"NULL-RISIKO-GESELLSCHAFT" - FOKUS STANDORT Risiko Blackout - Handelskammer beider ...

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"NULL-RISIKO-GESELLSCHAFT" - FOKUS STANDORT Risiko Blackout - Handelskammer beider ...
13. Ausgabe
                                       Herbst 2020

FOKUS

«NULL-RISIKO-
GESELLSCHAFT»
STANDORT          AUS DER ’KAMMER
Risiko Blackout   Fachkräfte sichern
"NULL-RISIKO-GESELLSCHAFT" - FOKUS STANDORT Risiko Blackout - Handelskammer beider ...
IN DIESER AUSGABE

                     FOKUS                                                    STANDORT                                                          AUS DER ’KAMMER

    4 G
       efangen in                                              14 Unternehmens-Verantwor-                                                    26 Fachkräfte von morgen
                                                                   tungs-Initiative: Anpacken                                                    sichern
      der «Null-Risiko-
                                                                   statt anklagen
      Gesellschaft»                                                                                                                           27 E-Mail-Schlacht oder
                                                                16 Lamello – schnell, flexibel                                                   Agile and Lean?
                                                                   und kurze Entscheidungs-
                                                                   wege

                                                                                                                AMSTERDAM
                                                                                 LONDON                       ROTTERDAM
                                                                                               ANTWERPEN
                                                                                                                        DÜSSELDORF
                                                                                          ZEEBRUGGE
                                                                                                                        KÖLN
                                                                                                           BRÜSSEL
                                                                                                                               MANNHEIM/
                                                                                                                               LUDWIGSHAFEN
                                                                                                       STRASSBURG

                                                                                                                BASEL          ZÜRICH
                                                                                                                BERN

                                                                                                                                MAILAND

     8 Wie viel Risikofreude                                                                                                    GENUA

       braucht’s?                                                                                                                             28 Nachhaltig investieren
    10 «Als Unternehmer geht                                                                                                                  29 Abstimmungs­e mpfehlungen
       man immer Risiken ein» –                                18 Rhein-Alpen-Korridor                                                        30 Starke Partnerschaft
       ein Doppelinterview
                                                               20 Interview mit Swissgrid-                                                    31 Unternehmertreffen
    12 Cybersicherheit –                                          CEO Yves Zumwald
       wichtiger denn je
    13 Kolumne von Thomas Kleiber

                                                              22 Planungsverfahren
                                                                 im Dreiland
                                                               23 Verplante Raumplanung
                                                               24 10 Jahre tunBasel
                                                               25 Stimmungsbarometer

IMPRESSUM
twice erscheint zweimal im Jahr (Frühjahr und Herbst) HERAUSGEBER Handelskammer beider Basel, St. Jakobs-Strasse 25, Postfach, 4010 Basel, T +41 61 270 60 60,
F +41 61 270 60 05, E-Mail: info@hkbb.ch REDAKTION Jasmin Fürstenberger, j.fuerstenberger@hkbb.ch, Lucia Uebersax, l.uebersax@hkbb.ch MITAUTORIN Anne Theiss,
Brenneisen Theiss Communications ART DIRECTION Brenneisen Theiss Communications FOTOS Designersfactory AG (S. 14), Tom Heinzer (S. 17), Lamello (S. 16),
Raphaël Leibundgut (S. 30), LUXWERK.CH (S. 21), Oettinger Davidoff AG (S. 15), Martin Schulze-Schilddorf (S. 10), SRF Schweizer Radio und Fernsehen (S. 13), Tobias Sutter
(S. 11), Violetta Digital Craft (S. 27), Shutterstock: Borhax (S. 18), fanjianhua (S. 23), ioat (S. 12), J.D.S (S. 6), justone (S. 25), MJgraphics (S. 9), Unsplash: Paige Cody (S. 7),
Adam Miller (S. 5), Sammie Vasquez (Titel) DRUCK Gremper AG, Basel

2    twice Herbst 2020
"NULL-RISIKO-GESELLSCHAFT" - FOKUS STANDORT Risiko Blackout - Handelskammer beider ...
EDITORIAL

WAGEN, NICHT
HOFFEN
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER

Unternehmen heisst riskieren. Erfolgreich unternehmen heisst kalkuliert
riskieren. Aber was und wie viel? Und vor allem: zu welchem Preis? Wir leben
heute in einer Gesellschaft, für die Erfolg oberste Priorität hat. Scheitern gibt
es nicht. Was das bedeutet? Stagnation. Für Risikoforscher Professor Didier
Sornette ist denn auch klar, dass durch den Versuch, alle Risiken zu besei-
tigen, nicht nur Freiheiten beschränkt, sondern auch Neues verunmöglicht
wird: «Denn Forschen heisst, Risiken auf sich nehmen, das Unbekannte
erkunden. Eine Gesellschaft, die Risiken immer stärker kontrollieren will,
steuert auf ihren Tod zu.»

Sind Familienunternehmen und Jungunternehmen gleichermassen mit Risiken
konfrontiert? Und wie haben sich die Risiken verändert? Diesen Fragen gehen
wir nach und erfahren in einem Gespräch mit einem Mentor von Jungunter-
nehmerinnen und Jungunternehmern mehr über die Risikobereitschaft und
Erfolgsfaktoren von Startups. Mit unserer Partnerschaft mit Startup Academy
unterstützen übrigens auch wir Jungunternehmen und gewähren ihnen Zugang
zu unserem weitreichenden Netzwerk.

Haben Sie gewusst, dass im Risikobericht 2015 des Bundes als grösste Risiken
für die Schweiz erstens ein Blackout und zweitens eine Pandemie identifiziert
wurden? Nun, die Pandemie durchleben wir gerade. Wann trifft das Blackout
ein? Im Interview zeigt Yves Zumwald, CEO Swissgrid, auf, warum ein Strom-
abkommen mit der EU wichtig ist, um die Versorgungssicherheit der Schweiz
zu gewährleisten. Erfahren Sie auch mehr zu weiteren aktuellen standort-
politischen Themen. Übrigens: Die QR-Codes führen Sie jeweils zu vertieften
Informationen zum Thema. Also, halten Sie Ihr Smartphone bereit.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre und vergessen Sie nicht:
Wer nichts wagt, der darf nichts erhoffen.

Martin Dätwyler, Direktor

                                                                         twice Herbst 2020   3
"NULL-RISIKO-GESELLSCHAFT" - FOKUS STANDORT Risiko Blackout - Handelskammer beider ...
FOKUS

GEFANGEN IN DER

			 «NULL-RIS
 GESELLSCHA
Wir leben in einer «Null-Risiko-Gesellschaft», die davon geprägt ist,
mögliche Risiken zu kontrollieren und zu beseitigen. Klar ist es ein
wichtiges Ziel jeder Zivilisation, die Sicherheit und den Schutz ihrer
Bürger zu verbessern. Wir dürfen jedoch nicht zulassen, dass uns
der behagliche Komfort in einen Dämmerzustand versetzt, und sollten
die Risikobereitschaft wieder stärken.

Von Prof. Didier Sornette und Dr. Peter Cauwels

Wir leben in einer Zeit, die von wirtschaft-    ches Leben führen, sehen wir keinen                                       Revolutionen, Kriege oder Terroranschläge
licher, technologischer, demografischer,        Grund, unnötige Risiken einzugehen.                                       sowie anthropogene Komponenten des Kli-
kultureller und intellektueller Stagnation      Doch dieses Gefühl von Sicherheit und                                     mawandels wie Bodenerosion oder Wasser-
geprägt ist. Da Wohlstand und Komfort im        Schutz hat nur dann Bestand, wenn unse-                                   knappheit. Auch Fragen der Nachhaltigkeit
letzten Jahrhundert angestiegen sind, sind      re Umwelt und unsere Gesellschaft stabil                                  und globale Gesundheitsfragen sind Bei-
die wohlhabenden Gesellschaften gealtert        und nur kleinen Stressfaktoren und Stö-                                   spiele dafür. Diese wachsenden Heraus-
und risikoscheu geworden. Besorgt um den        rungen ausgesetzt sind. Oder anders aus-                                  forderungen bedingen die Bereitschaft, Ri-
Erhalt dessen, was ist, und viel weniger da-    gedrückt: Wenn die Welt um uns herum                                      siken einzugehen, um Lösungen zu finden.
ran interessiert, nach dem zu streben, was      in einem Gleichgewicht schwebt. Nichts                                    Denn: Leben ist Risiko, Risiko ist Leben.
sein könnte, sind wir nicht mehr bereit,        könnte jedoch weiter von der Wahrheit
den Sprung ins Unbekannte zu wagen und          entfernt sein. Denn wenn wir unsere                                        WIE IST ES SO WEIT GEKOMMEN?
«mutig dorthin zu gehen, wo noch kein           Kurzsichtigkeit ablegen, wird klar, dass                                  Welche Beweise haben wir, um die ver-
Mensch zuvor war», wie die berühmte Er-         wir ständig mehr oder weniger Unbekann-                                   nichtende Aussage einer «Null-Risiko-Ge-
öffnungssequenz von «Star Trek» besagt.         tem ausgesetzt sind. In unserer Forschung                                 sellschaft» zu untermauern? Wie ist es so
Wir leben heute in einer «Null-Risiko-Ge-       nennen wir diese Risiken sogenannte                                       weit gekommen? Und was kann man da-
sellschaft». Was bedeutet, dass wir in einer    «Drachenkönig-Risiken».                                                   gegen tun? Zwischen 1870 und den 1970er-
Gesellschaft leben, die darauf abzielt, Risi-                                                                             Jahren hat sich unsere Welt an langfristi-
ken zu kontrollieren und zu beseitigen.         Solche Ereignisse können von aussen kom-                                  ges Wirtschaftswachstum und kontinuierli-
                                                men, wie Pandemien, Erdbeben, Supervul-                                   che Produktivitätssteigerung gewöhnt. Da-
 HÖHEPUNKT DER ZIVILISATION?                    kanausbrüche oder ein Meteoriteneinschlag                                 bei ist wichtig, zu verstehen, dass ein gros-
Viele feiern dies wahrscheinlich als Höhe-      aus dem Weltall. Sie können aber auch mit                                 ser Teil dieses hundertjährigen Fortschritts
punkt der Zivilisation, die unsere Umwelt       unserer Gesellschaft selbst zusammen-                                     das Ergebnis von Einzelereignissen war1.
endlich gezähmt hat. Da wir ein behagli-        hängen: Finanzblasen, soziale Unruhen,                                    Nehmen wir zum Beispiel den Wandel von

4   twice Herbst 2020                           1 Robert Gordon, The Rise and Fall of American Growth, Princeton University Press, 2016
"NULL-RISIKO-GESELLSCHAFT" - FOKUS STANDORT Risiko Blackout - Handelskammer beider ...
SIKO-
AFT»

einer ungebildeten zu einer gebildeten Be-
völkerung, die Zähmung der Wildnis und
die Eroberung neuer Nutzflächen. Oder die
revolutionären Veränderungen, die das mo-
derne Haus brachte, das uns Elektrizität auf
Knopfdruck, moderne Sanitäranlagen mit
fliessendem Wasser oder Telefonleitungen
für sofortige Fernkommunikation bietet.

Diese Fortschritte zeigen aber auch: Sobald
die «tief hängenden Früchte2» des techni-
schen Fortschritts gepflückt sind, erfordert
es immer mehr Mühe und Kosten, um nach
den höheren Zweigen zu greifen. Demzu-
folge nahmen Wirtschaftswachstum und
Produktivität in den letzten fünfzig Jahren
ab und stagnierten schliesslich. Verschärft
haben dies der Rückgang an Neuinves-
titionen unter dem Druck des massiven
Schuldenüberhangs im öffentlichen und im
privaten Sektor sowie die steigenden Aus-
gaben für die Gesundheitsversorgung und
die Rentenverpflichtungen.

2 Tyler Cowen, The Great Stagnation: How America Ate All the Low-Hanging Fruit
of Modern History, Got Sick, and Will (Eventually) Feel Better, Penguin Group, 2011   twice Herbst 2020   5
"NULL-RISIKO-GESELLSCHAFT" - FOKUS STANDORT Risiko Blackout - Handelskammer beider ...
FOKUS

In Zeiten, in denen vermeintliche Technolo-    und Interessengruppen, kurzfristigen Fi-                                Zweitens: Damit man Risiken eingehen
gieexperten die digitale und virtuelle Re-     xierungen und Polarisierung. Wir sind ab-                               kann, muss man Zugang zu Chancen ha-
volution verherrlichen, mag die Diagnose       hängig von unseren elektronischen Gerä-                                 ben. Da die Ungleichheit in der Wohlstands-
einer technologischen Stagnation, wie wir      ten, süchtig nach Apps4, die speziell darauf                            gesellschaft in den letzten Jahrzehnten
sie in den letzten Jahrzehnten erlebt haben,   ausgerichtet sind, unsere Schwächen wie                                 sprunghaft angestiegen ist, hat ein wach-
überraschen. Sollte sich dies widersprüch-     Langeweile, Einsamkeit, Unsicherheit und                                sender Anteil der Bürgerinnen und Bürger
lich anfühlen, dann liegt das daran, dass      das Verlangen nach sofortiger Befriedi-                                 in vielen westlichen Ländern – ganz zu
wir technologischen Fortschritt mit Innova-    gung unserer Bedürfnisse auszunutzen.                                   schweigen von den Entwicklungsländern
tion verwechselt haben, ohne zu erkennen,      Wir erwarten kurzfristige Lösungen für                                  – Schwierigkeiten, ihr tägliches Leben zu
dass die Wissensakkumulation einen sehr        jedes Problem, wir wollen keine Zeit mit                                meistern, leidet unter schlechter Gesund-
subtilen Weg geht, der in erster Linie auf     Nachdenken verlieren.                                                   heit, hat keinen Zugang zu hochwertiger
Entdeckungen und Erfindungen basiert.                                                                                  Bildung oder einem angemessenen sozialen

           DREI TRIEBKRÄFTE
Ein gesundes Wirtschaftssystem schafft
das richtige Gleichgewicht zwischen den
drei Triebkräften des technologischen
Fortschritts: der Effizienz der risikoarmen,
meist verwertungsfördernden Innovation,
dem Glück der kreativen Erfindung mit
mittlerem Risiko und der Kühnheit der ex-
plorativen Entdeckung mit hohem Risiko.
Wir müssen anfangen, zu verstehen, dass
viele der sogenannten revolutionären In-
novationen, die jetzt auf den Markt kom-
men – wenn überhaupt –, nur marginale
Auswirkungen auf unser Leben haben.
Dies ist in keiner Weise vergleichbar mit
den lebensverändernden Fortschritten, die
während der industriellen und technolo-
gischen Revolutionen im Jahrhundert vor
den 1970er-Jahren stattfanden. Um es mit
dem berühmten Witz von Peter Thiel aus-
zudrücken: «Man versprach uns fliegende
Autos. Wir bekamen 140 Zeichen.»
                                                        HOTEL CALIFORNIA                                               Sicherheitsnetz. So leben sie ein riskantes
       SOZIALE ERSCHÖPFUNG                     Willkommen im Hotel California! Will-                                   Leben mit Abwärts- und keinen Aufwärts-
Die Stagnation beschränkt sich aber nicht      kommen in der «Null-Risiko-Gesellschaft»!                               risiken, die Innovation und Unternehmer-
nur auf Technik und Wirtschaft. Ross           So ein schöner Ort. Sie können einche-                                  tum ermöglichen.
Douthat3, Kolumnist der «New York Times»,      cken, wann immer Sie wollen, aber Sie
dokumentiert soziale, kulturelle, intellek-    können nie wieder abreisen. Also, wie                                   Drittens: Der technologische Fortschritt
tuelle und institutionelle Erschöpfung: Die    sind wir hier reingeraten? Wir haben vier                               ist eine Illusion der Kontrolle. Wir haben
reichsten Gesellschaften der Menschheits-      Ursachen identifiziert, die uns an diesen                               das behagliche Gefühl, geschützt und si-
geschichte haben beschlossen, sich nicht       Punkt gebracht haben.                                                   cher zu sein und dass die Technologie uns
fortzupflanzen. Der zunehmende Mangel          Erstens: Die direkte Folge des wirtschaft-                              vor Schaden oder unerwünschten Ereig-
an sexuellem Begehren ist dokumentiert         lichen Fortschritts. Denn wenn Reichtum                                 nissen bewahrt.
und kulturell und intellektuell leiden wir     und Alter in der Gesellschaft ansteigen,
unter Wiederholungen von unzähligen Pro-       werden die Menschen immer risikoscheuer,                                Viertens: Die Wahrscheinlichkeit seltener
logen oder Epilogen von «Star Wars» oder       konzentrieren sich auf den Fortbestand des                              Ereignisse wird durch die instinktive Re-
Serien von Disney und Netflix. Darüber hi-     Unternehmens und den Schutz des Reich-                                  aktion unseres Reptiliengehirns, die Mul-
naus schwindet die Stärke unserer Institu-     tums und das Streben nach Zinseinkom-                                   tiplikation durch soziale Medien und die
tionen unter dem Einfluss von Lobbyisten       men. Dies gilt vor allem für Wohlhabende.                               Medien als Händler von Aufmerksamkeit5

                                               3 Ross Douthat, The Decadent Society. How We Became the Victims of Our Own Success, Avid Reader Press, 2020, 4 Nir Eyal, Hooked, How to Build
6   twice Herbst 2020                          Habit-Forming Products, Penguin Books, 2014, 5 Tim Wu, The Attention Merchants: The Epic Scramble to Get Inside Our Heads, Deckle Edge, 2016
"NULL-RISIKO-GESELLSCHAFT" - FOKUS STANDORT Risiko Blackout - Handelskammer beider ...
oft enorm überschätzt, was zu einem Ma-
nagement der Extreme führt. Wenn politi-
sche Entscheidungsträger dieser Tendenz
nachgeben, geben sie dem Populismus
nach. Darüber hinaus bekämpfen wir oft
nur oberflächlich Symptome, ohne nach
tieferen Ursachen für die Probleme zu su-
chen, mit denen unsere Gesellschaft kon-
frontiert ist.

Obwohl dies widersprüchlich klingen mag,
müssen wir dazu bereit sein, grössere Ri-
siken einzugehen, um unsere Gesellschaft
widerstandsfähiger zu machen. Um uns
auf «Drachenkönige» vorzubereiten, müs-
sen wir ein Umfeld schaffen, das mutige
Erkundungen ausserhalb unserer Kom-
fortzone ermöglicht. Tatsächlich ist dies
auch der einzige Weg, um aus der Falle
der sinkenden Erträge herauszukommen
und der wirtschaftlichen und der techno-
logischen Stagnation zu entkommen. Dies
ist mit der militärischen Taktik der Auf-
klärung vergleichbar: Man setzt zwar klei-
nere Gruppen von Aufklärern einem hö-
heren Risiko aus, aber die Erkundung         Wir sollten energisch explorative, risiko-     DIDIER SORNETTE ist ordentlicher Professor für unter-
                                                                                            nehmerische Risiken am Institut für Management, Tech -
ausserhalb des von befreundeten Streit-      reiche Projekte finanzieren, spielerische,     nologie und Wir tschaft der ETH Zürich. Er ist Spezialist
kräften besetzten Gebiets kommt der          kreative, sogar scheinbar nutzlose Tüfte-      für grosse und extreme Risiken.

grösseren Gruppe zugute und erhöht ihre      leien fördern, die auf längere Sicht sicher-   DR. PETER CAUWELS ist Senior Researcher am Lehr-
                                                                                            stuhl für Entrepreneurial Risk an der ETH Zürich. Er pro -
Widerstandsfähigkeit.                        lich den Forschungserfolg erhöhen. Natür-      movierte in Physik an der Universität Gent und war Leiter
                                             lich ist zielgerichtete Forschung äusserst     des Global Market Research bei BNP Paribas For tis.

  RISIKOBEREITSCHAFT STÄRKEN                 nützlich und Effizienz notwendig, aber wir
Die verschiedenen Formen der Stagnati-       müssen begreifen, dass dies bestenfalls
on, die wir oben beschrieben haben, sind     zu Innovationen führt. Um Entdeckungen
                                                                                              Dieser Leitartikel basiert auf den Er-
weithin anerkannt. Die Lösungen, die vor-    und Erfindungen – also quasi die Vorrei-
                                                                                              kenntnissen, die Prof. Didier Sornette
geschlagen werden, wie beispielsweise        ter von Innovationen – zu fördern, ist eine
                                                                                              und Dr. Peter Cauwels für ihr neues
eine aussergewöhnliche Geld- und Fi-         ungezielte freie Forschung nötig.
                                                                                              Buch «Die Illusion der ewigen Geld-
nanzpolitik, um Investitionen anzukur-
                                                                                              maschine und was sie für die Zukunft
beln, oder steuerliche Anreize zur Erhö-             NEUE ROLLENMODELLE
                                                                                              verheisst» recherchiert haben. Darin
hung der Geburtenrate, kratzen lediglich      Und schliesslich brauchen wir zusätzliche
                                                                                              analysieren sie die Entwicklung unserer
an der Oberfläche und behandeln nur die       Rollenmodelle für unsere Jugend. Warum
                                                                                              Gesellschaften seit 1870 und identifi-
Symptome. Wir schlagen vor, zum Kern          fördern wir nicht den Risikofreudigen, die
                                                                                              zieren fünf Hauptperioden, wobei sie die
des Problems vorzudringen und die Risi-       Entdeckerin, die kreativen Erfinder als
                                                                                              gegenwärtige, die Anfang der 1980er-
kobereitschaft wieder zu stärken. Wir         neuen gesellschaftlichen Typus, der wie
                                                                                              Jahre begann, als das «Zeitalter des Nar-
müssen für Begüterte eine Kultur fördern,     ein Hollywood- oder Sportstar gefeiert
                                                                                              rengolds» bezeichnen. In ihren Analysen
in der das Scheitern als Teil des Lernpro-    wird? Nur durch einen tiefgreifenden kul-
                                                                                              fordern sie die Schaffung von ähnlichen
zesses gesehen wird. Für Mittellose müs-      turellen Wandel – indem wir den Pionier-
                                                                                              Institutionen wie die DARPA und mutige
sen wir eine Gesellschaft schaffen, die       geist wiedererwecken und die Risiko­
                                                                                              Projekte wie das Apollo-Programm, um
Chancen eröffnet und einen besseren Zu-       bereitschaft stärken – können wir der
                                                                                              sich von der «Null-Risiko-Gesellschaft»
gang zu Gesundheit, Bildung und vor al-       illusionären und lähmenden «Null-­R isiko-
                                                                                              zu befreien, die sie strebenden Gesell-
lem zu Empowerment bietet.                    Gesellschaft» und ihren inhärenten
                                                                                              schaften gleichsetzen.
                                             ­R isiken entfliehen. •

                                                                                                                               twice Herbst 2020    7
"NULL-RISIKO-GESELLSCHAFT" - FOKUS STANDORT Risiko Blackout - Handelskammer beider ...
WIE VIEL
  RISIKOFREU
BRAUCHT’S?
    Das populäre Image von Unternehmern wird durch schillernde
    Persönlichkeiten wie Richard Branson und Elon Musk geprägt. Extra-
    vertierte Draufgänger, die mutig das Risiko suchen. Bei genauerem
    Hinsehen erweist sich die Risikofreude aber als zweischneidiges Schwert.
    Sucht man nach dem Stereotyp eines                ENTREPRENEURE SIND                    deren Konsequenzen ungewiss sind. Risi-
    Entrepreneurs, taucht die Risikobereit-             RISIKOFREUDIGER                     koaverse Menschen erleben solche Situati-
    schaft als Eigenschaft ganz oben auf.     Was ist nun dran am Stereotyp, dass           onen als äusserst unangenehm und ver-
    Unternehmerinnen und Unternehmer          Entrepreneure risikobereiter sind? Dies       meiden sie daher. Unsere Studien, die wir
    müssen nach landläufiger Einschätzung     wird bereits seit Längerem erforscht und      vor wenigen Wochen im Kanton Basel mit
    besonders risikofreudig sein. Dieses      die Ergebnisse sind recht eindeutig. Entre-   Gründern durchgeführt haben, unter-
    Image speist sich aus der medienwirksa-   preneure sind tatsächlich risikobereiter      streichen die Bedeutung der Risikobereit-
    men Selbstinszenierung ausserordent-      als der Durchschnitt der Bevölkerung, sie     schaft. Kein Persönlichkeitsmerkmal sagt
    lich risikofreudiger Entrepreneure wie    sind risikobereiter als angestellte Perso-    die Gründungsneigung besser voraus.
    Elon Musk. Diese Wahrnehmung hat          nen und sie sind auch risikobereiter als      Aber hängt Risikofreude auch mit Erfolg
    aber durchaus einen wahren Kern.          Führungskräfte in Unternehmen. Dabei          zusammen? Braucht es den draufgängeri-
                                              sind Entrepreneure nicht gleich Entrepre-     schen Mut eines Richard Branson oder
       RISIKOFREUDE ALS STABILES              neure, denn wachstumsorientierte Unter-       reicht das zurückhaltende Temperament
           VERHALTENSMUSTER                   nehmer sind nochmals risikofreudiger als      eines Bill Gates?
    Als risikofreudig werden Menschen be-     einkommensorientierte Unternehmer. Jeff
    zeichnet, die bereitwillig Entscheidun-   Bezos, der Gründer von Amazon, der seinen        TREIBER FÜR WACHSTUM UND
    gen unter Unsicherheit fällen und die     gut dotierten Wall-Street-Job zugunsten                 PROFITABILITÄT?
    bereit sind, auch einen hohen Einsatz     einer Garagengründung aufgegeben hat,         Auch hierzu haben wir Untersuchungen
    für einen möglichen Gewinn aufs Spiel     dürfte das bekannteste Beispiel für einen     in mehreren Nordwestschweizer Kantonen
    zu setzen. Für solche Verhaltensmuster    wachstumsorientierten Entrepreneur sein.      durchgeführt. Unsere Analysen zeigen
    spielen situative Bedingungen wie Er-     Sein Motto: It’s allways day one!
    folgswahrscheinlichkeiten oder die Höhe
    der Anreize zwar eine wichtige Rolle.             RISIKOBEREITSCHAFT
    Die Wissenschaft hat aber gezeigt, dass           ALS EINGANGSHÜRDE
    die Tendenz, Risiken einzugehen, ein      Es liegt in der Natur von Unternehmens-
    stabiles Verhaltensmuster ist und sogar   gründungen, dass Entrepreneure neuar-
    als überdauerndes Persönlichkeitsmerk-    tige, unstrukturierte Situationen meis-
    mal interpretiert werden kann.            tern und Entscheidungen treffen müssen,

8   twice Herbst 2020
"NULL-RISIKO-GESELLSCHAFT" - FOKUS STANDORT Risiko Blackout - Handelskammer beider ...
ENTREPRENEUR-

UDE
                                                            CHECK
                                                           DER FHNW
                                                  •	Der von der Fachhochschule Nordwestschweiz entwickelte Entrepre-
                                                     neurcheck ist ein Selbsttest, der angehenden und bereits aktiven
                                                     Entrepreneuren Feedback zu ihren Stärken und Schwächen im Hin-
                                                     blick auf ihre selbstständige Tätigkeit gibt.

                                                  •	Der Test besteht aus einem Persönlichkeitstest und aus einem Mo-
                                                     dul, das gesundheitsrelevantes Verhalten abbildet. Beide Module
                                                     sind so aufgebaut, dass unmittelbar nach Durchführung des Tests
                                                     ein ausführliches Feedback mit konkreten Handlungsempfehlungen
                                                     abgegeben wird. Ziel ist es, die persönliche Weiterentwicklung zu un-
                                                     terstützen, um den Gründungserfolg zu fördern.

                                                  •	Der Persönlichkeitstest bildet die zwölf Persönlichkeitsmerkmale ab,
                                                     die nachweislich mit dem Erfolg von Entrepreneuren zusammen-
                                                     hängen: Belastbarkeit, Beharrlichkeit, Durchsetzungsfreude, Innova-
deutlich, dass sich die Risikobereitschaft auf
                                                     tionsfreude, Kontrollüberzeugung, Leistungsmotivation, Offenheit,
den Erfolg in der ersten Gründungsphase aus-
                                                     Proaktivität, Selbstkontrolle, Selbstwirksamkeit, Unabhängigkeits-
wirkt. Risikofreudigere Personen entwickeln
                                                     streben. Der Test erfasst auch die Risikobereitschaft. Die Ausprä-
mehr Gründungsideen und sie setzen diese
                                                     gung der Persönlichkeitsmerkmale wird in Relation zur durchschnitt-
Ideen wesentlich häufiger in die Tat um. In
                                                     lichen Ausprägung in der Gesamtbevölkerung sowie bei
den späteren Phasen jedoch kommt es auf an-
                                                     erfolgreichen Entrepreneuren gesetzt.
dere Persönlichkeitsmerkmale an. Die drei
wichtigsten Merkmale für die nachhaltige          •	Das Tool steht in deutscher, englischer und französischer Sprache
Unternehmensentwicklung sowie für Wachs-             zur Verfügung. Eine Testdurchführung mit ausführlicher Auswertung
tum und Profitabilität sind Beharrlichkeit,          kostet 19 Franken.
Leistungsmotivation und Offenheit.
                                                                                                www.entrepreneur-check.ch

         RISIKOMANAGEMENT
         STATT NERVENKITZEL
Die Notwendigkeit, Risiken einzugehen, kann
also als Eingangshürde für angehende Un-
ternehmer angesehen werden. Es braucht
einen gewissen Mut, um ein Unternehmen
zu gründen. Aber für den Erfolg ist eine Risi-
koneigung um des Nervenkitzels willen
schädlich. Stattdessen ist ein gutes Risiko-
management gefragt, denn Risiken sollten
kalkuliert eingegangen und gegebenenfalls
reduziert werden. •

BENEDIKT HELL ist Professor an der FHNW,
Hochschule für Angewandte Psychologie, Institut
Mensch in komplexen Systemen (MikS).

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"NULL-RISIKO-GESELLSCHAFT" - FOKUS STANDORT Risiko Blackout - Handelskammer beider ...
«ALS UNTERNEH
FOKUS

      IMMER RIS
Mit welchen Risiken ist ein Startup konfrontiert und welche Risiken trägt ein
traditionelles Familienunternehmen? Marija Plodinec, CEO ARTIDIS AG, und
Patrice Cron, CEO Jean Cron AG, über Unternehmensrisiken und ihre Visionen.
Was halten Sie von der Aussage «no risk,        Ihr Unternehmen ist ja bereits sehr erfolg-    das Private mit dem Geschäft eng zusam-
no succes»?                                     reich unterwegs.                               menhängt. Vor allem, wenn das Unterneh-
Patrice Cron (P.C.): Das ist eine gewagte       M.P.: Das kommt sicherlich daher, dass wir     men den gleichen Namen trägt. Erlaube ich
Aussage. Denn als Unternehmer geht man          vom Potenzial unseres Produkts absolut         mir auf der einen Seite einen Fauxpas, so
immer Risiken ein. Wie viel Risiko es aber      überzeugt sind. Wir haben hervorragende        kann die andere Seite davon beeinträchtigt
für Erfolg braucht, ist schwer abzuschätzen.    internationale Patente, hochinnovative und     sein. Und da Familienunternehmen meis-
Ich würde also eher dazu tendieren, ohne        kompetente Mitarbeiterinnen und Mitar-         tens patronal geführt sind, konzentrieren
kalkuliertes Risiko kein Erfolg.                beiter und entwickeln unser Produkt stän-      sich die Führungsaufgaben vermehrt auf
                                                dig weiter. Schwierigkeiten sehen wir als      den Geschäftsführer. Dies birgt ein Klum-
Marija Plodinec (M.P.): Als CEO eines           wichtige, notwendige Tests an. Wir haben       penrisiko, wenn diese Person ausfällt.
Startups kann ich diese Aussage natürlich       wohl die richtige Mischung aus Begeiste-
voll und ganz bestätigen. Alles, was wir ma-    rung und Realismus, das richtige Mass an       Haben sich die Risiken verändert?
chen, ist neu – und alles Neue birgt Risiken.   Standhaftigkeit und Lernfähigkeit bei der      P.C: Die Risiken haben sich insofern verän-
Wir sind uns dessen sehr bewusst. Aber          Weiterentwicklung unseres Produkts so-         dert, dass die Öffentlichkeit und die Medien
wenn wir unsere Arbeit voranbringen kön-        wie exzellente Partner an unserer Seite.       sehr sensitiv darauf reagieren, wenn bei
nen, nehmen wir die Risiken auch gerne in                                                      privaten Engagements, wie beispielsweise
Kauf. Denn nur eine geniale Idee allein         Mit welchen Risiken sehen Sie sich als         in der Politik oder bei Vorstandsarbeiten,
reicht nicht für den Erfolg. Es braucht auch    Familienunternehmen konfrontiert?              ein Zusammenhang mit dem Geschäftli-
die richtigen Mitarbeitenden und Partner        P.C: Eines der grössten Risiken ist, dass      chen konstruiert werden kann. Da kann gut
sowie manchmal auch mutige Manage-
mententscheidungen, um eine Idee erfolg-
reich umsetzen zu können.
                                                                             Die Risiken haben sich in-
                                                                             sofern verändert, dass die
                                                                             Öffentlichkeit und die Medien
                                                                             sehr sensitiv reagieren. »
                                                                             PATRICE CRON, CEO JEAN CRON AG

                                                                                                     JEAN CRON
                                                                                                 Das Bauunternehmen
                                                                                                 Jean Cron AG vereint
                                                                                                Tradition und Moderne.
                                                                                                 Seine Wurzeln gehen
                                                                                               zurück bis ins Jahr 1936.
                                                                                              Heute beschäftigt die Jean
                                                                                               Cron AG 70 Angestellte.

                                                                                                     www.jeancron.ch

8 twice
10 twiceHerbst
         Herbst2018
                2020
HMER GEHT MAN
SIKEN EIN»
                          ARTIDIS
                entwickelt ein medizinisches
                   Gerät für die klinische
                     Anwendung in der
                  Krebsdiagnostik, das auf
                 Nanotechnologie basiert.
                 Das Team von ARTIDIS AG
                   zählt aktuell 22 Köpfe.

                         www.artidis.com

    « Alles, was wir machen,
    ist neu – und alles Neue
    birgt Risiken.
    MARIJA PLODINEC, CEO ARTIDIS AG

 Gemeintes sehr schnell negativ ausgelegt      von Gewebe zu messen, gibt es bereits seit   sprechperson. Man ist greifbar und kann
 werden. Aber ansonsten haben sich die         den 1980ern. Als ich 2008 an meiner Dok-     so Probleme schneller lösen.
 «normalen» Geschäftsrisiken nicht gross       torarbeit am Biozentrum der Universität
 verändert. Für mich überwiegen – trotz er-    Basel arbeitete, hatte ich die Idee, die     Was ist Ihre Vision für Ihr Unternehmen
 wähntem Risiko der Vermischung des Pri-       Steifheit von Tumoren zu messen und die-     in zehn Jahren?
 vaten mit dem Geschäft – die Vorteile klar.   se Informationen im klinischen Kontext       M.P: Unser Gerät nimmt nanomechanische
                                               zu nutzen. Das war die Geburt des Spin-      Gewebemessungen vor und erkennt damit
 Und was sind die Risiken bei Jungunter-       offs. 2014 vergab die Uni eine exklusive     Krebserkrankungen schneller. Dank einer
 nehmen?                                       Entwicklungs- und Vermarktungslizenz         umfangreichen, selbstlernenden Datenana-
 M.P: Für uns – wie übrigens für jedes Jung-   an ein Schweizer KMU. Als das Projekt        lyse schlägt das Gerät zudem sogleich auch
 unternehmen – sind die Finanzierung so-       nicht wie gewünscht in Gang kam, wech-       eine individuelle Therapie für den Patienten
 wie der relativ kleine Schweizer Markt si-    selte ich die Seite und nahm die Weiter-     vor. Mit dieser Technologie wollen wir in
 cherlich die grössten Herausforderungen.      entwicklung als CEO selber in die Hand.      zehn Jahren weltweiter Marktführer sein.
 Wir brauchen hohe Investitionen sowie die                                                  Das würde einen grossen Schritt nach vorn
 besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,      Was sind die Vorteile eines Familienunter-   in der Gesundheitsversorgung bedeuten.
 um unser hoch innovatives, medizintech-       nehmens?
 nisches Produkt möglichst schnell und in      P.C: Man ist komplett unabhängig und         P.C: Visionen und Wünsche hat man im-
 bester Qualität zur Marktreife zu bringen.    niemandem Rechenschaft schuldig. Ist         mer. Eine Vision wäre, dass die Krone in
 Es ist sehr wichtig, von Anfang an den        man selbst mit dem Erfolg zufrieden, ist     Basel so stark verankert ist, dass man
 Weltmarkt im Auge zu haben und die rich-      die Welt in Ordnung. Der Umgang mit den      nicht um sie herumkommt. •
 tigen Strategien zu entwickeln.               Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat ei-
                                               nen hohen Stellenwert. Es bleibt familiär
 Wie kam es überhaupt von der Idee zur         und daraus resultiert eine hohe Motivati-              MEHR DAZU: In einem Videogespräch dis-
                                                                                                      kutieren wir mit Unimentor Danilo Tondelli
 Gründung einer eigenen Firma?                 on unserer Mitarbeitenden. Zudem hat der               über Risikobereitschaft und Erfolgsfaktoren
 M.P: Die Technologie, um die Steifheit        Kunde bei Problemen jederzeit eine An-                 von Jungunternehmern.

                                                                                                                         twice Herbst 2020   11
FOKUS

 CYBER-
 SICHERHEIT
 IST WICHTIGER DENN JE
             Die Covid-19-Pandemie führt uns klar vor Augen, dass Krisenzeiten ein Land
             und seine Wirtschaft in einen Ausnahmezustand versetzen und Unternehmens-
             führungen vor neuartige finanzielle, teilweise existenzielle, aber auch technische
             Herausforderungen stellen. Nicht auszudenken, was passiert, wenn ein Unter-
             nehmen in einer solchen Krise zusätzlich von einem Cyberangriff betroffen ist.
             Gerade deshalb ist eine zuverlässige Cybersicherheit unabdingbar.

             Die zunehmende Vernetzung und Durchdringung                 WIE SCHÜTZEN SICH UNTERNEHMEN?
             praktisch aller Bereiche eines Unternehmens mit In-     Von besonderer Bedeutung in einer bewegten Zeit ist
             formatik eröffnet neue Potenziale. Gleichzeitig ent-    das Sicherheitsbewusstsein der Mitarbeitenden für
             stehen durch die zunehmende Digitalisierung aber        veränderte Arbeitsumgebungen und Zusammenar-
             auch neue Gefährdungslagen, auf die schnell und         beitsmodelle. Sie sind genauso Teil einer langfristi-
             konsequent reagiert werden muss. Die digitale Si-       gen Cyberresilienz wie starke Sicherheitsprozesse
             cherheitsmaturität der Unternehmen zeigt jedoch         und eine stimmige Sicherheitsstrategie. Die besonde-
             enorme Unterschiede. In einigen Unternehmen ist         re Gefahr gezielter Cyberangriffe auf die IT-Land-
             die digitale Transformation bereits fortgeschritten.    schaft verlangt eine Erweiterung des Sicherheitsden-
             Diese Betriebe waren es auch vor Covid-19 gewohnt,      kens und schliesst Kommunikation, Anwendungen,
             mit virtuellen Meetings zu arbeiten. Andere hinge-      Prozesse und verarbeitete Informationen mit ein.
             gen wurden mit der Pandemieplanung regelrecht in        Wichtig ist, sich klarzumachen, dass Sicherheit auch
             die digitale Transformation gestossen. Hier war Ho-     Chefsache ist. Die Transformation und Rolle von Cy-
             meoffice zuvor kein Thema, Technologien dafür wa-       bersecurity muss vom Management eingeleitet und
             ren nicht vorhanden und so mussten die Mitarbeiten-     somit ein integraler Bestandteil von Strategie und
             den teilweise mit privaten Laptops oder schnell         Entscheidungen werden. Jene Unternehmen, die sich
             ausgerollten Firmengeräten arbeiten.                    während der Krise in der Detektion und sofortigen
                                                                     Wiederherstellung der IT-Sicherheit weiterentwickelt
                  MEHR CYBERKRIMINELLE ATTACKEN                      haben, machten die grössten Fortschritte und konn-
             Zu Beginn der ausserordentlichen Situation waren fast   ten ihre Cybermaturität steigern. Schliesslich ist es
             alle Unternehmen mit Workflow- und Finanzmanage-        wichtig, dass Krisenprozesse nicht nur erstellt, son-
             ment beschäftigt. Ungewohnte Arbeitsmittel und -orte,   dern auch regelmässig überprüft, angepasst und ge-
             Prozesse sowie fehlende Mittel zur dezentralen Über-    testet werden. •
             wachung schufen schnell zusätzliche Schwachstellen.
                                                                                        URS KÜDERLI ist Par tner und Leiter des Bereichs
             Cyberkriminelle nutzten diese Gelegenheit und inten-                       Cybersecurity and Privacy bei P wC Schweiz.

             sivierten ihre Attacken aus dem Cyberspace. Es zeigte
             sich schnell, dass eine tatkräftige Bekämpfung und
             Bereinigung einer Cyberattacke im Pandemiefall und
             unter Auflagen viel schwieriger ist.

12   twice Herbst 2020
KOLUMNE

                              WIESO NICHT EINMAL
                              IN KANADA LEBEN?
                                                     Von Thomas Kleiber

«Bist du mutig oder einfach nur dumm?» Direkt hatte             Aber war ich mir aller Risiken voll bewusst? Nein. Mir
mich das so niemand gefragt. Zwischen den Zeilen                genügte es, zu wissen, dass «ernsthafte Bedrohungen»
aber schon.                                                     unwahrscheinlich sind. Eisige Stellen gibt es jedoch im-
                                                                mer. Hätte ich zu lange überlegt, hätte ich von diesen
Vor zwei Jahren bin ich nach Kanada ausgewandert. Weg           immer mehr gesehen und den Gewinn immer mehr ver-
aus dem gemachten Nest, weg von meiner sicheren                 gessen. Ich wäre nicht gegangen.
Arbeitsstelle, weg von Familie, Freunden, Netzwerken
und vertrautem Umfeld. «Wegen der Liebe», hiess es              Ich hätte so die Chance vertan, viele interessante und
halbrichtig in den Klatschmedien.                               liebenswerte Kanadier kennenzulernen. Ich hätte es
                                                                mir verwehrt, in einem wunderbaren Land zu leben, in
Die Gründe, wieso Menschen ohne Not auswandern, sind            eine andere Kultur einzutauchen und eine grossartige
zahlreich. Aber etwas scheint mir gemeinsam zu sein:            Natur zu erkunden. Ich wüsste auch nicht, wie es sich
Auswanderer sind im Geiste ähnlich wie Jungunterneh-            als Immigrant anfühlt und wie rasch man sich dabei
mer. Sie möchten ihren eigenen Weg gehen und sind               minderwertig und wehrlos fühlen kann. Ich hätte so viel
bereit, dafür die Komfortzone zu verlassen und Risiken          verpasst!
in Kauf zu nehmen.
                                                                Gut möglich dennoch, dass ich wieder in die Schweiz zu-
Selbsterklärend, dass man sich vorgängig über Gefahren          rückkehre. Das wäre kein Scheitern. Ich liebe die Schweiz.
informiert. Aber man kann sich nie für alles wappnen.           Ich ging nach Kanada, weil ich beruflich auf der Suche
Ein banales Detail kann alles ruinieren. Louis Hébert           nach einer neuen Herausforderung war und ich dank
zum Beispiel, der erste europäische Farmer in Kanada,           meines kanadischen Partners einfacher einreisen konnte.
war gut vorbereitet auf seine raue, gefährliche Umge-           Wäre doch schade gewesen, hätte ich diese grossartige
bung. Er starb weder an der brutalen Kälte des kanadi-          Möglichkeit nicht genutzt. Mein Problem ist nur, dass ich
schen Winters, noch verhungerte er, kein Mensch                 nun an zwei Orten daheim bin. Sollte ich zurückkommen
brachte ihn um und kein Bär frass ihn auf. Sein Tod             in die Schweiz, werde ich Kanada vermissen. Ich werde
ereilte ihn völlig trivial, als er auf einer vereisten Stelle   Heimweh haben, egal, wo ich wohne.
ausrutschte und dabei unglücklich stürzte.
                                                                Aber den Preis bin ich bereit zu zahlen.
Als ich nach Kanada zog, war ich mir einiger Risiken
bewusst. Zum Beispiel der Sprache. In Französisch kann          Um auf die Frage zurückzukommen, ob ich mutig oder
ich mich nie so gut ausdrücken wie in Deutsch, was              dumm bin: Ich bin wohl – wie die meisten – von beidem
natürlich ein Hindernis ist bei der Jobsuche. Ebenso zu         ein wenig. Aber ich bin vor allem neugierig. Ich habe das
erwarten sind Probleme bei der Anerkennung der Aus-             gemacht, was uns weiterbringt: Ich habe etwas gewagt.
bildungen und beruflichen Erfahrungen. Auch nicht zu
                                                                                  THOMAS KLEIBER ist Meteorologe, ehemaliger
unterschätzen ist das Heimweh.                                                       SRF-Moderator und lebt seit 2018 in Kanada.

                                                                                                                       twice Herbst 2020   13
STANDORT

ANPACKEN STATT
ANKLAGEN
Bei der Unternehmensverantwortung müssen
wir wegkommen vom Regulieren und ver-
mehrt die Chancen in den Mittelpunkt stellen.
Es gilt anzupacken, statt anzuklagen.

Nachhaltigkeit und unternehmerische           KEIN SCHWEIZER SONDERWEG
Verantwortung sind aus der heutigen           Die Unternehmens-Verantwortungs-
wirtschaftspolitischen Debatte nicht          Initiative, über die wir in der Schweiz am
mehr wegzudenken. Die Firmenkultur in         29. November abstimmen, geht in eine an-
multinationalen Unternehmen hat sich in       dere Richtung. Sie ist weder international
den letzten Jahrzehnten stark verändert.      abgestimmt noch mit Bedacht definiert. Sie
Weltweit tätige Unternehmen können es         verlangt die Einführung von Haftungsre-
sich nicht leisten, systematisch gegen        geln und Sorgfaltspflichten, die weltweit
Menschenrechte und Umweltschutz zu            einzigartig extrem wären. Schweizer Un-
verstossen. Die ethischen Erwartungen         ternehmen würden für ihre gesamte Lie-         sofort umgesetzt werden. Damit schafft er
der Öffentlichkeit und der eigenen Mitar-     ferkette automatisch und ohne Verschul-        Planungssicherheit für die Unternehmen.
beitenden beeinflussen die Unternehmen        den haften. Von der Haftung befreien
zusätzlich. Schweizer Unternehmen agie-       könnten sie sich nur, wenn sie ihre Sorgfalt    CHANCEN NUTZEN STATT RISIKEN
ren denn auch weltweit vorbildlich. Sie       jederzeit lückenlos nachweisen könnten.                      VERMEIDEN
engagieren sich vor Ort für bessere Ar-       Andere Länder haben eine solche Praxis         Statt die Unternehmen zu mehr Risikover-
beitsbedingungen und Umweltschutz in          bisher klar abgelehnt. Die EU-Kommission       meidung zu zwingen, sollten wir uns ver-
Zusammenarbeit mit Regierungen, NGOs          will 2021 einen Gesetzesvorschlag vor-         mehrt den Chancen einer Einbindung mul-
und der lokalen Bevölkerung. Bei Fehltrit-    legen, um die Verantwortung von multina-       tinationaler Firmen vor Ort widmen.
ten können Unternehmen verklagt wer-          tionalen Unternehmen europaweit zu har-        Mangelnde Menschenrechte und fehlen-
den – auch in der Schweiz.                    monisieren. Doch auch sie wird sich hüten,     der Umweltschutz sind nämlich im Kern
                                              unverhältnismässige Haftungsregeln ein-        eine Folge von Armut und Unterentwick-
International und national laufen Bestre-     zuführen. Mit der Annahme der Unterneh-        lung. Die Frage muss deshalb sein, wie wir
bungen, die Verantwortung der Unter-          mens-Verantwortungs-Initiative würde die       den wirtschaftlichen Fortschritt und den
nehmen hinsichtlich ihrer Lieferkette         Schweiz also zum Sonderfall. Unsere Un-        verantwortungsvollen Umgang mit Res-
durch neue Gesetze weiter zu erhöhen.         ternehmen wären im internationalen Wett-       sourcen in den Entwicklungsländern för-
Auch die Wirtschaft unterstützt diese An-     bewerb benachteiligt und ausländischen         dern können. Und hier spielen die globa-
sätze der Sorgfaltsprüfungspflichten,         Klageanwälten ausgeliefert. Der indirekte      len Unternehmen eine Schlüsselrolle. Die
denn sie sorgen für gleiche Wettbewerbs-      Gegenvorschlag des Parlaments, der bei         Erfahrung zeigt, dass nachhaltige Verbes-
bedingungen. Zwei Bedingungen sind da-        einem Nein zur Initiative an der Urne auto-    serungen für Mensch und Umwelt vor al-
bei aber zentral: Erstens müssen die Re-      matisch in Kraft tritt, ist klar die bessere   lem dann gelingen, wenn Unternehmen
geln international abgestimmt sein,           Lösung. Er kombiniert auf Gesetzesstufe        möglichst eng in die lokale Wirtschaft der
damit für alle gleich lange Spiesse gelten.   eine Rechenschaftspflicht mit strengen         betroffenen Länder eingebunden sind.
Zweitens muss die Sorgfaltsprüfungs-          Sorgfaltsprüfungspflichten. Bei Nichtein-
pflicht verhältnismässig sein, damit sie      haltung der Pflichten drohen strafrechtli-     Der konfrontative Ansatz der Initiative ig-
das Engagement der Unternehmen in Ri-         che Konsequenzen. Der Gegenvorschlag           noriert die kulturellen und wirtschaftlichen
sikoländern nicht schmälert.                  setzt auf internationale Standards und kann    Fragen und reduziert das Problem auf

14   twice Herbst 2020
Die allermeisten Unternehmen setzen
                                             sich heute schon für die Einhaltung
                                             von Menschenrechten und Umwelt-
                                             vorschriften ein. Verlangt wird, dass
rein juristische Aspekte. Damit erschwert    Schweizer Unternehmen für sämtliche Hand-
sie den dialogorientierten Weg der konst-    lungen in ihrem gesamten Geschäftsumfeld –
ruktiven Zusammenarbeit. Die Unterneh-
men wären gezwungen, ihre Ressourcen
                                             also auch für Kunden, Lieferanten oder deren
auf die Risikovermeidung auszurichten        Vorlieferanten – verantwortlich sind respektive
und ihr Engagement in Schwellen- und
                                             für mögliche Verschulden haften. Ich bin der
Entwicklungsländern zu überdenken. Der
Umwelt und den Menschenrechten wäre          Meinung, dass Unternehmen – wie auch private
dadurch alles andere als gedient. Deshalb    Personen – nicht für eine Handlung in ihrem
empfehlen wir ein Nein zur Unterneh-
mens-Verantwortungs-Initiative, denn dies
                                             Umfeld verantwortlich gemacht werden können,
bedeutet automatisch ein Ja zum interna-     deren Urheber sie nicht sind. Dieser fragwürdigen
tional abgestimmten Gegenvorschlag. •
                                             Vorverurteilung der Urheberschaft ist mit einem
                                             entschiedenen Nein zu begegnen. »
GABRIEL SCHWEIZER, Leiter Aussenwirtschaft   BEAT HAUENSTEIN, CEO OETTINGER DAVIDOFF AG UND PRÄSIDENT ARBEITGEBERVERBAND BASEL

     g.schweizer@hkbb.ch

                                                                                            INNOVATION MADE BY SWEDEN.

                                                                                                                         A         A
                                                                                                                          B
                                                                                                                           C
                                                                                                                            D
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                                                                                                                              F
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STANDORT

           SCHNELL, FLEXIBEL
              UND KURZE
          ENTSCHEIDUNGSWEGE
 Susanne Affolter-Steiner über               Was genau umfasst Ihr Kerngeschäft?          Wie stehen Sie als Unternehmerin zur
 die Vorteile eines Familien-                Zu unserem Kerngeschäft gehört die Her-      Aussage «no risk, no success»?
                                             stellung unserer Nutfräsmaschinen. Sie       Jede Entscheidung ist eine Gratwanderung
 unternehmens und über ein
                                             sind Mittel zum Zweck. Das tragende Ele-     zwischen Risiko und Chance. Wir versu-
 eigentlich unscheinbares                    ment der Firma sind die Verbinder. So-       chen jeweils, möglichst gut abzuschätzen,
 Stück Holz, das aber seit                   wohl die Maschinen wie auch die Holzla-      welches der beste Weg ist. Schliesslich
 seiner Erfindung unzähligen                 mellen werden alle hier am Standort          trifft man heute eine Entscheidung für
 Schreinern die Arbeit erleich-              Bubendorf produziert.                        morgen. Zwischendurch braucht es viel-
 tert und deshalb sogar seinen                                                            leicht auch mal eine Nachjustierung. Aber
 Weg ins MoMa in New York                    Warum entscheidet sich ein Kunde für ein     ganz ohne Risiko kommt man nicht weiter.
                                             Produkt von Ihnen?
 gefunden hat.
                                             Weil er damit Zeit sparen und seine Pro-     Welches war bisher das grösste Risiko
                                             duktivität steigern kann. Darauf fokussie-   der Firmengeschichte?
                                             ren wir, wenn wir neue Verbindungsele-       Das grösste Risiko hat sicher mein Gross-
                                             mente auf den Markt bringen. Das Produkt     vater übernommen, als er seinerzeit ent-
                                             muss einfach und schnell sein – für den      schieden hat, in die Produktion der Nut-
                                             Kunden ebenso wie für uns in der Her-        fräsmaschinen einzusteigen. Der Motor,
                                             stellung. Nur so können die Herstellkos-     den er dafür brauchte, wurde speziell für
                                             ten auf einem für den Kunden zahlbaren       ihn gefertigt und er musste mindestens
                                             Niveau bleiben.                              1000 Stück abnehmen. Dafür setzte er

             ÜBER LAMELLO
      1969 wurde die Lamello AG in
 Bubendorf gegründet. Das heute welt-
 weit tätige Unternehmen ist spezialisiert
     auf qualitativ hochstehende und
 innovative Holzverbindungs- und Holz-
          bearbeitungslösungen.

                     www.lamello.ch

16   twice Herbst 2020
Was uns bei der Innovationskraft hilft,
                                                                                              sind unsere schlanken Strukturen und
                                                                                              Prozesse. Das ist ein Vorteil als Familien-
                                                                                              unternehmen.

                                                                                              Warum investieren Sie zurzeit im grenz-
                                                                                              nahen Grenzach-Wyhlen?
                                                                                              Erstens haben wir hier auf dem Areal
                                                                                              nicht mehr viel Platz. Unsere Kunststoff-
                                                                                              produktion mussten wir bereits in gemie-
                                                                                              tete Räume im Dorf auslagern. Zweitens
                                                                                              beliefert das Lager Grenzach hauptsäch-
                                                                                              lich die Märkte unserer europäischen
                                                                                              Tochtergesellschaften. Das bringt deutli-
                                                                                              che Vorteile betreffend Geschwindigkeit
                                                                                              und Lieferkosten. Es ist ein Unterschied, ob
                                                                                              wir einen ganzen Lkw verzollen können
                                                                                              oder nur Einzelpakete.

nahezu seine gesamten finanziellen Res-        schauen immer wieder, wie Kunststoff ver-      Welche Möglichkeiten eröffnet Ihnen die
sourcen ein. Er hat das Risiko auf sich ge-    bunden wird. Gibt es dort Möglichkeiten?       Digitalisierung?
nommen. Auch als er keinen Hersteller          Wir sind permanent gefordert, den Markt        Sehr viele. Aber wir müssen immer wie-
finden konnte, der ihm die gewünschten         gut zu beobachten. Welche Materialien          der mit den richtigen Partnern in Ge-
Maschinen zusammenstellte, hat er sich         kommen für den Schreiner auf den Markt?        sprächen sein. Unser Clamex P Verbinder
nicht von seinem Weg abbringen lassen,         Was für Plattenmaterial kommt? Woraus          war zunächst in der CNC-Welt beheimatet.
sondern die Maschinen halt einfach selbst      ist dieses gefertigt? Sind unsere Verbinder    Dann kam der Schreiner und sagte, er wol-
zusammengestellt. An diesen Entschei-          für dieses Material auch geeignet?             le dieses Produkt auch, habe aber keine
dungen hing nicht nur die Existenz seiner                                                     CNC-Maschine. So kam es zur Handnut-
Schreinerei, sondern auch seiner Familie.      Wie wichtig ist Nachhaltigkeit für Lamello?    fräsmaschine. Um wirklich in der digita-
                                               Das Thema Nachhaltigkeit hat grossen           len Fertigung zu sein, braucht es vom
Was sind die drei grössten Heraus-             Wert in der Produktion unserer Holzlamel-      Maschinenhersteller bis zum Softwareher-
forderungen für Ihr Business?                  len. Unser gesamtes Holz ist regional und      steller eine ganze Kette an Partnern. In
Wenn man mit etwas Erfolg hat, darf man        wird im Umkreis von rund 20 km gefällt.        den letzten zehn Jahren haben wir dies-
sich nicht ausruhen. Am Ball zu bleiben, ist   Und mit unseren qualitativ hochstehenden       bezüglich ein wichtiges Netzwerk aufge-
eine stete Herausforderung. Im Moment be-      Maschinen setzen wir natürlich auf Langle-     baut. Das zahlt sich aus. So hat 2019 an
schäftigt uns ausserdem die Kopiersituati-     bigkeit und somit auch auf Nachhaltigkeit.     der LIGNA in Hannover ein CNC-Maschi-
on in China sehr stark. Unsere neuen Pro-      Bis mindestens zehn Jahre nachdem das          nen-Hersteller eine Fertigung aufgebaut,
dukte, die P-System Verbinder, haben noch      letzte Produkt einer Modellreihe unser         die automatisch eine Bohrung erstellte
laufende Patente. In China haben wir ein       Haus verlassen hat, hat der Kunde die Mög-     und unsere Cabineo Verbindungselemen-
paar «Mitbewunderer», wie wir gerne sa-        lichkeit, seine Maschine reparieren zu las-    te durch einen Roboter einsetzen liess.
gen, die uns kopieren. Hier sind wir stark     sen. Es wird manchmal gesagt, eine Lamel-
gefordert, unsere Patente zu verteidigen.      lo werde mit dem Schreiner pensioniert.        Und wie fand Ihre Holzlamelle den Weg
                                                                                              ins New Yorker Museum of Modern Art?
Weitere Herausforderungen sind natürlich       Was macht die Innovationskultur bei            Das haben wir selbst bis heute nicht her-
auch immer neue Regulatorien im Sinne          Lamello aus?                                   ausgefunden. Im Mai 2015 haben wir vom
von Maschinenzertifizierungen, die sich        Wir haben in der Branche den Namen des         MoMa ein Schreiben erhalten, dass unser
teilweise von Land zu Land unterscheiden.      Innovationsführers und möchten diesen          Produkt als eine der 100 wichtigsten un-
                                               auch behalten. Als solcher schauen wir im-     scheinbaren Erfindungen des Jahrhun-
Könnten Sie sich vorstellen, das Risiko        mer wieder, welche technologische Grenze       derts ausgestellt sei. Was uns natürlich
einzugehen, Ihr Kernbusiness «Holz ver-        wir überschreiten können. Wir halten uns       freut und auch stolz macht. •
binden» zu verlassen?                          nicht immer an vermeintliche Normen und
Wir versuchen immer, über den Garten-          gehen Dinge manchmal von einer anderen
zaun zu schauen. Wo könnten wir mit un-        Seite an. Bei meinem Grossvater hat es ge-                        SUSANNE AFFOLTER-STEINER
                                                                                                          ist in dritter Generation Geschäftsführerin
seren Verbindungselementen Möglichkei-         heissen, Holz könne man nicht stanzen. Un-                        und Hauptaktionärin der Lamello AG.

ten für andere Bereiche eröffnen? Wir          sere Lamelle wird seit Jahrzehnten gestanzt.
                                                                                                                           twice Herbst 2020     17
STANDORT

                                                                                                    AMSTERDAM
                                                  LONDON                                         ROTTERDAM
                                                                          ANTWERPEN
                                                                                                              DÜSSELDORF
                                                                 ZEEBRUGGE
                                                                                                               KÖLN
                                                                                           BRÜSSEL
                                                                                                                        MANNHEIM/
                                                                                                                        LUDWIGSHAFEN
                                                                                          STRASSBURG

                                                                                                    BASEL                ZÜRICH
                                                                                                    BERN

POTENZIAL                                                                                                                 MAILAND

                                                                                                                           GENUA

AUSSCHÖPFEN
Die Region Basel liegt im Zentrum des für den europäischen Güterverkehr
bedeutsamen Rhein-Alpen-Korridors. Rund die Hälfte des gesamten
Frachtverkehrs zwischen Nord- und Südeuropa wird jährlich über diesen
Hochleistungskorridor transportiert. Um seine Leistungsfähigkeit voll
auszuschöpfen, braucht es weitere Infrastrukturausbauten. Dazu gehört
auch das Gateway Basel Nord mit dem Hafenbecken 3.
                         Erst kürzlich eröffnete die Schweiz den Ceneri-Basis-      einen grossen Teil des Raums ab, der als «blaue Bana-
                         tunnel und beendete damit das Mammut-Infrastruk-           ne» bekannt ist. Dies ist ein Gebiet mit vergleichswei-
                         turprojekt «Neue Eisenbahn-Alpentransversale» (NEAT).      se dynamischer Wirtschaft und Wohlstand sowie
                         Was ein wenig sperrig klingt, ist nicht nur eines der      starker Verkehrsverflechtung. Gut 1’000 Millionen
                         grössten Bauvorhaben, das je in Europa erstellt wurde,     Tonnen Fracht werden jährlich über den Korridor
                         sondern verfolgt auch ein Ziel, das aktueller nicht sein   transportiert, was 50 Prozent des gesamten Fracht-
                         könnte: Die NEAT soll – als Teilstück des Rhein-Alpen-     verkehrs zwischen Nord- und Südeuropa entspricht.
                         Korridors, der von Rotterdam nach Genua reicht – einen     «Beim internationalen Frachtverkehr wird rund die
                         Grossteil des Schwerlastverkehrs von der Strasse auf       Hälfte davon auf dem Rhein verschifft», erläutert Dr.
                         die Schiene verlagern.                                     Christiane Warnecke, Geschäftsführerin Schienen-
                                                                                    güterverkehrskorridor Rhein–Alpen. «Die übrigen
                             1’000 MILLIONEN TONNEN PRO JAHR                        Verkehre verteilen sich auf dem Rhein-Alpen-Korri-
                         Schon heute ist der Rhein-Alpen-Korridor eine der          dor in etwa gleich auf Schiene und Strasse.»
                         meistgenutzten Güterverkehrsstrecken Europas. Er
                         verbindet die Wirtschaftszentren in den Regionen           Betrachtet man den Schienenweg, so ist die Leistung
                         Rhein-Ruhr und Rhein-Main-Neckar mit den Häfen             des Rhein-Alpen-Korridors beachtlich: Gut die Hälf-
                         von Rotterdam, Antwerpen und Zeebrugge im Norden           te des Schienengüterverkehrs der EU werden über
                         und dem Hafen von Genua im Süden sowie mit den             diese Achse abgewickelt. So spielt er auch für SBB
                         Güterverkehrszentren in Norditalien. Er deckt somit        Cargo International eine grosse Rolle: «Wir wickeln

18   twice Herbst 2020
rund 95 Prozent unserer Verkehre über diesen Korri-              wird die Binnenschifffahrt gut an Schiene und Strasse
dor ab», erläutert Ulla Kempf, Leiterin Ressourcen-              angebunden.» Doch nicht nur bei der Realisierung von
planung SBB Cargo International AG.                              Infrastrukturen liegen grosse Aufgaben vor uns. Auch
                                                                 bei der Digitalisierung und beim Datenverkehr gibt es
          MULTIMODALITÄT WICHTIGE                                Nachbesserungsbedarf.
                 VORAUSSETZUNG
«Die Lieferketten auf dem Korridor sind allerdings nur            NACHBESSERUNGEN BEI DIGITALISIERUNG
so leistungsfähig wie ihr schwächstes Glied», gibt               «Eine wichtige Aufgabe der Schweizerischen Rheinhä-
Kempf zu bedenken. «Damit der Warentransport rei-                fen respektive aller Binnenhäfen ist es, Transportdaten
bungslos und effizient erfolgen kann, braucht es moder-          der unterschiedlichen Verkehrsträger bereitzustellen.
ne und leistungsfähige Infrastrukturen, die internatio-          Damit Multimodalität in den Häfen effizient erfolgen
nal aufeinander abgestimmt sind.» Die Verknüpfung                kann, müssen wir Informationen miteinander austau-
der Verkehrsträger – die sogenannte Multimodalität –             schen können», betont Hadorn. Die gesetzliche Grund-
ist beim Gütertransport essenziell. «Multimodalität ist          lage für eine internationale Koordination fehlt aber bis-
für uns entscheidend, denn jeder Verkehrsträger hat              lang dafür. «Leider verhindert die Datenschutzgrund-           MEHR DAZU:
seine Stärken. Während die Bahn für längere Strecken             verordnung der EU, dass wir die nicht kommerziellen          Erfahren Sie mehr
                                                                                                                                zur Bedeutung
optimal ist, braucht es beispielsweise für die An- und           Transportdaten für alle Marktteilnehmer gewinnbrin-              des Rhein-
Ablieferung im Hinterland auch die Strasse», so Kempf.           gend nutzen können. Wenn wir die Multimodalität för-         Alpen-Korridors in
                                                                                                                              unserem Podcast
Diese Meinung teilt Hans-Peter Hadorn, Direktor der              dern wollen, muss die Politik hier also deutlich nach-       mit Dr. Christiane
Schweizerischen Rheinhäfen: «Nördlich von Basel sind             bessern», hält Hadorn fest.                                 Warnecke, Schienen-
                                                                                                                                güterverkehrs-
die Verkehrsströme durch Umschlagterminals bereits                                                                             korridor Rhein–
multimodal. Damit dies am Bündelungspunkt in Basel               Damit der Rhein-Alpen-Korridor seine volle Leistung          Alpen, Ulla Kempf,
                                                                                                                             SBB Cargo Interna-
effizient weitergeführt werden kann, muss auch hier              erbringen und damit auch einen wichtigen Beitrag               tional AG, und
mit dem Terminal Gateway Basel Nord samt dem Ha-                 für die Umwelt leisten kann, braucht es neben dem           Hans-Peter Hadorn,
                                                                                                                               Schweizerische
fenbecken 3 eine moderne Infrastruktur für die Ab-               Abbau von Hürden beim Datenaustausch auch Inves-                 Rheinhäfen.
wicklung des Containerverkehrs geschaffen werden. So             titionen in die Infrastruktur. •

DR. SEBASTIAN DEININGER, Leiter Verkehr, Raumplanung, Energie und Umwelt    s.deininger@hkbb.ch

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STANDORT

WIE HOCH IST DA
                  BLACK
Die Schweiz liegt im Herzen Europas und ist wirt-                        Die Einschätzungen zur Stromversor-

schaftlich eng mit ihren Nachbarstaaten verbunden.                       gungssicherheit beinhalten unterschied-
                                                                         liche zeitliche Dimensionen sowie die
Das gilt auch für die Energiewirtschaft. Yves Zumwald,                   Aspekte Zuverlässigkeit, Sicherheit und
CEO Swissgrid, erklärt, was die Schweiz tun muss,                        Angemessenheit.

damit ein grosser Stromausfall nicht Realität wird.                      Wie gut steht die Schweiz tatsächlich da?
                                                                         Die Schweiz nimmt punkto Versorgungs-
                                                                         qualität im gesamteuropäischen Vergleich
                            Herr Zumwald, warum ist Versorgungs-         einen Spitzenwert ein. Die durchschnittli-
                            sicherheit ein so relevantes Thema?          che Unterbrechungsdauer pro Endverbrau-
                            Ohne Strom stehen Gesellschaft und           cher und Jahr betrug 2019 in der Schweiz
                            Wirtschaft still. Entsprechend schätzt       19 Minuten. Der Anteil Unterbrechungsmi-
                            das Bundesamt für Bevölkerungsschutz         nuten im Übertragungsnetz beträgt davon
                            eine Strommangellage als grösstes Risiko     nur 0.2 Prozent. Das Hauptproblem ist netz-
                            ein. Swissgrid leistet als nationale Netz-   seitig der fehlende Einbezug in die europä-
                            gesellschaft einen wichtigen Beitrag zur     ischen Koordinationsprozesse, der sich ne-
                            netzseitigen Versorgungssicherheit. Wir      gativ auf den Netzbetrieb auswirkt. Swiss-
                            verfolgen das Ziel, den Wandel im europä-    grid setzt sich deshalb für die volle
                            ischen und im schweizerischen Energie-       Integration der Schweiz in den europäi-
                            system mitzugestalten. Nur so ist es mög-    schen Strommarkt ein. Grundlage dafür ist
                            lich, den zuverlässigen und leistungsfä-     ein Stromabkommen mit der EU.
                            higen Betrieb des Übertragungsnetzes zu
                            gewährleisten.                               Schon heute ist die Schweiz im Winter-
                                                                         halbjahr Nettoimporteur von Strom und
                            Manche Studien kommen zum Schluss,           somit auf ihre Nachbarländer angewie-
                            dass die Versorgungssicherheit in der        sen. Nimmt diese Abhängigkeit weiter zu?
                            Schweiz mit Strom auch in Zukunft ge-        In der Energieversorgung der Zukunft wird
                            währleistet ist. Andere bezweifeln dies.     Strom eine zentrale Rolle spielen: Erneuer-
                            Wie kommt es zu diesen unterschiedli-        bare Energien, Effizienzsteigerung und
                            chen Einschätzungen?                         Elektrifizierung sowie Sektorkopplung sind

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