NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN - GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN - MedLearning

 
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NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN –
          GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN

                                       Dr. Jörg-Dietrich Neumann
            Krankenhaus St. Joseph-Stift Bremen, Medizinische Klinik – Onkologische Tagesklinik

1. E INLEITUNG
Neuroendokrine Neoplasien (NEN) sind eine sehr                    pankreatischen, ca. 10 % der duodenalen und 20 %
heterogene Gruppe von seltenen Tumoren neuroek-                   der jejunalen/ilealen NEN sind mit einer Hormonüber-
todermalen Ursprungs, deren Zellen Ähnlichkeit mit                produktion assoziiert [4, 5]. Während die funktionell
Neuronen haben und die über die morphologischen                   aktiven NEN häufig unspezifische gastrointestinale,
und funktionellen Eigenschaften von endokrinem Ge-                metabolische und autonome Symptome hervorrufen,
webe und die Expression neuroendokriner Marker, wie               bleiben funktionell inaktive NEN aufgrund fehlender
z. B. Synaptophysin oder Chromogranin A verfügen [1].             Symptomatik oft lange unerkannt [1].

Der Pathologe Siegried Oberndorfer beschrieb die                  Die Prognose für Patienten mit NEN wird maßgeblich
hormonproduzierenden Tumore erstmals im Jahre                     von der Ausdehnung, Lokalisation und Differenzierung
1907 als „Geschwülstchen“ des Dünndarms und prägte                des Tumors bestimmt. Bei lokalisierten Tumoren reicht
den Begriff „Karzinoid“ (karzinomähnlich), da sie eine            die Überlebensspanne von 14 Jahren bei Lokalisation
gewisse Größe nicht zu überschreiten und keine Me-                im Dünndarm bis zu mehr als 30 Jahren bei Appen-
tastasen zu bilden schienen [2]. Erst später stellte sich         dix-Tumoren [6]. Liegen Fernmetastasen vor, beträgt
heraus, dass es sich um echte Karzinome handelt, die              das statistische Überleben 6,3 Jahre [7]. Schlecht
unbehandelt zum Tod führen können.                                differenzierte Tumoren haben eine deutlich schlech-
                                                                  tere Prognose. Durch fortschreitende Erkenntnisse
Neuroendokrin differenzierte Zellen finden sich in                in der Pathologie, Diagnostik und der Verfügbarkeit
verschiedenen Organen. Entsprechend treten NEN                    neuer Therapiemöglichkeiten hat sich die Prognose
sporadisch im gesamten Körper auf, in etwa 70 %                   für Patienten mit diesen seltenen Tumoren verbessert.
können sie im gastroenteropankreatischen System
(GEP-NEN) und bei ca. 30 % im bronchopulmonalen                   Ziel dieser zertifizierten Fortbildung ist es, die Grund-
System lokalisiert werden [3]. Ein Teil der Tumore ist            lagen für neuroendokrine Tumoren zu erläutern, das
funktionell aktiv und sezerniert Hormone wie Serotonin,           diagnostische Vorgehen zu beschreiben sowie die
Insulin oder Gastrin. Schätzungsweise 30 – 40 % der               verschiedenen Therapieoptionen aufzuführen.

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2. EPIDEMIOLOGIE

Die jährliche Inzidenz für NEN in Deutschland wird               tinalen Peptids, Verner-Morrison-Syndrom) mit einer
auf 4 – 6/100.000 Einwohner geschätzt. Die Prä-                  Inzidenz von 0,05 – 0,2/100.000 und das Glukagonom
valenz liegt jedoch deutlich höher mit schätzungs-               mit einer Inzidenz von 0,001 – 0,01/100.000 sowie NEN
weise 35/100.000 Einwohner. In Deutschland sind                  mit einer Sekretion von GhRH (growth hormone-relea-
damit ungefähr 3.000 Neuerkrankungen pro Jahr zu                 sing hormone), ACTH (adrenocorticotropes Hormon)
erwarten. In den letzten Jahrzehnten sind Inzidenz               oder PTHrp (parathormon-related protein) [4, 8]. Diese
und Prävalenz von NEN konstant angestiegen. Wahr-                werden hier nicht im Detail beschrieben.
scheinlich ist dies auf eine verbesserte Diagnostik
und Früherkennung zurückzuführen, da die Rate der                Die Ursachen für die Entstehung einer NEN sind wei-
Metastasierung trotz steigender Inzidenz sinkt [8].              testgehend unbekannt. Eine mögliche genetische
Überwiegend sind Patienten im Alter von 50 bis 70                Prädisposition kann jedoch nicht ausgeschlossen
Jahren betroffen bei gleicher Geschlechtsverteilung              werden. Bei schätzungsweise 15 % der Fälle liegt ein
[3]. Bei NEN der Appendix liegt der Altersgipfel hin-            hereditärer Hintergrund vor, während 85 % der NEN
gegen bereits vor dem 40. Lebensjahr.                            sporadisch auftreten [1]. NEN können im Rahmen einer
                                                                 multiplen neuroendokrinen Neoplasie Typ 1 (MEN1) in
Je nach endokriner Aktivität wird in nicht-funktionelle          Kombination mit Nebenschilddrüsen- und Hypophy-
(70 %) und funktionelle NEN (30 %) unterschieden. Nach           senvorderlappen-Adenomen auftreten. Häufig werden
den Daten des deutschen NEN-Register tritt dabei ein             Mutationen in den Zellzyklusgenen MEN1-, ARTX oder
Karzinoid-Syndrom mit 41 % am häufigsten auf, ge-                DAXX bei neuroendokrinen Tumoren und TP53 und
folgt vom Insulinom mit 38 % sowie dem Gastrinom                 Rb1 bei neuroendokrinen Karzinomen identifiziert und
(Zollinger-Ellison-Syndrom) mit 15 % [9]. Sehr selten            können für die Prognose genutzt werden [10].
sind das Vipom (Ausschüttung des vasoaktiven intes-

3. SYMPTOME UND KLASSIFIKATION

Je nach Entstehungsort haben NEN eine unterschied-                • Bronchopulmonale NEN: Die Einteilung erfolgt hier
liche Biologie sowie grundsätzlich ein malignes Poten-              in typische und atypische Karzinoide versus klein-
zial. Das klinische Bild wird durch die Lokalisation des            zellige Lungenkarzinome (SCLC) und großzellige
Primärtumors, das Tumorstadium bei Erstdiagnose                     neuroendokrine Karzinome (LCNEC) [12].
sowie die Wachstumsgeschwindigkeit (proliferative
Aktivität) und die endokrine Symptomatik bestimmt                Basierend auf dem Proliferationsmarker Ki-67 werden
[3]. Entsprechend ihrer Morphologie und Gewebe-                  die NEN entsprechend ihres Wachstumsverhaltens
differenzierung werden die NEN wie folgt eingeteilt:             eingestuft (Grading; Tabelle 1) [11, 13]: G1-Tumore sind
                                                                 sehr niedrig proliferativ, gut differenziert und weisen
 • Gastrointestinale und pankreatische NEN: Gut                  einen Ki-67-Index < 3 % auf. G2-Tumore sind ebenfalls
   und mittelgradig differenzierte Tumore werden                 gut differenziert, weisen aber eine höhere Prolifera-
   als neuroendokrine Tumore (NET) bezeichnet.                   tionsrate mit einem Ki-67-Index von 3 bis 20 % auf.
   Gering differenzierte Tumore bezeichnet man als               Ab einem Ki-67-Index von 20 % gelten die Tumore als
   neuroendokrine Karzinome (NEC) [11].                          hochproliferativ (G3). Hier wird unterschieden in neuro-
                                                                 endokrine Tumore G3 mit einem Ki 67-Index von bis zu

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NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN

50 % und neuroendokrine Karzinome (NEC) mit einer                                Weiterhin gibt es die seltene Gruppe der gemischten
höheren Proliferationsrate. Das Grading ist entschei-                            neuroendokrinen-nichtneuroendokrinen Neoplasien
dend für die Prognose: So leben Patienten mit G1-Tu-                             (MiNEN) mit einem Tumoranteil von mindestens 30 %
moren länger als solche mit G2- oder G3-­Tumoren [14].                           jeder Komponente.

Tab. 1: WHO-Klassifikation und Grading für neuroendokrine Neoplasien des Gastrointestinaltraktes, modifiziert nach [13].

Typ                                            Differenzierung            Grad                             Ki-67-Index         Mitoserate
                                                                          G1                                20 %              > 20 pro 10 HPF
                                                                                      kleinzellig
Neuroendokrines Karzinom (NEC)                 Schlecht ­differenziert G3                                  > 20 %              > 20 pro 10 HPF
                                                                                      großzellig
 Gemischte neuroendokrine/nicht neuroendokrine Neoplasie („mixed neuroendocrine-nonneuroendocrine neoplasm“, MiNEN)
HPF: Hauptgesichtsfeld

Für Tumore mit gastrointestinaler oder pankreatischer                            Funktionell nicht aktive NEN fallen meist spät durch un-
Lokalisation sollte zudem ein Staging durch die TNM-                             spezifische Tumorsymptome wie Abdominalschmerz,
Stadieneinteilung der ENETS (European Neuroendocrine                             Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit oder Leistungsknick
Tumor Society)- bzw. der AJCC/UICC (American Joint                               auf [1]. Sie werden daher auch oft bei Routine- oder
Commitee on Cancer/Union Internationale Contre le                                Vorsorgeuntersuchungen entdeckt. Funktionell aktive
Cancer)-Klassifikation erfolgen. Sie bildet die Grund-                           Tumoren führen durch die Ausschüttung bestimmter
lage für eine stadienadaptierte onkologische Therapie,                           Hormone zu spezifischen Symptomen. Tabelle 2 fasst
erlaubt eine prognostische Einschätzung und besteht                              die Leitsymptome der wichtigsten Hormonsyndrome
aus den drei Bestandteilen Tumor (Ausdehnung des                                 und ihre Markerhormone zusammen.
Primärtumors), Nodus (Befallstatus regionärer Lymph-
knoten) und Metastasen (Vorhandensein von Fern-
metastasen) [15].

Tab. 2: Hormonsyndrome bei NEN; modifiziert nach [1].

                                                                                                    Malignität (%)1 häufigste Primär­
Syndrom                      Leitsymptome                             Markerhormon                                  tumorlokalisation
Insulinom                    Hypoglykämie-Symptome                    Insulin                       5 – 10                Pankreas
Zollinger-Ellison-­          Ulkusleiden, Diarrhö,
                                                                      Gastrin                       50 – 80               Duodenum/Pankreas
Syndrom (Gastrinom)          Refluxsymptomatik
                             Flushs, Diarrhö, seltener Bron-                                                              Ileum/Jejunum (Colon
                                                                      Serotonin, (Tachy- und
Karzinoid-­S yndrom          chokonstriktion, Zeichen der                                           100                   ascendens, Bronchus,
                                                                      Bradykinine)
                             Rechtsherzinsuffizienz bei KHE                                                               Magen, Ovar, Pankreas)
Verner-Morrison-­
Syndrom                      ausgeprägte Diarrhö, Symptome
                                                           VIP                                      75                    Pankreas
(VIPom, pankreatische        durch Hypokaliämie
Cholera)
                             Erythema necrolyticum migrans,
Glukagonom-­S yndrom                                        Glukagon                                80                    Pankreas
                             Diabetes, Gewichtsverlust
Akromegalie                  Akromegalie-Symptome           GHRH/GH/IGF-I                           75                    Pankreas (Bronchus)
CRHom/ACTHom/­                                                                                                            Pankreas, Thymus
                             Cushing-Syndrom                          CRH, ACTH                     > 90
Cushing-Syndrom                                                                                                           (Bronchus)
ACTH: adrenokortikotropes Hormon; CRH: Corticotropin-releasing Hormone; GH: Growth-Hormone; GHRH: Growth-Hormone-releasing Hormone; IGF-I: Insulin-like
Growth-Factor I; KHE: Karzinoid-Herzerkrankung; VIP: vasoaktives intestinales Polypeptid. 1 Häufigkeit der Metastasierung.

                                                                           -3-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN

Etwa 15 bis 20 % der Patienten mit einem NEN ent-              Gastrinome sind im Duodenum und auch im Pank-
wickeln im Verlauf ihrer Erkrankung ein Karzinoid-             reas lokalisierte neuroendokrine Tumore, bei denen
Syndrom [16]. Leitsymptome des Karzinoid-Syndroms              es durch ungebremste Sekretion von Gastrin zu einer
sind das Auftreten einer Flush-Symptomatik (Ge-                übermäßigen Magensäureproduktion kommt. Dadurch
sichtsrötung) in 85 – 90 %, von Diarrhö in 75 % und            werden neben gastroösophagealem Reflux schwere
krampfartigen Bauchschmerzen in 50 – 75 %. Selten              Ulzerationen in Magen und Duodenum und Diarrhöen
tritt Dyspnoe bei Bronchospastik auf (10 – 20 %) [17].         verursacht – eine Kombination, die auch als Zollinger-
Ursächlich dafür ist eine vermehrte Ausschüttung               Ellison-Syndrom (ZES) bezeichnet wird [22]. Die häu-
von Serotonin und anderen vasoaktiven Substanzen,              figsten klinischen Symptome sind Bauchschmerzen
wie z. B. Histamin, Prostaglandine, Bradykinin und             und chronischer Durchfall. Andere Manifestationen
Tachykininen. Im Verlauf kann es auch in bis zu 35 %           können Dyspepsie, gastroösophagealer Reflux, gas-
zu einer meist das rechte Herz betreffenden Endo-              trointestinale Blutungen und Gewichtsverlust sein.
kardfibrose kommen (Hedinger-Syndrom). Hierbei                 Bei Patienten mit refraktären/rezidivierenden Magen-
ist meist die Trikuspidalklappe mit einer Insuffizienz         geschwüren (insbesondere multiplen und duodenalen)
betroffen, seltener auch die Pulmonalklappe. Dabei             und Durchfall sollte die Diagnose eines Gastrinoms in
verursacht die steigende Hormonkonzentration eine              Betracht gezogen werden. Jedoch ist zu bedenken,
Ablagerung von Plaques u. a. auf den endokardialen             dass das ZES nur bei etwa 0,1 % bis 1 % der Patienten
Oberflächen der Klappenblätter, dem subvalvulären              mit Ulkuskrankheit die zugrunde liegende Ursache ist.
Apparat und den Herzkammern und folglich eine                  Ein umfassendes Screening wird daher nicht emp-
fortschreitende Fibrosierung des Herzens [18]. Beim            fohlen [23]. Gastrinome treten in 75 bis 80 % der Fälle
Karzinoid-Syndrom ist der Primärtumor meist im Dünn-           sporadisch auf [23]. Eine Assoziation mit einem MEN1
darm (distales Jejunum, Ileum, Ileozökalbereich) und           (multiple endokrine Neoplasie Typ1)-Syndrom ist je-
seltener im Bronchialsystem lokalisiert und es liegen          doch denkbar und sollte abgeklärt werden [24]. Beim
bei Dünndarm-NEN meistens Lebermetastasen vor.                 MEN 1-Syndrom (Wermer-Syndrom) handelt es sich um
                                                               ein autosomal dominant vererbtes Syndrom (Mutation
Bei Insulinomen handelt es sich in 90 % der Fälle um           im Menin-Gen; MEN1), bei dem häufig multiple NEN
gutartige [1], neuroendokrine Tumore des Pankreas              im Magen (Histamin-produzierende NEN), Duodenum
mit solitärem, sporadischem Auftreten [19]. Die Leit-          (Gastrin- oder Somatostatin-produzierende NEN) und
symptome eines Insulinoms entstehen durch seine                Pankreas (Sekretion verschiedener pankreatischer
unkontrollierte Insulin-Ausschüttung und äußern sich           Hormone) auftreten [24].
in einer durch Nahrungskarenz ausgelöste Spontan-
hypoglykämie, neuroglukopenischen und autonomen                Etwa 1 % aller Lungentumore sind bronchopulmonale
Symptomen (Herzklopfen, Schwitzen, Zittern, Schwin-            Karzinoide [25], drei Viertel davon sind in den zentralen
del, Heißhunger sowie bei schwerer Hypoglykämie                Atemwegen lokalisiert [26]. Etwa 30 % der Patienten mit
Visus- und Wortfindungsstörungen, Verwirrtheit) und            bronchopulmonalen Karzinoiden sind asymptomatisch
einer Besserung der Symptome nach Glukosegabe                  und leiden oft jahrelang an rezidivierenden Lungenent-
(Whipple-Trias) [20, 21].                                      zündungen, bis die Diagnose NEN gestellt wird. Die
                                                               üblichen Leitsymptome sind Atemwegsobstruktion
                                                               (40 %), Husten (35 %) und Hämoptysen (25 %) [27].

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NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN

4. DIAGNOSE

Neben einer frühzeitigen Unterscheidung in hormon-                 BIOCHEMISCHE LABORDIAGNOSTIK
aktive und inaktive Tumore ist ein initiales Staging und
Grading sinnvoll [9]. Eine weitere Abklärung umfasst               Chromogranin A ist der wichtigste generelle Tumormarker
eine pathologische Basisdiagnostik zur histologischen              für NEN und kann sowohl bei funktionell aktiven als auch
Diagnosesicherung, eine biochemische Labordiagnostik               bei inaktiven Tumoren erhöht sein. Chromogranin A ist
sowie eine funktionelle Bildgebung zur Lokalisations-              Bestandteil der neurosekretorischen Granula. Je nach
diagnostik.                                                        Tumorentität, Tumorstadium und Cut-off weist der Wert
                                                                   eine Sensitivität und Spezifität von 60 bis 100 % auf.
                                                                   Daher sollte Chromogranin A bei allen NEN zumindest
PATHOLOGISCHE BASISDIAGNOSTIK                                      einmalig bestimmt werden und es eignet sich als Ver-
                                                                   laufsparameter, jedoch nicht als Screeningparameter für
Mittels Histopathologie aus einer Biopsie aus dem                  neuroendokrine Tumore. Die Plasma-Konzentration von
Tumor oder einer Metastase sollte eine histologische               Chromogranin A korreliert mit der Tumormasse. Jedoch
Klassifikation (NET oder NEC), der Differenzierungsgrad            muss bei der Interpretation des Wertes berücksichtigt wer-
(gut differenziert oder niedrig differenziert entsprechend         den, dass eine Therapie mit Somatostatin-Analoga (SSA)
der WHO-Vorgaben) sowie das proliferationsbasierte                 die Synthese und Sekretion von Chromogranin A hemmen
Grading mit Angabe des Ki-67-Index durchgeführt                    kann. Daher sollten Chromogranin A-Verlaufskontrollen
werden. Zur Darstellung der Morphologie, hinsichtlich              möglichst immer zum gleichen Zeitpunkt innerhalb des
der Differenzierung des Tumors, ist die Hämatoxylin                SSA-Injektionsintervalls erfolgen. Insbesondere die häufig
(HE)-Färbung Standard; die Periodic acid-Schiff (PAS)-             eingenommenen Protonenpumpeninhibitoren können zu
Färbung kann ergänzend sinnvoll sein, um ggf. neuro-               falsch positiven Werten führen, sodass diese 14 Tage vor
sekretorische Vesikel in den Tumorzellen zu identifizie-           der Bestimmung abgesetzt werden müssen. Zudem ist
ren. Per Definition enthalten NEN neurosekretorische               aus Gründen der Vergleichbarkeit darauf zu achten, dass
Vesikelproteine wie Synaptophysin und Chromogranin                 Bestimmungen für die Verlaufskontrolle immer mit dem
A, welche mittels immunhistochemischer Färbung                     gleichen Assay durchgeführt werden sollten [24].
nachgewiesen werden sollten. Die Bestimmung der
Proliferationsrate mittels Ki-67 sollte ebenfalls immun-           5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES) ist das Abbaupro-
histochemisch mittels anti-Ki-67-Antikörper erfolgen.              dukt von Serotonin, welches wesentlich für die Karzi-
Die Quantifizierung (manuell oder computergestützt)                noidsymptomatik verantwortlich ist. Die Bestimmung
der sich in Teilung befindlichen Tumorzellkerne sollte             von 5-HIES erfolgt im angesäuerten 24-Stunden-Sam-
bevorzugt in einer repräsentativen Paraffin-einge-                 melurin und ist zuverlässiger als die Bestimmung von
betteten Gewebeprobe bei geringer mikroskopischer                  Serotonin im Serum. Sie sollte bei funktionell aktiven
Vergrößerung in den proliferationsaktivsten Arealen,               NEN erfolgen. Die Bestimmung von 5-HIES hat eine
sog. hot spots, durchgeführt werden [24].                          Sensitivität von 70 – 75 % und eine Spezifität von
                                                                   85 – 100 % für den Nachweis eines fortgeschrittenen
                                                                   NEN des Dünndarms und sollte daher bei allen NEN
                                                                   des Dünndarms zumindest einmalig und bei Vorliegen
                                                                   eines Karzinoid-Syndrom auch im Verlauf bestimmt
                                                                   werden. Aufgrund von möglichen Interferenzen bei
                                                                   der 5-HIES-Bestimmung sollten Nahrungsmittel mit
                                                                   hohem Serotoningehalt (Pflaumen, Ananas, Bana-
                                                                   nen, Tomaten, Nüsse und Kaffee etc.) für mindestens
                                                                   drei Tage vor der Sammelperiode vermieden sowie
                                                                   interferierende Medikamente, wenn klinisch möglich,
                                                                   pausiert werden [24].

                                                             -5-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN

Erhöhte Serum-Konzentrationen der neuronenspezi-                  Tab. 3: Übersicht über mögliche Indikationen für die Bestimmung
                                                                  biochemischer Parameter; modifiziert nach [24].
fischen Enolase (NSE) können häufig bei NEN G3 und
schlecht differenzierten NEC nachgewiesen werden. Für             Parameter                Indikation
den Nachweis von differenzierten NEN weist NSE eine               Chromogranin A           bei allen NEN zumindest einmalig
geringere Spezifität und Sensitivität als Chromogranin            NSE                      bei allen NEN G3 zumindest einmalig
A auf, sodass die Bestimmung nicht als Routinepara-                                        bei allen NEN des Dünndarms zu-
meter empfohlen wird, aber bei hochproliferativen NEN             5-HIES                   mindest einmalig, bei V. a. Karzinoid-
                                                                                           Syndrom
und besonders bei NEC sinnvoll ist [24].
                                                                  Pankreatisches           bei unbekanntem Primarius,
                                                                  Polypeptid (PP)          (pankreatische NET)
Beim Insulinom erfolgt der biochemische Nachweis                  Insulin/C-Peptid         bei V. a. Insulinom (pNET)
durch einen Fastentest mit einer Nahrungskarenz                                            bei duodenalen NET zumindest
von 72 Stunden und regelmäßiger Bestimmung von                    Gastrin                  einmalig, bei V. a. Zollinger-Ellison-
Blutzucker, Insulin und C-Peptid. Dieser muss unter                                        Syndrom
                                                                                           bei V. a. Glukagonom/Erythema
stationärer Überwachung erfolgen. Bei einem nachge-               Glukagon
                                                                                           necrotica migrans (pNET)
wiesenen Blutzucker von < 40 mg/dl und gleichzeitigem
                                                                  VIP                      bei Durchfällen (pNET)
Nachweis einer inadäquaten Insulinausschüttung ist
                                                                  PTHrP                    bei Hypercalciämie
der Test positiv.                                                                          bei V. a. medulläres Schilddrüsenkar-
                                                                  Calcitonin
                                                                                           zinom, Durchfälle (pNET)
Ein Gastrinom gilt als nachgewiesen bei einem Se-                 ACTH/Cortisol            bei V. a. Cushing Syndrom
rum-Gastrin-Spiegel > 1.000 pg/ml bei gleichzeitig                                         bei V. a. Akromegalie (meist pulmo-
                                                                  GHRH
niedrigem pH-Wert im Magen (< 2). Eine Interferenz                                         nale und pankreatische NET)
mit Protonenpumpeninhibitoren ist zu berücksichti-
gen. Entsprechende Medikamente sollten möglichst
abgesetzt werden.                                                 BILDGEBENDE DIAGNOSTIK
Neben den oben beschriebenen Markerhormonen                       Funktionelle bildgebende Verfahren spielen eine zen-
bzw. Tumormarkern ist bei den übrigen funktionellen               trale Rolle bei der Bestimmung der lokalen Ausdehnung
Tumoren der Nachweis der Erhöhung des jeweiligen für              des Tumors sowie der Erfassung von Metastasen.
die Symptomatik verantwortlichen Hormons empfohlen                Zudem ermöglicht die funktionelle Bildgebung nach
[24]. Tabelle 3 fasst die Indikationen für die Bestimmung         Therapie eine Evaluation des Behandlungserfolgs [9].
der biochemischen Parameter zusammen.                             Die Lokalisations- und Ausbreitungsdiagnostik umfasst
                                                                  den Ultraschall, endoskopische Untersuchungen, wie
                                                                  Ösophago-Gastro-Duodenoskopie und Ileokoloskopie
                                                                  sowie die kontrastmittelverstärkte Computertomogra-
                                                                  phie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT).
                                                                  Weiterhin gilt die Endosonografie für pankreatische
                                                                  NEN, NEN des Magens, Duodenums und Rektums
                                                                  als Goldstandard für die Lokalisations- und Verlaufs-
                                                                  kontrolle [21].

                                                                  Da mehr als 90 % aller differenzierten NEN des Gastro-
                                                                  intestinaltraktes den Somatostatin-Rezeptor (SSTR)
                                                                  exprimieren, können sie mittels radioaktiv-markierten
                                                                  Somatostatin-Analoga (SSA) in einer PET-CT abge-
                                                                  bildet werden (nuklearmedizinische Bildgebung).
                                                                  Die von den Leitlinien aufgrund ihrer Überlegenheit in
                                                                  Sensitivität, Spezifizität und Ortsauflösung empfohlene
                                                                  68
                                                                     Gallium-DOTA-TATE-PET/CT kann die Ausbreitung

                                                            -6-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN

von NEN lokal und im gesamten Körper bestimmen.                                            jedoch erst an zweiter Stelle nach dem 68Gallium-
Das Somatostatin-Analogon ist über ein DOTA-Molekül                                        DOTA-TATE-PET/CT empfohlen [1, 24]. Bei weniger
an den Positronen-Emitter Gallium-68 gebunden und                                          differenzierten NEN kann hingegen ein 18Fluordesoxy-
ermöglicht so den Nachweis von SSR-tragenden Tumor-                                        glucose-PET/CT sinnvoll sein.
zellen. Zur Untersuchung von Insulinomen eignet sich
dieses Verfahren jedoch nicht, da diese nicht immer                                        Bei Patienten mit Karzinoid-Syndrom ist zum Ausschluss
eine ausreichende SSTR-Expression aufweisen [24].                                          der Herzbeteiligung eine jährliche transthorakale Echo-
Alternativ kommt eine Somatostatin-Rezeptor-Szinti-                                        kardiografie empfohlen. Auch die Bestimmung des
grafie in Frage, bei der ein mit einem Gammastrahler                                       kardialen Markers NT-pro-BNP ist als Screening-Para-
markiertes SSA eingesetzt wird. Diese Methode wird                                         meter für eine Karzinoid-Herzerkrankung sinnvoll [24].

5. THERAPIEOPTIONEN

Die gewählte Therapiestrategie sollte bei Patienten                                        ciety (ENETS) hat in Deutschland derzeit zehn
mit NEN interdisziplinär entschieden und idea-                                             Behandlungszentren als Exzellenz-Zentrum zerti-
lerweise in spezialisierten Zentren durchgeführt                                           fiziert (https://www.enets.org/about_enets_coe.
werden, die über große Erfahrungswerte verfügen                                            html). Abbildung 1 fasst die Therapieoptionen für
und so eine optimale Behandlung nach aktuellen                                             metastasierte NEN zusammen. Für konkrete An-
wissenschaftlichen Erkenntnissen gewährleisten                                             wendungsempfehlungen wird an dieser Stelle auf
können. Die European Neuroendocrine Tumor So-                                              die aktuellen Leitlinien verwiesen.

   ÜBERGEORDNETE
                                                                  EXTRAPANKREATISCH                                        PANKREAS
  THERAPIEPRINZIPIEN

       komplette                                                                                                                 NET            NEC
                                                                G1/G2                 G3                G1/G2
    Resektion möglich                                                                                                            G3             G3
                                                                                                              Ki6
                                                                                                             ho 7- Ind
                                                                                                               he
                                                                                                                  Tu ex > 1
                                 INITIALTHERAPIE*

 Resektion von Primarius                                                                                            mo       0
                                                                                                                       rla %
    und Metastasen                                                                                                        st

                                                              SSA (falls            Platin/           SSA (falls            • STZ/5-FU       Platin/
                                                              SSR-pos.)            Etoposid           SSR-pos.)             • TEM/CAP       Etoposid

    Hormonsyndrome
                                 PROGRESS / INTOLERANZ

                                                         • Everoli- PRRT         • FOLFOX                                                • FOLFOX
                                                            mus                                     PRRT (falls           • Everolimus
                                                                     (falls       • FOLFIRI                                               • FOLFIRI
  • Somatostan-Analoga                                                                             SSR-pos.)             • Sunitinib
                                                         • IFN-α 2b SSR-pos.)    • TEM/CAP                                               • TEM/CAP
     (SSA)
  • IFN-α 2b (falls SSR-neg.)
  • Redukon der Tumor-
     masse
                                                           * Bei asymptomatischen, niedrigproliferativen NEN G1 mit geringer Tumorlast kann inial auch
  • PPI (Gastrinom)                                                 eine zuwartende Strategie unter entsprechender Kontrolle angemessen sein.

Abb. 1: Therapieoptionen bei metastasierten NEN; modifiziert nach [1].

                                                                                     -7-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN

Bei der Behandlung der NEN sollten die folgenden               SYMPTOMATISCHE THERAPIEOPTIONEN
Therapieziele gelten [1, 24]:
                                                               Für die symptomatische Therapie von NEN stehen ver-
 • Bei nicht-metastasierten NEN: Durchführung einer            schiedene hoch wirksame Substanzen zur Verfügung,
   kompletten Resektion in kurativer Intention.                die je nach Hormonsyndrom zum Einsatz kommen. Bei
                                                               den meisten Hormonsyndromen sind Somatostatin-
 • Bei NEN mit resektablen Metastasen: Resektion               Analoga (SSA) wie Octreotid und Lanreotid die erste
   der Metastasen in kurativer Intention.                      Wahl, da durch ihre Bindung an die Somatostatin-Re-
                                                               zeptoren auf den Tumorzellen eine Kontrolle der über-
 • Bei nicht-resektablen und metastasierten NEN                mäßigen Hormonproduktion erreicht wird [1]. Kann ein
   ohne Funktionalität: Hier können SSA aufgrund               Karzinoid-Syndrom nicht ausreichend durch SSA kont-
   ihrer antiproliferativen Wirkung zur Wachstums-             rolliert werden, kann der Serotoninsynthesehemmer Te-
   kontrolle sinnvoll eingesetzt werden (siehe unten),         lotristat als gut verträgliche Substanz additiv eingesetzt
   auch eine watch-and-wait-Strategie ist vertretbar.          werden. Telotristat hemmt die Tryptophan-Hydroxylase,
                                                               sodass die Konversion von Tryptophan zu Serotonin
 • Bei funktionell aktiven NEN: Symptomkontrolle und           inhibiert und so der Serotoninspiegel weiter reduziert
   Wachstumskontrolle durch SSA.                               wird. Im Rahmen von zwei multizentrischen Phase II-
                                                               Studien [28, 29] konnte die Verbesserung der Diarrhö
                                                               bei Patienten mit bestehender Karzinoid-Symptomatik
OPERATIVE MASSNAHMEN                                           trotz SSA-Gabe erzielt werden. Auch in einer weiteren
                                                               Placebo-kontrollierten Phase-III-Studie (TELESTAR)
Eine komplette chirurgische Resektion des Tumors               reduzierte Telotristat nach 12 Wochen signifikant die
ist das einzige Verfahren, das einen NEN-Patienten             Stuhlgangfrequenz sowie den 5-HIES-Spiegel im Urin
heilen kann und sollte daher angestrebt werden. Auch           bei gleichzeitig guter Verträglichkeit und Sicherheit [30].
die Resektion von Fernmetastasen kann bei neuro-               In der Phase-III-Studie TELECAST konnte ebenfalls eine
endokrinen Tumoren mit kurativem Ansatz erfolgen.              signifikante Reduktion des 5-HIES-Spiegels um bis zu 90
Entscheidend sind dabei Lokalisation, Größe und Bio-           % im Vergleich zum Placebo nachgewiesen werden [31].
logie des Tumors. Eine Debulking-Operation mit einer           Die Ergebnisse dieser beiden Studien unterstützen die
angestrebten Größenreduktion von bis zu 90 % der               Sicherheit und Wirksamkeit von Telotristat als additive
Tumor- oder Metastasenlast kann indiziert sein, um             Therapie zu SSA bei Patienten mit Karzinoid-Syndrom
die unter medikamentöser Therapie nicht ausreichend            und starker Durchfallsymptomatik.
einstellbaren hormonabhängigen Symptome eines
nicht-resektablen Tumors zu vermindern und so die              Zur symptomatischen Behandlung von Insulinomen
Lebensqualität zu verbessern [24]. Werden operative            kann neben einer Glukosegabe Diazoxid zur Kont-
Eingriffe bei Patienten mit Karzinoid-Syndrom durch-           rolle der Hypoglykämien eingesetzt werden. Auch der
geführt, müssen diese unter perioperativer Gabe                mTOR-Inhibitor Everolimus kann eingesetzt werden, da
eines SSA als Infusion erfolgen, um eine massive               er als Nebenwirkung Hyperglykämien verursacht. Bei
Hormonausschüttung und eine resultierende schwer-              Gastrinomen erfolgt die symptomatische Behandlung
wiegende klinische Symptomatik (Karzinoid-Krise)               durch die Gabe von Protonenpumpeninhibitoren zur
zu vermeiden [1].                                              Verminderung der Magensäureproduktion [1].

                                                         -8-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN

ANTIPROLIFERATIVE THERAPIE­                                       Die Wirksamkeit des mTOR (mammalian target of
OPTIONEN                                                          rapamycin)-Inhibitors Everolimus als molekular ziel-
                                                                  gerichtete Therapie bei pankreatischen NEN wurde in
Die antiproliferative Therapie von NEN ist seit vielen            zahlreichen Phase-II- und -III-Studien untersucht und
Jahren etabliert und beruht auf den pathologischen                bestätigt (RADIANT-1, RADIANT-3, COOPERATE-2).
und klinischen Eigenschaften sowie Tumorgröße und                 Doch auch bei Patienten mit nicht-funktionellen gas-
-wachstum. Am häufigsten verwendet werden heut-                   troenteropathischen bzw. bronchopulmonalen NEN
zutage SAA, welche die Freisetzung biogener Peptide               kann Everolimus wirksam eingesetzt werden: In der
und Amine inhibieren und so wie oben beschrieben die              randomisierten, Placebo-kontrollierten Phase-III-Stu-
Symptome der Hypersekretionssyndrome verbessern                   die RADIANT-4 konnte durch die Behandlung mit
[21]. Aber auch die antiproliferative Wirksamkeit von SSA         Everolimus bei Patienten mit progressiven NEN eine
konnte in zwei Placebo-kontrollierten Phase-III-Studien           signifikante Verlängerung des progressionsfreien Über-
nachgewiesen werden. In der PROMID-Studie wurden                  lebens erreicht werden (11 Monate vs. 3,9 Monate) [34].
Patienten mit gut differenzierten Mitteldarm-NEN mit
Octreotid LAR versus Placebo behandelt. Unter Octreotid           Basierend auf Komorbiditäten und den jeweiligen
LAR war die mediane Zeit bis zum Progress signifikant             Kontraindikationen bzw. Nebenwirkungen dient der
länger als unter Placebo (14,3 vs. 6 Monate), sodass              Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitor Sunitinib als Alterna-
der Wirkstoff zur antiproliferativen Therapie zugelassen          tive zu Everolimus [24]. Sein Wirkmechanismus basiert
wurde [32]. In der CLARINET-Studie war die Gabe des               auf der Inhibition von Rezeptortyrosinkinasen, die am
SSA Lanreotid bei Patienten mit metastasierten, funk-             Tumorwachstum, der Angiogenese und der Entwicklung
tionell inaktiven, SSTR-positiven enteropankreatischen            von Metastasen beteiligt sind. Die Wirksamkeit von
NEN mit einem Ki-67-Index < 10 % ebenfalls mit einem              Sunitinib wurde u. a. in einer Placebo-kontrollierten
signifikant längeren progressionsfreien Überleben im              Studie mit Patienten mit progredientem Pankreas-
Vergleich zu Placebo assoziiert. Das progressionsfreie            NEN untersucht. Hier zeigte sich ein positiver Effekt
Überleben nach 24 Monaten konnte durch Lanreotid                  auf das progressionsfreie Überleben von 5,5 (Placebo)
auf 65,1 % gegenüber 33,0 % unter Placebo verbessert              auf 11,4 Monate (Sunitinib). Remissionen traten in 9 %
werden. Im Gegensatz zur PROMID-Studie waren hier                 der Fälle auf [35, 36].
auch Pankreas-NEN eingeschlossen [33]. Aufgrund
des günstigen Nebenwirkungsprofils von SSA und den                Das Therapieverfahren der Peptidrezeptor-Radio-
bisherigen Daten zur Langzeitsicherheit wird eine SSA-            therapie (PRRT) basiert auf der Überexpression von
Behandlung als Erstlinientherapie bei Patienten mit               SSTR auf der Oberfläche der meisten NEN, ähnlich wie
gering proliferativen sowohl funktionell aktiven als auch         bei der diagnostischen DOTA-PET/CT, mit dem Unter-
inaktiven NEN empfohlen. Diese werden alle vier Wochen            schied, dass hier anstelle eines Positronen-Emitters ein
tief subkutan (Lanreotid) oder intramuskulär (Octreotid)          Betastrahler appliziert wird. Das mittels Lutetium-177
verabreicht.                                                      markierte Somatostatin-Analogon wird von der Zelle
                                                                  internalisiert und wirkt über die intrazelluläre Bestrah-
Interferon-α hemmt die Hormonsekretion von NEN                    lung antiproliferativ. Wenn SSA bei Erstlinientherapie
und dient so neben der Symptomkontrolle auch als                  eingesetzt werden können, empfiehlt sich bei Progres-
antiproliferative Therapie. Die Wirkung wird über die             sion die PRRT. In der prospektiven randomisierten
Induktion der Apoptose durch Immunmodulation und                  NETTER-1-Studie erhielten Patienten mit SSTR-po-
antiangiogenetische Effekte erklärt. Es kann bei Pa-              sitiven Mitteldarm-NEN, deren Erkrankung unter SSA
tienten mit gut differenzierten NEN eingesetzt werden,            progredient war, zusätzlich zu SSA 177Lu-DOTATATE.
wenn eine Therapie mit SSA aufgrund von Unverträg-                20 Monate nach Therapiebeginn war bei 65 % der
lichkeiten abgebrochen werden muss oder wegen                     Patienten unter 177Lu-DOTATATE keine Tumorzunahme
negativem SSTR-Status nicht in Frage kommt [24].                  zu verzeichnen (vs. keine Tumorzunahme nur bei 11 %
Auch eine Kombination mit einem SSA ist möglich.                  in der Kontrollgruppe unter SSA in doppelter Standard-
Das Nebenwirkungsprofil von Interferon-α ist aber                 dosis). Zudem konnte die Lebensqualität der Patienten
deutlich ungünstiger als das der SSA.                             deutlich verbessert werden [37].

                                                            -9-
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN

Mit Ausnahme von pankreatischen Tumoren sprechen              einem medianen Gesamtüberleben zwischen 28 und
gut differenzierte NEN nur ungenügend, höher prolife-         55 Monaten [38]. Besonders die Kombination Temo-
rative NEN hingegen gut auf eine Chemotherapie an,            zolomid plus Capecitabin erscheint aufgrund hoher
sodass sie in diesem Fall als Erstlinientherapie infrage      Ansprechraten, insbesondere bei NET G3 bei guter
kommt. Je nach Lokalisation, Differenzierungsgrad und         Verträglichkeit, vielversprechend [39]. Bei NEC G3,
Tumordynamik kommen unterschiedliche Wirkstoffe               undifferenzierten, klein und großzelligen neuroendo-
zum Einsatz. Eine Indikation für die folgenden Wirkstoffe     krinen Karzinomen gilt die Kombination aus Cis- bzw.
ist ein rascher Progress, eine hohe Tumorlast sowie           Carboplatin und Etoposid als Erstlinien-Standardthe-
eine Ki-67 > 10 % [1]. Als einziger gut differenzierter       rapie. Als Zweitlinientherapie sind bei dieser Indikation
NET sind pankreatische NET chemotherapiesensibel.             Folinsäure/5-Fluorouacil/Oxaliplatin (FOLFOX), Folin-
Streptozotocin in Kombination mit 5-Fluorouacil zeigte        säure/5-Fluorouracil/Irinotecan (FOLFIRI) oder Temo-
eine gute Wirksamkeit bei differenzierten pankreati-          zolomid/Capecitabin mögliche Therapieoptionen [1].
schen NEN mit Remissionsraten von 28 – 43 % und

6. NACHSORGE UND VERLAUFSKONTROLLE

Die Nachsorge sollte wie auch die Therapie idealer-           oder Hormonparameter auch im Verlauf kontrolliert
weise in einem spezialisierten NEN-Zentrum bzw.               werden. Als bildgebende Nachsorgeverfahren sollten
in enger Kooperation mit Spezialisten durchgeführt            mindestens eine CT oder MRT durchgeführt werden.
werden. Die regelmäßige Vorstellung der Patienten             In größeren Intervallen ist auch eine SSRT-Bildgebung,
in einem interdisziplinären Tumorbord ist empfohlen.          z. B. mittels PET/CT empfehlenswert.
Neben der Besprechung der Therapie werden hier
die Ergebnisse der Verlaufskontrolle sowie weitere            Bei Patienten mit fortgeschrittenen metastasierten NEN
diagnostische Maßnahmen und Kontrollintervalle                ist eine lebenslängliche Verlaufskontrolle empfohlen,
interdisziplinär diskutiert [40].                             deren Untersuchungsmethoden nahezu identisch
                                                              mit denen sind, die nach einer kompletten Resektion
Auch nach vollständiger Resektion (R0-Resektion) des          des Tumors angewendet werden. In der Regel sind
Tumors ist eine regelmäßige Nachsorge empfohlen.              hier jedoch die Zeitintervalle kürzer (z. B. drei Monate
Lediglich bei der R0-Resektion eines NEN des Appendix         bei rasch wachsenden NEN, sechs bis 12 Monate bei
(< 1 cm, ohne Risikofaktoren) kann auf eine besondere         stabilen und gut differenzierten Tumoren) und sollten
Nachsorge verzichtet werden. Als biochemischer Para-          besonders bei klinischer Verschlechterung und bei
meter sollte Chromogranin A regelmäßig bestimmt               schweren nicht gut kontrollierten Hormonsyndromen
werden, ebenso sollten initial erhöhte Tumormarker            sehr engmaschig erfolgen [24].

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NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN

7. FAZIT

Neuroendokrine Tumore zeigen ein hohes Maß an                    Tumorbords festgelegt werden. Nur eine vollständige
biochemischer, molekularer und genetischer Hetero-               Resektion des Tumors und auch der Metastasen kann
genität und besitzen grundsätzlich die Fähigkeit zur             eine Heilung des Patienten bewirken. Zur Linderung
Metastasierung. Die Parameter Differenzierungsgrad,              der durch die Hormonausschüttung verursachten
Primärtumorlokalisation, Proliferationsrate und funk-            Symptome stehen verschiedene antisekretorische
tionelle Aktivität bestimmen maßgeblich den Verlauf              bzw. -symptomatische Therapeutika zur Verfügung,
der Erkrankung sowie die Therapiestrategie. Für die              die spezifisch für das entsprechende Hormonsyndrom
Diagnosesicherung kommen diagnostische Maßnah-                   gewählt werden. Antiproliferative Therapieoptionen,
men wie biochemische Labordiagnostik, bildgebende                wie z. B. molekular zielgerichtete Wirkstoffe, die Pep-
Verfahren sowie eine pathologische Basisdiagnostik               tidrezeptor-Radiotherapie oder eine Chemotherapie
zum Einsatz. Zur Behandlung stehen diverse effektive             zeigen hohe Wirksamkeit. Eine patientenindividuelle
therapeutische Optionen zur Verfügung. Die Therapie-             und regelmäßige Nachsorge wird (fast) allen NEN-Pa-
entscheidungen bei Patienten mit einem NEN sind nicht            tienten empfohlen und sollte optimalerweise in einem
nur sehr komplex, sondern auch sehr individuell zu               spezialisierten Zentrum durchgeführt werden.
treffen und sollten im Rahmen eines interdisziplinären

                                                        - 11 -
NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN

8. LITERATUR

[1] Breitling LP, Rinke A, Gress TM. Neuroendokrine Tumoren im Gastro-           [21] L ahner H, Fendler WP, Theurer S, et al. Neuroendokrine Neoplasien
     intestinaltrakt. Dtsch Med Wochenschr 2019;144(21):1509 – 21                       des Verdauungstrakts. best practice onkologie 2020;15(7):320 – 33

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NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN – GRUNDLAGEN UND THERAPIEOPTIONEN

IMPRESSUM

AUTOR
Dr. Jörg-Dietrich Neumann
Krankenhaus St. Joseph-Stift Bremen,
Medizinische Klinik – Onkologische Tagesklinik

Interessenkonflikte
Der Autor hat Honorare von Ipsen Pharma GmbH, Novartis Pharma GmbH und MERCK KGaA/
Merck Serono GmbH/Allergopharma GmbH & Co. KG/Roche Pharma, Servier Deutschland GmbH und Pierre Farbre
Pharma GmbH erhalten.

REDAKTION & LAYOUT
Dr. Juliane Röper & Hannah Honnef
KW MEDIPOINT, Bonn

VERANSTALTER
MedLearning AG, München;
cme.medlearning.de

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(KW MEDIPOINT: 13.998,- €; MedLearning: 8.150,- €; Ratiopharm GmbH ) angeboten.

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BEGUTACHTUNG
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inhaltliche Richtigkeit und Produktneutralität geprüft. Jeder Gutachter unterzeichnet eine Konformitätserklärung.

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