Neustart Pflege Das MagazinAus der Heimstiftung - Pflege-Ausbildung - Evangelische Heimstiftung

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Neustart Pflege Das MagazinAus der Heimstiftung - Pflege-Ausbildung - Evangelische Heimstiftung
Das Magazin
2/2019

                                                 Aus der Heimstiftung

 Pro-Pflegereform    Hackathon   Pflege-Ausbildung
 Zweites Gutachten   Neue Wege   Interview zur
 vorgestellt         gehen       Generalistik

 Neustart
    Pflege
Neustart Pflege Das MagazinAus der Heimstiftung - Pflege-Ausbildung - Evangelische Heimstiftung
Stell dir vor, du und dein Arbeitgeber
gehen ganz neue Wege.
Mit dem Innovationsgeist der EHS.

Ein Arbeitgeber nach deinen Vorstellungen.

Seit vielen Jahren kämpfen wir für bessere politische Rahmenbedingungen
in der Altenpflege und -betreuung. Dazu gehören eine faire Entlohnung,
mehr Anerkennung des Berufsbilds sowie die Neugier auf technische und
soziale Innovation. Dies alles lässt sich mit dem Mut der EHS meistern.

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Neustart Pflege Das MagazinAus der Heimstiftung - Pflege-Ausbildung - Evangelische Heimstiftung
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

die Pflege ist in aller Munde. Der Bundestag hat ein
Pflegelöhneverbesserungsgesetz auf den Weg ge-
bracht – gute Pflege soll zukünftig flächendeckend
auch gut bezahlt werden. Eine Entwicklung, die wir
natürlich begrüßen. Wir als Evangelische Heimstif-
tung gehen diesen Weg der fairen Bezahlung unserer
Pflegefachkräfte bereits seit vielen Jahren. Aber wir
rufen auch dazu auf, die Konsequenzen für die
Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen zu beden-
ken. Jede Lohnsteigerung geht nach dem aktuellen
System der Pflegeversicherung zu 100 Prozent auf
ihre Kosten. Deshalb fordern wir noch dringlicher
den Sockel-Spitze-Tausch und die Begrenzung der
Eigenanteile. Am 13. November haben die Initiative
Pro-Pflege­reform und Professor Heinz Rothgang in
Berlin das zweite Gutachten zur Reform der Pflege-
versicherung vorgestellt. Der Sockel-Spitze-Tausch
ist möglich und finanzierbar – jetzt muss es an die
Umsetzung gehen.

Ganz konkret steht als nächstes der Beginn der
generalistischen Ausbildung an – mit der Umset-
zung beschäftigen wir uns intensiv in einer inter-
nen Arbeitsgruppe. Denn Inno­vationen treiben wir
in der EHS in allen Bereichen der Pflege voran – ob
in der Ausbildung oder mit der Teilanhme an einem
Hackathon im Gesundheitswesen, in dem neue
Konzepte für die Gewinnung von Engagierten im
Quartier entwickelt werden.

Wir danken allen Mitarbeitern für ihren Innova­
tionsgeist und das erneute, vielfältige Engagement
im vergangenen Jahr sowie den Bewohnern, Ange-
hörigen, Kunden und Partnern für ihr Vertrauen.
Für das Jahr 2020 wünsche ich Ihnen alles Gute,
Gottes Segen und viel Mut, neue Wege zu gehen.

Ihr Bernhard Schneider

                                                        „Aus der Heimstiftung“ 2/2019 3
Neustart Pflege Das MagazinAus der Heimstiftung - Pflege-Ausbildung - Evangelische Heimstiftung
Inhalt

06                                                                                                 13

                                                                              Inhalt 2/2019
                                                                               6 | Titel                          20 | Aus der Heimstiftung
               Das Magazin
      2/2019

       Pro-Pflegereform    Hackathon
                                                       Aus der Heimstiftung

                                       Pflege-Ausbildung
                                                                              		 Pflege ohne Grenzen –           		Innovation in der Pflege –
                                                                                 Zweites Gutachten zur Reform        ein Praxisbericht
       Zweites Gutachten   Neue Wege   Interview zur
       vorgestellt         gehen       Generalistik

       Neustart                                                                  der Pflegeversicherung
                                                                                                                  		Verluste in Sprache fassen –
          Pflege                                                              		                                    mit der Seelenapotheke
                                                                              13 | Perspektiven
                                                                                                                  			Unternehmer-Netzwerktreffen
                                                                                Interview
                                                                              		          zur generalistischen       2019
                                                                                  Ausbildung in der Pflege
                                                                                                                  		Dritte WohnenPLUS-Residenz
                                                                              		Neue Wege gehen –                   eröffnet
                                                                                 Hackathon-Challenge
                                                                                                                  		 Führungskräftetagung 2019
                                                                              		
                                                                                                                  		Pflege-Azubis profitieren sofort
                                                                              18 | Impuls
                                                                                                                     und doppelt vom Tarifabschluss
                                                                              		 Biblische Jahreslosung 2020
                                                                                                                    Kollegen-Finder bringt über
                                                                                                                  		
                                                                                                                    70 neue Mitarbeitende
                                                                                                                  		 SPD AG 60 plus im Kreis Böblingen
                                                                                                                  		
                                                                                                                    Acht neue Quartiersmanager für
                                                                                                                    die EHS
                                                                                                                  		Wer macht was in der
                                                                                                                     Evangelischen Heimstiftung
                                                                                                                  		 Personalien

     4 „Aus der Heimstiftung“ 2/2019
Neustart Pflege Das MagazinAus der Heimstiftung - Pflege-Ausbildung - Evangelische Heimstiftung
Inhalt

                 20              27                                                          28

27 | Freundeskreis                    Impressum
		 Ein Garten für alle Sinne          „Das Magazin. Aus der Heimstiftung“
                                      Verantwortlich: Bernhard Schneider
                                      Redaktion: Ann-Christin Kulick
                                      magazin@ev-heimstiftung.de
28 | Ehrenamt aktiv
                                      Nicht gekennzeichnete Artikel sind
                                      von der Redaktion verfasst
		Ehrenamtspreis 2019 –              Anschrift der Redaktion:
   drei Projekte ausgezeichnet        „Das Magazin. Aus der Heimstiftung“
                                      Hackstraße 12, 70190 Stuttgart
                                      Gestaltung:
                                      AmedickSommer GmbH, Stuttgart
30 | Bau
                                      Fotos:
                                      alle Fotos Evangelische Heimstiftung
		Spatenstich                        mit Ausnahme von:
                                      Titel, S. 4 © Adobe Stock, peshkov
		 Hammerschlag                       S. 16, 17 © Adobe Stock, Rassco
                                      S. 28, 29 © Adobe Stock, AldanNa
		 Grundsteinlegung
                                      Produktion und Druck:
		 Richtfest                          Henkel GmbH Druckerei, Stuttgart
                                      Nachdruck und elektronische Verwendung
                                      nur mit schriftlicher Genehmigung.
34 | Übersicht                        „Das Magazin. Aus der Heimstiftung“
                                      erscheint zweimal im Jahr.
		 Namen und Anschriften              Auflage: 20.500
                                      Herausgeber:
                                      Evangelische Heimstiftung GmbH
                                      www.ev-heimstiftung.de
                                      Der Bezugspreis ist durch den Beitrag
                                      abgegolten.
                                      Im Magazin wird das generische Maskulinum ver-
                                      wendet. Dies dient lediglich der Leserfreundlichkeit
                                      und schließt alle Geschlechter mit ein.

                                                         „Aus der Heimstiftung“ 2/2019 5
Neustart Pflege Das MagazinAus der Heimstiftung - Pflege-Ausbildung - Evangelische Heimstiftung
Titel

   Pflege ohne Grenzen –
   Zweites Gutachten zur Reform der
   Pflegeversicherung

                                  Vor 25 Jahren wurde in Deutschland die Pflegever-       Es geht aber nicht nur ums Geld: Die Pflegever­
                                  sicherung eingeführt. Das Ziel lautet damals wie        sicherung ist mit unzähligen Reformen zum
                                  heute: Die Menschen dürfen durch eine auftretende       Leistungsrecht, zur Leistungserbringung, zur Heim­
                                  Pflegebedürftigkeit nicht in die Sozialhilfe abrut-     aufsicht etc. so kompliziert geworden, dass schon
                                  schen. Seinerzeit wurden pauschale Leistungssätze       Fachleute die unterschiedlichen Regelungen zur
                                  festgelegt, mit denen die pflegebedingten Kosten im     ambulanten Pflege zu Hause oder zur stationären
                                  Pflegeheim in der Regel tatsächlich abgedeckt wer-      Pflege im Pflegeheim nicht mehr verstehen. Das
                                  den konnten. Das ist längst nicht mehr der Fall: Die    System muss wieder verständlicher werden und die
                                  Leistungsbeträge der Pflegeversicherung wurden          individuellen Bedürfnisse der Menschen in den
                                  kaum erhöht. Sie halten mit den Pflegesätzen nicht      Mittelpunkt stellen.
                                  mehr Schritt, die durch Tarifsteigerungen und Qua-
                                  litätsverbesserungen wie höhere Löhne und bessere       Deshalb fordert die Evangelische Heimstiftung
                                  Personalschlüssel steigen. Dadurch erhöhen sich         zusammen mit der bundesweiten Initiative Pro-
                                  auch die Eigenanteile der Pflegebedürftigen unauf-      Pflegereform einen Neustart für die Pflegever­
                                  hörlich. Sie betragen teilweise schon über 3.000 Euro   sicherung. Sie hat dazu gemeinsam mit Dr. Heinz
                                  im Monat – wer kann sich das noch leisten? Gleich-      Rothgang, Professor für Gesundheitsökonomie an
                                  zeitig wissen wir, dass es wegen des Pflegenotstands    der Universität Bremen, das zweite Gutachten zur
                                  nötig ist, weiter in die Pflege zu investieren. Die     alternativen Ausgestaltung der Pflegeversicherung
                                  Kosten werden also weiter steigen und müssen allein     erarbeitet und im November 2019 der Öffentlichkeit
                                  von den Pflegebedürftigen gezahlt werden, weil die      vorgestellt. Es beschreibt mit sieben Bausteinen eine
                                  Pflegeversicherung weiterhin nur einen festgelegten     grundlegende Reform der Pflegeversicherung.
                                  Sockelbetrag übernimmt.

6 „Aus der Heimstiftung“ 2/2019
Neustart Pflege Das MagazinAus der Heimstiftung - Pflege-Ausbildung - Evangelische Heimstiftung
Titel

                                                                        Die                        kurz erklärt

„Wir müssen den
  Paradigmenwechsel                                                                                       Viel Bürokratie
                                                Stefans Mutter ist                                        steht den beiden
 mutig angehen.                                 seit einem Sturz                                          nun bevor.
 Wir können nicht                               und benötigt
 mehr lange warten.“                            professionelle Hilfe.

 M
  anne Lucha,
                                                                                                                    Außerdem wissen sie
 Minister für Soziales und Integration,
                                                                                                                    nicht wie sie die
 Baden-Württemberg
                                                                                                                    sollen...
                                                sich weiterentwickelt
                                                und damit ist auch ihr
                                                Preis gestiegen, die

                                                hat sich jedoch nicht
                                                verändert.

                                                                                         bezahlt alle Kosten,
                                                                                         die darüber hinaus
                                                                                         anfallen.

                                                                                               -
                                                                              rung bezahlt einen

                                                                                                                                Die Lösung: Der
                                                                                                                                Sockel-Spitze-Tausch.

                                                                                       würden nur noch
                                                                                       einen Fixbetrag
Horizonte 2019                                    Zwei Gutachten von                   bezahlen...
                                                  Professor Heinz
                                                  Rothgang zeigen:
Professor Heinz Rothgang und die Initiative       das ist möglich                                                     ... Kosten darüber
Pro-Pflegereform haben ihr zweites Gutachten                                                                          hinaus übernimmt

außerdem bei Horizonte – dem Pflegeforum                                                                              versicherung.
der Evangelischen Heimstiftung – vorgestellt.
Manne Lucha, Minister für Soziales und
Integration in Baden-Württemberg, erläuterte
in seinem Impulsvortrag zudem die politische
                                                    ... denn die Gesamtkosten verteilen
Machbarkeit der Reformvorschläge. Er                sich auf viele Köpfe.
bekannte sich dabei ausdrücklich zum Sockel-
Spitze-Tausch und zeigte außerdem Ansatz-
punkte des Gutachtens zur weiteren
politischen Diskussion auf.                                                                               Jetzt mitmachen und

Videos zur Veranstaltung unter
www.ev-heimstiftung.de/youtube

                                                                                                                   „Aus der Heimstiftung“ 2/2019 7
Neustart Pflege Das MagazinAus der Heimstiftung - Pflege-Ausbildung - Evangelische Heimstiftung
Titel

    Baustein 1: Behandlungspflege zahlt                       Dieses Reformelement macht mit dem Sockel-
    die Krankenkasse                                          Spitze-Tausch einen einfachen, aber wirkungsvollen
    Dieser Schritt ist längst überfällig: In der häuslichen   Vorschlag: Das aktuelle System der Pflegeversiche-
    Pflege wird die medizinische Behandlungspflege oder       rung wird auf den Kopf gestellt, denn zukünftig
    die Krankenpflege zu Hause von der Krankenver­            bezahlt der Versicherte für den pflegebedingten
    sicherung bezahlt. Das ist auch richtig so. Im Pflege-    Aufwand den festgelegten Sockelbetrag und die
    heim ist es aber so, dass die Behandlungspflege in        Pflegekasse übernimmt alle darüber hinaus gehen­
    den Pflegesätzen enthalten ist. Weil aber die Leistun-    den notwenden Kosten für die Pflege.
    gen der Pflegeversicherung ohnehin nicht ausrei-
    chen, bezahlt der Versicherte die Behandlungspflege
    über den Eigenanteil praktisch aus der eigenen
    Tasche. Das ist ungerecht und spart der Kranken-
    kasse rund 2,5 Milliarden Euro im Jahr.

    Der erste Reformbaustein sieht deshalb vor, diese
    Regelung anzugleichen: die Krankenkasse über-             Dieser Sockel-Spitze-Tausch ist bitter nötig, denn
    nimmt die Kosten für die medizinische Behand-             die Pflegekosten werden in den nächsten Jahren
    lungspflege (Cure) unabhängig davon, wo der               weiter steigen. Wenn wir genügend junge Menschen
    Versicherte lebt. Sie soll also zukünftig auch im         für den Pflegeberuf begeistern wollen, dann müssen
    Pflegeheim die „häusliche Krankenpflege“ auf              wir bessere Personalschlüssel und bessere Bezah-
    Rezept übernehmen. Dadurch sinken der Pflegesatz          lung durchsetzen – Forderungen, denen sich im
    und der Eigenanteil der Bewohner um durchschnitt-         Übrigen auch die Politik angeschlossen und mit
    lich rund 270 Euro monatlich.                             einem neuen Personalbemessungssystem und dem
                                                              Pflegelöhneverbesserungsgesetz dafür auch die
    Baustein 2: Grundpflege und Betreuung                     rechtlichen Grundlagen geschaffen hat.
    zahlt die Pflegekasse
    Nach dem ersten Baustein gibt es unabhängig vom           In seinem Gutachten hat Professor Rothgang aus-
    Wohnort eine klare und einfache Zuständigkeit: Die        gerechnet, wie hoch ein Sockelbetrag sein müsste,
    Krankenkasse übernimmt die Behandlungspflege              damit für die Dauer von maximal vier Jahren von
    und die Pflegekasse ist für alle notwendigen Leistun-     den Versicherten in etwa der gleiche Eigenanteil
    gen der Pflege und Betreuung zuständig. Grundlage         aufgebracht wird, wie zum Umstellungszeitpunkt.
    ist das ambulante Sachleistungsprinzip, das zukünf-       Dieser Wert liegt ungefähr bei 470 Euro monatlich.
    tig dann überall gelten soll.                             Der Sockel-Spitze Tausch bedeutet also konkret, dass
                                                              die Pflegekasse alle notwendigen Pflegekosten über-
    Baustein 3: Sockel-Spitze-Tausch für                      nimmt, die über 470 Euro liegen. Auf die Pflege­
    begrenzte Eigenanteile                                    bedürftigen entfallen dann nur noch Miete, Haus-
    Die Pflegebedürftigen tragen im jetzigen System ein       haltskosten und weitere private Wunschleistungen.
    doppeltes Pflegerisiko: Die Höhe der Pflegekosten         Aber vor allem: Das Risiko steigender Pflegekosten
    und die Zeitdauer sind nicht vorhersehbar und der         liegt nicht mehr beim Einzelnen, sondern bei der
    Einzelne kann für dieses Risiko auch nicht vorsor-        solidarischen Pflegeversicherung und da gehört es
    gen. Damit ist im Alter der Lebensstandard in Gefahr;     auch hin.
    Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben,
    können sich Pflege nicht mehr leisten und drohen,         Übrigens: Der Sockelbetrag 470 Euro ist ein Vor-
    in die Sozialhilfe abzurutschen. Es ist die Pflicht       schlag, der sich rechnerisch aus der aktuellen Situ-
    eines Wohlfahrtsstaates, das zu verhindern.               ation ergibt. Er kann natürlich auch niedriger
                                                              angesetzt werden. Wäre der Sockelbetrag null Euro,
                                                              dann hätten wir die Pflegevollversicherung, bei der

8 „Aus der Heimstiftung“ 2/2019
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es wie bei der Krankenkasse keinen Eigenanteil        ausgegeben, an dem sich bis heute fast alle Pflegere-
geben würde. Im Gegenzug würden dann die              formgesetze orientieren. Dieses System ist aus der Zeit
Beiträge zur Pflegeversicherung höher steigen.        gefallen und muss abgeschafft werden. Das Reform-
                                                      konzept der Initiative Pro-Pflegereform beschreibt
Baustein 4: Wohnen und Pflege in                      deshalb eine „Welt ohne Sektoren“. Es ist also egal,
einer Welt ohne Grenzen                               ob jemand im Pflegeheim, in der eigenen Wohnung,
Mit Einführung der Pflegeversicherung wurde (der      in einer Wohngemeinschaft, im Betreuten Wohnen
Krankenversicherung folgend) eine Grenzlinie zwi-     oder in einem (jetzt noch) Pflegeheim lebt. Der
schen ambulant (Hausarzt / häusliche Pflege) und      Leistungsanspruch gegenüber der Pflegekasse und
stationär (Krankenhaus / Pflegeheim) eingezogen.      Krankenkasse und die Art der Leistungserbringung
Gleichzeitig wurde das Motto ambulant vor stationär   durch Angehörige, Zugehörige und professionelle
                                                      Dienste ist überall gleich – alles funktioniert nach
                                                      einem einheitlichen, ambulanten System.

Kontext: Pflegelöhneverbesserungsgesetz               Damit orientiert sich das Leistungsgeschehen am
                                                      Grundsatz Wohnen und Pflege. Das hat viele Vorteile.
Das vom Bundestag im Oktober beschlossene             Es können sich viel leichter innovative Wohn- und
Pflegelöhneverbesserungsgesetz will eine              Betreuungsformen entwickeln und die individuellen
bessere Bezahlung von Pflegekräften sicher­           Wünsche des Einzelnen rücken in den Vordergrund,
stellen, entweder durch einen allgemeinen Tarif-      seine Autonomie wird gestärkt. Die informellen
vertrag oder durch höhere Mindestlöhne für die        Helfernetze können ortsunabhängig erhalten und
Branche. Gleichzeitig hat der Bundestag auch          aktiviert werden, so dass zum Beispiel auch im (jetzt
die Einführung eines Mindestlohns für Auszubil­       noch) Pflegeheim Angehörige Eigenleistung erbrin-
dende beschlossen. Bei der Evangelischen Heim-        gen können und dafür auch Pflegegeld erhalten.
stiftung (EHS) begrüßt man die Bemühungen der
Bundespolitik, die Probleme der Pflege zu lösen.      Um die Welt ohne Sektoren zu ermöglichen, müs-
„Die Gesetze haben aber unter dem Strich kaum         sen weitere Voraussetzungen geschaffen werden:
Bedeutung für uns“, sagt EHS-Hauptgeschäfts-          Alle Pflegeleistungen müssen, ähnlich wie jetzt im
führer Bernhard Schneider. Denn bereits jetzt         ambulanten Bereich, modularisiert und mit ein-
verdienen Pflege­fachkräfte bei der EHS mit           heitlichen Preisen versehen werden. Diese müssen
3.247 Euro Monatsbrutto weitaus mehr, als die         so gestaltet werden, dass sie zu Hause genauso
von Minister Jens Spahn genannten 2.500 Euro.         funktionieren wie im (jetzt noch) Pflegeheim. Das
Auch die Aus­bildungsvergütung liegt mit              Reformkonzept macht hierzu einige sehr gute Vor-
1.140 Euro im ersten Lehrjahr weit über dem           schläge, die in der Praxis noch diskutiert und
beschlossenen Mindestlohn von 515 Euro.               weiter konkretisiert werden müssen. Wir wissen
„Vielmehr macht das Gesetz deutlich, dass eine        aber mit dem Gutachten, dass eine Welt ohne Sek-
verfehlte Pflegepolitik nicht durch einen Eingriff    toren nicht nur funktionieren wird, sondern auch
in die Tarifautonomie repariert werden kann“,         viele Chancen eröffnet um die Pflegeversicherung
sagt Schneider. Denn nach dem aktuellen System
müssen die Pflegebedürftigen 100 Prozent der
höheren Löhne selbst finanzieren, was die ohne-
hin schon explodierenden Eigenanteile noch
mehr in die Höhe treiben würde. Ein gesetzlich
festgelegter Mindestlohn oder ein allgemeiner
Tarifvertrag funktionieren nur dann, wenn die
Tarifgehälter und damit auch jede Erhöhung aus
der Pflegeversicherung finanziert werden.

                                                                                                                „Aus der Heimstiftung“ 2/2019 9
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Titel

    fit zu machen für die großen Herausfor­          470 Euro stabil und der Beitragssatz für die      grad, sondern ein individuelles, bedarfs-
    derungen der Zukunft.                            Pflegeversicherung steigt bis 2045 auf 5,6        gerechtes Leistungsbudget zu und zwar
                                                     Prozent. Nun, man kann mit Blick auf die          unabhängig vom Ort der Leistungs­
    Baustein 5: Pflegegeld 2.0                       Beiträge in anderen Sozialversicherungen          erbringung.
    Eine besonders gute und innovative Idee          zu Recht sagen: Das ist in Ordnung – 5,6       2.	Instanz: Mit einem gut ausgebauten
    ist dabei das Pflegegeld 2.0. Das bisherige      Prozent muss uns eine gute Pflege Wert sein.      Case-Management auf kommunaler
    Pflegegeld, wird je nach Pflegegrad in unter­                                                      Ebene (z.B. Pflegestützpunkte) wird eine
    schiedlicher Höhe an die Pflegebedürftigen       Aber auch hier schlägt Professor Rothgang         individuelle Beratung sichergestellt. Ziel
    ausgezahlt, die darüber frei verfügen kön-       in seinem Gutachten Alternativen vor: Pfle-       ist es, im Interesse des Pflegebedürftigen
    nen. Das neue Pflegegeld 2.0 wird an Ange­       ge ist ein allgemeines und zunehmendes            im Rahmen des Leistungsbudgets ein
    hörige sowie zivilgesellschaftliche Akteure      Risiko. Deshalb kann das System durch den         Pflegearrangement zu organisieren, das
    bezahlt, die dafür konkrete Leistungs­           Einbezug eines Steuerzuschusses entlastet         den optimalen Einsatz professioneller
    module ganz oder teilweise verbindlich           werden. Bei einem Steuerzuschuss von nur          Dienste und zivilgesellschaftlicher
    übernehmen. Für die Übernahme werden             zehn Prozentpunkte der Leistungsausgaben          Leistungserbringer ermöglicht.
    40 Prozent des Profibetrags des jeweiligen       könnte der Beitragssatz bis 2045 um            3.	Instanz: Der beauftragte Pflegedienst
    Moduls als steuer- und beitragsfreies Pflege­    0,6 Prozentpunkte entlastet werden. Eine          sichert für seinen Anteil am Leistungs-
    geld an die Pflegeperson ausgezahlt. Außer-      Absen­kung um weitere 0,6 Prozentpunkte           budget die tägliche Leistungsplanung
    dem erhalten die Pflegepersonen eine             wären möglich, wenn man die Pflegeversi-          und Leistungserbringung sowie die
    Grundqualifikation und eine qualitäts­           cherung zur Bürgerversicherung umwandelt          Qualitätssicherung für das gesamte
    sichernde Begleitung ihrer Arbeit.               und gleichzeitig die Beitragsbemessungs-          Pflegearrangement.
                                                     grenze auf das Niveau der Rentenversiche-
    Baustein 6: Finanzierung –                       rung anhebt. Mit beiden Reformelementen        Mit diesem Reformansatz werden Quar-
    übers Geld muss gesprochen                       zusammen könnte also der Beitragssatz für      tierskonzepte und die Einbindung zivil­
    werden                                           die Pflegeversicherung bis 2045 auf 4,4        gesellschaftlicher Akteure gestärkt. Aber
    Das alles kostet natürlich Geld – aber längst    Prozent begrenzt und der Eigenanteil für die   auch die Pflegeprofis erhalten durch das
    nicht so viel, als dass wir uns das als Zivil-   Versicherten bei 470 Euro gedeckelt werden.    Case-Management und die damit verbun-
    gesellschaft nicht leisten könnten. Professor                                                   dene Steuerungsfunktion mehr Verant­
    Rothgang rechnet in dem Gutachten                Baustein 7: Gesamtkonzept                      wortung für eine gelingende Pflege und
    genau aus, was die verschiedenen Szenarien       Drei-Instanzen-Modell                          Betreuung im Quartier.
    kosten und zeigt, wie das zu finanzieren ist.    In einer Welt ohne Sektoren stellt sich
    Dabei gibt es eine wichtige Erkenntnis:          natürlich die Frage, wie Pflege und Betreu-    Fazit:
    Allein durch den demografischen Wandel           ung organisiert werden soll. Einerseits muss   Das Reformkonzept der Initiative Pro-
    und die bereits beschlossenen Verbesse-          es gelingen den Wünschen und Bedürf­           Pflegereform beschreibt schlüssig und
    rungen bei den Löhnen und der Personal­          nissen des Einzelnen gerecht zu werden.        umfassend ein Gesamtkonzept, wie die
    bemessung steigen die Kosten in der Pfle-        Anderseits müssen aber auch die Interessen     Pflegeversicherung ihre ursprünglichen
    geversicherung enorm an. Der Beitragssatz        der Pflegeversicherung berücksichtigt          Ziele nachhaltig erreichen kann. Die ein-
    würde in der Zukunft auf 4,5 Prozent und         werden, denn nicht alles was wünschens-        zelnen Reformelemente können noch
    der Eigenanteil um weitere bis zu 1.300          wert ist, kann auch bezahlt werden.            ausgestaltet werden und sind damit für
    Euro steigen. Das würde die allermeisten                                                        jede politische Perspektive anschlussfähig.
    Pflegebedürftigen finanziell überfordern.        Dazu schlägt das Reformgutachten ein           Ich bin deshalb sicher, dass wir einige Bau-
    Ohne eine grundlegende Finanzreform              Drei-Instanzen-Modell vor. Was bedeutet        steine der hier beschriebenen Reform im
    wird es also nicht gehen.                        das?                                           Koalitionsvertrag der nächsten Bundes­
                                                                                                    regierung wiederfinden werden. Die Reform
    Dafür ist der Sockel-Spitze Tausch ein idea-­    1.	Instanz: Der MDK stellt wie bisher mit     wird kommen, vielleicht in kleinen Schrit-
    les Model, das in einem Reformszenario             dem bestehenden Begutachtungsinstru-         ten, aber sie ist nicht mehr aufzuhalten.
    berechnet wurde: Der Eigenanteil der Ver­          ment den Pflegebedarf fest. Er weist dem
    sicherten bleibt mit den vorgeschlagenen           Pflegebedürftigen aber keinen Pflege-                                 Bernhard Schneider

10 „Aus der Heimstiftung“ 2/2019
Titel

Die 7 Bausteine der
Reform im Überblick:                            1
                                        Behandlungspflege
                                        (Cure) bezahlt die
                    6
                                          Krankenkasse
               Finanzierung                                                       2
              Bürgerversicherung                                          Grundpflege und
             Steuerzuschuss: 10 %                                         Betreuung (Care)
             Eigenanteil: 470 EUR                7
              Beitragssatz: 4,4 %
                                                                       bezahlt die Pflegekasse
                                      Drei-Instanzen-Modell
                                     MDK weist Leistungsbudget zu;
                                    Case-Management organisiert im
                                     Quartier; Pflegedienst erbringt
                                       Leistungen mit zivilgesell­
                                         schaftlichen Akteuren
                                                                                  3                     „Wer das Blümsche Erbe
                    5                                                  Fixer Eigenanteil durch
              Pflegegeld 2.0                                            Sockel-Spitze-Tausch
                                                                                                          der Pflegeversicherung
                                                                                                          retten will, braucht den
                                                4
                                        Wohnen und Pflege                                                 Sockel-Spitze-Tausch.“
                                          in einer Welt
                                                                                                         P rofessor Heinz Rothgang
                                         ohne Sektoren

  Interview mit Professor Heinz Rothgang
  Die notwendigen Unterstützung- und              In der Leistungszumessung wird nach            Das neue System sieht auch vor, zivilge-
  Pflegeleistungen sollen zukünftig von           Gruppen- und Individualleistungen              sellschaftliche, also nicht professionelle
  Case-Managern in ein individuelles              unterschieden: wird Pflege zu Hause            Leistungserbringer unabhängig vom Ort
  Pflegesetting überführt werden. Das             dann teurer, weil dort keine Gruppen-          des Wohnens immer in das individuelle
  klingt nach einem hohen Personalauf-            leistungen möglich sind?                       Pflegearrangement einzubeziehen. Gilt
  wand – ist das umsetzbar?                       Nein, der Gedanke der hinter der Tren-         das dann auch für die Versorgung im
  Das Case-Management wird bei unserem            nung von Individual- und Gruppen­              Pflegeheim?
  Vorschlag in die kommunale Verantwor-           leistungen steht, dient genau dazu, dies       Ja genau. Heute kann in einem Pflegeheim
  tung gelegt. Nur Personen, die vor Ort die      zu vermeiden. Manche Leistungen können         nur eine Vollversorgung in Anspruch
  Gegebenheiten und auch die Angebote             eben nur in Gruppen effizient erbracht         genommen werden. Der Einbezug von
  kennen, können eine umfassende Koor-            werden – und für diese Leistungen werden       Familie oder Freunden, die zuvor das
  dination verschiedener professioneller          die Kosten dann auch nur teilweise als         Pflegearrangement mit gebildet haben, ist
  und zivilgesellschaftlicher Leistungs­          Bedarf zugemessen. Wer also Leistungen         dann nicht mehr möglich – und diese
  erbringer im Sinne des Pflegebedürftigen        individuell beziehen möchte, die in einer      informellen Hilfspotenziale werden aus-
  überhaupt leisten. Zum Teil können dazu         Gruppe besser erbracht werden können,          geschlossen. Das halten wir aber nicht für
  die bereits bestehenden Beratungsstruk-         wird auch zukünftig einen Teil der Kosten      zielführend – weder in Bezug auf die
  turen umgewandelt und verbindlicher             selbst tragen.                                 knappe Ressource der Pflegekräfte, noch
  ausgebaut werden. Hierzu könnten die                                                           in Bezug auf die Wahlfreiheit der Pflege-
  nicht unerheblichen Einsparungen bei                                                           bedürftigen. Deshalb beinhaltet unser
  den Ausgaben für die Hilfe zur Pflege                                                          Reformvorschlag auch die Option, beste-
  sinnvoll verwendet werden.                                                                     hende zivilgesellschaftliche Hilfen auch
                                                                                                 mit in ein Pflegeheim zu bringen – und
  Das ganze Gutachten zum Download unter:                                                        diese Personen dann auch entsprechend
  www.pro-pflegereform.de/presse-download                                                        zu vergüten.

                                                                                                                 „Aus der Heimstiftung“ 2/2019 11
Titel

                                   „Die Lösungsvorschläge im
                                     Gutachten richten sich
                                     sowohl an Betroffene wie
                                                                                                    „Das Leistungsrecht der
                                     auch an Sozialhilfeträger:
                                                                                                      Pflege in seiner jetzigen
                                     Es zeigt den Weg für eine
                                                                                                      Form schränkt die
                                     Reform auf, in der die Quali-
                                                                                                      Aktivitäten von zivilgesell-
    Ingrid Hastedt,                  tät stimmt und Wahlfreiheit
    Vorstandsvorsitzende                                                                              schaftlichen Gruppen wie
    Wohlfahrtswerk                   für Betroffene besteht.“
                                                                                                      Initiativen und Laienpflege
                                                                     Peter Dürrmann,
                                                                     Bundesvorsitzender
                                                                                                      ein. Der Reformvorschlag
                                                                     DVLAB                            stärkt Solidarität und
                                   „Wir brauchen den Abbau der                                       Subsidiarität.“
                                     Sektorengrenzen. Finanzielle
                                     Entlastung muss für alle
                                     gerecht sein – bundesweit.“
                                                                                                    „Die Eigenanteile müssen
                                                                                                      jetzt zeitnah begrenzt
    Erwin Rüddel,
    Vorsitzender Gesundheits-                                                                         werden.“
    ausschuss, CDU

                                   „Wir brauchen schnell eine       Heike Baehrens,
                                                                     Pflegepolitische Sprecherin,
                                     gesamtgesellschaftliche         SPD
                                     Debatte.“

                                                                                                    „Das Konzept aktiviert ein
    Kordula Schulz-Asche,                                                                             Potenzial, das viel weiter
    Pflegepolitische Sprecherin,
    Die Grünen                                                                                        greift als eine einfache
                                                                                                      Finanzreform – denn wir
                                                                                                      brauchen nicht ‚mehr vom
                                   „Die Ressourcen Pflege und                                        Gleichen‘, sondern eine
                                     Mensch müssen sinnvoll          Dr. Bodo de Vries,               grundlegende Reform. Uns
                                                                     Vorsitzender DEVAP
                                    genutzt werden, das                                               liegt erstmalig die Gesamt­
                                     erreichen wir, wenn Leistun-                                     vision einer sektorenfreien
                                     gen, wie in der Reform                                           Pflegewelt vor.“
                                     vorgesehen, spezifisch nach
    Eva-Maria Güthoff,
    Vorsitzende VKAD
                                     individuellem Bedarf
                                     wählbar sind.“

12 „Aus der Heimstiftung“ 2/2019
Perspektiven

„Die generalistische Ausbildung
  nimmt uns als Arbeitgeber
  in die Verantwortung.“

2020 startet die generalistische Ausbildung in der
Pflege. Was das für Ausbildungsbetriebe, Unterricht
und Pflegepraxis bedeutet und wo die Chancen dieses
Neubeginns liegen, darüber sprechen Gabi Bentrup,
Schulleiterin des Diakonischen Instituts Stuttgart und
Johannes Miller, Hausdirektor des Martin-Haug-Stifts
in Freudenstadt, im Interview.

Frau Bentrup, Sie sind neben Ihrer         benötigt, denn natürlich ist klar, dass man   haben, können aber im 18. bis 21. Monat
Funktion als Schulleiterin auch Mitglied   nicht alle Inhalte der bisherigen drei Aus-   den Schwerpunkt Altenpflege wählen. Für
der Steuerungsgruppe im Sozial- und        bildungen in drei Jahre hineinnehmen          diejenigen, die einen Vertrag in der Kinder-
Kultusministerien für die Umsetzung        kann. Ein Beispiel für eine solche Kompe-     klinik haben, ist der Schwerpunkt Kinder-
der Pflegeberufereform. Können Sie         tenz ist die Kommunikation mit Kollegen       krankenpflege im dritten Ausbildungsjahr
kurz beschreiben, was sich zukünftig       und Angehörigen.                              eine Option. Man muss das Wahlrecht also
grundlegend in der Pflegeausbildung                                                      aktiv in Anspruch nehmen – es besteht
ändert?                                    Wird mit der neuen Ausbildung gar             keine Verpflichtung. Möglich ist die Wahl
                                           keine Spezialisierung mehr möglich            des Schwerpunkts allerdings nur, sofern eine
Gabi Bentrup: Die drei bisherig getrenn-   sein?                                         Kursgröße zustande kommt und entspre-
ten Ausbildungen in der Altenpflege, der                                                 chende Lehrkräfte zur Verfügung stehen.
Gesundheits- und Krankenpflege sowie       Bentrup: Man hat durchaus die Möglich-
der Kinderkrankenpflege werden zu einem    keit, sich zu spezialisieren. Grundsätzlich   Johannes Miller: Viele kleine Schulen
einheitlichen neuen Ausbildungsberuf       ist die Ausbildung so angelegt, dass drei     werden das gar nicht anbieten können. Man
zusammengefasst. Die Ausbildung hat        Jahre generalistisch ausgebildet wird.        wird sehen, wie oft das überhaupt in An-
zum Ziel, übergreifende Kompetenzen zu     Diejenigen, die im Versorgungsbereich         spruch genommen wird. Wer den Schwer-
entwickeln. Kernkompetenzen, die man       Langzeitpflege, also Altenpflegeheim, oder    punkt dennoch wählen möchte, müsste
in allen Versorgungs- und Altersgruppen    in der ambulanten Pflege einen Vertrag        dann gegebenenfalls die Schule wechseln.

                                                                                                          „Aus der Heimstiftung“ 2/2019 13
Perspektiven

                                                    Die Frage würde ich gerne direkt an Sie         Wie wird das ganz konkret aussehen?
                                                    weitergeben, Herr Miller: Was Frau              Wie viele und welche Außeneinsätze
                                                    Bentrup beschreibt, kann ja genauso             wird es geben?
                                                    auch in die andere Richtung passieren.
                                                    Sie haben einen Auszubildenden ange-            Bentrup: Wir haben drei große Fachein-
                                                    stellt und der stellt in seinem Fachein-        sätze. Die sind zum einen im Altenpflege-
                                                    satz im Krankenhaus fest, ich bekomme           heim, also der Langzeitpflege mit 400
                                                    dort vielleicht mehr Geld, mehr Verant-         Stunden, 400 Stunden im Krankenhaus
                                                    wortung, andere Arbeitszeiten, was              und 400 Stunden im ambulanten Pflege-
                                                    auch immer. Sehen Sie in diesem Punkt           dienst. Außerdem 120 Stunden in der
                                                    eher eine Unsicherheit für die Alten-           Psychiatrie, das kann zum Beispiel bei
    Etwas provokant formuliert heißt das,           pflege?                                         Auszubildenden in der Altenhilfe ein ge-
    laut der neuen Ausbildung kann man                                                              rontopsychiatrischer Einsatz sein, auch die
    alles, was zur Spezialisierung notwen-          Miller: Diese Sorge, dass uns Auszubil­         Evangelische Heimstiftung hat zum Bei-
    dig ist, in wenigen Monaten lernen,             dende an die Krankenhäuser verloren             spiel viele beschützende Einrichtungen –
    wofür man früher drei Jahre Zeit hatte?         gehen, habe ich überhaupt nicht. Zum            das wäre eine gute Möglichkeit. Des Wei-
                                                    einen lernen die Auszubildenden ganz            teren gibt es den Einsatz in der Pädiatrie,
    Bentrup: Nein, aber auch nach drei Jahren       unterschiedliche Arbeitsbereiche kennen         also der Kinderkrankenpflege, wobei wir
    Ausbildung waren die Absolventen bisher         und dann merken sie, wofür das Herz             in Deutschland Gott sei Dank nur zwei
    keine Spezialisten. Weder mit der bishe-        mehr schlägt. Manche werden in der              Prozent kranke Kinder haben – in der
    rigen noch mit der neuen Ausbildung.            Kranken- und manche in der Altenpflege          Ausbildung ist das eine Engstelle. Da
    Lediglich die Ausbildung ist abgeschlossen,     landen. Wenn jeder findet, was zu ihm           könnte man zum Beispiel auch mit einem
    Spezialisierung und Erfahrung folgen im         oder ihr am besten passt, dann ist das          Beobachtungsauftrag im Bereich der
    Arbeitsalltag und in vertiefenden Fort­         doch gut. Umso länger sind sie dann mit         kindlichen Entwicklung einen Einsatz in
    bildungen.                                      Freude im Beruf. Außerdem müssen wir            der Kindertagesstätte möglich machen.
                                                    uns nicht verstecken: Wir haben den             Dieser Einsatz wird in den nächsten Jahren
    Das heißt, mit der neuen Ausbildung             besten Personalschlüssel, wir bezahlen          noch 60 Stunden sein, später dann 120
    werden die Absolventen flexibler aber           Einstiegsge­hälter nach der Ausbildung          Stunden – mehr geht immer. Festgelegt ist
    weniger spezifisch ausgebildet sein?            von mehr als 3.000 Euro und außerdem            eine Mindeststundenanzahl.
                                                    bewerten die Auszubildenden nicht aus-
    Bentrup: Es ist auch jetzt schon so, dass       schließlich die Bezahlung. Sie achten auch      Wie gestalten sich die verschiedenen
    Fachkräfte mit abgeschlossener Ausbil-          auf die Ausbildungsqualität und die             Einsatzorte der Auszubildenden in der
    dung in allen drei Versorgungsbereichen         Arbeits­at­mosphäre in allen Einsatzstät­ten,   Praxis – gibt es feste Kooperationen?
    angestellt werden. Zukünftig wird ein           die sie kennenlernen. Da kommen wir als
    Wechsel aber einfacher sein. Das bedeutet,      Arbeitgeber in die Verantwortung.               Miller: Da sind verschiedene Varianten
    wir haben jetzt Abgänger aus der Kranken-       Ich rechne sogar damit, dass wir mehr           denkbar. Wir in Freudenstadt verhandeln
    pflegeschule, denen der häufige Wechsel         Fachkraftbewerbungen haben werden als           zurzeit einen Verbundvertrag. Das heißt,
    der Patienten im Krankenhaus zu viel ist.       bisher, weil es einen großen Personenkreis      es gibt dann einen Ausbildungsverbund,
    Zukünftig, wenn sie dann einen Fachein-         gibt, der plötzlich die Altenpflege kennen-     zu dem gehören die Pflegeschule, das
    satz im Altenpflegeheim hatten, und             lernt. Unsere Auszubildenden hatten im-         Krankenhaus, verschiedene Ausbildungs-
    merken wie wichtig die Beziehungs­pflege        mer schon einen Einsatz im Krankenhaus,         betriebe und Einsatzstellen. Wir haben
    hier ist, kann es durchaus sein, dass jemand,   aber umgekehrt galt das nicht. Das wird         entschieden dazu einen Rahmenvertrag
    der ursprünglich einen Ausbildungs­             bestimmt etwas rütteln. Einige werden           zu schließen, in dem wir gemeinsam
    vertrag im Krankenhaus unterschrieben           dort landen, einige bei uns und wir wer-        überlegen, wie sind die Bedingungen und
    hat, merkt, dass ihm die Langzeitpflege         den in der Sache auf keinen Fall der Ver-       wer soll das Ganze organisieren. Wir wer-
    besser liegt.                                   lierer sein.                                    den an der Schule eine Koordinations­stelle
                                                                                                    haben, die dafür sorgt, dass die Einsatz-
                                                                                                    stellen optimal organisiert sind und dass
                                                                                                    jeder Auszubildende immer weiß wann er
                                                                                                    wo sein wird. Man könnte das auch anders
                                                                                                    angehen. Zum Beispiel über bilaterale

14 „Aus der Heimstiftung“ 2/2019
Perspektiven

Einzelvereinbarungen, sodass zwei Ein-        bedingungen verbessern. Ausbildung ist
richtungen sich immer austauschen.            dann noch mehr wert. Auch die Quali­
                                              fizierung der Praxisanleiter wird sich
Sie sind auch in einer EHS-weiten Ar-         verändern: die Stundenzahl von 200 auf
beitsgruppe zu dem Thema – gibt es            300 angehoben, hinzukommen jährlich
eine allgemeine Gangrichtung?                 24 Stunden berufspädagogische Fortbil-
                                              dung. Wenn man die Arbeitsbedingungen
Miller: Ich vermute, dass es die Form des     in der Pflege dann auch noch stabiler
Verbundvertrags am häufigsten geben           hinbekommt, können wir wirklich zeigen,
wird. In Freudenstadt eignet sich das         dass es ein schöner Beruf ist, der jetzt auch
besonders gut, denn dort gibt es ein Kran-    schon toll ist, aber mit stimmigen Rah-
kenhaus, eine Schule und ganz viele           menbedingungen noch viel mehr Freude            gungsbereichen viel einfacher. Wir wer-
Ausbildungsbetriebe. Andere Regionen          macht.                                          den dennoch auch in Zukunft vielfältige
wie etwa Stuttgart oder Böblingen sind da                                                     Teams haben, weil einfach alle Menschen
komplexer. Zentral kann die EHS beraten       Zum Thema Rahmenbedingungen:                    unterschiedlich sind und verschiedene
und Möglichkeiten aufzeigen, vor Ort          Was ändert sich in den Teams mit der            Schwerpunkte setzen. Jeder kann seinen
müssen dann aber jeweils individuelle         wechselnden Anwesenheit der Auszu-              Platz entsprechend finden und seine
Lösungen gefunden werden.                     bildenden?                                      Stärken einbringen.

Die generalistische Ausbildung stellt         Miller: Das wird sich auswirken auf die         Ist die generalistische Ausbildung also
also ganz deutlich auch große Anforde-        Art und Weise wie man die Auszubilden-          ein Ansatz den Personalmangel in der
rungen an die Ausbildungsbetriebe –           den vor Ort einsetzen kann und will. Ich        Pflege anzugehen?
gerade im Bereich Koordination und            glaube, diese Verbundenheit mit dem
Zusammenarbeit?                               Team vor Ort und der Evangelischen              Bentrup: Ein Ansatz, ja. Um die ganze
                                              Heimstiftung als Arbeitgeber hinzube-           Thematik zu lösen, benötigen wir natür-
Miller: Auf jeden Fall. Da ist zum einen      kommen, ist extrem wichtig und das wird         lich weitere Maßnahmen wie stabilere
die Koordination im Verbund: wer ist          ein Schlüssel dazu sein, dass die Menschen      nachhaltige Arbeitsbedingungen und
wann wo. Aber auch innerhalb des Aus-         später bei uns arbeiten wollen. Den per-        verbindliche Personalschlüssel. Außerdem
bildungsbetriebes. Wir haben ja dann          sönlichen Bezug zu Menschen zu bekom-           ist die Pflege eine gesellschaftliche Auf­
zukünftig mehrere eigene Auszubildende,       men, berufliche Vorbilder zu haben, das         gabe. Deshalb müssen, so finde ich, die
die zum Teil bei uns, zum Teil bei anderen    ist auch Teil des Ausbildungskonzepts.          Kosten gerechter verteilt werden. Da
im Einsatz sind, wir werden aber auch         Denn später, in der Entscheidung für            müssen wir alle ran.
ständig Auszubildende aus anderen Betrie-     einen Arbeitgeber, wird es zum einen um
ben haben, die bei uns ihren Pflichteinsatz   Faktoren wie den Wohnort gehen, aber            Miller: Natürlich löst die generalistische
absolvieren. Alle müssen optimal ange-        auch sehr stark darum, wo habe ich mich         Ausbildung nicht die gesamte Problematik
leitet und eingesetzt sein. Konzeptionell     wohlgefühlt, wo war ich eingebunden und         aber wir als großer Altenhilfeträger müs-
also viel Arbeit, aber definitiv eine Chan-   das haben wir mit in der Hand.                  sen Antworten auf den demografischen
ce, bestehende Konzepte auch weiterzu-                                                        Wandel finden. Die finden wir durch in-
entwickeln. Außerdem kommen wir in            Bentrup: In der Pflegepraxis, in der Lang-      novative Wohn- und Pflegekonzepte aber
eine Wettbewerbssituation und ein Wett-       zeitpflege wie auch in der Akutpflege,          eben auch durch vielfältige Maßnahmen
bewerb erhöht nicht zuletzt häufig die        haben wir auch heute schon gemischte            der Mitarbeitergewinnung und -entwick-
Qualität.                                     Teams. Noch stärker bei uns in der Lang-        lung. Ausbildung ist dabei ein sehr wich-
                                              zeitpflege. Teams, in denen Altenpfleger        tiger Baustein – je hochwertiger, desto
Bentrup: Darin steckt definitiv eine Chan-    genauso wie Gesundheits- und Kranken-           besser. Wie wir diese Ausbildung dann
ce. Allein dadurch, dass in Ausbildungs-      pfleger arbeiten und durchaus auch Kolle-       nennen und aufbauen hat immer Vor-
und Prüfungsverordnung, aber auch im          gen aus der Kinderkrankenpflege. Jeder          und Nachteile, aber, wenn wir das Beste
Gesetz, festgehalten ist, dass mindestens     hat seinen Schwerpunkt, aufgrund der            daraus machen, können wir sowohl mit
zehn Prozent der Arbeitszeit eines Auszu-     bisherigen Erfahrung. Aber wenn zukünf-         der Generalistik als auch mit der Alten-
bildenden im Praxiseinsatz Anleitungszeit     tig alle in der Ausbildung die gleichen         pflegeausbildung erfolgreich sein, wir
sein muss und das auch dokumentiert und       Kernkompetenzen geschult bekommen,              müssen es nur optimal umsetzen und die
geprüft wird, zeigt, dass sich die Rahmen-    wird der Wechsel zwischen den Versor-           Herausforderung annehmen.

                                                                                                              „Aus der Heimstiftung“ 2/2019 15
Perspektiven

   Neue Wege gehen
   Was ein Hackathon mit Nachbarschaftshilfe zu tun hat

                                   Die Idee des Hackathons kommt ursprünglich aus         lich bearbeitet wird, hängt von der Präsentation ab,
                                   Kanada und setzt sich aus den Wörtern Hacking          denn erst dann entscheiden die Teilnehmer darü-
                                   und Marathon zusammen. Eine Gruppe von Infor-          ber, welche Themen sie bearbeiten.
                                   matikern beschäftigte sich hierbei klassischerweise
                                   48 Stunden (angelehnt an die Distanz eines Mara-       Erstmals hat sich nun auch das Innovationszen-
                                   thons) mit der Entwicklung neuer Soft- oder Hard-      trum der EHS an einem solchen Hackathon im
                                   ware. Die Idee ist, in interdisziplinären Teams,       Gesundheitswesen beteiligt. „Der Idee folgend, über
                                   deren Mitglieder beziehungsweise Hacker sich nicht     den Tellerrand zu blicken, haben wir zunächst im
                                   kennen, über den Tellerrand zu blicken und neue        Innovationszentrum erste Ideen entwickelt und
                                   Lösungsansätze zu entwickeln.                          dann in einem Team mit unterschiedlichsten,
                                                                                          abteilungsfernen Personen der EHS diskutiert.
                                   Der Zusammenschluss healthcare futurists hat           So entstand für den zweiminütigen Pitch die
                                   diesen Ansatz nun auf das Gesundheitswesen über-       Geschichte von Robin Hood und Robina Neigh-
                                   tragen und agiert weltweit. Die Idee: Organisati-      bour-Hood, die sich im Quartier mit ehrenamtlich
                                   onen stellen Themenfelder, so genannte Challen-        Tätigen austauschen möchten“, erklärt Dr. Susan
                                   ges, zur Verfügung. Die Organisationen fungieren       Smeaton, Leiterin des Innovationszentrums.
                                   als Sponsoren – ob ihre jeweilige Challenge tatsäch-

   Die Challenge
   Robin und Robina (Neighbour-) Hood wollen die Gemeinschaft und den
   Austausch zwischen Bürgerinnen und Bürgern allen Alters wieder herstellen.
   Herr Müller (80 Jahre) bittet seinen Nachbarn Robin, ihn am Montagmorgen
   zum Arzt zu bringen. Frau Müller (76 Jahre) kümmert sich einmal in der
   Woche um das Kind von Robin, während Robina mit Frau Aitken (52) schwim-
   men geht, damit sie nicht immer alleine ist. Es gibt so viel zu tun.

   Nachbarschaftsengagement ist so wichtig und es gibt viele Anknüpfungs-
   punkte. Bisher wissen wir jedoch nicht, welche Faktoren dazu führen,
   Menschen für ein Engagement zu gewinnen.

   Wie können wir für Bürgerinnen und Bürgern erlebbar machen, dass Nach-
   barschaftshilfe eine sinnstiftende Aufgabe ist, die allen Beteiligten einen
   Mehrwert bietet? Wie können wir Menschen allen Alters einbeziehen?

16 „Aus der Heimstiftung“ 2/2019
Perspektiven

In einem zweiminütigen Pitch wurde die Challen-       Auf den ersten Blick scheint dies genau der Vorge-
ge vor Ort vorgestellt. Softwareentwickler und        hensweise zu entsprechen, die von der EHS in
Mitarbeitende aus dem Gesundheitswesen bewar-         Betracht gezogen wurde, nämlich potentielle
ben sich für eine kombinierte Challenge der           Bedürfnisse zu erfragen und eine Quartiers-Platt-
BruderhausDiakonie zum Thema Partizipation            form zu erstellen. Was war also neu? „Neu war die
und der EHS mit dem Thema Nachbarschaftsen-           schlichte Überlegung, dass die Plattform selbst
gagement. Die Ergebnisse stehen in einem unmit-       nicht nur als Koordinationsinstrument dient,
telbaren Zusammenhang mit der Qualifikation der       sondern darüber hinaus auch durch die Gestaltung
Bewerber und sind rein zufällig. Allgemein gilt, je   als Instrument für eine Gewinnung von ehren­
vielfältiger die Teams, desto kreativer. Die Teams    amtlich Tätigen betrachtet wird. Bürgerschaftlich
arbeiteten ab diesem Zeitpunkt weitgehend selbst-     Engagierte – vor allem junge Menschen – lassen
ständig und ohne Einfluss der Hosts (Ersteller der    sich vor allem online gewinnen. Allein das Konzept
Challenge) an möglichen Problemlösungen. So           einer Plattform überzeugt“, erläutert Dr. Susan
genannte Coaches mit Expertenwissen zu den            Smeaton, Leiterin des Referats Innovationszentrum
jeweiligen Themen standen den Teams außerdem          der EHS, die Ergebnisse.
für Rückfragen bereit.
                                                      Die Ergebnisse des Hackathons sollen in ein
Ergebnisse der Challenge                              geplantes gemeinsames Projekt der Evangelischen
Das Team setzte sich aus unterschiedlichen Diszi-     Heimstiftung mit dem Forschungszentrum Infor-
plinen (Neurobiologie, Informatik, Psychologie)       matik in Karlsruhe und dem Helfer-Portal in
zusammen. Insgesamt konnten sieben Personen für       München zur Gewinnung von Personen für ein
die Challenge gewonnen werden. Das Team entwi-        Bürgerschaftsengagement einfließen.
ckelte Ansätze für eine Quartiers-Plattform mit
einer Kommunikationsmöglichkeit, über die sich
Helfende sowie die Hilfesuchenden vernetzen und
miteinander kommunizieren können. Um die
Bedürfnisse von bürgerschaftlich Engagierten zu
erfassen, entschied sich das Team, Personen auf der
Straße vor Ort zu befragen. Ebenso wurde nach
vorhandenen Plattformen recherchiert. Ein erstes
Template wurde erstellt. Dabei lag das Hauptaugen-
merk darauf, die Oberfläche so einfach wie möglich
zu gestalten, damit die Handhabung kein Hindernis
für die Ausübung des Ehrenamts darstellt. Gleich-
zeitig soll sie aber auch ansprechend für jüngere
Personen sein.

                                                                                                           „Aus der Heimstiftung“ 2/2019 17
Impuls

         Biblische Jahreslosung 2020

   „Ich glaube;
     hilf meinem
     Unglauben!“
        (Markus-Evangelium 9,24)

                                   „Woran glauben Sie?“ – hat zum Stuttgarter Kir-         che geschenkt, die mich Worte finden ließ, als es
                                   chentag eine Zeitung Prominente gefragt.                mir die Sprache verschlug. Er ist die Lesehilfe, mit
                                   Eine Volleyballspielerin hat geantwortet: „Ich          der ich meinen Alltag deuten und verstehen kann.
                                   glaube, dass man nach Rückschlägen immer
                                   wieder aufstehen und weiter kämpfen muss“. Eine         Es geht beim Glauben nicht um ein objektives
                                   TV-Moderatorin: „Ich glaube, wer vertrauen kann,        Wissen, das unerschütterlich ist. Wie etwa in der
                                   lebt glücklicher“. Ein Model: „Ich glaube daran, dass   Naturwissenschaft. Und selbst da sind schon ganze
                                   jeder für sein eigenes Glück verantwortlich ist“.       Systeme zerbrochen. Es geht beim Glauben um ein
                                   Ein Comedian: „Ich würde gerne an Astrologie            Vertrauen, das verletzlich ist. Um eine Beziehung,
                                   glauben, aber das Sternzeichen Löwe glaubt nicht        die sich immer wieder neu bewähren muss. „Glau-
                                   an Astrologie“. Die Sport- und Kulturbürgermeis­        ben“ kommt von „geloben“, was früher bedeutete:
                                   terin: „Ich glaube an die Möglichkeit, Dinge zu         sich einander anzuvertrauen, einander geloben,
                                   verändern“. Der Autor von „Äffle & Pferdle“: „Glau-     immer für einander da zu sein. Wenn zwei sich
                                   be nicht alles, was du denkst!“                         verloben, tun sie das. Sie versprechen sich Liebe und
                                                                                           Treue und bedingungsloses Dasein füreinander. Für
                                   Ganz verschiedene Antworten, die nicht auf einen        „Glauben“ und „Vertrauen“ steht in der Bibel das-
                                   Nenner zu bringen sind. Deutlich wird: Was wir          selbe Wort. Glauben heißt nichts anders als: Ich
                                   Menschen persönlich glauben, hat mit unserer            vertraue mich Gott an. Ich muss nicht alles selbst
                                   Lebensgeschichte zu tun. Der Glaube lebt von            machen und können, sondern ich spüre: du, Gott,
                                   Erfahrungen. Mein Glaube hat sich bewährt, als es       bist an meiner Seite. Mit dir kann ich über Mauern
                                   mir schlecht ging. Aber auch als ich glücklich war.     springen. Alles ist möglich, wenn du bei mir bist!
                                   Er hat mir geholfen, etwas auszudrücken, was über       So hat Glauben viel zu tun mit Loslassen. Den Wahn
                                   meinen Verstand hinaus ging. Er hat mir eine Spra-      loslassen, alles liege nur an einem selbst.

18 „Aus der Heimstiftung“ 2/2019
Impuls

Wie das geht, zeigt die Geschichte aus dem Markus­     „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“
evangelium, in dem das biblische Motto für das         Es gibt diese beiden Seiten in uns: Glaube und
Jahr 2020 steht. Hier wird erzählt von einem Mann,     Vertrauen – und auf der anderen Seite Misstrauen
der für seinen schwer kranken Sohn Heilung bei         und Zweifel. Und so unterschiedlich die beiden
Jesus sucht. Er findet zunächst nur die Jünger Jesu,   sind, so nah liegen sie doch manchmal neben­
die nicht helfen können. Dann kommt Jesus und          einander.
erlebt einen schlimmen epileptischen Anfall des        „Ich glaube“
Sohnes mit. Mit seiner ganzen Verzweiflung bittet      – das führt in den Himmel.
der Vater für sein Kind und für sich selbst:           „Hilf meinem Unglauben!“
„Wenn du etwas kannst, so erbarme                      – das holt mich zurück auf die Erde.                     Pfarrer Dr. Thomas Mäule,
dich unser und hilf uns!“                              „Ich glaube“                                             Leiter der Stabsstelle
                                                                                                                Theologie und Ethik der EHS.
Jesus beantwortet die verzweifelte Bitte mit den       – da hole ich selber Schwung, da traue ich mich, da
Worten:                                                vertraue ich mich Jesus an.
„Alles ist möglich dem, der da glaubt“.                „Hilf meinem Unglauben!“
Und er sagt dem Vater damit: Lass los. Erst wenn       – da bin ich mir nicht sicher, ob mein Glaube trägt.
du deine Sorgen, deine Ängste, deine eigenen Ver-      Zweifel holen mich ein, bremsen mich ab. In der
krampfung sein lässt, besteht eine Chance, dass        Mitte des Satzes zwischen dem
wieder alles gut wird. Erst wenn du dich befreist      „Ich glaube“
von deiner Fixierung auf das Problem, erst wenn        und dem
du anfängst, dich in der Tiefe Gott zuzuwenden         „Unglauben“,
und ihm etwas zutraust, wirst du merken, dass da       sozusagen ganz unten, am tiefsten Punkt der Schau-
noch ganz andere Kräfte als deine eigenen im Spiel     kel, steht das vielleicht wichtigste Wort:
sind. Gottvertrauen ist der Schlüssel zur Befreiung.   „Hilf!“
Der Vater des kranken Kindes antwortet daraufhin       Die Bitte: Stups mich an. Jesus, gib mir Schwung,
mit einem rätselhaften Satz:                           dass ich wieder hoch komme, Trost finde und Mut.
„Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“                   Zwischen Glauben und Unglauben steht die Bitte:
So schreit er in seiner Verzweiflung Jesus an. Für     „Hilf mir!“
mich ist das ein Schlüsselsatz in der Geschichte.      Glaube gibt es ja nicht wie in einem Ausweis,
Denn wer könnte nicht manchmal so schreien? Ich        auf dem steht: ich glaube. Wir haben unseren
will glauben und vertrauen. Ich suche nach Spuren      Glauben nur in dieser Spannung. Er wächst und
Gottes auf dieser Welt. Ich möchte mich gerne          wird gestärkt in dieser vertrauensvollen Bitte:
geborgen fühlen bei ihm, möchte mich fallenlassen      „Hilf mir!“
können und gehalten wissen. Ich will Gott spüren
in meinem Leben – aber es gibt Zeiten, da kann ich     „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“
das nicht. Zweifel nagen: gibt es ihn überhaupt,       Das öffnet den Blick für neue Lebensmöglichkeiten.
diesen persönlichen Gott? Hört er unsere Gebete?       Das macht gelassener und mutiger. Ich verliere die
Kennt er unsere Sorgen? Wo ist er?                     Angst, mein Gesicht zu verlieren. Ich gewinne Mut,
                                                       mich aufzumachen und etwas zu riskieren. Und
                                                       weiß doch, dass der Erfolg nicht garantiert wird.
                                                       Die Jahreslosung 2020 lädt dazu ein: sich leiten
                                                       zu lassen vom Gottvertrauen. Sich mutig aufzu­
                                                       machen. Neues im Geist Christi zu wagen. Und
                                                       doch zugleich auf das Kreuz zu schauen und die
                                                       Grenzen zu erkennen. Wir sind Menschen, nicht
                                                       Gott. Wir können nur bitten und beten:
                                                       „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“
                                                       Und darauf vertrauen, dass wir am Ende die
                                                       unglaubliche Erfahrung machen:
                                                       „Alles ist möglich dem, der da glaubt.“

                                                                                                              „Aus der Heimstiftung“ 2/2019 19
Aus der Heimstiftung

    Innovation in der Pflege – ein Praxisbericht

    20 Teilnehmer, bereits drei Mitarbeiter mit
    vollständig abgeschlossenen Zertifikaten –
    das ist die Zwischenbilanz der Kooperation
    des Haus am Maienplatz mit dem Start-up
    SuperNurse. Mit der App können Mitarbeiter
    aus der Pflege spielerisch ihr Fachwissen in
    verschiedenen Bereichen testen und erwei-
    tern. „Insgesamt elf Zertifikate kann man mit
    SuperNurse erreichen, wenn man alle Quiz-
    fragen besteht“, erklärt Cosmina Halmageanu,
    Hausdirektorin des Haus am Maienplatz in
    Böblingen. „Gerade bei Themen, die sich
    immer wieder verändern oder aktualisieren
    ist es eine Herausforderung, zu jeder Zeit auf
    dem neuesten Stand zu sein.“ Die App hilft hier
    weiter und bietet die Möglichkeit zur zeitlich
    unabhängigen Weiterbildung und Festigung
    des Fachwissens. „Wir haben noch einen
    zusätzlichen Anreiz geschaffen: Wer alle
    Zertifikate abgeschlossen hat, bekommt einen
    zusätzlichen Tag Fortbildungsurlaub. Drei
    Mitarbeiter haben diesen bereits in Anspruch
    genommen. Besonders schön zu sehen ist
    auch der Austausch im Team: jüngere helfen
    älteren, Teilnehmer motivieren ihre Kolle-
    ginnen und Kollegen. Das ist auch gleichzeitig
    eine gute Vorbereitung darauf, wenn es in der
    Zukunft weitere Fortbildungsangebote in
    Form von E-Learning geben wird“, erzählt          Mitarbeiter des Haus am Maienplatz testen die App SuperNurse.
    Cosmina Halmageanu.

    Seit April diesen Jahres kooperieren zahlreiche   individuell an Gangbild und Analyse des               braucht Zeit – zu der Analyse gehört unter
    Einrichtungen der EHS mit Start-ups aus der       jeweiligen Bewohners orientieren, sind das            anderem auch ein umfassender Fragebogen,
    Pflegebranche. Neben „SuperNurse“ kommt           Ergebnis. „Pflegekräfte und Bewohner kom-             da mussten wir uns zunächst etwas auspro-
    auch „Lindera“ bereits zum Einsatz. Die App       munizieren so ganz aktiv und die Rückmel-             bieren wie wir vor allem zeitlich am besten
    erstellt mittels 3D-Video eine Analyse zur        dungen erfolgen unmittelbar anhand der                damit umgehen, aber wir haben uns schon
    Sturzprävention. Verwendet wird die App           persönlichen Videoaufzeichnung, das schafft           ganz gut eingespielt. Viele neue Bewohner,
    bereits im Haus auf dem Wimberg in Calw.          eine ganz andere Argumentationsgrundlage.             denen wir von dem Angebot erzählen, sind
    „Wir haben inzwischen bereits 15 Analysen         Der Bewohner kann seine Gefahrenstellen so            sehr offen und erklären sich direkt einver­
    gemacht und sind auch weiter dabei. Einige        im Video selbst sehen.“ Empfehlungen werden           standen mitzumachen.“
    Bewohner sind schon zunächst skeptisch und        abgeleitet, doch die Entscheidung über die
    natürlich ist die Teilnahme jedem selbst über-    Umsetzung liegt bei den Bewohnern selbst –
    lassen – wir machen aber sehr positive Erfah-     sie können aus dem Angebot der Maßnahmen
    rungen“, berichtet Monika Volaric, Hausdirek-     wählen. „Natürlich gibt es auch kritische
    torin in Calw. Gezielte und persönliche           Stimmen von Bewohnern und Angehörigen
    Empfehlungen zur Sturzprävention, die sich        und so einen neuen Prozess zu etablieren

20 „Aus der Heimstiftung“ 2/2019
Aus der Heimstiftung

 erluste in Sprache fassen – mit der Seelenapotheke
V
Evangelische Heimstiftung bringt Buch über Trauerrituale heraus

Trauernde sind sprachsensibel. Es braucht
Worte und Ausdrucksformen, um in der
Fassungslosigkeit gefasster zu werden. Die
Evangelische Heimstiftung (EHS) hat eine
Textsammlung für Gedenkfeiern heraus-
gebracht und sie „Eine Seelenapotheke“
genannt – in Anlehnung an Erich Kästners
Lyrische Hausapotheke und mit thera­
peutischer, seelsorglicher und kulturell
aufklärender Funktion. Der Umgang mit
Trauer und die Begegnung mit Trauernden
bergen für alle Beteiligten oft schwierige
und verunsichernde Situationen. Trauernde
selbst befinden sich in einer ambivalenten
Verfassung zwischen reden und schweigen
wollen. Ein achtsames Wort, eine angemes-
sene Geste tut gut. Die Gefahr, sich in
Floskeln zu flüchten, ist groß. Die richtigen   Blumhardt, Eduard Mörike, Antoine de           feiern ermutigen und all jene, die den
Worte zu finden ist eine Herausforderung.       Saint-Exúpery, Mascha Kaleko, Dietrich         Versuch wagen, dabei unterstützen. Aus
Was kann den Sprachabgrund des Todes            Bonhoeffer, Albrecht Goes, Margot Käß-         der Fülle von Texten lässt sich das Passende
überbrücken? Vorgestanzte Beileidskarten        mann und Fulbert Steffensky. Ergänzt           auswählen und durch Bilder, Lieder, Musik
spiegeln die Überforderung wider, pas-          werden die Texte mit 20 Landschaftsbildern     ergänzen. Das Buch kann aber auch Trost
sende Worte zu finden, wie auch das             von der Schwäbischen Alb. Die Wirkung          für diejenigen sein, die von einem geliebten
Mühen um einen Kontakt. Die Ambivalenz          von Text und Bild nachzuempfinden, kann        Menschen Abschied nehmen müssen.
und Verunsicherung – und auch ein miss-         therapeutische, seelsorgliche und nicht
glücktes Wort – sollten einen nicht zurück-     zuletzt auch eine kulturell aufklärende        Buchhinweis:
schrecken lassen, immer wieder neu              Funktion haben – eben eine „Apotheke für       Christian Buchholz / Thomas Mäule (Hg.):
Sprachversuche zu wagen.                        die Seele“ sein (so Erich Kästner im Vorwort   Eine Seelenapotheke. Texte zum Abschied
                                                zu seiner „Lyrischen Hausapotheke“). Die       vom Leben. Manuela Kinzel Verlag,
Die Evangelischen Heimstiftung hat nun          „Seelenapotheke“ möchte zum Totenge-           Göppingen 2019, 230 Seiten.
ein zu verwandten Texten veröffentlicht.        dächtnis und zur Gestaltung von Gedenk-        ISBN 978-3-95544-108-1.
Die Palette der Texte ist breit: chronolo-
gisch vom 10. Jahrhundert vor Christus an
bis in unsere Gegenwart, von areligiöser
Atmosphäre geprägt bis hin zu äußerst
frommen Ausdrucksformen, von hindu­             Unternehmer-Netzwerktreffen 2019
istischer und muslimischer Tradition bis zu
christlich-biblischen Texten, in Tageszei-      Am 16. Oktober 2019 waren die Teilnehmer       derung und Qualifizierung sowie das neue
tungen, bei Traueranzeigen und auf Fried-       des Unternehmer-Netzwerktreffen zu Gast        Fachkräftezuwanderungsgesetz. Abge-
höfen entdeckt. Die Sammlung umfasst            im Haus am Maienplatz in Böblingen. Zum        schlossen wurden die Referate mit Fragen,
rund 200 Texte, unter anderem von               offiziellen Beginn trafen sich die Teilneh-    Terminen und Informationen. Nach so viel
Berthold Brecht, Hermann Hesse, Carl            mer der einzelnen Unternehmen und              Theorie war das Buffet mit Fingerfood ein
Zuckmayer, Erich Kästner, Rainer Maria          Behörden, nach einer Führung durch das         krönender Abschluss, dieses informativen
Rilke, Marie-Luise Kaschnitz, Mascha            Haus, im Festsaal. Referenten sprachen zu      Abends. Mit vielen Gesprächen und Begeg-
Kaléko, Hilde Domin, Navid Kermani, Arno        den Themen Gewinnung und Sicherung             nungen fand das Netzwerktreffen seinen
Geiger, Herta Müller, Johann Christoph          internationaler Arbeitskräfte, Sprachför-      Abschluss.

                                                                                                                  „Aus der Heimstiftung“ 2/2019 21
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