NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN - GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN - MedLearning
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NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN Dr. Jörg-Dietrich Neumann Krankenhaus St. Joseph-Stift Bremen, Medizinische Klinik – Onkologische Tagesklinik 1. E INLEITUNG Neuroendokrine Neoplasien (NEN) sind eine sehr pankreatischen, ca. 10 % der duodenalen und 20 % heterogene Gruppe von seltenen Tumoren neuroek- der jejunalen/ilealen NEN sind mit einer Hormonüber- todermalen Ursprungs, deren Zellen Ähnlichkeit mit produktion assoziiert [4, 5]. Während die funktionell Neuronen haben und die über die morphologischen aktiven NEN häufig unspezifische gastrointestinale, und funktionellen Eigenschaften von endokrinem Ge- metabolische und autonome Symptome hervorrufen, webe und die Expression neuroendokriner Marker, wie bleiben funktionell inaktive NEN aufgrund fehlender z. B. Synaptophysin oder Chromogranin A verfügen [1]. Symptomatik oft lange unerkannt [1]. Der Pathologe Siegried Oberndorfer beschrieb die Die Prognose für Patienten mit NEN wird maßgeblich hormonproduzierenden Tumore erstmals im Jahre von der Ausdehnung, Lokalisation und Differenzierung 1907 als „Geschwülstchen“ des Dünndarms und prägte des Tumors bestimmt. Bei lokalisierten Tumoren reicht den Begriff „Karzinoid“ (karzinomähnlich), da sie eine die Überlebensspanne von 14 Jahren bei Lokalisation gewisse Größe nicht zu überschreiten und keine Me- im Dünndarm bis zu mehr als 30 Jahren bei Appen- tastasen zu bilden schienen [2]. Erst später stellte sich dix-Tumoren [6]. Liegen Fernmetastasen vor, beträgt heraus, dass es sich um echte Karzinome handelt, die das statistische Überleben 6,3 Jahre [7]. Schlecht unbehandelt zum Tod führen können. differenzierte Tumoren haben eine deutlich schlech- tere Prognose. Durch fortschreitende Erkenntnisse Neuroendokrin differenzierte Zellen finden sich in in der Pathologie, Diagnostik und der Verfügbarkeit verschiedenen Organen. Entsprechend treten NEN neuer Therapiemöglichkeiten hat sich die Prognose sporadisch im gesamten Körper auf, in etwa 70 % für Patienten mit diesen seltenen Tumoren verbessert. können sie im gastroenteropankreatischen System (GEP-NEN) und bei ca. 30 % im bronchopulmonalen Ziel dieser zertifizierten Fortbildung ist es, die Grund- System lokalisiert werden [3]. Ein Teil der Tumore ist lagen für neuroendokrine Tumoren zu erläutern, das funktionell aktiv und sezerniert Hormone wie Serotonin, diagnostische Vorgehen zu beschreiben sowie die Insulin oder Gastrin. Schätzungsweise 30 – 40 % der verschiedenen Therapieoptionen aufzuführen. -1-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN 2. EPIDEMIOLOGIE Die jährliche Inzidenz für NEN in Deutschland wird tinalen Peptids, Verner-Morrison-Syndrom) mit einer auf 4 – 6/100.000 Einwohner geschätzt. Die Prä- Inzidenz von 0,05 – 0,2/100.000 und das Glukagonom valenz liegt jedoch deutlich höher mit schätzungs- mit einer Inzidenz von 0,001 – 0,01/100.000 sowie NEN weise 35/100.000 Einwohner. In Deutschland sind mit einer Sekretion von GhRH (growth hormone-relea- damit ungefähr 3.000 Neuerkrankungen pro Jahr zu sing hormone), ACTH (adrenocorticotropes Hormon) erwarten. In den letzten Jahrzehnten sind Inzidenz oder PTHrp (parathormon-related protein) [4, 8]. Diese und Prävalenz von NEN konstant angestiegen. Wahr- werden hier nicht im Detail beschrieben. scheinlich ist dies auf eine verbesserte Diagnostik und Früherkennung zurückzuführen, da die Rate der Die Ursachen für die Entstehung einer NEN sind wei- Metastasierung trotz steigender Inzidenz sinkt [8]. testgehend unbekannt. Eine mögliche genetische Überwiegend sind Patienten im Alter von 50 bis 70 Prädisposition kann jedoch nicht ausgeschlossen Jahren betroffen bei gleicher Geschlechtsverteilung werden. Bei schätzungsweise 15 % der Fälle liegt ein [3]. Bei NEN der Appendix liegt der Altersgipfel hin- hereditärer Hintergrund vor, während 85 % der NEN gegen bereits vor dem 40. Lebensjahr. sporadisch auftreten [1]. NEN können im Rahmen einer multiplen neuroendokrinen Neoplasie Typ 1 (MEN1) in Je nach endokriner Aktivität wird in nicht-funktionelle Kombination mit Nebenschilddrüsen- und Hypophy- (70 %) und funktionelle NEN (30 %) unterschieden. Nach senvorderlappen-Adenomen auftreten. Häufig werden den Daten des deutschen NEN-Register tritt dabei ein Mutationen in den Zellzyklusgenen MEN1-, ARTX oder Karzinoid-Syndrom mit 41 % am häufigsten auf, ge- DAXX bei neuroendokrinen Tumoren und TP53 und folgt vom Insulinom mit 38 % sowie dem Gastrinom Rb1 bei neuroendokrinen Karzinomen identifiziert und (Zollinger-Ellison-Syndrom) mit 15 % [9]. Sehr selten können für die Prognose genutzt werden [10]. sind das Vipom (Ausschüttung des vasoaktiven intes- 3. SYMPTOME UND KLASSIFIKATION Je nach Entstehungsort haben NEN eine unterschied- • Bronchopulmonale NEN: Die Einteilung erfolgt hier liche Biologie sowie grundsätzlich ein malignes Poten- in typische und atypische Karzinoide versus klein- zial. Das klinische Bild wird durch die Lokalisation des zellige Lungenkarzinome (SCLC) und großzellige Primärtumors, das Tumorstadium bei Erstdiagnose neuroendokrine Karzinome (LCNEC) [12]. sowie die Wachstumsgeschwindigkeit (proliferative Aktivität) und die endokrine Symptomatik bestimmt Basierend auf dem Proliferationsmarker Ki-67 werden [3]. Entsprechend ihrer Morphologie und Gewebe- die NEN entsprechend ihres Wachstumsverhaltens differenzierung werden die NEN wie folgt eingeteilt: eingestuft (Grading; Tabelle 1) [11, 13]: G1-Tumore sind sehr niedrig proliferativ, gut differenziert und weisen • Gastrointestinale und pankreatische NEN: Gut einen Ki-67-Index < 3 % auf. G2-Tumore sind ebenfalls und mittelgradig differenzierte Tumore werden gut differenziert, weisen aber eine höhere Prolifera- als neuroendokrine Tumore (NET) bezeichnet. tionsrate mit einem Ki-67-Index von 3 bis 20 % auf. Gering differenzierte Tumore bezeichnet man als Ab einem Ki-67-Index von 20 % gelten die Tumore als neuroendokrine Karzinome (NEC) [11]. hochproliferativ (G3). Hier wird unterschieden in neuro- endokrine Tumore G3 mit einem Ki 67-Index von bis zu -2-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN 50 % und neuroendokrine Karzinome (NEC) mit einer Weiterhin gibt es die seltene Gruppe der gemischten höheren Proliferationsrate. Das Grading ist entschei- neuroendokrinen-nichtneuroendokrinen Neoplasien dend für die Prognose: So leben Patienten mit G1-Tu- (MiNEN) mit einem Tumoranteil von mindestens 30 % moren länger als solche mit G2- oder G3-Tumoren [14]. jeder Komponente. Tab. 1: WHO-Klassifikation und Grading für neuroendokrine Neoplasien des Gastrointestinaltraktes, modifiziert nach [13]. Typ Differenzierung Grad Ki-67-Index Mitoserate G1 20 % > 20 pro 10 HPF kleinzellig Neuroendokrines Karzinom (NEC) Schlecht differenziert G3 > 20 % > 20 pro 10 HPF großzellig Gemischte neuroendokrine/nicht neuroendokrine Neoplasie („mixed neuroendocrine-nonneuroendocrine neoplasm“, MiNEN) HPF: Hauptgesichtsfeld Für Tumore mit gastrointestinaler oder pankreatischer Funktionell nicht aktive NEN fallen meist spät durch un- Lokalisation sollte zudem ein Staging durch die TNM- spezifische Tumorsymptome wie Abdominalschmerz, Stadieneinteilung der ENETS (European Neuroendocrine Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit oder Leistungsknick Tumor Society)- bzw. der AJCC/UICC (American Joint auf [1]. Sie werden daher auch oft bei Routine- oder Commitee on Cancer/Union Internationale Contre le Vorsorgeuntersuchungen entdeckt. Funktionell aktive Cancer)-Klassifikation erfolgen. Sie bildet die Grund- Tumoren führen durch die Ausschüttung bestimmter lage für eine stadienadaptierte onkologische Therapie, Hormone zu spezifischen Symptomen. Tabelle 2 fasst erlaubt eine prognostische Einschätzung und besteht die Leitsymptome der wichtigsten Hormonsyndrome aus den drei Bestandteilen Tumor (Ausdehnung des und ihre Markerhormone zusammen. Primärtumors), Nodus (Befallstatus regionärer Lymph- knoten) und Metastasen (Vorhandensein von Fern- metastasen) [15]. Tab. 2: Hormonsyndrome bei NEN; modifiziert nach [1]. Malignität (%)1 häufigste Primär Syndrom Leitsymptome Markerhormon tumorlokalisation Insulinom Hypoglykämie-Symptome Insulin 5 – 10 Pankreas Zollinger-Ellison- Ulkusleiden, Diarrhö, Gastrin 50 – 80 Duodenum/Pankreas Syndrom (Gastrinom) Refluxsymptomatik Flushs, Diarrhö, seltener Bron- Ileum/Jejunum (Colon Serotonin, (Tachy- und Karzinoid-S yndrom chokonstriktion, Zeichen der 100 ascendens, Bronchus, Bradykinine) Rechtsherzinsuffizienz bei KHE Magen, Ovar, Pankreas) Verner-Morrison- Syndrom ausgeprägte Diarrhö, Symptome VIP 75 Pankreas (VIPom, pankreatische durch Hypokaliämie Cholera) Erythema necrolyticum migrans, Glukagonom-S yndrom Glukagon 80 Pankreas Diabetes, Gewichtsverlust Akromegalie Akromegalie-Symptome GHRH/GH/IGF-I 75 Pankreas (Bronchus) CRHom/ACTHom/ Pankreas, Thymus Cushing-Syndrom CRH, ACTH > 90 Cushing-Syndrom (Bronchus) ACTH: adrenokortikotropes Hormon; CRH: Corticotropin-releasing Hormone; GH: Growth-Hormone; GHRH: Growth-Hormone-releasing Hormone; IGF-I: Insulin-like Growth-Factor I; KHE: Karzinoid-Herzerkrankung; VIP: vasoaktives intestinales Polypeptid. 1 Häufigkeit der Metastasierung. -3-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN Etwa 15 bis 20 % der Patienten mit einem NEN ent- Gastrinome sind im Duodenum und auch im Pank- wickeln im Verlauf ihrer Erkrankung ein Karzinoid- reas lokalisierte neuroendokrine Tumore, bei denen Syndrom [16]. Leitsymptome des Karzinoid-Syndroms es durch ungebremste Sekretion von Gastrin zu einer sind das Auftreten einer Flush-Symptomatik (Ge- übermäßigen Magensäureproduktion kommt. Dadurch sichtsrötung) in 85 – 90 %, von Diarrhö in 75 % und werden neben gastroösophagealem Reflux schwere krampfartigen Bauchschmerzen in 50 – 75 %. Selten Ulzerationen in Magen und Duodenum und Diarrhöen tritt Dyspnoe bei Bronchospastik auf (10 – 20 %) [17]. verursacht – eine Kombination, die auch als Zollinger- Ursächlich dafür ist eine vermehrte Ausschüttung Ellison-Syndrom (ZES) bezeichnet wird [22]. Die häu- von Serotonin und anderen vasoaktiven Substanzen, figsten klinischen Symptome sind Bauchschmerzen wie z. B. Histamin, Prostaglandine, Bradykinin und und chronischer Durchfall. Andere Manifestationen Tachykininen. Im Verlauf kann es auch in bis zu 35 % können Dyspepsie, gastroösophagealer Reflux, gas- zu einer meist das rechte Herz betreffenden Endo- trointestinale Blutungen und Gewichtsverlust sein. kardfibrose kommen (Hedinger-Syndrom). Hierbei Bei Patienten mit refraktären/rezidivierenden Magen- ist meist die Trikuspidalklappe mit einer Insuffizienz geschwüren (insbesondere multiplen und duodenalen) betroffen, seltener auch die Pulmonalklappe. Dabei und Durchfall sollte die Diagnose eines Gastrinoms in verursacht die steigende Hormonkonzentration eine Betracht gezogen werden. Jedoch ist zu bedenken, Ablagerung von Plaques u. a. auf den endokardialen dass das ZES nur bei etwa 0,1 % bis 1 % der Patienten Oberflächen der Klappenblätter, dem subvalvulären mit Ulkuskrankheit die zugrunde liegende Ursache ist. Apparat und den Herzkammern und folglich eine Ein umfassendes Screening wird daher nicht emp- fortschreitende Fibrosierung des Herzens [18]. Beim fohlen [23]. Gastrinome treten in 75 bis 80 % der Fälle Karzinoid-Syndrom ist der Primärtumor meist im Dünn- sporadisch auf [23]. Eine Assoziation mit einem MEN1 darm (distales Jejunum, Ileum, Ileozökalbereich) und (multiple endokrine Neoplasie Typ1)-Syndrom ist je- seltener im Bronchialsystem lokalisiert und es liegen doch denkbar und sollte abgeklärt werden [24]. Beim bei Dünndarm-NEN meistens Lebermetastasen vor. MEN 1-Syndrom (Wermer-Syndrom) handelt es sich um ein autosomal dominant vererbtes Syndrom (Mutation Bei Insulinomen handelt es sich in 90 % der Fälle um im Menin-Gen; MEN1), bei dem häufig multiple NEN gutartige [1], neuroendokrine Tumore des Pankreas im Magen (Histamin-produzierende NEN), Duodenum mit solitärem, sporadischem Auftreten [19]. Die Leit- (Gastrin- oder Somatostatin-produzierende NEN) und symptome eines Insulinoms entstehen durch seine Pankreas (Sekretion verschiedener pankreatischer unkontrollierte Insulin-Ausschüttung und äußern sich Hormone) auftreten [24]. in einer durch Nahrungskarenz ausgelöste Spontan- hypoglykämie, neuroglukopenischen und autonomen Etwa 1 % aller Lungentumore sind bronchopulmonale Symptomen (Herzklopfen, Schwitzen, Zittern, Schwin- Karzinoide [25], drei Viertel davon sind in den zentralen del, Heißhunger sowie bei schwerer Hypoglykämie Atemwegen lokalisiert [26]. Etwa 30 % der Patienten mit Visus- und Wortfindungsstörungen, Verwirrtheit) und bronchopulmonalen Karzinoiden sind asymptomatisch einer Besserung der Symptome nach Glukosegabe und leiden oft jahrelang an rezidivierenden Lungenent- (Whipple-Trias) [20, 21]. zündungen, bis die Diagnose NEN gestellt wird. Die üblichen Leitsymptome sind Atemwegsobstruktion (40 %), Husten (35 %) und Hämoptysen (25 %) [27]. -4-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN 4. DIAGNOSE Neben einer frühzeitigen Unterscheidung in hormon- BIOCHEMISCHE LABORDIAGNOSTIK aktive und inaktive Tumore ist ein initiales Staging und Grading sinnvoll [9]. Eine weitere Abklärung umfasst Chromogranin A ist der wichtigste generelle Tumormarker eine pathologische Basisdiagnostik zur histologischen für NEN und kann sowohl bei funktionell aktiven als auch Diagnosesicherung, eine biochemische Labordiagnostik bei inaktiven Tumoren erhöht sein. Chromogranin A ist sowie eine funktionelle Bildgebung zur Lokalisations- Bestandteil der neurosekretorischen Granula. Je nach diagnostik. Tumorentität, Tumorstadium und Cut-off weist der Wert eine Sensitivität und Spezifität von 60 bis 100 % auf. Daher sollte Chromogranin A bei allen NEN zumindest PATHOLOGISCHE BASISDIAGNOSTIK einmalig bestimmt werden und es eignet sich als Ver- laufsparameter, jedoch nicht als Screeningparameter für Mittels Histopathologie aus einer Biopsie aus dem neuroendokrine Tumore. Die Plasma-Konzentration von Tumor oder einer Metastase sollte eine histologische Chromogranin A korreliert mit der Tumormasse. Jedoch Klassifikation (NET oder NEC), der Differenzierungsgrad muss bei der Interpretation des Wertes berücksichtigt wer- (gut differenziert oder niedrig differenziert entsprechend den, dass eine Therapie mit Somatostatin-Analoga (SSA) der WHO-Vorgaben) sowie das proliferationsbasierte die Synthese und Sekretion von Chromogranin A hemmen Grading mit Angabe des Ki-67-Index durchgeführt kann. Daher sollten Chromogranin A-Verlaufskontrollen werden. Zur Darstellung der Morphologie, hinsichtlich möglichst immer zum gleichen Zeitpunkt innerhalb des der Differenzierung des Tumors, ist die Hämatoxylin SSA-Injektionsintervalls erfolgen. Insbesondere die häufig (HE)-Färbung Standard; die Periodic acid-Schiff (PAS)- eingenommenen Protonenpumpeninhibitoren können zu Färbung kann ergänzend sinnvoll sein, um ggf. neuro- falsch positiven Werten führen, sodass diese 14 Tage vor sekretorische Vesikel in den Tumorzellen zu identifizie- der Bestimmung abgesetzt werden müssen. Zudem ist ren. Per Definition enthalten NEN neurosekretorische aus Gründen der Vergleichbarkeit darauf zu achten, dass Vesikelproteine wie Synaptophysin und Chromogranin Bestimmungen für die Verlaufskontrolle immer mit dem A, welche mittels immunhistochemischer Färbung gleichen Assay durchgeführt werden sollten [24]. nachgewiesen werden sollten. Die Bestimmung der Proliferationsrate mittels Ki-67 sollte ebenfalls immun- 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES) ist das Abbaupro- histochemisch mittels anti-Ki-67-Antikörper erfolgen. dukt von Serotonin, welches wesentlich für die Karzi- Die Quantifizierung (manuell oder computergestützt) noidsymptomatik verantwortlich ist. Die Bestimmung der sich in Teilung befindlichen Tumorzellkerne sollte von 5-HIES erfolgt im angesäuerten 24-Stunden-Sam- bevorzugt in einer repräsentativen Paraffin-einge- melurin und ist zuverlässiger als die Bestimmung von betteten Gewebeprobe bei geringer mikroskopischer Serotonin im Serum. Sie sollte bei funktionell aktiven Vergrößerung in den proliferationsaktivsten Arealen, NEN erfolgen. Die Bestimmung von 5-HIES hat eine sog. hot spots, durchgeführt werden [24]. Sensitivität von 70 – 75 % und eine Spezifität von 85 – 100 % für den Nachweis eines fortgeschrittenen NEN des Dünndarms und sollte daher bei allen NEN des Dünndarms zumindest einmalig und bei Vorliegen eines Karzinoid-Syndrom auch im Verlauf bestimmt werden. Aufgrund von möglichen Interferenzen bei der 5-HIES-Bestimmung sollten Nahrungsmittel mit hohem Serotoningehalt (Pflaumen, Ananas, Bana- nen, Tomaten, Nüsse und Kaffee etc.) für mindestens drei Tage vor der Sammelperiode vermieden sowie interferierende Medikamente, wenn klinisch möglich, pausiert werden [24]. -5-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN Erhöhte Serum-Konzentrationen der neuronenspezi- Tab. 3: Übersicht über mögliche Indikationen für die Bestimmung biochemischer Parameter; modifiziert nach [24]. fischen Enolase (NSE) können häufig bei NEN G3 und schlecht differenzierten NEC nachgewiesen werden. Für Parameter Indikation den Nachweis von differenzierten NEN weist NSE eine Chromogranin A bei allen NEN zumindest einmalig geringere Spezifität und Sensitivität als Chromogranin NSE bei allen NEN G3 zumindest einmalig A auf, sodass die Bestimmung nicht als Routinepara- bei allen NEN des Dünndarms zu- meter empfohlen wird, aber bei hochproliferativen NEN 5-HIES mindest einmalig, bei V. a. Karzinoid- Syndrom und besonders bei NEC sinnvoll ist [24]. Pankreatisches bei unbekanntem Primarius, Polypeptid (PP) (pankreatische NET) Beim Insulinom erfolgt der biochemische Nachweis Insulin/C-Peptid bei V. a. Insulinom (pNET) durch einen Fastentest mit einer Nahrungskarenz bei duodenalen NET zumindest von 72 Stunden und regelmäßiger Bestimmung von Gastrin einmalig, bei V. a. Zollinger-Ellison- Blutzucker, Insulin und C-Peptid. Dieser muss unter Syndrom bei V. a. Glukagonom/Erythema stationärer Überwachung erfolgen. Bei einem nachge- Glukagon necrotica migrans (pNET) wiesenen Blutzucker von < 40 mg/dl und gleichzeitigem VIP bei Durchfällen (pNET) Nachweis einer inadäquaten Insulinausschüttung ist PTHrP bei Hypercalciämie der Test positiv. bei V. a. medulläres Schilddrüsenkar- Calcitonin zinom, Durchfälle (pNET) Ein Gastrinom gilt als nachgewiesen bei einem Se- ACTH/Cortisol bei V. a. Cushing Syndrom rum-Gastrin-Spiegel > 1.000 pg/ml bei gleichzeitig bei V. a. Akromegalie (meist pulmo- GHRH niedrigem pH-Wert im Magen (< 2). Eine Interferenz nale und pankreatische NET) mit Protonenpumpeninhibitoren ist zu berücksichti- gen. Entsprechende Medikamente sollten möglichst abgesetzt werden. BILDGEBENDE DIAGNOSTIK Neben den oben beschriebenen Markerhormonen Funktionelle bildgebende Verfahren spielen eine zen- bzw. Tumormarkern ist bei den übrigen funktionellen trale Rolle bei der Bestimmung der lokalen Ausdehnung Tumoren der Nachweis der Erhöhung des jeweiligen für des Tumors sowie der Erfassung von Metastasen. die Symptomatik verantwortlichen Hormons empfohlen Zudem ermöglicht die funktionelle Bildgebung nach [24]. Tabelle 3 fasst die Indikationen für die Bestimmung Therapie eine Evaluation des Behandlungserfolgs [9]. der biochemischen Parameter zusammen. Die Lokalisations- und Ausbreitungsdiagnostik umfasst den Ultraschall, endoskopische Untersuchungen, wie Ösophago-Gastro-Duodenoskopie und Ileokoloskopie sowie die kontrastmittelverstärkte Computertomogra- phie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT). Weiterhin gilt die Endosonografie für pankreatische NEN, NEN des Magens, Duodenums und Rektums als Goldstandard für die Lokalisations- und Verlaufs- kontrolle [21]. Da mehr als 90 % aller differenzierten NEN des Gastro- intestinaltraktes den Somatostatin-Rezeptor (SSTR) exprimieren, können sie mittels radioaktiv-markierten Somatostatin-Analoga (SSA) in einer PET-CT abge- bildet werden (nuklearmedizinische Bildgebung). Die von den Leitlinien aufgrund ihrer Überlegenheit in Sensitivität, Spezifizität und Ortsauflösung empfohlene 68 Gallium-DOTA-TATE-PET/CT kann die Ausbreitung -6-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN von NEN lokal und im gesamten Körper bestimmen. jedoch erst an zweiter Stelle nach dem 68Gallium- Das Somatostatin-Analogon ist über ein DOTA-Molekül DOTA-TATE-PET/CT empfohlen [1, 24]. Bei weniger an den Positronen-Emitter Gallium-68 gebunden und differenzierten NEN kann hingegen ein 18Fluordesoxy- ermöglicht so den Nachweis von SSR-tragenden Tumor- glucose-PET/CT sinnvoll sein. zellen. Zur Untersuchung von Insulinomen eignet sich dieses Verfahren jedoch nicht, da diese nicht immer Bei Patienten mit Karzinoid-Syndrom ist zum Ausschluss eine ausreichende SSTR-Expression aufweisen [24]. der Herzbeteiligung eine jährliche transthorakale Echo- Alternativ kommt eine Somatostatin-Rezeptor-Szinti- kardiografie empfohlen. Auch die Bestimmung des grafie in Frage, bei der ein mit einem Gammastrahler kardialen Markers NT-pro-BNP ist als Screening-Para- markiertes SSA eingesetzt wird. Diese Methode wird meter für eine Karzinoid-Herzerkrankung sinnvoll [24]. 5. THERAPIEOPTIONEN Die gewählte Therapiestrategie sollte bei Patienten ciety (ENETS) hat in Deutschland derzeit zehn mit NEN interdisziplinär entschieden und idea- Behandlungszentren als Exzellenz-Zentrum zerti- lerweise in spezialisierten Zentren durchgeführt fiziert (https://www.enets.org/about_enets_coe. werden, die über große Erfahrungswerte verfügen html). Abbildung 1 fasst die Therapieoptionen für und so eine optimale Behandlung nach aktuellen metastasierte NEN zusammen. Für konkrete An- wissenschaftlichen Erkenntnissen gewährleisten wendungsempfehlungen wird an dieser Stelle auf können. Die European Neuroendocrine Tumor So- die aktuellen Leitlinien verwiesen. ÜBERGEORDNETE EXTRAPANKREATISCH PANKREAS THERAPIEPRINZIPIEN komplette NET NEC G1/G2 G3 G1/G2 Resektion möglich G3 G3 Ki6 ho 7- Ind he Tu ex > 1 INITIALTHERAPIE* Resektion von Primarius mo 0 rla % und Metastasen st SSA (falls Platin/ SSA (falls • STZ/5-FU Platin/ SSR-pos.) Etoposid SSR-pos.) • TEM/CAP Etoposid Hormonsyndrome PROGRESS / INTOLERANZ • Everoli- PRRT • FOLFOX • FOLFOX mus PRRT (falls • Everolimus (falls • FOLFIRI • FOLFIRI • Somatostan-Analoga SSR-pos.) • Sunitinib • IFN-α 2b SSR-pos.) • TEM/CAP • TEM/CAP (SSA) • IFN-α 2b (falls SSR-neg.) • Redukon der Tumor- masse * Bei asymptomatischen, niedrigproliferativen NEN G1 mit geringer Tumorlast kann inial auch • PPI (Gastrinom) eine zuwartende Strategie unter entsprechender Kontrolle angemessen sein. Abb. 1: Therapieoptionen bei metastasierten NEN; modifiziert nach [1]. -7-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN Bei der Behandlung der NEN sollten die folgenden SYMPTOMATISCHE THERAPIEOPTIONEN Therapieziele gelten [1, 24]: Für die symptomatische Therapie von NEN stehen ver- • Bei nicht-metastasierten NEN: Durchführung einer schiedene hoch wirksame Substanzen zur Verfügung, kompletten Resektion in kurativer Intention. die je nach Hormonsyndrom zum Einsatz kommen. Bei den meisten Hormonsyndromen sind Somatostatin- • Bei NEN mit resektablen Metastasen: Resektion Analoga (SSA) wie Octreotid und Lanreotid die erste der Metastasen in kurativer Intention. Wahl, da durch ihre Bindung an die Somatostatin-Re- zeptoren auf den Tumorzellen eine Kontrolle der über- • Bei nicht-resektablen und metastasierten NEN mäßigen Hormonproduktion erreicht wird [1]. Kann ein ohne Funktionalität: Hier können SSA aufgrund Karzinoid-Syndrom nicht ausreichend durch SSA kont- ihrer antiproliferativen Wirkung zur Wachstums- rolliert werden, kann der Serotoninsynthesehemmer Te- kontrolle sinnvoll eingesetzt werden (siehe unten), lotristat als gut verträgliche Substanz additiv eingesetzt auch eine watch-and-wait-Strategie ist vertretbar. werden. Telotristat hemmt die Tryptophan-Hydroxylase, sodass die Konversion von Tryptophan zu Serotonin • Bei funktionell aktiven NEN: Symptomkontrolle und inhibiert und so der Serotoninspiegel weiter reduziert Wachstumskontrolle durch SSA. wird. Im Rahmen von zwei multizentrischen Phase II- Studien [28, 29] konnte die Verbesserung der Diarrhö bei Patienten mit bestehender Karzinoid-Symptomatik OPERATIVE MASSNAHMEN trotz SSA-Gabe erzielt werden. Auch in einer weiteren Placebo-kontrollierten Phase-III-Studie (TELESTAR) Eine komplette chirurgische Resektion des Tumors reduzierte Telotristat nach 12 Wochen signifikant die ist das einzige Verfahren, das einen NEN-Patienten Stuhlgangfrequenz sowie den 5-HIES-Spiegel im Urin heilen kann und sollte daher angestrebt werden. Auch bei gleichzeitig guter Verträglichkeit und Sicherheit [30]. die Resektion von Fernmetastasen kann bei neuro- In der Phase-III-Studie TELECAST konnte ebenfalls eine endokrinen Tumoren mit kurativem Ansatz erfolgen. signifikante Reduktion des 5-HIES-Spiegels um bis zu 90 Entscheidend sind dabei Lokalisation, Größe und Bio- % im Vergleich zum Placebo nachgewiesen werden [31]. logie des Tumors. Eine Debulking-Operation mit einer Die Ergebnisse dieser beiden Studien unterstützen die angestrebten Größenreduktion von bis zu 90 % der Sicherheit und Wirksamkeit von Telotristat als additive Tumor- oder Metastasenlast kann indiziert sein, um Therapie zu SSA bei Patienten mit Karzinoid-Syndrom die unter medikamentöser Therapie nicht ausreichend und starker Durchfallsymptomatik. einstellbaren hormonabhängigen Symptome eines nicht-resektablen Tumors zu vermindern und so die Zur symptomatischen Behandlung von Insulinomen Lebensqualität zu verbessern [24]. Werden operative kann neben einer Glukosegabe Diazoxid zur Kont- Eingriffe bei Patienten mit Karzinoid-Syndrom durch- rolle der Hypoglykämien eingesetzt werden. Auch der geführt, müssen diese unter perioperativer Gabe mTOR-Inhibitor Everolimus kann eingesetzt werden, da eines SSA als Infusion erfolgen, um eine massive er als Nebenwirkung Hyperglykämien verursacht. Bei Hormonausschüttung und eine resultierende schwer- Gastrinomen erfolgt die symptomatische Behandlung wiegende klinische Symptomatik (Karzinoid-Krise) durch die Gabe von Protonenpumpeninhibitoren zur zu vermeiden [1]. Verminderung der Magensäureproduktion [1]. -8-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN ANTIPROLIFERATIVE THERAPIE Die Wirksamkeit des mTOR (mammalian target of OPTIONEN rapamycin)-Inhibitors Everolimus als molekular ziel- gerichtete Therapie bei pankreatischen NEN wurde in Die antiproliferative Therapie von NEN ist seit vielen zahlreichen Phase-II- und -III-Studien untersucht und Jahren etabliert und beruht auf den pathologischen bestätigt (RADIANT-1, RADIANT-3, COOPERATE-2). und klinischen Eigenschaften sowie Tumorgröße und Doch auch bei Patienten mit nicht-funktionellen gas- -wachstum. Am häufigsten verwendet werden heut- troenteropathischen bzw. bronchopulmonalen NEN zutage SAA, welche die Freisetzung biogener Peptide kann Everolimus wirksam eingesetzt werden: In der und Amine inhibieren und so wie oben beschrieben die randomisierten, Placebo-kontrollierten Phase-III-Stu- Symptome der Hypersekretionssyndrome verbessern die RADIANT-4 konnte durch die Behandlung mit [21]. Aber auch die antiproliferative Wirksamkeit von SSA Everolimus bei Patienten mit progressiven NEN eine konnte in zwei Placebo-kontrollierten Phase-III-Studien signifikante Verlängerung des progressionsfreien Über- nachgewiesen werden. In der PROMID-Studie wurden lebens erreicht werden (11 Monate vs. 3,9 Monate) [34]. Patienten mit gut differenzierten Mitteldarm-NEN mit Octreotid LAR versus Placebo behandelt. Unter Octreotid Basierend auf Komorbiditäten und den jeweiligen LAR war die mediane Zeit bis zum Progress signifikant Kontraindikationen bzw. Nebenwirkungen dient der länger als unter Placebo (14,3 vs. 6 Monate), sodass Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitor Sunitinib als Alterna- der Wirkstoff zur antiproliferativen Therapie zugelassen tive zu Everolimus [24]. Sein Wirkmechanismus basiert wurde [32]. In der CLARINET-Studie war die Gabe des auf der Inhibition von Rezeptortyrosinkinasen, die am SSA Lanreotid bei Patienten mit metastasierten, funk- Tumorwachstum, der Angiogenese und der Entwicklung tionell inaktiven, SSTR-positiven enteropankreatischen von Metastasen beteiligt sind. Die Wirksamkeit von NEN mit einem Ki-67-Index < 10 % ebenfalls mit einem Sunitinib wurde u. a. in einer Placebo-kontrollierten signifikant längeren progressionsfreien Überleben im Studie mit Patienten mit progredientem Pankreas- Vergleich zu Placebo assoziiert. Das progressionsfreie NEN untersucht. Hier zeigte sich ein positiver Effekt Überleben nach 24 Monaten konnte durch Lanreotid auf das progressionsfreie Überleben von 5,5 (Placebo) auf 65,1 % gegenüber 33,0 % unter Placebo verbessert auf 11,4 Monate (Sunitinib). Remissionen traten in 9 % werden. Im Gegensatz zur PROMID-Studie waren hier der Fälle auf [35, 36]. auch Pankreas-NEN eingeschlossen [33]. Aufgrund des günstigen Nebenwirkungsprofils von SSA und den Das Therapieverfahren der Peptidrezeptor-Radio- bisherigen Daten zur Langzeitsicherheit wird eine SSA- therapie (PRRT) basiert auf der Überexpression von Behandlung als Erstlinientherapie bei Patienten mit SSTR auf der Oberfläche der meisten NEN, ähnlich wie gering proliferativen sowohl funktionell aktiven als auch bei der diagnostischen DOTA-PET/CT, mit dem Unter- inaktiven NEN empfohlen. Diese werden alle vier Wochen schied, dass hier anstelle eines Positronen-Emitters ein tief subkutan (Lanreotid) oder intramuskulär (Octreotid) Betastrahler appliziert wird. Das mittels Lutetium-177 verabreicht. markierte Somatostatin-Analogon wird von der Zelle internalisiert und wirkt über die intrazelluläre Bestrah- Interferon-α hemmt die Hormonsekretion von NEN lung antiproliferativ. Wenn SSA bei Erstlinientherapie und dient so neben der Symptomkontrolle auch als eingesetzt werden können, empfiehlt sich bei Progres- antiproliferative Therapie. Die Wirkung wird über die sion die PRRT. In der prospektiven randomisierten Induktion der Apoptose durch Immunmodulation und NETTER-1-Studie erhielten Patienten mit SSTR-po- antiangiogenetische Effekte erklärt. Es kann bei Pa- sitiven Mitteldarm-NEN, deren Erkrankung unter SSA tienten mit gut differenzierten NEN eingesetzt werden, progredient war, zusätzlich zu SSA 177Lu-DOTATATE. wenn eine Therapie mit SSA aufgrund von Unverträg- 20 Monate nach Therapiebeginn war bei 65 % der lichkeiten abgebrochen werden muss oder wegen Patienten unter 177Lu-DOTATATE keine Tumorzunahme negativem SSTR-Status nicht in Frage kommt [24]. zu verzeichnen (vs. keine Tumorzunahme nur bei 11 % Auch eine Kombination mit einem SSA ist möglich. in der Kontrollgruppe unter SSA in doppelter Standard- Das Nebenwirkungsprofil von Interferon-α ist aber dosis). Zudem konnte die Lebensqualität der Patienten deutlich ungünstiger als das der SSA. deutlich verbessert werden [37]. -9-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN Mit Ausnahme von pankreatischen Tumoren sprechen einem medianen Gesamtüberleben zwischen 28 und gut differenzierte NEN nur ungenügend, höher prolife- 55 Monaten [38]. Besonders die Kombination Temo- rative NEN hingegen gut auf eine Chemotherapie an, zolomid plus Capecitabin erscheint aufgrund hoher sodass sie in diesem Fall als Erstlinientherapie infrage Ansprechraten, insbesondere bei NET G3 bei guter kommt. Je nach Lokalisation, Differenzierungsgrad und Verträglichkeit, vielversprechend [39]. Bei NEC G3, Tumordynamik kommen unterschiedliche Wirkstoffe undifferenzierten, klein und großzelligen neuroendo- zum Einsatz. Eine Indikation für die folgenden Wirkstoffe krinen Karzinomen gilt die Kombination aus Cis- bzw. ist ein rascher Progress, eine hohe Tumorlast sowie Carboplatin und Etoposid als Erstlinien-Standardthe- eine Ki-67 > 10 % [1]. Als einziger gut differenzierter rapie. Als Zweitlinientherapie sind bei dieser Indikation NET sind pankreatische NET chemotherapiesensibel. Folinsäure/5-Fluorouacil/Oxaliplatin (FOLFOX), Folin- Streptozotocin in Kombination mit 5-Fluorouacil zeigte säure/5-Fluorouracil/Irinotecan (FOLFIRI) oder Temo- eine gute Wirksamkeit bei differenzierten pankreati- zolomid/Capecitabin mögliche Therapieoptionen [1]. schen NEN mit Remissionsraten von 28 – 43 % und 6. NACHSORGE UND VERLAUFSKONTROLLE Die Nachsorge sollte wie auch die Therapie idealer- oder Hormonparameter auch im Verlauf kontrolliert weise in einem spezialisierten NEN-Zentrum bzw. werden. Als bildgebende Nachsorgeverfahren sollten in enger Kooperation mit Spezialisten durchgeführt mindestens eine CT oder MRT durchgeführt werden. werden. Die regelmäßige Vorstellung der Patienten In größeren Intervallen ist auch eine SSRT-Bildgebung, in einem interdisziplinären Tumorbord ist empfohlen. z. B. mittels PET/CT empfehlenswert. Neben der Besprechung der Therapie werden hier die Ergebnisse der Verlaufskontrolle sowie weitere Bei Patienten mit fortgeschrittenen metastasierten NEN diagnostische Maßnahmen und Kontrollintervalle ist eine lebenslängliche Verlaufskontrolle empfohlen, interdisziplinär diskutiert [40]. deren Untersuchungsmethoden nahezu identisch mit denen sind, die nach einer kompletten Resektion Auch nach vollständiger Resektion (R0-Resektion) des des Tumors angewendet werden. In der Regel sind Tumors ist eine regelmäßige Nachsorge empfohlen. hier jedoch die Zeitintervalle kürzer (z. B. drei Monate Lediglich bei der R0-Resektion eines NEN des Appendix bei rasch wachsenden NEN, sechs bis 12 Monate bei (< 1 cm, ohne Risikofaktoren) kann auf eine besondere stabilen und gut differenzierten Tumoren) und sollten Nachsorge verzichtet werden. Als biochemischer Para- besonders bei klinischer Verschlechterung und bei meter sollte Chromogranin A regelmäßig bestimmt schweren nicht gut kontrollierten Hormonsyndromen werden, ebenso sollten initial erhöhte Tumormarker sehr engmaschig erfolgen [24]. - 10 -
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN 7. FAZIT Neuroendokrine Tumore zeigen ein hohes Maß an Tumorbords festgelegt werden. Nur eine vollständige biochemischer, molekularer und genetischer Hetero- Resektion des Tumors und auch der Metastasen kann genität und besitzen grundsätzlich die Fähigkeit zur eine Heilung des Patienten bewirken. Zur Linderung Metastasierung. Die Parameter Differenzierungsgrad, der durch die Hormonausschüttung verursachten Primärtumorlokalisation, Proliferationsrate und funk- Symptome stehen verschiedene antisekretorische tionelle Aktivität bestimmen maßgeblich den Verlauf bzw. -symptomatische Therapeutika zur Verfügung, der Erkrankung sowie die Therapiestrategie. Für die die spezifisch für das entsprechende Hormonsyndrom Diagnosesicherung kommen diagnostische Maßnah- gewählt werden. Antiproliferative Therapieoptionen, men wie biochemische Labordiagnostik, bildgebende wie z. B. molekular zielgerichtete Wirkstoffe, die Pep- Verfahren sowie eine pathologische Basisdiagnostik tidrezeptor-Radiotherapie oder eine Chemotherapie zum Einsatz. Zur Behandlung stehen diverse effektive zeigen hohe Wirksamkeit. Eine patientenindividuelle therapeutische Optionen zur Verfügung. Die Therapie- und regelmäßige Nachsorge wird (fast) allen NEN-Pa- entscheidungen bei Patienten mit einem NEN sind nicht tienten empfohlen und sollte optimalerweise in einem nur sehr komplex, sondern auch sehr individuell zu spezialisierten Zentrum durchgeführt werden. treffen und sollten im Rahmen eines interdisziplinären - 11 -
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NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN IMPRESSUM AUTOR Dr. Jörg-Dietrich Neumann Krankenhaus St. Joseph-Stift Bremen, Medizinische Klinik – Onkologische Tagesklinik Interessenkonflikte Der Autor hat Honorare von Ipsen Pharma GmbH, Novartis Pharma GmbH und MERCK KGaA/ Merck Serono GmbH/Allergopharma GmbH & Co. KG/Roche Pharma, Servier Deutschland GmbH und Pierre Farbre Pharma GmbH erhalten. REDAKTION & LAYOUT Dr. Juliane Röper & Hannah Honnef KW MEDIPOINT, Bonn VERANSTALTER MedLearning AG, München; cme.medlearning.de SPONSOR Diese Fortbildung wird Ihnen auf cme.medlearning.de mit freundlicher Unterstützung der Name Sponsor (KW MEDIPOINT: 13.998,- €; MedLearning: 8.150,- €; Ratiopharm GmbH ) angeboten. Die Inhalte der Fortbildung werden durch den Sponsor nicht beeinflusst. BEGUTACHTUNG Diese Fortbildung wurde von zwei unabhängigen Gutachtern auf wissenschaftliche Aktualität, inhaltliche Richtigkeit und Produktneutralität geprüft. Jeder Gutachter unterzeichnet eine Konformitätserklärung. -3-
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