NEUE MOBILITÄT Fahrräder: Gewinner der Pandemie? Update des PBefG Urban Air Mobility: Flugtaxis statt Nahverkehr? - Digital Transformation Week

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NEUE MOBILITÄT Fahrräder: Gewinner der Pandemie? Update des PBefG Urban Air Mobility: Flugtaxis statt Nahverkehr? - Digital Transformation Week
NEUE MOBILITÄT
                               Herbst 2020      EURO 24,90

                                                                         © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020
                                                ISBN 978-3-96892-055-9

Fahrräder: Gewinner der Pandemie?

Update des PBefG

Urban Air Mobility: Flugtaxis statt Nahverkehr?

                                           Ein Magazin von
NEUE MOBILITÄT Fahrräder: Gewinner der Pandemie? Update des PBefG Urban Air Mobility: Flugtaxis statt Nahverkehr? - Digital Transformation Week
EDITORIAL

                                                                                                                                                                © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020
    Liebe Leserinnen und Leser,

    Corona hat alles geändert! Wirklich? Es stimmt, die Fahrgastzahlen im           Neue Mobilität ist aber nicht nur Personen-, sondern auch und immer
    öffentlichen Verkehr sind massiv eingebrochen, die Verkehrsprognosen            mehr Lieferverkehr. Gerade dieser ist in den letzten Monaten stark ange-
    über den Haufen geworfen. Aber die eigentlich interessanten Fragen lau-         wachsen, womit wir wieder bei dem leidigen Thema Corona wären. Der
    ten, handelt es sich um eine Delle, die schnell wieder ausgebügelt wird,        Lieferverkehr gehört eindeutig zu den Krisengewinnern. Zur Lösung die-
    oder sind durch die Pandemie strukturelle Änderungen unserer Mobilität          ser Probleme gibt es Ansätze aus der Schweiz und Hamburg, die auf eine
    angestoßen oder nur beschleunigt worden? Und was bedeutet das für               Art Mega-Rohrpost setzen. Bodenständiger mutet die Idee an, die Stadt-
    neue Mobilitätsangebote? Werden sie gepusht und falls ja, welche? Erst          bahn in verkehrsschwächeren Zeiten für den Frachtverkehr zu nutzen: Ein
    einmal profitieren die Angebote, die „social distancing“ erlauben. Und es       neues Karlsruher Modell?
    ist daher kein Wunder, dass das Fahrrad eine Renaissance erlebt. Wobei
    hier Corona nur etwas beschleunigt hat, was sich bereits zuvor abzeichne-       Zu all diesen und noch weiteren Konzepten finden Sie, liebe Leserin und
    te, denn die Rad-Renaissance ist schon einige Jahre alt. Interessant ist dies   Leser, auf den folgenden Seiten interessante Fachbeiträge. Mir bleibt nur
    aber auch noch aus einem anderen Grund: Neue Mobilität bedeutet nicht           noch, Ihnen hierzu eine spannende und genussreiche Lektüre zu wün-
    notwendig neue Verkehrsmittel. Nicht sogenannte Flug-Taxis oder E-Tret-         schen
    roller sind das Verkehrsmittel der Zukunft, sondern das gute alte Fahrrad.
    Wenn sich die zahlreicher werdenden Radler dann auch noch an Verkehrs-          Ihr
    regeln hielten, wenn sie ihnen nicht nützen, statt Fußgänger auf Gehwe-
    gen zur Seite zu klingeln, wäre das eine gute Sache. Allerdings weniger für
    den klassischen Linienverkehr, denn auf kurzen Distanzen bis etwa 5 km
    wird das Rad zur veritablen Konkurrenz – jedenfalls bei gutem Wetter. Der
    ÖPNV droht zur Schlechtwetter-Alternative, in den Worten eines Müns-
    teraner Verkehrsexperten zum Regenschirm des Radlers zu werden. Statt-
    dessen sind integrative Ansätze gefragt, in denen sich die verschiedenen        Lothar Kuttig
    Angebote sinnvoll ergänzen.                                                     Redaktionsleiter ÖPNV

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NEUE MOBILITÄT Fahrräder: Gewinner der Pandemie? Update des PBefG Urban Air Mobility: Flugtaxis statt Nahverkehr? - Digital Transformation Week
INHALT

4 MEHR MOBILITÄT MIT WENIGER                                                                     18 MODERNISIERUNG DES
VERKEHR                                                                                          PERSONENBEFÖRDERUNGSRECHTS
Chloë Voisin-Bormuth                                                                             Anna Scharl, Jörg Niemann

                                                                                                                                                                                                     © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020
6 DAS RAD BEWEIST IN DER KRISE                                                                   20 DER MOBILITÄTS-TRIATHLON
SEINE FLEXIBILITÄT                                                                               Kathrin Driessen, Jörg Röhlen, Bernd Owald
Frank Muth
                                                                                                 23 STÜCKGUT UNTERIRDISCH
10 KOOPERATION ALS LÖSUNG                                                                        UND PER GÜTERTRAM
FÜR DIE „LETZTE MEILE“                                                                           Achim Uhlenhut
Gunnar Anger
                                                                                                 26 „FLUGTAXIS“ ALS KONKURRENZ
12 WENN DER WEG NICHT MEHR                                                                       ZUM NAHVERKEHR?
DAS ZIEL IST                                                                                     Andreas Kossak
Frank Muth
                                                                                                 29 MOBILITÄTS-NEWS
16 WENN TEILEN PLÖTZLICH OUT IST                                                                 Kurz & Kompakt
Aline Jehl

IMPRESSUM

VERLAG UND HERAUSGEBER DVV Media Group GmbH, Heidenkampsweg 73 – 79, 20097 Hamburg, Telefon: +49 (0)40 237 14-02, Telefax: +49 (0)40 237 14-236 VERLAGSLEITER Manuel Bosch
REDAKTIONSLEITUNG Aline Jehl AUTOREN DIESER AUSGABE Gunnar Anger, Kathrin Driessen, Aline Jehl, Andreas Kossak, Frank Muth, Jörg Niemann, Bernd Owald, Jörg Röh-
len, Anna Scharl, Achim Uhlenhut, Chloë Voisin-Bormuth ANZEIGEN Silke Härtel (verantw.) DESIGN Ulrike Baumert MARKETING UND VERTRIEB Markus Kukuk GESCHÄFTSFÜHRER Martin Weber
DRUCK Silber Druck oHG TITELBILD © da-kuk – iStock
© 2020 DVV Media Group GmbH, Hamburg Die Publikation, ihre Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Vervielfältigung oder Verbreitung muss vom Verlag oder
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Eine Publikation der DVV Media Group

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NEUE MOBILITÄT Fahrräder: Gewinner der Pandemie? Update des PBefG Urban Air Mobility: Flugtaxis statt Nahverkehr? - Digital Transformation Week
MEHR MOBILITÄT MIT WENIGER VERKEHR
    Eine internationale Perspektive

    Von Chloë Voisin-Bormuth

                                                                                                                                                                           © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020
    M
                   ehr Mobilität schaffen mit weniger Verkehr: das ist die Her-   Keine einfache Lösung für ein komplexes Problem
                   ausforderung, vor der die Städte heute stehen. Obwohl die      Die Mobilität stellt heutzutage ein komplexes Problem dar. Einfache Lö-
                   Coronavirus-Krise und der in vielen Ländern der Welt ver-      sungen sind deswegen selten erfolgreich. Das Navigationssystem Waze
                   ordnete Lockdown gezeigt haben, dass Lösungen gefunden         hat zwar als Motto „outsmarting traffic together“, aber können wirklich
    werden können, um die Zahl der täglichen Fahrten zu begrenzen, haben sie      neuen Technologien Staus lösen, wie sie es versprechen ? Der Einsatz von
    auch gezeigt, wie lebenswichtig Mobilität für unsere Wirtschaft, aber vor     Taxi-Apps in New York hat 50 000 neue Fahrzeuge auf die Straße gebracht
    allem für die sozialen Bindungen ist. Die Herausforderung besteht in der      und der Verkehr ist um 33 % gestiegen. Nachdem das Taxi zu einer ein-
    Konfrontation zweier Wahrnehmungen: zum einen die des Verkehrs, der           fachen, billigen und komfortablen Alternative geworden ist, haben viele
    zahlreiche negative Externalitäten sowohl für die Gemeinschaften, als auch    Fußgänger, Fahrradfahrer und Benutzer des ÖPNV angefangen, auf Taxis
    für den Einzelnen mit sich bringt (wirtschaftliche, gesundheitliche, ökolo-   umzusteigen. Wenn die neuen Technologien es allein nicht schaffen, den
    gische und soziale Kosten); zum anderen die der Mobilität, die historisch     Verkehr zu lösen, könnte die Veränderung der Infrastruktur dies erreichen?
    mit Freiheit, Weltoffenheit und Austausch aller Art verbunden ist. Obwohl     Um die am zweithäufigste überlastete Autobahn des Landes zu entlasten
    der Mobilität sehr positive Werte beigemessen werden, wird sie nicht mehr     hat Houston die Kapazität dieser Straße drastisch erhöht. 2008 ist der Katy
    einstimmig akzeptiert. Die Idee, dass man nicht nur umweltverträglicher,      Freeway zur breitesten Autobahn der Welt mit fast 26 Spuren verbreitert
    sondern auch weniger mobil sein sollte, findet immer mehr Echo. Warum         worden. Die Staus sind jedoch nach dem Bau der zusätzlichen Spuren um
    ist überhaupt die Mobilität zu einem Problem geworden? Wie gehen Städte       33 % gewachsen. Der Wirtschaftswissenschaftler Anthony Downs hat das
    mit diesen widersprüchlichen Aufforderungen um?                               Phänomen mit dem Prinzip der „dreifachen Konvergenz“ erklärt: die op-
                                                                                  timierte und nicht überlastete Straße schafft einen Opportunitätseffekt
    Immer mehr Autofahrten                                                        und zieht drei neue Artne von Autofahrern an, die, die alternative Strecken
    Jeden Tag fahren 16,7 Mio. Franzosen durchschnittlich fast 14,6 km zu ih-     fuhren, die, die kurz vor oder nach den Spitzenverkehrszeiten aufbrachen
    rem Arbeitsplatz, wobei die durchschnittliche Fahrstrecke kontinuierlich      und die, die vorher den ÖPNV nutzten. Mehr Kapazität gleich mehr Ver-
    weiter steigt. Seit 1999 ist der Anteil der Fahrten von weniger als 10 km     kehr. Andere Städte haben deswegen die gegensätzliche Strategie adop-
    zurückgegangen, wobei die Anzahl der Fahrten zwischen 20 und 50 km            tiert: Ponteverda hat das Autofahren extrem begrenzt. Die Anzahl der in
    stetig zugenommen hat. Obwohl sie jeden vierten Franzosen betreffen,          der Stadt mit dem Auto zurückgelegten Strecke ist um 67 % gesunken
    bleiben diese Mobilitäten über mittlere Entfernungen (zwischen 10 und         und die CO2-Emissionnen um 61 % zurückgegangen. Auch wenn solche
    100 km) schwer zu erfassen: über diese Entfernungen fehlt eine präzise        Maßnahmen die Lebensqualität in den betroffenen Zonen stark erhöhen,
    Diagnose des Mobilitätsbedarfs, solide Daten und auch eine klar identi-       verschlimmern sie aber auch die Erreichbarkeit der Stadt für die Leute, die
    fizierte Governance. Als Folge werden keine glaubwürdigen Alternativen        von außerhalb dieser Zonen kommen und die generell vom Auto abhän-
    zum Auto angeboten. In den dicht besiedelten Gebieten nutzen 57 % der         gig sind. Weniger Kapazität führt deswegen auch zu dem Risiko einer stei-
    Pendler ihr Auto und nur 37 % die öffentlichen Verkehrsmittel (80 % bzw.      genden sozial-räumlichen Segregation.
    15 % im Durchschnitt in ganz Frankreich). Im Gegensatz verfügt die Mo-
    bilität über kurze (weniger als 10 km) und lange Entfernungen (mehr als
    100 km) über zahlreiche multimodale Angebote und steht im Mittelpunkt
    ehrgeiziger Mobilitäts- und Innovationspolitiken.

    Diese Situation erklärt, warum der Konsens über die Mobilität zerbricht:
    Einerseits wird der Autoverkehr aufgrund seiner negativen externen Effek-
    te, wie Umweltverschmutzung, Lärm, erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-
    und Atemwegserkrankungen, Stress, Produktivitäts- und Attraktivitätsver-
    lust zunehmend verurteilt und die Autofahrer stigmatisiert; andererseits
    werden die konkreten Maßnahmen zur Einschränkung der Autonutzung
    sehr schlecht wahrgenommen und abgelehnt. Die französische Protest-
    bewegung der Gelben Westen gegen die CO2-Steuer auf Kraftstoffe seit
    Oktober 2018 hat zur Aufgabe der Steuer geführt. Diese zwei scheinbar
    unvereinbaren Positionen sind das Ergebnis zweier sehr unterschiedlicher
    Lebensweisen in den Städten. Sie veranschaulichen auch die sozialen Brü-
    che, die quer durch die Gesellschaften verlaufen zwischen denen, die die
    Wahl ihrer Mobilität haben, und denen, deren Mobilität durch äußere Be-
    dingungen eingeschränkt ist.                                                  Abb. 1: Stadtmaut in Singapur                      Quelle: wikimedia/ProjectManhattan

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NEUE MOBILITÄT Fahrräder: Gewinner der Pandemie? Update des PBefG Urban Air Mobility: Flugtaxis statt Nahverkehr? - Digital Transformation Week
© DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020
                                                                                           Die zwei Seiten der Medaille: Mobilität und Stadtplanung
                                                                                           Der Schlüssel, um ein erfolgreiches Mobilitätkonzept zu entwickeln,
                                                                                           scheint also darin zu liegen, Stadtplanung und Mobilität sehr stark zu
                                                                                           artikulieren. Beide sind wie zwei Seiten der gleichen Medaille. In dieser
                                                                                           Hinsicht hat die Stadt Montréal die Mobilitätsabteilung mit der Stadtpla-
                                                                                           nungsabteilung fusioniert, und ist jetzt in einer besseren Lage, um schnell
                                                                                           intelligente Alternativen zum Soloautoverkehr anzubieten. Dieser Ansatz
                                                                                           hilft viele andere Herausforderungen zu bewältigen. Die Politik der Stadt
Abb. 2: Katy Freeway in Houston.                           Quelle: wikimedia/Aliciak3yz   Pittsburgh beruht auf der Vorstellung, dass Mobilität nicht als Selbstzweck,
                                                                                           sondern als Mittel, um sich selbst zu verwirklichen, betrachtet werden soll.
Warum bewegen sich die Leute?                                                              Physische Mobilität und soziale Mobilität werden als eng miteinander ver-
Was ist die Lösung? Um sie zu finden, muss man zum eigentlichen Kon-                       bunden betrachtet. Sich fortzubewegen soll dazu dienen, sich von seinem
zept der Mobilität zurückkehren. Über Mobilität, statt über Verkehr und                    ursprünglichen sozialen Status zu befreien und die soziale Leiter aufzu-
Transport zu sprechen, bedeutet einen Paradigmenwechsel: Mobilität                         steigen. Die Grundpunkte der Mobilitätspolitik sind deswegen die Qua-
bezeichnet die Fähigkeit des Einzelnen, sich zu bewegen, um ein tägli-                     lität der Infrastruktur, die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer, der Bau von
ches Aktivitätsprogramm zu erfüllen. Es geht hier nicht mehr darum, Plä-                   erschwinglichem Wohnraum und die Geschäftsdichte, die jedem Fußgän-
ne zu schmieden, um Fahrzeuge mit Menschen oder Waren zu bewegen,                          ger den Zugang zu frischen Lebensmitteln ermöglicht.
sondern darum, zu verstehen, wie Menschen leben, um ihnen zu helfen,
das zu tun, was sie möchten oder müssen. Genau diesen Ansatz verfolgt                      Nur ein Potential
das Projekt New Deal in seiner Antwort auf die internationale Konsulta-                    Alle diese Beispiele zeigen wie wichtig es ist, Mobilität nicht auf eine Frage
tion über die Zukunft der Ringstraße, die vom Metropolitan Forum des                       der Infrastruktur zu reduzieren. Kern der Mobilitätsstrategie Wiens ist es,
Großraums Paris 2018 organisiert wurde. Anstatt eine einfache Überho-                      allen Menschen unabhängig von Einkommen, Wohnort und körperlichen
lung der Infrastruktur vorzuschlagen, analysierte das Team die Gründe für                  Fähigkeiten Mobilität zu ermöglichen und damit allen die Möglichkeit zu
die Nutzung des Rings durch die Bewohner des Großraums Paris. Auf der                      geben, ihr Leben nach ihren Wünschen zu gestalten und von allen Mög-
Grundlage dieser Analyse hat es ein Mobilitätsnetz erarbeitet, um die lo-                  lichkeiten, die die Stadt zu bieten hat, zu profitieren. Mobilität sollte kein
kale mit der regionalen Mobilität zu artikulieren. Dank eines Systems von                  soziales Merkmal sein. Um dieses Ziel der Chancengleichheit zu erreichen,
Schnellstraßen, die den regionalen Verkehr sammeln und optimieren, mit                     hat die Stadt Wien die Mobilitätshindernisse analysiert. Eines der wichtigs-
autonomen Shuttles und schließlich der Aufbau von Knotenpunkten mit                        ten von ihnen ist das Lernen und die Aneignung neuer Mobilitätsformen,
einem hohen Grad an Urbanität. Das Ziel ist, die täglichen Bedürfnisse                     die derzeit entwickelt werden. Um dieses Hindernis zu beseitigen, reicht
der Benutzer zu erfüllen mit weniger Verkehr (-50 %) und mehr Mobilität                    es nicht aus, die Infrastruktur zu transformieren: Die Infrastruktur bietet nur
(+30 % der Benutzer).                                                                      ein Potenzial. Um dieses Potenzial zu verwirklichen, d. h. damit die Einwoh-
                                                                                           ner die Infrastruktur nutzen können oder wollen, hat die Stadt eine inter-
Eher eine politische als eine technische Frage                                             essante Politik entwickelt, um die Nutzer durch z. B. mit Information, Bera-
Das Projekt New Deal bietet eine Vision der Zukunft, in dem es sein Ziel                   tung und Orientierungshilfen bei der Nutzung neuer Mobilitätsformen zu
mit der Entwicklung von autonomen Shuttles erfüllen kann. Heutige Lö-                      unterstützen und so die Voraussetzung für eine angemessene Aneignung
sungen sind aber schon vorhanden. Das Beispiel von Singapur zeigt, dass                    der neuen Infrastruktur durch alle zu schaffen. Die Frage, wie mehr Mobili-
der politische Wille, der viel öfters als die technischen Mittel fehlt, schon              tät mit weniger Verkehr erreicht werden kann, erfordert daher, den Nutzer
viel bewirken kann. Als Stadtstaat steht Singapur vor der Herausforderung                  in den Mittelpunkt der Strategie zu stellen und die Bandbreite der an der
auf einem begrenzten Gebiet zu wachsen. Aufgrund der Feststellung, dass                    Mobilität beteiligten Disziplinen zu erweitern.
12 % seines Gebietes dem Auto gewidmet ist, hat Singapur eine starke
und multidimensionale Politik eingeführt, um den Autoverkehr zu redu-
zieren. Ein urbanes Mautsystem (Abb. 1) wurde aufgebaut. Um auf diese
Art und Weise die Mobilität nicht zu reduzieren, wurde mit dem einge-
sammelten Geld das ÖPNV-System entwickelt und der öffentliche Raum
neugestaltet, und so die aktive Mobilität für alle Benutzer gefördert. Sin-                                  Dr. Chloë Voisin-Bormuth
gapur zeigt, was mit einem holistischen Mobilitätskonzept erreicht wer-                                      Forschungsdirektorin
den kann: die jährliche Dauer der Staus wurde auf 10 Stunden pro Jahr                                        La Fabrique de la Cité, FR-Paris
reduziert (d. h. fast sieben Mal weniger als in Paris) und die sehr restriktive                              chloe.voisin-bormuth@lafabriquedelacite.com
Mobilitätspolitik verfügt über eine hohe soziale Akzeptanz.

                                                                                                                                                                             5
NEUE MOBILITÄT Fahrräder: Gewinner der Pandemie? Update des PBefG Urban Air Mobility: Flugtaxis statt Nahverkehr? - Digital Transformation Week
DAS RAD BEWEIST IN DER KRISE
    SEINE FLEXIBILITÄT
    Welche Trends verstärken aktuell den Fahrradboom? Wo das Konzept „Fahrradstadt“ noch
    zu kurz gedacht ist und wie Radfahren im Corona-Winter auch den ÖPNV beeinflussen könnte.

                                                                                                                                                                                                        © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020
    Von Frank Muth

    D
                ie Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO für die                                                dem Vorjahreszeitraum und die etwa 1,1 Mio. verkauften E-Bikes würden
                COVID-19-Pandemie, „Wann immer möglich, sollten Sie Fahrrad                                              einem Zuwachs von 15,8 % gleichkommen [4]. Auch Leihradanbieter wie
                fahren oder zu Fuß gehen“, wurde weltweit von den Menschen                                               Nextbike (26 000 Leihräder) vermeldeten eine um bis zu 25 % gestiegene
                oft sogar noch deutlich stärker befolgt als in Deutschland. Gleich-                                      Nachfrage.
    zeitig gingen viele Städte über die Empfehlungen der WHO für öffentliche
    Verkehrsmittel hinaus. So war etwa in den Londoner Verkehrsmitteln ein                                               Ein Beispiel illustriert, welche Dynamik aktuell in dem Thema Rad steckt:
    Sicherheitsabstand von zwei Metern angeordnet, so dass das ÖPNV-System                                               Im Herbst 2019 wurde das eigentlich auf drei Jahre angelegten Hambur-
    zeitweilig nur noch eine Kapazität von 13 bis 15 % aufwies. [1]                                                      ger Förderprogramm für den Kauf von Lastenbikes bzw. Fahrradanhän-
                                                                                                                         gern in Höhe von 1,5 Mio. Euro binnen 3 Wochen komplett abgerufen. Als
    Für die Zeit nach dem Lockdown suchten die Großstädte nach Möglichkei-                                               am 1. September 2020 nun ein neues Programm allen Bürgern einen Zu-
    ten, um Bus und Bahn kurzfristig derart zu entlasten, dass dort die Anste-                                           schuss von 33 % beim Kauf eines Lastenrads bot, waren die Fördermittel
    ckungsgefahr reduziert und trotzdem möglichst viele Menschen zu ihren                                                in Höhe von immerhin 700 000 EUR nach weniger als 30 Minuten weg! [5]
    Arbeitsplätzen gelangen konnten. Da eine Verlagerung auf das Auto keine
    Option war, wurden im Sinne der WHO-Empfehlung vielerorts als provi-                                                 So wurde Radfahren zum Trend
    sorisch deklarierte besondere Radspuren angelegt: Mit dem Argument,                                                  Diese Dynamik hat mehrere wesentliche Ursachen: Einen kräftigen An-
    auch für die (Neu-)Radfahrenden den empfohlenen Sicherheitsabstand                                                   schub bekam das Radfahren bereits vor mehreren Jahren durch den
    einhalten zu wollen, haben europaweit 106 Städte insgesamt 2329 km so-                                               Bevölkerungszuzug und das wachsende Mobilitätsbedürfnis in den Bal-
    genannte „Pop-Up-Bike-Lanes“ angekündigt und bisher 1095 km tatsäch-                                                 lungsräumen. Je voller Busse und Bahnen und je länger die Staus wurden,
    lich umgesetzt (Stand 7. September [2]).                                                                             umso attraktiver wurde die Unabhängigkeit des Fahrrads. Nicht zuletzt
                                                                                                                         sind Bike und E-Bike auch im Urlaub eine ideale Kombination aus körper-
    Erste Schätzungen einiger Städte gehen von einem Zuwachs des Radver-                                                 licher Bewegung und Mobilität. Durch Leihradsysteme wurde Radfahren
    kehrs in der Krise um 20 bis 30 % aus, wobei auch schon in den Jahren da-                                            auch leichter zugänglich und deutlich präsenter im öffentlichen Raum
    vor deutliche Steigerungen zu beobachten gewesen waren. Eine aktuelle                                                und öffentlichen Bewusstsein. Das E-Bike machte Radfahren sogar in hü-
    Untersuchung ergab ferner, dass rechnerisch jeder Kilometer zusätzlicher                                             geligen Städten, mit schweren Lasten und auf längeren Wegen möglich
    Radspur im Schnitt eine Steigerung des Radverkehrs um 0,6 % erbracht                                                 – und zwar ohne schweißtreibende Pedal-Arbeit.
    hätte und Gesundheitsvorteile in Höhe von ca. drei Mrd. EUR. [3]
                                                                                                                         Seit den Klimastreiks will die Politik das Radfahren stark fördern – Schles-
    Der Zweirad-Industrie-Verband rechnet damit, dass zwischen Januar und                                                wig-Holstein will etwa den Modal Split Anteil von 13 auf 30 % erhöhen [6].
    Juni 2020 ca. 3,2 Mio. Fahrräder und E-Bikes verkauft wurden. Das ent-                                               Maßnahmen für das Fahrrad kosten wenig, sind zumindest physisch leicht
    spräche hinsichtlich des Absatzes einem Plus von rund 9,2 % gegenüber                                                und schnell umsetzbar, werden gut angenommen und bringen kurzfristi-
                                                                                                                         ge Erfolge im Kampf gegen den Klimawandel. Die Pandemie hat diesen
                                                                                                                         Trend nun nochmals beschleunigt.

                                                                                                                         Einflussreiche Fahrrad-Community
                                                                                                                         Treiber des Booms waren nicht zuletzt die Nutzer und die Radbranche.
                                                                                                                         Rund um das Fahrrad als gesunde, saubere, schnelle und billige Mobili-
                                                                                                                         tätsform hat sich in den letzten Jahren eine Community entwickelt, in der
                                                                                                                         Hersteller, Nutzer, Verkehrsforscher und Aktivisten eng vernetzt sind. Viele
                                                                                                                         Radfahrenden gestalten ihr Alltagsleben auch längst um die Radmobili-
                                                                                                                         tät herum und werben oft begeistert für diesen fröhlichen Lifestyle, z. B.
                                                                                                                         bei Aktionen wie dem jüngsten „Stadtradeln“ oder wenn Tausende rad-
                                                                                                                         fahrend als „Critical Mass“ auch zeigen, wie groß diese Bewegung ist, die
                                                                                                                         Änderungen an der Flächenaufteilung auf der Straße fordert.

                                                                                                                         Die Hersteller haben bedarfsorientiert ein breites Angebot an Radmodel-
    Abb. 1: Hamburg hat bisher zurückhaltend Pop-Up-Bike-Lanes eingerichtet. Beim Schlump wurde nun die vierspurige
    Straße verengt, in der auch zwei Metrobuslinien verkehren.                                  Quelle: C. Hinkelmann   len geschaffen; Radanhänger erhöhen die Transportkapazitäten des Rades

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NEUE MOBILITÄT Fahrräder: Gewinner der Pandemie? Update des PBefG Urban Air Mobility: Flugtaxis statt Nahverkehr? - Digital Transformation Week
© DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020
                                                                               Abb. 2: Auf kurzen und mittleren Strecken ist das Rad oft schneller als Busse und Straßenbahnen, vor allem wenn man
                                                                               umsteigen muss.                                                                                    Quelle: C. Hinkelmann

bzw. bieten eine Mitnahmemöglichkeit für Kleinkinder. Auch tüftelt die         sind, dort viele Menschen ohne Auto wohnen und das Rad auch die deut-
Branche an immer neuen Ideen (wie etwa jüngst modulare Gepäckträ-              lich schnellste Fortbewegungsart darstellt, sieht die Situation in den aus-
ger-Elemente oder besondere Sicherheitsschlösser mit integrierter Alarm-       gedehnten Einzelhausvierteln am Stadtrand ganz anders aus – und erst
anlage); so wird aus dem Fahrrad immer mehr ein universelles Fortbewe-         recht in den eher dörflich geprägten Siedlungen des Umlandes. Dort re-
gungsmittel. Auch entstehen dabei neue Ideen, wie etwa das Rad-Abo             alisiert man sofort, dass die Vision „Fahrradstadt“ für die dort wohnenden
inklusive Wartung, mit dem Radfahrende ein Rad über längere Zeiträume          bisher nicht viel mehr anzubieten hat, als Rad-Schnellwege in die Fahr-
nutzen können anstatt es zu besitzen.                                          rad-affinen inneren Stadtteile. Und gleichzeitig sehen die Menschen in
                                                                               diesen Gebieten sich derzeit vor allem mit den negativen Auswirkungen
Die Rad-Community wirkt wesentlich durch ihren Enthusiasmus und ihre           des Fahrradbooms konfrontiert: Allererste Messungen belegen bereits,
enge Vernetzung mit Stadtplanenden, Politik, Auto-Gegnern und Klimaak-         dass die neuen Rad­trassen vielfach den Autoverkehr verlangsamen – und
tivisten, die nicht zuletzt das Bestreben eint, den Autoverkehr zurückzu-      dieser geht eben wesentlich von den Stadträndern und dem Umland aus.
drängen. Denn neben Diebstahl oder Beschädigung abgestellter Fahrrä-
der sind Unfälle und Konflikte mit dem dichten Autoverkehr die größten         Das Berliner Verwaltungsgericht urteilte Anfang September „Corona“ allein
Probleme für die Radfahrenden.                                                 reiche als Begründung für solche Eingriffe juristisch nicht aus, vielmehr
                                                                               handele es sich eben gerade nicht um „verkehrsbezogene Erwägungen“.
Viele wollen die Fahrradstadt …                                                Acht Pop-Up-Bike-Lanes seien abzubauen [8]. Unklar war bei Textschluss
Tatsächlich vergrößert die Krise auch die Wechselwirkungen mit anderen         noch, ob die Stadt in die nächste Instanz zieht. Fast zeitgleich stoppte die
Lebensbereichen, die zum Ökosystem Fahrrad gehören: So hatte sich im           Berliner SPD-Fraktion den zwischen allen Ressorts der rot-rot-grünen Lan-
Zuge der Klimastreiks der Protest vieler (oft ohne Auto lebender) Stadt-       deskoalition schon fertig abgestimmten Klimaplan auf den letzten Metern
menschen gegen die immer weiter gestiegene Autoflut bereits verstärkt.         u. a. wegen der auto-feindlichen Projekte City-Maut und flächendeckende
Sie wollen Lärm, Platzbedarf und die erwiesene Gesundheitsgefahr der           Parkgebühren (und erst mittelfristig lösbarer Kapazitätsprobleme gera-
damit verbundenen Emissionen nicht mehr hinnehmen. Der Lockdown                de bei der U-Bahn). Ein Blick auf die französischen Gelbwesten-Proteste
hat ihnen nun gezeigt, wie leise und emissionsarm ihr Lebensraum Stadt         reicht, um die Brisanz eines Konflikts Innenstadt-Stadtrand-Umland in
sein könnte und wie viel Platz dann wäre. Umso willkommener sind aus           dem derzeit stark aufgeheizten gesellschaftlichen Klima in Deutschland
dieser Sicht nun viel mehr Radspuren, denn sie erschweren den ungelieb-        zu erahnen…
ten Autoverkehr.
                                                                               Rad plus ÖPNV: Viele Hoffnungen, viele Hindernisse
Auch der traditionelle Einzelhandel war schon lange durch explodierende        Der Fahrradboom hat auch die ÖPNV-Fahrgastzahlen stark sinken lassen.
Ladenmieten und Online-Handel unter Druck. Jetzt droht durch die Krise         Dies wurde von der Rad-Community besorgt registriert, die eine Ver-
die Verödung der einseitig auf Konsum ausgerichteten Innenstädte – und         netzung der Verkehrsmittel unterstützt und wohlwollend anerkannte,
finden nun die Stadtplanenden Gehör, deren Konzepte von autofreien             dass der ÖPNV in den letzten Jahren mit barrierefreiem Ausbau, Mobili-
Städten viel Raum für das Zufußgehen und Radfahren vorsehen.                   täts-Hubs, zusätzlichen Abstellmöglichkeiten, sowie der Beteiligung an
                                                                               Leihradsystemen und Apps sich in Richtung des Ökosystems Rad zu öff-
Der Kampf gegen den Klimawandel verbindet diese Entwicklungen durch            nen begonnen hatte. Dennoch drängte sich vor der Krise zumindest für
Konzepte wie die „Viertelstundenstadt“, in der alle im Alltag wichtigen Ein-   Berufspendler die Kombination von Rad und ÖPNV nicht unbedingt auf.
richtungen in fußläufiger Distanz erreichbar sein sollen. Städtebauliche
Visionen sehen denn durch die Kombination mit E-Bikes und Rad-Schnell-         Das Rad ist im Stadtbereich meist schneller und flexibler als Bus oder Stra-
wegen auch schon ganze Großstädte, in denen praktisch alle Punkte am           ßenbahn. E-Bike-Fahrende sparen sogar auf längeren Strecken mit einer
schnellsten mit dem Rad erreichbar wären und kaum noch Mobilitätsan-           durchgehenden Fahrt Zeit gegenüber dem Umsteigen in die Straßenbahn.
lässe übrig blieben, für die Stadtmenschen noch wirklich ein Auto nutzen       Schnelle U-, S- und Regionalbahnen sind auf großen Distanzen für die Kom-
müssten. Doch wie viel ÖPNV würde dann noch gebraucht? Das Rad ist             bination mit dem Rad dagegen interessanter. Doch um diese als Radfahren-
häufig auf innerstädtischen Wegen bis fünf Kilometer das schnellste Ver-       de nutzen zu können, braucht es angesichts des Risikos des Diebstahls oder
kehrsmittel und das E-Bike sogar bis zehn Kilometer [7].                       der mutwilligen Beschädigung des eigenen (oft teuren) Rades zuverlässig
                                                                               gesicherte Abstellmöglichkeiten an allen Schnellbahnstationen und überall
… aber nicht alle profitieren davon                                            verfügbare Leihräder für die „letzte Meile“. Diese Einrichtungen entstehen
Die in der Krise schnell errichteten Pop-Up-Bike-Lanes haben aber auch         jedoch erst nach und nach. Und auch Radanhänger oder spezielle Gepäck-
sichtbar gemacht, dass solche Konzepte einer Fahrradstadt allem Boom           trägermodule lassen sich nicht immer leicht mit in die Bahn nehmen und
zum Trotz Teile der Gesellschaft und deren völlig andere Lebensbedingun-       erst recht nicht mit dem Leihrad kombinieren. Die Mitnahme des eigenen
gen zu wenig mitgedacht haben. Denn während die inneren Stadtteile             Rades scheitert dagegen zumindest in der Hauptverkehrszeit an den feh-
durch eine hohe Dichte von Einzelhandel und Dienstleistungen geprägt           lenden Kapazitäten der Schnellbahnen (und vielerorts auch an Sperrzeiten).

                                                                                                                                                                                                           7
NEUE MOBILITÄT Fahrräder: Gewinner der Pandemie? Update des PBefG Urban Air Mobility: Flugtaxis statt Nahverkehr? - Digital Transformation Week
Abb. 3: Die Kombination von Rad und Schnellbahn kann echte Zeitvorteile bieten; das Umsteigen ist in den letzten Jahren

                                                                                                                                                                                                                     © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020
    durch Aufzüge leichter geworden.                                                                 Quelle: C. Hinkelmann

    Wie wir das Radfahren im Corona-Winter?                                                                                   Mit zwei langfristigen Entwicklungen
    Möglich erscheinen für einen „Corona-Winter“ aus derzeitiger Sicht zwei                                                   muss der ÖPNV rechnen
    Tendenzen: Wird durch eine „zweite Welle“ wieder stärker auf mehr Ab-                                                     1) Verkehrspolitisch wird das Rad auch weiter gefördert werden. Hier muss
    stand im Nahverkehr gemäß WHO-Empfehlung gesetzt, würde dies not-                                                         der ÖPNV sicherstellen, dass sein Flächenbedarf planerisch berücksich-
    gedrungen kreative Adaptionstrategien erfordern, wie auch Neu-Radfah-                                                     tigt wird, etwa damit sich nicht bei engen Querschnitten vor Beginn der
    rende bei nass-kaltem Wetter das Rad mit geringeren Komfort-Einbußen                                                      Radspuren Rückstaus bilden, in denen dann auch Bus oder Straßenbahn
    als bisher nutzen können. Sollten sich diese bewähren, könnte dies für                                                    stecken bleiben. [9] Auch Kombi-Spuren für Bus und Rad [10] sollten gut
    viele das ganzjährige Radfahren interessant machen – und somit zu ei-                                                     durchdacht sein. Beide Verkehrsmittel sind zwar im Durchschnitt ähnlich
    ner dauerhaften Änderung bei der Verkehrsmittelwahl führen – vor allem                                                    schnell, weisen aber ganz unterschiedliche Fahrprofile auf und erfordern
    wenn klimawandel-bedingt die Winter künftig meist schneefrei blieben.                                                     beim Überholen die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstände.

    Wird der kommende Winter dagegen durch ein niedriges Infektionsge-                                                        2) Von der Rad-Community kann der ÖPNV lernen, Mobilität noch stär-
    schehen geprägt, liegt die Hemmschwelle für die Neu-Radfahrenden nied-                                                    ker als Verbindung vieler verschiedener, örtlich und zeitlich getrennter
    riger, bei wintertypischem Wetter wieder den ÖPNV zu nutzen und ggf.                                                      Alltagsroutinen zu verstehen. Diesem Ansatz folgt bereits die Idee von di-
    auch wieder eine Zeitkarte zu erwerben. Dann würde sich erst im Frühjahr                                                  gital organisierten Reiseketten, bei dem Neue Mobilitätsformen das starre
    2021 zeigen, wie viele Neu-Radfahrende bei mildem Wetter dann ihre Er-                                                    Netz des ÖPNV hin in die gesamte Stadtfläche öffnen. Ebenso bringen
    innerungen an den Fahrradsommer 2020 so viel positiver bewerten, dass                                                     z. B. in Hamburg Schließfachanlagen, die vom örtlichen Einzelhandel auf
    sie nach mehrmonatiger ÖPNV-Zeit ihr Mobilitätsverhalten erneut ändern                                                    Online-Bestellung hin gefüllt werden, das Einkaufen direkt an die Halte-
    würden. In dem Fall könnte sich das Fahrrad stärker als Schönwetter-Ver-                                                  stellen heran.
    kehrssystem etablieren und dem ÖPNV bliebe die Rolle eines Ersatz-Ver-
    kehrsmittels, das für Schlechtwetter-Perioden die entsprechenden Kapazi-                                                  Flexibilität kann der ÖPNV auch – wenn man ihn lässt.
    täten für die zusätzliche Beförderung von Radfahrenden vorhalten müsste.
                                                                                                                              Quellen
    Das Rad bietet auch weiter flexible, attraktive Mobilität                                                                 [1] https://tfl.gov.uk/info-for/media/press-releases/2020/may/tfl-announces-plan-
                                                                                                                              to-help-london-travel-safely-and-sustainably
    Radfahren wird auch weiter Vorteile gegenüber der ÖPNV-Nutzung bie-
                                                                                                                              [2] https://ecf.com/dashboard
    ten. Es erlaubt eine grundsätzliche andere „Er-fahr-ung“ des städtischen
                                                                                                                              [3] https://arxiv.org/pdf/2008.05883.pdf
    Raumes als bei der Nutzung von ÖPNV oder Auto. Per Rad kann fast die
                                                                                                                              [4] https://www.ziv-zweirad.de/presse-medien/pressemitteilungen/detail/?tx_
    gesamte Stadtfläche in die Route eingezogen werden, während der ÖPNV                                                      ttnews%5Btt_news%5D=950&cHash=9265b5aa4b39e10bac9f9912ce8bde67[5]
    durch Linienführung, Stationslagen und Fahrplan die Stadtfläche vor allem                                                 [5] https://www.mopo.de/hamburg/700-000-euro-sofort-weg-frust-in-hamburg--
    über festgelegte Korridore erschließt. Wer statt in der U-Bahn in 2020 neu                                                der-fahrrad-foerdermurks-der-stadt-37310518

    mit dem Rad unterwegs war, hat an der Oberfläche oder in den Seitenstra-                                                  [6] https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/VII/Presse/PI/2020/
                                                                                                                              III_2020/200901_Radstrategie2030.html
    ßen neue Wege, Einkaufsmöglichkeiten und Dienstleistungen entdecken
                                                                                                                              [7] https://mobilitymag.de/verkehrsmittel-vergleich-stadt/
    können; hat jederzeit ohne Parkprobleme und mit minimalem Zeitverlust
    die Fahrt unterbrechen und Einkaufsgut per Rad auch leichter transportie-                                                 [8] Zitiert nach: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-09/temporaere-
                                                                                                                              radwege-berlin-pop-up-rechtmaessigkeit-coronavirus
    ren können als in der vollen Bahn bzw. auf dem Fußweg zur Haustür. Dank
    Navi lassen sich per Rad sogar Umwege leicht integrieren. Viele Neu-Rad-                                                  [9] https://www.fnp.de/frankfurt/frankfurt-auto-stau-fahrrad-fahrradweg-fahrradweg-
                                                                                                                              radentscheid-13847468.html
    fahrenden haben in dem zurückliegenden halben Jahr denn auch neue
                                                                                                                              [10] „Koexistenz auf Probe“ in, SZ 30.07.2020, https://www.sueddeutsche.de/muenchen/
    Alltagsroutinen in Kombination mit mehr Bewegung entwickelt, wobei sie                                                    neuhausen-koexistenz-auf-probe-1.4984035
    nicht zuletzt auch die Kosten des ÖPNV-Tickets eingespart haben.

    Rad und E-Bike ermöglichen im Stadtverkehr sogar mehr spontane Fle-
    xibilität als das Auto – eine wichtige Qualität in Zeiten dauernder Verän-
    derung, etwa wenn vertraute Shops krisenbedingt geschlossen werden.
    Man kann mit dem Rad auch spontan auf dem Weg noch kurz bei Bekann-
    ten oder im Fahrradkino vorbeischauen. Die Anpassungsfähigkeit dieser
    Mobilitätsform bleibt daher grundsätzlich attraktiv, so dass zumindest in                                                                      Frank Muth M.A.
    den wärmeren Monaten weiterhin Steigerungen des Radverkehrsanteils                                                                             Freier Fachjournalist
    realistisch erscheinen, zumal die Probleme Autostau und Überfüllung im                                                                         Nahverkehr und Güterbahn, Hamburg
    ÖPNV nicht so schnell verschwinden werden. Und müssen künftig viel-                                                                            oepnv@use.startmail.com
    leicht sogar mehr Menschen das Rad aus finanziellen Gründen nutzen?

8
NEUE MOBILITÄT Fahrräder: Gewinner der Pandemie? Update des PBefG Urban Air Mobility: Flugtaxis statt Nahverkehr? - Digital Transformation Week
SCHWERPUNKT

    MOBILITÄT

                                                                                                                                                                                                                 © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020
     W I R SE H E N G E N AU H I N
      Berichte über alternative Kraftstoffe (LNG- und                            Energie Informationsdienst
         CNG-Antrieb), Elektromobilität, Energieeffizienz,                              FA K T E N                         ARGUMENTE

                                                                                                                       www.eid-aktuell.de
                                                                                                                                                                          A N A LY S E N

         Karten- und Flottenmanagement
                                                                                Netzrendite
                                                                                BGH gibt Regulierer bei
                                                                                EK-Zinssätzen recht                Wettstreit um das richtige
                                                                                                                   Konzept zur CO2-Bepreisung
     
                                                                                                              06

         Dieselpreise aus Eigenerhebung                                         Energiepolitik
                                                                                Altmaier: Steinkohlegesetz-
                                                                                Entwurf bis Herbst
                                                                                                                   Kurz nachdem Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) drei
                                                                                                                   Gutachten zur Umsetzung einer möglichen CO2-Bepreisung vorge-
                                                                                                                   legt hat, hagelt es aus der Branche Alternativ-Konzepte für eine Um-
                                                                                                                   setzung – etwa vom BDEW oder dem Erneuerbaren-Verband BEE.

        Zweimal im Jahr Erhebung zum Tankstellenmarkt
                                                                                                              08
                                                                                                                            Es ist ein guter Zeitpunkt, jetzt   schen Emissionshandel, wie er im Strom-
                                                                                Mineralölmittelstand                        die blockierende Debatte über       und Industriebereich gilt, zukünftig auch
                                                                                                                            eine CO2-Bepreisung aufzulö-        den Verkehrs- und Wärmemarkt umfas-
                                                                                UNITI besetzt neu geschaf-                  sen“, die die Sektoren Wärme        sen soll. Das RWI Leibniz-Institut für

     
                                                                                fene Positionen – Büro in          und Verkehr betrifft, ist sich Stefan Kap-   Wirtschaftsforschung der Ruhr-Universi-

         Aktuelle Analysen zur CO2-Bepreisung und zur
                                                                                Brüssel                            ferer, Chef der Hauptgeschäftsführung        tät Bochum hat dazu ein Kurzgutachten
                                                                                                              18   des Energieverbandes BDEW, sicher. Die       auf Basis unterschiedlicher CO2-Beprei-
                                                                                                                   beiden „Denkschulen“ innerhalb der           sungshöhen erstellt und sich auch mit
                                                                                                                   Bundesregierung, die die CO2-Debatte         den sozialen Auswirkungen beschäftigt.
                                                                                Unternehmen                        bestimmten, hätten beide ihre Schwä-
                                                                                                                   chen (zu den jüngsten Vorschlägen von        Wärme und Verkehr: „Jeweils aktuel-
                                                                                STAWAG kann 2018 „etliche

         Sektorkopplung in Logistik und Verkehr
                                                                                                                   SPD-Bundesumweltministerin          Svenja   ler CO2-Handelspreis als Steuer“
                                                                                Kunden“ (zurück-)gewinnen          Schulze sogleich). Stattdessen legt der      Im EU-Emissionshandel liegt der Preis je
                                                                                                                   Verband jetzt einen eigenen Vorschlag        Tonne Kohlendioxid derzeit bei 26 Euro.
                                                                                                              22   vor, bei dem der CO2-Preis im europäi-       Der jeweils aktuelle Handelspreis soll im
                                                                                                                                                                Konzept des BDEW als Steuer auf den
                                                                                                                                                                Energieverbrauch in den beiden Sekto-
                                                                                                                                                                ren aufgeschlagen werden. Nach den Be-

                                                                         Jetzt testen!
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                                                                                                                                                                und Diesel/Heizöl einen moderaten
                                                                                                                                                                Preisaufschlag von 6 bis 7 Cent je Liter.
                                                                                                                                                                Der Erdgaspreis würde sich leicht um et-

                www.eid-aktuell.de
                                                                                                                                                                wa 0,5 Cent pro kWh verteuern, kom-
                                                                                                                                                                mentierte Manuel Frondel vom RWI.
                                                                                                                                                                                       Fortsetzung auf Seite 2

Energie Informationsdienst GmbH   Heidenkampsweg 73–79   20097 Hamburg    Tel. 040/237 14-140                                                                               9
                                                                                                                                                            leserservice@eid.de
NEUE MOBILITÄT Fahrräder: Gewinner der Pandemie? Update des PBefG Urban Air Mobility: Flugtaxis statt Nahverkehr? - Digital Transformation Week
KOOPERATION ALS LÖSUNG
     FÜR DIE „LETZTE MEILE“
     Wie ÖPNV und Paketlogistik zusammenpassen – das Hamburger Pilotprojekt „Hamburg Box“ macht es vor.

                                                                                                                                                                      © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020
     Von Gunnar Anger

 D
                as steigende Paketaufkommen durch den boomenden Online-             Lock-Service ist für Verbraucher kostenlos. Diese anbieteroffene Lösung ist
                handel belastet die Stadtlogistik und den Straßenverkehr zu-        deutschlandweit einzigartig und setzt auf kooperatives Miteinander aller
                nehmend. Paketlieferungen durch Drohnen und Lieferroboter           Beteiligten zur Lösung der Herausforderungen der letzten Meile in der
                sind in den meisten Fällen als Lösung noch ferne Zukunftsmusik      Paket­logistik.
     und werden dem starken Anstieg des Bedarfs der individuellen Paketbe-
     stellungen und Belieferung nicht gerecht werden können. Alleine während        Viele Partner an einem Tisch
     der Corona-Pandemie stiegen Online-Bestellungen auf das Rekordniveau           Um ein Projekt mit solchen Ausmaßen wirtschaftlich zu organisieren, ha-
     der Weihnachtszeit. Bis 2024 werden Bestellvolumen von über sechs Mrd.         ben städtische Entscheider mehrere Möglichkeiten. Eine eigens für diesen
     Paketen erwartet. Die Städte und Kommunen müssen mit schnell realisier-        Zweck gegründete Projektierungsgesellschaft, ein eingetragener Verein,
     baren Lösungen arbeiten, die Paketdienstleistern und Kunden gleicherma-        eine GmbH – Entscheidern und Projektverantwortlichen bieten sich viele
     ßen eine effiziente Zustellung ermöglichen, den Stadtverkehr entlasten         Alternativen.
     und die Lebensqualität nachhaltig und dauerhaft erhalten.                      Das Pilotprojekt „Hamburg Box“ beispielsweise ist partnerschaftlich gleich-
                                                                                    wertig organisiert. Das erleichterte die Zusammenarbeit dahingehend, dass
     Ein Hamburger Projekt, das im März 2020 gelauncht wurde, hat in dieser         die vertraglich relevanten Punkte bezüglich der Ansprüche der Partner und
     Hinsicht Leuchtturmcharakter, da es aus der Kooperation eines Software-        des Umfangs des Projektes von vornherein verbindlich definiert wurden.
     dienstleisters und zweier Verkehrsunternehmen entstand, die die vorhan-        Andere Kooperationsmodelle sind selbstverständlich denkbar, beispiels-
     dene Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs als Anknüpfpunkte für al-      weise eine speziell für das Projekt gegründete Projektierungsgesellschaft.
     ternative Zustelloptionen nutzen. Das Softwareunternehmen ParcelLock           Aufgrund der unterschiedlichen Projektebenen, waren bei den Partnern
     kooperiert zu diesem Zweck mit den großen Mobilitätsanbietern Deut-            auch unterschiedliche Unternehmenssparten eingebunden. Die Komplexi-
     sche Bahn und Hamburger Hochbahn. -Aber auch die Stadt Hamburg                 tät von der Standortdefinition und Eignungsprüfung, verbunden mit den
     spielt hier spätestens seit der Nominierung zur Green Capital im Hinter-       praktischen Anforderungen der Paketdienstleister als auch Software-Not-
     grund eine wesentliche Rolle, um die Logistik­akteure untereinander, aber      wendigkeiten sowie die Berücksichtigung der optimalen Erreichbarkeit der
     auch mit angrenzenden fachspezifischen Experten und Entscheidungsträ-          Endverbraucher setzte voraus, dass der große Bogen, der über all diese Be-
     gern zusammen zu bringen.                                                      reiche gespannt wurde, von allen Beteiligten nachvollzogen wurde. Die Pa-
     Gemeinsam wird hier Bewusstsein für notwendige Lösungsansätze wie              ketdienstleister haben z. B. logistische und organisatorische Ansprüche, die
     eine Verbesserung der umfassenden Logistikdienstleistungen durch ko-           berücksichtigt werden mussten. Die Ausstattung der Paketstationen mit der
     operative Synergien auch unter z. B. Klimatschutzaspekten geschaffen. So       Software von ParcelLock, die mit weiteren angeschlossenen Partner-IT-Syste-
     trägt die von der Stadt Hamburg ins Leben gerufene „Hamburg Logistik           men zusammenarbeiten, erforderte kontinuierliche Testläufe, Anpassungen
     Initiative“ stark zur Vernetzung untereinander bei.                            und Verbesserungen der Systeme. Somit waren IT-Entwicklungsabteilungen
                                                                                    und operative Organisationen an den Bahnhöfen, aber auch Projektleitung,
     Beispielhafte Lösung: Die Hamburg Box                                          Marketing- und natürlich Kommunikationsabteilungen involviert.
     Die Unternehmen stellten öffentliche Paketstationen, die sogenannte
     „Hamburg Box“ an mehreren Hamburger S- und U-Bahnhöfen auf und nut-            Bei der Beteiligung so vieler verschiedener Partner ist das Zeitmanagement
     zen damit hochfrequentierte Knotenpunkte innerhalb der Stadt sowie der         ein Faktor, der Schwierigkeiten bereiten kann. Alle Beteiligten müssen jeder-
     Metropolregion für alternative Zustellmöglichkeiten.                           zeit über Fristen und Termine informiert sein. Der Teufel liegt hierbei oftmals
                                                                                    im Detail. Projektleiter müssen bedenken, dass die Zustellalternative sofort
     Durch die Standorte der Paketstationen erhalten Online-Shopper die Mög-        nach dem offiziellen Launch für die Kunden nutzbar sein muss. Das bedeu-
     lichkeit, ihre Bestellungen, auf dem Weg von oder nach Hause, an einem         tet, dass auch die Paketdienstleister und Händler, die die Zustellung in diese
     naheliegenden Bahnhof abzuholen. Die Möglichkeit der Abholung oder             Alternativen anbieten, rechtzeitig über das System und die neuen Stand-
     Hinterlegung eines Pakets ist direkt in die alltäglichen Wege der Nutzer in-   orte informiert werden müssen. Schon bei der Initiierung eines solchen
     tegriert, so dass keine Umwege nötig sind. Die freien Flächen der Bahnhöfe     Projektes ist es ratsam, sich mit Logistikdienstleistern und Händlern über
     werden optimal genutzt, zusätzlicher Verkehrsmitteleinsatz, neben dem          ein eventuelles Interesse zu informieren und diese rechtzeitig einzubinden.
     ÖPNV, bestmöglich vermieden.                                                   In der Zusammenarbeit mit Paketdienstleistern müssen städtische Entschei-
                                                                                    der daran denken, dass die Routenplanung der Paketboten an die neuen
     Das anbieteroffene digitale Schließsystem von ParcelLock ermöglicht es         Zustellmöglichkeiten angepasst werden muss. Auch die Bedienung der
     allen Onlinehändlern, dem lokalen Einzelhandel und Paketdienstleistern,        Paketstationen muss eventuell von den Paketboten der Logistikdienstleis-
     die Paketstationen zu nutzen. Per App werden die Verbraucher über den          ter erst neu erlernt werden. Interne Schulungen der Paketboten sind z. B. in
     Versandverlauf und die Hinterlegung des Pakets informiert. Der Parcel-         vielen Fällen nötig und benötigen genügend Vorlaufzeit. Auch erforderliche

10
Genehmigungen und Zertifikate sind Zeitfresser. Handelt es sich bei der
vorgesehenen Fläche um einen öffentlichen Platz, gilt es ggf. Baugenehmi-
gungen einzuholen.

                                                                                                                                                                                                               © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020
Stellen Unternehmen oder Institutionen die Fläche zur Verfügung, wie an-
hand der Bahnhöfe für die „Hamburg Box“ gezeigt, müssen Vereinbarungen
getroffen werden, in welchem Maße Umgestaltungen erforderlich und er-
laubt ist.

Welche Bedingungen müssen gegeben sein?
Die Auswahl der Standorte der Paketstationen ist der wichtigste Faktor
solch alternativer Zustelloptionen. Städtische und kommunale Entschei-
der sollten für die Aufstellung hochfrequentierte Plätze auswählen, die ein
Großteil der Stadtbewohner täglich nutzt. Es empfiehlt sich zu überlegen,        Abb. 1: An hochfrequentierten Bahnhöfen aufgestellt nützen die Hamburg Boxen vor allem Pendlern aus den Hamburger
                                                                                 Randgebieten, die den ÖPNV für den Arbeitsweg nutzen.                                              Quelle: ParcelLock
welche Bereiche des Stadtlebens an diesen Orten noch eine Rolle spielen
und mit den entsprechenden Institutionen Kooperationen einzugehen.
Sind Einzelhändler vor Ort, können diese für eine Kooperation interessiert       Vorzeigemodell auf dem 2021 stattfindenden ITS Kongress präsentiert,
werden, in dem sie ihren Click-and-Collect-Service spezifisch auf diese Pa-      um vorzustellen wie die bestehende städtische Verkehrslogistik trotz ihrer
ketstationen ausrichten. Auch die Einbindung von Werbeflächen könnte             baulichen Inflexibilität um wichtige interaktiv nachhaltige Elemente be-
für weitere Projektpartner von Interesse sein. Barrierefreiheit spielt bei der   reichert werden kann.
Auswahl der Standorte ebenso eine Rolle, wie nahegelegene Parkmög-
lichkeiten und leicht erreichbare Zugänge wie für die Anlieferungen.             Zusammenfassung
                                                                                 Städtische und kommunale Entscheider, die daran interessiert sind, inno-
Auch die Kunden als Nutzer der Paketstationen müssen in der Lage sein,           vative Lösungen in ihre Stadtlogistik zu integrieren und den Lieferverkehr
ihre Bestellungen aus den Paketstationen herauszuholen oder dort zu              auf der letzten Meile zu reduzieren, haben durch Kooperationen unter-
hinterlegen, ohne die Menschen um sie herum zu behindern oder selbst             schiedlicher Experten verschiedenste Möglichkeiten, eine zukunftsgerich-
gestört zu werden.                                                               tete Stadtlogistik zu entwickeln. Dafür werden Anknüpfpunkte analysiert.
                                                                                 Die anbieteroffenen Paketstationen wie die „Hamburg Box“, die aus einer
Der Kostenfaktor des Projektes                                                   Kooperation eines Softwareanbieters und zweier Verkehrsunternehmen
Die Kosten für die Realisierung eines solchen Projektes variieren stark, je      entstanden, sind ein Paradebeispiel dafür, wie Infrastruktur-Knotenpunkte
nach Voraussetzungen. Dabei spielen nicht nur Beiträge monetärer Art             in städtischen Ballungsgebieten wie Hamburg, optimal mit alternativen
eine Rolle. Im Fall der „Hamburg Box“ erbrachten die Projektpartner sowohl       Zustellmöglichkeiten ausgestattet werden können. Dafür war es nicht
monetäre, materielle wie immaterielle Leistungen, wie die Bereitstellung         nötig, die Standorte neu zu konzipieren, sondern um das Asset Paketzu-
der Standorte. Abhängig von Auflagen am Standort, der Ausstattung und            stellmöglichkeiten zu erweitern und damit dem Standort Bahnhof eine
den Besitz- und Verfügungsverhältnissen gestalten sich die Kosten von Pro-       weitere Funktion zu geben.
jekt zu Projekt individuell. Auch beim Kostenfaktor zeigt sich so, dass eine
Kooperation mehrerer und auch durchaus sehr unterschiedlicher Partner            Durch die Komplexität eines solchen Projektes ist eine enge Zusammen-
sinnvoll ist.                                                                    arbeit vieler Unternehmenssparten nötig. Damit wird sichergestellt, die
                                                                                 sehr unterschiedlichen, komplexen Faktoren des Projektes für das ge-
Kommunikation und Marketing                                                      meinsame Ziel stets im Blick zu behalten und zum Erfolg zu führen. Die
Um die alternativen Zustellmöglichkeiten von Anfang an maximal kom-              für alle KEP-Dienstleister offene ParcelLock Software- und Technologie-
munizieren zu können und dieses relativ neue Konzept an den Verbrau-             lösung hat den Vorteil, das Paketvolumenlieferungen unterschiedlichster
cher heranzutragen, ist selbstverständlich ein gut durchdachtes Kommu-           Paketdienstleister in den gleichen Paketstationen gebündelt werden kön-
nikationskonzept nötig.                                                          nen, unabhängig vom Lieferanten. Belastungspunkte in der städtischen
                                                                                 Verkehrslogistik werden z. B. unter Klimaschutzaspekten stark minimiert.
Ein abgestimmtes Kommunikationsprojekt der drei Partner umfasst eine             Diese in Deutschland einzigartige Lösung setzt auf gemeinschaftliches
gemeinsam erarbeitete Webseite, Key-Messages und Zielformulierungen              Miteinander.
sowie einen verbindlichen Katalog häufig gestellter Fragen. Die Pressear-
beit bestand aus einer Kick-Off-Presseveranstaltung an einer der Paketsta-
tionen, sowie Interviews mit den Unternehmensvertretern. Die Endver-
braucher werden durch Außenwerbung wie Plakate an den Bahnhöfen                                              Gunnar Anger
und Beiträge über die „Hamburg Box“ auf den Bildschirmen der Bahnen                                          Geschäftsführer
der Hamburger Hochbahn informiert. Als Leuchtturmprojekt einer inno-                                         ParcelLock GmbH, Hamburg
vativen Stadtlogistik wird die „Hamburg Box“ zusätzlich an städtische und                                    gunnar.anger@parcellock.de
institutionelle Stellen kommuniziert. Zudem wird die „Hamburg Box“ als

                                                                                                                                                                                                          11
WENN DER WEG NICHT MEHR
     DAS ZIEL IST
     Neue Studien belegen einen Trend zum Homeoffice und dessen hohen Nutzen für den Klimaschutz.

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     Von Frank Muth

     J
            ahrelang hatten sich die Arbeitgebenden gewehrt, dem Megat-             aus, dass durch „den Homeoffice-Trend künftig rund 10 % weniger Büroflä-
            rend zu flexibleren Arbeitszeitmodellen nachzugeben und sich mit        chen benötigt würden“. [3] Bei der Prognose zu Wohnimmobilien blieb das
            manch durchaus nachvollziehbar erscheinendem Grund gegen das            Herbstgutachten vorsichtig. Allerdings zeichneten sich veränderte Wohn-
            vermehrte Arbeiten von Zuhause gesträubt. Nach nur sechs Mona-          präferenzen ab, so dass das Umland von Städten und gut angebundene
     ten Krise ist dieser Widerstand weitgehend zerbröselt, denn in der Krise hat   ländliche Räume an Bedeutung gewönnen. Auch würden Suburbanisie-
     sich erwiesen, dass Unternehmen von ihren Mitarbeitern auch vom heimi-         rungsprozesse „stark an Fahrt aufnehmen“, wie auch der Trend zum Wohnen
     schen Arbeitszimmer, Sofa, Küchentisch oder gar aus der Abstellkammer          in ländlichen Regionen durch mehr mobiles Arbeiten „unterstützt“ werde.
     ordentlich durch die Krise manövriert werden konnten. Vielmehr wurde in
     den ersten Wochen des Lockdowns durch viel Improvisation sogar sicht-          Der ZIA warnte mit Blick auf die Entwicklung der Konsumnachfrage aber
     bar, was alles geht und vor allem wie schnell: Ein extremes Beispiel mögen     auch vor unvermeidbaren Leerständen in den Innenstädten. Auch daran
     dabei ganze Radiobeiträge sein, die im heimischen Kleiderschrank anstelle      habe der Trend zum Homeoffice einen Anteil, denn wer nicht mehr zum Ar-
     eines lärmisolierten, teuren Tonstudios abgemischt wurden — und keiner         beiten in die Stadt komme, kaufe auch seltener dort ein. Der ZIA riet daher,
     hat’s gemerkt.                                                                 sehr schnell neue Konzepte für Innenstädte zu entwicklen und durch be-
                                                                                    schleunigte Genehmigungsverfahren ggf. auch das kurzfristige Umbauen
     Dass von Kinderbetreuung bis Büroausstattung und Datenschutz noch              von Einzelhandelsimmobilien zu erlauben.
     viel dauerhaft geregelt werden muss, steht auf einem anderen Blatt. Doch
     inzwischen kündigen im In- und Ausland viele große Unternehmen an,             Dass durch mehr Homeoffice aber auch ein ganzes Ökosystem schwer ge-
     ein bis drei Tage pro Woche das Arbeiten von Zuhause aus zu ermögli-           troffen werden dürfte, das sich um die Versorgung der im Büro Arbeitenden
     chen. Eine im Sommer aktualisierte Umfrage des Wirtschaftsprüfungs-            entwickelt habe, belegte Anfang September eine Studie des Beratungsun-
     unternehmens KPMG von Anfang 2020 unter den CEOs von etwa 1300                 ternehmens PWC am Beispiel Großbritanniens. [4]
     internationalen Unternehmen ergab, dass 77 % ihre Mittel zur digitalen
     Zusammenarbeit weiter ausbauen wollen und 69 % davon ausgingen,
     künftig mit weniger Bürofläche auszukommen. [1]
     Mehr Homeoffice wirkt sich aber auch unmittelbar auf die Mobilität aus
     ­­– der bisher zuverlässig planbare Beförderungbedarf ist eine Hauptsäule
     des ÖPNV. Das macht einen Blick auf die grundlegenden Entwicklungen
     interessant, die diesen Trend antreiben.

     Hohe Wohnkosten treiben Familien aus den Großstädten
     In vielen Ballungsräumen sind mittlerweile die Wohnkosten auch für Gut-
     verdiener-Familien oft nicht mehr bezahlbar, die in der Kinderzeit auch
     Einkommensverluste hinnehmen müssen. Bisher mussten sie damit leben,
     doch mit der Option nur noch an zwei oder drei Tagen pro Woche ins Büro
     fahren zu müssen, wird vor allem für Akademiker plötzlich das Wohnen im
     weiteren, grünen Umland denkbar – dort wo die Wohnkosten günstig sind
     und evtl. sogar Eltern und Großeltern in der Nähe leben. Schon früh in der
     Krise registrierten einige Immobilienmakler Anzeichen für ein größeres In-
     teresse an Objekten im weiteren Umland von Großstädten, welches sich
     inzwischen zu bestätigen scheint: Anfang September belegte eine Unter-
     suchung des Maklerportals Immowelt, dass in den Umlandkreisen von Ber-
     lin die Mietpreise gestiegen seien, während sie in den Großstädten Bran-
     denburg, Cottbus oder Potsdam bereits leicht abgenommen hätten. [2] .

     10 % weniger Bürofläche benötigt
     Fakten zu den Entwicklungen rund um das Homeoffice lieferte Anfang Sep-
     tember das Herbstgutachten der Immobilienweisen des Zentralen Immobi-
                                                                                    Abb. 1: Mitfahrbank statt U-Bahntakt: Welche Mobilität wollen und brauchen junge Familien, die vor den hohen
     lien Ausschuss e.V. (ZIA): Übereinstimmend gingen viele Erhebungen davon       Wohnkosten in den Innenstädten fliehen aber seltener pendeln müssen?                                    Quelle: F. Muth

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