Orchis 2/2020 Berichte Einheimische Orchideen Schweiz - AGEO

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Orchis 2/2020 Berichte Einheimische Orchideen Schweiz - AGEO
Einheimische
         Orchideen
           Schweiz
                     Orchis
     AGEO                                   2/2020
                 Berichte Einheimische Orchideen Schweiz

Epipactis placentina
Orchis 2/2020 Berichte Einheimische Orchideen Schweiz - AGEO
Inhalt
                       Welch schöne Überraschung!
                       Autorin Ruth Bänziger                              2
                       Meine Suche nach der Moosorchis
                       Autor Marc Schmidlin                               4
                       Orchideen als «Neophyten» in der Schweiz?
                       – Ergänzungen
                       Autor Beat Wartmann                                7
                       Darwin und die Orchideen
                       Autor Beat Stucki                                  8
                       Höchstnachweise von Orchideen in den Alpen
                       Autor Beat Wartmann                               13
                       Epipactis-Exkursion im Schaffhauser Randen
                       vom 18. Juli 2020
                       Autor Roland Wüest                                19
                       Exkursion Oberembrach vom 6. Juni 2020
                       Autor Jürg Luder                                  27
                       Das Naturschutzgebiet Eigental
                       und seine Orchideen
                       Autor Max Reutlinger                              35
                       AGEO-Lehrpfad Erlinsbach – Blühsaison 2020
                       Autor Thomas Ulrich                               39
                       Symbiosen in unseren Wiesen, Wäldern und Mooren
                       von Andreas Gigon
                       Autor Thomas Ulrich                               45
                       Die Orchideen der Schweiz – Der Feldführer
                       von Beat A. Wartmann
                       Autor Thomas Ulrich                               47
Titelblatt: Epipactis placentina (Marco Borio, Wangs)
Orchis 2/2020 Berichte Einheimische Orchideen Schweiz - AGEO
Editorial
Liebe AGEO-Mitglieder,
liebe Leser
Schon wieder ist ein halbes Jahr vorbei. Ein Jahr, welches uns sicherlich in Erinnerung bleiben wird.
Nach dem gerade noch rechtzeitigen Versand unseres Orchis 1/2020 vor dem Lockdown, waren danach
viele geplante Frühlingsausflüge plötzlich hinfällig. So haben Beate und ich unsere nähere Umgebung in-
tensiver „erforscht“ und siehe da, im Frühjahr fanden wir einige bisher unbekannte Fundstellen der Orchis
mascula und im Sommer einige neue Stellen der Epipactis purpurata.
Vielleicht ist auch diese Orchis-Ausgabe ein Corona-bedingtes Produkt. Noch nie haben wir so viele
Beiträge erhalten wie zu dieser Ausgabe. Gleich drei Berichte schildern weitere Erfolge im Aufspüren von
Orchideen-Fundorten an teils ungewöhnlichen Stellen.
Dass es sich lohnt, alte Literatur zu studieren, zeigt uns der Beitrag über „Darwin und die Orchideen“ und
dass auch Orchideen inzwischen hoch hinaus wollen, erfahren wir im Beitrag über „Höchstnachweise im
Alpenraum“.
Biotopschutz lohnt sich zu 100 % – wer Zweifel hat, wird im Beitrag über das Eigental eines besseren be-
lehrt. Ein Beitrag, der den Exkursionbericht nach Oberembrach wunderbar ergänzt.
Für viele kam vielleicht das Vereinsleben etwas zu kurz, aber es gibt ja heute neben dem klassischen Tele-
fon auch noch E-Mail und WhatsApp usw., sodass die Kontakte bestimmt nicht zu 100 % zusammengebro-
chen sind. Dass wir unsere Exkursionen dann doch noch als Verein durchführen konnten, war sicherlich für
viele von euch ein Highlight, wie die beiden Exkursionsberichte zeigen.
Aufgrund der vielen Beiträge müssen zwei fast fertige Artikel auf das nächste Jahr verschoben werden.
Zum einen der 6. Teil der Lehrpfadserie „Die Orchideen des AGEO-Lehrpfades – Die zahlreichen Arten“,
zum anderen ein Beitrag über die „Grosspilze des Lehrpfades“. Auch der fertige Beitrag über Epipogium
aphyllum (ergänzte und aktualisierte Version zum Beitrag in der Frühlingsausgabe FloraCH) wird nicht
abgedruckt, steht aber auf unserer Website als pdf-File zur Verfügung (https://ageo.ch/p/IFP/Epipogium_
aphyllum_IFP_2020_plus.pdf).
Zum ersten Mal haltet ihr somit eine echte „Vereinspublikation“ in den Händen. Ein Gemeinschaftswerk
vieler Mitglieder, deren Beiträge das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite fast sprengt.
Welch eine Leistung unserer Autorin und der verschiedenen Autoren.
Eine Zusammenfassung der Blühsaison auf dem AGEO-Lehrpfad sowie zwei Buchbesprechungen runden
das vorliegende Orchis ab.
Und zum Schluss noch dies:
Auf der hinteren Innenseite des Heftumschlages findet sich noch ein wichtiger Hinweis von Michael Krich-
baum, Mitglied der Schriftleitung des „Journals Europäischer Orchideen“ bezüglich der bisher erschiene-
nen „Bibliografien über die Orchideen Europas und der Mittelmeerländer“. Drei der vier Zusammenstel-
lungen sind nun in elektronischer Form als PDF-File im Internet frei verfügbar.

Es bleibt nur noch, euch viel Spass beim Lesen zu wünschen

                                                                             Euer Redaktor Thomas Ulrich.

Impressum:
Arbeitsgruppe Einheimische Orchideen Aargau
https://ageo.ch/index.php?page=vorstand
redaktion(at)ageo.ch

Der Kanton Zürich hat die AGEO als gemeinnützigen Verein anerkannt.
Spendenkonto:
Arbeitsgruppe Einheimische Orchideen Aargau - 8102 Oberengstringen
CH79 0900 0000 8511 9651 9

Redaktion & Layout: Thomas Ulrich / Beate Waldeck
Auflage 330 Ex. – Das AGEO-Magazin Orchis erscheint zweimal im Jahr.
Druck: Copy Recher GmbH, Olten                                                                        1
Orchis 2/2020 Berichte Einheimische Orchideen Schweiz - AGEO
Biotopschutz

                         Welch schöne Überraschung!
          Einheimische
             Orchideen
               Schweiz
                         Autorin Ruth Bänziger
        AGEO             Orchis 2/2020 Seite 2–3

Der 1. Juni bescherte mir eine kleine Sensation: «Mitten in der Stadt Schaffhausen, direkt neben der Stras-
se, wüchsen diese – das seien doch Bienen-Ragwurzen, oder nicht?» hiess es in der WhatsApp-Nachricht,
mit einem unzweifelhaften Foto belegt. (Bild unten)
                                                                  Geschickt hat mir die Nachricht der
                                                                  Vater des Finders, eines bald 12-jährigen
                                                                  Jungen, der sich, genau wie sein Vater,
                                                                  leidenschaftlich für Pilze interessiert und
                                                                  – seitdem ich mich in der Vor-Pilzsaison
                                                                  fast ausschliesslich mit Orchideen befas-
                                                                  se – es mir, zusammen mit seinem Vater,
                                                                  gleichtut.
                                                                  Der begeisterungsfähige Vater hat Pilz-
                                                                  kurse bei mir besucht, kam vor ungefähr
                                                                  sechs Jahren erstmals in die Pilzkontrol-
                                                                  le und seitdem regelmässig, ja sogar so
                                                                  oft wie möglich. Fast immer wurde er in
                                                                  diesen ersten Jahren von seinen Zwil-
                                                                  lingsbuben (damals 6-jährig) begleitet,
                                                                  welche mittlerweile zwar unterschied-
                                                                  liche Interessen haben, aber sich beide
                                                                  mit grosser Leidenschaft für ihr Hobby
                                                                  einsetzen.
So kamen denn auch kurz nach meinen ersten Orchideen-Artikeln in Regionalzeitungen, bei denen ich,
genau wie bei meinen Orchideen-Vorträgen, immer darauf hinweise, dass ich mich über jede Orchideen-
Meldung freuen würde, die ersten Hinweise mit Fotos und Fragen.
Die beiden Orchideenfreunde freuten sich sehr, als ich fragte, ob sie mir regelmässig ihre Funde melden
könnten; ich möchte sie gerne als Fundmelder in unserer Datenbank eintragen lassen. Der Junge ist wahr-
scheinlich in diesem Moment gefühlte 10 Zentimeter gewachsen.
Dies die Vorgeschichte; zurück zu den «Bienen».
                                                                  Hocherfreut liess ich mir den Fundort
                                                                  beschreiben und ging – in Anbetracht
                                                                  des nahenden (und drohenden) Schutz-
                                                                  schnitt-Datums – noch gleichentags mit
                                                                  meinem Mann Rolf und mit Fotokamera
                                                                  und GPS zum Fundort. (Bild links)
                                                                  Es ist fast unglaublich, dass diese auf-
                                                                  fällig grossen, direkt in einem Kinder-
                                                                  Trampelpfad im Strassenbord – und noch
                                                                  dazu fast völlig schattig – stehenden
                                                                  Ragwurzen kerzengerade posierten,
                                                                  kaum 50 Zentimeter von den Rand-
                                                                  steinen einer ruhigen Quartierstrasse
                                                                  entfernt. Nebst den gut sichtbaren vier
                                                                  untersten aufblühenden Pflanzen fan-
                                                                  den wir weitere 12, alle im Vollschatten,
                                                                  eine sogar krumm unter dem Ast einer
                                                                  jungen Hainbuche am Kämpfen um Licht
                                                                  und Anerkennung.
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Biotopschutz
                                                                Diese befreite ich durch sachtes Aus-
                                                                einanderschieben der Zweige (Bild links),
                                                                sodass sie sich später selber würde stre-
                                                                cken und damit auch bestäuben können.
                                                                Dann zückte ich die Fotokamera und
                                                                später das GPS. Zu Hause schaute ich in
                                                                der Orchideen-Datenbank nach, ob auf
                                                                Stadtzentrumsgebiet ausser einem vor
                                                                fünf Jahren (bisher) erloschenen und
                                                                einem zweiten im fast ländlichen Stadt-
                                                                randgebiet mit wechselndem Bestand
                                                                (meist 5–12 Pflanzen) unterdessen viel-
                                                                leicht noch ein weiterer hinzugekommen
                                                                sein könnte, von dem ich noch nichts
                                                                wusste … dies war nicht der Fall.
                                                                Ich informierte umgehend Petra Bach-
                                                                mann; als «unsere» Naturschutz-Chefin
                                                                im Kanton Schaffhausen musste sie mich
nun unterstützen im Finden der Grün-Schaffhausen-Zuständigen für den Strassenbord-Unterhalt. Petra,
ebenfalls hocherfreut, leitete die Fundmeldung sofort weiter, und genauso erfreut meldete sich andern-
tags der zuständige Gebietspfleger, der den Fundort aufsuchen und den strikten Schutz anordnen wird,
zumal dort kaum Gras zu mähen ist.

Glück gehabt – dank aufmerksamer, neugieriger und umsichtiger Teenageraugen und einer verantwor-
tungsvollen Haltung gegenüber der Natur. Erziehung ist Vorleben.

                                                                                                     3
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Orchideen

                         Meine Suche nach der Moosorchis
          Einheimische
             Orchideen
               Schweiz
                         Autor Marc Schmidlin
        AGEO             Orchis 2/2020 Seite 4–4

Etwas über mich
Als Kartierungsverantwortlicher der AGEO möchte ich euch ein wenig in meine Welt des Kartierens ein-
führen.
Nun, wie bin ich dazu gekommen?
Da ich mit meinen Eltern die Sommerferien jeweils im Unter-
wallis verbracht habe, bin ich auf unseren Wanderungen schon
als Junge in Kontakt mit wilden Orchideen gekommen.
Gesehen habe ich damals sicher die eine oder andere Orchi-
dee, sei es das Rote Waldvögelein oder auch das Männertreu.
Aber wie es so ist, gepackt hat mich das Virus ‚Orchideen‘
erst viel später. So um 2005 hat diese schöne und spannende
Pflanzen-Familie wieder das Interesse bei mir geweckt.
Als ich Jahre darauf auf der Suche nach einer (für mich) neuen
Orchideen-Art im Internet auf unseren Verein stiess, bin ich
ihm gleich beigetreten.
Mit dem Kartieren habe ich so richtig ab 2011 mit spärlichen
Beiträgen begonnen.
Neben den Vereinsaufgaben zum „Jahr der …“ setze ich mir
jedes Jahr immer wieder neue Ziele zum Kartieren.
Das eine Jahr nehme ich eine Gemeinde, bei welcher noch
nichts kartiert wurde, genauer unter die Lupe. Ein anderes
Jahr begebe ich mich auf die Suche nach einer Art oder ich
suche spezielle Lebensräume auf, wie stillgelegte Steinbrüche/
Gruben, Pfeifengras-Föhrenwälder, Blockschutt-Fichtenwäl-
dern u. a.
Was sich dagegen jedes Jahr immer wieder gleicht, ist meine
Suche nach der Moosorchis (Goodyera repens) im nordwest-         Goodyera repens - Einzelpflanze blühend
lichsten Teil unseres Landes.
Fundorte
Trockene Felsgrate mit Waldföhren (sel-
tener auch Bergföhren) erregen meine
Aufmerksamkeit.
Wenn ich wieder einmal eine neue Strecke
befahre und markante Felsflühe mit Föh-
ren sehe, so studiere ich zu Hause erst ein-
mal auf der Karte, wie ich dort hinkomme.
Die Anstiegswege zu meinen Zielen sind
meistens ziemlich beschwerlich, manchmal
auch sehr abenteuerlich, wenn nicht gar
gefährlich.
Aber vielerorts werde ich zum Glück mit
einem Fund belohnt.

 4                                             Grat-Föhrenwald
Orchis 2/2020 Berichte Einheimische Orchideen Schweiz - AGEO
Orchideen

Fundstellen in Teilen der Nord-West-Schweiz – aktualisiert August 2020 (Marc Schmidlin)
                                                                 Karte erstellt mit QGIS 3.10.8 durch Th. Ulrich
Im Jahre 2012 durfte ich meinen ersten Fund dieser Art melden, mittlerweile sind (Stand 10.8.2020) stolze
61 neue Fundorte hinzugekommen. 10 davon sind Bestätigungen alter Fundangaben.
Geografisch stechen die 49 Fundstellen in den Solothurner Bezirken (davon 41-mal im ‚Thierstein‘, 7-mal
im ‚Thal‘, einmal im ‚Gäu‘) heraus.
Auf den Kanton Baselland entfallen 25 Fundorte. Hier liegt die Hauptverbreitung mit 11 Stellen vor allem
im Bezirk ‚Waldenburg‘ gefolgt vom ‚Laufental‘ mit 9 Orten. 3 Fundstellen liegen im jurassischem ‚Val
Terbi‘.
Ich finde sie meist in nordseitigen, kalkhaltigen Kreten-Föhrenwäldern oder in gut ausgebildeten Block-
schutt-Fichtenwäldern. In fünf Fällen fand ich sie auch an eher untypischen Stellen, aber immer mit Moos-
polstern!
Interessanterweise stammen aus dem Nachbarskanton Aargau einige ältere Fundmeldungen der Moosor-
chis aus Pfeifengras-Föhrenwäldern, aus dem Baselbiet immerhin von deren drei. Leider konnte ich sie
bisher nur an einer Stelle bestätigen.
Über die Gründe für die Rückgänge/Verluste kann ich nur spekulieren. Ob der Klimawandel hier mitspielt?
Ist es in den sonnigen Föhrenwäldern mittlerweile zu heiss und trocknen die benötigten Moospolster zu
sehr aus?
Pflanzenbeschreibung
Wie es sein weiterer Name ‚Kriechendes Netzblatt‘ schon andeutet, bilden sich nahe der Oberfläche die
kurzen, fleischigen Wurzeln. Die Ausläufer verbreiten sich dabei meist teppichartig.
Die Blattrosetten werden dabei im Sommer gebildet, überwintern und sterben nach der Blüte im kom-
menden Jahr ab. Es ist die einzige immergrüne Orchidee der Schweiz. Darum finde ich Goodyera repens
(ihr wissenschaftlicher Name) eine sehr dankbare Art, weil ich sie auch ausserhalb der Blühsaison entde-
cken kann.

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Orchideen
Die 3–8 gestielten Laubblätter haben
eine deutlich sichtbare netzadrige Struk-
tur. Der schlanke, meist etwas einseitig
ausgerichtete ährige Blütenstand ist be-
haart. Die kleine Pflanze erreicht nur ge-
rade eine Wuchshöhe von 5–25 cm und
ihre Blütezeit dauert ca. von Ende Juli
bis Mitte August. Nur wenige Blattroset-
ten werden auch zur Blüte kommen.
Die weissen bis cremefarbigen Blüten
sind klein und ebenso mit abstehenden
Drüsenhaaren besetzt.

Beschreibung der Fundorte
Die Orchideen kommen in kleinen Grup-
pen in lichten, moosigen, gerne abson-        Goodyera repens – Rosettengruppe (Teppich)
nig-steilen Föhrenbeständen vor.
Oft finde ich sie auf frischen, mässig tro-
ckenen, sauren, modrig-humosen Ober-
böden (gerne mit Nadelstreu).
Es ist aber auch möglich, die unscheinba-
ren Pflanzen in niedrigem, mit Moospols-
tern versehenem Gras zu entdecken.
In den Moospolstern finden sich die
meist zahlreichen, dunkelgrünen, ovalen
bis herzförmigen Rosetten.
Verschiedene Seggen (Niedrige und
Weisse Segge), Blaugras, Fieder-Zwenke,
Berg- und Edel-Gamander, Ästige Grasli-
lie, Schwalbenwurz, Berg-Distel, Alpen-
Bergflachs bilden die artenreiche Kraut-
schicht.                                      Goodyera repens – Rosette
In der Strauchschicht wachsen Felsen-
mispel, Alpen-Kreuzdorn, Strauchwicke
und Wolliger Schneeball und öfters auch
die Heidelbeere.
Von anderen Orchideenarten fand ich
sie am ehesten zusammen mit Epipactis
atrorubens. Seltener wurde sie auch von
anderen Arten wie Cephalanthera lon-
gifolia, Gymnadenia conopsea, Neottia
nidus-avus, Orchis mascula oder Platan-
thera bifolia begleitet.
Von den über 70 Fundstellen kamen die
Pflanzen 44-mal nordexponiert bis teils-
nordexponiert vor.

                                              Goodyera repens – Biotop
Literatur:
(1) Wikipedia „Kriechendes Netzblatt- Art der Gattung der Netzblatt (Goodyera)“
(2) Spohn M.+R., Golte-Bechtle M. „Was blüht denn da?“ Franckh-Kosmos Verlag Verlags, Stuttgart; 2008
(3) Burnand J., Hasspacher B. „Waldstandorte beider Basel“ Verlag des Kantons Basel-Landschaft; 1999

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Orchideen

                         Orchideen als «Neophyten» in der Schweiz?
          Einheimische
             Orchideen
                         – Ergänzungen
               Schweiz
                         Autor Beat Wartmann
        AGEO             Orchis 2/2020 Seite 7
                                                               Kurt Räz hat mich darauf aufmerksam ge-
Der Nachweis einer Mastorchis Himantoglossum roberti-          macht, dass man bei vermuteten Rosetten
anum 2019 bei Ligerz BE am Bielersee hat sich als Falsch-      von Himantoglossum robertianum vor-
meldung herausgestellt. Der Fundmelder hat sich bei der        sichtig sein sollte. Er hat im März 2020 im
Eingabe in die FlorApp vertippt, gemeint war Himantoglos-      Kanton Genf etliche Rosetten gefunden,
sum hircinum (Bocks-Riemenzunge). Dem gleichen Fund-           die sich bei einer späteren Kontrolle als
melder unterlief 2020 nochmals derselbe Fehler, dieser         Himantoglossum hircinum oder sogar Orchis
«Fund» fand allerdings keinen Eingang in den Beitrag im        simia entpuppt haben.
Orchis 1/2019.
Genau wegen solcher Falschmeldungen hat Info Flora
dieses Frühjahr dazu aufgerufen, doch mit jeder Fundmel-
dung auch eine oder mehrere Handyfotos mitzuschicken
und weist bei kritischen Arten explizit in der FlorApp auf
das Mitliefern von Fotos hin. Hoffen wir, dass dies hilft.
Erfreulicher ist ein neuer Nachweis, welcher der AGEO
aufgrund des Artikels gemeldet wurde: An der Eisenbahn-
linie bei Lausanne-Bussigny wurden am 28.3.2020 zwei
Mastorchis gefunden, von denen eine einen etwa 25 cm
hohen Blütenstand entwickelte. Hierbei handelt es sich
um den dritten Nachweis im Kanton Waadt, wiederum an           Die Blätter der Mastorchis sind fettig glän-
einer Verkehrsachse, diesmal an der TGV-Linie nach Frank-      zend grün (Bardonnex, 22.3.2019)
                                                                                        Foto: Beat Wartmann
reich. Der Fotografin Isabelle Jaquier sei für die Erlaubnis
gedankt, ihre Fotos hier publizieren zu dürfen. Man darf
gespannt sein, auf welcher Verkehrsachse sich die Mast-
orchis weiter ausbreitet.

                                                               Rosette Bocks-Riemenzunge
                                                               (Bernex, 20.3.2020)            Foto: Kurt Räz

                                                               Rosette Affen-Knabenkraut (Orchis simia)
                                                               (Petit Lancy, 20.3.2020)   Foto: Kurt Räz

Mastorchis (Bussigny, 28.3.2020)                                                                         7
                           Foto: Isabelle Jaquier
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Orchideen

                        Darwin und die Orchideen
         Einheimische
            Orchideen
              Schweiz
                        Autor Beat Stucki
       AGEO             Orchis 2/2020 Seite 8–12

                                            Der Nachdruck von Darwins Orchideenbuch in der deutschen
                                            Übersetzung durch H. G. Bronn (Erstauflage 1862) ist eine
                                            gute Gelegenheit, sich Gedanken über Darwins Beziehung zu
                                            Orchideen zu machen.
                                            Er kann es nicht begreifen. Die meisten seiner Orchideen, die
                                            Darwin studiert, bilden keinen Nektar. Zwar haben viele einen
                                            Sporn, einfach ohne Nektar drin. Ein „Täuschungssystem“, also
                                            Mimikry? Darwin will nicht glauben, dass Insekten so leicht zu
                                            übertölpeln sind. Er betreibt mit Orchis morio (heute Anacamp-
                                            tis morio) einen Riesenaufwand; untersucht sie zu allen Tages-
                                            und Nachtzeiten, bei jedem Wetter, „... reitzte die Nectarien
                                            mit einem Bürstchen und setzte sie reitzenden Dämpfen aus
                                            ...“, und so weiter und so fort. „Aber das Nectarium war un-
                                            abänderlich trocken.“ Bei nur fünf britischen Arten findet er
                                            Nektar. Er formuliert eine Hypothese, von der er selbst meint,
                                            sie sei kühn: Die Schmetterlinge würden mit ihren Rüsseln
                                            die „Haut der Nectarien (…) durchbohren, um die so reichlich
                                            (…) enthaltene Flüssigkeit aufzusaugen“. Dadurch werde der
                                            Bestäuber länger auf der Blüte aufgehalten, „damit die Kleb-
                                            scheibe Zeit gewinne sich besser zu befestigen“. Diese Deutung
                                            ist falsch.
                                            Heute gibt es eine überzeugende Erklärung der Nektarlosig-
                                            keit. Ohne Belohnung hält sich ein Insekt nicht zu lange am
                                            gleichen Blütenstand auf und fliegt meistens schnell genug
                                            zur nächsten Pflanze, was die Gefahr der Selbstbestäubung
                                            reduziert. Also ganz im Sinne Darwins, der akribisch nach
Titelblatt der ersten deutschen Über-
                                            Anpassungen sucht, welche die Selbstbestäubung verhindern.
setzung von Darwins Orchideenbuch
                                            Nektarlose Blüten erhöhen die Fremdbestäubungsrate. Füllt
                                            man experimentell den Sporn mit Nektar, bleiben die Bestäu-
ber länger auf der gleichen Pflanze. Darwin war ganz nah dran. Er schreibt, dass das getäuschte Insekt
„unverzüglich zu einer zweiten (Blüte) gehen muss“. Und vermeidet so Selbstbestäubung, hätte er anfügen
müssen.
Darwin vergleicht die Blütenanatomie der Arten, die er in seiner Umgebung im Süden Englands findet.
Seltenere lässt er sich von Freunden schicken, tropische Orchideen bekommt er vom königlichen Kew Gar-
den aus London. Darunter ist eine Orchidee aus Madagaskar namens Angraecum sesquipedale mit einem
30 cm langen Sporn, wovon die untersten 4 cm mit Nektar gefüllt sind. Darwin schliesst daraus, dass es
auf Madagaskar Schmetterlinge mit ebenso langen Rüsseln geben muss. 1903, gut 20 Jahre nach Darwins
Tod, wird ein Schwärmer beschrieben, auf den die Prognose zutrifft. Er bekommt den Namen Xanthopan
morgani praedicta (vorausgesagt). Für Darwin ist es offensichtlich, dass „durch aufeinanderfolgende Ab-
änderungen das Nectarium allmählig zu dieser erstaunlichen Länge gekommen ist“ und sieht sich in seiner
Ansicht bestätigt, dass Veränderungen immer nur in kleinsten Schritten „graduell“ erfolgen. So nebenbei
formuliert Darwin gleich noch das Konzept der Koevolution: „So scheint es demnach, es habe eine Art
Wettlauf zwischen dem Längenwachstum des Angraecum-Necatriums und des Falter-Rüssels entwickeln
müssen, (…).“

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Orchideen
                                                                 Zurück zu den britischen Orchideen.
                                                                 Richtiggehend pedantisch analysiert
                                                                 Darwin ihre Blüten, insbesonders Bau
                                                                 und Funktion der Griffelsäule, studiert
                                                                 scheinbare Details wie das Rostellum mit
                                                                 der Klebscheibe. Er macht Experimente
                                                                 zum Klebstoff und beschreibt für Orchis
                                                                 mascula, wie sich die Pollinien bald schon
                                                                 beugen, sobald die Klebscheibe am Kopf
                                                                 eines Insekts haftet. Umgehend macht
                                                                 er Experimente mit einem Bleistift und
                                                                 beobachtet, dass die Krümmung nach
                                                                 rund einer halben Minute beginnt. Ist
                                                                 diese Anpassung nicht grossartig? So
Mit einem Bleistift beweist Darwin die Bewegung der Pollinien    treffen die Pollenpakete beim Blüten-
von Orchis mascula.                                              besuch genau auf die Narbe. Darwin ist
                                           Foto: Beat Wartmann begeistert. Eine Bestäubung wird erst
                                                                 nach einiger Zeit möglich, wenn sich
das Insekt längst auf einer anderen Pflanze befindet. Später untersucht Darwin Orchis pyramidalis (heute
Anacamptis pyramidalis) und beobachtet mit Erstaunen, dass die Stielchen sich zuerst nach aussen drehen,
um erst dann sich abzusenken. Eine weitere perfekte Anpassung, hat doch die Spitzorchis zwei getrennte
Narbenflächen.

          Blütenmorphologie von Anacamptis pyra-       Darwin hat die Bedeutung der Längs-
          midalis mit Detailansichten der Pollinien.   leisten an der Lippenbasis von Anacamptis
                                Foto: Beat Wartmann    pyramidalis erkannt.
                                                                          Foto: Claudia Wartmann

Um 1837, ein Jahr nach der Rückkehr von seiner Weltumsegelung mit der ‚Beagle‘, entwickelt er seine
Theorie der „Natürlichen Selektion“. Sie besagt, dass sich Arten im Anpassungsprozess über lange Zeit-
räume verändern. Darwin ist sich bewusst, dass in diesen Gedanken Sprengstoff liegt. Also gilt es erst
einmal, empirisch Beweis um Beweis für seine ketzerischen Ansichten zu sammeln. Sonst liesse sich keiner
überzeugen. Darwin wäre wohl noch lange vor einer Veröffentlichung zurückgeschreckt, hätte ihn nicht
ein Brief eines gewissen Alfred Russel Wallace erreicht, der als Naturforscher in Südostasien unterwegs
ist. Dem Brief liegt ein Manuskript zur Veröffentlichung bei, in welchem Wallace ähnliche Gedankengänge
entwickelt hat. Darwin will dann doch als Entdecker der neuen Theorie gelten und arrangiert mit seinem

                                                                                                       9
Orchideen
Mentor Joseph Dalton Hooker, Direktor des Kew Garden, eine gemeinsame Publikation in den „Procee-
dings of the Linnean Society“ im August 1858. Der Geologe Charles Lyell überzeugt schliesslich Darwin,
dass er so rasch als möglich nun endlich seine Erkenntnisse ohne Rücksicht auf Verluste publizieren
müsse. Darwin hadert weiter mit sich selbst und meint gar, mit der Publikation „einen Mord zu begehen“.
Nur unter Druck stellt er hastig eine „Kurzfassung“ all seiner Erkenntnisse zusammen. 1859 erscheint sein
Werk unter dem (Kurz)Titel „Über die Entstehung der Arten“. Umfang: über 500 Seiten.
Kurz darauf wendet sich Darwin erneut seinen geliebten Orchideen zu. Jetzt hat er wieder Zeit. „The
single best idea anyone ever had“ (Daniel Dennett, Philosoph) ist ja unterdessen der Welt mitgeteilt. 1862
erscheint sein Orchideenbuch mit immerhin 227 Seiten und wie damals üblich einem ausufernden Titel
„Über die Einrichtungen zur Befruchtung britischer und ausländischer Orchideen durch Insekten und über
die günstigen Erfolge der Wechselbefruchtung“. 1877 erscheint eine zweite, auf 259 Seiten erweiterte
Auflage.
                                             Was will Darwin mit diesem Buch? Das Vorwort bringt Klärung.
                                             Er will aufzeigen, „dass die Einrichtungen zur Vermittlung der
                                             Befruchtung (…) hauptsächlich die Befruchtung einer jeden
                                             Blüthe durch den Samenstaub einer anderen Blüthe bezwe-
                                             cken.“ Es geht um die Anpassungen für Fremdbestäubung.
                                             Darwin ist überzeugt, „dass die Organismen-Arten einem
                                             gemeinsamen Naturgesetze zufolge von Zeit zur Zeit einer
                                             Kreuzung verschiedener Individuen miteinander bedürfen (…)“.
                                             In seinem Buch über die Entstehung der Arten habe der Platz
                                             gefehlt, seine „eingehenden Forschungen“ dazu anzuführen.
                                             Das holt er mit seinem Orchideenbuch nach. Kaum etwas
                                             begeistert Darwin so wie die Orchideen: die Raffinesse ihrer
                                             Bestäubungsmechanismen und ihre Strategien, Selbstbestäu-
                                             bung zu verhindern.
                                             Die Beschäftigung mit der Gattung Ophrys macht Darwin
                                             ratlos. Er habe bei der Fliegenragwurz noch nie eine Spur von
                                             Nektar gesehen, weder Insekten, die diesen „geruchlosen Blu-
                                             men auch nur nahe gekommen wären (…)“. Doch er stellt fest,
                                             dass von 207 untersuchten Blüten bei 88 eines oder zwei der
                                             Pollinien „von Insekten entführt“ worden sind. Darwin vermu-
                                             tet, es seien kleine Insekten wie bei Listera.
                                             Wie begeistert wäre er wohl gewesen, hätte er die wahre Ge-
                                             schichte gekannt!

In der 2. Auflage präzisiert Darwin seine
Aussagen zur Bewegung der Pollinien in
einem eigenen Kapitel.
                    Foto: Beat Wartmann

10                             Die Selbstbestäubung von Ophrys apifera – links in der Darstellung von Darwin.
                                                                            Fotos: Beat und Claudia Wartmann
Orchideen
Die Bienen-Ragwurz will noch weniger zu seinen evolutionären Annahmen passen. Er beobachtet, wie sich
die Pollinien bereits nach wenigen Stunden zur eigenen Narbe senken und sich selbst bestäuben. Folglich
ist Darwin nicht erstaunt, „dass in den Ähren der Bienen-Ophrys fast aus jeder Blüthe eine Fruchtkapsel
werde“. Er kommt zum Schluss, dass die Ophrys apifera „in Verkümmerung begriffen“ sei, und „dass die Na-
tur (man verzeihe mir diese Ausdrucksweise), als sie gesehen, dass die Fliegen- und die Spinnen-Ophrys nur
noch unvollkommen befruchtet würden und wenig Samen-Kapseln ansetzten, ihren Plan geändert und eine
fortwährende vollständige Selbstbefruchtung angeordnet habe, um mehr Samen zu erzeugen“.
Oh, là, là … Ausgerechnet Darwin, der jeder Teleologie, also jeder Zielstrebigkeit der Evolution, den
endgültigen Todesstoss versetzt hat, greift in seiner Verzweiflung über die Selbstbefruchtung der Bienen-
Ragwurz zu einer finalen Kausalität, personifiziert die Natur und steht ihr eine Absicht zu. Damit seine
Welt im Lot bleibt, schreibt er fast trotzig, „und es scheint mir der sicherste Schluss zu seyn, dass (…)
vielleicht auch nur einmal in langen Zeiträumen ein Einzelwesen der Bienen-Ophrys sich mit einem andern
kreuzte“.
Ist Selbstbestäubung nicht Inzucht? Dass Darwin der Fremdbestäubung einen derart hohen Stellenwert
beimisst, hat auch einen familiären Hintergrund. Er hat seine Cousine Emma Wedgewood (aus der Familie
der gleichnamigen Porzellanmanufaktur) geheiratet und drei ihrer zehn Kinder sind jung gestorben. Dar-
win macht sich Vorwürfe, eine Verwandte geheiratet zu haben. Und selbst im Schlusssatz seines Orchide-
enbuches befürchtet er, „dass auch Paarung zwischen nahen Verwandten irgendwie verderblich seye, und
dass irgend ein grosser Vorteil in der Verbindung zwischen Individuen von solchen Stämmen liege, welche
seit vielen Generationen unvermischt geblieben sind“.
Darwin erkennt, wie wichtig die Variabilität für das Überleben einer Art ist. Sie schafft die Voraussetzung,
dass die ‚Natürliche Selektion‘ die am besten angepassten Varianten favorisiert. Hätte sich Darwin vorstel-
len können, dass nur 150 Jahre später Naturschutzgenetiker schwarzsehen, angesichts der schwindenden
genetischen Vielfalt vieler Restpopulationen auf isolierten Habitatinseln?
Damals spielten naturschützerische Aspekte noch keine Rolle. Zwar beschreibt Darwin Malaxis paludo-
sa (heute Hammarbya paludosa) als selten und bedankt sich bei einem Herrn Wallis aus Sussex „für viele
lebend übersandte Exemplare“. Darwin ist der Meinung, dass die kleinen Orchideensamen „zur weiten
Ausstreuung wohl geeignet“ sind. „Dennoch ist es eine bekannte Thatsache, dass die Orchideen spärlich
verbreitet sind.“ In der Umgebung seines Hauses findet er 13 Arten, „unter welchen nur Orchis morio häu-
fig genug ist, um eine augenfällige Stelle in der Pflanzenwelt einzunehmen, und in geringerem Grade etwa
noch O. maculata in offenen Waldgründen.“ Lakonisch stellt er fest: „Was eine „unbegrenzte Vermehrung
hemme, lässt sich nicht angeben.“.
Gegen den Schluss des Buches stellt sich Darwin die Frage, ob sich der ganze Aufwand gelohnt habe.
„Nach dem Nutzen jeder unbedeutenden Einzelheit des Baues zu forschen, ist keineswegs verlorene Zeit
in den Augen derjenigen, welche an eine Natürliche Züchtung glauben. (…) Manche Naturforscher nehmen
an, dass zahllose Bildungen nur um der Mannigfaltigkeit und der Schönheit willen gemacht wurden, fast wie
von einem Künstler eine Reihe von verschiedenen Modellen entworfen wird.“ Ist dies eine Anspielung auf
einen Schöpfer? Darwin braucht ihn nicht. Er ist felsenfest überzeugt, „wären sie indess ohne Nutzen, so
hätten solche Gebilde nicht entwickelt werden können (…)“.
„There is grandeur in this view of life...“ So beginnt der Schlusssatz seines Hauptwerks „On the Origin
of Species“. Ist es nicht seltsam, dass Darwin, der uns mit seiner Theorie eine grossartige Weltsicht ge-
schenkt hat, selbst heute in weiten Kreisen einen zweifelhaften Ruf geniesst? Viele meinen, der Darwinis-
mus sei eine Ideologie, eine unmenschliche dazu. Und noch schlimmer: Darwin sei der Vater des Sozialdar-
winismus und von ihm führe ein direkter Weg zu den Nazigräuel. Fakt ist, Darwin war kein Sozialdarwinist;
in seinem Werk findet sich keine entsprechende Stelle. Darwin übernahm von Herbert Spencer die For-
mulierung „survival of the fittest“. Sie besagt, dass besser angepasste Individuen eher überleben und sich
fortpflanzen. Dadurch werden ihre Genvarianten über lange Zeiträume im Genpool einer Art häufiger.
Vor allem im deutschen Sprachraum wurde diese Formulierung zum „Überleben des Stärkeren“ und –
völlig verdreht - zum „Recht des Stärkeren“. Das hat alles null und nichts mit Darwin und Darwinismus zu
tun. Dass Darwin auch heute noch vor allem von den Geisteswissenschaften in die Nähe brauner Sümpfe
gerückt wird, beruht auf Unwissen. Wer liest schon Darwin im Original? Doch auch die grossen Philoso-
phen, die auf dem Sockel der deutschen Kultur stehen, werden offenbar nicht gelesen. In verschiedenen
Werken unter anderem von Kant, Fichte und Hegel finden sich schockierende Aussagen über andere
Menschengruppen. Geprügelt jedoch wird Darwin. Darwinismus ist keine Ideologie. Der Darwinismus ist
eine wissenschaftliche Theorie, formuliert aufgrund unzähliger empirischer Beobachtungen. Mit dem

                                                                                                      11
Orchideen
Vergleichen verschiedener Orchideenarten kann Darwin schlüssig aufzeigen, dass die Entwicklung gradu-
ell, in kleinsten Schrittchen, verläuft, dass die Blütenorgane, mögen sie noch so verschieden abgewandelt
sein, zueinander homolog sind, das heisst, alle Orchideen von einem gemeinsamen Vorfahren abstam-
men. Zehn Jahre später wird Darwin schreiben, dass auch der Mensch sich bloss graduell von den andern
Tieren unterscheidet. Darwins Orchideenbuch ist ein wichtiger Puzzlestein in seinem Gesamtwerk. Da
steckt wirklich Sprengstoff drin. Darwin lesen lohnt sich: In einer schier endlosen Beschreibung kleinster
morphologischer Blütendetails taucht unverhofft ein Achttausender von einem Satz auf: „Je mehr ich die
Natur studire, desto mehr werde ich von der immer zunehmenden Überzeugung durchdrungen, dass die
schönen Einrichtungen und Anpassungen, (…), in unvergleichlich hohem Grade alles übersteigen, was sich
die fruchtbarste Einbildungskraft irgend eines Menschen als Ergebniss während einer unbegrenzten Zeit-
dauer nur vorstellen kann.“

Ein herzlicher Dank geht an Beat Wartmann für seine wertvollen Tipps und der Bereitstellung aller Illustratio-
nen.

Literatur:
Darwin, Charles. Über die Einrichtungen zur Befruchtung britischer und ausländischer Orchideen durch Insekten und
über die günstigen Erfolge der Wechselbefruchtung. 1862.
Forgotten Books. Classic Reprint Series. London, 2018.

Weiterführende Literatur:
Darwin’s orchids then and now, ed. by Retha Edens-Meier & Peter Bernhardt.
London: University of Chicago Press, 2014. 419 Seiten.

An enthusiasm for orchids: sex and deception in plant evolution, by John Alcock.
Oxford: Oxford University Press, 2006. 302 Seiten.

Floral mimicry, by Steven D. Johnson & Florian P. Schiestl.
Oxford: Oxford University Press, 2016. 176 Seiten.

12
Orchideen

                         Höchstnachweise von Orchideen in den Alpen
          Einheimische
             Orchideen
               Schweiz
                         Autor Beat Wartmann
        AGEO             Orchis 2/2020 Seite 13–18

Bei der Überarbeitung meines Feldführers (Wartmann 2006) musste ich auch sämtliche Höhenangaben
überprüfen. Im neuen Feldführer (Wartmann 2020) sind die Höchstnachweise sowohl in den Arttexten
erwähnt als auch in einer separaten Tabelle nach Höhe sortiert mit Ortsangabe der Nachweise zusammen-
gestellt. Bei der Überprüfung ist mir aufgefallen, dass ich etliche Angaben deutlich nach oben korrigieren
musste. So begann ich eine Zusammenstellung, welche ich alsbald um die Angaben von Walter Schmid
(Schmid 1998) ergänzte. Zu guter Letzt wollte ich auch die historischen Nachweise noch einbeziehen, so-
dass ein Überblick über die Entwicklung der letzten gut 100 Jahre möglich wird.
Wie kommen diese Daten zusammen? Grundlage der Auswertungen sind die Fundmeldungen aus der
AGEO-Datenbank. Allerdings ist bei älteren Angaben Vorsicht geboten. Viele Angaben sind nur als Flur-
namen aus der Literatur bekannt und wurden von Ruedi Irniger nach bestem Wissen und Gewissen als
«provisorische Koordinaten» in die Datenbank eingegeben. Bei ungenauen Angaben können falsche
Zuweisungen entstehen. Ein Beispiel: Von Josias Braun-Blanquet gibt es in der «Flora von Graubünden»
einen Nachweis aus den 1920er Jahren von Cephalanthera rubra aus dem Münstertal, Zitat: ob Cierfs,
1750 m, !1800 m! Fast 100 Jahre später konnte Göpf Grimm die Art im God da Munt oberhalb Tschierv
nachweisen. Die provisorisch gesetzte Koordinate lag auf der anderen Talseite, was dank Höhenangaben
hier nicht relevant ist, aber in Fällen ohne Höhenangabe schon. Für historische Höchstnachweise habe ich
mich in erster Linie auf Angaben mit konkreten Höhenangaben gestützt. Viele Melder haben bei solchen
Nachweisen die Höhe bewusst angegeben, wohl weil sie die Meldung eben wegen der für sie bemerkens-
werten Höhenlage machten.
Leider konnte ich viele Meldungen mit unklarer Höhenangabe nicht verwenden, etwa: 30.5.1992 Foppe
di Pönt? (Koord. ungenau! 708700–709700/154300–154900; 1780–1920 m), auch wenn es sich vielleicht
um einen Höchstnachweis handelte. Bei den historischen Nachweisen vor 1950 von Malaxis monophyllos
                                              gibt es aus der Literatur etliche nicht lokalisierbare Nachweise
                                              über 1600 m: «Am Weg ins Vals Avers» bedeutet mindestens
                                              eine Höhe von 1720 m, was mit «Alp Parsenn» gemeint ist,
                                              bleibt schleierhaft, «Uglix, oberhalb des Weges von Bergün
                                              zum Chavagl Grond» wäre wohl der Höchstnachweis mit einer
                                              Höhe von vermutlich über 1800 m, ist aber nicht lokalisierbar.
                                              Somit bleibt als belegter Höchstnachweis vor 1950 «Höhwald
                                              ob dem [Davoser] See, 1565 m».
                                              In der Datenbank gibt es auch viele Nachweise, die vom
                                              Fundmelder oder vom Datenbank-Bearbeiter als zweifelhaft
                                              eingestuft wurden. Solche Meldungen habe ich auch nicht
                                              berücksichtigt. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben alle auf den
                                              Kilometer gerundeten Info Flora-Meldungen.
                                              In Tabelle 1 (Seite 15–16) sind die ermittelten Höchstnachwei-
                                              se für die Zeitperiode 1900 bis 2020 in vier Zeitschnitten und
                                              drei Publikationen zusammengefasst. Zusätzlich werden die
                                              Höhenvergleiche 1998/2006, 2006/2020 sowie 1998/2020 als
                                              Differenzen ausgewiesen. Um die historische Dimension ein-
                                              zubinden, werden auch die Höhendifferenzen zwischen dem
                                              Zeitschnitt 1950–1969 und 2020 gezeigt, wegen mangelhafter
                                              Datenlage jedoch nicht für Nachweise vor 1950. Die Tabelle
                                              ist absteigend nach dem Höhenvergleich 2020/1998 (vorletzte
                                              Spalte) sortiert, von Orchis simia (810 m – Höhenzunahme) bis
                                              Serapias vomeracea (-530 m – Höhenabnahme).
Oberhalb von 2300 m ü. M. können
etliche Orchideen keinen Blütenstand
mehr bilden (Epipactis atrorubens am
16.7.2015 auf 2360 m).                                                                                  13
Orchideen
Von den 73 Arten und Unterarten, zu
denen sich Aussagen machen lassen, zei-
gen 61 eine Höhenzunahme, nur 10 eine
Abnahme, zwei sind gleichgeblieben.
Folgende 7 (Unter)Arten führen die Hit-
parade an: Orchis simia (+810 m), Epipac-
tis purpurata (+730 m), Ophrys sphegodes
subsp. araneola (+730 m), Dactylorhiza
traunsteineri (+720 m), Anacamptis palus-
tris (+610 m), Epipactis helleborine subsp.
helleborine (+530 m) und Epipactis helle-
borine subsp. orbicularis (+500 m).
Bei den Arten mit Höhenabnahme liegt
der Hauptgrund in der Zerstörung ehe-
maliger Vorkommen, so bei Anacamptis
coriophora, Orchis provincialis, Anacamp-      In grosser Höhe wird Gymnadenia odoratissima zwergwüchsig,
tis laxiflora und Serapias vomeracea. Die      hier neben Edelweiss auf 2340 m ü. M.
Höhenangaben in Schmid (1998) von
Epipactis palustris, Gymnadenia conopsea
und Traunsteinera globosa sind etwas zu
hoch eingestuft, jedenfalls gibt es in der
Datenbank keine Nachweise in der von
ihm genannten Höhenlage.
Als Ursache für diese Orchideenvorkom-
men in immer grösserer Höhe liesse sich
zunächst anführen, dass dies einfach ein
Nebeneffekt der immer grösseren Da-
tenmenge sei. Ich gebe zu, dass dies mit
eine Rolle spielen kann. Bei der Analyse
der historischen Daten habe ich jedoch
den Eindruck gewonnen, dass schon vor
mehr als 50 Jahren «Höchst»nachweise
als solche bewusst gemeldet wurden.
Rudolf Gsell (1892–1953) etwa hat als          Wegen der kürzeren Vegetationsperiode kommen Orchideen in
exzellenter Kartierer immer auf die Höhe Höchstlagen erst verzögert zum Blühen, hier eine Neottia ovata
geachtet und vielfach gemeldet, bis zu         auf 2150 m ü. M. knospend am 27.7.2014.
welcher Höhe er an einem Berghang
eine Art gefunden hat. So schrieb er etwa 1943 von Anacamptis coriophora: «Im unteren Bergell auf der
rechten Talseite an vielen Fundstellen, von !790!–1120 m». Wenn wir also davon ausgehen können, dass
schon lange Höchstnachweise notiert wurden, dann muss es noch eine «natürliche» Ursache für diese Auf-
wärtsbewegung vieler Orchideenarten geben.
Eine solche findet sich in der viel diskutierten Klimaerwärmung: «Die bodennahe Atmosphäre hat sich seit
Messbeginn im Jahr 1864 um rund 2.1°C erwärmt. Seit rund 30 Jahren war kein Jahr in der Schweiz mehr
kühler als der Durchschnittswert der Jahre 1961 bis 1990. Als Folge der Temperaturzunahme entwickelt
sich die Vegetation im Frühling und Sommer heute deutlich früher als vor einigen Jahrzehnten. Nach dem
mildesten Winter registrierte die Schweiz 2020 den drittwärmsten Frühling seit Messbeginn 1864» (Meteo
Schweiz, Internet).
Geringere Schneemengen im Winter und frühere Erwärmung im Frühling beschleunigen die Ausaperung
und ermöglichen in grösseren Höhen eine längere Vegetationsperiode, ein limitierender Faktor in der
alpinen Stufe. Da die Klimaerwärmung derzeit kaum gebremst weitergeht, ist mit einem weiteren «Höher-
klettern» unserer Orchideen zu rechnen. Konkret hat auch Reinalter (2003) festgestellt, dass Chamorchis
alpina am Piz Tschüffer im Berninagebiet in grösserer Höhe vorkommt als noch vor einigen Jahrzehnten:
Historisch ist die Art bis 2600 m nachgewiesen, Reinalter fand sie bis 2760 m. Burga et al. (2004) haben
11 Gipfel im Berninagebiet untersucht und festgestellt: «Der in den frühen 1990er-Jahren festgestellte
Trend zum Höhenanstieg der Pflanzen in der alpinen und subnivalen Stufe der Alpen konnte auch für wei-
tere Gipfel der Alpen und Skandinaviens bestätigt werden».
14
Orchideen
Arten                        1900–   1950–   1970–   1990–   Schmid   Wart-   Wart-   Differenz Differenz Differenz Differenz
                             1949    1969    1989    1999    1998     mann    mann    2006      2020      2020      2020
                                                                      2006    2020    - 1998    - 2006    - 1998    - 1950/69
Orchis simia                 -       380     680     1030    600      1030    1410    430       380       810       1030
Epipactis purpurata          1200    1440    1050    1460    1000     1440    1730    440       290       730       290
Ophrys sphegodes             -       720     720     1290    800      1540    1530    740       -10       730       810
subsp. araneola
Dactylorhiza traunsteineri   -       1520    1700    2090    1400     2000    2120    600       120       720       600
Anacamptis palustris         -       440     1110    440     500      1110    1110    610       0         610       670
Epipactis helleborine        1860    1800    2080    1790    1800     1800    2330    0         530       530       530
subsp. helleborine
Epipactis helleborine        1320    1100    1400    1460    1300     1530    1800    230       270       500       700
subsp. orbicularis
Cephalanthera                1600    1530    1720    1750    1600     1750    2090    150       340       490       560
longifolia
Epipactis bugacensis         -       -       -       470     400      860     860     460       0         460       -
subsp. rhodanensis
Neotinea ustulata            2100    2150    2250    2550    2100     2320    2550    220       230       450       400
Orchis militaris             1950    1400    1870    2230    1900     2160    2340    260       180       440       940
Dactylorhiza lapponica       -       -       2000    2250    2000     2160    2400    160       240       400       -
Himantoglossum hircinum      650     680     810     930     800      950     1180    150       230       380       500
Dactylorhiza fuchsii         2200    2000    2400    2390    2300     2400    2670    100       270       370       670
Malaxis monophyllos          1570    1610    1650    1830    1600     1960    1970    360       10        370       360
Neotinea tridentata          1570    960     1220    1780    1500     1860    1860    360       0         360       900
Orchis mascula               1950    -       2100    2150    2150     2290    2510    140       220       360       -
subsp. speciosa
Ophrys apifera               1180    1070    1200    1430    1300     1430    1650    130       220       350       580
Dactylorhiza incarnata       1820    1720    2220    1930    1900     2220    2220    320       0         320       500
subsp. incarnata
Epipactis leptochila         -       830     730     1060    1000     1060    1310    60        250       310       480
subsp. neglecta
Epipactis muelleri           -       360     1320    1450    1300     1300    1610    0         310       310       1250
Orchis purpurea              900     780     780     800     800      1100    1110    300       10        310       330
Dactylorhiza maculata        -       -       -       2350    2100     2350    2400    250       50        300       -
subsp. savogiensis
Epipactis microphylla        1260    1300    1580    1460    1300     1460    1590    160       130       290       290
Limodorum abortivum          1500    900     1320    1430    1500     1770    1770    270       0         270       870
Chamorchis alpina            2700    2690    2810    2660    2700     2700    2960    0         260       260       270
Dactylorhiza maculata        1000    -       1090    1100    1100     900     1360    -200      460       260       -
subsp. maculata
Neottia nidus-avis           1700    1650    1740    1740    1700     1820    1960    120       140       260       310
Orchis anthropophora         1130    840     1030    1130    1300     1300    1550    0         250       250       710
Corallorhiza trifida         2110    2340    2240    2340    2200     2340    2440    140       100       240       100
Anacamptis papilionacea      -       360     -       610     400      -       610     -         -         210       250
Dactylorhiza viridis         2700    2510    2680    2520    2700     2800    2900    100       100       200       390
Goodyera repens              1850    1900    1770    1910    1800     1920    2000    120       80        200       100
Ophrys insectifera           1900    1860    1870    1890    1900     1850    2100    -50       250       200       240
Platanthera chlorantha       1830    1480    2340    2030    2300     2000    2490    -300      490       190       1010
Cephalanthera rubra          1800    1760    1980    1910    1900     1980    2070    80        90        170       310
Orchis mascula               2400    2100    2670    2430    2500     2670    2670    170       0         170       570
subsp. mascula
Pseudorchis albida           2190    2090    2580    2500    2500     2580    2660    80        80        160       570
Spiranthes aestivalis        1100    1100    1220    1120    1100     1100    1260    0         160       160       160
Anacamptis pyramidalis       -       1900    1680    1810    1760     1900    1910    140       10        150       10
subsp. tanayensis
Dactylorhiza majalis         2400    2400    2390    2390    2500     2400    2650    -100      250       150       250
Orchis spitzelii             -       -       -       2050    1900     1900    2050    0         150       150       -

                                                                                                                         15
Orchideen
Arten                     1900–   1950–   1970–   1990–   Schmid   Wart-   Wart-   Differenz Differenz Differenz Differenz
                          1949    1969    1989    1999    1998     mann    mann    2006      2020      2020      2020
                                                                   2006    2020    - 1998    - 2006    - 2006    - 1950/69
Cephalanthera             1410    1330    1540    1600    1600     1600    1720    0         120       120       390
damasonium
Dactylorhiza incarnata    710     740     750     540     600      750     710     150       -40       110       -30
subsp. ochroleuca

Cypripedium calceolus     1980    1500    1880    1860    2000     1930    2100    -70       170       100       600
Epipactis leptochila      -       -       1280    1290    1200     1200    1300    0         100       100       -
subsp. leptochila
Dactylorhiza sambucina    2100    2300    2200    2250    2200     2250    2290    50        40        90        -10
Gymnadenia rhellicani     2720    2750    2730    2690    2800     2730    2890    -70       160       90        140
Herminium monorchis       1900    1490    1780    1640    1800     1880    1890    80        10        90        400
Spiranthes spiralis       1370    1380    1280    1330    1400     1330    1480    -70       150       80        100
Liparis loeselii          890     990     1170    1110    1100     1170    1170    70        0         70        180
Anacamptis morio          1600    1610    1700    1670    1800     1860    1860    60        0         60        250
Neottia ovata             2000    2020    2210    2180    2300     2250    2360    -50       110       60        340
Orchis pallens            2000    1490    1740    1720    2000     2000    2060    0         60        60        570
Anacamptis pyramidalis    1750    1150    1480    1660    1900     1760    1950    -140      190       50        800
subsp. pyramidalis
Dactylorhiza cruenta      2040    2100    2520    2110    2500     2500    2550    0         50        50        450
Ophrys fuciflora          -       380     450     450     400      400     450     0         50        50        70
subsp. elatior
Epipactis atrorubens      2200    2050    2400    2280    2400     2280    2440    -120      160       40        390
Gymnadenia rubra          2540    2550    2500    2470    2600     2550    2640    -50       90        40        90
Platanthera bifolia       2200    1750    2460    2290    2500     2500    2520    0         20        20        770
Hammarbya paludosa        1300    910     1110    930     1100     1100    1110    0         10        10        200
Gymnadenia odoratissima   2400    2000    2420    2240    2600     2420    2600    -180      180       0         600
Neottia cordata           2050    1980    1930    2100    2100     1910    2100    -190      190       0         120
Epipactis palustris       1720    1230    1660    1720    1800     1630    1750    -170      120       -50       520
Ophrys sphegodes          1000    1000    770     680     1000     1060    950     60        -110      -50       -50
subsp. sphegodes
Ophrys fuciflora subsp.   1250    1340    1340    1290    1400     1340    1340    -60       0         -60       0
fuciflora
Epipogium aphyllum        1800    1650    1660    1600    1800     1550    1710    -250      160       -90       60
Anacamptis coriophora     1430    1170    1480    1300    1450     1500    1340    50        -160      -110      170
Gymnadenia conopsea       2450    2300    2680    2400    2800     2680    2680    -120      0         -120      380
Traunsteinera globosa     2630    2070    2370    2430    2700     2430    2550    -270      120       -150      480
Orchis provincialis       730     -       730     800     1000     800     800     -200      0         -200      -
Anacamptis laxiflora      840     840     800     -       1000     840     490     -160      -350      -510      -350
Serapias vomeracea        1380    960     650     870     1400     1380    870     -20       -510      -530      -90
Epipactis fageticola      -       -       -       730     -        830     830     -         0         -         -
Epipactis placentina      -       -       -       780     -        700     750     -         50        -         -
Gymnadenia austriaca      -       -       1550    1550    -        1600    2330    -         730       -         -
Himantoglossum            -       -       -       -       -        -       480     -         -         -         -
robertianum

Tabelle 1: Höchstnachweise der Schweizer Orchideen (Details siehe Text)

16
Orchideen
Die Schweizer Höchstnachweise möchte        Arten                        Schweiz   Deutsch-   Öster-   Italien   Frank-
                                                                                     land     reich               reich
ich zum Schluss noch den Höchstnach-
                                            Anacamptis coriophora         1340       830       780     1500      1500
weisen in anderen Alpenländern (ausser
                                            Anacamptis laxiflora          490         -         -      1050      1000
Slowenien) gegenüberstellen (Tabelle
                                            Anacamptis morio              1860      1130      1440     1580      1800
2). Dabei beziehe ich mich auf folgen-
de Referenzwerke: «Die Orchideen            Anacamptis palustris          1110       550       510        -      1200

Deutschlands» (2005), «Die Orchideen        Anacamptis papilionacea       610         -         -       770       800
Österreichs» (2013), «Le orchidee spon-     Anacamptis pyramidalis        1950       870      1470     1620      1500
                                            subsp. pyramidalis
tanee dell’Italia nordorientale» (2013)
und ergänzend für Arten, welche nur im      Anacamptis pyramidalis        1910        -         -         -      1800
                                            subsp. tanayensis
Nordwesten Italiens vorkommen «Or-
                                            Cephalanthera                 1720      1110      1360     1700      1400
chidee d’Italia» (2016), für Frankreich     damasonium
schliesslich «Les orchidées de France,      Cephalanthera longifolia      2090      1300      1600     2040      1700
Belgiques et Luxembourg (2005) bzw. «À
                                            Cephalanthera rubra           2070      1500      1900     1930      1800
la rencontre des orchidées sauvages de
                                            Chamorchis alpina             2960      2340      2900     2750      2700
Rhône-Alpes (2012).
                                            Corallorhiza trifida          2440      1620      2550     2350      2300
Im Überblick zeigt sich, dass die Schweiz
                                            Cypripedium calceolus         2100      1450      2010     2430      2000
im Alpenraum mit 35 Orchideenarten
                                            Dactylorhiza cruenta          2550        -       1450     2210      2500
am meisten Höchstnachweise aufweist,
                                            Dactylorhiza fuchsii          2670      2000      2510     2490      2300
gefolgt von Frankreich mit 24 und Italien
                                            Dactylorhiza incarnata        2220      1320      1600     2080      2000
mit 16, weit abgeschlagen folgen Ös-        subsp. incarnata
terreich und Deutschland mit 4 bzw. 3
                                            Dactylorhiza incarnata        710        850       500        -       470
Höchstnachweisen. Diese Rangierung          subsp. ochroleuca
beruht vermutlich auf folgenden zwei        Dactylorhiza lapponica        2400       850      1700     2030      2400
Faktoren: Erstens dem Effekt der «Mas-      Dactylorhiza maculata         1360      1400        -         -      2300
senerhebung», d. h. dem klimatischen        subsp. maculata
Phänomen, dass sich die Erdoberfläche       Dactylorhiza maculata         2400        -         -      2300      2000
im Gebirge mit steigender Höhe stärker      subsp. savogiensis
erwärmt und deshalb die Vegetations-        Dactylorhiza majalis          2650      1710      2340     2300      2500
gürtel höher liegen als am Gebirgsrand.     Dactylorhiza sambucina        2290      1200      2200     2220      2500
Zweitens profitieren Frankreich und         Dactylorhiza traunsteineri    2120      1450      1630     1970      2000
Italien vom Umstand, dass sie südlicher     Dactylorhiza viridis          2900      2280      2550     2930      2700
gelegen sind als die Schweiz, Frankreich    Epipactis atrorubens          2440      1870      2230     2720      2000
noch mehr, weil die Südwestalpen bis        Epipactis bugacensis          860        310       560     1220      1600
zum Mittelmeer reichen. Im Falle von Ita-   subsp. rhodanensis
lien wurden Höchstnachweise nur dann        Epipactis fageticola          830         -         -         -      1500
berücksichtigt, wenn klar war, dass diese   Epipactis helleborine         2330      1400      2100     1910      2000
Nachweise aus dem Alpenraum stamm-          subsp. helleborine
ten und nicht etwa aus dem Apennin.         Epipactis helleborine         1800        ?       1460     1820      2200
Der österreichische Höchstnachweis von      subsp. orbicularis

Epipactis palustris vom ‚Hohen Freschen‘    Epipactis leptochila          1300        ?       1180     1160      1400
                                            subsp. leptochila
im Bregenzerwald auf 1970 m ist nur we-
                                            Epipactis leptochila          1310        ?       1150     1640      1400
nige Kilometer von der Schweizer Grenze     subsp. neglecta
entfernt und könnte dazu anregen, die
                                            Epipactis microphylla         1590       870      1300     1490      1600
Art in Graubünden in dieser Höhenlage
                                            Epipactis muelleri            1610       930      1040     1520      1500
zu suchen. Immerhin gibt es in der «Flora
                                            Epipactis palustris           1750      1460      1970     1710      1700
von Graubünden» einen uralten Nach-
                                            Epipactis placentina          750         -         -       750      1100
weis aus den 1880er-Jahren von 1920 m
bei Arosa.                                  Epipactis purpurata           1730       960      1100      710      1400
                                            Epipogium aphyllum            1710      1500      1400     1900      1900
Dieser Artikel ist auch als Ansporn
                                            Goodyera repens               2000      2070      2070     2050      2000
dazu gedacht, in Zukunft vermehrt auf
Höchstnachweise zu achten und diese         Gymnadenia austriaca          2330        -       2200     2610      2100

auch zu melden.                             Gymnadenia conopsea           2680      2120      2600     2630      2400
                                            Gymnadenia odoratissima       2600      2200      2580     2500      1600
                                            Gymnadenia rhellicani         2890      2300      2700     2800      2500
                                            Gymnadenia rubra              2640        ?       2400     2690        -

                                                                                                                 17
Orchideen
Arten                     Schweiz   Deutsch-   Öster-   Italien   Frank-   Literatur:
                                      land     reich               reich
                                                                           Arbeitskreise Heimische Orchideen: Die Or-
Hammarbya paludosa         1110      1160      1000     1080      1100     chideen Deutschlands. Uhlstädt-Kirchhasel,
Herminium monorchis        1890      1350      2100     1770      1900     2005.
Himantoglossum hircinum    1180       890        -      1800      1800
                                                                           Bournérias, Marcel & Daniel Prat : Les orchi-
Himantoglossum             480         -         -         -      1700
robertianum
                                                                           dées de France, Belgiques et Luxembourg.
                                                                           Mèze : Biotope, 2005.
Limodorum abortivum        1770       430       800     1390      1800
Liparis loeselii           1170       890       980     1020       950     Burga, Conradin A., Gian-Reto Walther &
Malaxis monophyllos        1970      1800      1800     1840        -      Sascha Beißner: Florenwandel in der alpinen
Neotinea tridentata        1860       600       920     1540      1000
                                                                           Stufe des Berninagebiets – ein Klimasignal?
                                                                           In: Berichte der Reinhold-Tüxen-Gesell-
Neotinea ustulata          2550      1900      2200     2260      2400
                                                                           schaft, 16, 57–66, 2004.
Neottia cordata            2100      2000      2100     2130      2300
Neottia nidus-avis         1960      1440      1860     2080      2000     Collectif de la Société Française
Neottia ovata              2360      1900      2030     2420      2500
                                                                           d’Orchidophilie Rhône-Alpes : À la rencont-
                                                                           re des orchidées sauvages de Rhône-Alpes.
Ophrys apifera             1650       910       880     1600      1480
                                                                           Mèze : Biotope, 2012.
Ophrys fuciflora           450        240        -         -       350
subsp. elatior                                                             Griebel, Norbert : Die Orchideen Öster-
Ophrys fuciflora           1340       900       880     1190      1400     reichs. Engerwitzdorf: Freya Verlag, 2013.
subsp. fuciflora
Ophrys insectifera         2100      1620      1910     2100      1750     Gruppo Italiano per la Ricerca sulle Orchi-
                                                                           dee Spontanee (GIROS) : Orchidee d’Italia.
Ophrys sphegodes           1530       810        -         -      1300
subsp. araneola                                                            Cornaredo : Il Castello, 2016.
Ophrys sphegodes           950        760       980     1170      1100     Perazza, Giorgio & Richard Lorenz : Le or-
subsp. sphegodes
                                                                           chidee dell’Italia nordorientale. Rovereto :
Orchis anthropophora       1550       780        -       580      1600     Edizioni Osiride, 2013.
Orchis mascula             2670      1800      2300     2500      2500
subsp. mascula                                                             Reinalter, Romedi: Zur Flora der Sediment-
Orchis mascula             2510      1900      1840     2570      2500     gebiete im Umkreis der Südrätischen Alpen,
subsp. speciosa                                                            Livignasco, Bormiese und Engiadin’Ota
Orchis militaris           2340       950      1390     2140      2200     (Schweiz-Italien). - Denkschr. Schweiz. Akad.
Orchis pallens             2060      1500      1840     2000      2000
                                                                           Naturwiss. 105. Birkhäuser, Basel, 2003.
Orchis provincialis        800         -         -       950      1700     Schmid, Walter: Orchideenkartierung in der
Orchis purpurea            1110       850       850     1500      1800     Schweiz. In: Journal Europäischer Orchide-
Orchis simia               1410       640        -      1450      1300     en, 30: 689–858, 1998.
Orchis spitzelii           2050        -       1700     2010      2000     Wartmann, Beat A.: Die Orchideen der
Platanthera bifolia        2520      1620      2430     2500      2200     Schweiz, ein Feldführer. Feldmeilen: Edition
Platanthera chlorantha     2490      1690      2100     2050      2300     Sternenvogel, 2006.
Pseudorchis albida         2660      2310      2440     2710      2500
                                                                           Wartmann, Beat A.: Die Orchideen der
Serapias vomeracea         870         -         -      1000       650     Schweiz, der Feldführer. Bern: Haupt, 2020.
Spiranthes aestivalis      1260      1000       850      800      1400
Spiranthes spiralis        1480      1160      1200     1170       950
Traunsteinera globosa      2550      2110      2330     2550      2600

Anzahl Höchstnachweise      35         3         4        16       24

Tabelle 2: Schweizer Höchstnachweise im Vergleich mit weiteren Alpenländern

  18
Exkursionen

                         Epipactis-Exkursion im Schaffhauser Randen
          Einheimische
             Orchideen
                         vom 18. Juli 2020
               Schweiz
                         Autor Roland Wüest
        AGEO             Orchis 2/2020 Seite 19–Seite 26

       Das erwartungsvolle Teilnehmerfeld
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Nach der Bergfahrt im Kleinbus oder in Ruths Siebenplätzer vom Parkplatz ‚Landhaus‘ hinter dem Bahn-
hof Schaffhausen zum Wanderparkplatz ‚Häidebomm‘ auf 822 m konnten die beiden Exkursionsleiter,
Ruth Bänziger und Roland Wüest, bei idealem Sommerwetter 19 Epipactis-hungrige Orchideenfreunde
willkommen heissen. Das Bedürfnis nach Vereinsleben war bei den Teilnehmenden nach dem coronabe-
dingten langen Unterbruch gross, dies jedoch mit beispielhafter Einhaltung der vorgeschriebenen Hygien-
emassnahmen des Bundes.
Unsere Rekognoszierung zwei Tage zuvor hatte gezeigt, dass der nass-kühle Juni auf der Alpennordseite
seine Spuren hinterlassen hatte: Aus dem erheblichen Vegetationsvorsprung von damals war zwischen-
zeitlich zu unserem Erstaunen ein leichter Rückstand geworden. Die meisten Stendelwurzen hatten sich
erst in der Anfangsblühphase befunden. Der vorgängige Respekt des Schreibers vor einer erneut abblü-
henden bis verblühten Epipactis-Flora war also zum Glück absolut fehl am Platz gewesen.
Der erste Stendelwurz-Schauplatz befand sich bereits im Umkreis des Ausgangspunkts: Im lichten Misch-
wald standen rund 50 aufblühende Epipactis leptochila subsp. neglecta1 (Übersehene Stendelwurz), gut
erkennbar an ihrem ausgesprochen engen Übergang zwischen Hinter- und Vorderlippe, sowie 9 knospen-
de Epipactis purpurata (Violette Stendelwurz) mit markantem Violett-Anteil an Stängel und Laubblättern.
Die attraktivsten Individuen wurden von den Fotografen frenetisch abgelichtet.

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 Anmerkung der Redaktion:
Aufgrund einer besseren Lesbarkeit werden in diesem Beitrag die beiden Epipactis leptochila Subspezies
im Folgenden verkürzt als Epipactis leptochila und Epipactis neglecta bezeichnet.
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