NEUE MOBILITÄT Fahrräder: Gewinner der Pandemie? Update des PBefG Urban Air Mobility: Flugtaxis statt Nahverkehr? - Digital Transformation Week
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NEUE MOBILITÄT Herbst 2020 EURO 24,90 © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020 ISBN 978-3-96892-055-9 Fahrräder: Gewinner der Pandemie? Update des PBefG Urban Air Mobility: Flugtaxis statt Nahverkehr? Ein Magazin von
EDITORIAL © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020 Liebe Leserinnen und Leser, Corona hat alles geändert! Wirklich? Es stimmt, die Fahrgastzahlen im Neue Mobilität ist aber nicht nur Personen-, sondern auch und immer öffentlichen Verkehr sind massiv eingebrochen, die Verkehrsprognosen mehr Lieferverkehr. Gerade dieser ist in den letzten Monaten stark ange- über den Haufen geworfen. Aber die eigentlich interessanten Fragen lau- wachsen, womit wir wieder bei dem leidigen Thema Corona wären. Der ten, handelt es sich um eine Delle, die schnell wieder ausgebügelt wird, Lieferverkehr gehört eindeutig zu den Krisengewinnern. Zur Lösung die- oder sind durch die Pandemie strukturelle Änderungen unserer Mobilität ser Probleme gibt es Ansätze aus der Schweiz und Hamburg, die auf eine angestoßen oder nur beschleunigt worden? Und was bedeutet das für Art Mega-Rohrpost setzen. Bodenständiger mutet die Idee an, die Stadt- neue Mobilitätsangebote? Werden sie gepusht und falls ja, welche? Erst bahn in verkehrsschwächeren Zeiten für den Frachtverkehr zu nutzen: Ein einmal profitieren die Angebote, die „social distancing“ erlauben. Und es neues Karlsruher Modell? ist daher kein Wunder, dass das Fahrrad eine Renaissance erlebt. Wobei hier Corona nur etwas beschleunigt hat, was sich bereits zuvor abzeichne- Zu all diesen und noch weiteren Konzepten finden Sie, liebe Leserin und te, denn die Rad-Renaissance ist schon einige Jahre alt. Interessant ist dies Leser, auf den folgenden Seiten interessante Fachbeiträge. Mir bleibt nur aber auch noch aus einem anderen Grund: Neue Mobilität bedeutet nicht noch, Ihnen hierzu eine spannende und genussreiche Lektüre zu wün- notwendig neue Verkehrsmittel. Nicht sogenannte Flug-Taxis oder E-Tret- schen roller sind das Verkehrsmittel der Zukunft, sondern das gute alte Fahrrad. Wenn sich die zahlreicher werdenden Radler dann auch noch an Verkehrs- Ihr regeln hielten, wenn sie ihnen nicht nützen, statt Fußgänger auf Gehwe- gen zur Seite zu klingeln, wäre das eine gute Sache. Allerdings weniger für den klassischen Linienverkehr, denn auf kurzen Distanzen bis etwa 5 km wird das Rad zur veritablen Konkurrenz – jedenfalls bei gutem Wetter. Der ÖPNV droht zur Schlechtwetter-Alternative, in den Worten eines Müns- teraner Verkehrsexperten zum Regenschirm des Radlers zu werden. Statt- dessen sind integrative Ansätze gefragt, in denen sich die verschiedenen Lothar Kuttig Angebote sinnvoll ergänzen. Redaktionsleiter ÖPNV 2
INHALT 4 MEHR MOBILITÄT MIT WENIGER 18 MODERNISIERUNG DES VERKEHR PERSONENBEFÖRDERUNGSRECHTS Chloë Voisin-Bormuth Anna Scharl, Jörg Niemann © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020 6 DAS RAD BEWEIST IN DER KRISE 20 DER MOBILITÄTS-TRIATHLON SEINE FLEXIBILITÄT Kathrin Driessen, Jörg Röhlen, Bernd Owald Frank Muth 23 STÜCKGUT UNTERIRDISCH 10 KOOPERATION ALS LÖSUNG UND PER GÜTERTRAM FÜR DIE „LETZTE MEILE“ Achim Uhlenhut Gunnar Anger 26 „FLUGTAXIS“ ALS KONKURRENZ 12 WENN DER WEG NICHT MEHR ZUM NAHVERKEHR? DAS ZIEL IST Andreas Kossak Frank Muth 29 MOBILITÄTS-NEWS 16 WENN TEILEN PLÖTZLICH OUT IST Kurz & Kompakt Aline Jehl IMPRESSUM VERLAG UND HERAUSGEBER DVV Media Group GmbH, Heidenkampsweg 73 – 79, 20097 Hamburg, Telefon: +49 (0)40 237 14-02, Telefax: +49 (0)40 237 14-236 VERLAGSLEITER Manuel Bosch REDAKTIONSLEITUNG Aline Jehl AUTOREN DIESER AUSGABE Gunnar Anger, Kathrin Driessen, Aline Jehl, Andreas Kossak, Frank Muth, Jörg Niemann, Bernd Owald, Jörg Röh- len, Anna Scharl, Achim Uhlenhut, Chloë Voisin-Bormuth ANZEIGEN Silke Härtel (verantw.) DESIGN Ulrike Baumert MARKETING UND VERTRIEB Markus Kukuk GESCHÄFTSFÜHRER Martin Weber DRUCK Silber Druck oHG TITELBILD © da-kuk – iStock © 2020 DVV Media Group GmbH, Hamburg Die Publikation, ihre Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Vervielfältigung oder Verbreitung muss vom Verlag oder Herausgeber genehmigt werden. Dies gilt auch für die elektronische Verwertung wie die Übernahme in Datenbanken, Onlinemedien (Internet), Intranets oder sonstige elektronische Speichermedien. Eine Publikation der DVV Media Group 3
MEHR MOBILITÄT MIT WENIGER VERKEHR Eine internationale Perspektive Von Chloë Voisin-Bormuth © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020 M ehr Mobilität schaffen mit weniger Verkehr: das ist die Her- Keine einfache Lösung für ein komplexes Problem ausforderung, vor der die Städte heute stehen. Obwohl die Die Mobilität stellt heutzutage ein komplexes Problem dar. Einfache Lö- Coronavirus-Krise und der in vielen Ländern der Welt ver- sungen sind deswegen selten erfolgreich. Das Navigationssystem Waze ordnete Lockdown gezeigt haben, dass Lösungen gefunden hat zwar als Motto „outsmarting traffic together“, aber können wirklich werden können, um die Zahl der täglichen Fahrten zu begrenzen, haben sie neuen Technologien Staus lösen, wie sie es versprechen ? Der Einsatz von auch gezeigt, wie lebenswichtig Mobilität für unsere Wirtschaft, aber vor Taxi-Apps in New York hat 50 000 neue Fahrzeuge auf die Straße gebracht allem für die sozialen Bindungen ist. Die Herausforderung besteht in der und der Verkehr ist um 33 % gestiegen. Nachdem das Taxi zu einer ein- Konfrontation zweier Wahrnehmungen: zum einen die des Verkehrs, der fachen, billigen und komfortablen Alternative geworden ist, haben viele zahlreiche negative Externalitäten sowohl für die Gemeinschaften, als auch Fußgänger, Fahrradfahrer und Benutzer des ÖPNV angefangen, auf Taxis für den Einzelnen mit sich bringt (wirtschaftliche, gesundheitliche, ökolo- umzusteigen. Wenn die neuen Technologien es allein nicht schaffen, den gische und soziale Kosten); zum anderen die der Mobilität, die historisch Verkehr zu lösen, könnte die Veränderung der Infrastruktur dies erreichen? mit Freiheit, Weltoffenheit und Austausch aller Art verbunden ist. Obwohl Um die am zweithäufigste überlastete Autobahn des Landes zu entlasten der Mobilität sehr positive Werte beigemessen werden, wird sie nicht mehr hat Houston die Kapazität dieser Straße drastisch erhöht. 2008 ist der Katy einstimmig akzeptiert. Die Idee, dass man nicht nur umweltverträglicher, Freeway zur breitesten Autobahn der Welt mit fast 26 Spuren verbreitert sondern auch weniger mobil sein sollte, findet immer mehr Echo. Warum worden. Die Staus sind jedoch nach dem Bau der zusätzlichen Spuren um ist überhaupt die Mobilität zu einem Problem geworden? Wie gehen Städte 33 % gewachsen. Der Wirtschaftswissenschaftler Anthony Downs hat das mit diesen widersprüchlichen Aufforderungen um? Phänomen mit dem Prinzip der „dreifachen Konvergenz“ erklärt: die op- timierte und nicht überlastete Straße schafft einen Opportunitätseffekt Immer mehr Autofahrten und zieht drei neue Artne von Autofahrern an, die, die alternative Strecken Jeden Tag fahren 16,7 Mio. Franzosen durchschnittlich fast 14,6 km zu ih- fuhren, die, die kurz vor oder nach den Spitzenverkehrszeiten aufbrachen rem Arbeitsplatz, wobei die durchschnittliche Fahrstrecke kontinuierlich und die, die vorher den ÖPNV nutzten. Mehr Kapazität gleich mehr Ver- weiter steigt. Seit 1999 ist der Anteil der Fahrten von weniger als 10 km kehr. Andere Städte haben deswegen die gegensätzliche Strategie adop- zurückgegangen, wobei die Anzahl der Fahrten zwischen 20 und 50 km tiert: Ponteverda hat das Autofahren extrem begrenzt. Die Anzahl der in stetig zugenommen hat. Obwohl sie jeden vierten Franzosen betreffen, der Stadt mit dem Auto zurückgelegten Strecke ist um 67 % gesunken bleiben diese Mobilitäten über mittlere Entfernungen (zwischen 10 und und die CO2-Emissionnen um 61 % zurückgegangen. Auch wenn solche 100 km) schwer zu erfassen: über diese Entfernungen fehlt eine präzise Maßnahmen die Lebensqualität in den betroffenen Zonen stark erhöhen, Diagnose des Mobilitätsbedarfs, solide Daten und auch eine klar identi- verschlimmern sie aber auch die Erreichbarkeit der Stadt für die Leute, die fizierte Governance. Als Folge werden keine glaubwürdigen Alternativen von außerhalb dieser Zonen kommen und die generell vom Auto abhän- zum Auto angeboten. In den dicht besiedelten Gebieten nutzen 57 % der gig sind. Weniger Kapazität führt deswegen auch zu dem Risiko einer stei- Pendler ihr Auto und nur 37 % die öffentlichen Verkehrsmittel (80 % bzw. genden sozial-räumlichen Segregation. 15 % im Durchschnitt in ganz Frankreich). Im Gegensatz verfügt die Mo- bilität über kurze (weniger als 10 km) und lange Entfernungen (mehr als 100 km) über zahlreiche multimodale Angebote und steht im Mittelpunkt ehrgeiziger Mobilitäts- und Innovationspolitiken. Diese Situation erklärt, warum der Konsens über die Mobilität zerbricht: Einerseits wird der Autoverkehr aufgrund seiner negativen externen Effek- te, wie Umweltverschmutzung, Lärm, erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen, Stress, Produktivitäts- und Attraktivitätsver- lust zunehmend verurteilt und die Autofahrer stigmatisiert; andererseits werden die konkreten Maßnahmen zur Einschränkung der Autonutzung sehr schlecht wahrgenommen und abgelehnt. Die französische Protest- bewegung der Gelben Westen gegen die CO2-Steuer auf Kraftstoffe seit Oktober 2018 hat zur Aufgabe der Steuer geführt. Diese zwei scheinbar unvereinbaren Positionen sind das Ergebnis zweier sehr unterschiedlicher Lebensweisen in den Städten. Sie veranschaulichen auch die sozialen Brü- che, die quer durch die Gesellschaften verlaufen zwischen denen, die die Wahl ihrer Mobilität haben, und denen, deren Mobilität durch äußere Be- dingungen eingeschränkt ist. Abb. 1: Stadtmaut in Singapur Quelle: wikimedia/ProjectManhattan 4
© DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020 Die zwei Seiten der Medaille: Mobilität und Stadtplanung Der Schlüssel, um ein erfolgreiches Mobilitätkonzept zu entwickeln, scheint also darin zu liegen, Stadtplanung und Mobilität sehr stark zu artikulieren. Beide sind wie zwei Seiten der gleichen Medaille. In dieser Hinsicht hat die Stadt Montréal die Mobilitätsabteilung mit der Stadtpla- nungsabteilung fusioniert, und ist jetzt in einer besseren Lage, um schnell intelligente Alternativen zum Soloautoverkehr anzubieten. Dieser Ansatz hilft viele andere Herausforderungen zu bewältigen. Die Politik der Stadt Abb. 2: Katy Freeway in Houston. Quelle: wikimedia/Aliciak3yz Pittsburgh beruht auf der Vorstellung, dass Mobilität nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel, um sich selbst zu verwirklichen, betrachtet werden soll. Warum bewegen sich die Leute? Physische Mobilität und soziale Mobilität werden als eng miteinander ver- Was ist die Lösung? Um sie zu finden, muss man zum eigentlichen Kon- bunden betrachtet. Sich fortzubewegen soll dazu dienen, sich von seinem zept der Mobilität zurückkehren. Über Mobilität, statt über Verkehr und ursprünglichen sozialen Status zu befreien und die soziale Leiter aufzu- Transport zu sprechen, bedeutet einen Paradigmenwechsel: Mobilität steigen. Die Grundpunkte der Mobilitätspolitik sind deswegen die Qua- bezeichnet die Fähigkeit des Einzelnen, sich zu bewegen, um ein tägli- lität der Infrastruktur, die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer, der Bau von ches Aktivitätsprogramm zu erfüllen. Es geht hier nicht mehr darum, Plä- erschwinglichem Wohnraum und die Geschäftsdichte, die jedem Fußgän- ne zu schmieden, um Fahrzeuge mit Menschen oder Waren zu bewegen, ger den Zugang zu frischen Lebensmitteln ermöglicht. sondern darum, zu verstehen, wie Menschen leben, um ihnen zu helfen, das zu tun, was sie möchten oder müssen. Genau diesen Ansatz verfolgt Nur ein Potential das Projekt New Deal in seiner Antwort auf die internationale Konsulta- Alle diese Beispiele zeigen wie wichtig es ist, Mobilität nicht auf eine Frage tion über die Zukunft der Ringstraße, die vom Metropolitan Forum des der Infrastruktur zu reduzieren. Kern der Mobilitätsstrategie Wiens ist es, Großraums Paris 2018 organisiert wurde. Anstatt eine einfache Überho- allen Menschen unabhängig von Einkommen, Wohnort und körperlichen lung der Infrastruktur vorzuschlagen, analysierte das Team die Gründe für Fähigkeiten Mobilität zu ermöglichen und damit allen die Möglichkeit zu die Nutzung des Rings durch die Bewohner des Großraums Paris. Auf der geben, ihr Leben nach ihren Wünschen zu gestalten und von allen Mög- Grundlage dieser Analyse hat es ein Mobilitätsnetz erarbeitet, um die lo- lichkeiten, die die Stadt zu bieten hat, zu profitieren. Mobilität sollte kein kale mit der regionalen Mobilität zu artikulieren. Dank eines Systems von soziales Merkmal sein. Um dieses Ziel der Chancengleichheit zu erreichen, Schnellstraßen, die den regionalen Verkehr sammeln und optimieren, mit hat die Stadt Wien die Mobilitätshindernisse analysiert. Eines der wichtigs- autonomen Shuttles und schließlich der Aufbau von Knotenpunkten mit ten von ihnen ist das Lernen und die Aneignung neuer Mobilitätsformen, einem hohen Grad an Urbanität. Das Ziel ist, die täglichen Bedürfnisse die derzeit entwickelt werden. Um dieses Hindernis zu beseitigen, reicht der Benutzer zu erfüllen mit weniger Verkehr (-50 %) und mehr Mobilität es nicht aus, die Infrastruktur zu transformieren: Die Infrastruktur bietet nur (+30 % der Benutzer). ein Potenzial. Um dieses Potenzial zu verwirklichen, d. h. damit die Einwoh- ner die Infrastruktur nutzen können oder wollen, hat die Stadt eine inter- Eher eine politische als eine technische Frage essante Politik entwickelt, um die Nutzer durch z. B. mit Information, Bera- Das Projekt New Deal bietet eine Vision der Zukunft, in dem es sein Ziel tung und Orientierungshilfen bei der Nutzung neuer Mobilitätsformen zu mit der Entwicklung von autonomen Shuttles erfüllen kann. Heutige Lö- unterstützen und so die Voraussetzung für eine angemessene Aneignung sungen sind aber schon vorhanden. Das Beispiel von Singapur zeigt, dass der neuen Infrastruktur durch alle zu schaffen. Die Frage, wie mehr Mobili- der politische Wille, der viel öfters als die technischen Mittel fehlt, schon tät mit weniger Verkehr erreicht werden kann, erfordert daher, den Nutzer viel bewirken kann. Als Stadtstaat steht Singapur vor der Herausforderung in den Mittelpunkt der Strategie zu stellen und die Bandbreite der an der auf einem begrenzten Gebiet zu wachsen. Aufgrund der Feststellung, dass Mobilität beteiligten Disziplinen zu erweitern. 12 % seines Gebietes dem Auto gewidmet ist, hat Singapur eine starke und multidimensionale Politik eingeführt, um den Autoverkehr zu redu- zieren. Ein urbanes Mautsystem (Abb. 1) wurde aufgebaut. Um auf diese Art und Weise die Mobilität nicht zu reduzieren, wurde mit dem einge- sammelten Geld das ÖPNV-System entwickelt und der öffentliche Raum neugestaltet, und so die aktive Mobilität für alle Benutzer gefördert. Sin- Dr. Chloë Voisin-Bormuth gapur zeigt, was mit einem holistischen Mobilitätskonzept erreicht wer- Forschungsdirektorin den kann: die jährliche Dauer der Staus wurde auf 10 Stunden pro Jahr La Fabrique de la Cité, FR-Paris reduziert (d. h. fast sieben Mal weniger als in Paris) und die sehr restriktive chloe.voisin-bormuth@lafabriquedelacite.com Mobilitätspolitik verfügt über eine hohe soziale Akzeptanz. 5
DAS RAD BEWEIST IN DER KRISE SEINE FLEXIBILITÄT Welche Trends verstärken aktuell den Fahrradboom? Wo das Konzept „Fahrradstadt“ noch zu kurz gedacht ist und wie Radfahren im Corona-Winter auch den ÖPNV beeinflussen könnte. © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020 Von Frank Muth D ie Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO für die dem Vorjahreszeitraum und die etwa 1,1 Mio. verkauften E-Bikes würden COVID-19-Pandemie, „Wann immer möglich, sollten Sie Fahrrad einem Zuwachs von 15,8 % gleichkommen [4]. Auch Leihradanbieter wie fahren oder zu Fuß gehen“, wurde weltweit von den Menschen Nextbike (26 000 Leihräder) vermeldeten eine um bis zu 25 % gestiegene oft sogar noch deutlich stärker befolgt als in Deutschland. Gleich- Nachfrage. zeitig gingen viele Städte über die Empfehlungen der WHO für öffentliche Verkehrsmittel hinaus. So war etwa in den Londoner Verkehrsmitteln ein Ein Beispiel illustriert, welche Dynamik aktuell in dem Thema Rad steckt: Sicherheitsabstand von zwei Metern angeordnet, so dass das ÖPNV-System Im Herbst 2019 wurde das eigentlich auf drei Jahre angelegten Hambur- zeitweilig nur noch eine Kapazität von 13 bis 15 % aufwies. [1] ger Förderprogramm für den Kauf von Lastenbikes bzw. Fahrradanhän- gern in Höhe von 1,5 Mio. Euro binnen 3 Wochen komplett abgerufen. Als Für die Zeit nach dem Lockdown suchten die Großstädte nach Möglichkei- am 1. September 2020 nun ein neues Programm allen Bürgern einen Zu- ten, um Bus und Bahn kurzfristig derart zu entlasten, dass dort die Anste- schuss von 33 % beim Kauf eines Lastenrads bot, waren die Fördermittel ckungsgefahr reduziert und trotzdem möglichst viele Menschen zu ihren in Höhe von immerhin 700 000 EUR nach weniger als 30 Minuten weg! [5] Arbeitsplätzen gelangen konnten. Da eine Verlagerung auf das Auto keine Option war, wurden im Sinne der WHO-Empfehlung vielerorts als provi- So wurde Radfahren zum Trend sorisch deklarierte besondere Radspuren angelegt: Mit dem Argument, Diese Dynamik hat mehrere wesentliche Ursachen: Einen kräftigen An- auch für die (Neu-)Radfahrenden den empfohlenen Sicherheitsabstand schub bekam das Radfahren bereits vor mehreren Jahren durch den einhalten zu wollen, haben europaweit 106 Städte insgesamt 2329 km so- Bevölkerungszuzug und das wachsende Mobilitätsbedürfnis in den Bal- genannte „Pop-Up-Bike-Lanes“ angekündigt und bisher 1095 km tatsäch- lungsräumen. Je voller Busse und Bahnen und je länger die Staus wurden, lich umgesetzt (Stand 7. September [2]). umso attraktiver wurde die Unabhängigkeit des Fahrrads. Nicht zuletzt sind Bike und E-Bike auch im Urlaub eine ideale Kombination aus körper- Erste Schätzungen einiger Städte gehen von einem Zuwachs des Radver- licher Bewegung und Mobilität. Durch Leihradsysteme wurde Radfahren kehrs in der Krise um 20 bis 30 % aus, wobei auch schon in den Jahren da- auch leichter zugänglich und deutlich präsenter im öffentlichen Raum vor deutliche Steigerungen zu beobachten gewesen waren. Eine aktuelle und öffentlichen Bewusstsein. Das E-Bike machte Radfahren sogar in hü- Untersuchung ergab ferner, dass rechnerisch jeder Kilometer zusätzlicher geligen Städten, mit schweren Lasten und auf längeren Wegen möglich Radspur im Schnitt eine Steigerung des Radverkehrs um 0,6 % erbracht – und zwar ohne schweißtreibende Pedal-Arbeit. hätte und Gesundheitsvorteile in Höhe von ca. drei Mrd. EUR. [3] Seit den Klimastreiks will die Politik das Radfahren stark fördern – Schles- Der Zweirad-Industrie-Verband rechnet damit, dass zwischen Januar und wig-Holstein will etwa den Modal Split Anteil von 13 auf 30 % erhöhen [6]. Juni 2020 ca. 3,2 Mio. Fahrräder und E-Bikes verkauft wurden. Das ent- Maßnahmen für das Fahrrad kosten wenig, sind zumindest physisch leicht spräche hinsichtlich des Absatzes einem Plus von rund 9,2 % gegenüber und schnell umsetzbar, werden gut angenommen und bringen kurzfristi- ge Erfolge im Kampf gegen den Klimawandel. Die Pandemie hat diesen Trend nun nochmals beschleunigt. Einflussreiche Fahrrad-Community Treiber des Booms waren nicht zuletzt die Nutzer und die Radbranche. Rund um das Fahrrad als gesunde, saubere, schnelle und billige Mobili- tätsform hat sich in den letzten Jahren eine Community entwickelt, in der Hersteller, Nutzer, Verkehrsforscher und Aktivisten eng vernetzt sind. Viele Radfahrenden gestalten ihr Alltagsleben auch längst um die Radmobili- tät herum und werben oft begeistert für diesen fröhlichen Lifestyle, z. B. bei Aktionen wie dem jüngsten „Stadtradeln“ oder wenn Tausende rad- fahrend als „Critical Mass“ auch zeigen, wie groß diese Bewegung ist, die Änderungen an der Flächenaufteilung auf der Straße fordert. Die Hersteller haben bedarfsorientiert ein breites Angebot an Radmodel- Abb. 1: Hamburg hat bisher zurückhaltend Pop-Up-Bike-Lanes eingerichtet. Beim Schlump wurde nun die vierspurige Straße verengt, in der auch zwei Metrobuslinien verkehren. Quelle: C. Hinkelmann len geschaffen; Radanhänger erhöhen die Transportkapazitäten des Rades 6
© DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020 Abb. 2: Auf kurzen und mittleren Strecken ist das Rad oft schneller als Busse und Straßenbahnen, vor allem wenn man umsteigen muss. Quelle: C. Hinkelmann bzw. bieten eine Mitnahmemöglichkeit für Kleinkinder. Auch tüftelt die sind, dort viele Menschen ohne Auto wohnen und das Rad auch die deut- Branche an immer neuen Ideen (wie etwa jüngst modulare Gepäckträ- lich schnellste Fortbewegungsart darstellt, sieht die Situation in den aus- ger-Elemente oder besondere Sicherheitsschlösser mit integrierter Alarm- gedehnten Einzelhausvierteln am Stadtrand ganz anders aus – und erst anlage); so wird aus dem Fahrrad immer mehr ein universelles Fortbewe- recht in den eher dörflich geprägten Siedlungen des Umlandes. Dort re- gungsmittel. Auch entstehen dabei neue Ideen, wie etwa das Rad-Abo alisiert man sofort, dass die Vision „Fahrradstadt“ für die dort wohnenden inklusive Wartung, mit dem Radfahrende ein Rad über längere Zeiträume bisher nicht viel mehr anzubieten hat, als Rad-Schnellwege in die Fahr- nutzen können anstatt es zu besitzen. rad-affinen inneren Stadtteile. Und gleichzeitig sehen die Menschen in diesen Gebieten sich derzeit vor allem mit den negativen Auswirkungen Die Rad-Community wirkt wesentlich durch ihren Enthusiasmus und ihre des Fahrradbooms konfrontiert: Allererste Messungen belegen bereits, enge Vernetzung mit Stadtplanenden, Politik, Auto-Gegnern und Klimaak- dass die neuen Radtrassen vielfach den Autoverkehr verlangsamen – und tivisten, die nicht zuletzt das Bestreben eint, den Autoverkehr zurückzu- dieser geht eben wesentlich von den Stadträndern und dem Umland aus. drängen. Denn neben Diebstahl oder Beschädigung abgestellter Fahrrä- der sind Unfälle und Konflikte mit dem dichten Autoverkehr die größten Das Berliner Verwaltungsgericht urteilte Anfang September „Corona“ allein Probleme für die Radfahrenden. reiche als Begründung für solche Eingriffe juristisch nicht aus, vielmehr handele es sich eben gerade nicht um „verkehrsbezogene Erwägungen“. Viele wollen die Fahrradstadt … Acht Pop-Up-Bike-Lanes seien abzubauen [8]. Unklar war bei Textschluss Tatsächlich vergrößert die Krise auch die Wechselwirkungen mit anderen noch, ob die Stadt in die nächste Instanz zieht. Fast zeitgleich stoppte die Lebensbereichen, die zum Ökosystem Fahrrad gehören: So hatte sich im Berliner SPD-Fraktion den zwischen allen Ressorts der rot-rot-grünen Lan- Zuge der Klimastreiks der Protest vieler (oft ohne Auto lebender) Stadt- deskoalition schon fertig abgestimmten Klimaplan auf den letzten Metern menschen gegen die immer weiter gestiegene Autoflut bereits verstärkt. u. a. wegen der auto-feindlichen Projekte City-Maut und flächendeckende Sie wollen Lärm, Platzbedarf und die erwiesene Gesundheitsgefahr der Parkgebühren (und erst mittelfristig lösbarer Kapazitätsprobleme gera- damit verbundenen Emissionen nicht mehr hinnehmen. Der Lockdown de bei der U-Bahn). Ein Blick auf die französischen Gelbwesten-Proteste hat ihnen nun gezeigt, wie leise und emissionsarm ihr Lebensraum Stadt reicht, um die Brisanz eines Konflikts Innenstadt-Stadtrand-Umland in sein könnte und wie viel Platz dann wäre. Umso willkommener sind aus dem derzeit stark aufgeheizten gesellschaftlichen Klima in Deutschland dieser Sicht nun viel mehr Radspuren, denn sie erschweren den ungelieb- zu erahnen… ten Autoverkehr. Rad plus ÖPNV: Viele Hoffnungen, viele Hindernisse Auch der traditionelle Einzelhandel war schon lange durch explodierende Der Fahrradboom hat auch die ÖPNV-Fahrgastzahlen stark sinken lassen. Ladenmieten und Online-Handel unter Druck. Jetzt droht durch die Krise Dies wurde von der Rad-Community besorgt registriert, die eine Ver- die Verödung der einseitig auf Konsum ausgerichteten Innenstädte – und netzung der Verkehrsmittel unterstützt und wohlwollend anerkannte, finden nun die Stadtplanenden Gehör, deren Konzepte von autofreien dass der ÖPNV in den letzten Jahren mit barrierefreiem Ausbau, Mobili- Städten viel Raum für das Zufußgehen und Radfahren vorsehen. täts-Hubs, zusätzlichen Abstellmöglichkeiten, sowie der Beteiligung an Leihradsystemen und Apps sich in Richtung des Ökosystems Rad zu öff- Der Kampf gegen den Klimawandel verbindet diese Entwicklungen durch nen begonnen hatte. Dennoch drängte sich vor der Krise zumindest für Konzepte wie die „Viertelstundenstadt“, in der alle im Alltag wichtigen Ein- Berufspendler die Kombination von Rad und ÖPNV nicht unbedingt auf. richtungen in fußläufiger Distanz erreichbar sein sollen. Städtebauliche Visionen sehen denn durch die Kombination mit E-Bikes und Rad-Schnell- Das Rad ist im Stadtbereich meist schneller und flexibler als Bus oder Stra- wegen auch schon ganze Großstädte, in denen praktisch alle Punkte am ßenbahn. E-Bike-Fahrende sparen sogar auf längeren Strecken mit einer schnellsten mit dem Rad erreichbar wären und kaum noch Mobilitätsan- durchgehenden Fahrt Zeit gegenüber dem Umsteigen in die Straßenbahn. lässe übrig blieben, für die Stadtmenschen noch wirklich ein Auto nutzen Schnelle U-, S- und Regionalbahnen sind auf großen Distanzen für die Kom- müssten. Doch wie viel ÖPNV würde dann noch gebraucht? Das Rad ist bination mit dem Rad dagegen interessanter. Doch um diese als Radfahren- häufig auf innerstädtischen Wegen bis fünf Kilometer das schnellste Ver- de nutzen zu können, braucht es angesichts des Risikos des Diebstahls oder kehrsmittel und das E-Bike sogar bis zehn Kilometer [7]. der mutwilligen Beschädigung des eigenen (oft teuren) Rades zuverlässig gesicherte Abstellmöglichkeiten an allen Schnellbahnstationen und überall … aber nicht alle profitieren davon verfügbare Leihräder für die „letzte Meile“. Diese Einrichtungen entstehen Die in der Krise schnell errichteten Pop-Up-Bike-Lanes haben aber auch jedoch erst nach und nach. Und auch Radanhänger oder spezielle Gepäck- sichtbar gemacht, dass solche Konzepte einer Fahrradstadt allem Boom trägermodule lassen sich nicht immer leicht mit in die Bahn nehmen und zum Trotz Teile der Gesellschaft und deren völlig andere Lebensbedingun- erst recht nicht mit dem Leihrad kombinieren. Die Mitnahme des eigenen gen zu wenig mitgedacht haben. Denn während die inneren Stadtteile Rades scheitert dagegen zumindest in der Hauptverkehrszeit an den feh- durch eine hohe Dichte von Einzelhandel und Dienstleistungen geprägt lenden Kapazitäten der Schnellbahnen (und vielerorts auch an Sperrzeiten). 7
Abb. 3: Die Kombination von Rad und Schnellbahn kann echte Zeitvorteile bieten; das Umsteigen ist in den letzten Jahren © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020 durch Aufzüge leichter geworden. Quelle: C. Hinkelmann Wie wir das Radfahren im Corona-Winter? Mit zwei langfristigen Entwicklungen Möglich erscheinen für einen „Corona-Winter“ aus derzeitiger Sicht zwei muss der ÖPNV rechnen Tendenzen: Wird durch eine „zweite Welle“ wieder stärker auf mehr Ab- 1) Verkehrspolitisch wird das Rad auch weiter gefördert werden. Hier muss stand im Nahverkehr gemäß WHO-Empfehlung gesetzt, würde dies not- der ÖPNV sicherstellen, dass sein Flächenbedarf planerisch berücksich- gedrungen kreative Adaptionstrategien erfordern, wie auch Neu-Radfah- tigt wird, etwa damit sich nicht bei engen Querschnitten vor Beginn der rende bei nass-kaltem Wetter das Rad mit geringeren Komfort-Einbußen Radspuren Rückstaus bilden, in denen dann auch Bus oder Straßenbahn als bisher nutzen können. Sollten sich diese bewähren, könnte dies für stecken bleiben. [9] Auch Kombi-Spuren für Bus und Rad [10] sollten gut viele das ganzjährige Radfahren interessant machen – und somit zu ei- durchdacht sein. Beide Verkehrsmittel sind zwar im Durchschnitt ähnlich ner dauerhaften Änderung bei der Verkehrsmittelwahl führen – vor allem schnell, weisen aber ganz unterschiedliche Fahrprofile auf und erfordern wenn klimawandel-bedingt die Winter künftig meist schneefrei blieben. beim Überholen die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstände. Wird der kommende Winter dagegen durch ein niedriges Infektionsge- 2) Von der Rad-Community kann der ÖPNV lernen, Mobilität noch stär- schehen geprägt, liegt die Hemmschwelle für die Neu-Radfahrenden nied- ker als Verbindung vieler verschiedener, örtlich und zeitlich getrennter riger, bei wintertypischem Wetter wieder den ÖPNV zu nutzen und ggf. Alltagsroutinen zu verstehen. Diesem Ansatz folgt bereits die Idee von di- auch wieder eine Zeitkarte zu erwerben. Dann würde sich erst im Frühjahr gital organisierten Reiseketten, bei dem Neue Mobilitätsformen das starre 2021 zeigen, wie viele Neu-Radfahrende bei mildem Wetter dann ihre Er- Netz des ÖPNV hin in die gesamte Stadtfläche öffnen. Ebenso bringen innerungen an den Fahrradsommer 2020 so viel positiver bewerten, dass z. B. in Hamburg Schließfachanlagen, die vom örtlichen Einzelhandel auf sie nach mehrmonatiger ÖPNV-Zeit ihr Mobilitätsverhalten erneut ändern Online-Bestellung hin gefüllt werden, das Einkaufen direkt an die Halte- würden. In dem Fall könnte sich das Fahrrad stärker als Schönwetter-Ver- stellen heran. kehrssystem etablieren und dem ÖPNV bliebe die Rolle eines Ersatz-Ver- kehrsmittels, das für Schlechtwetter-Perioden die entsprechenden Kapazi- Flexibilität kann der ÖPNV auch – wenn man ihn lässt. täten für die zusätzliche Beförderung von Radfahrenden vorhalten müsste. Quellen Das Rad bietet auch weiter flexible, attraktive Mobilität [1] https://tfl.gov.uk/info-for/media/press-releases/2020/may/tfl-announces-plan- to-help-london-travel-safely-and-sustainably Radfahren wird auch weiter Vorteile gegenüber der ÖPNV-Nutzung bie- [2] https://ecf.com/dashboard ten. Es erlaubt eine grundsätzliche andere „Er-fahr-ung“ des städtischen [3] https://arxiv.org/pdf/2008.05883.pdf Raumes als bei der Nutzung von ÖPNV oder Auto. Per Rad kann fast die [4] https://www.ziv-zweirad.de/presse-medien/pressemitteilungen/detail/?tx_ gesamte Stadtfläche in die Route eingezogen werden, während der ÖPNV ttnews%5Btt_news%5D=950&cHash=9265b5aa4b39e10bac9f9912ce8bde67[5] durch Linienführung, Stationslagen und Fahrplan die Stadtfläche vor allem [5] https://www.mopo.de/hamburg/700-000-euro-sofort-weg-frust-in-hamburg-- über festgelegte Korridore erschließt. Wer statt in der U-Bahn in 2020 neu der-fahrrad-foerdermurks-der-stadt-37310518 mit dem Rad unterwegs war, hat an der Oberfläche oder in den Seitenstra- [6] https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/VII/Presse/PI/2020/ III_2020/200901_Radstrategie2030.html ßen neue Wege, Einkaufsmöglichkeiten und Dienstleistungen entdecken [7] https://mobilitymag.de/verkehrsmittel-vergleich-stadt/ können; hat jederzeit ohne Parkprobleme und mit minimalem Zeitverlust die Fahrt unterbrechen und Einkaufsgut per Rad auch leichter transportie- [8] Zitiert nach: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-09/temporaere- radwege-berlin-pop-up-rechtmaessigkeit-coronavirus ren können als in der vollen Bahn bzw. auf dem Fußweg zur Haustür. Dank Navi lassen sich per Rad sogar Umwege leicht integrieren. Viele Neu-Rad- [9] https://www.fnp.de/frankfurt/frankfurt-auto-stau-fahrrad-fahrradweg-fahrradweg- radentscheid-13847468.html fahrenden haben in dem zurückliegenden halben Jahr denn auch neue [10] „Koexistenz auf Probe“ in, SZ 30.07.2020, https://www.sueddeutsche.de/muenchen/ Alltagsroutinen in Kombination mit mehr Bewegung entwickelt, wobei sie neuhausen-koexistenz-auf-probe-1.4984035 nicht zuletzt auch die Kosten des ÖPNV-Tickets eingespart haben. Rad und E-Bike ermöglichen im Stadtverkehr sogar mehr spontane Fle- xibilität als das Auto – eine wichtige Qualität in Zeiten dauernder Verän- derung, etwa wenn vertraute Shops krisenbedingt geschlossen werden. Man kann mit dem Rad auch spontan auf dem Weg noch kurz bei Bekann- ten oder im Fahrradkino vorbeischauen. Die Anpassungsfähigkeit dieser Mobilitätsform bleibt daher grundsätzlich attraktiv, so dass zumindest in Frank Muth M.A. den wärmeren Monaten weiterhin Steigerungen des Radverkehrsanteils Freier Fachjournalist realistisch erscheinen, zumal die Probleme Autostau und Überfüllung im Nahverkehr und Güterbahn, Hamburg ÖPNV nicht so schnell verschwinden werden. Und müssen künftig viel- oepnv@use.startmail.com leicht sogar mehr Menschen das Rad aus finanziellen Gründen nutzen? 8
SCHWERPUNKT MOBILITÄT © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020 W I R SE H E N G E N AU H I N Berichte über alternative Kraftstoffe (LNG- und Energie Informationsdienst CNG-Antrieb), Elektromobilität, Energieeffizienz, FA K T E N ARGUMENTE www.eid-aktuell.de A N A LY S E N Karten- und Flottenmanagement Netzrendite BGH gibt Regulierer bei EK-Zinssätzen recht Wettstreit um das richtige Konzept zur CO2-Bepreisung 06 Dieselpreise aus Eigenerhebung Energiepolitik Altmaier: Steinkohlegesetz- Entwurf bis Herbst Kurz nachdem Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) drei Gutachten zur Umsetzung einer möglichen CO2-Bepreisung vorge- legt hat, hagelt es aus der Branche Alternativ-Konzepte für eine Um- setzung – etwa vom BDEW oder dem Erneuerbaren-Verband BEE. Zweimal im Jahr Erhebung zum Tankstellenmarkt 08 Es ist ein guter Zeitpunkt, jetzt schen Emissionshandel, wie er im Strom- Mineralölmittelstand die blockierende Debatte über und Industriebereich gilt, zukünftig auch eine CO2-Bepreisung aufzulö- den Verkehrs- und Wärmemarkt umfas- UNITI besetzt neu geschaf- sen“, die die Sektoren Wärme sen soll. Das RWI Leibniz-Institut für fene Positionen – Büro in und Verkehr betrifft, ist sich Stefan Kap- Wirtschaftsforschung der Ruhr-Universi- Aktuelle Analysen zur CO2-Bepreisung und zur Brüssel ferer, Chef der Hauptgeschäftsführung tät Bochum hat dazu ein Kurzgutachten 18 des Energieverbandes BDEW, sicher. Die auf Basis unterschiedlicher CO2-Beprei- beiden „Denkschulen“ innerhalb der sungshöhen erstellt und sich auch mit Bundesregierung, die die CO2-Debatte den sozialen Auswirkungen beschäftigt. Unternehmen bestimmten, hätten beide ihre Schwä- chen (zu den jüngsten Vorschlägen von Wärme und Verkehr: „Jeweils aktuel- STAWAG kann 2018 „etliche Sektorkopplung in Logistik und Verkehr SPD-Bundesumweltministerin Svenja ler CO2-Handelspreis als Steuer“ Kunden“ (zurück-)gewinnen Schulze sogleich). Stattdessen legt der Im EU-Emissionshandel liegt der Preis je Verband jetzt einen eigenen Vorschlag Tonne Kohlendioxid derzeit bei 26 Euro. 22 vor, bei dem der CO2-Preis im europäi- Der jeweils aktuelle Handelspreis soll im Konzept des BDEW als Steuer auf den Energieverbrauch in den beiden Sekto- ren aufgeschlagen werden. Nach den Be- Jetzt testen! rechnungen des RWI bedeutet ein Preis von 25 Euro pro Tonne CO2 bei Benzin und Diesel/Heizöl einen moderaten Preisaufschlag von 6 bis 7 Cent je Liter. Der Erdgaspreis würde sich leicht um et- www.eid-aktuell.de wa 0,5 Cent pro kWh verteuern, kom- mentierte Manuel Frondel vom RWI. Fortsetzung auf Seite 2 Energie Informationsdienst GmbH Heidenkampsweg 73–79 20097 Hamburg Tel. 040/237 14-140 9 leserservice@eid.de
KOOPERATION ALS LÖSUNG FÜR DIE „LETZTE MEILE“ Wie ÖPNV und Paketlogistik zusammenpassen – das Hamburger Pilotprojekt „Hamburg Box“ macht es vor. © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020 Von Gunnar Anger D as steigende Paketaufkommen durch den boomenden Online- Lock-Service ist für Verbraucher kostenlos. Diese anbieteroffene Lösung ist handel belastet die Stadtlogistik und den Straßenverkehr zu- deutschlandweit einzigartig und setzt auf kooperatives Miteinander aller nehmend. Paketlieferungen durch Drohnen und Lieferroboter Beteiligten zur Lösung der Herausforderungen der letzten Meile in der sind in den meisten Fällen als Lösung noch ferne Zukunftsmusik Paketlogistik. und werden dem starken Anstieg des Bedarfs der individuellen Paketbe- stellungen und Belieferung nicht gerecht werden können. Alleine während Viele Partner an einem Tisch der Corona-Pandemie stiegen Online-Bestellungen auf das Rekordniveau Um ein Projekt mit solchen Ausmaßen wirtschaftlich zu organisieren, ha- der Weihnachtszeit. Bis 2024 werden Bestellvolumen von über sechs Mrd. ben städtische Entscheider mehrere Möglichkeiten. Eine eigens für diesen Paketen erwartet. Die Städte und Kommunen müssen mit schnell realisier- Zweck gegründete Projektierungsgesellschaft, ein eingetragener Verein, baren Lösungen arbeiten, die Paketdienstleistern und Kunden gleicherma- eine GmbH – Entscheidern und Projektverantwortlichen bieten sich viele ßen eine effiziente Zustellung ermöglichen, den Stadtverkehr entlasten Alternativen. und die Lebensqualität nachhaltig und dauerhaft erhalten. Das Pilotprojekt „Hamburg Box“ beispielsweise ist partnerschaftlich gleich- wertig organisiert. Das erleichterte die Zusammenarbeit dahingehend, dass Ein Hamburger Projekt, das im März 2020 gelauncht wurde, hat in dieser die vertraglich relevanten Punkte bezüglich der Ansprüche der Partner und Hinsicht Leuchtturmcharakter, da es aus der Kooperation eines Software- des Umfangs des Projektes von vornherein verbindlich definiert wurden. dienstleisters und zweier Verkehrsunternehmen entstand, die die vorhan- Andere Kooperationsmodelle sind selbstverständlich denkbar, beispiels- dene Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs als Anknüpfpunkte für al- weise eine speziell für das Projekt gegründete Projektierungsgesellschaft. ternative Zustelloptionen nutzen. Das Softwareunternehmen ParcelLock Aufgrund der unterschiedlichen Projektebenen, waren bei den Partnern kooperiert zu diesem Zweck mit den großen Mobilitätsanbietern Deut- auch unterschiedliche Unternehmenssparten eingebunden. Die Komplexi- sche Bahn und Hamburger Hochbahn. -Aber auch die Stadt Hamburg tät von der Standortdefinition und Eignungsprüfung, verbunden mit den spielt hier spätestens seit der Nominierung zur Green Capital im Hinter- praktischen Anforderungen der Paketdienstleister als auch Software-Not- grund eine wesentliche Rolle, um die Logistikakteure untereinander, aber wendigkeiten sowie die Berücksichtigung der optimalen Erreichbarkeit der auch mit angrenzenden fachspezifischen Experten und Entscheidungsträ- Endverbraucher setzte voraus, dass der große Bogen, der über all diese Be- gern zusammen zu bringen. reiche gespannt wurde, von allen Beteiligten nachvollzogen wurde. Die Pa- Gemeinsam wird hier Bewusstsein für notwendige Lösungsansätze wie ketdienstleister haben z. B. logistische und organisatorische Ansprüche, die eine Verbesserung der umfassenden Logistikdienstleistungen durch ko- berücksichtigt werden mussten. Die Ausstattung der Paketstationen mit der operative Synergien auch unter z. B. Klimatschutzaspekten geschaffen. So Software von ParcelLock, die mit weiteren angeschlossenen Partner-IT-Syste- trägt die von der Stadt Hamburg ins Leben gerufene „Hamburg Logistik men zusammenarbeiten, erforderte kontinuierliche Testläufe, Anpassungen Initiative“ stark zur Vernetzung untereinander bei. und Verbesserungen der Systeme. Somit waren IT-Entwicklungsabteilungen und operative Organisationen an den Bahnhöfen, aber auch Projektleitung, Beispielhafte Lösung: Die Hamburg Box Marketing- und natürlich Kommunikationsabteilungen involviert. Die Unternehmen stellten öffentliche Paketstationen, die sogenannte „Hamburg Box“ an mehreren Hamburger S- und U-Bahnhöfen auf und nut- Bei der Beteiligung so vieler verschiedener Partner ist das Zeitmanagement zen damit hochfrequentierte Knotenpunkte innerhalb der Stadt sowie der ein Faktor, der Schwierigkeiten bereiten kann. Alle Beteiligten müssen jeder- Metropolregion für alternative Zustellmöglichkeiten. zeit über Fristen und Termine informiert sein. Der Teufel liegt hierbei oftmals im Detail. Projektleiter müssen bedenken, dass die Zustellalternative sofort Durch die Standorte der Paketstationen erhalten Online-Shopper die Mög- nach dem offiziellen Launch für die Kunden nutzbar sein muss. Das bedeu- lichkeit, ihre Bestellungen, auf dem Weg von oder nach Hause, an einem tet, dass auch die Paketdienstleister und Händler, die die Zustellung in diese naheliegenden Bahnhof abzuholen. Die Möglichkeit der Abholung oder Alternativen anbieten, rechtzeitig über das System und die neuen Stand- Hinterlegung eines Pakets ist direkt in die alltäglichen Wege der Nutzer in- orte informiert werden müssen. Schon bei der Initiierung eines solchen tegriert, so dass keine Umwege nötig sind. Die freien Flächen der Bahnhöfe Projektes ist es ratsam, sich mit Logistikdienstleistern und Händlern über werden optimal genutzt, zusätzlicher Verkehrsmitteleinsatz, neben dem ein eventuelles Interesse zu informieren und diese rechtzeitig einzubinden. ÖPNV, bestmöglich vermieden. In der Zusammenarbeit mit Paketdienstleistern müssen städtische Entschei- der daran denken, dass die Routenplanung der Paketboten an die neuen Das anbieteroffene digitale Schließsystem von ParcelLock ermöglicht es Zustellmöglichkeiten angepasst werden muss. Auch die Bedienung der allen Onlinehändlern, dem lokalen Einzelhandel und Paketdienstleistern, Paketstationen muss eventuell von den Paketboten der Logistikdienstleis- die Paketstationen zu nutzen. Per App werden die Verbraucher über den ter erst neu erlernt werden. Interne Schulungen der Paketboten sind z. B. in Versandverlauf und die Hinterlegung des Pakets informiert. Der Parcel- vielen Fällen nötig und benötigen genügend Vorlaufzeit. Auch erforderliche 10
Genehmigungen und Zertifikate sind Zeitfresser. Handelt es sich bei der vorgesehenen Fläche um einen öffentlichen Platz, gilt es ggf. Baugenehmi- gungen einzuholen. © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020 Stellen Unternehmen oder Institutionen die Fläche zur Verfügung, wie an- hand der Bahnhöfe für die „Hamburg Box“ gezeigt, müssen Vereinbarungen getroffen werden, in welchem Maße Umgestaltungen erforderlich und er- laubt ist. Welche Bedingungen müssen gegeben sein? Die Auswahl der Standorte der Paketstationen ist der wichtigste Faktor solch alternativer Zustelloptionen. Städtische und kommunale Entschei- der sollten für die Aufstellung hochfrequentierte Plätze auswählen, die ein Großteil der Stadtbewohner täglich nutzt. Es empfiehlt sich zu überlegen, Abb. 1: An hochfrequentierten Bahnhöfen aufgestellt nützen die Hamburg Boxen vor allem Pendlern aus den Hamburger Randgebieten, die den ÖPNV für den Arbeitsweg nutzen. Quelle: ParcelLock welche Bereiche des Stadtlebens an diesen Orten noch eine Rolle spielen und mit den entsprechenden Institutionen Kooperationen einzugehen. Sind Einzelhändler vor Ort, können diese für eine Kooperation interessiert Vorzeigemodell auf dem 2021 stattfindenden ITS Kongress präsentiert, werden, in dem sie ihren Click-and-Collect-Service spezifisch auf diese Pa- um vorzustellen wie die bestehende städtische Verkehrslogistik trotz ihrer ketstationen ausrichten. Auch die Einbindung von Werbeflächen könnte baulichen Inflexibilität um wichtige interaktiv nachhaltige Elemente be- für weitere Projektpartner von Interesse sein. Barrierefreiheit spielt bei der reichert werden kann. Auswahl der Standorte ebenso eine Rolle, wie nahegelegene Parkmög- lichkeiten und leicht erreichbare Zugänge wie für die Anlieferungen. Zusammenfassung Städtische und kommunale Entscheider, die daran interessiert sind, inno- Auch die Kunden als Nutzer der Paketstationen müssen in der Lage sein, vative Lösungen in ihre Stadtlogistik zu integrieren und den Lieferverkehr ihre Bestellungen aus den Paketstationen herauszuholen oder dort zu auf der letzten Meile zu reduzieren, haben durch Kooperationen unter- hinterlegen, ohne die Menschen um sie herum zu behindern oder selbst schiedlicher Experten verschiedenste Möglichkeiten, eine zukunftsgerich- gestört zu werden. tete Stadtlogistik zu entwickeln. Dafür werden Anknüpfpunkte analysiert. Die anbieteroffenen Paketstationen wie die „Hamburg Box“, die aus einer Der Kostenfaktor des Projektes Kooperation eines Softwareanbieters und zweier Verkehrsunternehmen Die Kosten für die Realisierung eines solchen Projektes variieren stark, je entstanden, sind ein Paradebeispiel dafür, wie Infrastruktur-Knotenpunkte nach Voraussetzungen. Dabei spielen nicht nur Beiträge monetärer Art in städtischen Ballungsgebieten wie Hamburg, optimal mit alternativen eine Rolle. Im Fall der „Hamburg Box“ erbrachten die Projektpartner sowohl Zustellmöglichkeiten ausgestattet werden können. Dafür war es nicht monetäre, materielle wie immaterielle Leistungen, wie die Bereitstellung nötig, die Standorte neu zu konzipieren, sondern um das Asset Paketzu- der Standorte. Abhängig von Auflagen am Standort, der Ausstattung und stellmöglichkeiten zu erweitern und damit dem Standort Bahnhof eine den Besitz- und Verfügungsverhältnissen gestalten sich die Kosten von Pro- weitere Funktion zu geben. jekt zu Projekt individuell. Auch beim Kostenfaktor zeigt sich so, dass eine Kooperation mehrerer und auch durchaus sehr unterschiedlicher Partner Durch die Komplexität eines solchen Projektes ist eine enge Zusammen- sinnvoll ist. arbeit vieler Unternehmenssparten nötig. Damit wird sichergestellt, die sehr unterschiedlichen, komplexen Faktoren des Projektes für das ge- Kommunikation und Marketing meinsame Ziel stets im Blick zu behalten und zum Erfolg zu führen. Die Um die alternativen Zustellmöglichkeiten von Anfang an maximal kom- für alle KEP-Dienstleister offene ParcelLock Software- und Technologie- munizieren zu können und dieses relativ neue Konzept an den Verbrau- lösung hat den Vorteil, das Paketvolumenlieferungen unterschiedlichster cher heranzutragen, ist selbstverständlich ein gut durchdachtes Kommu- Paketdienstleister in den gleichen Paketstationen gebündelt werden kön- nikationskonzept nötig. nen, unabhängig vom Lieferanten. Belastungspunkte in der städtischen Verkehrslogistik werden z. B. unter Klimaschutzaspekten stark minimiert. Ein abgestimmtes Kommunikationsprojekt der drei Partner umfasst eine Diese in Deutschland einzigartige Lösung setzt auf gemeinschaftliches gemeinsam erarbeitete Webseite, Key-Messages und Zielformulierungen Miteinander. sowie einen verbindlichen Katalog häufig gestellter Fragen. Die Pressear- beit bestand aus einer Kick-Off-Presseveranstaltung an einer der Paketsta- tionen, sowie Interviews mit den Unternehmensvertretern. Die Endver- braucher werden durch Außenwerbung wie Plakate an den Bahnhöfen Gunnar Anger und Beiträge über die „Hamburg Box“ auf den Bildschirmen der Bahnen Geschäftsführer der Hamburger Hochbahn informiert. Als Leuchtturmprojekt einer inno- ParcelLock GmbH, Hamburg vativen Stadtlogistik wird die „Hamburg Box“ zusätzlich an städtische und gunnar.anger@parcellock.de institutionelle Stellen kommuniziert. Zudem wird die „Hamburg Box“ als 11
WENN DER WEG NICHT MEHR DAS ZIEL IST Neue Studien belegen einen Trend zum Homeoffice und dessen hohen Nutzen für den Klimaschutz. © DVV Media Group 2020 – Genehmigte Verbreitung für Teilnehmer der Digital Mobility Conference 2020 Von Frank Muth J ahrelang hatten sich die Arbeitgebenden gewehrt, dem Megat- aus, dass durch „den Homeoffice-Trend künftig rund 10 % weniger Büroflä- rend zu flexibleren Arbeitszeitmodellen nachzugeben und sich mit chen benötigt würden“. [3] Bei der Prognose zu Wohnimmobilien blieb das manch durchaus nachvollziehbar erscheinendem Grund gegen das Herbstgutachten vorsichtig. Allerdings zeichneten sich veränderte Wohn- vermehrte Arbeiten von Zuhause gesträubt. Nach nur sechs Mona- präferenzen ab, so dass das Umland von Städten und gut angebundene ten Krise ist dieser Widerstand weitgehend zerbröselt, denn in der Krise hat ländliche Räume an Bedeutung gewönnen. Auch würden Suburbanisie- sich erwiesen, dass Unternehmen von ihren Mitarbeitern auch vom heimi- rungsprozesse „stark an Fahrt aufnehmen“, wie auch der Trend zum Wohnen schen Arbeitszimmer, Sofa, Küchentisch oder gar aus der Abstellkammer in ländlichen Regionen durch mehr mobiles Arbeiten „unterstützt“ werde. ordentlich durch die Krise manövriert werden konnten. Vielmehr wurde in den ersten Wochen des Lockdowns durch viel Improvisation sogar sicht- Der ZIA warnte mit Blick auf die Entwicklung der Konsumnachfrage aber bar, was alles geht und vor allem wie schnell: Ein extremes Beispiel mögen auch vor unvermeidbaren Leerständen in den Innenstädten. Auch daran dabei ganze Radiobeiträge sein, die im heimischen Kleiderschrank anstelle habe der Trend zum Homeoffice einen Anteil, denn wer nicht mehr zum Ar- eines lärmisolierten, teuren Tonstudios abgemischt wurden — und keiner beiten in die Stadt komme, kaufe auch seltener dort ein. Der ZIA riet daher, hat’s gemerkt. sehr schnell neue Konzepte für Innenstädte zu entwicklen und durch be- schleunigte Genehmigungsverfahren ggf. auch das kurzfristige Umbauen Dass von Kinderbetreuung bis Büroausstattung und Datenschutz noch von Einzelhandelsimmobilien zu erlauben. viel dauerhaft geregelt werden muss, steht auf einem anderen Blatt. Doch inzwischen kündigen im In- und Ausland viele große Unternehmen an, Dass durch mehr Homeoffice aber auch ein ganzes Ökosystem schwer ge- ein bis drei Tage pro Woche das Arbeiten von Zuhause aus zu ermögli- troffen werden dürfte, das sich um die Versorgung der im Büro Arbeitenden chen. Eine im Sommer aktualisierte Umfrage des Wirtschaftsprüfungs- entwickelt habe, belegte Anfang September eine Studie des Beratungsun- unternehmens KPMG von Anfang 2020 unter den CEOs von etwa 1300 ternehmens PWC am Beispiel Großbritanniens. [4] internationalen Unternehmen ergab, dass 77 % ihre Mittel zur digitalen Zusammenarbeit weiter ausbauen wollen und 69 % davon ausgingen, künftig mit weniger Bürofläche auszukommen. [1] Mehr Homeoffice wirkt sich aber auch unmittelbar auf die Mobilität aus – der bisher zuverlässig planbare Beförderungbedarf ist eine Hauptsäule des ÖPNV. Das macht einen Blick auf die grundlegenden Entwicklungen interessant, die diesen Trend antreiben. Hohe Wohnkosten treiben Familien aus den Großstädten In vielen Ballungsräumen sind mittlerweile die Wohnkosten auch für Gut- verdiener-Familien oft nicht mehr bezahlbar, die in der Kinderzeit auch Einkommensverluste hinnehmen müssen. Bisher mussten sie damit leben, doch mit der Option nur noch an zwei oder drei Tagen pro Woche ins Büro fahren zu müssen, wird vor allem für Akademiker plötzlich das Wohnen im weiteren, grünen Umland denkbar – dort wo die Wohnkosten günstig sind und evtl. sogar Eltern und Großeltern in der Nähe leben. Schon früh in der Krise registrierten einige Immobilienmakler Anzeichen für ein größeres In- teresse an Objekten im weiteren Umland von Großstädten, welches sich inzwischen zu bestätigen scheint: Anfang September belegte eine Unter- suchung des Maklerportals Immowelt, dass in den Umlandkreisen von Ber- lin die Mietpreise gestiegen seien, während sie in den Großstädten Bran- denburg, Cottbus oder Potsdam bereits leicht abgenommen hätten. [2] . 10 % weniger Bürofläche benötigt Fakten zu den Entwicklungen rund um das Homeoffice lieferte Anfang Sep- tember das Herbstgutachten der Immobilienweisen des Zentralen Immobi- Abb. 1: Mitfahrbank statt U-Bahntakt: Welche Mobilität wollen und brauchen junge Familien, die vor den hohen lien Ausschuss e.V. (ZIA): Übereinstimmend gingen viele Erhebungen davon Wohnkosten in den Innenstädten fliehen aber seltener pendeln müssen? Quelle: F. Muth 12
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