#1 ERFOLGSREZEPTE - Die Zeit

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                  #1 ERFOLGSREZEPTE
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E
Editorial
#1 ERFOLGSREZEPTE - Die Zeit
Liebe Leserin, lieber Leser,

Singapur – das ist zweifellos eines der faszinierendsten und         Zum Thema Wirtschaftspotenzial: Aktuell gehen Experten davon
inspirierendsten Fleckchen Erde. Hier treffen prosperierende         aus, dass die wichtigsten asiatischen Volkswirtschaften China,
Geschäfts- und modernste Hightechwelten auf jahrtausende-            Indien, Japan und ASEAN im Jahr 2017 um bis zu eine Billion
alte Traditionen. Trotz seiner eher überschaubaren Größe von         US-Dollar wachsen werden – trotz geopolitischer Veränderungen
719 Quadratkilometern hinterlässt der Inselstadtstaat nicht nur      und der Unwägbarkeiten der Weltwirtschaft. Auch langfristig be­
bei seinen jährlich mehr als 17 Millionen internationalen Gästen,    trachtet sind die Perspektiven der Region sehr vielversprechend.
sondern ebenso auf der Weltbühne einen immer prägnanteren            Nicht zuletzt deshalb, weil die Länder immer besser miteinander
Eindruck. Unter anderem wegen der vielfältigen wirtschaftlichen      vernetzt sind. Gründe genug, warum viele deutsche Unternehmen
Möglichkeiten, die sich hier bieten. Insbesondere auch für           ihre Asien-Strategie derzeit überdenken. Denn um von diesen
deutsche Unternehmen. Vor Ihnen liegt die erste Ausgabe von          Wachstumsmärkten profitieren zu können, müssen sie – inklusive
SingaPur, dem Magazin des Singapore Economic Development             der „Mittelstands-Champions“ – hier adäquat vertreten sein.
Board (EDB) – prall gefüllt mit Perspektiven, Persönlich­keiten,
spannenden Unternehmensporträts und Lifestyle. Ein Magazin,          Singapur hat sich diesbezüglich als idealer Partner für die Inter­
mit dem wir Ihnen Einblicke geben möchten, wie viel wirt­            nationalisierungspläne gerade mittelständischer Unternehmen
schaftliches Potenzial in der Metropole als Tor nach Asien und       bewährt. Auf der Basis von Vertrauen, Wissen, Talent, Lebens­
im prosperierenden Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN)        qualität und nicht zuletzt einer besonders unternehmensfreund­
steckt. Gleichzeitig wollen wir aber auch die vielfältigen, bunten   lichen Politik formte sich neben einem weit gefächerten Dienst­
und geheimnisvollen Seiten Singapurs beleuchten. In der              leistungsspektrum ein ausgesprochen vielseitiger Produktionssektor
Pre­m ierenausgabe berichten wir unter anderem über die Start-       heraus. Er machte im Jahr 2015 bereits 20 Prozent des BIP aus.
up-Szene, beantworten die Frage, warum der deutsche Kultclub         Angesichts der geringen Größe des Inselstaates mit seinen 5,5 Milli­o­
Borussia Dortmund ausgerechnet hier sein erstes Auslands­-           nen Einwohnern ist das erstaunlich und zugleich vielverspre­
büro eröffnet hat, und fragen in unserer Titelstory bei Erfolgs­     chend. Das verstärkte Engagement hinsichtlich Forschung, Inno­
koch Tim Raue nach, warum die Stadt in seinem Leben eine ganz        vation und Unternehmertum wird dazu beitragen, Singapur auf
besondere Rolle spielt.                                              die nächste Entwicklungsstufe zu heben.

                                                                     Herzlichst

                                                                     Dr. An Wee Moo
                                                                     Regional Director, Europe
                                                                     Singapore Economic Development Board

                                                                     PS: Sind Sie neugierig geworden, wünschen detailliertere Infor­
                                                                     mationen oder möchten uns ein Feedback zur ersten Ausgabe
                                                                     geben? Wir freuen uns auf Ihre Mail: ihr_partner@edb.gov.sg
#1 ERFOLGSREZEPTE - Die Zeit
Inhalt

       03        Editorial
                        –
                                                              18
                             Wie genau riecht eigentlich Erfolg? – Siemens/Evonik
                                                                                –
                                                                                                                44     Zahlen bitte
                                                                                                                                  –
                                                                                                                                                                58
                                                                                                                                                  Gründen im Tigerstaat – Start-ups
                                                                                                                                                                                  –

       04
        Inhaltsverzeichnis
                        –
                                                              22
                                 Talentschmiede Singapur – Nanyang Polytechnic
                                                                             –
                                                                                                                47
                                                                                     Schwergewicht auf Samtpfoten – ASEAN-Region
                                                                                                                               –
                                                                                                                                                                64
                                                                                                                                                         Schnappschuss – Formel 1
                                                                                                                                                                               –

       06
BVB – Begeisterung überall
                        –
                                                              30
                                            Made in Germany – Rohde & Schwarz
                                                                            –
                                                                                                                50
                                                                                             Years of the Dragon – Kenneth Thexeira
                                                                                                                                  –
                                                                                                                                                                68
                                                                                                                                      Den nächsten Schritt wagen – Prof. Dr. Venohr
                                                                                                                                                                                  –

       10           News
                       –
                                                              34
                                                  Gruß aus der Küche – Tim Raue
                                                                              –
                                                                                                                54
                                                                                    Urbanisierung öffnet Marktchancen – Weidmüller
                                                                                                                                 –
                                                                                                                                                                70        Ausblick
                                                                                                                                                                                 –

       12
   Smarte Nation Singapur
                        –
                                                              42
                                Raus aus dem Labor, rein in die Welt – Fraunhofer
                                                                                –
                                                                                                                56
                                                                                               Aus dem Dschungel in den Dschungel
                                                                                                                               –
                                                                                                                                                                71      Impressum
                                                                                                                                                                                –
#1 ERFOLGSREZEPTE - Die Zeit
V
                                                                                                                                                                 Wann hat der Verein die steigende Begeisterung in Asien
                                                                                                                                                                 erstmals bemerkt und deshalb über ein Büro in Singapur
                                                                                                                                                                 nachgedacht?
                                               BEGEISTERUNG                                                                                                      Dass Deutschland die WM 2014 gewonnen hat, war sicherlich ein
                                                                                                                                                                 entscheidender Trigger-Faktor. Im Team des Weltmeisters spielten
                                                    ÜBERALL                                                                                                      ja gleich fünf BVB-Spieler. Zudem war der asiatische Markt für
                                                                                                                                                                 interna­t ionale Clubs in den vergangenen zehn Jahren auffällig
                                                                                                                                                                 stark gewachsen, Gleiches gilt für das Bewusstsein dafür, dass es
                                                                                                                                                                 sich um einen finanziell attraktiven Markt handelt.

                                                                                                                                                                 Gab es in Asien schon immer eine Faszination für Fußball?
                                                                                                                                                                 Auf jeden Fall! Dieser Sport war bei uns schon immer ein Phäno­
                                                                                                                                                                 men. Fast jeder spielt hier hobbymäßig selbst Fußball. Die Fas­
                                                                                                                                                                 zination und Begeisterung ist überall spürbar. Und der deutsche
                                                                                                                                                                 Fußball reißt die Menschen hier bereits seit vielen Jahrzehnten
                                                                                                                                                                 mit. Legenden wie Hansi Müller oder Horst Hrubesch haben be­
                                                                                                                                                                 reits die ältere Generation fasziniert und beeinflusst.

                                                                                                                                                                 Wie unterscheiden sich asiatische BVB-Fans von den
                                                                                                                                                                 euro­p äischen?
                                                                                                                                                                 Sie sind nicht so ungehemmt wie ihre Pendants in Europa oder
                                                                                                                                                                 Deutschland. Die Fans sind sicher leidenschaftlich – aber auf
                                                                                                                                                                 eine leisere und konservativere Art. Sie haben sich mehr unter
                                                                                                                                                                 Kontrolle, was mit der Kultur und Mentalität zu begründen ist.
                                                                                                                                                                 Was sehr auffällt: Die Loyalität zu einer Stadt oder generell zu
                                                                                                                                                                 einem Verein ist nicht so ausgeprägt. Die Menschen begeistern
                                                                                                                                                                 sich hier viel eher für bestimmte Einzelspieler als für ein ganzes
                                                                                                                                                                 Team. Es sind vor allem die Superstars, die hier die größte Be­
                                                                                                                                                                 geisterung auslösen.

                                                                                                                                                                 Welche Fan-Accessoires laufen in Singapur ganz
                                                                                                                                                                 besonders gut?
                                                                                                                                                                 An erster Stelle steht natürlich das BVB-Trikot, wobei die Fans
                                                                                                                                                                 hier mehr auf das Poloshirt stehen. Man kann es nicht nur im
                                                                                                                                                                 Fußball­s tadion, sondern auch im Kino oder im Restaurant anzie­
                                                                                                                                                                 hen. Sehr gut laufen auch die BVB-Fancaps.
Seit mehr als zwei Jahren hat der BVB eine Repräsentanz in                 lukrativen Markt bislang mehr oder weniger vernachlässigte.
Singapur – und ist damit bis heute ein Bundesliga-Pionier.                 Immerhin setzte der BVB 2014 endlich ein Signal und wagte den            Suresh       Die Bilanz der Asienreise des BVB im Juli 2016 fiel positiv
Was für Motive stecken hinter dem Südostasien-Engagement
des Kultclubs?
                                                                           Quantensprung gen Osten – als bislang einziger Verein der Bun­
                                                                           desliga. „Wir spüren ein stark steigendes Interesse am BVB aus
                                                                                                                                               Letchmanan        aus. Was ist Ihnen persönlich in besonders guter Erinne-
                                                                                                                                                                 rung geblieben?
                                                                           Asien. Gerade in Südostasien liegt für uns ein Großteil der rele­                     Der Enthusiasmus der Fans war einfach unglaublich. Wir hatten
Gleich beim ersten Date mit seiner zukünftigen Frau spricht                vanten Auslandsmärkte. Doch damit wir dort nachhaltig arbeiten                        entschieden, dass alle Spieler am Flughafen durch den Hauptaus­
Suresh Letchmanan Klartext: Fußball ist seine ganz große Leiden­           können, heißt das eben auch, permanent vor Ort zu sein“, sagte                        gang und nicht durch eine VIP-Alternative gehen – mit der Folge,
schaft und das wird sich auch niemals ändern! Wenn sie ihn haben           BVB-Marketingdirektor Carsten Cramer kurz vor der Eröffnung                           dass sie dort von mehr als 500 Fans in Empfang genommen wur­
will, muss sie damit leben. 15 Jahre ist das inzwischen her – und          der Repräsentanz in Singapur. Zwei Jahre später fällt die erste                       den. Weibliche Fans kreischten vor Begeisterung, die Stimmung
bislang ist der gebürtige Singapurer sich selbst treu ge­b lie­b en.       Zwischenbilanz durchweg positiv aus, wenngleich es natürlich                          war der Wahnsinn. Viele Fans folgten dem Mannschaftsbus bis
Das allein ist natürlich noch nichts Ungewöhnliches. Dass sein             auch weiterhin viel zu tun gibt. Denn sich hier zu behaupten und                      zum Hotel und harrten dort teilweise Tag und Nacht aus.
Herz heute vor allem für einen deutschen Fußballclub schlägt,              die Sichtbarkeit des Clubs spürbar zu verbessern, sei eine echte
dagegen schon: Seit Herbst 2014 ist Letchmanan Leiter des ersten           Herausforderung, stellt Singapurs BVB-Mann Suresh Letchmanan                          Wie sehr geht es auch auf das Konto von Spielern wie Park
Auslandsbüros des achtmaligen deutschen Meisters Borussia                  fest. „Schließlich stehen wir hier im Wettbewerb mit internatio­                      Joo-ho oder Shinji Kagawa, dass der BVB in Asien so
Dortmund. Seine Hauptaufgaben, die er vom „Nordic European                 nalen Topclubs wie Chelsea oder Liverpool“, sagt der 43-Jährige.                      populär ist?
Centre“ in Singapur aus vorantreiben muss: Kontakte zur Wirt­              Die Begeisterung für deutschen Fußball besteht laut Letchmanan                        Das ist sicher einer der wichtigsten Faktoren. Vor allem Kagawas
schaft und zu den Medien des gesamten südostasiatischen Groß­              seit Jahrzehnten. Bereits das Nationalteam von 1982 mit Legen­                        Erfolg begeistert im südostasiatischen Raum besonders viele und
raums knüpfen und das BVB-Merchandising ausbauen. Die Be­                  den wie Hansi Müller oder Horst Hrubesch habe die ältere Gene­                        motiviert junge aufstrebende Talente, ebenfalls eine Profikarriere
geisterung für Fußball war in der Region schon immer groß. Und             ration nachhaltig beeinflusst. Doch warum fiel die Wahl für das                       anzustreben. In Japan, Südkorea oder China sind die beiden um­
sie wächst weiter. Dass in den sogenannten Tigerstaaten viel Geld          erste Auslandsbüro auf den Standort Singapur?                                         schwärmt wie Popstars. Aber Gleiches gilt genauso für Marco
zu verdienen ist, wissen britische Spitzenclubs bereits seit Jahr­         Welche Erfolge gibt es bereits zu verzeichnen und wie unterschei­                     Reus, Sven Bender und viele andere Spieler des BVB.
zehnten. Manchester United zum Beispiel spült die Vereinsprä­              den sich eigentlich asiatische von europäischen Fans? „Singa­
senz in Südostasien jährlich mehr als 50 Millionen Euro in die             Pur“ hat Suresh Letchmanan und Carsten Cramer zum Interview
Kasse. Umso verwunderlicher, dass der deutsche Fußball diesen              getroffen.

                                                                       6                                                                                     7
#1 ERFOLGSREZEPTE - Die Zeit
M   Y       P   O   I   N   T   O   F    V   I   E   W

                                                                                                                                                Ein Stadtstaat – tausend Facetten: In jeder Ausgabe präsentiert uns ein Fotograf seine ganz persönlichen Eindrücke.
                                                                                                                                                                  Marko Seifert hat Singapur mit seiner Kamera als „Stadt der Farben“ eingefangen.

Wie lange rauchten im Vorfeld die Köpfe, bis die Eröffnung                 Wieso fiel die Standortwahl für das Marketingbüro auf
des Singapur-Büros beschlossene Sache war?                                 Singapur?
Wir sind da ziemlich analytisch vorgegangen und haben diverse              Zum einen haben wir hier einen der wichtigsten Finanz- und
Parameter angeschaut: Welche Regionen boomen besonders? In                 Wirtschaftsmärkte der Region. Singapur ist ein Schmelztiegel.
welchen asiatischen Ländern findet Bundesliga-Fußball über­                Hier kommt die Welt zusammen, trifft Osten auf Westen und es
haupt statt und wo wird Fußball „made in Germany“ besonders                leben verschiedene Kulturen und Religionen friedlich und in
wertgeschätzt? Und eine weitere wichtige Frage war für uns:                politisch stabilen Verhältnissen miteinander. Zum anderen ist
Wie setzen wir die Internationalisierung unseres Vereins am                da die perfekte Lage und Schlüsselstellung als Plattform für den
besten um?                                                                 übrigen Markt. Von Singapur aus kommst du schnell nach Süd­
                                                                           ostasien, Nordasien, Japan oder auch Australien. Der Stadtstaat
Gab es eine Initialzündung?                                                ist ein relativ neutraler Standort, von dem aus es sich wunderbar
Das war sicher auch die Rückkehr von Shinji Kagawa zum BVB                 strategisch arbeiten lässt.
Ende August 2014. Mit ihm hatten wir wieder ein Gesicht für eine
Region, die ich jetzt mal weitläufig als Asien bezeichnen würde.           Welche Zwischenbilanz ziehen Sie nach zwei Jahren?
                                                                           Wir sind sehr glücklich über erste Erfolge, etwa die direkte An­
Ein Spieler wie Kagawa stellt im asiatischen Raum natür-                   bindung an unseren Hauptsponsor Evonik, in dessen Singapur-
lich einen besonderen Joker dar …                                          Dependance wir unser Büro haben, und an unseren Ausrüster
Man merkt tatsächlich deutlich, dass die Identifikation der Men­           Puma. Beide Partner treffen von Singapur aus sehr viele gute
schen in dieser Region mit einem asiatischen Gesicht sehr groß             strategische Entscheidungen. Außerdem haben wir mit Suresh
ist und dass sich dadurch auch Türen öffnen. Dass Spieler wie              Letchmanan einen super Kollegen gefunden, der uns mit echtem
Marco Reus bei einer Asienreise des BVB ebenfalls Riesenhigh­              Know-how im asiatischen Fußball bereichert und zudem ein
lights für die Fans darstellen, versteht sich aber von selbst.             Singapurer ist. Das kommt bei unseren Partnern im südostasia­
                                                                           tischen Raum bestens an.
Welcher Fußballmarkt Asiens ist der in Ihren Augen am
meisten entwickelte?                                                       Haben Sie Beispiele für die ersten Erfolge?
Auf jeden Fall Japan. Von dort kommen die meisten asiatischen              Abgesehen davon, dass die Sichtbarkeit in der Region deutlich
Spieler, die international eine teilweise beachtliche Rolle spielen,       zugenommen hat, konnten wir in Thailand, Malaysia, Singapur,
es gibt eine professionelle Ligastruktur und Fußball ist eine              China und der Mongolei Kooperationspartner gewinnen; in Thai­
Sportart, die sich dort am stärksten nach europäischem Vorbild             land gleich zwei. In diesen Ländern hat der Markt ein ganz be­
entwickelt.                                                                sonders großes Potenzial. Das Praktische ist: Wir kommen über­
                                                                           all schnell hin. Deshalb haben wir uns ja auch für Singapur
Wie erklären Sie sich die wachsende Begeisterung asiati-                   entschieden. Weil die Stadt logistisch einfach eine extrem attrak­
scher Fans für den BVB?                                                    tive Lage hat – und natürlich auch deshalb, weil sie absolut fas­
Gerade im Fußball genießt „made in Germany“ einen extrem                   zinierend und spannend ist.
guten Ruf. Davon profitieren wir natürlich auch.

                         Carsten
                         Cramer

                                                                                                                                                                                       Tanjong Pagar Road: mit dem Taxi auf dem Weg zum Marina Bay Sands Hotel

                                                                       8
#1 ERFOLGSREZEPTE - Die Zeit
n e w s
Weltpremiere
Es ist der erste globale Feldversuch seiner Art: In Singapurs Uni-
viertel One-North befindet sich derzeit ein vier Quadratkilometer
großes Testgebiet für selbstfahrende und selbstlenkende Taxis.
Fahrgäste können die derzeit im Einsatz befindlichen sechs
Autos per Smartphone-App anfordern. Verantwortlich für die
Hightechpremiere ist das US-Start-up-Unternehmen nuTonomy,
                                                                          Standort-Jackpot
                                                                          Mit seinen innovativen Produkten für kardiologische Medizin­
                                                                          technik zählt Biotronik seit Jahren zu den weltweiten Marktfüh-
                                                                          rern. Jetzt hat das Berliner Unternehmen sein globales Produk­
                                                                          tionsnetzwerk um einen weiteren hochkarätigen Standort erweitert:
                                                                          So verfügt das im Herbst in Singapur neu eröffnete Werk unter
                                                                          anderem über einen 1.500 Quadratmeter großen Reinraum der
                                                                                                                                              Rekordsumme
                                                                                                                                              Dass Singapur zu den weltweiten Vorreitern in Sachen Innova­
                                                                                                                                              tion, Forschung und neue Technologien zählt, ist seit Langem
                                                                                                                                              bekannt. Einen besonders eindrucksvollen Beleg dafür, was für
                                                                                                                                              eine tragende Rolle Forschung und Entwicklung im Stadtstaat
                                                                                                                                              tatsächlich spielt, liefern die Budgetplanungen für die kommen-
                                                                                                                                              den fünf Jahre: 17,3 Milliarden Euro wird die Regierung für RIE
                                                                                                                                                                                                                   Roboter für alle
                                                                                                                                                                                                                   Damit in Zukunft auch mittelständische Unternehmen vermehrt
                                                                                                                                                                                                                   in der Lage sein werden, modernste Robotertechnologie in ihre
                                                                                                                                                                                                                   Produktionsprozesse zu integrieren, gibt Singapurs Regierung
                                                                                                                                                                                                                   zusätzliche Budgets frei: Das 2015 ins Leben gerufene National
                                                                                                                                                                                                                   Robotics Programme erhält in den kommenden drei Jahren wei­
                                                                                                                                                                                                                   tere Finanzspritzen von insgesamt rund 296 Millionen Euro. Die
das nach der Testphase bis 2018 die Robo-Taxis im gesamten                ISO-Klasse 7. Für den globalen Markt produziert werden sollen       2020 (Research, Innovation and Enterprise) bis 2020 zur Verfü-       Initiative unterstreicht Singapurs Anspruch, die Automatisierung
Stadtstaat auf die Straßen bringen möchte. „Singapur hat unsere           vor allem innovative Produkte aus den Geschäftsbereichen            gung stellen. Das sind nicht nur 18 Prozent mehr als zwischen        zu einem Schwerpunkt des wirtschaftlichen Transformationspro-
Forschungen von Anfang an unterstützt und auch einen Teil zur             Defibrillatoren und Herzrhythmustherapie. „Die hoch qualifizier-    den Jahren 2011 und 2015, in denen 14,5 Milliarden Euro investiert   zesses zu machen. „Wir möchten Wege finden, dass der Mittel-
Finanzierung beigetragen. Außerdem waren für uns die Topinfra-            ten Arbeitskräfte, die hervorragende Infrastruktur vor Ort und      wurden, sondern ist die bislang höchste Summe überhaupt.             stand auch in der Lage ist, die neuen Technologien anzuwenden“,
struktur und der gute Zustand der Straßen wichtige Argumente,             das gute Geschäftsumfeld machen Singapur zu einem idealen           Generell verfügt Singapur über eine sehr gute Infrastruktur für      sagt S. Iswaran, Singapurs Minister für Handel und Industrie.
unsere Fahrzeuge gerade hier zu testen“, sagt Chief Operating             Standort für Biotronik“, sagt Geschäftsführer Erik Trip. Das neue   Aktivitäten in der Forschung und Entwicklung: Wissenschaft           Robotertechnologien würden viele neue Möglichkeiten bieten
Officer Doug Parker. Auch wenn der Fahrer fehlt – ganz allein ist         Werk schafft rund 200 neue Arbeitsplätze für Fachkräfte und         und Wirtschaft führt ein Cluster von mehreren Industrieparks         und die Produktivität erhöhen. „Auch wenn dadurch bestimmte
man derzeit noch nicht im Taxi; während der Testphase befindet            Spezialisten im Bereich Forschung und Entwicklung. Biotronik        im Stadtteil One-North zusammen. Dort befinden sich auch eine        Jobs in Zukunft zunehmend verschwinden, entstehen gleichzeitig
sich stets ein Nutonomy-Mitarbeiter mit an Bord, der im Notfall           plant, in den kommenden Jahren weitere 20 Millionen Euro in das     staatliche Universität, ein Universitätsklinikum, die Fachhoch-      viele neue“, sagt Iswaran. Umschulungs- und Weiterbildungs-
eingreifen kann.                                                          Singapur-Werk zu investieren.                                       schule für Polytechnik sowie der Park für angewandte Forschung       maßnahmen werden zudem ein wichtiger Teil des Restrukturie-
                                                                                                                                              Singapore Science Park.                                              rungsprogramms sein.

                                                                     10
#1 ERFOLGSREZEPTE - Die Zeit
SMARTE NATION
   SINGAPUR –
 NACHHALTIGES
        LEBEN
      IN EINER
  VERNETZTEN
                 Singapur will global die erste   „Singapur ist ein kleines Land“, betont      einem Staatsgebiet von 710 Quadrat­k ilo­
                 „Smarte Nation“ werden. Was      Goh Chee Kiong, Executive Director Clean-    metern ist das Territorium etwas kleiner
                                                  tech & Cities, Infrastructure & Industrial   als die Hansestadt Hamburg. Dafür leben

          WELT
                 bedeutet das – und wie können
                 deutsche Unternehmen davon       Solutions des Singapore Economic Deve­-      hier dreimal so viele Menschen: circa
                 profitieren?                     l­o pment Board (EDB). „Die beengten Ver-    5,5 Millionen. 2030 werden es Prognosen
                                                  hältnisse in Singapur machen es nötig,       zufolge mehr als sechs Millionen sein.
                                                  intensiver über die Nutzung des vorhan­      Damit die Lebensqualität nicht abnimmt,
                                                  denen knappen Raumes nachzudenken als        sondern sogar noch verbessert wird, un-
                                                  in anderen Metropolen.“ Denn der Insel-      ternehme Singapur gewaltige, langfristig
                                                  stadtstaat kann sich – trotz zahlreicher     orientierte Anstrengungen, wie Goh sagt,
                                                  erfolgreicher Landgewinnungs­m aßnah­        die alle Bereiche des gesellschaft­l ichen
                                                  men in den vergangenen Jahren – nicht        Miteinanders beträfen: von Verkehr und
                                                  mehr viel weiter meerseitig ausdehnen,       Healthcare über Wohnen und Sicherheit
                                                  ohne in Grenzkonflikte zu geraten. Mit       bis hin zu Umweltschutz und Infrastruktur.

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#1 ERFOLGSREZEPTE - Die Zeit
Den Bürgern das Leben erleichtern             vernetzt, indem sie durch Datensilos von        managementtools –, lassen sie sich oft         An all diesen Beispielen wird deutlich:
Als Schlagwort dafür hat sich internatio-     Regierungsämtern geleitet werden, die           auch in andere asiatische Länder exportie­     Die Anstrengungen, die Singapur unter-
nal der Begriff „Smart City“ herausgebil-     vertikale Themen wie Umwelt, Sicherheit         ren und können dabei hohe Skalen­e ffekte      nimmt, um seiner Rolle als „lebendiges
det. Smart Citys sind gut funktionierende     oder Energie intelligent miteinander ver-       erzielen. Das heißt, die Kapazitäten wer-      Testlabor“ gerecht zu werden, dienen so-
Organismen, die auch für die nächsten         zahnen.                                         den erhöht, ohne dass die Investitionskos-     wohl dem Ziel, sich zu einer „smarten,
Generationen vital und lebenswert sind.                                                       ten entsprechend steigen, was wiederum         nachhaltigen und lebenswerten Nation“
In den vergangenen Jahren haben mehrere       Mitwirkung der Bürger gefordert                 zur Folge hat, dass der Gewinn wächst.         zu entwickeln, als auch der Wirtschaft,
Städte auf der ganzen Welt sogenannte         Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Mitwir-      „Vor allem solche skalierbaren Geschäfts-      indem hier ganz neue Geschäftsfelder und
Smart City Solutions umgesetzt, um ihren      kung der Bürger bei der Erhebung und            ideen sind es, die staatlichen Behörden        -möglichkeiten entstehen.
Bürgern das Leben zu erleichtern. Dies        Aktualisierung von Daten: Einwohner             am Herzen liegen“, sagt Goh.
geschah – wie in der spanischen Vor­z eige-   von Singapur haben die Möglichkeit, die                                                        Smarte Industrie – klare Vorteile für
stadt Santander – in erster Linie auf         Datenbanken, die mit den Orten verknüpft        Neues ausprobieren – Fehler zulassen           deutsche Unternehmen
Grundlage einer massiven Erhebung von         sind, in denen sie wohnen oder sich             In der Regel werden Initiativen erst ein-      Der Begriff „smart“ ist dabei keineswegs
Daten. Hier geben beispielsweise Sensoren     anderweitig aufhalten, selbst zu aktuali-       mal im kleinen Maßstab beziehungsweise         nur auf grüne Technologien oder auf Um-
an Verkehrsampeln und Überwachungs­           sieren. So können sie beispielsweise mit        in kleinen Mengen erprobt und erst dann        weltschutz beschränkt. Er steht auch für
kameras Auskunft über die Situation auf       ihrem Mobiltelefon defekte Beleuchtungs-        ausgeweitet, wenn sie reif genug sind. Oft     die Automatisierung und Digitalisierung
den Straßen und ermöglichen eine Opti-        anlagen melden oder vor Verkehrsun­fäl­         ist dafür ein langer Atem nötig. So habe       industrieller Produktionen und Prozesse.
mierung des Verkehrsflusses durch regu-       len warnen. Das alles geschieht in Echt-        laut Goh beispielsweise die nationale          Industrie 4.0 (siehe Interview Lim Kok
lierende Maßnahmen.                           zeit und wird auf der 3-D-Karte des             Wasserbehörde in Singapur, das Public          Kiang), Big Data, Internet of Things – all
                                              Stadtstaates sichtbar gemacht. Goh: „Hier-      Utilities Board, bislang schon ungefähr        das eröffnet neue Perspektiven und be-
In der Vernetzung liegt die Kraft             bei kommt Singapur zugute, dass wir mit         150 Pilotprojekte für Wasseraufbereitungs-     schleunigt die Entwicklung Singapurs zur
Singapur ist aber schon wesentlich weiter.    durchschnittlich mehr als einem Smart-          technologien begleitet.                        „Smart Nation“. Das hat viele deutsche
Es geht hier nicht mehr nur um smarte         phone pro Einwohner wohl die höchste            Andere vielversprechende Modelle werden        Unternehmen auf den Plan rufen. An vor-
Einzelprojekte, sondern um das große          Smartphone-Dichte der Welt haben.“              zunächst in begrenztem Rahmen getestet.        derer Stelle stehen Spezialisten wie der
Ganze: Vor zwei Jahren hat Premierminister    Auf der öffentlich zugänglichen „Smart          Das können smarte Systeme für die häus-        Industriekonzern Bosch, der Software­
Lee Hsien Loong deshalb einen neuen           Nation Platform“ (SNP) werden Regierung,        liche medizinische Pflege von älteren          hersteller SAP, der Filtersysteme-Anbieter
Entwicklungsplan ausgerufen: „Smart           Bürger, privater Sektor und Forschungs-         Menschen in der Nachbarschaft sein oder        Mann+Hummel, der Sensorenentwickler
Nation“. Er sagte: „Es gibt viele Städte,
die ‚smart‘ sein wollen. Der Unterschied
                                              einrichtungen zusammengebracht. Bei die-
                                              sem ganzheitlichen Ansatz ziehen alle an
                                                                                              neu entwickelte Energieeffizienzmaßnah-
                                                                                              men, die dann zunächst in bestimmten
                                                                                                                                             Pepperl+Fuchs oder der Technologieriese
                                                                                                                                             Siemens, die in Singapur mit Niederlassun-
                                                                                                                                                                                             GOH CHEE
zu uns ist: Singapur ist nicht nur Stadt,     einem Strang. Mithilfe der Daten aller Be-      Stadtgebieten eingesetzt werden. Goh:          gen, regionalen Headquarters sowie For-           KIONG –
sondern gleichzeitig auch ein Land. Das
bedeutet, wir können das Thema ganz-
                                              teiligten lassen sich zielgenau neue Tech-
                                              nologien exakt dort einsetzen, wo ihre
                                                                                              „Eine große Anziehungskraft auf Unter-
                                                                                              nehmen geht von unserem systematischen
                                                                                                                                             schungs- und Entwicklungszentren vertre-
                                                                                                                                             ten sind. Die Vorteile liegen auf der Hand,
                                                                                                                                                                                            EXECUTIVE
heitlich und nicht nur aus der Sicht einer    Wirkung am größten ist.                         Ansatz aus. Dieser ist: Neues ausprobieren,    wie Goh sagt: „Erstens ist Singapur für sie     DIRECTOR
Kommune angehen. Wir sind in der Lage,
sämtliche Ressourcen von Institutionen,       „Lebendiges Testlabor“
                                                                                              Fehler zulassen, daraus lernen und den Test­
                                                                                              rahmen dann bis zur Marktreife schritt­
                                                                                                                                             eine Modellstadt für Asien. Von hier aus
                                                                                                                                             können sie sich ideal auf den Wachstums-
                                                                                                                                                                                           CLEANTECH
Bevölkerung und Unternehmen, die eine         „Singapur ist wie ein lebendiges Testlabor      weise vergrößern.“ Auf diesem fruchtbaren      markt vorbereiten. Zweitens finden sie            & CITIES
Nation ausmachen, zu bündeln, um uns          für Vorhaben, die hier bereits Realität sind,   Boden gedeihen zukunftsweisende Ideen.         eine Umgebung vor, in der sie ihre kreati-
voll auf die großen komplexen Probleme        während sie woanders bloße Zukunftsvisi-                                                       ven Ideen direkt auf deren Anwendbarkeit
zu konzentrieren, also auf all das, was für   onen sind“, betont Goh. So wurden zum           80 Prozent grüne Gebäude bis 2030              testen können. Drittens profitieren sie von
uns, für die Menschen, von Bedeutung ist.     Beispiel in Singapur schon die ersten Ver-      Eine Anwendung wird beispielsweise bei         enormen Investitionen der Regierung in
Es geht also nicht um berauschende High-      suche selbstfahrender Taxis unternom-           der Reinhaltung der Gemeinschaftsan­           die Forschung. Und viertens können sie
tech, sondern darum, unser Leben positiv      men. Außerdem unterstützt der Stadtstaat        lagen in den HDB-Gebäuden (Housing and         auf einen gigantischen Fundus an öffent-
zu verändern.“                                Forschungen rund um das autonome Fah-           Development Board) behilflich sein – den       lich zugänglichen Daten zurückgreifen,
Nachhaltigkeit („Sustainability“) ist der     ren und ermöglichte etwa dem Unterneh-          staatlichen Wohnungen von Singapur,            der in dieser Komplexität auf der Welt ein-
Schlüsselfaktor. Das Programm „Smart          men nuTonomy, in einem 2,5 Quadrat­             die fast 80 Prozent des Immobilienbe-          zigartig ist.“
Sustainable Nation“ nutzt konsequent das      kilometer großen Geschäftsviertel Tests         stands ausmachen. Sie informiert in Echt-      Zusammengenommen sorgen diese Gege-
Potenzial modernster Informations- und        durchzuführen. Infrastruktur, Wetter und        zeit über den Umfang der Abfälle, die in       benheiten nach den Worten Gohs für ein
Kommunikationstechnologie. Im Mittel-         Straßenverhältnisse sind ideal dafür.           jedem Wohnblock, jeder Straße, jedem           gewaltiges Potenzial Singapurs, Lösungen
punkt stehen laut Goh Big Data, Analyse-      Unternehmen können laut Goh im Schul-           Viertel entsorgt werden müssen. Ein wei-       für Gegenwart und Zukunft zu entwickeln,
technologien und vor allem Sensornetz-        terschluss mit der Regierung innovative         teres Projekt, das Singapur beispielsweise     die weit über Südostasien hinaus relevant
werke. Zum einen wird die Datenerhebung       urbane Lösungen entwickeln und ver-             im Verkehrsbereich mit großer Dynamik          sind und für veränderte Verhaltensweisen
mit neuen Sensoren intensiviert. „Wir         markten. „Sie können hier Tests in einer        vorantreibt, ist die „Kilometer-Maut“:         im globalisierten Zeitalter stehen. Mit dem
haben mehr als 1.000 Sensoren in der gan-     sicheren und überwachten Umgebung               Man zahlt nur für die tatsächlich gefahre-     Gesamtkonzept „Smart Nation“ will die
zen Stadt verteilt, noch einmal so viele      durchführen und bei Erfolg relativ prob-        ne Strecke. Im Umweltsektor wiederum ist       pulsierende Millionenmetropole zur nach-
werden in Kürze hinzukommen“, so Goh.         lemlos damit an den Markt gehen“, so            es unter anderem das Ziel, dass bis 2030       haltigsten und lebenswertesten Stadt in
Zum anderen aber – und das ist das Ent-       Goh. Setzen sich die Lösungen dann in           mindestens 80 Prozent aller Gebäude in         ganz Asien werden – ein Ziel, das in vie-
scheidende – werden die gewonnenen            Singapur durch – wie jüngst Wasserauf­          puncto Energieeffizienz als grüne Gebäude      lerlei Hinsicht heute schon erreicht ist.
Daten künftig immer besser miteinander        bereitungstechnologien oder Transport-          zertifiziert werden.

                                                                   14                                                                                                                            15
#1 ERFOLGSREZEPTE - Die Zeit
„WIR BEOBACHTEN EINE                                                                                                                                                   DIE BEDEUTUNG
AUFREGENDE DYNAMIK“                                                                                                                                                 VON INDUSTRIE 4.0
                                                                                                                                                                  FÜR SINGAPUR, ASIEN
LIM KOK                                                                                                                                                                 UND DEUTSCHE
KIANG –                                                                                                                                                                 UNTERNEHMEN
ASSISTANT
MANAGING
DIRECTOR
DES EDB

  Industrie 4.0 – ursprünglich ein             Technologien, die digitaler Natur sind und      bei eine große Rolle, etliche von ihnen          Singapur ist wirtschaftliche Dreh-            Industriezweig kann die digitale Fertigung
  deutscher Begriff für den aktuellen          mit dem Begriff „Internet der Dinge“ ver-       sind schon seit langer Zeit hier, wie Siemens,   scheibe für ASEAN und Asien.                  auf der einen Seite serielle Maßanferti-
  Trend, IT-Technologien mit Produktions-      bunden werden. Er bezeichnet die Verknüp-       Evonik oder Infineon. Heute ist Singapur         Wie wird sich diese Rolle angesichts          gung und Dezentralisierung der Produk­
  technologien zu verschmelzen, um             fung physischer Objekte wie Maschinen,          für sie ein wichtiges strategisches Stand-       Industrie 4.0 verändern?                      tion bedeuten, aber auf der anderen Seite
  dadurch neue, innovative Produkte und        Geräte, Autos oder Gebäude mit einer vir-       bein. Sie schätzen es, dass sie hier ein ide-    Es gibt einige unausweichliche Entwick-       auch zur Zentralisierung des gesamten
  Leistungen zu ermöglichen – elektri-         tuellen Repräsentation in einer internet-       ales Umfeld vorfinden, um das Zukunfts­          lungen. Asien wird als Wirtschaftsraum        Herstellungsprozesses an einem Standort
  siert seit geraumer Zeit die Wirtschaft.     ähnlichen Struktur. Prozessoren, Sensoren       projekt Industrie 4.0 in ihren Fabriken          wachsen. Aber wir wissen auch, dass Asien     führen. Es kommt auf den Bedarf an und
  Was ist so spannend daran?                   und Netzwerktechnik, die in den Objekten        und Werkstätten umsetzen und vorantreiben        zersplittert ist. Einige würden sagen, dass   das Produkt.
  Industrie 4.0 ist in der Tat eine deutsche   eingebettet sind, ermöglichen die Daten­        zu können. Auch wir profitieren davon.           sogar China nicht homogen ist und gewis-      Ich denke, dass Singapur eine wichtige
  Wortschöpfung. Ähnliche Initiativen gibt     erfassung und den Datenaustausch – als          Deutsche Unternehmen sind starke Part-           sermaßen aus mehreren Chinas besteht,         Rolle für Unternehmen spielen wird, die
  es allerdings in vielen Ländern. In den      Grundlage für intelligente Automatismen         ner für uns, nicht zuletzt weil sie im Inge-     was etwa die Nachfragesituation und wei-      in diesem Bereich investieren wollen.
  Niederlanden beispielsweise besteht sie      und optimierte Abläufe. Man kann sagen,         nieurwesen und in der Fertigung führend          tere wirtschaftliche Rahmenbedingungen        Wie gesagt ist die Fertigungsindustrie hier
  unter der Bezeichnung „Smart Manufac­        dass Ingenieurkunst und „IT“ immer stär-        sind. Die Kooperation mit ihnen hilft uns        betrifft. ASEAN wiederum besteht offen-       zu Hause und wird gefördert. Unsere
  turing“, zu Deutsch: „Intelligente Ferti-    ker zusammenwachsen und verschmel­z en.         dabei, in der digitalen Herstellung Gel-         kundig aus zehn recht unterschiedlichen       Vision ist, dass alle Herstellungsbetriebe
  gung“. Andere nennen sie „Digital Manu-      Das wird die Fertigung revolutionieren.         tung zu erlangen und an Industrie 4.0 zu         Nationen. Es ist ein gigantischer Markt,      in Singapur zu den besten am Markt ge­
  facturing“, wieder andere „Smart Factory“,                                                   partizipieren. Es ist ein perfektes Zusam-       aber durch teils stark differierende Merk-    hören – bezogen auf Technologie, Produk­
  also „Intelligente Fabrik“. Die Chinesen     Warum widmet sich gerade Singapur               menspiel.                                        male und Eigenheiten gekennzeichnet.          tivität und Effizienz. Darum entwickeln
  sprechen von „Made in China 2025“. Ver-      so leidenschaftlich diesem Thema?               Der andere Grund, warum Singapur von             Mit den Möglichkeiten, die Industrie 4.0      wir kontinuierlich weiter, seien es Produkte,
  schiedene Länder, verschiedene Regio-        Ein Grund, warum wir davon so begeistert        Industrie 4.0 begeistert ist: Die Initia­t ive   bietet, kann man den jeweiligen Märkten       Prozesse oder Lösungskonzepte, die in
  nen, verschiedene Unternehmen verwen-        sind, ist: Seit unserer Unabhängigkeit 1965     ist geradezu existenziell für uns, weil          und Marktbedürfnissen noch besser gerecht     der Region umsetzbar sind. Sollte sich ein
  den also unterschiedliche Begriffe. Sie      macht die herstellende Industrie einen          unsere Ressourcen nun mal knapp sind.            werden als bislang – etwa durch datenge-      Unternehmen dazu entschließen, die Fer-
  alle basieren auf der Grundidee, dass man    großen Teil unserer Wirtschaft aus. Sie trägt   Humankapital, Land und Raum sind be-             triebene Serviceleistungen und Lösungen,      tigung zu dezentralisieren und in verschie-
  eine Reihe ausgereifter fortschrittlicher    in erheblichem Maß zu unserem Bruttoin-         grenzt. Industrie 4.0 versetzt Singapur in       aber auch durch Herstellungsverfahren,        dene Länder zu verlagern, dann empfiehlt
  Technologien so intelligent miteinander      landsprodukt bei und hat zahlreiche attrak-     die Lage, diese Verknappung in gewisser          die es erlauben, ohne ausufernde Kosten       sich Singapur als geeigneter Sitz, von wo
  verzahnt, dass Herstellungsprozesse kom-     tive Arbeits- und Aufstiegsmöglichkeiten        Weise zu überwinden und dadurch auf              maßgeschneidert zu produzieren. Die           aus alles gemanagt werden kann, nicht
  plett anders laufen können als bisher be-    für die Menschen in Singapur geschaffen.        dem Gebiet der Fertigungsindustrie wett-         Digitalisierung wird auch die Logistik be-    zuletzt deshalb, weil hier geistiges Eigen-
  kannt. Und das macht es so spannend.         In vielen Bereichen sind wir in puncto          bewerbsfähig zu bleiben und sogar noch           einflussen. Ich kann beispielsweise einen     tum und Echtzeitdaten sicher sind und
                                               Technologie und Effizienz bereits spitze.       zu wachsen. Deshalb gehen wir hier we-           3-D-Drucker, der Sportschuhe exakt nach       zuverlässig geschützt werden. Man mag
  Welche fortschrittlichen Technologien        Die Industrie in Singapur hat eine kritische    sentlich offensiver vor als andere Länder,       den Wünschen des jeweiligen Kunden            beispielsweise in jedem asiatischen Markt
  hat Singapur vor allem im Blick?             Masse erreicht, sei es im Halbleitersegment,    indem wir Entwicklungen anstoßen und             „druckt“, in China genau dort aufstellen,     3-D-Drucker installieren, um nah an den
  Auf der einen Seite interessieren uns        in der Luft- und Raumfahrt oder im Erdöl-       Unternehmen dabei unterstützen, den              wo die Nachfrage groß ist, und muss nicht     Konsumenten zu produzieren. Allerdings
  fortschrittliche Fertigungstechnologien,     und Chemiesektor. Das macht Singapur            nächsten Schritt in diese Richtung zu wa-        mehr aus Kostengründen umständlich in         muss es eine Zentrale geben, von wo aus die
  prozessorientiert, wie 3-D-Druck oder        wettbewerbsfähig und als Investitionsstand­     gen. Tatsächlich beobachten wir eine auf-        einem anderen Land produzieren und            Produktion gesteuert und kontrolliert wird.
  Robotertechnik. Auf der anderen Seite        ort begehrt. Deutsche Firmen spielen hier-      regende Dynamik.                                 dann von dort anliefern lassen. Je nach       Dafür ist Singapur der ideale Standort.

                      16                                                                                                                                            17
WIE                                           Wer an der Zukunft arbeitet, möchte wissen, wer ihm dabei über            Rekordinvest für die Essener

GENAU
                                              die Schulter schaut. Schon im Bus die erste Passkontrolle. Sind           Einige Hundert Meter weiter steht die bislang größte Investition
                                              auch alle Journalisten registriert? Dann die Schranke passieren,          der Firmengeschichte von Evonik: die im November 2014 eröffnete,
                                              aussteigen. Leibesvisitation, nochmals Identität feststellen,             rund 500 Millionen Euro teure Anlage zur Produktion von Me­
                                              Daten­vergleich. Wieder in den Bus zurück, erneut durchzählen,            thionin. Das sind Aminosäuren, die zur Herstellung von Futter-

RIECHT EIGENTLICH                             weiter geht’s. Die kilometerlangen Straßen hinter der Absperrung
                                              führen zu den Chemieanlagen internationaler Big Player wie
                                              BASF, BP und LANXESS. Wo man hinsieht, verschlungene Rohre,
                                                                                                                        mitteln in der Tierernährung eingesetzt werden. Jahreskapazität:
                                                                                                                        150.000 Tonnen. Doch das reicht nicht. Anfang 2016 wurde der
                                                                                                                        Startschuss gegeben, um bis 2019 hier eine weitere Methionin-

       ERFOLG                                 im Sonnenlicht aufblitzend. Arbeiter, denen die Hitze nichts aus-
                                              zumachen scheint. Mehr als 100 Unternehmen der Spezialchemie
                                              und petrochemischen Industrie tummeln sich auf Jurong Island
                                                                                                                        Anlage zu errichten. Angeschlossen ist seit 2013 zudem ein Analy­
                                                                                                                        tikzentrum für Aminosäuren. Auch viele Marketing- und Vertriebs-
                                                                                                                        aktivitäten sowie die meisten internen Dienstleistungen für die

       ?
                                              in Singapur.                                                              Region hat das Unternehmen in Singapur gebündelt. Evonik weist
                                                                                                                        keine separaten Finanzzahlen für Singapur aus. Dem Geschäfts-
                                              Eldorado für die Chemieindustrie                                          bericht ist zu entnehmen, dass der Konzern im Asien-Pazifik-
                                              Ehemals war dieser südliche Zipfel des Stadtstaates lediglich             Raum 2,84 Milliarden Euro Umsatz macht – ungefähr 21 Prozent
                                              eine Ansammlung von sieben kleinen, mückengeplagten Inseln,               des Gesamtumsatzes. Mehr als 900 Mitarbeiter sind in Südost­
                                              die zusammen etwa zehn Quadratkilometer groß waren. Um Platz              asien beschäftigt.
                                              zu schaffen, ließ die Regierung ab 1995 die Flächen dazwischen
                                              mit Sand aufschütten. Mittlerweile erstreckt sich der Industrie-          Vertrauter Partner Siemens
                                              park auf 32 Quadratkilometer und bildet den größten Chemie­               Das Unternehmen strebt danach, eines der innovativsten der Welt
                                              cluster in Südostasien. Weil Asien als Absatzmarkt für chemische          zu werden. Um die Entwicklung voranzutreiben, ist Evonik auf
                                              Erzeugnisse an Bedeutung gewinnt, drängen die Konzerne in die             kompetente Partner angewiesen, mit denen man auf Zukunftsfel-
                                              Region. Eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger                dern wie der Digitalisierung vertrauensvoll zusammenarbeiten
                                              kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2035 der Anteil des asiatischen           kann. Und hier kommt ein weiteres deutsches Unternehmen ins
       Siemens und Evonik                     Marktes am weltweiten Chemieumsatz auf 62 Prozent steigen wird.           Spiel: Siemens. Der Münchener Technologiekonzern arbeitet schon
       öffnen gemeinsam neue Horizonte                                                                                  seit vielen Jahren in Deutschland, Europa und anderen Teilen der
       für die industrielle Digitalisierung   Evonik erweitert Kapazitäten                                              Welt eng mit Evonik zusammen. Die ausgeklügelte Stromversor-
                                              Unser Ziel an diesem Tag: die Anlage für Öladditive des Essener           gungstechnik für die Methionin-Anlage auf Jurong Island bei-
                                              Spezialchemieunternehmens Evonik. Peter Meinshausen, Regio-               spielsweise stammt von Siemens. Das Alarmmanagementsystem
                                              nal President Südostasien, Australien und Neuseeland, ist be­             der Öladditiveanlage ebenso. Hier sorgen softwaregesteuerte,
                                              eindruckt von der Infrastruktur auf Jurong Island, seiner idealen         miteinander kommunizierende Analyseinstrumente und integ-
                                              geografischen Lage, der Verfügbarkeit von Rohstoffen und quali-           rierte Prozessautomatisierungen dafür, dass Fehler oder kritische
                                              fizierten Arbeitskräften und nicht zuletzt der lokalen Unterstüt-         Situationen schnell erkannt, bewertet, priorisiert und sicher be-
                                              zung durch Singapurs Regierungsorganisationen wie die Behörde             hoben werden. Mithilfe von Siemens lassen sich die Alarme und
                                              für Wirtschaftsentwicklung, das Singapore Economic Development            die Auslöser der Alarme besser aussteuern – ein enormer Zeit­
                                              Board (EDB). Wir steigen aus. Es weht uns ein süßer, beißender            gewinn und ressourcenschonend obendrein.
                                              Geruch entgegen. Es ist der Geruch des Erfolgs: Die steigende
                                              Mobilität in Asien, der höhere Stellenwert von Ressourceneffizi-          Singapur als Vorzeigemarkt
                                              enz und Kraftstoffeinsparung sowie die strengeren Vorgaben                Seit 1908, also mehr als 100 Jahre, ist Siemens in Singapur.
                                              von Emissionsgrenzwerten kurbeln die Nachfrage nach Hochleis-             „40 Prozent der Energie des Stadtstaates werden von Turbinen
                                              tungsschmierstoffen an, wie Meinshausen berichtet. Deshalb                der Münchener erzeugt“, betont Dr. Armin Bruck, CEO von Siemens
                                              haben die Essener vor einem Jahr die Produktionskapazität der             Singapur und ASEAN. Die Nähe zu den wachsenden asiatischen
                                              2008 für zehn Millionen Euro errichteten Ölzusatzanlage erwei-            Märkten, eine breite Auswahl kompetenter Mitarbeiter und das
                                              tert. Sie ist nun die größte innerhalb des weltweiten Evonik-             gute Networking der lokalen Universitäten, Polytechnika und der
                                              Netzes. Derzeit bedient Evonik die Mehrheit seiner Kunden aus             öffentlichen Forschungsinstitute machen Singapur für Siemens so
                                              dem asiatischen Raum mit Produkten aus der Anlage in Singapur.            attraktiv. Aber auch die Unterstützung durch die Regierung bezie-
                                              Auch ein Technology Center, das neue Anwendungen für Öladdi-              hungsweise deren Einrichtungen und nicht zuletzt die politische
                                              tivprodukte entwickelt und testet, hat seit 2014 hier seinen Sitz.        Stabilität. „Singapur ist für uns ein Vorzeigemarkt“, so Bruck.

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M   Y   P   O   I   N   T   O   F   V   I   E   W

„Weil er anderen Ländern in der Region zeigt, wo sie selbst stehen         unter Zeitdruck zu beheben waren. „Wir können mit unseren
können in den kommenden 10, 15 oder 20 Jahren.“ 2015 beschäf-              Programmen die Produktion eines gesamten Monats simulieren,
tigte das Unternehmen über 1.500 Mitarbeiter im Land und                   mit mehreren virtuellen Personen, die in der Fertigung arbeiten“,
erwirtschaftete 436 Millionen Euro. Die Hauptgeschäftsfelder               so Klein. Bis zu 6.000 Stück ließen sich in seiner Computer-
sind Energie, Medizintechnik, Industrie und Infrastruktur. Bruck           welt „vor“produzieren. Dadurch werde beispielsweise sichtbar,
geht von einem dynamischen Wachstum in den kommenden                       wo sich die Mitarbeiter gegenseitig im Weg stehen, wo der Pro-
Jahren aus. Das Bankhaus Goldman Sachs bezifferte die voraus-              zess ins Stocken gerät. Entsprechend könne dann das Konzept
sichtliche Nachfrage allein nach Energie und Mobilität im                  nachjustiert werden.
ASEAN-Raum auf 525 Milliarden US-Dollar bis 2020. „Eine Menge              Ist die Realisierung der Fabrik erfolgt, läuft der „digitale Zwil-
Geld und eine fantastische Chance für unser Haus“, so Bruck.               ling“ dennoch weiter mit und wird mit Messdaten von moderns-
                                                                           ten Sensoren gefüttert, die überall angebracht sind. So lassen
Fokus Digitalisierung                                                      sich Umrüstvorgänge und der Produktfluss über den gesamten
Seit mehr als 30 Jahren forscht und entwickelt Siemens auch                Lebenszyklus virtuell nachstellen, kann die Fertigung optimiert
in Singapur. Der Fokus liegt dabei auf Elektrifizierung, Auto­             oder das Produkt modifiziert werden, um etwa den Energiever-
matisierung und insbesondere Digitalisierung.                              brauch weiter zu senken oder Ressourcen einzusparen.
„Industrieunternehmen in Südostasien sehen sich durch die
Globalisierung einem wachsenden Wettbewerb ausgesetzt“,                    Kernelement ist eine interdisziplinäre Datenplattform
erklärt Raimund Klein, Executive Vice President und Head of                Basis dafür sind nicht nur leistungsstarke Programme, die in der
Industry Siemens ASEAN. „Sie müssen die Digitalisierung voran-             Lage sind, alle Informationen zur Maschine, zur Produktionslinie
treiben, um ihre Produk­tivität zu erhöhen und gleichzeitig ihre           oder zum Betrieb so zu verarbeiten und aufzubereiten, dass
Kosten zu senken. Siemens unterstützt sie dabei.“ Dafür bietet             daraus virtuelle 1:1-Gegenstücke entstehen. Voraussetzung dafür,
Siemens ein breites Spektrum an Lösungen, die Hardware, Soft-              dass der ganz große Coup gelingt, sprich die vollständige Digi­
ware und technischen Service vereinen. „Wir helfen unseren                 talisierung der Wertschöpfungskette, sei nach den Worten Kleins
Kunden, einen weiteren Schritt in Richtung Industrie 4.0 zu                insbesondere eine einheitliche Datenplattform, die „interdis­
machen“, so Klein.                                                         ziplinär einen lückenlosen Datenfluss über alle Unternehmens­
                                                                           ebenen und Projektphasen hinweg ermöglicht“. Sämtliche
Der „digitale Zwilling“ simuliert die Realität                             Informa­t ionen, ob aus der Mechanik oder Elektronik, werden
Siemens verwendet beispielsweise heute schon den „digitalen                dafür in einer zentralen Datenbank gespeichert, sodass alle am
Zwilling“, der ein Abbild eines Produktes, einer realen Maschine           Projekt Beteiligten sowohl in der Planungs- als auch in der
oder einer realen Fabrik in virtueller Realität simulieren kann.           Betriebsphase darauf zugreifen können. „Nur so lässt sich die
Wenn es nach Raimund Klein ginge, würde dieser „digitale Zwil-             gesamte Fabrik bis hin zu einzelnen Bauteilen jederzeit und welt-
ling“ schon bald jede Phase der Wertschöpfungskette be­gleiten –           weit funktions­o rientiert und fachübergreifend betrachten und
angefangen beim Produktdesign über die Produktionsplanung                  weiterent­w ickeln“, sagt Klein. Dieses Prinzip gilt nicht nur für die
und das Engineering bis hin zu Inbetriebnahme, Betrieb, Service            Fertigungsindustrie, wie hier dargestellt, sondern ebenfalls –
und Modernisierung.                                                        entsprechend angepasst – für die Prozessindustrie. Auch hierfür
Beispiel Fertigungsindustrie: Wo entstehen Flaschenhälse? Wo               haben Klein und sein Team Modelle entwickelt.
wird in der Fertigung unnötig Zeit verschwendet? Wann empfiehlt
sich der Einsatz von Robotern anstelle von Menschen? Welche                Auf dem Weg zur komplett digitalen Fabrik
Gefahrenquellen gibt es für die Mitarbeiter? All diese Fragen kann         Siemens hat bislang bei Unternehmen zwar immer nur Teilbe­
der „digitale Zwilling“ in seiner virtuellen Welt beantworten, noch        reiche der Wertschöpfungskette digitalisiert. Das könnte sich
bevor überhaupt der erste Stein der realen Fabrik gelegt, die erste        aber bald ändern. Denn in Zukunft wird es immer mehr Fabriken
Schraube für die Maschine angefasst wird. Das reduziere laut               und Anlagen geben, bei denen der komplette Produktionsprozess
Klein die Kosten, beschleunige die Produktion und minimiere das            digitalisiert ist. Für dieses ganzheitliche Konzept haben Siemens
Risiko von Fehlern und Störungen, die früher nur aufwendig und             und Evonik die Saat gelegt.

                                                                                                                                                            1 Cantonment Road: Blick vom Wohngebäude Pinnacle@Duxton

                                                                      20
TALENT
SCHMIEDE
SINGAPUR
      David Wong und
    seine „Lernfabrik“
                an der
  Nanyang Polytechnic
                     –
                        Treffpunkt Nanyang Polytechnic (NYP) in Singapur.
                        Auf den ersten Blick wirkt hier im Eingangsbereich
                        alles sehr nüchtern und kühl. Im gewienerten
                        Boden spiegeln sich die Aufzugstüren. Im Vorder­
                        grund eine hohe Glas­wand, dahinter Treppen zu
                        einem Zwischengeschoss, das offensichtlich zu
                        einer gigantischen Halle führt.

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16.30 Uhr und niemand zu sehen Von den 17.000 Studierenden                  „Poly goes UAS“ als Meilenstein Eines seiner Steckenpferde
der Fachhochschule keine Spur. Gerade ist Examenszeit. Die                  ist die 2014 gestartete Initiative „Poly goes UAS“ (siehe Kasten
meisten büffeln oder werden geprüft. Wenn es nicht zu heiß ist,             Seite 27): Deutsche mittelständische Unternehmen ermöglichen
trifft man einige von ihnen mit ihrem Laptop auf dem Schoß ir-              begabten Studenten der beiden Fachhochschulen NYP und SP
gendwo auf dem ausladenden Campus. Denn das gesamte Areal                   (Singapore Polytechnic), ihr Studium der Ingenieurwissenschaft
verfügt über WLAN. Auf seiner 300.000 Quadratmeter großen                   an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Stutt-
Fläche hätten etwa 60 Fußballfelder Platz. Kon­z ipiert wie eine
Kleinstadt, befinden sich hier Schul- und Verwaltungsgebäude,
                                                                            gart oder an der Hochschule München (HM) fortzusetzen. Der
                                                                            Nachwuchs sammelt hier wertvolle Job-Erfahrung, indem er Prak-
                                                                                                                                                  David
                                                                                                                                                    Wong
eine Bibliothek, Studenten­apartments, Wohnhäuser fürs Perso-               tika in verschiedenen Abteilungen der teilnehmenden Unterneh-
nal, Mensen, Cafeterien, ein Auditorium, Labore, ein Theater und            men durchläuft. Für Singapur in diesem Umfang eine Novität: Die
Fremdsprachenzentrum, Fitnesscenter und Erholungsstätten                    Studierenden sind circa vier Jahre in Deutschland. Sie schnup-
sowie Einkaufsmöglichkeiten. Wer möchte, kann einem der zahl-               pern in Bereiche wie Produktmanagement, Design, Forschung
reichen Clubs der NYP beitreten. Von Tanz und Sport bis Kultur
wird alles ge­b oten. Jeder Unterrichtsraum ist mit Computern und
                                                                            und Entwicklung oder technischer Kundenservice und erhalten
                                                                            ein Stipendium in Höhe von 800 bis 1.400 Euro im Monat.              Head /Additive
Beamern ausgestattet, und an diversen Druckständen lassen sich
Manuskripte schnell vervielfältigen. Das alles hat einen Anteil             Eigene Fachkräfte heranziehen Für die Sponsoren ist es das
                                                                                                                                                 Manufacturing
daran, warum Singapur im weltweiten Wettbewerb um die klügs-                Ziel, sich quasi ihre eigenen Fachkräfte heranzuziehen, die dank
                                                                                                                                                    Innovation
                                                                                                                                                        Centre
ten Köpfe nun schon zum dritten Mal in Folge auf Platz 2 kam –              des Programms tief in die spezifische Materie eintauchen, sich
hinter der Schweiz. Der Stadtstaat ist damit das einzige asiatische         Praxiskenntnisse aneignen und – nicht zu unterschätzen – auch
Land in den TopTen des Global Talent Competitive Index, der von             die eigene Unternehmenskultur kennenlernen. Nachdem die Aus-
der renommierten französischen Wirtschafts­u niversität INSEAD              erwählten erfolgreich ihren ingenieurwissenschaftlichen Bache-
jährlich ermittelt wird. Die Studie, die 83,8 Prozent der Welt­             lorstudiengang abgeschlossen haben, bekommen sie einen An-
bevölkerung und 96,2 Prozent der Weltwirtschaft (BIP) abdeckt,              stellungsvertrag an den Standorten in Singapur, um von dort aus
misst die Wettbewerbsfähigkeit einer Nation in Bezug darauf, wie            mitzuhelfen, den asiatischen Markt zu bearbeiten. So der Plan.
sie Talente findet, fördert und hält. Deutschland liegt auf Rang 16.        Denn die deutschen Industrieunternehmen, die das Programm
                                                                            nutzen, wissen, dass sie auf diesem Weg exzellent ausgebildete
Von München begeistert Plötzlich eine Männerstimme – aus                    Experten mit einem umfassenden technischen Know-how erhal-
Richtung der Aufzüge kommend und sehr vertraut klingend.                    ten. Jack Goh, Managing Director von Sick, beschrieb sie jüngst
Ja, es ist Deutsch: „Rüdiger, nicht wahr? Freut mich sehr.                  so: „Ingenieure mit einer Leidenschaft für Kreativität verbunden
Willkommen!“ David Wong ist Chef des Additive Manufacturing                 mit deutscher technologischer Intelligenz.“ Die ­S ick AG mit Sitz
Innovation Centre (AMIC) an der NYP. Er war Mitte der 70er drei             in Waldkirch ist einer der weltweit führenden Hersteller von Sen-
Jahre in Darmstadt, wo er zum Facharbeiter für Maschinenbau                 soren und Sensor­l ösungen für die Fabrik-, Logistik- und Prozess­
ausgebildet wurde. Danach besuchte er die Meisterschule in                  automation und nimmt seit Jahren an der Initiative teil.
München und wurde Handwerksmeister im Maschinenbau. Es
folgten ingenieurwissenschaftliche und betriebswirtschaft­l iche            Praxis öffnet Perspektiven „Poly goes UAS ist eine exzel­l ente
Masterabschlüsse an der Cranfield-Universität in Groß­b ritannien           Idee“, sagt Wong. „Qualifiziertes Personal wird immer wich­t i­ger
und der National University of Singapore. Darmstadt sei ihm                 und gleichzeitig knapper. Egal ob in den USA, in Japan oder
nicht so sehr in Erinnerung geblieben, aber München habe ihn                Deutschland – alle suchen händeringend nach geeigneten Fach­
begeistert. Die schöne Stadt, das bergige Panorama, die herzli-             kräften für ihre Expansionsstrategien.“ Hinzu komme, dass die
chen Menschen. Seit dieser Zeit ist Wong eng mit Deutschland                Ansprüche an zukünftige Angestellte aufgrund von Globalisie-
verbunden und unterstützt seit Jahren die akademische Zusam-                rungsprozessen und konstanten Veränderungen in Industrie und
menarbeit mit Singapur. Er kann sich noch gut daran erinnern,               Gesellschaft einem steten Wandel unterworfen seien. Die stetige
wie Exbundeskanzler Helmut Schmidt und Singapurs Staats­                    Weiterentwicklung sei die neue Normalität. In diesem Zusammen­
gründer Lee Kuan Yew 1982 gemeinsam das German-Singa­p ore                  hang wachse die Relevanz praktischer Erfahrungen. Sie bilden
Institute aus der Taufe hoben. Es fördert den bilateralen Wissens­          die Basis für lebenslanges Lernen und eröffnen neue Perspekti-
transfer und wurde 1993 in die NYP eingegliedert. „Ich habe                 ven. Wong: „In den Bereichen Ingenieurwesen und Feinmechanik
viele Technologiepartner in Deutschland“, betont Wong. In den               ist Deutschland seit vielen Jahren unser Vorbild für die passende
vergangenen zehn Jahren ist er immer wieder dorthin gereist,                Ausbildung. Deshalb ist die Kooperation so wertvoll.“
um Kontakte zu pflegen, neue Kooperationen zu schmieden und
Partnerschaften einzugehen. „Wenn ich zehn Tage in Deutsch-                 Mehr Vielfalt zulassen Was noch besser laufen könnte? „Ich
land bin, besuche ich täglich zwei, drei Firmen, unter anderem              würde mir wünschen, dass die am Programm ‚Poly goes UAS‘ teil-
um Praktika für meine Studenten aus­z umachen und Möglichkei-               nehmenden Unternehmen pro Jahr nicht nur ein, zwei Studenten
ten der technologischen Zusammenarbeit zu prüfen.“ Auch arbei-              aufnehmen, sondern vier, fünf“, sagt Wong. Zudem lasse der lan-
tet er intensiv mit diversen deutschen Fachhochschulen zusam-               ge Aufenthalt in Deutschland so manchen poten­­ziellen Kandida-
men. „Es gibt mittlerweile einen regen Studentenaustausch                   ten zurückschrecken. Vier Jahre weg von zu Hause sei für junge
zwischen Singapur und Deutschland – aber auch mit anderen                   Leute schon eine große Herausforderung. Länder, wie Großbri-
Ländern. Mit China, Japan, Großbritannien, Frankreich und den               tannien, die ähnliche Programme haben, erlauben beispielsweise,
USA beispielsweise stehen wir in engem Kontakt“, so Wong.                   dass die Studenten zwischendurch auch mal eine Zeit lang an

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