NARREN UNTER SICH - 2 Euro - Arge für Obdachlose
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Arge für Obdachlose Stra enzeitung von Randgruppen und sozial Benachteiligten Ausgabe 209 ı FEBRUAR 2020 ı 1 Euro bleibt den VerkäuferInnen ı Achten Sie auf den Verkaufsausweis 2 Euro NARREN UNTER SICH
IMPRESSUM LESERBRIEFE UND REAKTIONEN Die Straßenzeitung Kupfermuckn ist ein Angebot zur Beeindruckende Ausgabe Die Zukunft liegt also im »Etwas-Werden«. Selbsthilfe für Wohnungslose und für Menschen an oder unter der Armutsgrenze. Unsere Zeitung versteht sich »Besser-Werden«, »Schneller-Werden«, »Ler- als Sprachrohr für Randgruppen und deren Anliegen. Liebes Redaktionsteam! Eure Kupfermuckn nen« oder immer »Mehr-Haben-Wollen«. Der Zeitungsverkauf und das Schreiben bringen neben ist für mich eine Qualitätszeitung ersten Ran- Hauptsache etwas werden, damit wir das, was dem Zuverdienst das Gefühl, gemeinsam etwas ge- schaffen zu haben. Von Wohnungslosigkeit Betroffene ges, die ich mir immer gerne kaufe. Die Aus- wir sind verändern können. Doch was SIND bilden mit Mitarbeitern des Vereins »Arge für Obdach- gabe 207 hat mich besonders beeindruckt und wir? In der heutigen Gesellschaft ist es uns lose« in partnerschaftlichem Verhältnis die Redaktion. ich habe sie innerhalb eines Tages komplett nicht erlaubt, einfach zu »sein«. Nämlich das, Redaktion gelesen. Der Artikel über »würdevolle Beiset- was wir »sind«! Zeitlich gesehen bestimmt Straßenzeitung Kupfermuckn, Marienstraße 11, 4020 zungen« und das Interview mit den Bestattern unsere Vergangenheit das, was wir jetzt sind. Linz, Tel. 0732/770805-13, kupfermuckn@arge-ob- der Linz AG fanden mein Interesse. Die Ge- Unsere Vergangenheit können wir aber nicht dachlose.at, www.kupfermuckn.at dichte von Ursula, Sigi, Roland und ganz be- ändern. Also SIND wir schon das, was wir Projektleitung, Koordination, Layout, Fotos: sonders von Angela haben mich sehr berührt sind. Wieso wollen wir das, was wir sind, Heinz Zauner (hz), Chefredakteur (in Angela steckt großes Talent). Bitte berich- noch verändern? Um was zu erreichen? Dass Daniela Warger (dw), Leitung Redaktion tet weiterhin so engagiert über die Situation das, was wir werden, wieder zur Vergangen- Daniel Egger (de), Redaktion Katharina Krizsanits (kk), Vertrieb und die Schicksale wohnungsloser Menschen heit wird und unsere Gegenwart bestimmt, nur Walter Hartl (wh), Layout, Technik - das kann jedem vom uns sehr schnell passie- um diese Gegenwart erneut zu verändern? ren - damit zeigt ihr die Ursachen, die Mög- Welchen Zweck soll das erfüllen? Damit wir Redakteure: Angela, Anton, Anna Maria, August, Bertl, Christine, Claudia, Helmut, Heinz, Johannes, Leo, lichkeiten zur Verbesserung, Wege des guten immer eine »bessere« Version unseres Selbst Manfred F., Manfred R., Manfred S., Sonja, Ursula, Zusammenlebens und vor allem die persönli- sind, nur um dann festzustellen, dass sie uns Walter; Freie Mitarbeiterin: Margit wieder nicht genügt? Wo endet dieser Kreis- chen Erfolgsgeschichten, die mich immer Titelfoto (dw): »Ursula, die gute Fee« wieder beeindrucken. Mit einem herzlichem lauf? Ich war - ich bin - ich werde sein. Das ist Auflage: 30.000 Exemplare »Glück auf!« Toni Steinmetz (Wien) das Muster in dem wir leben. Doch das Ein- zige was wirklich ist, ist, dass ich BIN! Das ist Bankverbindung und Spendenkonto Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz die zweifelsfreie Wirklichkeit. Alles andere IBAN: AT461860000010635860, BIC: VKBLAT2L Gedanken zu: »Sklaven der Zeit« existiert nur in unseren Gedanken. Können wir es schaffen, uns an diesem »Ich bin« fest- Ausgabe in Linz, Wels, Steyr und Vöcklabruck Was bedeutet Zeit für uns - »Zeit«? Abgese- zuhalten, ohne uns dabei Sorgen um unsere Menschen, die in Armut leben und ihren Lebensmittel- punkt in Oberösterreich haben, können sich Montag bis hen von Sonnenauf- und Sonnenuntergang? Vergangenheit oder unserer Zukunft zu ma- Freitag zwischen 8 und 12 Uhr bei den Ausgabestellen Abgesehen von irgendwelchen Terminen, die chen? »ICH BIN« ist das, was zählt. Dort gibt melden und erhalten einen Verkäuferausweis. 50 Pro- wir einhalten müssen? Zeit ist Vergangenheit, es keinen Unterschied zwischen den Men- zent des Verkaufspreises verbleiben den Verkäufern. Gegenwart und Zukunft. Wer sind wir in der schen, denn jeder Mensch IST. Egal wo er Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz, Tel., Zeit? Welche Rolle spielen wir als Mensch in herkommt oder wie er ausschaut, wieviel Geld 0732/770805-19 der Zeit? Das, was wir sind, ist die Gegenwart. er hat oder wie viel oder wie wenig er besitzt! Soziales Wohnservice Wels, E 37, Salzburgerstraße 46, 4600 Wels, Tel. 07242/290663 Das, was wir waren ist die Vergangenheit und Solange wir die Kraft des »Ich bin« nicht Verein Wohnen Steyr, B 29, Hessenplatz 3, 4400 Steyr, das, was wir sein werden, ist die Zukunft, wahrnehmen, solange wird es einen Unter- Tel. 07252/50 211 richtig? Also hat uns das, was wir waren dazu schied geben, wird es Bewertungen geben, die Verein Wohnungslosenhilfe Mosaik, Gmundner Straße 102, 4840 Vöcklabruck, Tel. 07672/75145 gemacht, was oder wer wir heute sind. Und Menschen in Schubladen steckt. Aber vor al- das, was wir jetzt sind, werden wir auch in lem werden wir das bleiben, was wir waren Medieninhaber und Herausgeber Zukunft sein. Die Vergangenheit ist also un- und in der Zukunft sein werden: Sklaven der Vorstand des Vereines »Arge für Obdachlose«, Vorsit- zende Mag.a Elisabeth Paulischin, Marienstraße 11, sere Gegenwart und wird zu unserer Zukunft. Zeit! Bernhard Albin 4020 Linz, www.arge-obdachlose.at International Die Kupfermuckn ist Mitglied Achten Sie bitte auf den Verkaufsausweis! beim »International Network of Street Papers« INSP Liebe Leserinnen und Leser! www.street-papers.com Bitte kaufen Sie die Kupfermuckn ausschließlich bei Verkäuferinnen und Verkäufern mit sichtbar getra- genem und aktuellem Ausweis in blauer Farbe. Nur so können Sie sicher sein, dass auch wirklich die Hälfte des Ertrages der Zielgruppe zugute kommt: Wohnungslosen und Menschen, die in Armut leben und ihren Lebensmittelpunkt in Oberösterreich haben. 2 02/2020
Aus war es mit der Freiheit Betroffene berichten über ihre Gefängnis-Erfahrungen Zuerst saß ich wegen Betrugs, betrug. Ich schlief in Hotels, meist in Pensio- nung und keine wirklichen Zukunftsperspek- nen und bezahlte nichts, hatte dies auch nie tiven. Also wenn die mich länger einsperren, danach wegen Schwarzfahrens vor. Meine Strafe wurde zur Bewährung aus- dachte ich mir, könnte das nur gut für mich gesetzt: »Sechs Monate auf drei Jahre.« Zur sein. Am nächsten Tag kam ich zu drei ande- Ich war schon ein paar Mal im Gefängnis. Es Bewährungshilfe musste ich jedoch nur zwei ren Frauen in die Zelle. Nun hatte ich die waren meist nur wenige Tage, worüber ich Jahre gehen, weil der Richter gnädig mit mir Möglichkeit, mich mit jemandem zu unterhal- glücklich bin. Das erste Mal wurde ich mit war. Ich war inzwischen verheiratet, hatte eine ten. Eine war höchstens drei Jahre älter als zwanzig verhaftet. Am Anfang war es ein rie- fixe Arbeit und eine Wohnung. Eine sozusa- ich. Sie wollte das Hauptpostamt am Bahnhof sengroßer Schock. Aus war es mit der Frei- gen »gute Sozialprognose«. In der »Nietz- zu überfallen, was ihr aber nicht gelang. Sie heit. Das war eigentlich nicht das Schlimmste, schestraße« (Bundespolizeidirektion, Anm.) zeigte mir die Kleidung, die sie dafür anhatte. obwohl ich nicht wusste, wie lange ich drin- saß ich dann nur noch wegen Schwarzfahrens. Nicht unbedingt die übliche Bankräuber-Ver- nen bleiben müsste, da die Urteilsverkündung Beim ersten Mal erinnere ich mich noch, dass kleidung. Sie streckte mir einen grellfarbenen noch ausstand. Schlimm war die Einzelhaft, in es eine lange Nacht war, da ich kaum schlafen Pulli und eine ähnliche helle Hose entgegen. die man mich steckte, da ich noch nie im Ge- konnte. »Wie geht es nun weiter mit mir? Wie Die konnte nur froh sein, dass es ein Versuch fängnis war. Ich bin damals nur ins »Landl« lange behalten die mich? Wie wird das Ge- war und sie keine Waffe bei sich hatte. So be- gekommen, weil ich nicht zur Verhandlung richt über mich urteilen?« Solche Gedanken kam sie keine längere Strafe aufgebrummt. nach Steyr gefahren war. Am Anfang, als ich geisterten in meinem Kopf herum. Na gut, ich Die andere hatte ihren Freund auf dem Gewis- auf der Straße landete, beging ich einen Miet- hatte zu dieser Zeit keine Arbeit, keine Woh- sen. Sie beging einen Totschlag. Die Dritte 02/2020 3
hungen haben sich sehr wohl gelohnt, und darüber freue ich mich. Georg Alle brüllten dann: »Schleich di, du Drecksau« Ich bin jetzt 32 Jahre alt und war vor zehn Jahren für 18 Monate im Häfn. Als ich noch unbescholten war, dachte ich mir immer, dass es im Häfn echt schlimm sein muss. Und so denken sicher die meisten Leute. Aber ich muss sagen, wenn man ein korrekter Mensch ist, ist es erträglich. Ist man hingegen ein Arschloch, dann ist es im Häfn nicht grad be- quem. Trotz allem fehlt einem im Knast die Freiheit! Am schlimmsten wird man von den Mitinsassen behandelt, wenn man ein Kinder- schänder oder Vergewaltiger ist. Und das ist recht so. Ich habe es selbst einmal erlebt, wie ein verurteilter Vergewaltiger mit uns in den Sportraum gegangen ist. Er war nicht einmal eine Minute im Saal, als der Beamte zu ihm sagte, es wäre besser, wenn er wieder in sei- Oben: Gefängnis in Garsten, Seite 3: Gestellte Szene. Fotos: hz nen Haftraum zurückginge. Denn alle brüllten laut: »Schleich di du Drecksau«. Als ich in hatte mehrere Male einen Betrug begangen. in die Nietzsche-Straße in Polizeihaft.« Ich U-Haft kam, war ich auf sechs Milligramm Da sie eine Wiederholungstäterin war, musste musste zum Erkennungsdienst. Es folgten die Subutex eingestellt. Frau K. hat mich bei sie dort länger verweilen. Ich konnte drei Tage Abnahme meiner Fingerabdrücke, ein Foto Haftantritt auf hundert Milligramm Methadon später, nach der Urteilsverkündung wieder und die Einvernahme zum Delikt. Nur durch umgestellt. Die Dosis war viel zu viel für heimgehen. Vier Mal hatte ich dann nochmals die Intervention meines Rechtsanwaltes ent- mich. Also spuckte ich jeden zweiten Tag die die Gelegenheit, mich für ein paar Tage in kam ich einer einmonatigen Haftstrafe. Meine Tabs aus und verkaufte sie weiter oder ver- Polizeigewahrsam zu begeben. Meist hatte ich Hausbank überwies die fällige Kaution, und wendete sie als Tauschmittel. Aufgrund der nette Zellengenossinnen. Man lernt aber auch mein Anwalt holte mich nach Vorweis der extrem hohen Dosis nahm ich innerhalb von außerhalb der Gefängnismauern genug Men- Zahlungsbestätigung von der Polizeidirektion sechs Monaten 50 Kilogramm zu. Selbst die schen kennen, die einiges verbrochen haben. ab. Die zuständigen Polizei-Beamten verhiel- älteste Beamtin, die kurz vor ihrer Pensionie- Zu meinem Freundes- und Bekanntenkreis ge- ten sich mir gegenüber sachlich und fair. Für rung stand, hatte so eine Gewichtszunahme hören unter anderem Mörder, Einbrecher und mich war die Sache gegessen. Meinen Job noch nie erlebt. Ich bin von meinem Wesen Betrüger. Alle haben ihre Strafe verbüßt. hatte ich leider verloren und die darauffolgen- her ein sehr korrekter Mensch und daher ging Heuer erfuhr ich von einer Freundin, dass ein den Jahre verliefen sehr holprig auf dem Weg es mir im Häfn den Umständen entsprechend Bekannter von uns auch im Gefängnis sitzt. zur Verbesserung meiner persönlichen Situa- gut. Und ich bin total froh darüber, dass ich Ich hätte nie vermutet, dass er ein Gewalttäter tion. Viele Behördengänge, Arbeits- und Woh- nicht mehr auf Bewährung bin. Seit fast zwei ist. Er war immer ein ruhiger Mensch, mit nungssuche sowie Bittgesuche bei mehreren Jahren wohne ich wieder in Steyr und bin echt dem man auch lachen konnte. Er hat junge Sozialinstituten pflasterten meinen Weg zu glücklich darüber, dass ich von einer Genos- Mädchen missbraucht. Seit ich das weiß, be- dem Ziel, aus dem Schlamassel wieder her- senschaft so eine super Wohnung bekommen zeichne ich ihn nicht mehr als meinen Freund. auszukommen. Durch meine Erfahrung klü- habe. Davor hatte ich immer Wohnungen von Er hat meines Erachtens das Abscheulichste ger geworden, vermied ich Aktionen und Re- Privatvermietern und das war jedes Mal ein getan, was ein Mensch nur tun kann. Sonja aktionen, welche mich eventuell in den Blick- Reinfall. Jetzt bin ich auf der Suche nach Ar- bereich der Exekutive gebracht hätten. Müh- beit. Harald sam war es auf jeden Fall, mich in die Norma- Mein Anwalt holte mich von lität zu begeben. Mit dem heurigen Jahr ver- der Polizeidirektion ab abschiede ich mich von all der Last, die mich Der Pilot kam auf mich zu und jahrzehntelang so gedrückt hatte. Meine Be- nahm mir die Pistole weg 1987 war mein persönliches Katastrophen- denken gegen Polizei und Justiz haben sich jahr. Wohnhaft im B37 in Linz, war ich vorü- erledigt, denn sämtliche Ermittlungen gegen Im Jahr 1992 nahm ich bei einem Flug mit der bergehend in einer Leasingfirma tätig. Ich war mich waren ja die Folge meines teilweise »Lauda Air« nach Athen eine Plastikspiel- verschuldet und alkoholabhängig. Es war an fragwürdigen Verhaltens. Im Nachhinein zeug-Pistole mit. Die Waffe sah einer »Walter einem Sonntagabend. Meine Reisetasche für muss ich sogar ein wenig schmunzeln, wie ppk« sehr ähnlich. Diese wollte ich einem be- die Abreise Montag früh war schon gepackt, uneinsichtig und dumm ich im meinen ärgsten freundeten Jungen, den ich schon länger als Polizeibeamte an meiner Zimmertür ge- Jahren agiert hatte. Ich werde mich in Zukunft kannte, in Athen als Geschenk überreichen. klopft hatten. Mir wurde Betrug vorgeworfen. davor hüten, den Bogen zu überspannen. Eh- Im Flugzeug saß ich neben einer sehr feschen Ich bekam den Haftbefehl. Nun hieß es: »Ab renwort! Wenn es auch hart war, meine Bemü- Frau, die angeblich als Reiseleiterin in Kreta 4 02/2020
arbeitete. Der wollte ich imponieren und Einzelzelle. Als ich wieder auf freiem Fuß mir gesagt, dass ich bis zu zehn Jahre Haft zeigte ihr meine offene Fototasche, in der die war, suchte ich mir einen neuen Schlafplatz. bekommen könnte, weil ich schon vorbestraft Pistole lag. Ich sagte, diese Pistole sei nicht Im Keller eines öffentlichen Gebäudes fand war. Ich war die ersten neun Monate in der echt. Sie war aber amscheinend trotzdem sehr ich Unterschlupf. Nur der Gebäude-Inhaber Jugendvollzugsanstalt (JVA) in Wels. Nach erschrocken. Auf dem Weg zur Toilette infor- wusste von meinem Aufenthalt. Er erlaubte sechs Monaten hatte ich dann die Verhand- mierte sie dann heimlich das Flugpersonal. mir, dort zu übernachten. Fast zwei Monate lung. Die Strafe wurde auf fünf Jahre gesetzt. Daraufhin kam der Pilot höchstpersönlich auf konnte ich dort ungestört schlafen. Eines Mein einziger Gedanke war: »Das ist jetzt mich zu und nahm mir die Spielzeug-Pistole Abends wollte ich mit zwei Freunden wieder mein Ende.« Ich dachte auch an Suizid, aber ab. Der Flughafen Athen wurde informiert in meinen Keller gehen. Da war plötzlich ein das konnte ich nicht, weil ich einerseits sehr und einige Polizeibeamte holten mich aus riesengroßes Schloss aus Eisen an der Tür an- gläubig bin und andererseits dies meiner Fa- dem Flugzeug. Drei Tage lang blieb ich in ei- gebracht. Wir hatten keine Chance, reinzu- milie nicht antun wollte. Darum versuchte ich, nem Gefängnis in Athen. Die Zelle war sehr kommen. Wir gingen zum Inhaber des Gebäu- das Beste daraus zu machen. Alleine schon, spartanisch. Ich schlief mit einer Decke am des. Er meinte: »Ihr könnt im Nebengebäude weil es in der JVA die Möglichkeit gibt, seinen Boden. Das Essen war überraschend gut. Ich schlafen, das gehört auch mir.« Als wir uns Abschluss nachzuholen. Dann wurde ich zum wurde einige Male vernommen und kam dann auf den Weg dorthin machten, hörten wir noch ersten Mal in ein größeres Gefängnis über- vor Gericht. Ein Sozialarbeiter der Botschaft Scheiben klirren, dachten uns aber nichts da- stellt. Ich kam also in die Justizanstalt Stein in hat übersetzt und mir sehr geholfen. Ich be- bei. Kurze Zeit später standen circa 15 Poli- Niederösterreich. Dort hatte ich nun also die kam fünf Jahre Aufenthaltsverbot in Grie- zisten vor uns. Sie schrien: »Runter auf den Möglichkeit, eine Lehre als Tischler zu begin- chenland. Aus Österreich reisten zwei Polizei- Boden!« Dabei drückten sie uns ihre Waffen nen. Die fünf Jahre sollten damit doch schnel- beamte an, die mich zurück nach Wien brach- an den Kopf, so fest, dass es weh tat. Dann ler vergehen. Ich begann mit einem Lehrgang. ten. Sie meinten, ich wäre zwar harmlos, aber fesselten sie unsere Beine und Hände mit Es dauerte 18 Monate, bis ich diesen mit gu- wenn ich aggressiv würde, dann müssten sie Handschellen. Wie Käfer lagen wir bewe- tem Erfolg abgeschlossen hatte. Danach hatte mir Handschellen anlegen. In vielen österrei- gungslos am Boden. Mit einem Schub-Bus ich jedoch noch drei Jahre in Haft zu überste- chischen Zeitungen wurde groß von einer dro- kamen wir ins Polizeirevier in der Nietzsche- hen. Diese wollte ich sinnvoll nutzen. So be- henden Flugzeug-Entführung berichtet. In der straße. Dort wurden wir einzeln verhört und gann ich noch eine Lehre als Friseur. Diesen Kronen-Zeitung stand sogar: »Pistolen-Fucht- mussten zwei Nächte separat in einer Zelle Lehrgang gab es jedoch leider nicht in der JVA ler in Lauda-Air-Maschine«. Nach sieben Jah- verbringen. Dort erfuhren wir auch vom Stein, sondern nur in Wien Simmering. Also ren wollte ich mit dem Zug wieder einmal Grund der Verhaftung. Wir wurden beschul- wurde ich dorthin überstellt. Ich stellte mir nach Griechenland reisen. An der Grenze digt, die Fensterscheibe eingeschlagen zu ha- diese Anstalt wie die Hölle vor, da es angeb- wurde ich zurückgeschickt. Sie sagten mir, ben. Ich vermute mal, dass wir reingelegt wur- lich wie ein amerikanisches Gefängnis sein dass mein Aufenthaltsverbot auf zehn Jahre den. Es war furchtbar, ein Alptraum. Unschul- sollte. Das fing schon bei den Mitgefangenen verlängert worden war. Und so machte ich dig saßen wir dort. Zigaretten gab es keine. an. Das waren hauptsächlich junge Erwach- nicht noch einmal Bekanntschaft mit einem Schlimmer jedoch war, dass wir so behandelt sene. Mit denen hatte ich nur Probleme, da ich griechischen Gefängnis. Anton wurden. Jetzt gilt es für mich nur noch, meine leider ein Außenseiter war. Dort waren die Unschuld zu beweisen. Daniel meisten der Gefangenen aus Wien. Sie kann- ten sich fast alle untereinander. Doch ich war Dabei drückten sie uns ihre Waf- leider ein Fremder und kannte niemanden. fen an den Kopf, dass es weh tat Ich schloss im Gefängnis eine Daher war ich ein gefundenes Fressen für die Frisör-Lehre ab und wurde fit anderen. Es dauerte fast ein Jahr, bis ich end- Ich lebe nun knapp drei Jahre auf der Straße. lich einen Freund - oder besser gesagt: einen In Notschlafstellen finde ich keinen Platz, da Ich war von 2009 bis 2013 wegen Besitzes Verbündeten - fand. Wir passten aufeinander ich deutscher Staatsbürger bin. Meinen Zelt- von über einem Kilogramm Heroin in Haft. auf. So konnte ich mich wieder auf meine platz an der Donaulände musste ich im Früh- Als ich im Februar 2009 verhaftet wurde, Lehre konzentrieren und nebenbei auch noch ling bereits räumen – drei Mal hatte mich die dachte ich, mein Leben sei zu Ende. Ich war mein Fitnesstraining aufrecht erhalten. Ge- Polizei vertrieben. Damals war ich deswegen zwanzig Jahre alt und hatte eine Freundin die wichtheben war mein Hobby. Der Nachteil zum ersten Mal in der »Nietzsche« in einer ich sehr liebte. Bei meiner Verhaftung wurde war nur, dass ich extrem zunahm. Daher war 02/2020 5
Zufällig traf ich sie einige Tage danach in mei- nem Stammlokal. Ich war schon ziemlich be- trunken. Da sah ich, wie sie sich mit einem anderen an der Bar vergnügte. Und dann sah ich auch noch ein Packerl Tschick neben ihr liegen. Es war eindeutig meine Marke. Meine fünf Stangen Zigaretten waren also auch noch in ihrem Besitz, musste ich mit Entsetzen fest- stellen. Ziemlich wütend ging ich auf sie zu und forderte sie auf, mir diese sofort zu geben. Sie weigerte sich. In meiner Wut und Eifer- sucht packte ich sie am Kragen und riss ihr die Bluse runter. Nun stand sie nur noch im BH da. Sie war außer sich und verließ fluchtartig das Lokal. Was ich noch nicht wusste, war, dass sie zur Polizei ging und mich angezeigt hatte. Ich setzte mich seelenruhig auf meinen Stammplatz und bestellte ein Bier. Nach knapp 20 Minuten betraten zwei Polizisten das Lokal. Sie steuerten auf mich zu und for- derten mich auf, mitzukommen. Im Wachzim- mer musste ich Rede und Antwort stehen. Vollkommen außer mir vor Wut erzählte ich ihnen in meinem bereits bedenklichen, stark alkoholisierten Zustand, warum ich das getan hatte. Ich wurde dann auch noch ziemlich auf- müpfig gegenüber den Beamten. Bevor sie mich in die Ausnüchterungszelle steckten, lie- ßen sich mich blasen. Ich hatte über zwei Pro- mille im Blut. Die Handschellen klickten. Ich musste ihnen mein letztes Hab und Gut - Die Kupfermuckn-Redakteure waren in den ausgeliehenen Uniformen gleich voller Diensteifer. Foto: wh meine ziemlich leere Geldtasche und ein halb- leeres Packerl Zigaretten aushändigen. In der das Resultat erst nach Monaten an hartem Mein Inneres war richtig ausgeglichen. Ich kleinen Zelle gab es nur eine Pritsche mit Training zu sehen. Ich hatte also eine gute fühlte mich einfach gut und gesund! Bei mei- Wolldecke und Polster drauf und ein Rinnsal, Beschäftigung in der Haft, was meiner Psyche nem ersten Ausgang nach dreieinhalb Jahren wo ich die Notdurft verrichten konnte. Die sehr gut tat. Und meine Lehrausbildung hatte staunte ich, dass ich noch so viele und so gute Pritsche war noch ziemlich blutverschmiert ich ja auch noch. Diese dauerte noch 18 Mo- Freunde hatte. Ich hatte nur noch 86 Kilo- von meinem Vorgänger. Da ich dort nicht nate. Allerdings machte es im Gefängnis kein gramm und sah gut aus. In der Justiz hatte ich schlafen konnte, blieb ich wach, bis der gutes Bild, wenn man als Mann ein Friseur auch diverse Sachen aus Holz gemacht wie nächste Tag anbrach. Die Beamten ließen war. Dazu müsste man doch schwul sein, Bilderrahmen und kleine Sachen, die ich dann mich dann nochmals blasen. Als ich dann end- oder? Das bin ich aber auf keinen Fall. Meine den Beamten schenkte. Ich hatte auch in der lich nüchtern war, durfte ich die Zelle verlas- Mitgefangenen glaubten das jedoch trotzdem. Tischlerei der Justizanstalt gearbeitet, wo wir sen. Ein paar Wochen später kam es dann zu Am Anfang hatte ich deswegen fast täglich für andere Gefängnisse verschiedene Sachen einer Verhandlung. Zur Strafe musste ich ihr eine Schlägerei, aber mit der Zeit wurde es gemacht hatten. Der Vorteil der Friseurlehre eine neue Bluse kaufen. Helmut immer erträglicher, weil andere Häftlinge ka- war, dass ich meinen Mitgefangenen für eine men, die interessanter waren als ich. Dann Packung Zigaretten die Haare schneiden konnte ich mich wieder auf meine Lehre als konnte. Drei Monate vor meiner Entlassung Nummer zwei und ich bekamen Friseur konzentrieren. Nach 18 Monaten hatte wurde ich als Freigänger eingestuft. Das war das äußere Bett an der Wand ich dann meine Gesellen-Prüfung. Die habe ein Vorteil, denn ab sofort durfte ich dann je- ich sogar mit ausgezeichnetem Erfolg abge- des Wochenende nach Hause gehen. Ich Als ich zum ersten Mal ins Gefängnis kam, schlossen. Nach meiner Lehre musste ich wie- konnte endlich mein neues Leben in die Hand waren es sechs Wochen im Polizei-Anhalte- der zurück nach Stein. Als ich mit dem Justiz- nehmen. 2013 wurde ich entlassen und saß Zentrum. Ich hatte etwas Angst. Schon beim Bus von Wien nach Stein fuhr, war mir be- seither nie wieder hinter Gittern. Rene Einchecken ging es los. Überall lauerten Poli- wusst, dass mir noch ein Jahr blieb. Erst dann zeibeamte und Schubhäftlinge. Ich dachte mir, winkte die Freiheit. Im letzten Jahr hatte ich ich bin im falschen Film. Doch ich konnte ja die Erlaubnis, Ausgänge zu machen. Ich war Nach einer Eifersuchts-Tat kam nicht weg. Nach der Untersuchung durch den wirklich stolz auf mich, dass ich die Haft so ich in die Ausnüchterungszelle Amtsarzt wurde ich in die mir zugewiesene gut überstanden hatte. Das konnte ich den Zelle gebracht. Es war eine circa zehn Quad- zwei Ausbildungen verdanken, die ich ma- Vor einigen Jahren ging wieder einmal eine ratmeter große Drei-Mann-Zelle. Darin befan- chen durfte. Durch das Trainieren wurde ich meiner Beziehungen zu Ende. Meine sieben den sich ein festgemachter Tisch, vier fixierte sowohl körperlich als auch geistig stärker. Sachen lagen noch bei ihr in der Wohnung. Hocker ohne Lehne, ein WC und ein Wasch- 6 02/2020
becken. Er war jedoch oben und unten offen, so dass man immer gehört hat, wenn sich je- mand darin aufgehalten hatte. Es waren be- reits zwei Insassen in der Zelle. Einer meiner Zellengenossen und ich bekamen das äußere Bett an der Wand. Meine Habseligkeiten musste ich in einem viel zu kleinen Spind ver- stauen. Ein paar meiner Klamotten musste ich in meinen Sporttaschen unter dem Bett lassen, da für diese kein Platz mehr übrig war. Mein Rasierzeug musste ich den Beamten abgeben, da man sich oder andere damit verletzen hätte können. Ich bekam einen halben Liter Becher, eine Wolldecke, eine Plastikgabel und ein Plastikmesser. »Nun gut, was soll es«, dachte ich mir, »mach das Beste daraus«. Mit den beiden Zellengenossen wurde ich schnell warm, nicht falsch verstehen. Obwohl einer der beiden wollte mich anscheinend testen, er war schon über fünfzig und hatte sich mit den anderen Insassen was ausgemacht. Wenn wir duschen gingen, würde er den anderen ein Zeichen geben, dass sie die Dusche verlassen Wer einmal aus dem Schekel aß ... sollten. Nachdem das auch so passiert war, und wir beide in der Dusche waren, drückte ... das Wiederkommen nie vergaß. Oder auf gut österreichisch »einmal Häfinger, ich mir von meinem Duschgel etwas in die immer Häfinger«. Im Gefängnis gibt es eine eigene Häfnsprache. Der »Schekel« war Hand und rieb mir meinen Popo ein und sagte beispielsweise der Blechnapf. Nachfolgend unser kleines Häfnlexikon: zu ihm: »Für vierzig Euro kannst du mich ha- ben.« Ich dachte, so jetzt hat es mich. Doch es Schmoiz Strafausmaß kam ganz anders, mit dem hatte er nicht ge- A Meter Schmoiz Ein Monat Gefängnis rechnet. Schlussendlich stellte sich heraus, Ein Frackerl Lebenslänglich (20-25 Jahre) dass er mit meinem Vater damals schon im Verknacken, ausfassen Verurteilen/verurteilt werden Gefängnis gesessen war, und wir verstanden Einen Nachschlag bekommen Erneute Verurteilung uns daraufhin sehr gut. Wir übernahmen dann Knast, Häfn, Bau Gefängnis sogar gemeinsam die Verteilung des Früh- Kotter, Keller, Bunker Einzelhaft stücks, des Mittags- und Abendessens - wenn Stiften gehn, Beuli gehn Ausbrechen man das überhaupt so nennen durfte. Darüber Ins Pendel haun Sich erhängen hinaus machten wir auch die Wäsche sauber Schwedische Gardinen Gitterstäbe und putzten die Aufenthaltsräume. Zum Früh- Füzn, Filzen Leibesvisitation stück gab es Kaffee oder Tee, ein Stück Butter, Klavierspielen Fingerabdrücke nehmen Marmelade oder Honig und ein Stück Weiß- Achter Handschellen brot. Gut, dass man zweimal in der Woche Bello Toilette in der Zelle einkaufen konnte, so fehlte es uns an nichts. KAS Strafvollzugsbeamter Der Neuzugang war in meinem Alter und er (kommt von Kaiserlich-Königlicher Arrestschließer) hatte auch eine längere Zeit vor sich. Wir wa- Fazi Hausarbeiter (Häftling) ren alle drei Hausarbeiter, auch »Fazi« ge- Kiwara, He, Kaplständer, Bulle Polizist nannt. Es ging uns eigentlich sehr gut. Bis auf Weisse Maus, Fliagade Motorradpolizist das, dass wir eingesperrt waren. Am Anfang Grüne Minna, Krokodil Arrestantenwagen zählte ich aus lauter Langeweile die Fliesen, Tatschkalist Kinderschänder (stehen in der Hierarchie ganz unten) die sich in unserem Bereich befanden. Es wa- Eintübler Einbrecher ren 774 ganze und 134 halbe Fliesen. Mit den Bugl Leibwächter vom Kapo (Boss) Beamten kam ich sehr gut aus, obwohl einer A Reiberl (Bruch) gmocht Raubüberfall verübt dabei war, mit dem ich überhaupt nicht klar Köch, Kelch Streit, Auseinandersetzung kam. Ich hatte eine Strafe von fast viertausend Dachdecker Psychologe Euro und konnte diese auf vier Mal absitzen. Speib, leg ob Gestehe! Es war eine Erfahrung, die ich heutzutage Schlick Essen nicht mehr machen möchte. Leider habe ich Kitt, Bims Brot dann noch einen ordentlichen Schaden ange- Zackn Gabel richtet. Ich soll dafür fast 1.400 Euro Strafe Ditsch, Feitl Messer zahlen oder zwei Wochen in Haft gehen. Ich Wamser Verräter, der gegen die Nichtkooperation warte nun seit Monaten darauf, dass sie mich verstößt, wird streng bestraft abholen. Ich habe Zeit. Christian Gestelltes Foto: hz 02/2020 7
Straffällig - was nun? Josef Landerl vom Verein NEUSTART schildert verschiedene Hilfsangebote Die Verurteilungen von Jugendlichen sind seit den sind, bieten wir auch Einzelbetreuung für 2012 um 23,5 Prozent gesunken. Auch die Personen an, die diese Voraussetzungen erfül- begangenen Straftaten sind seit 2012 leicht len, aber nicht in eine Gruppe passen. Wir se- gesunken, wenn berücksichtigt wird, dass die hen uns selbst als überparteiliche Expertenor- Aufklärungsquote in diesem Zeitraum von ganisation und stellen den Entscheidungsträ- 42,5 auf 52,5 Prozent gestiegen ist. Kurz ge- gern gerne unsere Erfahrung und Expertise sagt: Die Jugendlichen sind nicht krimineller zur Verfügung. geworden, sie werden dank besserer Polizei- techniken nur öfter ausgeforscht und das ist Welche Angebote und Unterstützungsmöglich- grundsätzlich auch gut so. NEUSTART hat in keiten gibt es von eurer Seite? den letzten Jahren eine neue Methode entwi- Der größte Bereich sind nach wie vor die Be- ckelt, um die Haftzeiten von jugendlichen treuungen in der Bewährungshilfe. In der Di- Unsere Betroffenenberichte zeigen, wie Straftätern so kurz wie möglich zu halten. Wir version bieten wir den Tatausgleich und die schnell man straffällig werden kann. In vie- sprechen hier von der Sozialnetz-Konferenz. Vermittlung gemeinnütziger Leistungen an. len Fällen steckt keine böse Absicht dahin- Dabei wird versucht, das soziale Netz des Ju- Menschen, die aus der Haft entlassen werden, ter. Dennoch kommt es immer wieder zu gendlichen zu aktivieren und alle Beteiligten finden bei der Haftentlassenenhilfe Unterstüt- Delikten. Im Gespräch mit dem Leiter von zu einer Konferenz einzuladen. Dort wird ein zung. Darüber hinaus gehören auch der elekt- NEUSTART Oberösterreich erötern wir Plan entwickelt, wie der Jugendliche in Frei- ronisch überwachte Hausarrest (»Fußfessel«) Hilfsmöglichkeiten für straffällig gewor- heit mit Unterstützung seines Umfelds zu- und das betreute Wohnen zu unserem Leis- dene Personen. Das Ziel ist ein Leben ohne rechtkommen kann. Aufgrund dieses Plans tungsangebot. In Linz stehen dafür 26 Woh- Kriminalität. entscheidet dann der Richter, ob der Jugendli- nungen zur Verfügung, in denen Menschen che aus der U-Haft entlassen werden kann. Im leben, die eigenständiges Wohnen und Leben Welche Delikte sind die häufigsten in Öster- Falle einer Entlassung wird er dann sehr inten- erst wieder erlernen müssen. In unserer Werk- reich? siv von der Bewährungshilfe betreut. statt werden Klienten bei der Reintegration in Bei weitem am häufigsten sind Vermögensde- den Arbeitsmarkt unterstützt. Beim Programm likte. Auch bei NEUSTART landen Täter/Tat- Gibt es Wünsche oder Forderungen an die »Dialog statt Hass« wird mit Personen gear- verdächtige am häufigsten wegen Vermögens- Politik bezüglich rechtlicher Lage? Stichwort beitet, die im Internet Hasspostings getätigt delikten. Dann in deutlichem Abstand Delikte Gewaltschuztpaket ... haben und uns von den Gerichten bzw. Staats- gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit und Wenn man etwas verändern will, funktioniert anwaltschaften zugewiesen werden. Außer- Suchmitteldelikte. das aus unserer Sicht über Betreuung, Infor- dem gibt es auch noch pädagogisch begleitete mation, Konfrontation und Auseinanderset- Rundgänge in der KZ-Gedenkstätte Mauthau- Unsere Medien vermitteln oft den Eindruck, zung. Eine Strafverschärfung führt nicht zur sen für Menschen, die gegen das Verbotsge- dass der Großteil der Straftaten von Nicht- gewünschten Reduktion von Straftaten. Es setz verstoßen haben, aber keine fundamenta- Österreichern verübt wird. Stimmt das? müssen sowohl für den Opferschutz als auch listischen Rechten oder Nazis sind. Dieses Nein, diese Aussage stimmt nicht. Es gab in für die Täterarbeit ausreichend finanzielle Angebot richtet sich an Jugendliche und junge den letzten Jahren zwar einen Anstieg fremder Mittel zur Verfügung gestellt werden. Es gäbe Erwachsene. Im Projekt »Startwohnungen« Tatverdächtiger, aber die Mehrheit der Tatver- genügend gute Konzepte und Betreuungsan- bieten wir Menschen, die direkt aus der Haft dächtigen, ungefähr 60 Prozent, sind Österrei- gebote, aber es braucht auch den politischen kommen, für die Dauer von acht Wochen eine cher und auch bei den Verurteilungen liegen Willen dazu, diese umzusetzen. Momentan Unterkunft. Während dieser Zeit suchen sie diese vorne. Es gibt aber einzelne Delikte, bei haben wir ein Projekt mit dem Land Oberös- sich mit Unterstützung eines Sozialarbeiters denen die Aussage stimmt, wie zum Beispiel terreich, bei dem es um die Betreuung von eine eigene Wohnung. Insgesamt stehen fünf Menschenhandel oder Geldwäsche. gewaltbereiten Asylwerberinnen und Asyl- Wohnungen in Oberösterreich zur Verfügung. werbern geht. Neben Präventionsveranstal- Grundsätzlich liegt unsere Kernkompetenz in Medial auch stark vertreten ist immer das tungen in den Asyleinrichtungen und Anti- der Auseinandersetzung mit dem Delikt, der Thema Jugendkriminalität. Wie sieht es in die- Gewalt-Trainings für Menschen, die in den sogenannten Deliktverarbeitung. Dabei han- sem Bereich aus? Unterkünften durch Gewalt auffällig gewor- delt es sich um eine gezielte, nach einem stan- 8 02/2020
dardisierten Programm ablaufende Auseinan- dersetzung mit der Straftat mit dem klaren Ziel, weitere Straftaten zu vermeiden. Was ist die lustigste Straftat, die dir in deiner Berufslaufbahn zu Ohren gekommen ist? Wir haben vor ein paar Jahren eine Zuweisung im Tatausgleich bekommen, weil ein junger Mann einer Frau in der Diskothek in den Hin- tern gebissen hatte. Offensichtlich fand er sie attraktiv, hatte schon einiges an Alkohol kon- sumiert und wurde zudem von seinem Freun- deskreis dazu animiert. Die Frau hatte danach einen Bluterguss am Allerwertesten und konnte ihrem Beruf für mehrere Wochen nicht nachgehen. Natürlich musste ihr der junge Mann den Verdienstentgang zahlen. Das Wichtigste für die Opfer im Tatausgleich ist in der Regel aber eine aufrichtige und ernst ge- meinte Entschuldigung. Foto und Text: de Kriminalstatistik 2018 »Zuapeckt von der Hand bis zum Hals« Ein paar Zahlen aus der polizeilichen Eine eigene Subkultur entwickelt sich in den Gefängnissen. Neben der Sprache gibt es Kriminalstatistik 2018 für Österreich eine eigene Kultur der Tätowierungen (Häfnpeckerl), der Kommunikation (Kassi- (jene aus dem Jahr 2019 steht noch nicht berln), des Einkaufes (Ausspeisung) bis hin zum Schnapsbrennen (Pomatchka). zur Verfügung): Häfnpeckerl = Tätowierungen Anzeigen insgesamt: 472.981 Aufklärungsquote: 52,5 Prozent Tätowierungen werden meist mit selbstgebautem Werkzeug gestochen. Oft werden Täter nach Geschlecht: Infektionen übertragen, weil es an der nötigen Hygiene mangelt. Fast alle 80 Prozent männlich Tatoos haben auch eine Bedeutung oder geben eine Haltung wieder. Zum Beispiel: 20 Prozent weiblich Drei Punkte zwischen Daumen und Zeigefinger = »Nichts sehen! Nichts hören! Nichts Opfer nach Geschlecht: sagen!«, also absolute Nichtkooperation mit den Beamten. Wer dieses ungeschriebene 57 Prozent männlich Gesetz nicht einhält und redet, ist ein Wamser (Verräter) und wird streng bestraft. 43 Prozent weiblich Weintrauben = Jahre, die man im Gefängnis verbracht hat Tatverdächtige nach Herkunft: Träne unter dem Auge = wenn man einen Toten hatte 60 Prozent Inländer 40 Prozent Fremde Kassiber = geheime Botschaft 8 Mord: Insgesamt 73 getötete Men- schen (41 Frauen und 32 Männer) Wichtig sind im Gefängnis die Mittel einer geheimen Kommunikation und Weitergabe 8 Vergewaltigung: 936 Anzeigen we- von nicht immer ganz legalen Gegenständen wie Alkohol oder Drogen. gen versuchter und vollendeter Ver- Pendeln = Mit einer Schnur an der Außenwand der Anstalt Gegenstände von Fenster zu gewaltigung Fenster übergeben 8 Raub: 1.928 Fälle Kassiberln = Briefe oder sonstiges über dritte Personen weitergeben. 8 Vollendete Eigentumsdelikte:149.074 Telefonieren über die Klomuschel = Das Wasser wird aus der Klomuschel gepumpt. Fälle Danach kann man mit seinem Zellennachbarn reden. Wenn es »Gluck, Gluck« macht, 8 Trickbetrug: 2.928 Fälle (vor allem weiß man, dass irgendwer telefonieren will. der »Enkeltrick« wurde 2018 oft an- gewendet). Anstieg um 57,3 Prozent Ausspeisung = Einkauf im Vergleich zu 2017. 8 Internetkriminalität: 19.627 ver- Einmal pro Woche kann man um die Hälfte des Arbeitgeldes einkaufen gehen. Bevor- suchte und vollendete Fälle. Anstieg zugte Produkte sind Späne (Zigaretten), Bündl Heu (Tabak) oder eine Bombe (Löskaf- um 16,8 Prozent im Vergleich zu fee). 2017. 8 Suchtmittel: 41.044 Anzeigen nach Pomatchka = selbst Gebrannter Schnaps, Angesetzer dem Suchtmittelgesetz. Man gebe Reis, Obst und Germ in einen Plastiksack und lasse ihn luftdicht verschlos- Quelle: Die polizeiliche Kriminalstatistik sen einige Wochen liegen. Daraus wird mit Hilfe zweier Blechdosen, Tauchsieder und 2018 des Bundesministeriums für Inneres. einem Schlauch der bis zu 25-prozentige Häfnschnaps gebrannt. Schmeckt scheiße, aber tut gut. Foto: dw 02/2020 9
Fahrschein bitte! Wenn Armutsgefährdete beim Schwarzfahren erwischt werden, ist die Lage besonders dramatisch Weil ich mich weigerte, Bregenz Hauptbahnhof.« Ich traute meinen einem nicht geplanten Stopp im Arlbergge- Augen nicht, als ich aus dem Fenster sah und biet, da ich vom Schaffner ohne Fahrschein wurde die Polizei gerufen ich feststellen musste, dass ich wirklich in angetroffen wurde. Weil ich mich weigerte, Bregenz war. Ich musste den Zug verlassen einen zu kaufen, wurde die Polizei gerufen. Vor einigen Jahren hielt ich mich am Bahnhof und ich wusste nicht, wo ich denn schlafen Erst nach drei Stunden durfte ich die Fahrt Linz auf. Mir war extrem kalt, da es tiefster sollte. So ging ich zum Sicherheitsdienst und wieder fortsetzen, da ich mir ein Ticket kaufte, Winter war. Ich ging auf das Bahngleis und erzählte ihm, was geschehen war. Er war sehr aber nur bis Innsbruck, Hauptsache ich hatte dachte mir, ich fahre nach Salzburg auf ein freundlich und sperrte mir den Warteraum auf. meine Ruhe vor den Cops. Es war saukalt und Bier. Da ich schon sehr müde war, schlief ich Dort durfte ich die Nacht im Warmen verbrin- ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. nach kurzer Zeit ein. Als ich geweckt wurde, gen, was mir sehr recht war, da es draußen Ich kaufte mir dann noch ein paar Bier, damit sagte jemand zu mir: »Aussteigen bitte, End- minus 15 Grad hatte. Am nächsten Morgen ich keinen Entzug bekäme. Ich freute mich station!« Ich fragte, ob wir schon in Salzburg wurde ich geweckt. Mit dem nächsten EC schon auf den Anschlusszug, da es bei 20 seien. Doch ich bekam als Antwort: »Nein, durfte ich die Heimreise antreten, jedoch mit Grad unter Null und circa zwei Meter Schnee 10 02/2020
nicht lustig ist, im Freien auf den Zug zu war- dem nackten Steinboden, wo ich für mich al- Strafe zahlen, da ich seiner Meinung nach ten. Ich war heilfroh, als ich wieder in Linz leine einen kleinen Raum hatte, lediglich ei- schwarzgefahren war, da es ja nicht meine angekommen war und mit meinen Kollegen nige Pappkartons und den Schlafsack als Un- Karte war. Dazu gab er mir die ausgeborgte das ein oder andere Bier genießen konnte. terlage. Als im Mai dann die afrikanische Jahreskarte auch nicht mehr zurück. Weiters Solch eine Reise werde ich sicher nicht mehr Hitze mit bis zu über 40 Grad Celsius gekom- musste ich meinen Freund, dem die Buskarte im Winter machen, und schon gar nicht ohne men ist, wurde die entbehrungsreiche Arbeit gehörte, verständigen, damit er sich die abge- gültigen Fahrschein. Manfred S. dort unzumutbar und ich beschloss, wieder nommene Karte von den Stadtbetrieben wie- aufs Festland zurückzukehren. Zum Glück der zurückholen konnte. Ich finde das echt hatte ich mir vorher schon etwas Geld vom voll beschissen, denn es kann denen doch egal Es folgten insgesamt mehrere Mund abgespart, um die Schiffspassage be- sein, wem die Jahreskarte gehört. Denn die Monate Knast für diese Kleinigkeit zahlen zu können. In Piräus angekommen, Jahreskarte ist nicht billig und war bezahlt. habe ich den Zugbahnhof in Athen nicht ge- Und dadurch, dass sie bezahlt war, kann je- Für mich war es früher ganz normal, ohne funden. Ich war gezwungen, mir ein Taxi zu dem egal sein, wer damit unterwegs ist. Aber Fahrschein unterwegs zu sein – egal ob mit nehmen, um dorthin zu gelangen. Mein Geld bei den Kontrolleuren geht es einfach nur ums der Linz AG oder mit den ÖBB. Meine Ein- reichte gerade noch für eine Fahrkarte bis Aufschreiben und sie finden immer wieder stellung war ganz einfach: Wofür ein Ticket Thessaloniki. Bei der Weiterfahrt von dort hat einen Grund, um dich abzustrafen, als würde kaufen, wenn es ohne auch geht? Doch ich mich schließlich der Schaffner mitten in der es um eine Provision gehen. Der absolute wurde in ein paar Jahren einige hundert Mal Pampa auf einem kleinen Bahnhof ausgesetzt. Hammer von einem Kontrolleur, der mich ohne Fahrschein angetroffen. Jedes Mal folgte Zu Fuß ging es daraufhin weiter Richtung aufschrieb, war meiner Meinung nach, als ich eine Anzeige. Am Anfang war es für mich Grenze bis zur nächsten Ortschaft. Dort sah am Busbahnhof einstieg. Es standen mehrere nicht so lustig, aber ich gewöhnte mich mit ich ein Reisemobil mit deutschem Kennzei- Leute beim Ticketautomaten an, um ein Busti- der Zeit daran. Es folgten insgesamt mehrere chen geparkt. Ich wartete, bis die Eigentümer cket zu lösen. Und so ist es sich nicht ausge- Monate Knast für diese Kleinigkeit. Am An- - ein Mann mit seiner Frau - zurückkamen und gangen, dass ich dann beim Merkurmarkt, das fang gab ich einfach eine falsche Adresse und fragte sie, ob ich bis zur Grenze mitfahren ist eine Station weiter, eine Karte hatte. Wenn einen falschen Wohnort an, da ich mir dachte, dürfte. Zum Glück haben sie mich mitgenom- zwei Leute vor dir sind und ebenfalls eine dadurch einer Strafe entgehen zu können. Ei- men. Beim Grenzübertritt nach Mazedonien Karte runterlassen, dann dauert das halt. Aber nes Tages kamen die RSA-Briefe dann doch war ein großer LKW-Terminal mit Duty-Free- natürlich wurde ich erneut aufgeschrieben an die richtige Adresse. Zu Spitzenzeiten wa- Shop. Ich fragte einmal einen Hamburger und musste wieder 80 Euro Strafe zahlen. ren es oft acht bis zehn Strafen in der Woche, Fernfahrer, ob er mich mitnehmen könnte. Er Doch ich bezahlte diese beiden Strafen nicht, die ich allesamt ignorierte. Heute bin ich im- antwortete mir, dass er nur bis Budapest fahre, da ich meiner Meinung nach im Recht war. mer mit gültigem Fahrschein unterwegs, da drückte mir jedoch einen Zehn-Mark-Schein Ich legte sogar Protest ein und erklärte die ich der Meinung bin, dass es doch kein Kava- mit den Worten: »Kauf dir etwas zu Essen« in ganze Situation schriftlich der Polizei und liersdelikt ist, ohne Ticket auf Reisen zu ge- die Hand. Man kann sich vorstellen, welch auch dem Gericht. Und bei den Stadtbetrieben hen. Und ich will schon gar nicht mehr wegen »abgefuckten« Eindruck ich bereits hinterlas- legte ich ebenfalls eine Beschwerde ein. Aber solch einer Kleinigkeit in den Knast gehen. sen hatte. Statt Essen kaufte ich mir eine was ich auch unternahm und tat, das alles Ich könnte mir auch sehr gut vorstellen, Sozi- Stange Rothändel-Zigaretten ohne Filter, da ja half mir nichts. Es blieb natürlich alstunden zu leisten, statt eine Ersatzfreiheits- bekanntlich das Rauchen das Hungergefühl bei der Anzeige und ich sollte strafe abzusitzen. Denn ich finde, ein Schwarz- unterdrücken sollte. Zu guter Letzt hatte ich fahrer ist ja kein Verbrecher und gehört daher dann Glück. Ein Fernfahrer aus Niederöster- auch nicht hinter Gitter! Leo reich nahm mich mit. Er lenkte einen Kühl- tankwagen mit Fruchtsaft. In der Nähe von Graz bin ich dann ausgestiegen und habe den Mitten in der Pampa auf Bahnhof aufgesucht. Damals konnte man einem Bahnhof ausgesetzt noch eine Zugkarte per Erlagschein erwerben. Damit fuhr ich dann nach Salzburg zu meiner Mitte der achtziger Jahre habe ich fast ein hal- Schwester, die mich in den drauffolgenden bes Jahr als Tagelöhner auf Kreta gelebt. In Tagen nach und nach wieder aufpäppeln der Mitte der Insel, in Mires, gab es am Haupt- konnte. August platz ein Café namens »Antonio«, wo sich ab 7 Uhr morgens die Einheimischen einfanden, um sich ihre Arbeitskräfte für den Tag abzu- Ich wurde aufgeschrieben und holen. Wir waren etwa ein Dutzend Ausstei- musste 80 Euro Strafe zahlen ger, die versucht haben, auf diese Art ihr Le- Eine ermäßigte ben zu bestreiten. Man lebte praktisch von der Der erste Ärger von mehreren, die ich im Bus Monatskarte mit Hand in den Mund. Für einen Tag Arbeit be- mit Kontrolleuren hatte, ergab sich dadurch, dem Aktivpass kam man etwa 3.000 Drachmen. Das Leben dass ich mit einer ausgeborgten Jahreskarte dort war teuer, sodass der Großteil des ver- unterwegs war. Der nervige Mann wollte ei- kostet in Linz 13,50 dienten Geldes für die Grundbedürfnisse nen Ausweis von mir sehen. Da dies aber nicht Euro. Schwarzfahren draufging. Hatte man einmal keine Arbeit, so meine Karte war, passte der Name nicht über- ein erhöhtes Fahr- musste man darben. Geschlafen habe ich in ein. Ab da fingen die Probleme an. Erstens geld von 70 Euro. einem alten unbewohnten Abbruchhaus auf wurde ich aufgeschrieben und musste 80 Euro 02/2020 11
insgesamt 160 Euro Strafe zahlen. Doch ich war mir keines Fehlers bewusst und wollte es nicht akzeptieren. Also zahlte ich die Strafe auch nicht. Keinen Monat später stand die Polizei bei mir und verhaftete mich wegen dieser offenen Geldstrafe. Damals wurde ich für vier Tage nach Wels gebracht, da man in Steyr wegen solcher Delikte nicht mehr einsit- zen kann. Nach diesen vier Tagen wurde ich vor die Türe gesetzt und stand ohne Geld in Wels. Wie sollte ich zurück nach Steyr kom- men? Also ging ich in Wels zum Bahnhof und fuhr dieses Mal, da ich kein Geld hatte, wirk- lich schwarz und nichts passierte. Ich sah nicht mal einen Kontrolleur. Irgendwie iro- nisch oder nicht? (Autor der Redaktion be- kannt) Sollen Schwarzfahrer ins Gefängnis? Ich kam zum Glück immer mit Eigentlich lohnt es sich in Linz wirklich nicht, mit dem öffentlichen Verkehrsmit- einem blauen Auge davon teln schwarz zu fahren. Der Aktivpass für Menschen mit geringen Einkommen ermöglicht eine Monatskarte zum Preis von 13 Euro. Ermäßigte Tarife für Ju- Insgesamt wurde ich drei Mal beim Schwarz- gendliche, Senioren oder Jahreskarten gibt es ebenfalls. Und trotzdem fehlt dem fahren erwischt. Eine gute Bilanz. Denn ich einen oder anderen das Kleingeld, wenn man von einem Ort zum anderen muss, bin schon mindestens 20 Mal ohne Karte in oder weil es im Winter draußen zu kalt ist und man sich einfach aufwärmen will. den Öffis gesessen. Das war zu jener Zeit, als Da es im Verwaltungsstrafrecht keine Diversion, d.h. keine Alternativen zur Haft- ich völlig pleite war und es noch keinen Ak- strafe gibt, landen Schwarzfahrer dann oft sogar hinter Gittern. tivpass gegeben hat. Bei der ersten Kontrolle wurde ich in Wien erwischt, als ich mit der Nach einer Attacke auf einen Schwarzfahrer im März 2019, die großes öffentliches U-Bahn von der Kaserne zum Bahnhof fuhr. Aufsehen erregte, löste die Stadt Linz den Vertrag mit der privaten Sicherheitsfirma, Da war ich 22 Jahre alt. Damals musste ich die bis dahin die Fahrgäste kontrolliert hatte, auf. Davor waren drei Prozent der kont- 200 Schilling bezahlen. Das war zu jener Zeit rollierten Fahrgäste ohne Fahrschein unterwegs. In Straßenbahnen und Bussen wurden eine ordentliche Summe, noch dazu war ich jährlich 42.000 Schwarzfahrer ertappt. Das erhöhte Fahrgeld beträgt 70 Euro, wenn beim Bundesheer und hatte nur 30 Schilling man ohne Ticket erwischt wird. Bezahlt man nicht, wird über das Verwaltungsstraf- pro Woche zur Verfügung. Das zweite Mal recht eine Geldstrafe verhängt und zugleich wird für den Fall der Uneinbringlichkeit passierte es in der Straßenbahn in Linz. Die eine Ersatzfreiheitsstrafe festgesetzt. »Ist die Geldstrafe uneinbringlich, ist die festge- Kontrolleure waren human. Sie ließen mich setzte Ersatzfreiheitsstrafe in Vollzug zu setzen (www.oesterreich.gv.at).« Das halten gehen, als sie dann sahen, dass ich wirklich wir von der Kupfermuckn für absolut unangemessen. Es müsste auch im Verwaltungs- ganz dringend zum Zug musste. Beim dritten strafrecht Alternativen geben, wie zum Beispiel gemeinnützige Arbeit. Im Strafrecht Mal wurde ich dann nochmals in Linz er- muss man schon einiges auf dem Kerbholz haben, um zu einer unbedingten Haftstrafe wischt. Auch da hatte ich wieder einmal verurteilt zu werden. Da müssen endlich sinnvolle Alternativen geschaffen werden! Glück. Ich fuhr in der Früh in die Arbeit. Ich war Leasingarbeiter bei der Müllabfuhr. Da ich nur einen Fünf-Euro-Schein eingesteckt Täglich werden 300.000 Personen mit den Öffis befördert hatte, der vom Automaten nicht angenommen wurde, stieg ich ohne Fahrschein in die 8 Die öffentlichen Verkehrsmittel der LINZ LINIEN zählten im Geschäftsjahr 2018 »Bim«. Kurz vor dem Aussteigen wurde ich insgesamt 113 Millionen Personenbeförderungen. Durchschnittlich werden pro Tag kontrolliert. Ich erklärte den Uniformierten mehr als 300.000 Personen befördert. mein Problem. Sie schickten mich zu einer 8 Personen mit Linzer Aktivpass können um 13,50 Euro eine Monatskarte erhalten. Security-Firma. Da musste ich einen Zettel Den Aktivpass erhält man bis zu einem Nettoeinkommen von 1.254 Euro (Richtsatz ausfüllen und die Karte herzeigen. Auch da 2019). Einzelfahrscheine und Mehrfahrtenkarten: MINI (Langstreckenkarte), MIDI bin ich mit einem blauen Auge davon gekom- (24-h-Karte) men. Statt der üblichen 80 Euro Strafe kostete 8 Derzeit kostet ein 24-h-Karte 4,80 Euro, eine MIDI Karte (Langstrecke) 2,40 Euro mich das Ganze nur 7,90 Euro. Das war die und eine MINI Karte 1,30 Euro (maximal vier Haltestellen) Schreibgebühr. Zum Glück musste ich solche 8 AST-Taxi: In der Nacht nutzten mehr als 75.000 Personen das Anrufsammeltaxi, das Strafen nie absitzen. Einen Tipp an alle Aktiv- neben dem Linzer Stadtgebiet noch elf Nachbargemeinden bedient. pass-Besitzer: Bitte tragt die Nummer auf der 8 Nachtlinie: Seit dem Kulturhauptstadtjahr verkehren die Straßenbahnen am Wo- Monatskarte, die in der Trafik erhältlich ist, chenende auch nachts. ein, sonst gilt die Monatskarte nicht und ihr 8 Linz hat mit 108.000 täglichen Pendlern die höchste Einpendlerquote in Österreich. müsst Strafe für Schwarzfahren zahlen! Text: Text und Foto: hz, (Quelle Linz AG) Helmut, Foto Seite 10: hz 12 02/2020
Rein ins Narrenkleid Das würde ich gerne sein ...! Eigentlich wollte ich immer eine Prinzessin werden ... Im Fasching kann man seine vertraute Insgeheim glaube ich, dass es vielen Mädchen so gegangen ist Persönlichkeit hinter sich lassen und in wie mir. Eigentlich wollte ich, als ich noch klein war, immer eine Rolle schlüpfen, die man sich im- eine Prinzessin werden. Und dann träumte ich so vor mich hin, mer schon ersehnt hat. Ein Narrenkleid dass mich eines Tages ein Prinz auf seinem weißen Pferd abho- kann einem noch fremde Persönlich- len kommt und mich in sein schönes Schloss (es hätte auch eine keits-Anteile offenbaren. Beim Kos- große Burg sein können) mitnimmt. Und dann hätte dieser fe- tümverleih der Stadt Linz konnten die sche Jüngling mich auf Händen getragen. Eine Prinzessin auf Kupfermuckn-Redakteure ihre All- der Erbse wäre ich keine geworden, denn schlafen konnte ich tagsrolle kurz ablegen und in ihr immer schon sehr gut. Aschenputtel hätte auch nicht so ganz zu Traumkostüm schlüpfen. Bei einer mir gepasst. In meinen Träumen hätte ich viele Menschen um Auswahl von tausenden Klamotten mich gehabt, die alles taten, um mich glücklich zu machen, war das gar nicht so einfach. Schließ- denn schließlich hat ein Prinz ja Angestellte. Mein blonder lich hat dann doch jeder sein Kostüm Prinz mit blauen Augen und ich hätten Reisen gemacht, denn so und durfte für kurze Zeit die neue ein Vertreter eines Königshauses hat ja über seine Länder hin- Rolle genießen. An dieser Stelle ein aus Verpflichtungen. Viele Kinder würden in unserem Haus herzliches Dankeschön an die Kos- leben, denn so ein Prinz braucht Nachfahren. Wir wären glück- tümwerkstatt für die Unterstützung. lich gewesen bis an unser Ende. Doch bei uns gibt es keine Wir hatten wieder viel Spaß! Märchen-Prinzen, die Angestellte haben, hübsch und jung sind. Kostümwerkstatt, Hauptplatz 15, So habe ich schon früh erkannt: eine Prinzessin kann ich leider 4020 Linz / Tel.: +43/732/784540 nicht werden. Text: Sonja, Fotos: dw, hz 02/2020 13
Als weibliche Priesterin, verheiratet mit einen Mann als Nonne, brechen wir sämtliche Gesetze der Keuschheit. Im Mittelalter wäre ich wohl als Ketzerin, Hure oder Hexe verbrannt oder gefoltert worden. Gottseidank leben wir in einer toleranteren Zeit. Gelobt und gepriesen sei der Herr im Himmel. Halleluja! Claudia Als Nonne würde ich das Gelübde wohl jeden Tag unzählige Male brechen. Gott allein weiß, welche Hure - egal ob Mann oder Frau - ich hinter der Verkleidung bin. Gesegnet ist die Verschwiegenheitspflicht. Walter Wo die Liebe hinfällt ... Mit 13 wollte ich Pilot oder Schauspieler werden. In den 60er Jahren hinterließen die Western mit John Wayne oder Filme mit Charlie Chaplin einen großen Eindruck bei mir. Mit dem Piloten ist es nichtsge- worden – ich wurde Kfz-Mechani- Ja, was bin ich denn? Ein ker. Und den Schauspiel-Traum lebe Hochstapler, der immer ich im ARGE-Theater aus, was mir ein As im Ärmel hat? Oder Freude bereitet. Manfred S. George Washington, der erste US Präsident? Weder »Charlie« der ARGE noch - ich bin bloß ein irischer Kobold! Heiku Als Kind wollte ich Kapitän, doch heute lieber Sozialminister Ein irischer Kobold werden. Ich engagiere mich seit Jahren bei der Armutskonferenz. Als Minister würde ich mich für leistbares Wohnen einsetzen. In Märchen und Sagen Bertl spielen Feen eine Rolle. Und weil die helle Seite in mir überwiegt, wäre ich gerne eine gute Fee, die nicht nur be-, sondern auch verzau- bern könnte. Ich würde unter anderem Trumps leeres Herz mit Liebe zu Mensch und Tier füllen und seine Augen für die wirklichen Bedürfnisse seiner Mitmenschen Ich mache Politik mit Herz Die gute Fee öffnen. Ursula 14 02/2020
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