Nephrologie ELSEVIER ESSENTIALS - Das Wichtigste für Ärzte aller Fachrichtungen
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ELSEVIER ESSENTIALS Nephrologie Das Wichtigste für Ärzte aller Fachrichtungen G. Wolf M. Busch A. Pfeil (Hrsg.)
Inhaltsverzeichnis 1 Diagnostik von Nierenerkrankungen 6.5 Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Martin Busch, Alexander Pfeil und Gunter Wolf . . . 1 6.6 Sonstige Therapien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1.1 Symptomatik von Nierenerkrankungen . . . . . . . . 1 6.7 Störungen des Mineral- und 1.2 Urindiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Knochenstoffwechsels 1.3 Blutdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Martin Busch, Alexander Pfeil und Gunter Wolf . . . 90 1.4 Bildgebung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 6.8 Renale Anämie 1.5 Nierenbiopsie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Martin Busch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 6.9 Vorbereitungen für das Nierenersatzverfahren . . . 102 2 Störungen des Elektrolytstoffwechsels und des Säure-Basen-Haushalts 7 Akutes Nierenversagen Joachim Hoyer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Martin Busch, Alexander Pfeil und Gunter Wolf . . . 105 2.1 Elektrolytstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 7.1 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2.2 Störungen des Säure-Basen-Haushalts (SHB). . . . 30 7.2 Definition und Stadieneinteilung . . . . . . . . . . . . . 105 7.3 Pathophysiologische Überlegungen . . . . . . . . . . . 105 3 Glomerulonephritiden und Vaskulitiden 7.4 Formen des akuten Nierenversagens . . . . . . . . . . 107 Rolf A. K. Stahl, Thorsten Wiech und Elion Hoxha. . . 39 7.5 Differenzialdiagnose des akuten 3.1 Glomerulonephritiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Nierenversagens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3.2 Vaskulitiden der großen und mittelgroßen 7.6 Allgemeine Grundsätze der Therapie . . . . . . . . . . 112 Gefäße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 7.7 Nierenersatztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 7.8 Folgen und Prognose eines ANV . . . . . . . . . . . . . 115 4 Interstitielle Nierenerkrankungen . . . . . . . . . 57 Frank Strutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 8 Vererbbare Nierenerkrankungen 4.1 Akute tubulointerstitielle Nephritis . . . . . . . . . . . 57 Oliver Gross . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4.2 Chronische interstitielle Nephritis . . . . . . . . . . . . 60 8.1 Zystennieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 8.2 Typ-IV-Kollagen-Erkrankungen 5 Diabetische Nephropathie (Alport-Syndrom) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Ulrich Alfons Müller, Martin Busch und Gunter Wolf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 9 Arterielle Hypertonie 5.1 Definition, Diagnose und Prävalenz . . . . . . . . . . . 65 Helmut Geiger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 5.2 Risikofaktoren für die Entwicklung einer 9.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 diabetischen Nephropathie . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 9.2 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 5.3 Früherkennung und Prävention der DN . . . . . . . . 68 9.3 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 5.4 Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 9.4 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 5.5 Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 9.5 Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 5.6 Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 9.6 Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 5.7 Nierenersatztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 9.7 Therapieresistente Hypertonie . . . . . . . . . . . . . . . 130 9.8 Hypertensive Krise / Hypertensiver Notfall . . . . . . 130 6 Chronische Nierenerkrankungen Gunter Wolf, Alexander Pfeil und Martin Busch . . . 77 10 Dialysetherapie 6.1 Definition, Ätiologie und Epidemiologie . . . . . . . 78 Gunter Wolf und Martin Busch . . . . . . . . . . . . . . . 133 6.2 Einteilung der chronischen Niereninsuffizienz . . . 78 10.1 Urämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 6.3 Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 10.2 Kontraindikation und Behandlungsende . . . . . . . 134 6.4 Progression von chronischen 10.3 Physikalische Prinzipien der Dialyse. . . . . . . . . . . 135 Nierenerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 10.4 Wahl des Dialyseverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 C0095.indd XI 27/05/20 5:27 PM
XII Inhaltsverzeichnis 10.5 Hämodialyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 11.3 Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 10.6 Hämofiltration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 11.4 Komplikationsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 10.7 Hämodiafiltration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 11.5 Spezialfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 10.8 Nierenersatztherapie auf Intensivstationen 11.6 Verhaltensregeln nach NTx . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (CVVH und andere) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 10.9 Peritonealdialyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 12 Für den Nephrologen relevante urologische 10.10 Andere Verfahren mit extrakorporalem Erkrankungen Kreislauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Susan Foller, Nalyan Ali und Marc-Oliver Grimm. . . . 169 10.11 Langzeitkomplikationen einer 12.1 Harnsteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Dialysebehandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 12.2 Nierentumoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 10.12 Leben an der Dialyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 12.3 Harnwegsinfektionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 12.4 Harnstauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 11 Nierentransplantation 12.5 Hämaturie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Mandy Schlosser, Susan Foller, Marc-Oliver Grimm und Gunter Wolf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 11.1 Prozess zur Aufnahme auf die Warteliste. . . . . . . 149 11.2 Immunologische Grundlagen und Immunsuppression. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 C0095.indd XII 27/05/20 5:27 PM
1.4 Bildgebung 11 Tab. 1.3 Parameter für die nephrologische Autoimmundiagnostik (Forts.) Parameter Bedeutung PLA2R1-Ak Antikörper gegen den Positiv bei ca. 80 % der Patienten mit membranöser GN (› Kap. 3) Phospholipase-A2- Suchtest mittels IFT, Quantifizierung mittels ELISA Rezeptor 1 THSD7A-Ak Antikörper gegen Bestimmung bei membranöser GN – jedoch nur dann, wenn PLA2-R-Ak negativ sind; ist in 2–3 % „thrombospondin type für eine MGN verantwortlich und kann mit Tumorerkrankungen (bis 20 %) assoziiert sein (Stahl 1 domain-containing und Hoxha 2019) protein 7A” 2019). Eine vorrangig aus Leichtketten bestehende Protein- urie bei geringer Albuminurie und zudem GFR-Verlust geschränkter Nierenfunktion (GFR < 30 ml / min) spricht eher für eine Myeloma-Cast-Nephropathie (› möglicherweise mit dem Auftreten einer nephroge- Kap. 7). Die monoklonale sFLC-Konzentration im Serum ist nen systemischen Fibrose (NSF) verbunden. Prä- dann meist > 500 mg / l. Geringe monoklonale Konzen- parate mit stärkerer Bindung von Gadolinium (Gd) trationen der sFLC in Kombination mit einer meist höher- an den Chelatkomplex sind zu bevorzugen. gradigen selektiven Proteinurie deuten auf AL-Amyloidosen hin. Wenn bei Diagnosestellung oder im Verlauf einer MGUS Hinweise einer renalen Schädigung (Nierenversagen, 1.4.1 Sonografie progredienter GFR-Abfall, Proteinurie bis hin zum nephrotischen Syndrom) auftreten, sollte an eine Para- Die Sonografie stellt das wichtigste bildgebende Verfahren in protein-assoziierte Nierenerkrankung gedacht werden. der Nephrologie dar. Sie dient der Initial- und Verlaufs- Sofern eine Leichtketten- oder Paraprotein-bedingte renale diagnostik von Nierenerkrankungen. Die Sonografie hat so- Schädigung bestätigt werden kann, was meist mittels einer wohl bei der Differenzialdiagnose des akuten Nierenver- Nierenbiopsie (› Kap. 1.5) erfolgen muss, kann die Dia- sagens (› Kap. 7) als auch zur Beurteilung von chronischen gnose einer monoklonalen Gammopathie renaler Sig- Nierenerkrankungen (› Kap. 6) ihre Bedeutung. Sie dient nifikanz (MGRS) gestellt werden (Busch und Wolf 2019). dabei auch dem Ausschluss von Raumforderungen. Des Weiteren findet die Sonografie der Nieren zur Abklärung einer arteriellen Hypertonie, von Flankenschmerzen, V. a. 1.4 Bildgebung Nephro- oder Urolithiasis sowie von nephrotischem oder nephritischem Syndrom Anwendung. Die Sonografie ist Voraussetzung für die Durchführung einer Nierenbiopsie Kernaussagen (› Kap. 1.5). • Die Sonografie ist das basisbildgebende Verfahren Als Ultraschalltechniken werden die B-Bild-Sonografie zur Beurteilung der Nieren und der ableitenden Harn- und die farbcodierte Duplexsonografie eingesetzt. Durch eine wege. additive Kontrastmittelapplikation können solide und • Keinen signifikanten Stellenwert in der nephrologi- zystische Nierenbefunde weiter differenziert werden. schen bildgebenden Diagnostik weist das konventio- Im sonografischen Untersuchungsgang der Nieren werden nelle Röntgen auf. zunächst die Größe in drei Ebenen, die Oberfläche (glatt oder • Das Ausscheidungsurogramm (i. v. Urografie) hat an gewellt, mit Einziehungen oder Narben bei u. a. rezidi- Bedeutung verloren und wird nur noch bei bestimm- vierenden Pyelonephritiden, selten noch Renkulierung ten urologischen Fragestellungen eingesetzt. infolge fetaler Lappung) sowie die Breite und Echogenität des • Die Computertomografie (CT) und Magnetresonanz- Parenchymsaums (normal 1,5–2 cm, i. d. R. echoarm im Ver- tomografie (MRT) werden zur weiterführenden gleich zum Pyelon und echoärmer als die Leber, erhöhte Beurteilung renaler Raumforderungen wie auch der Echogenität bei chronischer Schädigung) beurteilt. ableitenden Harnwege eingesetzt. • Mittels MRT ist eine klare Differenzierung zwischen blanden Nierenzysten und zystischen Nierentumoren MERKE Die Nierengröße ist sowohl mit der Körpergröße (positiv) als auch möglich. mit dem Lebensalter (negativ) korreliert. Die normalen Größen- • Der Einsatz von gadoliniumhaltigen Kontrastmitteln durchmesser liegen bei (9)10–12 cm Länge, 5–6 cm Breite und zur MRT-Bildgebung ist bei Patienten mit ein- 3–4 cm Dicke (› Abb. 1.7a). C0005.indd 11 27/05/20 6:17 PM
12 1 Diagnostik von Nierenerkrankungen a Abb. 1.9 Schrumpfniere mit kaum abgrenzbarem Parenchymsaum, Pollänge 7 cm [P660] Ein- oder beidseitig zu große Nieren können infolge Mehrfachanlage (Doppelnieren), bei kompensatorischem Größenwachstum (Hyperplasie einer Einzelniere), Nieren- schwellung bei akuter Entzündung (interstitiell oder im Rahmen von Glomerulonephritiden), auch bei neoplastischer Zellinfiltration auftreten, des Weiteren bei Nierenvenen- thrombose, im Rahmen von Tumoren oder Harnabfluss- störungen, dann meist mit einer Harnstauung kombiniert. b Hufeisennieren weisen eine präaortale Parenchymbrücke Abb. 1.7 Normalbefund eines jungen Erwachsenen (a) und Befund beider Nieren auf. Zystische Degenerationen, die zu sehr eines älteren Patienten mit beginnender Parenchymverschmälerung (b) voluminösen Nieren führen können, fallen durch die multi- [P660] ple und typische Zystenarchitektur auf. Bei zu kleinen Nieren sind v. a. die Parenchymdicke und die Echostruktur des Parenchyms, einschließlich Ver- kalkungen, zu beurteilen. Einseitig kleine Nieren können ein Zustand nach Obstruktion oder Folge chronischen Refluxes mit rezidivierenden Pyelonephritiden sein. Des Weiteren können sie durch Nierenarterienstenosen, Z. n. größeren Niereninfarkten, aber auch als Spätfolge nach Nierenvenen- thrombose oder nach Bestrahlung entstanden sein. Die kon- genitale Hypoplasie führt zu meist einseitiger Verkleinerung bei ansonsten relativ normaler Morphologie (Wolters et al. 2012), die Agenesie zum Fehlen einer Niere. Beidseitig ver- kleinerte Nieren (Schrumpfnieren) finden sich als Langzeit- folge chronischer Glomerulonephritiden und Vaskulitiden, nach thrombotischen Mikroangiopathien sowie auch inter- Abb. 1.8 Geschwollene Niere bei akutem Nierenversagen, diskret stitieller Genese bei Analgetikanephropathie (dann meist mit sichtbare Markpyramiden (Pfeile) [P660] Papillenspitzenverkalkungen kombiniert). Nahezu jede renale Erkrankung kann infolge der progredienten interstitiellen Des Weiteren erfolgt eine Beurteilung des Pyelons (Nieren- Fibrose zu einer Schrumpfnierenbildung führen (› Abb. 1.9). beckenektasie oder Harnstauung) sowie der Parenchym-Pyelon- Eine Ausnahme bilden diabetisch geschädigte Nieren, die Grenze (z. B. verwaschen, u. a. bei Pyelonephritiden). Markkegel relativ lange normal bis übergroß sind. (ödematös anmutende, echoarme Veränderungen des inneren Parenchyms) können auf akute Nierenschäden / Tubulusschaden hindeuten, sind bei Jugendlichen aber physiologisch Harnstauung (› Abb. 1.7 und › Abb. 1.8). Eine physiologische Parenchym- brücke kann sonografisch wie ein Tumor imponieren; im Die Ursachen einer Harnstauung, die je nach Dauer und Aus- Zweifelsfall erfolgt eine weitere Abklärung mittels CT. maß auch zu einem akuten postrenalen Nierenversagen C0005.indd 12 27/05/20 6:17 PM
1.4 Bildgebung 13 Tab. 1.4 Sonografische Einteilung der Harnstauung (nach Wolters et al. 2012) Grad Befund 1 Echofreie Dilatation nur des Nierenbeckens 2 Dilatation des Nierenbeckens und der Nierenkelche, Parenchymdicke noch normal 3 Bild wie bei zweitgradiger Stauung mit beginnender Parenchymverschmälerung und Kelchverplumpung 4 Schwerstes Bild einer Stauung mit Verlust des Nierenparenchyms, entspricht der hydronephrotischen „Sackniere“ Abb. 1.10 Akute Harnstauung Grad 2 einer rechten Niere bei Tumorerkrankung (peritoneal und in paraaortale Lymphknoten metastasiertes Sigmakarzinom) [P660] führen kann, sind mannigfaltig (› Kap. 7). Harnstauungen können infolge einer Erweiterung des proximalen Ureters von Ektasien des Pyelons abgegrenzt werden (› Abb. 1.10). Sonografisch können die Ursachen einer Obstruktion meist nicht geklärt werden, obwohl bei Harnstauung die sonogra- fische Beurteilung des proximalen Ureters möglich ist. Des Weiteren kann der distale Ureter an der Einmündung zur Blase bei entsprechender Blasenfüllung beurteilt werden, wobei gelegentlich Harnsteine gesehen werden können. Bei Abb. 1.11 Nierenzyste Bosniak I, Niere im Querschnitt [P660] der Beurteilung von Harnstauungen ist es wichtig zu unterscheiden, ob die Stauung ein- oder beidseitig ist und ob tinieren (› Kap. 12). In der Differenzialdiagnose einer die Blase gefüllt ist: Harnstauung ist es manchmal schwierig, das Bild einer Harn- • Eine beidseitige Harnstauung bei (über-)voller Blase stauung von Pyelonzysten abzugrenzen. Zysten sind jedoch („Überlaufblase“) ist meist subvesikalen Obstruktionen innerhalb der Nieren meist asymmetrisch in Lage und Form, (Prostatahyperplasie, Prostatakarzinom, Urethrasteno- wohingegen eine Stauung in die Kelche relativ symmetrisch sen) zuzurechnen und kann dann durch Anlage eines angeordnet ist. Blasenkatheters mit Entlastung der Blase leicht behoben werden. • Einseitige Harnstauungen deuten eher auf eine Ob- Nierenzysten / renale Raumforderungen struktion zwischen Niere und Blase hin und müssen weiterführend, meist urologisch, abgeklärt werden Nierenzysten stellen einzelne flüssigkeitsgefüllte Hohlräume (› Kap. 12.4.2). Harnblasenkarzinome können zur im Parenchym der Niere dar, wobei pyelonnahe Zysten auch Verlegung des Ureters oder beider Ureteren führen. als Pyelon- oder parapelvine Zysten (je nach Lage) bezeichnet Die Schwere einer Harnstauung im sonografischen Bild wird werden. Einzelne Nierenzysten sind harmlos und ohne anhand der additiven Beurteilung einer Kelcherweiterung er- therapeutische Konsequenz (› Abb. 1.11). Nierenzysten im möglicht. Die Harnstauung lässt sich sonografisch in vier Rahmen genetisch determinierter Erkrankungen können v. a. Grade unterteilen (› Tab. 1.4). bei familiären Zystennieren (autosomal-dominante poly- Der Nachweis einer Hydronephrose spricht eher für eine zystische Nierendegeneration [ADPKD]), bei medullär chronische Harnabflussstörung und / oder Refluxnephro- zystischen Nierenerkrankungen Typ 1 und 2, Nephronoph- pathie. Bei akuter Obstruktion, z. B. Steinverschluss, kann thise, Meckel-Syndrom, tuberöser Sklerose oder Von-Hippel- eine Dilatation der ableitenden Harnwege fehlen, da es Lindau-Syndrom auftreten. Je zahlreicher und früher die reflektorisch zu einer Oligo- / Anurie kommen kann. Bei ent- Zysten im Leben auftreten, desto höher ist die Wahr- sprechendem Verdacht sind sonografische Verlaufskon- scheinlichkeit einer genetisch determinierten Zystenbildung. trollen, auch unter Volumenstimulation des Harnflusses, Nierenzysten sind v. a. bei älteren Patienten regelmäßig kon- sinnvoll. Bei Nachweis einer Harnstauung, egal welchen Aus- trollierte renale Raumforderungen, die auch hinsichtlich Ma- maßes, ist es immer wichtig, parallele HWI auszuschließen, lignitätskriterien untersucht werden. Dafür hat sich die da Harnabflussstörungen für solche Infektionen prädes- Klassifikation nach Bosniak etabliert (› Tab. 1.5). C0005.indd 13 27/05/20 6:17 PM
14 1 Diagnostik von Nierenerkrankungen Tab. 1.5 Nierenzysten-Klassifikation nach Bosniak (Bosniak 1986; Wolters et al. 2012) Typ Beschreibung I Echofreie benigne Nierenzyste, scharf begrenzt, dünne Zystenwand, keine Septen, keine Kalzifizierung oder feste Anteile, keine KM-Aufnahme II Minimal septierte Zyste mit wenigen und dünnen Septen ≤ 1 mm oder feinen Kalzifizierungen. Zeichen von Einblutungen mit jedoch homogenem Inhalt können auftreten. Sofern Verlaufskontrollen für erforderlich gehalten werden, als Typ IIF bezeichnet III Verdickte Zystenwand und / oder Septen > 1 mm, unregelmäßig, teils mit KM-Aufnahme, irreguläre Verkalkungen, unscharfer Rand, Malignität nicht Abb. 1.12 Vergrößerte und polyzystisch degenerierte Niere bei ausgeschlossen, jedoch auch Infektion oder Einblutung autosomal-dominanter polyzystischer Nierendegeneration, Patientin möglich; stellen bereits komplizierte Zysten dar; dialysepflichtig [P660] Verlaufskontrolle, ggf. Resektion IV Zeichen eines zystischen Malignoms mit soliden Anteilen, teils angrenzende solide Raumforderung, bei entsprechen- der Untersuchungstechnik KM-aufnehmend, stellen komplizierte Zysten dar und sollten engmaschigst verlaufskontrolliert oder reseziert werden Aufgrund der Einteilung, die teils auf dem Kontrastmittel- verhalten der zystischen Strukturen beruht, ist es ver- ständlich, dass zur Beurteilung auch kontrastmittelbasierte Methoden zur Anwendung kommen. Die Kontrastmittel- sonografie ist jedoch stark von der Untersucherexpertise ab- hängig. Die Schwierigkeiten liegen dabei in der dorsalen Schallverstärkung von Zysten sowie in einer erhöhten Rate Abb. 1.13 Nephrokalzinose [P660] falsch positiver Nierenkarzinomdiagnosen (Gulati et al. 2015). Insofern bleibt die sichere Abklärung von soliden oder zystischen renalen Raumforderungen hinsichtlich Malignität tinuierliche, vom umgebenden Parenchym herführende eine Domäne der Schnittbildgebung, die weiterhin sowohl Vaskularisierung ist dabei eher als benigne einzuordnen, eine die konventionelle Kontrastmittel-CT (mit Strahlen- Verdrängung der umgebenden Vaskularisierung durch die belastung) als auch die Kontrastmittel-MRT umfasst Raumforderung spricht eher für Malignität. Buckelförmige (› Kap. 1.4.6, › Kap. 1.4.7). Um eine Kontrastmittel- Vorwölbungen der Nierenkontur, meist links als sog. „Milzbu- belastung im CT mit der möglichen Folge eines akuten ckel“ oder große Parenchymzapfen, auch Markpyramiden Nierenversagens und die Gefahr einer NSF nach MRT-Kon- oder Regeneratknoten stellen benigne „Pseudotumoren“ dar, trastmittel zu vermeiden, kann ein Positronenemissions- ebenso wie eingeblutete oder infizierte Nierenzysten. Der tomogramm(PET)-CT ohne begleitende KM-Gabe sinnvoll häufigste benigne Tumor ist das Angiomyolipom, das sich sein. als scharf begrenzter echoreicher runder intraparen- Die Anzahl der Nierenzysten in Abhängigkeit vom Alter chymatöser (ohne Vorwölbung des Parenchyms) Herd (meist kann Hinweise auf das Vorliegen einer genetisch de- ≤ 2 cm groß) mit Schallschatten aufgrund vermehrter terminierten Zystennierenerkrankung geben (› Kap. 8). Im Vaskularisation und teils Verkalkungen darstellt. Gegensatz zu diesen polyzystischen Nierenerkrankungen Verkalkungen fallen durch reflexreiche Strukturen mit (› Abb. 1.12) sind Nieren bei gewöhnlichen Nierenzysten, dorsaler Schallauslöschung auf. Sie treten u. a. diffus, teils die mit höherem Alter gehäuft auftreten, nicht vergrößert. blumenkohlartig imponierend als Folge einer Nephrokalzinose Das sonografische Bild von Nierenzellkarzinomen ist (› Abb. 1.13) bei Markschwammniere, renal tubulärer variabel. Es gibt sowohl echoarme als auch echoreiche Azidose oder chronischer Hyperkalzämie auf. Pyelonnahe, Tumoren oder Tumoranteile. Die Raumforderung sollte teils gröbere Kalkeinlagerungen an der Papillenbasis, meist in jeweils in zwei Ebenen darstellbar sein. Ein Anhalt für das ma- Verbindung mit fortgeschrittener Parenchymschädigung, ligne Wachstum gibt die duplexsonografische Beurteilung der treten als Folge einer Analgetikanephropathie auf. Eine Vaskularisierung der Tumoren (› Kap. 1.4.2). Eine kon- Nephrolithiasis fällt typischerweise nicht durch eine um- C0005.indd 14 27/05/20 6:17 PM
1.4 Bildgebung 15 schriebene Verkalkung auf, sondern wird meist nur indirekt plertechnik verfügen. Von ventral eignet sich ein Konvex- anhand eines Schallreflexes mit dorsaler Schallauslöschung schallkopf mit 1–4 MHz. Die Geschwindigkeitsmessung des im Nierenbecken diagnostiziert. Im Röntgen nur schwach Blutflusses ist nur genau, wenn der Winkel zwischen Dopp- schattengebende Konkremente wie Uratsteine können somit lersignal und der Längsachse des Gefäßes < 60° beträgt (Wol- erfasst werden. ters et al. 2012). Eine direkte Darstellung der Nierenarterien gelingt erfahrenen Untersuchern in 70–90 % der Fälle. Dabei kann auch das typische Aliasing infolge der Flussbeschleuni- 1.4.2 Duplexsonografie gung dargestellt werden (›Box 1.1). Die farbcodierte Duplexsonografie dient der Beurteilung der BOX 1.1 Nierendurchblutung und hier v. a. zur Diagnose von Nieren- Duplexsonografische Diagnosekriterien einer Nieren- arterienstenosen (NAST). Besonders bei Aortendissektionen, arterienstenose (nach Wolters et al. 2012) v. a. nach chirurgischer Therapie, ist eine sequenzielle Er- • Direkte Kriterien: fassung der Nierendurchblutung sinnvoll, die dann jeweils – Aliasing durch Flussbeschleunigung und Konfettiphänomen ohne Kontrastmittel erfolgen kann. Jedoch bedürfen auch hier durch Turbulenzen (› Abb. 1.14) fragliche Befunde, die ein weiteres chirurgisches Vorgehen – Maximale Flussbeschleunigung („peak systolic velocity“, PSV) notwendig machen, oft einer kontrastmittelbasierten Schnitt- in der Stenose (Areal mit max. Aliasing) von > 2 m / s bilddiagnostik. Zur Diagnose einer Nierenarterienstenose ist (Normwert 1,0–1,8 m / s systolisch und 0,25–0,5 m / s die farbcodierte Duplexsonografie unverzichtbar geworden, diastolisch) allerdings bleiben die Nachteile einer starken Abhängigkeit – „Renal aortic ratio“ (RAR) > 3,5 (RAR = Vmax (A. renalis) / Vmax (Aorta)) von der Untersuchererfahrung und den Eigenschaften des • Indirekte Kriterien: Patienten (Adipositas, Dyspnoe). Insbesondere zur Beur- – Widerstandsindex (Resistance-Index, RI = (Vmax – Vmin) / Vmax) teilung von Nierentransplantaten hat sich die Duplexsono- von < 0,5 in der Niere mit vorgeschalteter Stenose grafie bewährt, da diese auch besser schallbar sind. (Vmax = maximale systolische Geschwindigkeit, Vmin = end- diastolische Geschwindigkeit) oder – Differenz des RI von > 0,05 im Seitenvergleich Nierenarterienstenose (NAST) – Pulsus parvus et tardus im Flussprofil mit verlängerter Akzelerationszeit (AT) > 70 ms und eine mittlere systolische Akzeleration > 3,5 m / s Der sonografische Nachweis einer NAST sollte dann an- – Seitendifferenz der Nierengröße von > 1,5 cm gestrebt werden, wenn deren Feststellung auch therapeutische oder prognostische Implikationen hat. Zudem hat die Bedeu- tung der Behandlung einer NAST abgenommen, da durch Für Transplantatnierenarterien gelten Flussbeschleunigun- angiografische Interventionen zumindest die renale Progno- gen bis Vmax 2,5 m / s als normal, in den ersten Monaten nach se nicht verbessert wird, was auch an einer hohen Restenose- Transplantation (frische Gefäßanastomose) auch darüber. rate nach Stenting mit rezidivierenden Kontrastmittelbelas- Direkt nach Transplantation ist es wichtig, die Durchblutung tungen liegt. In Metaanalysen konnte nach invasiver Therapie des Transplantats engmaschig zu beurteilen, da es zu von NAST einzig der Bedarf an Antihypertensiva gesenkt Thrombosen der Nierenvene oder zu arteriellen Durch- werden (Kumbhani et al. 2011). Der Nachweis einer NAST blutungsstörungen kommen kann. Eine Transplantatvenen- sollte nur bei Nachweis einer abklärungswürdigen und thrombose ist durch ein fehlendes Flusssignal der Nierenvene schwer einstellbaren arteriellen Hypertonie gemäß Definiti- und typische intrarenale Pendelflüsse gekennzeichnet (di- on der European Society of Hypertension (ESH)-Leitlinien astolische Flussumkehr). Der renale Widerstandsindex (RI- (Nichterreichen des Zielblutdrucks von < 140 / 90 unter drei Wert) wird regelhaft zur Beurteilung der Mikroperfusion von ausdosierten Antihypertensiva unter Einschluss eines Diure- Transplantaten eingesetzt und dient dabei zur Diagnose von tikums; › Kap. 9) oder aus renaler Indikation angestrebt Abstoßungsreaktionen. Schwere, oft bereits vaskuläre Re- werden: u. a. bei einer unerklärlichen raschen Verschlechte- jektionen sind durch ein Verdämmern des enddiastolischen rung der Nierenfunktion unter neu begonnener Therapie Flusses (Vmin = 0) mit der Folge eines RI-Anstiegs bis 1 mittels RAS-Blockade, bei rezidivierenden hypertensiven gekennzeichnet (› Kap. 11). Entgleisungen, auch mit sog. Flush-Lungenödem, oder bei einer Seitendifferenz der Nierengröße von > 1,5 cm. Bei un- zureichender sonografischer Beurteilbarkeit und diskrepan- 1.4.3 Nierenszintigrafie ten Befunden sind ergänzende Untersuchungen wie die Nierenszintigrafie durchaus sinnvoll (› Kap. 1.4.3). Die Nierenszintigrafie oder Isotopennephrografie (ING) ist Zur Duplexsonografie muss das Ultraschallgerät über eine ein nuklearmedizinisches Verfahren zur Beurteilung der farbcodierte-, Pulsed-Wave- und Continuous-Wave-Dop- Nierenfunktion sowie des Harnabflusses aus den Nieren. Als C0005.indd 15 27/05/20 6:17 PM
16 1 Diagnostik von Nierenerkrankungen Niere 4,50 TMax-R 4,00 3,50 TMax-L CPS/VBq 3,00 2,50 TX-R 2,00 1,50 T-Anstieg TX-L 1,00 0,50 0 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 Minuten % 91 Abb. 1.14 Aliasing (links) über einer Nierenarterienstenose und daraus abgeleitetes Dopplerprofil (rechts) mit Flussbeschleunigung auf 2,5 m / s Rechte Niere [P660] Linke Niere Radiopharmaka kommen heutzutage überwiegend 99MTc- MAG3 (tubulär sezerniert) und 99MTc-DTPA (glomerulär fil- triert) zum Einsatz. Die renale Elimination des Radionuklids unterteilt sich in Untergrund drei Phasen: Perfusionsphase (Anflutung), Sekretionsphase (tubuläre Sekretion) und Exkretionsphase (Ausscheidung). Während v. a. eine verzögerte Perfusion für eine NAST spricht, wird eine verlangsamte Exkretion bei obstruktiven Abb. 1.15 Seitengetrennte MAG3-Nierenszintigrafie (Funktionsanteil Nierenerkrankungen gefunden. Untersuchungen mit 99MTc- links 52 %, rechts 48 %, Gesamt-MAG3-Exkretion 282 ml / min; DTPA dienen der seitengetrennten Bestimmung der GFR. altersentsprechender Normwert 310 ml / min [T816-6] Obwohl nicht glomerulär filtriert, sondern tubulär sezerniert, hat sich zur Beurteilung der Nierenfunktion im Seitenvergleich die 99MTc-MAG3-Clearance durchgesetzt. Die DMSA-Szintigrafie ist auch bei reduzierter Nierenfunktion Zur Diagnostik von NAST, insbesondere bei schwierigen zuverlässig in der Beurteilung der Partialfunktion, da die Schallbedingungen, kann diese Methode in Kombination mit Nuklidanreicherung Clearance-unabhängig ist. der Gabe von ACE-Hemmern (z. B. Captopril) eingesetzt Aufgrund der innovativen Entwicklungen im Bereich von werden, um somit eine funktionelle Relevanz vermuteter Sonografie, CT und MRT hat die Szintigrafie als bildgebendes NAST nachzuweisen: Eine NAST führt i. d. R. zu einer Ak- Verfahren jedoch an Bedeutung verloren. tivierung des RAS, um den glomerulären Filtrationsdruck trotz vorgeschalteter Stenose aufrechtzuerhalten. Wird diese physiologische Reaktion auf die vorgeschaltete Stenose durch 1.4.4 Röntgendiagnostik Gabe eines kurz wirksamen ACE-Hemmers (Captopril) unterbrochen, kommt es zum raschen Absinken des Unter Berücksichtigung der Möglichkeiten der Bildgebung glomerulären Filtrationsdrucks mit verminderter GFR. In mittels Ultraschall, CT und MRT findet die klassische der Folge kommt es auch zu einer sehr langsamen Anflutung Röntgendiagnostik heute keine breite Anwendung in der ohne Abfluss des tubulär sezernierten Radioisotops in der be- Bildgebung der Nieren. troffenen Niere, da die tubuläre Durchblutung der Die intravenöse Röntgenurografie (i. v. Urogramm), die glomerulären Durchblutung nachgeschaltet ist. Die Unter- zur Abklärung von Harnabflussstörungen eingesetzt wurde, suchung erfolgt i. d. R. vor und 1 h nach Gabe von 25 mg ist durch die CT- bzw. MRT-Urografie weitgehend abgelöst Captopril. Die 99MTc-MAG3-Szintigrafie wird weiterhin zur worden. Hierbei kann durch eine CT- bzw. MRT-Urografie Beurteilung der Nierenfunktion im Seitenvergleich ein- im Vergleich zur klassischen intravenösen Röntgenurografie gesetzt, z. B. zur Abwägung von Tumornephrektomien oder deutlich mehr Information in Bezug auf eine Harnabfluss- vor einer geplanten Nierenlebendspende (› Abb. 1.15). störung und deren Differenzialdiagnosen gewonnen werden. Ein weiteres Verfahren stellt die 99MTc-DMSA-Szintigrafie Allerdings werden in der Urologie Miktionszysturogramme dar, die dem Nachweis von Nierenparenchymdefekten infolge weiterhin eingesetzt, um einen V. a. vesikoureteralen Reflux akuter oder chronischer entzündlicher Veränderungen dient. (VUR) abzuklären, v. a. bei Kindern. C0005.indd 16 27/05/20 6:17 PM
1.4 Bildgebung 17 1.4.5 Angiografie Die klassische Angiografie wurde früher nur zur Darstellung der Nierenarterien und der Nierendurchblutung eingesetzt. Sie kommt heutzutage als invasives Verfahren nur nach ent- sprechender Vordiagnostik mittels Duplexsonografie oder MRT, auch CT, zum Einsatz und dient dann, sofern die ver- muteten Pathologien bestätigt werden können, der Behandlung von NAST mittels perkutaner transluminaler Angioplastie (PTA) inkl. Stentimplantation. Eine weitere Domäne stellen renale Blutungen, z. B. nach Nierenbiopsie, dar, deren zu- führende Gefäße mittels Mikrokathetertechniken hochselektiv verschlossen werden können. Die Primärdiagnostik erfolgt nichtinvasiv durch die farbcodierte Duplexsonografie. In den letzten 10 Jahren stellt die interventionelle renale Denervation zur Behandlung der therapierresistenten Hypertonie ein neues Einsatzgebiet der Angiografie dar. Die klinische Wertigkeit des Verfahrens ist derzeit umstritten. Die Embolisation von funk- Abb. 1.16 Darstellung der Nieren im Kontrastmittel-CT vor geplanter Nierenlebendspende [T816-3] tionslosen Schrumpfnieren ist ebenfalls möglich. 1.4.6 Computertomografie (CT) 1.4.7 Magnetresonanztomografie (MRT) Die CT wird zur weiterführenden Beurteilung von Raum- Die Hauptindikation zur Durchführung einer MRT in der forderungen der Niere, zur Darstellung der ableitenden Nephrologie besteht in der Darstellung von Raumforderungen, Harnwege und der Nierenarterien eingesetzt. der ableitenden Harnwege sowie der Nierenarterien. MERKE Vorteile der CT: MERKE • Multiplanare Darstellung der Anatomie der Niere und ableiten- Vorteile der MRT: den Harnwege • Fehlende ionisierende Strahlung. • Auflösung im Submillimeterbereich (somit ist der Nachweis von • Die Durchführung einer MRT-Urografie bzw. MRT-Aus- sehr kleinen anatomischen Strukturen und Pathologien bzw. scheidungsurografie ist ohne Kontrastmittelapplikation Nierenkonkrementen möglich) möglich. Nachteile der CT: Nachteile der MRT: • Strahlenexposition • Bei einer Niereninsuffizienz (GFR < 30 ml / min) kommt es zu • Kontrastmittelgabe mit potenzieller Nephrotoxizität einer Akkumulation des Gd-haltigen Kontrastmittels im Blut mit • Interaktion des jodhaltigen Kontrastmittels und einer Schild- der möglichen Ausbildung einer nephrogenen systemischen drüsenüberfunktion (Gefahr der thyreotoxischen Krise) Fibrose. • Mögliche zerebrale Gd-Ablagerung im Nucleus dentatus und im Globus pallidus. Durch die Gabe von jodhaltigem Kontrastmittel ist eine Dig- • Artefakte (z. B. durch Clipmaterial) können Ureterstenosen nitätsbestimmung von renalen Raumforderungen möglich. vortäuschen. Ein besonderer Vorteil der CT ist die multiplanare Dar- stellung der Anatomie der Niere und Harnwege, sodass eine detaillierte Abbildung des Verlaufs der Ureteren ermöglicht Zur Darstellung von Nierenraumforderungen wird in der wird. Der direkte Nachweis eines Konkrements wird durch MRT die parakoronare Schichtführung (parallel zur ein natives CT oder eine CT-Urografie vorgenommen. Für Nierenlängsachse) genutzt. Anhand von schnellen T1- die CT-Urografie wird 15 min nach Kontrastmittelapplikation gewichteten Gradientenechosequenzen in Atemanhaltetech- eine CT-Untersuchung der Nieren und ableitenden Harnwege nik und T2-gewichteten Sequenzen (T2-gewichtete Sequenz: vorgenommen. Somit ist eine Aussage in Bezug auf kon- Flüssigkeit sensitive Sequenz) ist eine Differenzierung genitale Anomalien, postoperative Komplikationen (Urin- zwischen blanden Nierenzysten und zystischen Nierentumoren extravasat) oder Traumafolgen möglich. möglich. Die fettsupprimierten Sequenzen erlauben eine Zur Beurteilung der Anatomie (› Abb. 1.16) einschließ- Beurteilung der Tumorausdehnung im perirenalen Fettge- lich der Gefäßsituation vor einer Nierenlebendspende kann webe. eine CT-Angiografie der Nierengefäße durchgeführt werden. C0005.indd 17 27/05/20 6:17 PM
18 1 Diagnostik von Nierenerkrankungen Mittels MRT-Urografie ist eine Darstellung der ab- 1.5 Nierenbiopsie leitenden Harnwege durchführbar. Aufgrund des Einsatzes verschiedener Sequenzen gelingt in der MRT-Urografie ein Kernaussagen sehr guter Weichteilkontrast. Die MRT-Urografie kann zur Darstellung der Harnwege mit und ohne Kontrastmittel ein- • Die Nierenbiopsie stellt ein unverzichtbares diagnos- gesetzt werden. Eine MRT-Urografie ohne KM-Applikation tisches Werkzeug zur Abklärung akuter nephritischer wird mittels T2-gewichteteten Sequenzen (flüssigkeits- und nephrotischer Syndrome sowie des Transplantat- sensitive Sequenzen) vorgenommen. Zusätzlich besteht die versagens dar. Option einer MRT-Ausscheidungsurografie. Hierzu ist die • Die Indikation zur Nierenbiopsie ist jeweils indivi- einmalige Applikation eines Diuretikums (z. B. Furosemid duell zu stellen. 5 mg) zur homogenen Darstellung der Ureteren notwendig. • Die Komplikationsraten der Nierenbiopsie sind Die MRT-Angiografie der Nierenarterien wird durch die heutzutage gering. Gabe von Gd-haltigem Kontrastmittel und den Einsatz der • Bei chronischer Niereninsuffizienz erlaubt die 3D-Gradiententechnik realisiert. Neben der Gefäßdarstellung Bestimmung des Anteils der chronischen tubuloin- ist gleichzeitig eine Beurteilung des Nierenparenchyms in der terstitiellen Schädigung eine Prognoseabschätzung. MRT-Angiografie möglich. Bei Patienten mit einer chronischen Niereninsuffizienz Die Nierenbiopsie stellt das wichtigste Verfahren zur Di- (GFR < 30 ml / min) besteht die Möglichkeit der Entwicklung agnosestellung und Prognosebeurteilung in der Nephrologie einer nephrogenen systemischen Fibrose (NSF) durch die dar. Sie ist jedoch ein invasives Verfahren, weshalb die In- Akkumulation von Gd-Chelatkomplexen im Blut. Die dikation eng zu stellen ist. Allerdings haben sich in den Akkumulation der Gd-Chelatkomplexe im Blut und die letzten Jahren die Techniken der (real-time) ultraschall- Freisetzung von Gd aus den Chelatkomplexen (v. a. bei nicht- gestützten Biopsie, der Vorbereitung (Gerinnungsdia- ionischen linearen MRT-Kontrastmitteln wie Omniscan®) in gnostik) und Nachsorge (Überwachung) so verfeinert, dass Kombination mit einer terminalen dialysepflichtigen Nieren- heutzutage die Indikation relativ weit gestellt werden kann. insuffizienz, einer Therapie mit hohen Erythropoetin- und Alternativmethoden wie die transjuguläre oder die offene Eisendosen sowie einem Hyperparathyreoidismus führt zu bzw. laparoskopische Nierenbiopsie spielen im klinischen einer systemischen inflammatorischen Reaktion, die mit Alltag keine Rolle. Nach aktuellen Daten traten Majorkom- einer Fibrosierung der Haut wie auch der inneren Organe plikationen (Notwendigkeit von Bluttransfusionen, arterio- verbunden ist. Die heute weitgehend eingesetzten makro- venöse Fistel oder angiografische Intervention) in 2,4 % der zyklischen Gd-Chelate (z. B. Gadovist®) sind wesentlich Fälle auf, davon waren 1,8 % Bluttransfusionen, 0,4 % AV- stabiler. Fisteln und 0,2 % angiografische Interventionen, keine Durch die wiederholte i. v. Applikation von Gd-haltigem chirurgischen Interventionen oder Tod. Als Minorkom- Kontrastmittel (am ehesten von linearem KM) wurde eine plikationen wurden sonografisch zu detektierende Hä- erhöhte Signalintensität in den Hirnregionen des Nucleus matome sowie eine Reduktion der Hämoglobinkonzen- dentatus und des Globus pallidus durch MRT-Unter- tration > 1 g / dl (0,6 mmol / l) angesehen; sie traten in bis zu suchungen beobachtet. 30 % der Fälle auf, was je nach Zeitpunkt der Untersuchung (6 oder 24 h nach Biopsie) variierte. Eine Makrohämaturie 1.4.8 Hybridbildgebung war mit 0,2 % deutlich seltener (Feldmann et al. 2018). Zur Beurteilung unklarer Entzündungssituationen sowie zur differenzialdiagnostischen Betrachtung renaler Raumforde- 1.5.1 Indikation rungen kann die Ganzkörper-Positronenemissionstomo- grafie / -Computertomografie (PET / CT) eingesetzt werden. Abgesehen von relativ klaren Biopsieindikationen wie Die PET / CT ist ein aus PET und der CT bestehendes Hybrid- nephritischem oder nephrotischem Syndrom oder dem verfahren. Die PET ermöglicht eine Darstellung der Stoff- akuten unklaren Transplantatversagen ist die Indikations- wechselprozesse. Diese sind bei entzündlichen und malignen stellung zur Nierenbiopsie höchst individuell. Relative Kon- Prozessen aktiviert. Über die CT erfolgt die anatomische Zu- traindikationen zeigt › Box 1.2 ordnung des Stoffwechselprozesses. C0005.indd 18 27/05/20 6:17 PM
KAPITEL 7 Martin Busch, Alexander Pfeil und Gunter Wolf Akutes Nierenversagen Kernaussagen • Ein akutes Nierenversagen (ANV) ist laborchemisch durch einen inner- halb von 48 h zu dokumentierenden Kreatininanstieg um mindestens 0,5 mg / dl (26 μmol / l) oder einen Kreatininanstieg um das 1,5-Fache des Vorwertes oder durch einen relevanten Abfall der Urinmenge auf < 0,5 ml / kg / h für mindestens 6 h definiert. • Potenziell ist ein ANV reversibel, erhöht aber das Risiko für spätere chronische Nierenerkrankungen und die Gesamtmortalität. Ein ANV kann prä-, post- oder intrarenaler Genese sein. Das prärenale Nierenversagen tritt am häufigsten auf. 7.1 Epidemiologie Die Stadieneinteilung beruht auf den Kriterien des Acute Kidney Injury Network (AKIN, Mehta et al. 2007) und wurde in die KDIGO-Leitlinien übernommen (› Tab. 7.1). Das ANV ist durch die rasche Verschlechterung der Nieren- Aus klinischer Sicht ist es wichtig, jeden Patienten in- funktion gekennzeichnet und einer der häufigsten Gründe dividuell bzgl. seines aktuellen klinischen Zustands und für eine nephrologische stationäre Aufnahme. Die seiner Komorbiditäten zu beurteilen, um mögliche Therapie- Inzidenzrate liegt trotz eines geringfügigen Anstiegs bei 200– optionen, Risiken für Komplikationen und die Prognose des 300 pro 100.000 Personenjahre (Kashani et al. 2017). Das me- ANV inkl. der Entscheidung zum rechtzeitigen Beginn einer diane Alter für ein ANV lag bei 76 Jahren (80,5 Jahre für das Nierenersatztherapie einschätzen zu können. akut-auf-chronische Nierenversagen). Die Inzidenz im Krankenhaus ist wesentlich höher (10–20 % aller Patienten, auf Intensivstationen 35–60 %). Auslösefaktoren sind Infektionen, v. a. Septikämien, des Weiteren Herz- und 7.3 Pathophysiologische Lebererkrankungen, Polytraumata und herzchirurgische Überlegungen Eingriffe (Alscher et al. 2019). Ein ANV im Krankenhaus ver- doppelt die Mortalität (Oppert et al. 2008) und ist auf In- tensivstationen häufig Ausdruck eines Multiorganversagens. Während eine Oligurie oder Anurie mit konsekutiver GFR- Es sollte zwischen einem ambulant und einem im Kranken- Verminderung bei den prärenalen Formen des ANV haus erworbenen ANV unterschieden werden. Etwa 20–60 % (› Kap. 7.4.1) aufgrund der Reduktion der Nierendurch- der Patienten mit ANV benötigen eine Nierenersatztherapie. blutung mit in der Folge reduziertem glomerulärem Filtrations- druck hergeleitet werden kann, ist dies bei einem primär tubulären Schaden komplexer. Hierbei kommt es zu einer Zer- störung der Tubuluszellen mit teilweiser Ablösung von 7.2 Definition und Stadieneinteilung nekrotischen Zellen, die somit auch mechanisch das Tubuluslumen verstopfen. Durch die Hypoxie kommt es zu DEFINITION einer Aufhebung der Zellpolarität mit gestörter Ausrichtung Die Kidney Disease Improving Global Outcomes (KDIGO) Initiative von Adhäsionsmolekülen und Zerstörung des Zytoskeletts so- definiert ein akutes Nierenversagen bei • Anstieg des Serumkreatinins um ≥ 0,3 mg / dl (≥ 26,5 μmol / l) wie Hemmung der Na-K-ATPase mit konsekutivem Einstrom innerhalb von 48 h oder von Natrium und Kalzium in die Tubuluszelle (› Abb. 7.1). • Anstieg des Serumkreatinins um das ≥ 1,5-Fache des Vorwertes Insbesondere in der Reperfusionsphase nach Ischämie (vermutet oder bewiesen innerhalb der letzten 7 Tage entstehen reaktive Sauerstoffspezies, die zelltoxisch sind. aufgetreten) oder Dies löst eine Entzündungsreaktion aus. Es kommt zur • Abfall der Urinmenge auf < 0,5 ml / kg / h für 6 h. Expression von Adhäsionsmolekülen auf den Gefäßkapillaren C0035.indd 105 27/05/20 4:56 PM
106 7 Akutes Nierenversagen Tab. 7.1 Stadieneinteilung des akuten Nierenversagens Vasokonstriktion des Vas afferens und zu einem Abfall der nach KDIGO (Kellum et al. 2012) Single-Nephron-GFR, was Oligurie und Anurie mit bedingt Stadium Serumkreatinin Urinausscheidung (Thurau et al. 1972). Die absinkende tubuläre Rückresorption 1 1,5- bis 1,9-facher Anstieg < 0,5 ml / kg / h für mit intratubulärem Flüssigkeitsstau führt zudem zu einem gegenüber dem Ausgangswert 6–12 h Abfall des effektiven glomerulären Filtrationsdrucks. oder Anstieg um ≥ 0,3 mg / dl Eine Behinderung des tubulären Transports kann auch (26,5 μmol / l) durch eine umgebende interstitielle Druckerhöhung statt- 2 2,0- bis 2,9-facher Anstieg < 0,5 ml / kg / h für finden, wie sie bei renal-venöser Stauung (sog. renale Kon- gegenüber dem Ausgangswert ≥ 12 h gestion) beobachtet wird. Hierbei kommt es auf dem Boden 3 3-facher Anstieg gegenüber < 0,3 ml / kg / h für einer meist rechts führenden oder globalen Herzinsuffizienz dem Ausgangswert oder ≥ 24 h zu einer Volumenexpansion mit erhöhter kardialer Vorlast Anstieg des Kreatinins auf ≥ oder und somit erhöhter renaler Nachlast. Die glomeruläre 4,0 mg / dl (≥ 353,6 μmol / l) Anurie für ≥ 12 h Durchblutung wird behindert und der interstitielle Umge- oder notwendiger Beginn einer bungsdruck um die tubulären Strukturen erhöht Nierenersatztherapie oder bei Pat. < 18 Jahre ein (Aronson 2012). RAAS-Blockade und forcierte diuretische Abfall der eGFR Therapie tragen zur erhöhten Neigung für das ANV bei auf < 35 ml / min / 1,73 m2 KOF (› Kap. 1). Klassischerweise werden vier Phasen des ANV be- schrieben: normal Hypoxie 1. Induktionsphase: Schädigung, z. B. Abnahme von Na+ Nierendurchblutung, Initiierung des Tubulusschadens, noch keine klinischen Symptome. ATPase 2. Erhaltungsphase: abfallende Diurese, Oligurie bis Anurie, Retentionswertanstieg. Die Dauer beträgt Tage K+ bis Wochen. 2+ 3. Erholungsphase: Wiedereinsetzen der Diurese bis hin Ca zur Polyurie, beginnender Abfall der Retentionswerte, K+ dauert meist nur wenige Tage. Polyurie kann auch fehlen. Na+ K+ 4. Restitutionsphase: Erholung der Nierenfunktion über ATPase ATPase Tage bis Wochen, je nach Schwere des akuten Schadens Na+ und renaler Vorschädigung, bei > 80 % der Patienten + Na Restitutio ad integrum, sonst Folgezustand einer chronischen Niereninsuffizienz. Abb. 7.1 Zelluläre Effekte der Hypoxie an Tubuluszellen mit Hemmung der K+-Na+-ATPase, Umverteilung von interzellulären Proteinen (grün) DEFINITION und Verlust des Zytoskelettes (braun) [T816-8/L231] Oligurie sowie zur Ausschüttung von Chemokinen durch die ge- Urinproduktion (Diurese) von < 500 ml / 24 h bei Erwachsenen schädigten Tubuluszellen. Die Folge ist eine Einwanderung oder < 240 ml / m2 KOF in 24 h oder von < 0,5 ml / kg / h bei Er- wachsenen und Kindern (< 1 ml / kg / h bei Neugeborenen) von Entzündungszellen (Granulozyten, Makrophagen) in das Tubulointerstitium mit zusätzlicher Schädigung. Zudem Anurie kommt es im distalen Tubulus und Sammelrohr zu einer Urinproduktion (Diurese) von < 0,2 ml / kg / h bzw. < 100 ml / m2 Polymerisation von Uromodulin (Tamm-Horsfall-Protein) KOF in 24 h mit tubulären Zelltrümmern und konsekutiver Obstruktion. Der Tubulusschaden führt zu einer Störung der kapillär- tubulären Barriere mit einem Rückfluss von Flüssigkeit aus Für die Wiederherstellung der Tubulusfunktion müssen sich dem Tubuluslumen in das Gefäßsystem (sog. „backleak“, Tubuluszellen durch Mitose teilen, entlang der intakten Abuelo 2007). Zusätzlich spielen tubuloglomeruläre Basalmembran wandern, um die Defekte zu schließen, und Feedbackmechanismen eine Rolle: Da der Tubulusschaden sich schließlich ausdifferenzieren, um ihre komplexen Funk- zu einer reduzierten Rückresorption von Natriumchlorid tionen auszuüben. Gleichzeitig muss die intratubuläre Ob- führt, steigt die intratubuläre NaCl-Konzentration an. Dies struktion beseitigt werden (› Abb. 7.2). führt dazu, dass die Macula densa (ein glomerulusnaher An- teil des aufsteigenden Teils der Henle-Schleife) Adenosin freisetzt, was einen Anstieg der Reninaktivität im juxtag- lomerulären Apparat verursacht. In der Folge kommt es zur C0035.indd 106 27/05/20 4:56 PM
7.4 Formen des akuten Nierenversagens 107 7.4.1 Prärenales Nierenversagen Die überwiegende Anzahl (etwa 60 %) von ANV ist prärena- ler Genese. Diese Form des ANV umfasst im Wesentlichen zirkulatorische Ursachen, häufig infolge absoluten (Diar- rhöen oder Erbrechen, Polytraumata, Verbrennungen) oder relativen Volumenmangels (Sepsis oder hepatorenales Syn- drom), aber auch funktionelle Ursachen wie Low-Output- Syndrom bei Herzinsuffizienz / kardiogenem Schock. Infolge chronischer Medikation v. a. bei Älteren kommt es zu einer gesteigerten Anfälligkeit für ein funktionelles präre- nales ANV mit meist geringem bis gänzlich fehlendem Volu- Abb. 7.2 Regeneration des Tubulusepithels [T816-8] menmangel. Hier sind v. a. die Dauermedikation mit RAAS-blockierenden Substanzen (ACE-Hemmer, ANG-IIR1- Blocker, auch Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonisten) in DEFINITION der Kombination mit Diuretika sowie die chronische oder Polyurie intermittierende Gabe von nichtsteroidalen Antiphlogistika Urinmenge > 3 Liter / 24 h bzw. > 1,5 l / m2 KOF in 24 h (NSAR) anzuschuldigen (› Kap. 1.3.1). Vorwiegend funk- tionell bedingte Nierenversagen im Rahmen einer Nierenar- In der Phase der Polyurie ist auf eine adäquate Volumensub- terienstenose oder einer schweren Arterio- / Arteriolosklero- stitution und Bilanzierung zu achten. Eine Polyurie findet se, die v. a. unter Therapie mit RAAS-Blockern auftreten, sich bei wieder intakter glomerulärer Filtration, aber (noch) werden ebenfalls dem prärenalen Nierenversagen zu- fehlender Tubulusfunktion mit beeinträchtigter Rück- gerechnet. Hyperosmolare Zustände wie schwere Hyper- resorption von normalerweise fast 98 % des Primärharns. glykämie oder Hyperviskositätssyndrom bei multiplen Nach Hantavirus-Infektionen werden teils lang anhaltende Myelom oder auch bei stark erhöhten Lipiden führen Polyurien beobachtet (starke Schädigung des Tubulointers- ebenfalls zu einem prärenalen ANV. titiums). Typischerweise nach Harnstauung kann die Poly- urie auch auf einen temporären Diabetes insipidus renalis CAVE zurückgeführt werden, da der von antidiuretischem Hormon Protrahierte Formen eines prärenal bedingten ANV (z. B. länger an- haltender Schock, hohe Katecholamindosen) führen mitunter se- (ADH) abhängige Einbau von Aquaporinen in die Sammel- kundär zu einem schweren Tubulusschaden. Da dann die Diurese rohre gestört ist. Länger anhaltende Polyurien nach Nieren- meist nur zögerlich wieder einsetzt, kann es unter Volumengabe zu transplantation lassen sich meist gut durch Beginn einer hypervolämen Zuständen kommen, obwohl initial ein absoluter RAS-blockierenden Therapie behandeln. oder relativer Volumenmangel für das ANV ursächlich war. 7.4 Formen des akuten Nieren- 7.4.2 Intrarenales Nierenversagen versagens Genuin intrarenal bedingte Nierenversagen umfassen etwa 35 % aller ANVs. Um diese Art des ANV besser zu cha- Die Formen des ANV sind › Abb. 7.3 zu entnehmen. rakterisieren, ist es sinnvoll, die Pathogenese auf die renalen prärenal intrarenal postrenal akute interstitielle akute akute Nephritis Tubulusnekrose Glomerulonephritis ischämisch toxisch bedingt bedingt Abb. 7.3 Formen des akuten Nieren- versagens [L231] Sonderform: mikroangiopathisches Nierenversagen (TMA) C0035.indd 107 27/05/20 4:56 PM
108 7 Akutes Nierenversagen Tab. 7.2 Auslöser von toxischem oder infektiös bedingtem Nierenversagen (mod. nach Stein und Ritz 1995) Art der Schädigung Auslöser Toxisch Nephrotoxine: • Schwermetallsalze (Quecksilber, Platin, Gold, Wismut u. a.) • Halogenierte Kohlenwasserstoffe (Tetrachlorkohlenstoff, Tetrachlorethylen u. a., oft in Fleckenlö- sern enthalten) • Glykole (u. a. Ethylenglykol – Gefrierschutzmittel) • Pilze – ANV meist i. R. eines Leberversagens, typisch bei Amanita-Spezies (Grüner Knollenblätter- pilz, Pantherpilz, Fliegenpilz) • Aristolochiasäuren aus Samen der Gewöhnlichen Osterluzei (Aristolochia clematitis, auch Biberkraut) (› Kap. 4) • Diverse Chemikalien, u. a. Herbizide, Methanol, Oxalat, Toluol, Borsäure, Kresol, Naphthalin, Phenol, EDTA Fakultativ toxische Arzneimittel, meist dosisabhängig: • Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR), auch bei Coxiben (selektiver COX-2-Hemmer), v. a. bei Volumenmangel und Komedikation mit Diuretika und RAS-Blockade • Aminoglykoside wie Gentamicin, Tobramycin, Amikacin, seltener auch Glykopeptidantibiotika wie Vancomycin • Amphotericin B, Voriconazol i. v. (Trägerlösung) • Zytostatika, häufig bei Cisplatin • Methotrexat in hohen Dosen (Kristallurie), gefährlich ist v. a. die Akkumulation i. R. einer Niereninsuffizienz mit Knochenmarktoxizität • Hydroxyurea • Foscarnet (toxisch), Aciclovir (tubuläre Blockade) • Bei Langzeitanwendung sowie in supratherapeutischen Dosen: Ciclosporin A, Tacrolimus • Röntgenkontrastmittel (multiple Cofaktoren) Infektiöse Genese, Erreger teils • Leptospirose, Hantavirus, HIV direkt tubulotoxisch, teils als Auslöser • Für Infektionen mit Influenza, Typhus, Legionellen und Viren der Herpes-Gruppe (HSV, CMV, einer interstitiellen Nephritis EBV / Mononukleose, VZV) sind ebenfalls nephropathogene Effekte beschrieben Strukturen zu beziehen. Dabei unterscheidet man im werden den tubulotoxischen Substanzen zugerechnet, wobei Wesentlichen zwischen primär tubulärer / interstitieller oder die renale Schädigung durch Kontrastmittel (KM) glomerulärer Schädigung, wobei diese Einteilung aus wesentlich komplexer ist. Es sind v. a. osmotische (KM sind didaktischen Gründen um eine mikroangiopathische meist hyperosmolar), reaktiv vasokonstriktorische und in Schädigung bei thrombotischen Mikroangiopathien (TMA), der Folge ischämische und prooxidative Effekte von die glomeruläre und tubuläre Schädigungsmuster ein- Bedeutung. Vor allem Patienten mit einer eGFR von schließt, erweitert werden kann (› Abb. 7.3). < 30 ml / min / 1,73 m2 und intraarterieller KM-Gabe sind gefährdet. Prophylaktisch sollte eine dem Volumenstatus angepasste Gabe mit isotoner Vollelektrolytlösung statt- Tubulointerstitielle Schädigung finden. Um eine rasche Elimination von KM über eine An- hebung des effektiven Filtrationsdrucks zu befördern, sollten Eine tubuläre Schädigung kann zunächst infolge länger an- jegliche RAS-Blocker inkl. Mineralokortikoid-Rezeptor-An- haltender prärenaler Schädigungszustände auftreten, da es tagonisten vor KM-Gabe pausiert werden, Diuretika durch die persistierende renale Minderperfusion zu einer ebenfalls, da KM osmodiuretisch wirken. Hypoxämie mit entsprechender ischämisch bedingter Tubu- Die Auslöser medikamenteninduzierter Toxizität sind lusnekrose kommt. Diese Formen werden jedoch meist, ent- mannigfaltig (› Tab. 7.2). Nephrotoxisch bedingte Nieren- sprechend dem primären Schädigungsmechanismus, den versagen werden durch Weglassen der Noxe und flankieren- prärenalen Formen zugeordnet. Im Bereich der inneren Rin- de Maßnahmen wie moderate Volumengabe therapiert. de und des äußeren Marks ist die Niere besonders anfällig für Zirkulationsstörungen und Ischämie mit der Folge eines CAVE Schadens der Tubuluszellen. Tubuluszellen sind zudem sehr Ein „Spülen“ der Nieren mit hohen Infusionsmengen und beglei- vulnerabel, da sie einen hohen Sauerstoffbedarf haben. Eine tender Gabe von Diuretika bei ANV ist obsolet! weitere und wesentliche Ursache einer akuten Tubulusnekrose besteht in einer toxischen Schädigung, die durch bestimmte Sofern für die adäquate Exkretion iatrogen verabreichter Arzneimittel, jedoch auch klassische Toxine hervorgerufen Flüssigkeitsmengen Diuretika verabreicht werden müssen, werden kann (› Tab. 7.2). Auch Röntgenkontrastmittel geht das mit erhöhtem „renalem Stress“ einher. Insofern ist C0035.indd 108 27/05/20 4:56 PM
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