NR.51/JULIBISOKTOBER2018 D - Inform Magazin

Die Seite wird erstellt Vanessa-Hortensia Schmidt
 
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NR.51/JULIBISOKTOBER2018 D - Inform Magazin
NR. 51 / JULI BIS OKTOBER 2018   D   R   A   U   S   S   E   N
NR.51/JULIBISOKTOBER2018 D - Inform Magazin
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     bl

                       bis 5 m hoch 
schu                                                                                                              design pur . . .

                                                                                                               fein-modular . . .
                                                                                                                  individuell . . .
                                                                                                                  nachhaltig . . .

                                                                                   
                                                                                    150
                                                                                   
                                                                                   

                                                                                    240
                                                                    45/90°
                                                                                  
                                                                                   
                                                     19
                                                                                                          einfacher aufbau . . .
                                                                                    330                               alleine . . .
                                                                                                          ohne werkzeuge . . .
                                          100 kg                                                              online-planer . . .
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                       mocoba - classic

                                                                                                 lassen sie sich begeistern . . .
                                                       19                                              im fachhandel und . . .
                                                                                                                          auf . . .

                                                                                                     mocoba.com
                                                                                   
                                                                                    50/100
                                                                                   
                                                            330   
                                                            505    
               . . . unendlich viele möglichkeiten . . . für ihren individuellen bedarf . . .

                         mocoba · goethestraße 59 · 73525 schwäbisch gmünd
                              telefon 07171. 63343 · info@mocoba.de
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         Fes                        uhl i 20 1 8 , 1  4
                      13. bis 15. J
                                 a u b a n
                                            Porte de Belf
                                           , 7 Place de la
                                                          ort
                      Mu s é e V

Musik
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HOPLA GUY
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ZWEIERPASC
             TROL
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 und weitere G
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 Workshops
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  Medienkuns
                  tionen
  Videoinstalla           ü n stlerInnen
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  oberrhe

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   www.f
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Waldshut. Wir freuen uns auf Ihren Besuch.

Seipp Wohnen, Waldshut, Bismarckstraße 35 + Tiengen, Schaffhauser Straße 36, www.seipp.com
NR.51/JULIBISOKTOBER2018 D - Inform Magazin
inhalt                                           editorial DRAUSSEN

6    thema.                                      Jetzt holt die Stadt auf. Nicht nur, dass sie auf mehr Häuser,
     Nike U. Breyer:
     Ohne Moos nix los                           Menschen, Kriminalität, Autos, Lärm, Fremde, Discos,
                                                 Feinstaub und Restaurants verweisen kann als die Pro-
14   persona.                                    vinz, nein, jetzt besinnt sie sich aufs DRAUSSEN und aufs
     Naturkunde
     Im Gespräch mit Xiaoqun Wu                  DRAUSSENSEIN. Und damit ist nicht nur gemeint, mög-
     und Oliver Hischier                         lichst weit weg als Tourist frische Luft zu schnappen, son-
18   novum.                                      dern nun will man daheim, in der verdichteten Stadt mal
     Wolkengärten / Singapur                     gucken, ob man vielleicht ins Gespräch kommt mit dem
     Bewegte Natur / Sibratsgfäll
                                                 Nachbarn oder anderen Gestalten. Dazu braucht es kleine
20   text.                                       Geschäfte, Cafés und Kneipen, heimelige Plätze und viel
     Buchtipps                                   Grün, und vor allem: Autos raus, Fahrräder rein. Die Skan-
24   werkraum.
                                                 dinavier waren Vorreiter. Ebenfalls ganz vorne dabei bei
     Alphabet des Lebens                         den grünsten Städten: Bristol, Amsterdam und Berlin. In
                                                 München räkeln sich die Nackerten schon seit Jahrzehnten
26   spezial.
     Draußen                                     auf den Wiesn und die Surfer reiten die Isarwelle als gäbe
                                                 es keine Beton-Begrenzung rechts und links. Nun möchten
28   fokus.                                      auch Stadtplaner weniger pittoresker Metropolen ihren Ein-
     Hartmann, Wien
                                                 wohnern mehr bieten als nur Stadtstress. Sogar eigens für
30   campus.                                     das heilige Auto konzipierte Städte wie Pforzheim beginnen
     EMMA – Kreativzentrum Pforzheim
                                                 in jüngster Zeit, ekstatisch zu begrünen, zu entsiegeln. Beim
32   campus.                                     Urban Gardening und mit der Einführung der Permakultur
     New Design University St. Pölten            zeigen die Städter – umzingelt von Pendlersiedlungen und
                                                 Agrarwüste – den Landwirten, wie man begeistert und vor
34   campus.
     Im Gespräch mit Andrea Moya Hoke            allem ökologisch Gemüse anbaut und den Förstern, was
     New Design University St. Pölten
                                                 Arten­v ielfalt ist.
35   campus.                                            Amseln, Meisen und Grashüpfer singen und schreien
     Hochschule für Gestaltung und Kunst
     FHNW Basel                                  in der Stadt höher, um sich gegen den Lärm zu behaupten.
                                                 Gespinstmotten in Basel finden helles Licht bei Nacht nur
36   spotlight.                                  halb so spannend wie ihre Artgenossen vom Land und
     Empfehlungen und Adressen
                                                 gewiefte Stadtvögel, die in ihren Nestern Zigarettenkippen
36   Die Künstlerbrille®                         verbauen, leiden möglicherweise weniger an Ektoparasiten.
     Denken, lernen und arbeiten – vor der Tür   Was sich gesundheitlich sonst noch bei ihnen tut, ist nicht
39   friends of carlotta.                        bekannt. Ansonsten werden Leoparden in Mumbai, Kojoten
     Darwins Darlings – Evolution 2.0            in Chicago gesichtet, und in Berlin begegnet man nachts
                                                 Wildschweinen und Füchsen, die nur bei Grün über die
40   tipps.
     Aktuelle Ausstellungen                      Ampel gehen. Es lohnt sich also mittlerweile, einen Fuß vor
                                                 die Tür zu setzen. ❧
49   messetipps.
     Messen und Events
                                                 Am besten nehmen Sie dieses Heft gleich mit. Im Gegen-
51   agenda.                                     satz zum Smartphone-Screen lässt es sich nämlich auch bei
     Termine von von Juli bis Oktober 2018
                                                 grellem Sonnenlicht gut lesen. Spannende Entdeckungen
53   impressum.                                  wünschen
                                                 Thomas Hirtenfelder und Björn Barg

DRAUSSEN                                                                                                     5
NR.51/JULIBISOKTOBER2018 D - Inform Magazin
thema

Ohne Moos nix los
Aufbruch ins Grüne /
alte und neue
Designkonzepte
Nike U. Breyer

                       • Outdoor ist überall. Auch wer weder klettert, wan-
                       dert, segelt oder surft, weder Mountainbike fährt
                       noch Wildwasserkanu, hat zu Hause mindestens eine
                       ultraleichte Fleecejacke oder eine wetterfeste Klima-
                       membran-Outdoorjacke im Kleiderschrank. Diese
                       praktischen Kleidungsstücke haben nicht nur klare
                       Tragevorzüge, sondern bringen auch einen Hauch
                       Abenteuer in unseren Großstadtalltag. Dabei hat die-
                       ser Großraumtrend längst auch den Bereich Leben
                       und Wohnen erreicht – und zieht unseren Blick mag-
                       netisch aus den eigenen vier Wänden hinaus „ins
                       Grüne“. Seit eh und je, so scheint es, wird ein Draußen
                       mit Gesundheit, Natürlichkeit und last but not least
                       mit Freiheit assoziiert, wenn nicht übermütig damit
                       gleichgesetzt. In jedem Fall wird es als vergnügliche
                       Erweiterung des Lebens vorgestellt, weshalb „Out-
                       door“-Produkte und -Aktivitäten unbedingt in unse-
                       ren begrenzten modernen Lebensradius hineinge-
                       presst werden. Reine Mode? Genau besehen hat dieser
                       von unbestimmten Erwartungen geprägte Hunger
                       nach „draußen“ eine recht überschaubare Tradition.
                       In eine prägende Form gegossen hat ihn der franzö-
                       sische Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712–1778),
                       der die Natur als idealen unschuldigen Raum und
                       Zustand entwarf und einer von Zwängen und Kom-
                       promissen geprägten menschengemachten Gesell-
                       schaft gegenüberstellte, ein Jahrhundert später gefolgt   Von der Naturgewalt zum locus amoenus
                       vom amerikanischen Schriftsteller Henry David Tho-        Aber stimmt diese romantisch gedachte Polarität?
                       reau (1817–1862), der 1854 mit seinem Buch „Walden.       Historisch machte erst die Erfahrung eines „drinnen“
                       Life in the woods“ über sein Experiment eines „alter-     ein Bild vom „draußen“ möglich – und dieses war
                       nativen“ Lebens berichtete und damit zivilisations-       keineswegs immer schon gegeben. Bevor Menschen
                       müde Zeitgenossen begeisterte. Mit diesem griffig         die Schönheit der Natur entdeckten, war der Unter-
                       konstruierten Gegensatzpaar vom Leben in „grauer          schlupf der Sehnsuchtsort schlechthin. Denn die-
                       Städte Mauern“, wie ein altes Wandervogel-­Lied titelt,   ser bot Schutz vor Bedrohung durch Kälte, Unwetter
                       versus ein besseres „grünes”“ Leben in und mit der        und wilde Tiere. Die archäologischen Funde sprechen
                       Natur, etablierte sich eine wirkmächtige Denkfigur,       dafür, dass die ersten Behausungen nicht Höhlen gewe-
                       die hart am Klischee unsere Vorstellungen vom Men-        sen sind, wie man lange Zeit dachte, sondern je nach
                       schen und der Gesellschaft nachhaltig, zum Teil bis       geografischer Lage Zelte aus Tierfellen oder proviso-
                       heute, geprägt hat.                                       rische Hütten aus Zweigen und Blättern sowie schüt-

                 07-10/2018
NR.51/JULIBISOKTOBER2018 D - Inform Magazin
zende Felsvorsprünge. Höhlen, in denen sich Knochen       den ersten öffentlichen Park, den 55 v. Chr. der Feld-   Mit dem Flair von Orangerie und
und menschliche Artefakte über zehntausende von           herr und Politiker Gnaeus Pompeius Magnus in Rom         Palmenhaus. Warum ein Gewächs-
                                                                                                                   haus nicht als Arbeitsplatz im
Jahren erhalten haben, dienten eher kultischen Zwe-       anlegte. Seit dieser Zeit geisterte auch der Topos vom
                                                                                                                   Grünen nutzen? Dieses Gewächs-
cken. Als die Menschen in der Neolithischen Revolu-       Locus amoenus (lat. für lieblicher Ort) als paradie-     haus der Luxusklasse von dem
tion vor ca. 10.000 Jahren begannen, statt zu jagen und   sähnlicher Ort mit Blumenwiese, Baum und Brunnen         italienischen Hersteller Unopiù
zu sammeln den Boden zu bestellen, entstanden auch        durch die Literatur der Spätantike und des Mittelal-     besteht im selbst­tragenden Gerüst
die ersten festen Häuser aus Holz, Lehm und Stein.        ters. Über tatsächliche Ziergärten wissen wir in die-    aus verzinktem puverbeschichteten
                                                                                                                   Eisen und kann durch Polykar-
Die ersten Gärten, die nicht mehr die Natur/Gewalt,       ser Zeit wenig.                                          bonatpaneele, dazu gehören Tür
sondern die Schönheit der Natur spiegelten, sind uns                                                               und Fenster, nach Wunsch variiert
aus dem alten Ägyptern aus der Zeit um 2.000 v. Chr.      Natur mal zwei                                           werden. Foto: Unopiù
bekannt, vergleichbar ähnlichen Anlagen im Zweis-         Zum festen Bestandteil architektonischer Gestaltung
tromland. Ausdruck eines entscheidenden Perspek-          wurde der Garten mit der Renaissance. Natur präsen-
tivenwechsels. Im römischen Reich sehen wir später        tierte sich dem Menschen nun in zwei Erscheinungs-

DRAUSSEN                                                                                                                                           7
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thema Ohne Moos nix los | Aufbruch ins Grüne – alte und neue Designkonzepte

                                                                                formen, als gehegte Natur im Umfeld von Villen,
                                                                                Landhäusern und Schlossanlagen und als wilde Natur
                                                                                weit draußen, die einer Überformung durch den Men-
                                                                                schen lange Zeit entzogen war. Während wir uns seit
                                                                                Jahrhunderten an Gärten und Parks erfreuen, inter-
                                                                                essierten sich für die naturbelassene Natur die längste
                                                                                Zeit der Geschichte vorwiegend Wissenschaftler und
                                                                                Forschungsreisende. Diese Positionen haben sich auf
                                                                                erstaunliche Weise ins Gegenteil verkehrt. Wilde
                                                                                Natur ist heute zum Konsumartikel geworden, welche
                                                                                die Menschen auf Pauschalreisen ans Nordkap, nach
                                                                                Tibet oder Patagonien „bezwingen“, während domesti-
                                                                                ziertes Stadtgrün zur gänzlich unspaßigen Pflichtauf-
                                                                                gabe für Politiker geworden ist. Angesichts wachsen-
BACHELORSTUDIUM                                                                 der Verdichtung der Städte und zunehmend extremer
                                                                                Klimaschwankungen soll Natur in der Stadt in einem

DESIGN,                                                                         breiten ökologischen Maßnahmenkatalog nicht mehr
                                                                                einer zufälligen Entwicklung überlassen, sondern wis-
                                                                                senschaftlich erforscht und gezielt gepflegt und geför-

HANDWERK &                                                                      dert werden. Die Stadt Frankfurt hält hierfür etwa den
                                                                                „Klimafonds“ bereit, aus dem für die Begrünung von
                                                                                Dächern und Fassaden auch an Privathäusern Mit-

M AT E R I E L L E
                                                                                tel abgerufen werden können. Das Bundesumweltmi-
                                                                                nisterium hat 2017 zudem das „Weißbuch Stadtgrün“
                                                                                herausgebracht, das Anregungen gibt, wie „städtische
                                                                                Grün- und Freiflächen“ gesichert und gestaltet wer-

K U LT U R                                                                      den können.

                                                                                Grüne Putztruppe
                                                                                Mit gutem Grund. Neben ihrer kulturübergrei-
Handwerk trifft Produktdesign: Das einzigartige                                 fend empfundenen Schönheit verbessern Bäume und
Bachelorstudium an der New Design University                                    andere Grünpflanzen messbar die Luftqualität, indem
                                                                                sie als „grüne Lunge“ Kohlendioxid aus der Umgebung
St. Pölten verbindet Designkompetenz und                                        binden und Sauerstoff produzieren. Auch immer-
Handwerksausbildung auf universitärem Niveau.                                   grünes Efeu und wilder Wein, die an Häuserfassaden
                                                                                emporranken, sehen nicht nur pittoresk aus, sondern
                                                                                wirken bei Kälte wie Hitze moderierend und können
                                                                                Starkregen abfedern. Zudem sind sie ein natürlicher
                                                                                Lärmschutz.
                                                                                		         Ein besonderes Talent als grüne Putztruppe
                                                                                entfalten Moose. Dank ihrer vergrößerten Oberflä-
                                                                                chenstruktur können diese unscheinbaren Pflänz-
                                                                                chen elektrostatisch positiv aufgeladenen Feinstaub
                                       EINSTIEG                                 aus der Luft anziehen und „verdauen“. Ammonium,
                                                                                das nahezu die Hälfte des Feinstaubs ausmacht, ist ein
                                     AUCH OHNE                                  wichtiger Nährstoff für Moose, die damit als Luftfil-
                                         ABITUR                                 ter wirken. Inzwischen gibt es erste Pilot-Versuche
                                                                                in dieser Richtung. In Stuttgart flankiert eine meh-
                                      MÖGLICH!                                  rere Meter lange bemooste Betonwand eine befahrene
                                                                                Stadtautobahn. In Mailand steht eine solche Moossta-
                                                                                tion schon auf einem innerstädtischen Platz, umge-
                                                                                ben von ein Paar Stühlchen. Richtig gemütlich wirkt
                                                                                das noch nicht. Da ist für innovative Designkonzepte
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                                                                                Sehr überzeugend hat sich dieser Aufgabe bereits das
W W W. N D U. A C. AT                                                           schwedische Designbüro Nola angenommen, das eine
                                                                                postmodern angehauchte originelle Formensprache

               Die New Design Universit y ist die Privatuniversität
               der Wir tschaf tskammer NÖ und ihres WIFI
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mit Ergonomie verbindet. Nola entwirft jegliches        Grünpflanze zum Ereignis. Andere Designer verse-           Das schwedische Designbüro Nola
Möbel für den öffentlichen Stadtraum, vom elegan-       hen Deckenlampen mit Becken, aus denen Zierpflan-          entwirft ebenso funktionale wie
                                                                                                                   originelle Möbel für den öffent-
ten Pflanzenkübel im XXL-Format für die mondäne         zen dekorativ herabhängen. Im Trend liegen Tilland-
                                                                                                                   lichen Stadtraum. Bei diesen
Fußgängerpromenade über filigrane Eiscafé-Stühle        sien, ein neotropisches Ultraleichtgewächs, das sich       integrierten Sitzgruppen aus bunt
bis zu Parkbänken und anderen öffentlichen Sitzge­      von feinsten Wassertröpfchen und Staubpartikeln in         lackiertem Stahlblech ist jeweils
legenheiten mit integrierten Designextras. Da geht      der Luft ernährt, und sich für diesen Job besonders        ein Blumenkasten fest mit dem
noch was.                                               eignet. Die sternförmigen Pflanzenkörper sind ebenso       Sitzmöbel verbunden. Das sieht
                                                                                                                   schön aus und verankert das Möbel
                                                        dekorativ wie bedürfnislos. Der Phantasie sind bisher      fest mit dem Standort.
Wohnung als Dschungelcamp                               wenig Grenzen gesetzt. Dauerhaft durchsetzen dürfte        Links: Arena, Design: Mattias
Auch für das private Habitat wächst das Interesse an    sich dieser Dschungeltrend gleichwohl kaum. Denn           Stenberg / Rechts: Vilding, Design:
Grün als Gegengewicht zum Beton und Asphalt der         ähnlich wie für die spektakulären „vertikalen Gär-         Sebastian Hedengrahn, Fotos: Nola
städtischen Umgebung, was etwas vereinfacht in zwei     ten“ des französischen Künstler-Botanikers Patrick
Ausprägungen wahrnehmbar ist: Zum einen wer-            Blanc, der in Mailand die Fassade eines Wohnhoch-
den traditionelle Indoor-Aktivitäten nach draußen       hauses mit ausgewachsenen Bäumen begrünt hat, gilt
ins Grüne verlagert, weil unsere technischen Arbeits-   auch für Indoor-Grün: Pflanzen in Containern benö-
werkzeuge, allen voran das mobile Internet, dies        tigen Betreuung und Pflege, und das kostet Zeit und
inzwischen erlauben. Zum anderen holen wir das          Geld – bei einem Haus von der Größe des Mailänder
Grün von draußen zu uns herein.                         „Bosco Verticale“ jährlich leicht sechsstellige Beträge.
		        Schauen wir zunächst auf diese zweite Vari-   Auf längere Sicht dürften damit vertikale Gärten und
ante. Unter dem schicken Namen „Jungle Design“          Indoor-Begrünung ohne Bodenkontakt Prestigepro-
beschreibt dieser Interior-Trend das Verfahren, Grün-   jekten wie Luxuswohnungen, Nobelhotels und reprä-
pflanzen dominant in Inneneinrichtungen zu positi-      sentativen Firmenzentralen vorbehalten bleiben, etwa
onieren. Die Restaurantkette Vapiano gehörte vor        der als Erlebnispark gestalteten Google-Niederlassung
ein paar Jahren zu den Pionieren, als sie mit knor-     in Zürich.
rigen Olivenbäumen in Kübeln ihren Restaurants
mediterranes Flair verlieh. Die hessische Ökobä-        Leben am Pool
cker-Kette Siebenkorn platzierte unlängst eine hohe     Immerhin gibt es Alternativen. Figurative Textilien
Mooswand im Caféraum einer neu eröffneten Fili-         mit Pflanzenmotiven, wie sie Bettwäsche, Sofakissen
ale namens „Café Tante“. Noch etwas brav, aber sehr     und Keramik oder auch eine exklusive Tapete schmü-
grün. Daneben sehen wir neue Produktdesigns, mit        cken. Für alle erschwinglich zaubert dagegen die
denen Indoor-Grün im Wohnraum arrangiert werden         Grafik­designerin Bodil Jane ein elegantes Dschun-
kann, von Blumenbänken bis zu frei hängenden oder       gelambiente auf Tassen, Schalen und Teller der Serie
an der Wand befestigten Ampeln und Töpfen. Der          „Bamboo Bodil“ vom Amsterdamer Label &klever-
Produktdesigner Jörg Brachmann aus Lützen hat für       ing. Ein attraktiver „fake garden“, der die Anmutung
sein Label Urbanature eine Pflanzenständer-Skulp-       von Grün und Exotik ins Haus bringt, ohne störende
tur entworfen, bei der mehrere kleine Übertöpfe aus     Nebenwirkungen wie Blattlausbefall, Spinnenplage
hellgrauem Feinbeton auf hohen Eichenholzstan-          oder vertrocknete Pflanzenleichen. Wer gleichwohl
gen balancieren. Hier wird auch die unscheinbarste      auf lebendiges Grün auf keinen Fall verzichten will,

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NR.51/JULIBISOKTOBER2018 D - Inform Magazin
thema Ohne Moos nix los | Aufbruch ins Grüne – alte und neue Designkonzepte

                                                            der sollte sich auf die zweite eingangs genannte Vari-
                                                            ante eines Lebens mit Grün besinnen. Ganz klassisch
                                                            lässt sich nämlich immer schon mit Balkon, Ter-
                                                            rasse, Wintergarten und Loggia der Wohnraum nach
                                                            draußen öffnen und erweitern. Mit neuen Möbelde-
                                                            signs, deren Formen modern und deren Materialien
                                                            und Textilien wetterbeständig sind, lässt sich dieser
                                                            Übergangsbereich auch jenseits traditioneller Looks
                                                            auf frische Art gestalten.
                                                            		         Das Label Diabla, eine Linie des spani-
                                                            schen Herstellers Gandia Blasco aus Valencia, setzt
                                                            in diesem Sinne auf Transparenz und wasserklare
                                                            Linienführung. Dabei erinnert die ultramoderne
                                                            Diabla-Strandliege Clip, die aus zwei Modulen kon-
                                                            figuriert werden kann, vage an die Formensprache
                                                            der Architektin Zaha Hadid. Das Material, weißer
                                                            Kunststoff, ist unempfindlich gegen Regen, Pool-
                                                            und Meerwasser, dabei hundertprozentig recyclebar.
                                                            Damit fühlt sich das neue Leben im Transit­bereich
                                                            von Haus und Garten gleich sehr zeitgemäß an,
                                                            bleibt naturgemäß aber auf die Ferien und Freizeit
                                                            beschränkt – es sei denn, man gehört zu den Digi-
                                                            talen Nomaden. Diese neue Spezies wird mindes-
                                                            tens von den Soziologen bereits massenhaft gesich-
                                                            tet. Dabei handelt es sich um Individuen, die ihrer
                                                            beruflichen Tätigkeit jenseits eines herkömmlichen
                                                            Büros nachgehen. Während der Homeoffice-Arbei-
                                                            ter sein Büro immerhin noch in den eigenen vier
                                                            Wänden einrichtet, arbeitet der Nomade mit Note-
                                                            book und Netzanschluss wo immer er will, also etwa
                                                            auch da, wo Wind, Wellen und Strand zum Surfen
                                                            einladen. Den Strom liefern derweil die Solarzellen
                                                            auf dem Dach des Wohnmobils und den Team-An-
                                                            schluss die wöchentliche Skype-Konferenz. Heißt
                                                            es. Die Wirklichkeit sieht in den allermeisten Fäl-
                                                            len weniger paradiesisch aus. Ohne eiserne Diszi-
                                                            plin und ein Maximum an persönlicher Struktur
                                                            und Organisation, vor allem wenn man die deut-
                                                            sche Grenze passiert, läuft hier gar nichts, wie das
                                                            TV-Magazin Galileo vor einiger Zeit in einer Repor-
                                                            tage resümierte. Für die meisten Nomaden endet die
                                                            Reise damit wohl doch eher im heimischen Cowor-
                                                            king Space des Cafés im Kietz um die Ecke, im Ideal-
                                                            fall mit Mooswand oder Dschungelbegrünung. Die-
                                                            ser Hintergrund dürfte auch erklären, warum derzeit
                                                            eine zweite Variante des Auswärts-Arbeitens min-
                                                            destens so populär ist wie das Nomadentum.

                                                            Wintergärten zu Gartenbüros
                                                            Wer sich ein Arbeiten ohne festen Bürostandort

Heiner Schwär                                               nicht leisten kann oder will, für den stehen – immer-
                                                            hin wenn er selbstständig entscheiden kann – auch
                                                            andere Möglichkeiten bereit. Beispielsweise lassen
Gestaltung und Anfertigung                                  sich traditionelle Wintergärten oder auch Gewächs-
Individueller Brillen aus Naturhorn                         häuser für fast jeden gewünschten Zweck umrüsten.
                                                            Der traditionelle Charme dieser kleinen Glaspa-
79117 Freiburg · Tel. +49 761 612251                        läste mit dem Flair von Orangerie und Palmenhaus
www.schwaer-horn-art.de
oben Der spanische Hersteller
           Gandia Blasco kultiviert eine
           wasserklare klassisch-moderne
           Designhandschrift. Die Strandliege
           Clip aus der Unterlinie Diabla ist
           wetterfest und besteht aus hundert-
           prozentig reecycelbarem schnee-
           weißem Kunststoff.

           unten James Bond lässt grüßen.
           Das Gewächshaus Cristal von
           Diabla by Gandia Blasco sieht aus
           wie aus einem coolen Filmset aus
           den Sixties. Ideal nicht nur für
           Grünpflanzen, sondern auch für ein
           gepflegtes Meeting oder schlicht
           zum Chillout. Fotos: Gandia Blasco

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thema Ohne Moos nix los | Aufbruch ins Grüne – alte und neue Designkonzepte

           ist ein ästhetischer Genuss und belebt mit Sicherheit      offenen Grenze. Die Galerien mit Referenzprojekten
           die Kreativität wie die Arbeitsmoral. Besonders vor-       auf den jeweiligen Homepages belegen die rege Nach-
           nehme Exemplare gibt es von Unopiu aus Italien und         frage und zeigen ein Spektrum intelligenter Umset-
           dem deutschen Hersteller Juliana. Der schon genannte       zungen, die Lust machen, sofort einzuziehen.
           spanische Hersteller Gandia Blasco hat mit Cristal         		        Noch einen großen Schritt weiter in Richtung
           eine ultramoderne Interpretation entworfen, die sich       wissenschaftlichem Experiment gehen die dänische
           ebenfalls sehen lassen kann. Doch zum geschützten          Architektin Anne Romme und die Künstlergruppe
           Arbeiten im Grünen muss man nicht unbedingt im             N55 bei ihrer Entwicklung des Glas-Gewächshau-
           Glashaus sitzen. Eine wachsende Zahl von Designstu-        ses Spaceplates, für dessen Raumkonstruktion sie ein
           dios bietet inzwischen Planung und Realisation von         hexagonales Muster nutzen, das der Geometrie der
           Gartenbüros und anderen Multifunktions-Lodges im           Seeigel abgeschaut ist. Arbeiten in biomorphen Hül-
           Grünen an. Green Retreats, Buffs Garden, Green Stu-        len, warum nicht? Wege und Formen eines Aufbruchs
           dios oder das irische Garden Rooms haben sich damit        ins Grüne sind, wie wir gesehen haben, alt und viel-
           schon einen Namen gemacht. Die Preise für die ins          fältig. Ob der Trend in nur eine Richtung anhält? Wer
           Grüne ausgelagerten, zumeist mit Zedernholz ver-           weiß es. Vielleicht erwartet uns demnächst ein neues
           schalten Gartenhäuschen, die über Strom, Internet,         Cocooning-Indoor als neues großes Ding. •
           Heizung und bei Bedarf sogar Wasser und Badezim-
           mer verfügen, bewegen sich schwerpunktmäßig zwi-
           schen 20.000 und 35.000 Euro, bei einer nach oben

12   07-10/2018
linke Seite Hier wird jede Grün-
pflanze zum Ereignis. 1,50 Meter
hoher Pflanzenständer Hochgarten
aus hellgrauen Beton-Übertöpfen
auf Eichenholzstäben, von Urba-
nature.

oben und rechts Das Spacepla-
tes Greenhouse, das die dänische
Architektin Anne Romme 2011
zusammen mit der Künstlergruppe
N55 entwickelt hat, basiert auf
hexagonalen Grundelementen, die
der Geometrie des Seeigels abge-
schaut sind. Anne Romme hat mit
verschiedenen namhaften Architek-
turbüros zusammengearbeitet und
experimentiert für eine neue Form
des Bauens mit der Verschmel-
zung von geometrischen Mustern,
zeitgenössischer Technologie und
Leichtkonstruktion.

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persona

                     Naturkunde
                     Im Gespräch mit Xiaoqun Wu und Oliver Hischier
                     von Bienvenue Publishing aus Zürich.
                     Mit ihrem kleinen Label haben sich die beiden Grafikdesigner auf feine, handgemachte
                     Notizbücher, Grußkarten und Prints spezialisiert, die allesamt Formen der Natur zum
                     Thema haben. Sie verwenden diese aber keineswegs nur als rein dekorative Elemente.
                     Jedem ihrer Projekte gehen intensive Recherchen und Forschungsreisen voraus.

                                                                             Inform: Können Sie uns einen kleinen Einblick in Ihren Arbeits­
                                                                             prozess geben?
                                                                             Xiaoqun Wu und Oliver Hischier: Sehr gerne. Wir nutzen die Schön-
                                                                             heit und Vielfalt der Natur, um eine eigene visuelle Sprache zu fin-
                                                                             den. Als Grafiker befassen wir uns mit Erscheinungen der Natur, die
                                                                             bisher nur wenig Beachtung gefunden haben. In einem ersten Schritt
                                                                             gehen wir der Frage nach, was sie hervorgebracht hat und erforschen
                                                                             deren vielschichtige kulturelle Bedeutungen. In einem zweiten Schritt
                                                                             setzen wir die Ergebnisse unserer Forschungen visuell so um, dass
                                                                             sie eine erzählerische Dimension bekommen. Ägyptische Schutzzei-
                                                                             chen können ebenso in unseren Fokus rücken wie die Schnabelfor-
                                                                             men von Galapagos-Finken, morbide Ästhetik in China oder Stein-
                                                                             gärten in Japan.
                                                                                 Im Sommer 2017 sind wir zum Beispiel am Strand von Bolinas (Bay
                                                                             Area, Kalifornien) auf Steine gestoßen, welche auffällig perfekte Löcher
                                                   Foto: Sebastian Magnani

                                                                             aufwiesen – so als hätte ein außerordentlich sorgfältiger Goldschmied
                                                                             diese in stundenlanger Arbeit hineingefräst. Wir haben vor Ort recher-
                                                                             chiert. Schließlich haben wir herausgefunden, dass die Löcher von wir-
                                                                             bellosen Tieren stammen – wie Muscheln, die sich in einem frühen
                                                                             Entwicklungsstadium in die weichen Steine bohren und dann in ihnen
                                                                             größer werden. Uns ist aufgefallen, wie leicht und zerbrechlich diese
     Oliver Hischier ist als freischaffender                                 Steine sind. Diese Leichtigkeit hat uns bei der grafischen Umsetzung
     Grafiker und Freelancer in Zürich tätig.                                inspiriert. Wir haben die Steine fotografiert und grafisch so inszeniert,
     Xiaoqun Wu ist im chinesischen Shanghai                                 dass sie über dem Blatt zu schweben scheinen. Als Betrachter möchte
     aufgewachsen und arbeitet ebenfalls als                                 man diese gleich in die Hand nehmen.
     freischaffende Grafikerin und Illustratorin
     in Zürich. Beide sind Absolventen des Stu-                              Hinter jedem Motiv steckt also eine spannende Geschichte. Woher
     diengangs Grafik Design an der F+F, Schule                              kommt diese Faszination für die Natur? Wie haben Sie die Natur als
     für Kunst und Mediendesign in Zürich.                                   Quelle für Ihre Arbeit entdeckt?
     2011 gründeten sie gemeinsam Bienvenue                                  Xiaoqun Wu: Durch unseren interkulturellen Hintergrund haben wir
     Publishing. Ihre Produkte werden über                                   eine unterschiedliche Sichtweise auf die Natur. Oliver ist im Wallis auf-
     ausgesuchte Läden in der ganzen Welt                                    gewachsen und schätzt die Natur seit seiner Kindheit. In meiner Kind-
     sowie im eigenen Online-Shop vertrieben:                                heit konnte ich die Natur nicht wirklich wahrnehmen, weil ich in einer
     bienvenuestudios.com                                                    Großstadt aufgewachsen bin. Shanghai ist eine riesige und schnell-
                                                                             wachsende Stadt, die innerhalb von zehn Jahren zu einer Metro­pole
                                                                             in China geworden ist.
                                                                                 Als ich vor 16 Jahren nach Zürich gezogen bin, musste ich zuerst
                                                                             lernen die Natur zu verstehen und zu respektieren. Die Schweiz hat in
                                                                             mir die Faszination für die Natur geweckt und dann hat es nie mehr
                                                                             aufgehört.

14                          07-10/2018
von links nach rechts
Mick Pearce. Beim Eastgate Shop-
ping Centre in Harare, Zimbabwe,
ließ sich der Architekt von der
Bauweise der Termiten inspirieren.
Fotos: Mick Pearce.

Die markanten gelben Türme am
Dach des Council House 2 in Mel-
bourne, Australien, sind Teil eines
ausgeklügelten natürlichen Küh-
lungs- und Belüftungssystems. Foto:
Nick Carson / Wikimedia Commons,
Lizenz: CC BY-SA 3.0

In der Serie „Viewing Stone“ beschäftigen Sie sich mit der chinesi­         in diesem Sinne auch als Anregung        links Fundstücke am Strand: von
schen Tradition der Gelehrtensteine. Was hat es mit diesen seltsam          zu mehr Achtsamkeit und zu einem         wirbellosen Tieren durchbohrte
                                                                                                                     Steine. Limited Print Pacific Marks
geformten Fundstücken auf sich?                                             bewussteren Umgang mit der Natur
                                                                                                                     No. 2.
„Viewing Stone“ ist durch unsere Recherche über die höchste Form der        verstehen?                               rechts Die Serie „Morbid Being“
Ästhetik in China entstanden. Diese Steine, welche ursprünglich aus         Auf jeden Fall. Der Mensch will die      beschäftigt sich mit den vielfältigen
dem Taihu See in China stammen, werden für ihre extreme Schönheit           Natur nicht nur schützen weil er sie     Zuchtformen chinesischer Karpfen.
bewundert. Abgewetzt und über Jahre vom Wasser geformt, bilden sich         als Ressource braucht um zu überle-
die charakteristischen Poren und Löcher dieser Steine. Es heißt, es sei     ben, sondern auch weil sie ihm gefällt
ein heiliger Prozess, bei dem die Seele des Steines gewaschen und frei-     – in ihrer Schönheit, Eigenart und Vielfalt. Dies sollen unsere Produkte
gelegt werde. Und wer sie lange genug betrachtet, dem eröffnet sich         dem Betrachter vor Augen führen. Auf den ersten Blick wirken unsere
ein Einblick auf seine eigene Seele. Seit der Ming-Dynastie bis heute       Werke eher surreal und geheimnisvoll. So möchten wir beim Betrach-
sind die Steine wichtige Bestandteile traditioneller daoistischer Gärten.   ter das Interesse wecken. Durch etwas Zeit und genaueres Hinschauen
In unserem Buch „Morbid Fascination“ erfährt man auch mehr über             kann man selber in Erfahrung bringen, um was es geht, denn unsere
andere morbide Schönheitsformen in China. Ein Beispiel sind die viel-       Prints ergänzen wir jeweils auch mit den Ergebnissen unserer Nach-
fältigen Zuchtformen von Karpfen, die wir in der Serie „Morbid Being“       forschungen.
zeigen. Man hat bereits vor 1.600 Jahren begonnen, sie zu züchten und
erfreut sich seit jeher an ihren langen, prächtigen Flossen und der beru-   Sie verwenden auch eine ganz besondere Drucktechnik. Wodurch
higenden Wirkung, die ihre Bewegungen auf die Menschen haben.               zeichnet sich diese aus?
                                                                            Für unsere Editionen haben wir ein etwas in Vergessenheit gera­
Insgesamt sind Ihre Arbeiten sehr reduziert und poetisch, manch­            tenes, japanisches Druckverfahren, die Risographie wieder aufgegrif-
mal überraschend abstrakt, wie zum Beispiel in der Serie „Wave“. Sie        fen. Diese Drucktechnik hat uns fasziniert, weil sie eher raue und sehr
laden dazu ein, genauer hinzuschauen. Könnte man Ihre Produkte              satte Druckergebnisse erzeugen kann. Wie im Siebdruckverfahren

DRAUSSEN                                                                                                                                               15
persona Naturkunde | Im Gespräch mit Xiaoqun Wu und Oliver Hischier

               potentiale.at

9.–11.
                               werden Farben Schicht für Schicht aufeinander gedruckt. Bekannt ist die
                               Risographie für schnelle, grobe, sehr farbige Drucke. Wir wollten diese
                               Technik aber auf eine neue Art und Weise verwenden. Durch viel Aus-

November                       probieren und Geduld haben wir einen Weg gefunden, feine und präzise
                               Resultate zu erzielen. Diese Weiterentwicklung führt zu einer unbe-

2018
                               kannten Erscheinung der Risographie-Ästhetik. Auch ökologisch über-
                               zeugt uns diese Druckmethode. Die Farbe besteht auf Ölbasis und wird
                               ohne Verwendung von Chemikalien oder Hitze aufs Papier gebracht.

Design.
                               Stichwort Papier. Wir verbringen heute immer mehr Zeit vor Bild­
                               schirmen. Bilder und Grafiken werden häufig nur noch digital ver­
                               breitet und betrachtet. Dennoch erfreuen sich hochwertige, hand­

Fotografie.
                               gefertigte Druckerzeugnisse weiterhin großer Beliebtheit. Den
                               entscheidenden Unterschied macht dabei das Material Papier. Nach
                               welchen Kriterien wählen Sie Ihr Papier aus? Welche Eigenschaften

Medien-
                               sind Ihnen dabei besonders wichtig?
                               Die bewusste Auswahl von Materialien, nicht nur Papier, ist ein wichti­
                               ger Bestandteil unserer Arbeit. Wir versuchen möglichst mit öko­

kunst.
                               logischen Materialien zu arbeiten. Für unsere Editionen haben wir uns
                               für ein mattes, raues, naturweißes Druckpapier entschieden. Das Papier
                               ist zu 100 Prozent holzfrei und unter FSC-Bedingungen hergestellt.­
                               Dank seiner porösen Oberfläche verfügt es über eine besonders ange-
                               nehme Haptik.
Messe & Festival
Bei unseren Holzdisplays für Karten und Prints haben wir uns für
ein Massivholz aus Schweizer Esche mit FSC-Label entschieden. Dabei
wollten wir das gesamte Holz verwenden, auch den Kern. Dies hat zur
Folge, dass die Färbung der Displays von sehr hell bis hin zu einem war-
men Braun variieren kann. Keines ist identisch, jedes ist einzigartig.
Dies bringt auch die Ästhetik unserer Riso-Editionen auf den Punkt.

Das Notizbuch als mobiler Ideenspeicher hat also noch lange nicht
ausgedient. Für welches Projekt sammeln Sie gerade Ideen, oder
anders gefragt, wohin geht die nächste Reise?
Es gibt viele Themen, die uns faszinieren und an denen wir parallel
arbeiten. Zur Zeit beschäftigen wir uns aber mit dem Thema „Schutz-
zeichen“. Unsere Quelle stammt aus dem Buch „Master Who Embraces
Simplicity“ von Ko Hung. Der Betrachter wird zurück ins Dao-Zeital-
ter geführt. In dieser Zeit begegnete der Mensch der Natur mit sehr viel
Respekt und Demut. Wir wollen die Geschichte in den heutigen, inter-
                                                                                    linke Seite Small Print Collection
nationalen Kontext stellen und daraus eine Serie entwickeln. Erster                „Viewing Stone“: Sogenannte Gelehr-
Vorbote dieser Serie ist unsere Small Print Collection „Iridescence“                tensteine werden in China für ihre
                                       Das Interview führte Thomas Hirtenfelder.
                                                                                    extreme Schönheit bewundert.
                                                                                    ganz oben Von der Natur inspiriert:
                                                                                    Feine Papierprodukte von Bienvenue
                                                                                    Publishing. Foto: Sebastian Magnani
                                                                                    oben Analoge Ideenspeicher: Notiz-
                                                                                    bücher aus der Glacier-Edition.

DRAUSSEN                                                                                                             17
novum

                                                                                             Fotos: Oasia Hotel Downtown, Singapore
                     Wolkengärten
                     Der Boden wird knapp. Urbane Nachverdichtung ist deshalb auch
                     hierzulande ein immer bedeutenderes Thema. Die große Herausfor-
                     derung besteht dabei darin, mehr Platz zu schaffen und gleichzeitig
                     für mehr Lebensqualität zu sorgen. Die Inselnation Singapur versteht
                     diese Probleme wohl besser als jede andere Stadt. Auf nur 700 km²
                     drängen sich hier 5,6 Millionen Menschen – aber die lokalen Archi-
                     tekten, allen voran das innovative Büro WOHA, halten zukunftswei-
                     sende Lösungen bereit und haben sich auf die Schaffung vertikaler
                     Grünräume spezialisiert. In radikalen Bauten wie dem 2016 eröff-
                     neten Oasia Hotel Downtown lösen WOHA herkömmliche Vorstel-
                     lungen von Innen und Außen, Gebäude und Landschaft auf. Der
                     27-stöckige Wolkenkratzer beherbergt neben 314 von der renommier-
                     ten Designerin Patricia Urquiola ausgestatteten Hotelzimmern drei
                     nach außen hin offene, begrünte Pool-Decks, eine öffentlich zugäng-
                     liche, parkähnliche „Sky Terrace“ im 12. Stock sowie mehrere kleinere
                    „Sky Gardens“. Für die Architekten, die Stadtplanung in erster Linie
                     dreidimensional denken, funktionieren diese Ebenen wie zusätzli-
                     che Erdgeschosse. Das Oasia Hotel verfügt auf diese Weise etwa über
                     11-mal so viel Grünfläche wie das ursprüngliche Grundstück. Die
                     größte Grünfläche ist aber das Gebäude selbst, dessen „lebendige“
                     Fassade rundum von 21 verschiedenen Kletterpflanzen, 18 Baumarten
                     und Blumen bedeckt ist, die im tropischen Klima bestens gedeihen,
                     für Beschattung und frische Luft sorgen und Tieren wie Vögeln,
                     Papageien und sogar Eichhörnchen als Habitat dienen. Inmitten des
                     quirligen Geschäftszentrums von Singapur gelegen, gibt dieser Proto-
                     typ eines tropisch-offenen Hochhauses mit eigenem Ökosystem dem
                     Wort Betondschungel eine ganz neue Bedeutung. Hotelgäste und
                     Besucher erhalten hier einen ersten Vorgeschmack darauf, wie das
                     unaufhaltsame Wachstum unserer Städte in eine lebensfreundlichere
                     Richtung gelenkt werden könnte. [THI]
                    www.oasiahotels.com | www.woha.net

18     07-10/2018
Bewegte Natur
Dass der Boden, auf dem wir täglich stehen und gehen und auf den
wir unsere Behausungen stellen, mitunter gar nicht so stabil ist, wie
wir glauben, wird gerne vergessen. Große Erdbeben kommen hier
 glücklicherweise kaum vor. Dass ein ganzer Berghang etwa aufgrund
 starker Regenfälle in Bewegung gerät, ist aber gerade in den Alpen
 ein gar nicht so seltenes Phänomen. An ein solches einschneiden-
 des Ereignis erinnert nun ein eigens angelegter Rundweg im kleinen
Vorarlberger Bergdorf Sibratsgfäll. Im Mai 1999 nahm die Katas­
trophe im Ortsteil Rindberg ihren Lauf. Auf einer Fläche von ca.
250 Fußballfeldern sind Menschen mit ihren Wohn- und Ferienhäu-
 sern, Tiere, Wald, Wiesen, Straßen und Alpgebäude von dem riesigen
Erdrutsch betroffen. Das Großereignis hat tiefe Spuren hinterlassen.
In der Landschaft und in der Seele des Dorfes. Die als Mahnmal und
Themenweg konzipierte „Georunde Rindberg“ umfasst insgesamt
 acht Stationen und kann in einer knappen Stunde erwandert werden.
Ein ganz besonderer Zeuge für die Kraft der Naturgewalten ist etwa
„Felbers schiefes Haus“, das sich heute in deutlicher Schieflage befin-
 det, seine 18 Meter weite Bewegung aber ohne nennenswerte Schäden
überstanden hat. Mehrere skulptural-architektonische Interventi-
 onen bilden weitere Stationen in der malerischen Landschaft. Die
begehbaren Objekte aus Edelstahl machen es möglich, die drama-
tischen Auswirkungen für die Menschen vor Ort am eigenen Leib
nachzuvollziehen. Schautafeln informieren über die geologischen
Ursachen, beleuchten die Hintergründe und stellen Erkenntnisse
und Maßnahmen für die Zukunft vor. Das ebenso lehrreiche wie
gestalterisch ambitionierte Projekt wurde vom Architekturbüro
Innauer Matt und den Designern von Super – Büro für Gestaltung
konzipiert. 2017 wurde es mit dem österreichischen Staatspreis
Design in der Kategorie „Räumliche Gestaltung“ ausgezeichnet.
[THI] www.bewegtenatur.at

                                                                               Fotos: © Adolf Bereuter

DRAUSSEN                                                                  19
text        Neu erschienene Bücher

Garden City. Supergreen Buildings, Urban           mit ihren durchbrochenen Fassaden und inei­
Skyscapes and the New Planted Space                nander verschachtelten Innen- und Außenbe­
Anna Yudina / Thames & Hudson /                    reichen. Konzepte für eine lebendige Archi­
engl. / 256 S. / EUR 39,80 / CHF 57,90             tektur aus organischen Materialien, für ganze
                                                   Gebäude aus Bambus (Rising Canes) oder für
                                                   Biofassaden, an denen zum Beispiel Mikroal­
                                                   gen gezüchtet werden, zeigen, wie Architek­
                                                   ten, Designer, Techniker und Wissenschaftler
                                                   heute mit vereinten Kräften und enormem
                                                   Einfallsreichtum versuchen, die Natur wieder
                                                   stärker in die bebaute Umwelt zu integrieren
                                                   und unsere Städte entscheidend zu transfor­
                                                   mieren. Ein visuell ansprechendes, inspirie­
                                                   rendes und informatives Nachschlagewerk.
                                                   [THI]

Die Gartenstadt, das war einmal eine dieser
verheißungsvollen, aber spätestens mit Auf­
kommen des Individualverkehrs fehlgeleiteten
Utopien der Moderne, die uns viele der heuti­
gen Probleme überhaupt erst eingebracht
hat: den täglichen Pendlerstau, die Luftver­
schmutzung, den innerstädtischen Leerstand.
Jetzt kehrt die Gartenstadt in neuem Gewand
zurück. Aus der Flucht in die Peripherie ist die
Sehnsucht nach mehr Grün mitten im Zent­
rum geworden. Begrünte Fassaden und Dach­
gärten, üppig bepflanzte Innenräume, Urban
Gardening und Farming, aber auch grüne
Technologien und Bionik sollen dabei helfen,
unsere Städte im Zeitalter von Überbevölke­
rung, Feinstaub und Klimawandel wieder
zukunftsreif und vor allem lebenswert zu
machen. Die Disziplinen Gartenbau und
Archi­tektur wachsen dabei im Idealfall zu ei­
nem nachhaltigen Ganzen und Gebäude zu
„lebendigen“, weitgehend autonomen Öko­
systemen zusammen. Dass es dafür mehr
braucht als nur ein paar hängende Gärten
beleuchtet nun ein umfangreich bebilderter
Band. In fünf Kapitel unterteilt – Fusion, Ex­
pansion, Coexistence, Performance, Fusion
2.0 – werden mehr als 100 Gebäude und in­
                                                                                                   im Uhrzeigersinn Luciano Pia, 25 Green, Turin,
novative Ideen aus aller Welt vorgestellt. Das                                                     Italien, 2013, Foto: Beppe Giardino / Vo Trong Nghia
Spektrum reicht hierbei von einem Baumhaus                                                         Architects, House for Trees, Ho Chi Minh City, Vietnam,
in der Größe eines ganzen Häuserblocks (25                                                         2014, Foto: Hiroyuki Oki / James Radsey/Raad Studio,
Green, Turin) über Parkanlagen in revitalisier­                                                    Mathews Nielsen, John Mini Distinctive Landscapes,
                                                                                                   The Lowline, New York, NY, in Bau (Eröffnung 2020),
ten ehemaligen Industrie-Arealen (MFO-Park,                                                        Foto: Cameron R. Nielson / Sou Fujimoto, House
Zürich-Oerlikon) bis zu den fotogenen kom­                                                         N, Oita, Japan, 2008, Foto: Courtesy Sou Fujimoto /
pakten Häuschen des Japaners Sou Fujimoto                                                          Penda, Rising Canes, Konzept, Foto: Courtesy Penda

20                          07-10/2018
Yan Wang Preston:                                 ebenfalls gängige Umsiedlung von ganzen         unten Egongyan Park, Chongqing, 2017,
Forest                                            Dörfern denken lässt, für die Preston im        © Yan Wang Preston
Hatje Cantz Verlag / engl. /                      Baum ein starkes und künstlerisches und äs­     ganz unten Guanyinqiao Shopping District,
128 S. / EUR 50,– / CHF 65,–                      thetisch ungemein ergiebiges Bild gefunden      2017, © Yan Wang Preston
                                                  hat. 2017 erhielt Preston für dieses Forest-­
                                                  Projekt den Syngenta Preis für Fotografie.
                                                  [NB]

Diese Fotos haben etwas zutiefst Unheimli­
ches. Sie erinnern an Traumbilder und bilden
doch Wirklichkeit ab, die seltsam eingefroren
und mindestens für Europäer fremd und ext­
rem befremdlich wirkt. Der Himmel ist duns­
tig grau und lässt keine Tageszeit erkennen.
Die Menschen, wo sie vorkommen, erschei­
nen als kleine bunte Punkte, die wie Requisi­
ten ganz auf sich selbst bezogen agieren und
doch ähnlich verwundet erscheinen wie die
unübersehbaren Protagonisten dieses Foto­
bildbandes: Bäume. Doch diese Bäume wer­
den von Yan Wang Preston (*1976), gebürtige
Chinesin und Fotografin dieses ebenso atem­
beraubenden wie beklemmenden Bildbandes,
nicht in europäischer Tradition als Symbol
einer paradiesischen Natur festgehalten, son­
dern als Patienten, die auf bestürzende Weise
beschnitten, entwurzelt und bandagiert er­
scheinen, zum Teil von Holzkrücken gestützt.
Bäume sind hier Material wie andere Bau­
stoffe auch, in einer Landschaft, die nicht
von der Natur geformt erscheint, sondern von
Baggern und Kränen.

Preston, die studierte Anästhesie-Ärztin ist
und seit ihrer Heirat mit einem Engländer
2005 in England lebt, hat hier ihre alte Heimat
mit einem beeindruckenden Blick portraitiert.
Ohne Anklage und ohne Voyeurismus zeigt sie
eine im gegenwärtigen China gängige Praxis:
Baumtransplantationen, bei denen bis zu 300
Jahre alte Bäume aus ihrer ursprünglichen
Umgebung entnommen und umgepflanzt wer­
den, um an einem fernen Ort, meist inmitten
grauer Betonsiedlungen die ihnen zugedachte
Funktion zu erfüllen, als Natur-Repräsentant.
Eine Praxis, die unwillkürlich an die in China

DRAUSSEN                                                                                                                                  21
text | Neu erschienene Bücher

Roberto Burle Marx Lectures.                       de Janeiro von 1970. Über 2.000 Projekte hat
Landscape as Art and Urbanism                      Burle Marx während seiner mehr als 60-jähri­
Gareth Doherty (Hg.) / Lars Müller Publishers      gen Laufbahn als Landschaftsarchitekt reali­
/ engl. / 288 S. / EUR 30,– / CHF 30,–             siert. Zusammen mit den Architekten Oscar
                                                   Niemeyer und Lúcio Costa gilt er als wichtigs­
                                                   ter Wegbereiter der Moderne in Brasilien und
                                                   hat das Gesicht der großen Metropolen des
                                                   Landes entscheidend geprägt. Aber auch als
                                                   Maler, Bildhauer, Bühnenbildner, Designer,
                                                   Botaniker und Umweltaktivist hat der Aus­
                                                   nahme-Künstler gewirkt und ein umfassendes
                                                   Œuvre hinterlassen. Sein charakteristisches
                                                   und viel beachtetes Werk wurde bereits in
                                                   unzähligen Ausstellungen und Büchern ge­
                                                   würdigt, seinen eigenen Worten und theoreti­
                                                   schen Schriften bisher jedoch vergleichbar
                                                   wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Eine gra­
                                                   fisch wunderschön gestaltete Publikation
                                                   schließt nun diese Lücke und versammelt ins­
                                                   gesamt 12 Vorträge, die großteils noch nie       diese Seite im Uhrzeigersinn Roberto Burle Marx
                                                   auf Englisch veröffentlicht wurden. Faksimile    Lectures, Foto: © Alice Poma / Centro de Processa-
                                                   der von Burle Marx bearbeiteten Original-        mento de Dados do Banco do Brasil, São Paulo, 1970
                                                                                                    / Copacabana, Strandpromenade (Avenida Atlântica),
                                                   Manuskripte sowie beeindruckende Aufnah­
                                                                                                    Rio de Janeiro, 1970 / Banco Safra, Dachgarten, São
Aus der Luft betrachtet sehen sie aus wie ab­      men des brasilianischen Architekturfotogra­      Paulo, 1983, Fotos: Leonardo Finotti
strakte Malerei. Die ikonischen, vom Brasilia­     fen Leonardo Finotti begleiten die Texte. Be­    rechte Seite Bruno V. Roels: Looking for Cole Porter,
ner Roberto Burle Marx (1909–1994) gestalte­       handelt werden Themen wie „Landscapes of         2017, © Bruno V. Roels, Courtesy Gallery FIFTY ONE
ten Gartenanlagen, Parks und öffentlichen          Brazil“, „The Garden as a Form of Art“, „Con­
Plätze zeichnen geschwungene Linien und            cepts in Landscape Composition“, „Gardens
asymmetrische Formen in die Landschaft und         and Ecology“ oder „The Problem of Garden
zelebrieren die Opulenz der tropischen Vege­       Lighting“. Die Vorträge geben einen spannen­
tation seines Heimatlandes. Saftiges Grün          den Einblick in die Denk- und Arbeitsweise
trifft auf erdige Braun- und Rottöne, schwarz-     eines überzeugten Humanisten, der sich zeit­
weiße Muster schlängeln sich den Boden ent­        lebens leidenschaftlich für die Verschönerung
lang, wie etwa in seinem wohl berühmtesten         und Bewahrung der natürlichen Landschaft,
Entwurf, der wellenförmigen Pflasterung der        für grüne Städte und ein besseres Leben für
Avenida Atlântica an der Copacabana in Rio         die Menschen eingesetzt hat. [THI]

22                          07-10/2018
Paradise is Now – Palm Trees in Art   Palmen – da denkt wohl jeder an Urlaub in         Krippenbildern und bei Portraits von Maria
Hatje Cantz Verlag / dt./engl. /      der Südsee, an Marokko, das Tessin, aber          mit dem Jesuskind. Dann erlebt sie im 19.
160 S. / EUR 38,– / CHF 53,–          auch an gläserne Palmenhäuser mit Kolibris,       und 20. Jahrhundert erneut eine Hochzeit
                                      Orchideen und schwüler Luft und nicht zu­         und entfaltet in unterschiedlichsten Kunst­
                                      letzt an die Palmen in den Salons von Nobel­      werken ihren ikonischen Zauber.
                                      hotels, wie etwa dem Berliner Adlon. Die
                                      Palme ist mehr als ein Baum. Sie ist ein schil­   Ein kunsttheoretisch angelegter Bildband
                                      lerndes Symbol. Während sie im Mittelmeer­        folgt nun der Palme in der modernen Kunst
                                      raum und im vorderen Orient für Vitalität,        und Fotografie des 20. und 21. Jahrhunderts
                                      Freude und Fruchtbarkeit steht, assoziiert        und trägt bekannte und entlegenere Bildbei­
                                      man mit der Palme jenseits ihrer Heimat           spiele zusammen, u.a. von David Hockney,
                                      Fernweh und gepflegte Exotik bis hin zum          Marcel Broodthaers, Sigmar Polke oder
                                      Kleinbürgertraum im Westentaschenformat in        Ed Ruscha. Essays und Betrachtungen von
                                      Gestalt der Yucca-­Palme aus dem Super­           Robert Grunenberg, Norman Rosenthal und
                                      markt oder auch platt gedrückt zum legen­         Bret Easton Ellis führen ins Thema ein, er­
                                      dären Hawaiihemd. Symbole sind geduldig.          gänzt durch kleine Meditationen, welche die
                                      Gerade Künstler hat die Palme dabei immer         vertretenen Künstler in ihrer spezifischen He­
                                      schon inspiriert, um dieser Bedeutungsdichte      rangehensweise beleuchten. Palmen als Pfad
                                      willen und natürlich wegen ihrer grafisch reiz­   in die moderne Kunstgeschichte – eine inter­
                                      vollen Form. In der italienischen Frührenais­     essante Annäherung. [NB]
                                      sance begegnet sie uns als beliebte Zutat bei

DRAUSSEN                                                                                                                              23
werkraum
Werkraum Bregenzerwald
Im Jahr 1999 schlossen sich
mehrere Handwerks- und
                                          Alphabet des Lebens
                                          Welche Gestaltungsprinzipien finden sich in der Natur und wie können wir von der
Gewerbebetriebe der Region
                                          Natur lernen, ressourceneffizient und nachhaltig zu gestalten, zu produzieren und
unter dem Namen Werkraum
Bregenzerwald zusammen. Die-
                                          zu wirtschaften? Dies sind zentrale Fragestellungen, mit denen sich die aktuelle
se als Verein organisierte Platt-         Ausstellung im Werkraumhaus in Andelsbuch befasst. Sie ist als Lernwerkstatt
form zählt mittlerweile rund              angelegt und stellt innovative und naturinspirierte Anwendungen aus Handwerk
90 Mitglieder, von Tischlern,             und Design vor.
Polsterern und Zimmerleuten
über Maler, Elektriker, Instal-
lateure, Ofenbauer, Schmuck-
und Schuhmacher bis zu                    Mitten im von Peter Zumthor entworfenen Gebäu-       Bäume bieten Lebensraum und Nahrung für
Grafikern und sogar Metzgern.             de ist ein hängender Baum das zentrale Objekt.        eine immense Artenvielfalt. Ein Beispiel ist die
Gemeinsam verfolgen sie das               Die aufgrund der Schneelast des letzten Winters      holznistende Wildbiene, die sich in bestehende
Ziel, sich in allen Belangen              umgeknickte und abgestorbene Grauerle ist Dreh-      Fraßgänge im Totholz einnistet. Ihre zarten Flü-
gegenseitig zu unterstützen               und Angelpunkt der Ausstellung und symbolisiert      gel erlauben nur eine begrenzte Anzahl von Flug-
und die Vorrangstellung des               den Kreislauf des Lebens. Strategien und Muster,     stunden, daher muss sie sehr sparsam mit ihren
regionalen Handwerks sowie                die sich über 3,8 Milliarden Jahre Evolution be-     Ressourcen umgehen und setzt bei Material- und
sein öffentliches Ansehen zu              währt haben, werden beispielhaft am Ökosystem        Nahrungsbeschaffung auf kurze Wege. Sie liefer-
pflegen und zu sichern. Als               dieses Baumes untersucht. Rundherum ordnet           te die Inspiration für einen eigens eingerichteten
richtungsweisendes Modell                 sich das „Alphabet des Lebens“ mit den 26 zen-       Schlafbereich in Form eines geschickt geschlich-
für neues Handwerk findet                 tralen Grundprinzipien der Natur an, welche die      teten Bretterstapels. Das Bett im Inneren ist dem
der Verein heute interna­tional           junge Grafikdesignerin Monika Ernst in Acryl auf     gesunden Schlaf gewidmet, während ein zweites
Anerkennung.                              Holzplatten gemalt hat. Der Typograf Johannes        Bett außen zu Sinnlichkeit und zum Träumen ein-
                                          Lang kreierte, basierend auf dem Gen-Code der        lädt. Das Holz stammt aus einem Windwurf und
                                          Blattlaus, eine eigene Schrift dafür. Jeder Buch-    wird nach Ausstellungsende als Wandverkleidung
                                          stabe steht dabei für ein Naturbeispiel, das ein     verwendet. Das Werkraumhaus ist damit lediglich
                                          Prinzip der Biomimicry repräsentiert. Dieser inno-    der Ort der Zwischentrocknung, ganz im Sinne
                                          vative Design-Ansatz nimmt die Natur zum Vorbild      des Biomimicry-Prinzips der Material- und Res-
                                          und verbindet Gestaltung mit Naturwissenschaft,      sourceneffizienz. Gleich daneben werden in der
                                          Technologie und anderen Fachgebieten. Gezeigt        „Natur-Bau-Küche“ biologisch unbedenkliche Ma-
                                          werden Biomimicry-Projekte aus den USA und           terialien für das Bauen und Wohnen wie Naturze-
                                          Europa, darunter aus Produktionsabfällen entwi-      ment oder Pflanzenkleber vorgestellt.
                                          ckelte Fliesen des Kohler WasteLab aus Wiscon-           Den Abschluss des Rundgangs bildet ein „hän-
                                          sin oder das Ornilux Vogelschutzglas von Arnold      gender Garten“. Hier werden unter anderem Re-
                                          Glas in Deutschland.                                 und Upcycling-Ideen vorgestellt, die das Prinzip
                                              Das multidisziplinäre Forschungs-, Bildungs-     aufgreifen, dass in natürlichen Ökosystemen Roh-
                                          und Ausstellungsprojekt, das Wissenschaft mit        stoffe immer in unendlichen Kreisläufen zirkulie-
                                          Handwerk und Kunst verbindet, startete mit ei-       ren oder nachwachsen. Beispiele sind die kom-
                                          nem Workshop im Sommer 2017. Federführend            postierbare Mode F-ABRIC von FREITAG oder die
                                          sind die Projekt- und Kommunikationsdesigne-         Ecover Ozeanflasche von Edificio Logoplaste aus
                                          rin Elisabeth Kopf (Universität für angewandte       Portugal, die das wichtige Thema der Reinigung
                                          Kunst Wien) und die Biomimicry-Expertin Regi-         der Meere von Plastikmüll aufgreift.
                                          na Rowland. Sie haben im Vorfeld gemeinsam               Ebenfalls bis Herbst zu sehen ist eine von
                                          mit Claus Schnetzer und Gregor Pils, die für die     60 Jugendlichen im Rahmen der Bautage der
                                          Ausstellungsarchitektur verantwortlich zeichnen,     Werk­­raumschule gemeinsam mit dem Schweizer
                                          Interviews mit zahlreichen ExpertInnen aus dem       Gestalter Serge Lunin gebaute Fassadenkonst-
                                          Bereich der Naturwissenschaften geführt, vor al-     ruktion aus Holz – ein „Nistplatz“ für den Nach-
                                          lem aber die lokalen Handwerksbetriebe besucht       wuchs, der sich an den Bauprinzipien der Natur
                                          und in den Prozess miteinbezogen. Die Vernet-         orientiert.
                                          zung mit Partnern wie der inatura Dornbirn, dem
                                          designforum Vorarlberg, dem Energieinstitut Vo-      Mehr zum vielseitigen Rahmenprogramm mit
                                          rarlberg, dem Naturpark Nagelfluhkette und der       Workshops, Vorträgen, Führungen und Naturer-
                                          Klimawandel-­Initiative would2050 lieferte weitere   kundungen für Fachleute, Laien und die ganze
                                          wichtige Impulse.                                    Familie unter: www.werkraum.at

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Fotos: © Roswitha Schneider

           Vorschau:
           Handwerk+Form 2018 / Ausstellungsrundgang
           13. / 14. Oktober und 18. / 19. / 20. / 21. Oktober 2018, täglich 10–18 h
           Der renommierte Gestaltungswettbewerb wird in diesem Jahr bereits
           zum achten Mal ausgetragen. Sämtliche Einreichungen werden im
           Oktober in einer groß angelegten Ausstellung in Andelsbuch gezeigt.
           Die außergewöhnliche Präsentation in ehemaligen Werkstätten und
           vorbildlich sanierten Häusern führt, ausgehend vom Werkraumhaus,
           in einem attraktiven Rundgang durch das ganze Dorf.
           Werkraum Bregenzerwald / Werkraumhaus / Hof 800 / A-6866
           Andelsbuch / Di–Sa 10–18 h / www.handwerkundform.com

DRAUSSEN                                                                          25
spezial
DRAUSSEN
Frischluft liegt im Trend. Die Städte wollen grüner und wir gesünder
werden. Indoor-Aktivitäten werden ins Freie verlegt und die Natur in die
Wohnung oder ins Büro verpflanzt – neue Technologien und Gestaltungs-
ideen machen es möglich, und unser Leben reicher.

                        Rucksack für Digitale
                        Nomaden: seine
                        kompakte Größe macht
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                        zum idealen Begleiter im
                        urbanen Dschungel |
                        Hersteller: QWSTION |
                        Bezug: www.qwstion.com

                                                                           Büropflanze 2.0: flexibler Raumteiler Green
                                                                           Divider mit Rankhilfen aus weiß lackiertem
                                                                           Stahl | Design: Louise Hederström |
                                                                           Hersteller: www.offecct.com

Vollmondnächte im
Garten: die portable
Akku-LED-Leuchte
Mooon! ist in sechs
Farben erhältlich |
Design: Tristan Lohner |
Hersteller: Fermob |
Bezug: www.seipp.com

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                                                                                      minimalistische Feuerschale
                                                                                      Slide 700 mit Grillrost | Design:
                                                                                      RSW | Hersteller: Konstantin
                                                                                      Slawinski | Bezug:
                                                                                      www.blickfang-designshop.com

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