würde er den anderen ein
Zeichen geben, dass sie die Dusche verlassen      Wer einmal aus dem Schekel aß ...
sollten. Nachdem das auch so passiert war,
und wir beide in der Dusche waren, drückte        ... das Wiederkommen nie vergaß. Oder auf gut österreichisch »einmal Häfinger,
ich mir von meinem Duschgel etwas in die          immer Häfinger«. Im Gefängnis gibt es eine eigene Häfnsprache. Der »Schekel« war
Hand und rieb mir meinen Popo ein und sagte       beispielsweise der Blechnapf. Nachfolgend unser kleines Häfnlexikon:
zu ihm: »Für vierzig Euro kannst du mich ha-
ben.« Ich dachte, so jetzt hat es mich. Doch es   Schmoiz           		           Strafausmaß
kam ganz anders, mit dem hatte er nicht ge-       A Meter Schmoiz		              Ein Monat Gefängnis
rechnet. Schlussendlich stellte sich heraus,      Ein Frackerl 			               Lebenslänglich (20-25 Jahre)
dass er mit meinem Vater damals schon im          Verknacken, ausfassen 		       Verurteilen/verurteilt werden
Gefängnis gesessen war, und wir verstanden        Einen Nachschlag bekommen      Erneute Verurteilung
uns daraufhin sehr gut. Wir übernahmen dann       Knast, Häfn, Bau		             Gefängnis
sogar gemeinsam die Verteilung des Früh-          Kotter, Keller, Bunker		       Einzelhaft
stücks, des Mittags- und Abendessens - wenn       Stiften gehn, Beuli gehn 		    Ausbrechen
man das überhaupt so nennen durfte. Darüber       Ins Pendel haun 		             Sich erhängen
hinaus machten wir auch die Wäsche sauber         Schwedische Gardinen 		        Gitterstäbe
und putzten die Aufenthaltsräume. Zum Früh-       Füzn, Filzen			Leibesvisitation
stück gab es Kaffee oder Tee, ein Stück Butter,   Klavierspielen 			             Fingerabdrücke nehmen
Marmelade oder Honig und ein Stück Weiß-          Achter 				Handschellen
brot. Gut, dass man zweimal in der Woche          Bello 				                     Toilette in der Zelle
einkaufen konnte, so fehlte es uns an nichts.     KAS				Strafvollzugsbeamter
Der Neuzugang war in meinem Alter und er          				(kommt von Kaiserlich-Königlicher Arrestschließer)
hatte auch eine längere Zeit vor sich. Wir wa-    Fazi 				Hausarbeiter (Häftling)
ren alle drei Hausarbeiter, auch »Fazi« ge-       Kiwara, He, Kaplständer, Bulle Polizist
nannt. Es ging uns eigentlich sehr gut. Bis auf   Weisse Maus, Fliagade		        Motorradpolizist
das, dass wir eingesperrt waren. Am Anfang        Grüne Minna, Krokodil		        Arrestantenwagen
zählte ich aus lauter Langeweile die Fliesen,     Tatschkalist 			               Kinderschänder (stehen in der Hierarchie ganz unten)
die sich in unserem Bereich befanden. Es wa-      Eintübler 			Einbrecher
ren 774 ganze und 134 halbe Fliesen. Mit den      Bugl 				                      Leibwächter vom Kapo (Boss)
Beamten kam ich sehr gut aus, obwohl einer        A Reiberl (Bruch) gmocht       Raubüberfall verübt
dabei war, mit dem ich überhaupt nicht klar       Köch, Kelch			Streit, Auseinandersetzung
kam. Ich hatte eine Strafe von fast viertausend   Dachdecker			Psychologe
Euro und konnte diese auf vier Mal absitzen.      Speib, leg ob			               Gestehe!
Es war eine Erfahrung, die ich heutzutage         Schlick				Essen
nicht mehr machen möchte. Leider habe ich         Kitt, Bims 			                 Brot
dann noch einen ordentlichen Schaden ange-        Zackn				Gabel
richtet. Ich soll dafür fast 1.400 Euro Strafe    Ditsch, Feitl 			              Messer
zahlen oder zwei Wochen in Haft gehen. Ich        Wamser				                     Verräter, der gegen die Nichtkooperation
warte nun seit Monaten darauf, dass sie mich      				verstößt, wird streng bestraft
abholen. Ich habe Zeit. Christian                 				Gestelltes Foto: hz
                                                                                                             02/2020                7
Straffällig - was nun?
Josef Landerl vom Verein NEUSTART schildert verschiedene Hilfsangebote

                                                  Die Verurteilungen von Jugendlichen sind seit     den sind, bieten wir auch Einzelbetreuung für
                                                  2012 um 23,5 Prozent gesunken. Auch die           Personen an, die diese Voraussetzungen erfül-
                                                  begangenen Straftaten sind seit 2012 leicht       len, aber nicht in eine Gruppe passen. Wir se-
                                                  gesunken, wenn berücksichtigt wird, dass die      hen uns selbst als überparteiliche Expertenor-
                                                  Aufklärungsquote in diesem Zeitraum von           ganisation und stellen den Entscheidungsträ-
                                                  42,5 auf 52,5 Prozent gestiegen ist. Kurz ge-     gern gerne unsere Erfahrung und Expertise
                                                  sagt: Die Jugendlichen sind nicht krimineller     zur Verfügung.
                                                  geworden, sie werden dank besserer Polizei-
                                                  techniken nur öfter ausgeforscht und das ist      Welche Angebote und Unterstützungsmöglich-
                                                  grundsätzlich auch gut so. NEUSTART hat in        keiten gibt es von eurer Seite?
                                                  den letzten Jahren eine neue Methode entwi-       Der größte Bereich sind nach wie vor die Be-
                                                  ckelt, um die Haftzeiten von jugendlichen         treuungen in der Bewährungshilfe. In der Di-
Unsere Betroffenenberichte zeigen, wie            Straftätern so kurz wie möglich zu halten. Wir    version bieten wir den Tatausgleich und die
schnell man straffällig werden kann. In vie-      sprechen hier von der Sozialnetz-Konferenz.       Vermittlung gemeinnütziger Leistungen an.
len Fällen steckt keine böse Absicht dahin-       Dabei wird versucht, das soziale Netz des Ju-     Menschen, die aus der Haft entlassen werden,
ter. Dennoch kommt es immer wieder zu             gendlichen zu aktivieren und alle Beteiligten     finden bei der Haftentlassenenhilfe Unterstüt-
Delikten. Im Gespräch mit dem Leiter von          zu einer Konferenz einzuladen. Dort wird ein      zung. Darüber hinaus gehören auch der elekt-
NEUSTART Oberösterreich erötern wir               Plan entwickelt, wie der Jugendliche in Frei-     ronisch überwachte Hausarrest (»Fußfessel«)
Hilfsmöglichkeiten für straffällig gewor-         heit mit Unterstützung seines Umfelds zu-         und das betreute Wohnen zu unserem Leis-
dene Personen. Das Ziel ist ein Leben ohne        rechtkommen kann. Aufgrund dieses Plans           tungsangebot. In Linz stehen dafür 26 Woh-
Kriminalität.                                     entscheidet dann der Richter, ob der Jugendli-    nungen zur Verfügung, in denen Menschen
                                                  che aus der U-Haft entlassen werden kann. Im      leben, die eigenständiges Wohnen und Leben
Welche Delikte sind die häufigsten in Öster-      Falle einer Entlassung wird er dann sehr inten-   erst wieder erlernen müssen. In unserer Werk-
reich?                                            siv von der Bewährungshilfe betreut.              statt werden Klienten bei der Reintegration in
Bei weitem am häufigsten sind Vermögensde-                                                          den Arbeitsmarkt unterstützt. Beim Programm
likte. Auch bei NEUSTART landen Täter/Tat-        Gibt es Wünsche oder Forderungen an die           »Dialog statt Hass« wird mit Personen gear-
verdächtige am häufigsten wegen Vermögens-        Politik bezüglich rechtlicher Lage? Stichwort     beitet, die im Internet Hasspostings getätigt
delikten. Dann in deutlichem Abstand Delikte      Gewaltschuztpaket ...                             haben und uns von den Gerichten bzw. Staats-
gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit und      Wenn man etwas verändern will, funktioniert       anwaltschaften zugewiesen werden. Außer-
Suchmitteldelikte.                                das aus unserer Sicht über Betreuung, Infor-      dem gibt es auch noch pädagogisch begleitete
                                                  mation, Konfrontation und Auseinanderset-         Rundgänge in der KZ-Gedenkstätte Mauthau-
Unsere Medien vermitteln oft den Eindruck,        zung. Eine Strafverschärfung führt nicht zur      sen für Menschen, die gegen das Verbotsge-
dass der Großteil der Straftaten von Nicht-       gewünschten Reduktion von Straftaten. Es          setz verstoßen haben, aber keine fundamenta-
Österreichern verübt wird. Stimmt das?            müssen sowohl für den Opferschutz als auch        listischen Rechten oder Nazis sind. Dieses
Nein, diese Aussage stimmt nicht. Es gab in       für die Täterarbeit ausreichend finanzielle       Angebot richtet sich an Jugendliche und junge
den letzten Jahren zwar einen Anstieg fremder     Mittel zur Verfügung gestellt werden. Es gäbe     Erwachsene. Im Projekt »Startwohnungen«
Tatverdächtiger, aber die Mehrheit der Tatver-    genügend gute Konzepte und Betreuungsan-          bieten wir Menschen, die direkt aus der Haft
dächtigen, ungefähr 60 Prozent, sind Österrei-    gebote, aber es braucht auch den politischen      kommen, für die Dauer von acht Wochen eine
cher und auch bei den Verurteilungen liegen       Willen dazu, diese umzusetzen. Momentan           Unterkunft. Während dieser Zeit suchen sie
diese vorne. Es gibt aber einzelne Delikte, bei   haben wir ein Projekt mit dem Land Oberös-        sich mit Unterstützung eines Sozialarbeiters
denen die Aussage stimmt, wie zum Beispiel        terreich, bei dem es um die Betreuung von         eine eigene Wohnung. Insgesamt stehen fünf
Menschenhandel oder Geldwäsche.                   gewaltbereiten Asylwerberinnen und Asyl-          Wohnungen in Oberösterreich zur Verfügung.
                                                  werbern geht. Neben Präventionsveranstal-         Grundsätzlich liegt unsere Kernkompetenz in
Medial auch stark vertreten ist immer das         tungen in den Asyleinrichtungen und Anti-         der Auseinandersetzung mit dem Delikt, der
Thema Jugendkriminalität. Wie sieht es in die-    Gewalt-Trainings für Menschen, die in den         sogenannten Deliktverarbeitung. Dabei han-
sem Bereich aus?                                  Unterkünften durch Gewalt auffällig gewor-        delt es sich um eine gezielte, nach einem stan-
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dardisierten Programm ablaufende Auseinan-
dersetzung mit der Straftat mit dem klaren
Ziel, weitere Straftaten zu vermeiden.

Was ist die lustigste Straftat, die dir in deiner
Berufslaufbahn zu Ohren gekommen ist?
Wir haben vor ein paar Jahren eine Zuweisung
im Tatausgleich bekommen, weil ein junger
Mann einer Frau in der Diskothek in den Hin-
tern gebissen hatte. Offensichtlich fand er sie
attraktiv, hatte schon einiges an Alkohol kon-
sumiert und wurde zudem von seinem Freun-
deskreis dazu animiert. Die Frau hatte danach
einen Bluterguss am Allerwertesten und
konnte ihrem Beruf für mehrere Wochen nicht
nachgehen. Natürlich musste ihr der junge
Mann den Verdienstentgang zahlen. Das
Wichtigste für die Opfer im Tatausgleich ist in
der Regel aber eine aufrichtige und ernst ge-
meinte Entschuldigung. Foto und Text: de

  Kriminalstatistik 2018                            »Zuapeckt von der Hand bis zum Hals«
  Ein paar Zahlen aus der polizeilichen             Eine eigene Subkultur entwickelt sich in den Gefängnissen. Neben der Sprache gibt es
  Kriminalstatistik 2018 für Österreich             eine eigene Kultur der Tätowierungen (Häfnpeckerl), der Kommunikation (Kassi-
  (jene aus dem Jahr 2019 steht noch nicht          berln), des Einkaufes (Ausspeisung) bis hin zum Schnapsbrennen (Pomatchka).
  zur Verfügung):
                                                    Häfnpeckerl = Tätowierungen
  Anzeigen insgesamt: 472.981
  Aufklärungsquote: 52,5 Prozent                    Tätowierungen werden meist mit selbstgebautem Werkzeug gestochen. Oft werden
  Täter nach Geschlecht:                            Infektionen übertragen, weil es an der nötigen Hygiene mangelt. Fast alle
       80 Prozent männlich                          Tatoos haben auch eine Bedeutung oder geben eine Haltung wieder. Zum Beispiel:
       20 Prozent weiblich                          Drei Punkte zwischen Daumen und Zeigefinger = »Nichts sehen! Nichts hören! Nichts
  Opfer nach Geschlecht:                            sagen!«, also absolute Nichtkooperation mit den Beamten. Wer dieses ungeschriebene
       57 Prozent männlich                          Gesetz nicht einhält und redet, ist ein Wamser (Verräter) und wird streng bestraft.
       43 Prozent weiblich                          Weintrauben = Jahre, die man im Gefängnis verbracht hat
  Tatverdächtige nach Herkunft:                     Träne unter dem Auge = wenn man einen Toten hatte
       60 Prozent Inländer
       40 Prozent Fremde                            Kassiber = geheime Botschaft
  8 Mord: Insgesamt 73 getötete Men-
     schen (41 Frauen und 32 Männer)                Wichtig sind im Gefängnis die Mittel einer geheimen Kommunikation und Weitergabe
  8 Vergewaltigung: 936 Anzeigen we-                von nicht immer ganz legalen Gegenständen wie Alkohol oder Drogen.
     gen versuchter und vollendeter Ver-            Pendeln = Mit einer Schnur an der Außenwand der Anstalt Gegenstände von Fenster zu
     gewaltigung                                    Fenster übergeben
  8 Raub: 1.928 Fälle                               Kassiberln = Briefe oder sonstiges über dritte Personen weitergeben.
  8 Vollendete Eigentumsdelikte:149.074             Telefonieren über die Klomuschel = Das Wasser wird aus der Klomuschel gepumpt.
     Fälle                                          Danach kann man mit seinem Zellennachbarn reden. Wenn es »Gluck, Gluck« macht,
  8 Trickbetrug: 2.928 Fälle (vor allem             weiß man, dass irgendwer telefonieren will.
     der »Enkeltrick« wurde 2018 oft an-
     gewendet). Anstieg um 57,3 Prozent             Ausspeisung = Einkauf
     im Vergleich zu 2017.
  8 Internetkriminalität: 19.627 ver-               Einmal pro Woche kann man um die Hälfte des Arbeitgeldes einkaufen gehen. Bevor-
     suchte und vollendete Fälle. Anstieg           zugte Produkte sind Späne (Zigaretten), Bündl Heu (Tabak) oder eine Bombe (Löskaf-
     um 16,8 Prozent im Vergleich zu                fee).
     2017.
  8 Suchtmittel: 41.044 Anzeigen nach               Pomatchka = selbst Gebrannter Schnaps, Angesetzer
     dem Suchtmittelgesetz.
                                                    Man gebe Reis, Obst und Germ in einen Plastiksack und lasse ihn luftdicht verschlos-
  Quelle: Die polizeiliche Kriminalsta­tistik       sen einige Wochen liegen. Daraus wird mit Hilfe zweier Blechdosen, Tauchsieder und
  2018 des Bundesministeriums für Inneres.          einem Schlauch der bis zu 25-prozentige Häfnschnaps gebrannt. Schmeckt scheiße,
                                                    aber tut gut. Foto: dw
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Fahrschein bitte!
Wenn Armutsgefährdete beim Schwarzfahren erwischt werden, ist die Lage besonders dramatisch

Weil ich mich weigerte,                          Bregenz Hauptbahnhof.« Ich traute meinen        einem nicht geplanten Stopp im Arlbergge-
                                                 Augen nicht, als ich aus dem Fenster sah und    biet, da ich vom Schaffner ohne Fahrschein
wurde die Polizei gerufen                        ich feststellen musste, dass ich wirklich in    angetroffen wurde. Weil ich mich weigerte,
                                                 Bregenz war. Ich musste den Zug verlassen       einen zu kaufen, wurde die Polizei gerufen.
Vor einigen Jahren hielt ich mich am Bahnhof     und ich wusste nicht, wo ich denn schlafen      Erst nach drei Stunden durfte ich die Fahrt
Linz auf. Mir war extrem kalt, da es tiefster    sollte. So ging ich zum Sicherheitsdienst und   wieder fortsetzen, da ich mir ein Ticket kaufte,
Winter war. Ich ging auf das Bahngleis und       erzählte ihm, was geschehen war. Er war sehr    aber nur bis Innsbruck, Hauptsache ich hatte
dachte mir, ich fahre nach Salzburg auf ein      freundlich und sperrte mir den Warteraum auf.   meine Ruhe vor den Cops. Es war saukalt und
Bier. Da ich schon sehr müde war, schlief ich    Dort durfte ich die Nacht im Warmen verbrin-    ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte.
nach kurzer Zeit ein. Als ich geweckt wurde,     gen, was mir sehr recht war, da es draußen      Ich kaufte mir dann noch ein paar Bier, damit
sagte jemand zu mir: »Aussteigen bitte, End-     minus 15 Grad hatte. Am nächsten Morgen         ich keinen Entzug bekäme. Ich freute mich
station!« Ich fragte, ob wir schon in Salzburg   wurde ich geweckt. Mit dem nächsten EC          schon auf den Anschlusszug, da es bei 20
seien. Doch ich bekam als Antwort: »Nein,        durfte ich die Heimreise antreten, jedoch mit   Grad unter Null und circa zwei Meter Schnee
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nicht lustig ist, im Freien auf den Zug zu war-     dem nackten Steinboden, wo ich für mich al-       Strafe zahlen, da ich seiner Meinung nach
ten. Ich war heilfroh, als ich wieder in Linz       leine einen kleinen Raum hatte, lediglich ei-     schwarzgefahren war, da es ja nicht meine
angekommen war und mit meinen Kollegen              nige Pappkartons und den Schlafsack als Un-       Karte war. Dazu gab er mir die ausgeborgte
das ein oder andere Bier genießen konnte.           terlage. Als im Mai dann die afrikanische         Jahreskarte auch nicht mehr zurück. Weiters
Solch eine Reise werde ich sicher nicht mehr        Hitze mit bis zu über 40 Grad Celsius gekom-      musste ich meinen Freund, dem die Buskarte
im Winter machen, und schon gar nicht ohne          men ist, wurde die entbehrungsreiche Arbeit       gehörte, verständigen, damit er sich die abge-
gültigen Fahrschein. Manfred S.                     dort unzumutbar und ich beschloss, wieder         nommene Karte von den Stadtbetrieben wie-
                                                    aufs Festland zurückzukehren. Zum Glück           der zurückholen konnte. Ich finde das echt
                                                    hatte ich mir vorher schon etwas Geld vom         voll beschissen, denn es kann denen doch egal
Es folgten insgesamt mehrere                        Mund abgespart, um die Schiffspassage be-         sein, wem die Jahreskarte gehört. Denn die
Monate Knast für diese Kleinigkeit                  zahlen zu können. In Piräus angekommen,           Jahreskarte ist nicht billig und war bezahlt.
                                                    habe ich den Zugbahnhof in Athen nicht ge-        Und dadurch, dass sie bezahlt war, kann je-
Für mich war es früher ganz normal, ohne            funden. Ich war gezwungen, mir ein Taxi zu        dem egal sein, wer damit unterwegs ist. Aber
Fahrschein unterwegs zu sein – egal ob mit          nehmen, um dorthin zu gelangen. Mein Geld         bei den Kontrolleuren geht es einfach nur ums
der Linz AG oder mit den ÖBB. Meine Ein-            reichte gerade noch für eine Fahrkarte bis        Aufschreiben und sie finden immer wieder
stellung war ganz einfach: Wofür ein Ticket         Thessaloniki. Bei der Weiterfahrt von dort hat    einen Grund, um dich abzustrafen, als würde
kaufen, wenn es ohne auch geht? Doch ich            mich schließlich der Schaffner mitten in der      es um eine Provision gehen. Der absolute
wurde in ein paar Jahren einige hundert Mal         Pampa auf einem kleinen Bahnhof ausgesetzt.       Hammer von einem Kontrolleur, der mich
ohne Fahrschein angetroffen. Jedes Mal folgte       Zu Fuß ging es daraufhin weiter Richtung          aufschrieb, war meiner Meinung nach, als ich
eine Anzeige. Am Anfang war es für mich             Grenze bis zur nächsten Ortschaft. Dort sah       am Busbahnhof einstieg. Es standen mehrere
nicht so lustig, aber ich gewöhnte mich mit         ich ein Reisemobil mit deutschem Kennzei-         Leute beim Ticketautomaten an, um ein Busti-
der Zeit daran. Es folgten insgesamt mehrere        chen geparkt. Ich wartete, bis die Eigentümer     cket zu lösen. Und so ist es sich nicht ausge-
Monate Knast für diese Kleinigkeit. Am An-          - ein Mann mit seiner Frau - zurückkamen und      gangen, dass ich dann beim Merkurmarkt, das
fang gab ich einfach eine falsche Adresse und       fragte sie, ob ich bis zur Grenze mitfahren       ist eine Station weiter, eine Karte hatte. Wenn
einen falschen Wohnort an, da ich mir dachte,       dürfte. Zum Glück haben sie mich mitgenom-        zwei Leute vor dir sind und ebenfalls eine
dadurch einer Strafe entgehen zu können. Ei-        men. Beim Grenzübertritt nach Mazedonien          Karte runterlassen, dann dauert das halt. Aber
nes Tages kamen die RSA-Briefe dann doch            war ein großer LKW-Terminal mit Duty-Free-        natürlich wurde ich erneut aufgeschrieben
an die richtige Adresse. Zu Spitzenzeiten wa-       Shop. Ich fragte einmal einen Hamburger           und musste wieder 80 Euro Strafe zahlen.
ren es oft acht bis zehn Strafen in der Woche,      Fernfahrer, ob er mich mitnehmen könnte. Er       Doch ich bezahlte diese beiden Strafen nicht,
die ich allesamt ignorierte. Heute bin ich im-      antwortete mir, dass er nur bis Budapest fahre,   da ich meiner Meinung nach im Recht war.
mer mit gültigem Fahrschein unterwegs, da           drückte mir jedoch einen Zehn-Mark-Schein         Ich legte sogar Protest ein und erklärte die
ich der Meinung bin, dass es doch kein Kava-        mit den Worten: »Kauf dir etwas zu Essen« in      ganze Situation schriftlich der Polizei und
liersdelikt ist, ohne Ticket auf Reisen zu ge-      die Hand. Man kann sich vorstellen, welch         auch dem Gericht. Und bei den Stadtbetrieben
hen. Und ich will schon gar nicht mehr wegen        »abgefuckten« Eindruck ich bereits hinterlas-     legte ich ebenfalls eine Beschwerde ein. Aber
solch einer Kleinigkeit in den Knast gehen.         sen hatte. Statt Essen kaufte ich mir eine        was ich auch unternahm und tat, das alles
Ich könnte mir auch sehr gut vorstellen, Sozi-      Stange Rothändel-Zigaretten ohne Filter, da ja    half           mir nichts. Es blieb natürlich
alstunden zu leisten, statt eine Ersatzfreiheits-   bekanntlich das Rauchen das Hungergefühl                           bei der Anzeige und ich sollte
strafe abzusitzen. Denn ich finde, ein Schwarz-     unterdrücken sollte. Zu guter Letzt hatte ich
fahrer ist ja kein Verbrecher und gehört daher      dann Glück. Ein Fernfahrer aus Niederöster-
auch nicht hinter Gitter! Leo                       reich nahm mich mit. Er lenkte einen Kühl-
                                                    tankwagen mit Fruchtsaft. In der Nähe von
                                                    Graz bin ich dann ausgestiegen und habe den
Mitten in der Pampa auf                             Bahnhof aufgesucht. Damals konnte man
einem Bahnhof ausgesetzt                            noch eine Zugkarte per Erlagschein erwerben.
                                                    Damit fuhr ich dann nach Salzburg zu meiner
Mitte der achtziger Jahre habe ich fast ein hal-    Schwester, die mich in den drauffolgenden
bes Jahr als Tagelöhner auf Kreta gelebt. In        Tagen nach und nach wieder aufpäppeln
der Mitte der Insel, in Mires, gab es am Haupt-     konnte. August
platz ein Café namens »Antonio«, wo sich ab
7 Uhr morgens die Einheimischen einfanden,
um sich ihre Arbeitskräfte für den Tag abzu-
                                                    Ich wurde aufgeschrieben und
holen. Wir waren etwa ein Dutzend Ausstei-          musste 80 Euro Strafe zahlen
ger, die versucht haben, auf diese Art ihr Le-                                                                                     Eine ermäßigte
ben zu bestreiten. Man lebte praktisch von der      Der erste Ärger von mehreren, die ich im Bus                                   Monatskarte mit
Hand in den Mund. Für einen Tag Arbeit be-          mit Kontrolleuren hatte, ergab sich dadurch,
                                                                                                                                   dem Aktivpass
kam man etwa 3.000 Drachmen. Das Leben              dass ich mit einer ausgeborgten Jahreskarte
dort war teuer, sodass der Großteil des ver-        unterwegs war. Der nervige Mann wollte ei-                                     kostet in Linz 13,50
dienten Geldes für die Grundbedürfnisse             nen Ausweis von mir sehen. Da dies aber nicht                                  Euro. Schwarzfahren
draufging. Hatte man einmal keine Arbeit, so        meine Karte war, passte der Name nicht über-                                   ein erhöhtes Fahr­-
musste man darben. Geschlafen habe ich in           ein. Ab da fingen die Probleme an. Erstens                                     geld von 70 Euro.
einem alten unbewohnten Abbruchhaus auf             wurde ich aufgeschrieben und musste 80 Euro
                                                                                                                         02/2020                   11
insgesamt 160 Euro Strafe zahlen. Doch ich
                                                                                              war mir keines Fehlers bewusst und wollte es
                                                                                              nicht akzeptieren. Also zahlte ich die Strafe
                                                                                              auch nicht. Keinen Monat später stand die
                                                                                              Polizei bei mir und verhaftete mich wegen
                                                                                              dieser offenen Geldstrafe. Damals wurde ich
                                                                                              für vier Tage nach Wels gebracht, da man in
                                                                                              Steyr wegen solcher Delikte nicht mehr einsit-
                                                                                              zen kann. Nach diesen vier Tagen wurde ich
                                                                                              vor die Türe gesetzt und stand ohne Geld in
                                                                                              Wels. Wie sollte ich zurück nach Steyr kom-
                                                                                              men? Also ging ich in Wels zum Bahnhof und
                                                                                              fuhr dieses Mal, da ich kein Geld hatte, wirk-
                                                                                              lich schwarz und nichts passierte. Ich sah
                                                                                              nicht mal einen Kontrolleur. Irgendwie iro-
                                                                                              nisch oder nicht? (Autor der Redaktion be-
                                                                                              kannt)

Sollen Schwarzfahrer ins Gefängnis?                                                           Ich kam zum Glück immer mit
Eigentlich lohnt es sich in Linz wirklich nicht, mit dem öffentlichen Verkehrsmit-            einem blauen Auge davon
teln schwarz zu fahren. Der Aktivpass für Menschen mit geringen Einkommen
ermöglicht eine Monatskarte zum Preis von 13 Euro. Ermäßigte Tarife für Ju-                   Insgesamt wurde ich drei Mal beim Schwarz-
gendliche, Senioren oder Jahreskarten gibt es ebenfalls. Und trotzdem fehlt dem               fahren erwischt. Eine gute Bilanz. Denn ich
einen oder anderen das Kleingeld, wenn man von einem Ort zum anderen muss,                    bin schon mindestens 20 Mal ohne Karte in
oder weil es im Winter draußen zu kalt ist und man sich einfach aufwärmen will.               den Öffis gesessen. Das war zu jener Zeit, als
Da es im Verwaltungsstrafrecht keine Diversion, d.h. keine Alternativen zur Haft-             ich völlig pleite war und es noch keinen Ak-
strafe gibt, landen Schwarzfahrer dann oft sogar hinter Gittern.                              tivpass gegeben hat. Bei der ersten Kontrolle
                                                                                              wurde ich in Wien erwischt, als ich mit der
Nach einer Attacke auf einen Schwarzfahrer im März 2019, die großes öffentliches              U-Bahn von der Kaserne zum Bahnhof fuhr.
Aufsehen erregte, löste die Stadt Linz den Vertrag mit der privaten Sicherheitsfirma,         Da war ich 22 Jahre alt. Damals musste ich
die bis dahin die Fahrgäste kontrolliert hatte, auf. Davor waren drei Prozent der kont-       200 Schilling bezahlen. Das war zu jener Zeit
rollierten Fahrgäste ohne Fahrschein unterwegs. In Straßenbahnen und Bussen wurden            eine ordentliche Summe, noch dazu war ich
jährlich 42.000 Schwarzfahrer ertappt. Das erhöhte Fahrgeld beträgt 70 Euro, wenn             beim Bundesheer und hatte nur 30 Schilling
man ohne Ticket erwischt wird. Bezahlt man nicht, wird über das Verwaltungsstraf-             pro Woche zur Verfügung. Das zweite Mal
recht eine Geldstrafe verhängt und zugleich wird für den Fall der Uneinbringlichkeit          passierte es in der Straßenbahn in Linz. Die
eine Ersatzfreiheitsstrafe festgesetzt. »Ist die Geldstrafe uneinbringlich, ist die festge-   Kontrolleure waren human. Sie ließen mich
setzte Ersatzfreiheitsstrafe in Vollzug zu setzen (www.oesterreich.gv.at).« Das halten        gehen, als sie dann sahen, dass ich wirklich
wir von der Kupfermuckn für absolut unangemessen. Es müsste auch im Verwaltungs-              ganz dringend zum Zug musste. Beim dritten
strafrecht Alternativen geben, wie zum Beispiel gemeinnützige Arbeit. Im Strafrecht           Mal wurde ich dann nochmals in Linz er-
muss man schon einiges auf dem Kerbholz haben, um zu einer unbedingten Haftstrafe             wischt. Auch da hatte ich wieder einmal
verurteilt zu werden. Da müssen endlich sinnvolle Alternativen geschaffen werden!             Glück. Ich fuhr in der Früh in die Arbeit. Ich
                                                                                              war Leasingarbeiter bei der Müllabfuhr. Da
                                                                                              ich nur einen Fünf-Euro-Schein eingesteckt
Täglich werden 300.000 Personen mit den Öffis befördert                                       hatte, der vom Automaten nicht angenommen
                                                                                              wurde, stieg ich ohne Fahrschein in die
8 Die öffentlichen Verkehrsmittel der LINZ LINIEN zählten im Geschäftsjahr 2018               »Bim«. Kurz vor dem Aussteigen wurde ich
  insgesamt 113 Millionen Personenbeförderungen. Durchschnittlich werden pro Tag              kontrolliert. Ich erklärte den Uniformierten
  mehr als 300.000 Personen befördert.                                                        mein Problem. Sie schickten mich zu einer
8 Personen mit Linzer Aktivpass können um 13,50 Euro eine Monatskarte erhalten.               Security-Firma. Da musste ich einen Zettel
  Den Aktivpass erhält man bis zu einem Nettoeinkommen von 1.254 Euro (Richtsatz              ausfüllen und die Karte herzeigen. Auch da
  2019). Einzelfahrscheine und Mehrfahrtenkarten: MINI (Langstreckenkarte), MIDI              bin ich mit einem blauen Auge davon gekom-
  (24-h-Karte)                                                                                men. Statt der üblichen 80 Euro Strafe kostete
8 Derzeit kostet ein 24-h-Karte 4,80 Euro, eine MIDI Karte (Langstrecke) 2,40 Euro            mich das Ganze nur 7,90 Euro. Das war die
  und eine MINI Karte 1,30 Euro (maximal vier Haltestellen)                                   Schreibgebühr. Zum Glück musste ich solche
8 AST-Taxi: In der Nacht nutzten mehr als 75.000 Personen das Anrufsammeltaxi, das            Strafen nie absitzen. Einen Tipp an alle Aktiv-
  neben dem Linzer Stadtgebiet noch elf Nachbargemeinden bedient.                             pass-Besitzer: Bitte tragt die Nummer auf der
8 Nachtlinie: Seit dem Kulturhauptstadtjahr verkehren die Straßenbahnen am Wo-                Monatskarte, die in der Trafik erhältlich ist,
  chenende auch nachts.                                                                       ein, sonst gilt die Monatskarte nicht und ihr
8 Linz hat mit 108.000 täglichen Pendlern die höchste Einpendlerquote in Österreich.          müsst Strafe für Schwarzfahren zahlen! Text:
  Text und Foto: hz, (Quelle Linz AG)                                                         Helmut, Foto Seite 10: hz
12                  02/2020
Rein ins Narrenkleid
 Das würde ich gerne sein ...!              Eigentlich wollte ich immer eine Prinzessin werden ...
 Im Fasching kann man seine vertraute       Insgeheim glaube ich, dass es vielen Mädchen so gegangen ist
 Persönlichkeit hinter sich lassen und in   wie mir. Eigentlich wollte ich, als ich noch klein war, immer
 eine Rolle schlüpfen, die man sich im-     eine Prinzessin werden. Und dann träumte ich so vor mich hin,
 mer schon ersehnt hat. Ein Narrenkleid     dass mich eines Tages ein Prinz auf seinem weißen Pferd abho-
 kann einem noch fremde Persönlich-         len kommt und mich in sein schönes Schloss (es hätte auch eine
 keits-Anteile offenbaren. Beim Kos-        große Burg sein können) mitnimmt. Und dann hätte dieser fe-
 tümverleih der Stadt Linz konnten die      sche Jüngling mich auf Händen getragen. Eine Prinzessin auf
 Kupfermuckn-Redakteure ihre All-           der Erbse wäre ich keine geworden, denn schlafen konnte ich
 tagsrolle kurz ablegen und in ihr          immer schon sehr gut. Aschenputtel hätte auch nicht so ganz zu
 Traumkostüm schlüpfen. Bei einer           mir gepasst. In meinen Träumen hätte ich viele Menschen um
 Auswahl von tausenden Klamotten            mich gehabt, die alles taten, um mich glücklich zu machen,
 war das gar nicht so einfach. Schließ-     denn schließlich hat ein Prinz ja Angestellte. Mein blonder
 lich hat dann doch jeder sein Kostüm       Prinz mit blauen Augen und ich hätten Reisen gemacht, denn so
 und durfte für kurze Zeit die neue         ein Vertreter eines Königshauses hat ja über seine Länder hin-
 Rolle genießen. An dieser Stelle ein       aus Verpflichtungen. Viele Kinder würden in unserem Haus
 herzliches Dankeschön an die Kos-          leben, denn so ein Prinz braucht Nachfahren. Wir wären glück-
 tümwerkstatt für die Unterstützung.        lich gewesen bis an unser Ende. Doch bei uns gibt es keine
 Wir hatten wieder viel Spaß!               Märchen-Prinzen, die Angestellte haben, hübsch und jung sind.
 Kostümwerkstatt, Hauptplatz 15,            So habe ich schon früh erkannt: eine Prinzessin kann ich leider
 4020 Linz / Tel.: +43/732/784540           nicht werden. Text: Sonja, Fotos: dw, hz
                                                                                             02/2020          13
Als weibliche Priesterin, verheiratet mit einen Mann als Nonne, brechen
                                                                                wir sämtliche Gesetze der Keuschheit. Im Mittelalter wäre ich wohl als
                                                                                            Ketzerin, Hure oder Hexe verbrannt oder gefoltert worden.
                                                                                           Gottseidank leben wir in einer toleranteren Zeit. Gelobt und
                                                                                                   gepriesen sei der Herr im Himmel. Halleluja! Claudia

                                                                            Als Nonne würde ich das Gelübde wohl jeden Tag unzählige Male brechen.
                                                                               Gott allein weiß, welche Hure - egal ob Mann oder Frau - ich hinter der
                                                                                     Verkleidung bin. Gesegnet ist die Verschwiegenheitspflicht. Walter

                 Wo die Liebe hinfällt ...

                                                                     Mit 13 wollte ich Pilot oder
                                                              Schauspieler werden. In den 60er
                                                           Jahren hinterließen die Western mit
                                                            John Wayne oder Filme mit Charlie
                                                            Chaplin einen großen Eindruck bei
                                                           mir. Mit dem Piloten ist es nichtsge-
                                                            worden – ich wurde Kfz-Mechani-
                              Ja, was bin ich denn? Ein    ker. Und den Schauspiel-Traum lebe
                              Hochstapler, der immer         ich im ARGE-Theater aus, was mir
                              ein As im Ärmel hat? Oder              Freude bereitet. Manfred S.
                              George Washington, der
                              erste US Präsident? Weder
                                                                                                         »Charlie« der ARGE
                              noch - ich bin bloß ein
                              irischer Kobold! Heiku

                                  Als Kind wollte ich Kapitän,
                                  doch heute lieber Sozialminister
     Ein irischer Kobold          werden. Ich engagiere mich seit
                                  Jahren bei der Armutskonferenz.
                                  Als Minister würde ich mich für
                                  leistbares Wohnen einsetzen.                                                             In Märchen und Sagen
                                                      Bertl                                                                spielen Feen eine Rolle.
                                                                                                                           Und weil die helle Seite
                                                                                                                           in mir überwiegt, wäre
                                                                                                                           ich gerne eine gute
                                                                                                                           Fee, die nicht nur be-,
                                                                                                                           sondern auch verzau-
                                                                                                                           bern könnte. Ich würde
                                                                                                                           unter anderem Trumps
                                                                                                                           leeres Herz mit Liebe zu
                                                                                                                           Mensch und Tier füllen
                                                                                                                           und seine Augen für die
                                                                                                                           wirklichen Bedürfnisse
                                                                                                                           seiner Mitmenschen
        Ich mache Politik mit Herz                                                    Die gute Fee                         öffnen. Ursula

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