Orchis 2/2020 Berichte Einheimische Orchideen Schweiz - AGEO
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Einheimische Orchideen Schweiz Orchis AGEO 2/2020 Berichte Einheimische Orchideen Schweiz Epipactis placentina
Inhalt Welch schöne Überraschung! Autorin Ruth Bänziger 2 Meine Suche nach der Moosorchis Autor Marc Schmidlin 4 Orchideen als «Neophyten» in der Schweiz? – Ergänzungen Autor Beat Wartmann 7 Darwin und die Orchideen Autor Beat Stucki 8 Höchstnachweise von Orchideen in den Alpen Autor Beat Wartmann 13 Epipactis-Exkursion im Schaffhauser Randen vom 18. Juli 2020 Autor Roland Wüest 19 Exkursion Oberembrach vom 6. Juni 2020 Autor Jürg Luder 27 Das Naturschutzgebiet Eigental und seine Orchideen Autor Max Reutlinger 35 AGEO-Lehrpfad Erlinsbach – Blühsaison 2020 Autor Thomas Ulrich 39 Symbiosen in unseren Wiesen, Wäldern und Mooren von Andreas Gigon Autor Thomas Ulrich 45 Die Orchideen der Schweiz – Der Feldführer von Beat A. Wartmann Autor Thomas Ulrich 47 Titelblatt: Epipactis placentina (Marco Borio, Wangs)
Editorial Liebe AGEO-Mitglieder, liebe Leser Schon wieder ist ein halbes Jahr vorbei. Ein Jahr, welches uns sicherlich in Erinnerung bleiben wird. Nach dem gerade noch rechtzeitigen Versand unseres Orchis 1/2020 vor dem Lockdown, waren danach viele geplante Frühlingsausflüge plötzlich hinfällig. So haben Beate und ich unsere nähere Umgebung in- tensiver „erforscht“ und siehe da, im Frühjahr fanden wir einige bisher unbekannte Fundstellen der Orchis mascula und im Sommer einige neue Stellen der Epipactis purpurata. Vielleicht ist auch diese Orchis-Ausgabe ein Corona-bedingtes Produkt. Noch nie haben wir so viele Beiträge erhalten wie zu dieser Ausgabe. Gleich drei Berichte schildern weitere Erfolge im Aufspüren von Orchideen-Fundorten an teils ungewöhnlichen Stellen. Dass es sich lohnt, alte Literatur zu studieren, zeigt uns der Beitrag über „Darwin und die Orchideen“ und dass auch Orchideen inzwischen hoch hinaus wollen, erfahren wir im Beitrag über „Höchstnachweise im Alpenraum“. Biotopschutz lohnt sich zu 100 % – wer Zweifel hat, wird im Beitrag über das Eigental eines besseren be- lehrt. Ein Beitrag, der den Exkursionbericht nach Oberembrach wunderbar ergänzt. Für viele kam vielleicht das Vereinsleben etwas zu kurz, aber es gibt ja heute neben dem klassischen Tele- fon auch noch E-Mail und WhatsApp usw., sodass die Kontakte bestimmt nicht zu 100 % zusammengebro- chen sind. Dass wir unsere Exkursionen dann doch noch als Verein durchführen konnten, war sicherlich für viele von euch ein Highlight, wie die beiden Exkursionsberichte zeigen. Aufgrund der vielen Beiträge müssen zwei fast fertige Artikel auf das nächste Jahr verschoben werden. Zum einen der 6. Teil der Lehrpfadserie „Die Orchideen des AGEO-Lehrpfades – Die zahlreichen Arten“, zum anderen ein Beitrag über die „Grosspilze des Lehrpfades“. Auch der fertige Beitrag über Epipogium aphyllum (ergänzte und aktualisierte Version zum Beitrag in der Frühlingsausgabe FloraCH) wird nicht abgedruckt, steht aber auf unserer Website als pdf-File zur Verfügung (https://ageo.ch/p/IFP/Epipogium_ aphyllum_IFP_2020_plus.pdf). Zum ersten Mal haltet ihr somit eine echte „Vereinspublikation“ in den Händen. Ein Gemeinschaftswerk vieler Mitglieder, deren Beiträge das Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite fast sprengt. Welch eine Leistung unserer Autorin und der verschiedenen Autoren. Eine Zusammenfassung der Blühsaison auf dem AGEO-Lehrpfad sowie zwei Buchbesprechungen runden das vorliegende Orchis ab. Und zum Schluss noch dies: Auf der hinteren Innenseite des Heftumschlages findet sich noch ein wichtiger Hinweis von Michael Krich- baum, Mitglied der Schriftleitung des „Journals Europäischer Orchideen“ bezüglich der bisher erschiene- nen „Bibliografien über die Orchideen Europas und der Mittelmeerländer“. Drei der vier Zusammenstel- lungen sind nun in elektronischer Form als PDF-File im Internet frei verfügbar. Es bleibt nur noch, euch viel Spass beim Lesen zu wünschen Euer Redaktor Thomas Ulrich. Impressum: Arbeitsgruppe Einheimische Orchideen Aargau https://ageo.ch/index.php?page=vorstand redaktion(at)ageo.ch Der Kanton Zürich hat die AGEO als gemeinnützigen Verein anerkannt. Spendenkonto: Arbeitsgruppe Einheimische Orchideen Aargau - 8102 Oberengstringen CH79 0900 0000 8511 9651 9 Redaktion & Layout: Thomas Ulrich / Beate Waldeck Auflage 330 Ex. – Das AGEO-Magazin Orchis erscheint zweimal im Jahr. Druck: Copy Recher GmbH, Olten 1
Biotopschutz Welch schöne Überraschung! Einheimische Orchideen Schweiz Autorin Ruth Bänziger AGEO Orchis 2/2020 Seite 2–3 Der 1. Juni bescherte mir eine kleine Sensation: «Mitten in der Stadt Schaffhausen, direkt neben der Stras- se, wüchsen diese – das seien doch Bienen-Ragwurzen, oder nicht?» hiess es in der WhatsApp-Nachricht, mit einem unzweifelhaften Foto belegt. (Bild unten) Geschickt hat mir die Nachricht der Vater des Finders, eines bald 12-jährigen Jungen, der sich, genau wie sein Vater, leidenschaftlich für Pilze interessiert und – seitdem ich mich in der Vor-Pilzsaison fast ausschliesslich mit Orchideen befas- se – es mir, zusammen mit seinem Vater, gleichtut. Der begeisterungsfähige Vater hat Pilz- kurse bei mir besucht, kam vor ungefähr sechs Jahren erstmals in die Pilzkontrol- le und seitdem regelmässig, ja sogar so oft wie möglich. Fast immer wurde er in diesen ersten Jahren von seinen Zwil- lingsbuben (damals 6-jährig) begleitet, welche mittlerweile zwar unterschied- liche Interessen haben, aber sich beide mit grosser Leidenschaft für ihr Hobby einsetzen. So kamen denn auch kurz nach meinen ersten Orchideen-Artikeln in Regionalzeitungen, bei denen ich, genau wie bei meinen Orchideen-Vorträgen, immer darauf hinweise, dass ich mich über jede Orchideen- Meldung freuen würde, die ersten Hinweise mit Fotos und Fragen. Die beiden Orchideenfreunde freuten sich sehr, als ich fragte, ob sie mir regelmässig ihre Funde melden könnten; ich möchte sie gerne als Fundmelder in unserer Datenbank eintragen lassen. Der Junge ist wahr- scheinlich in diesem Moment gefühlte 10 Zentimeter gewachsen. Dies die Vorgeschichte; zurück zu den «Bienen». Hocherfreut liess ich mir den Fundort beschreiben und ging – in Anbetracht des nahenden (und drohenden) Schutz- schnitt-Datums – noch gleichentags mit meinem Mann Rolf und mit Fotokamera und GPS zum Fundort. (Bild links) Es ist fast unglaublich, dass diese auf- fällig grossen, direkt in einem Kinder- Trampelpfad im Strassenbord – und noch dazu fast völlig schattig – stehenden Ragwurzen kerzengerade posierten, kaum 50 Zentimeter von den Rand- steinen einer ruhigen Quartierstrasse entfernt. Nebst den gut sichtbaren vier untersten aufblühenden Pflanzen fan- den wir weitere 12, alle im Vollschatten, eine sogar krumm unter dem Ast einer jungen Hainbuche am Kämpfen um Licht und Anerkennung. 2
Biotopschutz Diese befreite ich durch sachtes Aus- einanderschieben der Zweige (Bild links), sodass sie sich später selber würde stre- cken und damit auch bestäuben können. Dann zückte ich die Fotokamera und später das GPS. Zu Hause schaute ich in der Orchideen-Datenbank nach, ob auf Stadtzentrumsgebiet ausser einem vor fünf Jahren (bisher) erloschenen und einem zweiten im fast ländlichen Stadt- randgebiet mit wechselndem Bestand (meist 5–12 Pflanzen) unterdessen viel- leicht noch ein weiterer hinzugekommen sein könnte, von dem ich noch nichts wusste … dies war nicht der Fall. Ich informierte umgehend Petra Bach- mann; als «unsere» Naturschutz-Chefin im Kanton Schaffhausen musste sie mich nun unterstützen im Finden der Grün-Schaffhausen-Zuständigen für den Strassenbord-Unterhalt. Petra, ebenfalls hocherfreut, leitete die Fundmeldung sofort weiter, und genauso erfreut meldete sich andern- tags der zuständige Gebietspfleger, der den Fundort aufsuchen und den strikten Schutz anordnen wird, zumal dort kaum Gras zu mähen ist. Glück gehabt – dank aufmerksamer, neugieriger und umsichtiger Teenageraugen und einer verantwor- tungsvollen Haltung gegenüber der Natur. Erziehung ist Vorleben. 3
Orchideen Meine Suche nach der Moosorchis Einheimische Orchideen Schweiz Autor Marc Schmidlin AGEO Orchis 2/2020 Seite 4–4 Etwas über mich Als Kartierungsverantwortlicher der AGEO möchte ich euch ein wenig in meine Welt des Kartierens ein- führen. Nun, wie bin ich dazu gekommen? Da ich mit meinen Eltern die Sommerferien jeweils im Unter- wallis verbracht habe, bin ich auf unseren Wanderungen schon als Junge in Kontakt mit wilden Orchideen gekommen. Gesehen habe ich damals sicher die eine oder andere Orchi- dee, sei es das Rote Waldvögelein oder auch das Männertreu. Aber wie es so ist, gepackt hat mich das Virus ‚Orchideen‘ erst viel später. So um 2005 hat diese schöne und spannende Pflanzen-Familie wieder das Interesse bei mir geweckt. Als ich Jahre darauf auf der Suche nach einer (für mich) neuen Orchideen-Art im Internet auf unseren Verein stiess, bin ich ihm gleich beigetreten. Mit dem Kartieren habe ich so richtig ab 2011 mit spärlichen Beiträgen begonnen. Neben den Vereinsaufgaben zum „Jahr der …“ setze ich mir jedes Jahr immer wieder neue Ziele zum Kartieren. Das eine Jahr nehme ich eine Gemeinde, bei welcher noch nichts kartiert wurde, genauer unter die Lupe. Ein anderes Jahr begebe ich mich auf die Suche nach einer Art oder ich suche spezielle Lebensräume auf, wie stillgelegte Steinbrüche/ Gruben, Pfeifengras-Föhrenwälder, Blockschutt-Fichtenwäl- dern u. a. Was sich dagegen jedes Jahr immer wieder gleicht, ist meine Suche nach der Moosorchis (Goodyera repens) im nordwest- Goodyera repens - Einzelpflanze blühend lichsten Teil unseres Landes. Fundorte Trockene Felsgrate mit Waldföhren (sel- tener auch Bergföhren) erregen meine Aufmerksamkeit. Wenn ich wieder einmal eine neue Strecke befahre und markante Felsflühe mit Föh- ren sehe, so studiere ich zu Hause erst ein- mal auf der Karte, wie ich dort hinkomme. Die Anstiegswege zu meinen Zielen sind meistens ziemlich beschwerlich, manchmal auch sehr abenteuerlich, wenn nicht gar gefährlich. Aber vielerorts werde ich zum Glück mit einem Fund belohnt. 4 Grat-Föhrenwald
Orchideen Fundstellen in Teilen der Nord-West-Schweiz – aktualisiert August 2020 (Marc Schmidlin) Karte erstellt mit QGIS 3.10.8 durch Th. Ulrich Im Jahre 2012 durfte ich meinen ersten Fund dieser Art melden, mittlerweile sind (Stand 10.8.2020) stolze 61 neue Fundorte hinzugekommen. 10 davon sind Bestätigungen alter Fundangaben. Geografisch stechen die 49 Fundstellen in den Solothurner Bezirken (davon 41-mal im ‚Thierstein‘, 7-mal im ‚Thal‘, einmal im ‚Gäu‘) heraus. Auf den Kanton Baselland entfallen 25 Fundorte. Hier liegt die Hauptverbreitung mit 11 Stellen vor allem im Bezirk ‚Waldenburg‘ gefolgt vom ‚Laufental‘ mit 9 Orten. 3 Fundstellen liegen im jurassischem ‚Val Terbi‘. Ich finde sie meist in nordseitigen, kalkhaltigen Kreten-Föhrenwäldern oder in gut ausgebildeten Block- schutt-Fichtenwäldern. In fünf Fällen fand ich sie auch an eher untypischen Stellen, aber immer mit Moos- polstern! Interessanterweise stammen aus dem Nachbarskanton Aargau einige ältere Fundmeldungen der Moosor- chis aus Pfeifengras-Föhrenwäldern, aus dem Baselbiet immerhin von deren drei. Leider konnte ich sie bisher nur an einer Stelle bestätigen. Über die Gründe für die Rückgänge/Verluste kann ich nur spekulieren. Ob der Klimawandel hier mitspielt? Ist es in den sonnigen Föhrenwäldern mittlerweile zu heiss und trocknen die benötigten Moospolster zu sehr aus? Pflanzenbeschreibung Wie es sein weiterer Name ‚Kriechendes Netzblatt‘ schon andeutet, bilden sich nahe der Oberfläche die kurzen, fleischigen Wurzeln. Die Ausläufer verbreiten sich dabei meist teppichartig. Die Blattrosetten werden dabei im Sommer gebildet, überwintern und sterben nach der Blüte im kom- menden Jahr ab. Es ist die einzige immergrüne Orchidee der Schweiz. Darum finde ich Goodyera repens (ihr wissenschaftlicher Name) eine sehr dankbare Art, weil ich sie auch ausserhalb der Blühsaison entde- cken kann. 5
Orchideen Die 3–8 gestielten Laubblätter haben eine deutlich sichtbare netzadrige Struk- tur. Der schlanke, meist etwas einseitig ausgerichtete ährige Blütenstand ist be- haart. Die kleine Pflanze erreicht nur ge- rade eine Wuchshöhe von 5–25 cm und ihre Blütezeit dauert ca. von Ende Juli bis Mitte August. Nur wenige Blattroset- ten werden auch zur Blüte kommen. Die weissen bis cremefarbigen Blüten sind klein und ebenso mit abstehenden Drüsenhaaren besetzt. Beschreibung der Fundorte Die Orchideen kommen in kleinen Grup- pen in lichten, moosigen, gerne abson- Goodyera repens – Rosettengruppe (Teppich) nig-steilen Föhrenbeständen vor. Oft finde ich sie auf frischen, mässig tro- ckenen, sauren, modrig-humosen Ober- böden (gerne mit Nadelstreu). Es ist aber auch möglich, die unscheinba- ren Pflanzen in niedrigem, mit Moospols- tern versehenem Gras zu entdecken. In den Moospolstern finden sich die meist zahlreichen, dunkelgrünen, ovalen bis herzförmigen Rosetten. Verschiedene Seggen (Niedrige und Weisse Segge), Blaugras, Fieder-Zwenke, Berg- und Edel-Gamander, Ästige Grasli- lie, Schwalbenwurz, Berg-Distel, Alpen- Bergflachs bilden die artenreiche Kraut- schicht. Goodyera repens – Rosette In der Strauchschicht wachsen Felsen- mispel, Alpen-Kreuzdorn, Strauchwicke und Wolliger Schneeball und öfters auch die Heidelbeere. Von anderen Orchideenarten fand ich sie am ehesten zusammen mit Epipactis atrorubens. Seltener wurde sie auch von anderen Arten wie Cephalanthera lon- gifolia, Gymnadenia conopsea, Neottia nidus-avus, Orchis mascula oder Platan- thera bifolia begleitet. Von den über 70 Fundstellen kamen die Pflanzen 44-mal nordexponiert bis teils- nordexponiert vor. Goodyera repens – Biotop Literatur: (1) Wikipedia „Kriechendes Netzblatt- Art der Gattung der Netzblatt (Goodyera)“ (2) Spohn M.+R., Golte-Bechtle M. „Was blüht denn da?“ Franckh-Kosmos Verlag Verlags, Stuttgart; 2008 (3) Burnand J., Hasspacher B. „Waldstandorte beider Basel“ Verlag des Kantons Basel-Landschaft; 1999 6
Orchideen Orchideen als «Neophyten» in der Schweiz? Einheimische Orchideen – Ergänzungen Schweiz Autor Beat Wartmann AGEO Orchis 2/2020 Seite 7 Kurt Räz hat mich darauf aufmerksam ge- Der Nachweis einer Mastorchis Himantoglossum roberti- macht, dass man bei vermuteten Rosetten anum 2019 bei Ligerz BE am Bielersee hat sich als Falsch- von Himantoglossum robertianum vor- meldung herausgestellt. Der Fundmelder hat sich bei der sichtig sein sollte. Er hat im März 2020 im Eingabe in die FlorApp vertippt, gemeint war Himantoglos- Kanton Genf etliche Rosetten gefunden, sum hircinum (Bocks-Riemenzunge). Dem gleichen Fund- die sich bei einer späteren Kontrolle als melder unterlief 2020 nochmals derselbe Fehler, dieser Himantoglossum hircinum oder sogar Orchis «Fund» fand allerdings keinen Eingang in den Beitrag im simia entpuppt haben. Orchis 1/2019. Genau wegen solcher Falschmeldungen hat Info Flora dieses Frühjahr dazu aufgerufen, doch mit jeder Fundmel- dung auch eine oder mehrere Handyfotos mitzuschicken und weist bei kritischen Arten explizit in der FlorApp auf das Mitliefern von Fotos hin. Hoffen wir, dass dies hilft. Erfreulicher ist ein neuer Nachweis, welcher der AGEO aufgrund des Artikels gemeldet wurde: An der Eisenbahn- linie bei Lausanne-Bussigny wurden am 28.3.2020 zwei Mastorchis gefunden, von denen eine einen etwa 25 cm hohen Blütenstand entwickelte. Hierbei handelt es sich um den dritten Nachweis im Kanton Waadt, wiederum an Die Blätter der Mastorchis sind fettig glän- einer Verkehrsachse, diesmal an der TGV-Linie nach Frank- zend grün (Bardonnex, 22.3.2019) Foto: Beat Wartmann reich. Der Fotografin Isabelle Jaquier sei für die Erlaubnis gedankt, ihre Fotos hier publizieren zu dürfen. Man darf gespannt sein, auf welcher Verkehrsachse sich die Mast- orchis weiter ausbreitet. Rosette Bocks-Riemenzunge (Bernex, 20.3.2020) Foto: Kurt Räz Rosette Affen-Knabenkraut (Orchis simia) (Petit Lancy, 20.3.2020) Foto: Kurt Räz Mastorchis (Bussigny, 28.3.2020) 7 Foto: Isabelle Jaquier
Orchideen Darwin und die Orchideen Einheimische Orchideen Schweiz Autor Beat Stucki AGEO Orchis 2/2020 Seite 8–12 Der Nachdruck von Darwins Orchideenbuch in der deutschen Übersetzung durch H. G. Bronn (Erstauflage 1862) ist eine gute Gelegenheit, sich Gedanken über Darwins Beziehung zu Orchideen zu machen. Er kann es nicht begreifen. Die meisten seiner Orchideen, die Darwin studiert, bilden keinen Nektar. Zwar haben viele einen Sporn, einfach ohne Nektar drin. Ein „Täuschungssystem“, also Mimikry? Darwin will nicht glauben, dass Insekten so leicht zu übertölpeln sind. Er betreibt mit Orchis morio (heute Anacamp- tis morio) einen Riesenaufwand; untersucht sie zu allen Tages- und Nachtzeiten, bei jedem Wetter, „... reitzte die Nectarien mit einem Bürstchen und setzte sie reitzenden Dämpfen aus ...“, und so weiter und so fort. „Aber das Nectarium war un- abänderlich trocken.“ Bei nur fünf britischen Arten findet er Nektar. Er formuliert eine Hypothese, von der er selbst meint, sie sei kühn: Die Schmetterlinge würden mit ihren Rüsseln die „Haut der Nectarien (…) durchbohren, um die so reichlich (…) enthaltene Flüssigkeit aufzusaugen“. Dadurch werde der Bestäuber länger auf der Blüte aufgehalten, „damit die Kleb- scheibe Zeit gewinne sich besser zu befestigen“. Diese Deutung ist falsch. Heute gibt es eine überzeugende Erklärung der Nektarlosig- keit. Ohne Belohnung hält sich ein Insekt nicht zu lange am gleichen Blütenstand auf und fliegt meistens schnell genug zur nächsten Pflanze, was die Gefahr der Selbstbestäubung reduziert. Also ganz im Sinne Darwins, der akribisch nach Titelblatt der ersten deutschen Über- Anpassungen sucht, welche die Selbstbestäubung verhindern. setzung von Darwins Orchideenbuch Nektarlose Blüten erhöhen die Fremdbestäubungsrate. Füllt man experimentell den Sporn mit Nektar, bleiben die Bestäu- ber länger auf der gleichen Pflanze. Darwin war ganz nah dran. Er schreibt, dass das getäuschte Insekt „unverzüglich zu einer zweiten (Blüte) gehen muss“. Und vermeidet so Selbstbestäubung, hätte er anfügen müssen. Darwin vergleicht die Blütenanatomie der Arten, die er in seiner Umgebung im Süden Englands findet. Seltenere lässt er sich von Freunden schicken, tropische Orchideen bekommt er vom königlichen Kew Gar- den aus London. Darunter ist eine Orchidee aus Madagaskar namens Angraecum sesquipedale mit einem 30 cm langen Sporn, wovon die untersten 4 cm mit Nektar gefüllt sind. Darwin schliesst daraus, dass es auf Madagaskar Schmetterlinge mit ebenso langen Rüsseln geben muss. 1903, gut 20 Jahre nach Darwins Tod, wird ein Schwärmer beschrieben, auf den die Prognose zutrifft. Er bekommt den Namen Xanthopan morgani praedicta (vorausgesagt). Für Darwin ist es offensichtlich, dass „durch aufeinanderfolgende Ab- änderungen das Nectarium allmählig zu dieser erstaunlichen Länge gekommen ist“ und sieht sich in seiner Ansicht bestätigt, dass Veränderungen immer nur in kleinsten Schritten „graduell“ erfolgen. So nebenbei formuliert Darwin gleich noch das Konzept der Koevolution: „So scheint es demnach, es habe eine Art Wettlauf zwischen dem Längenwachstum des Angraecum-Necatriums und des Falter-Rüssels entwickeln müssen, (…).“ 8
Orchideen Zurück zu den britischen Orchideen. Richtiggehend pedantisch analysiert Darwin ihre Blüten, insbesonders Bau und Funktion der Griffelsäule, studiert scheinbare Details wie das Rostellum mit der Klebscheibe. Er macht Experimente zum Klebstoff und beschreibt für Orchis mascula, wie sich die Pollinien bald schon beugen, sobald die Klebscheibe am Kopf eines Insekts haftet. Umgehend macht er Experimente mit einem Bleistift und beobachtet, dass die Krümmung nach rund einer halben Minute beginnt. Ist diese Anpassung nicht grossartig? So Mit einem Bleistift beweist Darwin die Bewegung der Pollinien treffen die Pollenpakete beim Blüten- von Orchis mascula. besuch genau auf die Narbe. Darwin ist Foto: Beat Wartmann begeistert. Eine Bestäubung wird erst nach einiger Zeit möglich, wenn sich das Insekt längst auf einer anderen Pflanze befindet. Später untersucht Darwin Orchis pyramidalis (heute Anacamptis pyramidalis) und beobachtet mit Erstaunen, dass die Stielchen sich zuerst nach aussen drehen, um erst dann sich abzusenken. Eine weitere perfekte Anpassung, hat doch die Spitzorchis zwei getrennte Narbenflächen. Blütenmorphologie von Anacamptis pyra- Darwin hat die Bedeutung der Längs- midalis mit Detailansichten der Pollinien. leisten an der Lippenbasis von Anacamptis Foto: Beat Wartmann pyramidalis erkannt. Foto: Claudia Wartmann Um 1837, ein Jahr nach der Rückkehr von seiner Weltumsegelung mit der ‚Beagle‘, entwickelt er seine Theorie der „Natürlichen Selektion“. Sie besagt, dass sich Arten im Anpassungsprozess über lange Zeit- räume verändern. Darwin ist sich bewusst, dass in diesen Gedanken Sprengstoff liegt. Also gilt es erst einmal, empirisch Beweis um Beweis für seine ketzerischen Ansichten zu sammeln. Sonst liesse sich keiner überzeugen. Darwin wäre wohl noch lange vor einer Veröffentlichung zurückgeschreckt, hätte ihn nicht ein Brief eines gewissen Alfred Russel Wallace erreicht, der als Naturforscher in Südostasien unterwegs ist. Dem Brief liegt ein Manuskript zur Veröffentlichung bei, in welchem Wallace ähnliche Gedankengänge entwickelt hat. Darwin will dann doch als Entdecker der neuen Theorie gelten und arrangiert mit seinem 9
Orchideen Mentor Joseph Dalton Hooker, Direktor des Kew Garden, eine gemeinsame Publikation in den „Procee- dings of the Linnean Society“ im August 1858. Der Geologe Charles Lyell überzeugt schliesslich Darwin, dass er so rasch als möglich nun endlich seine Erkenntnisse ohne Rücksicht auf Verluste publizieren müsse. Darwin hadert weiter mit sich selbst und meint gar, mit der Publikation „einen Mord zu begehen“. Nur unter Druck stellt er hastig eine „Kurzfassung“ all seiner Erkenntnisse zusammen. 1859 erscheint sein Werk unter dem (Kurz)Titel „Über die Entstehung der Arten“. Umfang: über 500 Seiten. Kurz darauf wendet sich Darwin erneut seinen geliebten Orchideen zu. Jetzt hat er wieder Zeit. „The single best idea anyone ever had“ (Daniel Dennett, Philosoph) ist ja unterdessen der Welt mitgeteilt. 1862 erscheint sein Orchideenbuch mit immerhin 227 Seiten und wie damals üblich einem ausufernden Titel „Über die Einrichtungen zur Befruchtung britischer und ausländischer Orchideen durch Insekten und über die günstigen Erfolge der Wechselbefruchtung“. 1877 erscheint eine zweite, auf 259 Seiten erweiterte Auflage. Was will Darwin mit diesem Buch? Das Vorwort bringt Klärung. Er will aufzeigen, „dass die Einrichtungen zur Vermittlung der Befruchtung (…) hauptsächlich die Befruchtung einer jeden Blüthe durch den Samenstaub einer anderen Blüthe bezwe- cken.“ Es geht um die Anpassungen für Fremdbestäubung. Darwin ist überzeugt, „dass die Organismen-Arten einem gemeinsamen Naturgesetze zufolge von Zeit zur Zeit einer Kreuzung verschiedener Individuen miteinander bedürfen (…)“. In seinem Buch über die Entstehung der Arten habe der Platz gefehlt, seine „eingehenden Forschungen“ dazu anzuführen. Das holt er mit seinem Orchideenbuch nach. Kaum etwas begeistert Darwin so wie die Orchideen: die Raffinesse ihrer Bestäubungsmechanismen und ihre Strategien, Selbstbestäu- bung zu verhindern. Die Beschäftigung mit der Gattung Ophrys macht Darwin ratlos. Er habe bei der Fliegenragwurz noch nie eine Spur von Nektar gesehen, weder Insekten, die diesen „geruchlosen Blu- men auch nur nahe gekommen wären (…)“. Doch er stellt fest, dass von 207 untersuchten Blüten bei 88 eines oder zwei der Pollinien „von Insekten entführt“ worden sind. Darwin vermu- tet, es seien kleine Insekten wie bei Listera. Wie begeistert wäre er wohl gewesen, hätte er die wahre Ge- schichte gekannt! In der 2. Auflage präzisiert Darwin seine Aussagen zur Bewegung der Pollinien in einem eigenen Kapitel. Foto: Beat Wartmann 10 Die Selbstbestäubung von Ophrys apifera – links in der Darstellung von Darwin. Fotos: Beat und Claudia Wartmann
Orchideen Die Bienen-Ragwurz will noch weniger zu seinen evolutionären Annahmen passen. Er beobachtet, wie sich die Pollinien bereits nach wenigen Stunden zur eigenen Narbe senken und sich selbst bestäuben. Folglich ist Darwin nicht erstaunt, „dass in den Ähren der Bienen-Ophrys fast aus jeder Blüthe eine Fruchtkapsel werde“. Er kommt zum Schluss, dass die Ophrys apifera „in Verkümmerung begriffen“ sei, und „dass die Na- tur (man verzeihe mir diese Ausdrucksweise), als sie gesehen, dass die Fliegen- und die Spinnen-Ophrys nur noch unvollkommen befruchtet würden und wenig Samen-Kapseln ansetzten, ihren Plan geändert und eine fortwährende vollständige Selbstbefruchtung angeordnet habe, um mehr Samen zu erzeugen“. Oh, là, là … Ausgerechnet Darwin, der jeder Teleologie, also jeder Zielstrebigkeit der Evolution, den endgültigen Todesstoss versetzt hat, greift in seiner Verzweiflung über die Selbstbefruchtung der Bienen- Ragwurz zu einer finalen Kausalität, personifiziert die Natur und steht ihr eine Absicht zu. Damit seine Welt im Lot bleibt, schreibt er fast trotzig, „und es scheint mir der sicherste Schluss zu seyn, dass (…) vielleicht auch nur einmal in langen Zeiträumen ein Einzelwesen der Bienen-Ophrys sich mit einem andern kreuzte“. Ist Selbstbestäubung nicht Inzucht? Dass Darwin der Fremdbestäubung einen derart hohen Stellenwert beimisst, hat auch einen familiären Hintergrund. Er hat seine Cousine Emma Wedgewood (aus der Familie der gleichnamigen Porzellanmanufaktur) geheiratet und drei ihrer zehn Kinder sind jung gestorben. Dar- win macht sich Vorwürfe, eine Verwandte geheiratet zu haben. Und selbst im Schlusssatz seines Orchide- enbuches befürchtet er, „dass auch Paarung zwischen nahen Verwandten irgendwie verderblich seye, und dass irgend ein grosser Vorteil in der Verbindung zwischen Individuen von solchen Stämmen liege, welche seit vielen Generationen unvermischt geblieben sind“. Darwin erkennt, wie wichtig die Variabilität für das Überleben einer Art ist. Sie schafft die Voraussetzung, dass die ‚Natürliche Selektion‘ die am besten angepassten Varianten favorisiert. Hätte sich Darwin vorstel- len können, dass nur 150 Jahre später Naturschutzgenetiker schwarzsehen, angesichts der schwindenden genetischen Vielfalt vieler Restpopulationen auf isolierten Habitatinseln? Damals spielten naturschützerische Aspekte noch keine Rolle. Zwar beschreibt Darwin Malaxis paludo- sa (heute Hammarbya paludosa) als selten und bedankt sich bei einem Herrn Wallis aus Sussex „für viele lebend übersandte Exemplare“. Darwin ist der Meinung, dass die kleinen Orchideensamen „zur weiten Ausstreuung wohl geeignet“ sind. „Dennoch ist es eine bekannte Thatsache, dass die Orchideen spärlich verbreitet sind.“ In der Umgebung seines Hauses findet er 13 Arten, „unter welchen nur Orchis morio häu- fig genug ist, um eine augenfällige Stelle in der Pflanzenwelt einzunehmen, und in geringerem Grade etwa noch O. maculata in offenen Waldgründen.“ Lakonisch stellt er fest: „Was eine „unbegrenzte Vermehrung hemme, lässt sich nicht angeben.“. Gegen den Schluss des Buches stellt sich Darwin die Frage, ob sich der ganze Aufwand gelohnt habe. „Nach dem Nutzen jeder unbedeutenden Einzelheit des Baues zu forschen, ist keineswegs verlorene Zeit in den Augen derjenigen, welche an eine Natürliche Züchtung glauben. (…) Manche Naturforscher nehmen an, dass zahllose Bildungen nur um der Mannigfaltigkeit und der Schönheit willen gemacht wurden, fast wie von einem Künstler eine Reihe von verschiedenen Modellen entworfen wird.“ Ist dies eine Anspielung auf einen Schöpfer? Darwin braucht ihn nicht. Er ist felsenfest überzeugt, „wären sie indess ohne Nutzen, so hätten solche Gebilde nicht entwickelt werden können (…)“. „There is grandeur in this view of life...“ So beginnt der Schlusssatz seines Hauptwerks „On the Origin of Species“. Ist es nicht seltsam, dass Darwin, der uns mit seiner Theorie eine grossartige Weltsicht ge- schenkt hat, selbst heute in weiten Kreisen einen zweifelhaften Ruf geniesst? Viele meinen, der Darwinis- mus sei eine Ideologie, eine unmenschliche dazu. Und noch schlimmer: Darwin sei der Vater des Sozialdar- winismus und von ihm führe ein direkter Weg zu den Nazigräuel. Fakt ist, Darwin war kein Sozialdarwinist; in seinem Werk findet sich keine entsprechende Stelle. Darwin übernahm von Herbert Spencer die For- mulierung „survival of the fittest“. Sie besagt, dass besser angepasste Individuen eher überleben und sich fortpflanzen. Dadurch werden ihre Genvarianten über lange Zeiträume im Genpool einer Art häufiger. Vor allem im deutschen Sprachraum wurde diese Formulierung zum „Überleben des Stärkeren“ und – völlig verdreht - zum „Recht des Stärkeren“. Das hat alles null und nichts mit Darwin und Darwinismus zu tun. Dass Darwin auch heute noch vor allem von den Geisteswissenschaften in die Nähe brauner Sümpfe gerückt wird, beruht auf Unwissen. Wer liest schon Darwin im Original? Doch auch die grossen Philoso- phen, die auf dem Sockel der deutschen Kultur stehen, werden offenbar nicht gelesen. In verschiedenen Werken unter anderem von Kant, Fichte und Hegel finden sich schockierende Aussagen über andere Menschengruppen. Geprügelt jedoch wird Darwin. Darwinismus ist keine Ideologie. Der Darwinismus ist eine wissenschaftliche Theorie, formuliert aufgrund unzähliger empirischer Beobachtungen. Mit dem 11
Orchideen Vergleichen verschiedener Orchideenarten kann Darwin schlüssig aufzeigen, dass die Entwicklung gradu- ell, in kleinsten Schrittchen, verläuft, dass die Blütenorgane, mögen sie noch so verschieden abgewandelt sein, zueinander homolog sind, das heisst, alle Orchideen von einem gemeinsamen Vorfahren abstam- men. Zehn Jahre später wird Darwin schreiben, dass auch der Mensch sich bloss graduell von den andern Tieren unterscheidet. Darwins Orchideenbuch ist ein wichtiger Puzzlestein in seinem Gesamtwerk. Da steckt wirklich Sprengstoff drin. Darwin lesen lohnt sich: In einer schier endlosen Beschreibung kleinster morphologischer Blütendetails taucht unverhofft ein Achttausender von einem Satz auf: „Je mehr ich die Natur studire, desto mehr werde ich von der immer zunehmenden Überzeugung durchdrungen, dass die schönen Einrichtungen und Anpassungen, (…), in unvergleichlich hohem Grade alles übersteigen, was sich die fruchtbarste Einbildungskraft irgend eines Menschen als Ergebniss während einer unbegrenzten Zeit- dauer nur vorstellen kann.“ Ein herzlicher Dank geht an Beat Wartmann für seine wertvollen Tipps und der Bereitstellung aller Illustratio- nen. Literatur: Darwin, Charles. Über die Einrichtungen zur Befruchtung britischer und ausländischer Orchideen durch Insekten und über die günstigen Erfolge der Wechselbefruchtung. 1862. Forgotten Books. Classic Reprint Series. London, 2018. Weiterführende Literatur: Darwin’s orchids then and now, ed. by Retha Edens-Meier & Peter Bernhardt. London: University of Chicago Press, 2014. 419 Seiten. An enthusiasm for orchids: sex and deception in plant evolution, by John Alcock. Oxford: Oxford University Press, 2006. 302 Seiten. Floral mimicry, by Steven D. Johnson & Florian P. Schiestl. Oxford: Oxford University Press, 2016. 176 Seiten. 12
Orchideen Höchstnachweise von Orchideen in den Alpen Einheimische Orchideen Schweiz Autor Beat Wartmann AGEO Orchis 2/2020 Seite 13–18 Bei der Überarbeitung meines Feldführers (Wartmann 2006) musste ich auch sämtliche Höhenangaben überprüfen. Im neuen Feldführer (Wartmann 2020) sind die Höchstnachweise sowohl in den Arttexten erwähnt als auch in einer separaten Tabelle nach Höhe sortiert mit Ortsangabe der Nachweise zusammen- gestellt. Bei der Überprüfung ist mir aufgefallen, dass ich etliche Angaben deutlich nach oben korrigieren musste. So begann ich eine Zusammenstellung, welche ich alsbald um die Angaben von Walter Schmid (Schmid 1998) ergänzte. Zu guter Letzt wollte ich auch die historischen Nachweise noch einbeziehen, so- dass ein Überblick über die Entwicklung der letzten gut 100 Jahre möglich wird. Wie kommen diese Daten zusammen? Grundlage der Auswertungen sind die Fundmeldungen aus der AGEO-Datenbank. Allerdings ist bei älteren Angaben Vorsicht geboten. Viele Angaben sind nur als Flur- namen aus der Literatur bekannt und wurden von Ruedi Irniger nach bestem Wissen und Gewissen als «provisorische Koordinaten» in die Datenbank eingegeben. Bei ungenauen Angaben können falsche Zuweisungen entstehen. Ein Beispiel: Von Josias Braun-Blanquet gibt es in der «Flora von Graubünden» einen Nachweis aus den 1920er Jahren von Cephalanthera rubra aus dem Münstertal, Zitat: ob Cierfs, 1750 m, !1800 m! Fast 100 Jahre später konnte Göpf Grimm die Art im God da Munt oberhalb Tschierv nachweisen. Die provisorisch gesetzte Koordinate lag auf der anderen Talseite, was dank Höhenangaben hier nicht relevant ist, aber in Fällen ohne Höhenangabe schon. Für historische Höchstnachweise habe ich mich in erster Linie auf Angaben mit konkreten Höhenangaben gestützt. Viele Melder haben bei solchen Nachweisen die Höhe bewusst angegeben, wohl weil sie die Meldung eben wegen der für sie bemerkens- werten Höhenlage machten. Leider konnte ich viele Meldungen mit unklarer Höhenangabe nicht verwenden, etwa: 30.5.1992 Foppe di Pönt? (Koord. ungenau! 708700–709700/154300–154900; 1780–1920 m), auch wenn es sich vielleicht um einen Höchstnachweis handelte. Bei den historischen Nachweisen vor 1950 von Malaxis monophyllos gibt es aus der Literatur etliche nicht lokalisierbare Nachweise über 1600 m: «Am Weg ins Vals Avers» bedeutet mindestens eine Höhe von 1720 m, was mit «Alp Parsenn» gemeint ist, bleibt schleierhaft, «Uglix, oberhalb des Weges von Bergün zum Chavagl Grond» wäre wohl der Höchstnachweis mit einer Höhe von vermutlich über 1800 m, ist aber nicht lokalisierbar. Somit bleibt als belegter Höchstnachweis vor 1950 «Höhwald ob dem [Davoser] See, 1565 m». In der Datenbank gibt es auch viele Nachweise, die vom Fundmelder oder vom Datenbank-Bearbeiter als zweifelhaft eingestuft wurden. Solche Meldungen habe ich auch nicht berücksichtigt. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben alle auf den Kilometer gerundeten Info Flora-Meldungen. In Tabelle 1 (Seite 15–16) sind die ermittelten Höchstnachwei- se für die Zeitperiode 1900 bis 2020 in vier Zeitschnitten und drei Publikationen zusammengefasst. Zusätzlich werden die Höhenvergleiche 1998/2006, 2006/2020 sowie 1998/2020 als Differenzen ausgewiesen. Um die historische Dimension ein- zubinden, werden auch die Höhendifferenzen zwischen dem Zeitschnitt 1950–1969 und 2020 gezeigt, wegen mangelhafter Datenlage jedoch nicht für Nachweise vor 1950. Die Tabelle ist absteigend nach dem Höhenvergleich 2020/1998 (vorletzte Spalte) sortiert, von Orchis simia (810 m – Höhenzunahme) bis Serapias vomeracea (-530 m – Höhenabnahme). Oberhalb von 2300 m ü. M. können etliche Orchideen keinen Blütenstand mehr bilden (Epipactis atrorubens am 16.7.2015 auf 2360 m). 13
Orchideen Von den 73 Arten und Unterarten, zu denen sich Aussagen machen lassen, zei- gen 61 eine Höhenzunahme, nur 10 eine Abnahme, zwei sind gleichgeblieben. Folgende 7 (Unter)Arten führen die Hit- parade an: Orchis simia (+810 m), Epipac- tis purpurata (+730 m), Ophrys sphegodes subsp. araneola (+730 m), Dactylorhiza traunsteineri (+720 m), Anacamptis palus- tris (+610 m), Epipactis helleborine subsp. helleborine (+530 m) und Epipactis helle- borine subsp. orbicularis (+500 m). Bei den Arten mit Höhenabnahme liegt der Hauptgrund in der Zerstörung ehe- maliger Vorkommen, so bei Anacamptis coriophora, Orchis provincialis, Anacamp- In grosser Höhe wird Gymnadenia odoratissima zwergwüchsig, tis laxiflora und Serapias vomeracea. Die hier neben Edelweiss auf 2340 m ü. M. Höhenangaben in Schmid (1998) von Epipactis palustris, Gymnadenia conopsea und Traunsteinera globosa sind etwas zu hoch eingestuft, jedenfalls gibt es in der Datenbank keine Nachweise in der von ihm genannten Höhenlage. Als Ursache für diese Orchideenvorkom- men in immer grösserer Höhe liesse sich zunächst anführen, dass dies einfach ein Nebeneffekt der immer grösseren Da- tenmenge sei. Ich gebe zu, dass dies mit eine Rolle spielen kann. Bei der Analyse der historischen Daten habe ich jedoch den Eindruck gewonnen, dass schon vor mehr als 50 Jahren «Höchst»nachweise als solche bewusst gemeldet wurden. Rudolf Gsell (1892–1953) etwa hat als Wegen der kürzeren Vegetationsperiode kommen Orchideen in exzellenter Kartierer immer auf die Höhe Höchstlagen erst verzögert zum Blühen, hier eine Neottia ovata geachtet und vielfach gemeldet, bis zu auf 2150 m ü. M. knospend am 27.7.2014. welcher Höhe er an einem Berghang eine Art gefunden hat. So schrieb er etwa 1943 von Anacamptis coriophora: «Im unteren Bergell auf der rechten Talseite an vielen Fundstellen, von !790!–1120 m». Wenn wir also davon ausgehen können, dass schon lange Höchstnachweise notiert wurden, dann muss es noch eine «natürliche» Ursache für diese Auf- wärtsbewegung vieler Orchideenarten geben. Eine solche findet sich in der viel diskutierten Klimaerwärmung: «Die bodennahe Atmosphäre hat sich seit Messbeginn im Jahr 1864 um rund 2.1°C erwärmt. Seit rund 30 Jahren war kein Jahr in der Schweiz mehr kühler als der Durchschnittswert der Jahre 1961 bis 1990. Als Folge der Temperaturzunahme entwickelt sich die Vegetation im Frühling und Sommer heute deutlich früher als vor einigen Jahrzehnten. Nach dem mildesten Winter registrierte die Schweiz 2020 den drittwärmsten Frühling seit Messbeginn 1864» (Meteo Schweiz, Internet). Geringere Schneemengen im Winter und frühere Erwärmung im Frühling beschleunigen die Ausaperung und ermöglichen in grösseren Höhen eine längere Vegetationsperiode, ein limitierender Faktor in der alpinen Stufe. Da die Klimaerwärmung derzeit kaum gebremst weitergeht, ist mit einem weiteren «Höher- klettern» unserer Orchideen zu rechnen. Konkret hat auch Reinalter (2003) festgestellt, dass Chamorchis alpina am Piz Tschüffer im Berninagebiet in grösserer Höhe vorkommt als noch vor einigen Jahrzehnten: Historisch ist die Art bis 2600 m nachgewiesen, Reinalter fand sie bis 2760 m. Burga et al. (2004) haben 11 Gipfel im Berninagebiet untersucht und festgestellt: «Der in den frühen 1990er-Jahren festgestellte Trend zum Höhenanstieg der Pflanzen in der alpinen und subnivalen Stufe der Alpen konnte auch für wei- tere Gipfel der Alpen und Skandinaviens bestätigt werden». 14
Orchideen Arten 1900– 1950– 1970– 1990– Schmid Wart- Wart- Differenz Differenz Differenz Differenz 1949 1969 1989 1999 1998 mann mann 2006 2020 2020 2020 2006 2020 - 1998 - 2006 - 1998 - 1950/69 Orchis simia - 380 680 1030 600 1030 1410 430 380 810 1030 Epipactis purpurata 1200 1440 1050 1460 1000 1440 1730 440 290 730 290 Ophrys sphegodes - 720 720 1290 800 1540 1530 740 -10 730 810 subsp. araneola Dactylorhiza traunsteineri - 1520 1700 2090 1400 2000 2120 600 120 720 600 Anacamptis palustris - 440 1110 440 500 1110 1110 610 0 610 670 Epipactis helleborine 1860 1800 2080 1790 1800 1800 2330 0 530 530 530 subsp. helleborine Epipactis helleborine 1320 1100 1400 1460 1300 1530 1800 230 270 500 700 subsp. orbicularis Cephalanthera 1600 1530 1720 1750 1600 1750 2090 150 340 490 560 longifolia Epipactis bugacensis - - - 470 400 860 860 460 0 460 - subsp. rhodanensis Neotinea ustulata 2100 2150 2250 2550 2100 2320 2550 220 230 450 400 Orchis militaris 1950 1400 1870 2230 1900 2160 2340 260 180 440 940 Dactylorhiza lapponica - - 2000 2250 2000 2160 2400 160 240 400 - Himantoglossum hircinum 650 680 810 930 800 950 1180 150 230 380 500 Dactylorhiza fuchsii 2200 2000 2400 2390 2300 2400 2670 100 270 370 670 Malaxis monophyllos 1570 1610 1650 1830 1600 1960 1970 360 10 370 360 Neotinea tridentata 1570 960 1220 1780 1500 1860 1860 360 0 360 900 Orchis mascula 1950 - 2100 2150 2150 2290 2510 140 220 360 - subsp. speciosa Ophrys apifera 1180 1070 1200 1430 1300 1430 1650 130 220 350 580 Dactylorhiza incarnata 1820 1720 2220 1930 1900 2220 2220 320 0 320 500 subsp. incarnata Epipactis leptochila - 830 730 1060 1000 1060 1310 60 250 310 480 subsp. neglecta Epipactis muelleri - 360 1320 1450 1300 1300 1610 0 310 310 1250 Orchis purpurea 900 780 780 800 800 1100 1110 300 10 310 330 Dactylorhiza maculata - - - 2350 2100 2350 2400 250 50 300 - subsp. savogiensis Epipactis microphylla 1260 1300 1580 1460 1300 1460 1590 160 130 290 290 Limodorum abortivum 1500 900 1320 1430 1500 1770 1770 270 0 270 870 Chamorchis alpina 2700 2690 2810 2660 2700 2700 2960 0 260 260 270 Dactylorhiza maculata 1000 - 1090 1100 1100 900 1360 -200 460 260 - subsp. maculata Neottia nidus-avis 1700 1650 1740 1740 1700 1820 1960 120 140 260 310 Orchis anthropophora 1130 840 1030 1130 1300 1300 1550 0 250 250 710 Corallorhiza trifida 2110 2340 2240 2340 2200 2340 2440 140 100 240 100 Anacamptis papilionacea - 360 - 610 400 - 610 - - 210 250 Dactylorhiza viridis 2700 2510 2680 2520 2700 2800 2900 100 100 200 390 Goodyera repens 1850 1900 1770 1910 1800 1920 2000 120 80 200 100 Ophrys insectifera 1900 1860 1870 1890 1900 1850 2100 -50 250 200 240 Platanthera chlorantha 1830 1480 2340 2030 2300 2000 2490 -300 490 190 1010 Cephalanthera rubra 1800 1760 1980 1910 1900 1980 2070 80 90 170 310 Orchis mascula 2400 2100 2670 2430 2500 2670 2670 170 0 170 570 subsp. mascula Pseudorchis albida 2190 2090 2580 2500 2500 2580 2660 80 80 160 570 Spiranthes aestivalis 1100 1100 1220 1120 1100 1100 1260 0 160 160 160 Anacamptis pyramidalis - 1900 1680 1810 1760 1900 1910 140 10 150 10 subsp. tanayensis Dactylorhiza majalis 2400 2400 2390 2390 2500 2400 2650 -100 250 150 250 Orchis spitzelii - - - 2050 1900 1900 2050 0 150 150 - 15
Orchideen Arten 1900– 1950– 1970– 1990– Schmid Wart- Wart- Differenz Differenz Differenz Differenz 1949 1969 1989 1999 1998 mann mann 2006 2020 2020 2020 2006 2020 - 1998 - 2006 - 2006 - 1950/69 Cephalanthera 1410 1330 1540 1600 1600 1600 1720 0 120 120 390 damasonium Dactylorhiza incarnata 710 740 750 540 600 750 710 150 -40 110 -30 subsp. ochroleuca Cypripedium calceolus 1980 1500 1880 1860 2000 1930 2100 -70 170 100 600 Epipactis leptochila - - 1280 1290 1200 1200 1300 0 100 100 - subsp. leptochila Dactylorhiza sambucina 2100 2300 2200 2250 2200 2250 2290 50 40 90 -10 Gymnadenia rhellicani 2720 2750 2730 2690 2800 2730 2890 -70 160 90 140 Herminium monorchis 1900 1490 1780 1640 1800 1880 1890 80 10 90 400 Spiranthes spiralis 1370 1380 1280 1330 1400 1330 1480 -70 150 80 100 Liparis loeselii 890 990 1170 1110 1100 1170 1170 70 0 70 180 Anacamptis morio 1600 1610 1700 1670 1800 1860 1860 60 0 60 250 Neottia ovata 2000 2020 2210 2180 2300 2250 2360 -50 110 60 340 Orchis pallens 2000 1490 1740 1720 2000 2000 2060 0 60 60 570 Anacamptis pyramidalis 1750 1150 1480 1660 1900 1760 1950 -140 190 50 800 subsp. pyramidalis Dactylorhiza cruenta 2040 2100 2520 2110 2500 2500 2550 0 50 50 450 Ophrys fuciflora - 380 450 450 400 400 450 0 50 50 70 subsp. elatior Epipactis atrorubens 2200 2050 2400 2280 2400 2280 2440 -120 160 40 390 Gymnadenia rubra 2540 2550 2500 2470 2600 2550 2640 -50 90 40 90 Platanthera bifolia 2200 1750 2460 2290 2500 2500 2520 0 20 20 770 Hammarbya paludosa 1300 910 1110 930 1100 1100 1110 0 10 10 200 Gymnadenia odoratissima 2400 2000 2420 2240 2600 2420 2600 -180 180 0 600 Neottia cordata 2050 1980 1930 2100 2100 1910 2100 -190 190 0 120 Epipactis palustris 1720 1230 1660 1720 1800 1630 1750 -170 120 -50 520 Ophrys sphegodes 1000 1000 770 680 1000 1060 950 60 -110 -50 -50 subsp. sphegodes Ophrys fuciflora subsp. 1250 1340 1340 1290 1400 1340 1340 -60 0 -60 0 fuciflora Epipogium aphyllum 1800 1650 1660 1600 1800 1550 1710 -250 160 -90 60 Anacamptis coriophora 1430 1170 1480 1300 1450 1500 1340 50 -160 -110 170 Gymnadenia conopsea 2450 2300 2680 2400 2800 2680 2680 -120 0 -120 380 Traunsteinera globosa 2630 2070 2370 2430 2700 2430 2550 -270 120 -150 480 Orchis provincialis 730 - 730 800 1000 800 800 -200 0 -200 - Anacamptis laxiflora 840 840 800 - 1000 840 490 -160 -350 -510 -350 Serapias vomeracea 1380 960 650 870 1400 1380 870 -20 -510 -530 -90 Epipactis fageticola - - - 730 - 830 830 - 0 - - Epipactis placentina - - - 780 - 700 750 - 50 - - Gymnadenia austriaca - - 1550 1550 - 1600 2330 - 730 - - Himantoglossum - - - - - - 480 - - - - robertianum Tabelle 1: Höchstnachweise der Schweizer Orchideen (Details siehe Text) 16
Orchideen Die Schweizer Höchstnachweise möchte Arten Schweiz Deutsch- Öster- Italien Frank- land reich reich ich zum Schluss noch den Höchstnach- Anacamptis coriophora 1340 830 780 1500 1500 weisen in anderen Alpenländern (ausser Anacamptis laxiflora 490 - - 1050 1000 Slowenien) gegenüberstellen (Tabelle Anacamptis morio 1860 1130 1440 1580 1800 2). Dabei beziehe ich mich auf folgen- de Referenzwerke: «Die Orchideen Anacamptis palustris 1110 550 510 - 1200 Deutschlands» (2005), «Die Orchideen Anacamptis papilionacea 610 - - 770 800 Österreichs» (2013), «Le orchidee spon- Anacamptis pyramidalis 1950 870 1470 1620 1500 subsp. pyramidalis tanee dell’Italia nordorientale» (2013) und ergänzend für Arten, welche nur im Anacamptis pyramidalis 1910 - - - 1800 subsp. tanayensis Nordwesten Italiens vorkommen «Or- Cephalanthera 1720 1110 1360 1700 1400 chidee d’Italia» (2016), für Frankreich damasonium schliesslich «Les orchidées de France, Cephalanthera longifolia 2090 1300 1600 2040 1700 Belgiques et Luxembourg (2005) bzw. «À Cephalanthera rubra 2070 1500 1900 1930 1800 la rencontre des orchidées sauvages de Chamorchis alpina 2960 2340 2900 2750 2700 Rhône-Alpes (2012). Corallorhiza trifida 2440 1620 2550 2350 2300 Im Überblick zeigt sich, dass die Schweiz Cypripedium calceolus 2100 1450 2010 2430 2000 im Alpenraum mit 35 Orchideenarten Dactylorhiza cruenta 2550 - 1450 2210 2500 am meisten Höchstnachweise aufweist, Dactylorhiza fuchsii 2670 2000 2510 2490 2300 gefolgt von Frankreich mit 24 und Italien Dactylorhiza incarnata 2220 1320 1600 2080 2000 mit 16, weit abgeschlagen folgen Ös- subsp. incarnata terreich und Deutschland mit 4 bzw. 3 Dactylorhiza incarnata 710 850 500 - 470 Höchstnachweisen. Diese Rangierung subsp. ochroleuca beruht vermutlich auf folgenden zwei Dactylorhiza lapponica 2400 850 1700 2030 2400 Faktoren: Erstens dem Effekt der «Mas- Dactylorhiza maculata 1360 1400 - - 2300 senerhebung», d. h. dem klimatischen subsp. maculata Phänomen, dass sich die Erdoberfläche Dactylorhiza maculata 2400 - - 2300 2000 im Gebirge mit steigender Höhe stärker subsp. savogiensis erwärmt und deshalb die Vegetations- Dactylorhiza majalis 2650 1710 2340 2300 2500 gürtel höher liegen als am Gebirgsrand. Dactylorhiza sambucina 2290 1200 2200 2220 2500 Zweitens profitieren Frankreich und Dactylorhiza traunsteineri 2120 1450 1630 1970 2000 Italien vom Umstand, dass sie südlicher Dactylorhiza viridis 2900 2280 2550 2930 2700 gelegen sind als die Schweiz, Frankreich Epipactis atrorubens 2440 1870 2230 2720 2000 noch mehr, weil die Südwestalpen bis Epipactis bugacensis 860 310 560 1220 1600 zum Mittelmeer reichen. Im Falle von Ita- subsp. rhodanensis lien wurden Höchstnachweise nur dann Epipactis fageticola 830 - - - 1500 berücksichtigt, wenn klar war, dass diese Epipactis helleborine 2330 1400 2100 1910 2000 Nachweise aus dem Alpenraum stamm- subsp. helleborine ten und nicht etwa aus dem Apennin. Epipactis helleborine 1800 ? 1460 1820 2200 Der österreichische Höchstnachweis von subsp. orbicularis Epipactis palustris vom ‚Hohen Freschen‘ Epipactis leptochila 1300 ? 1180 1160 1400 subsp. leptochila im Bregenzerwald auf 1970 m ist nur we- Epipactis leptochila 1310 ? 1150 1640 1400 nige Kilometer von der Schweizer Grenze subsp. neglecta entfernt und könnte dazu anregen, die Epipactis microphylla 1590 870 1300 1490 1600 Art in Graubünden in dieser Höhenlage Epipactis muelleri 1610 930 1040 1520 1500 zu suchen. Immerhin gibt es in der «Flora Epipactis palustris 1750 1460 1970 1710 1700 von Graubünden» einen uralten Nach- Epipactis placentina 750 - - 750 1100 weis aus den 1880er-Jahren von 1920 m bei Arosa. Epipactis purpurata 1730 960 1100 710 1400 Epipogium aphyllum 1710 1500 1400 1900 1900 Dieser Artikel ist auch als Ansporn Goodyera repens 2000 2070 2070 2050 2000 dazu gedacht, in Zukunft vermehrt auf Höchstnachweise zu achten und diese Gymnadenia austriaca 2330 - 2200 2610 2100 auch zu melden. Gymnadenia conopsea 2680 2120 2600 2630 2400 Gymnadenia odoratissima 2600 2200 2580 2500 1600 Gymnadenia rhellicani 2890 2300 2700 2800 2500 Gymnadenia rubra 2640 ? 2400 2690 - 17
Orchideen Arten Schweiz Deutsch- Öster- Italien Frank- Literatur: land reich reich Arbeitskreise Heimische Orchideen: Die Or- Hammarbya paludosa 1110 1160 1000 1080 1100 chideen Deutschlands. Uhlstädt-Kirchhasel, Herminium monorchis 1890 1350 2100 1770 1900 2005. Himantoglossum hircinum 1180 890 - 1800 1800 Bournérias, Marcel & Daniel Prat : Les orchi- Himantoglossum 480 - - - 1700 robertianum dées de France, Belgiques et Luxembourg. Mèze : Biotope, 2005. Limodorum abortivum 1770 430 800 1390 1800 Liparis loeselii 1170 890 980 1020 950 Burga, Conradin A., Gian-Reto Walther & Malaxis monophyllos 1970 1800 1800 1840 - Sascha Beißner: Florenwandel in der alpinen Neotinea tridentata 1860 600 920 1540 1000 Stufe des Berninagebiets – ein Klimasignal? In: Berichte der Reinhold-Tüxen-Gesell- Neotinea ustulata 2550 1900 2200 2260 2400 schaft, 16, 57–66, 2004. Neottia cordata 2100 2000 2100 2130 2300 Neottia nidus-avis 1960 1440 1860 2080 2000 Collectif de la Société Française Neottia ovata 2360 1900 2030 2420 2500 d’Orchidophilie Rhône-Alpes : À la rencont- re des orchidées sauvages de Rhône-Alpes. Ophrys apifera 1650 910 880 1600 1480 Mèze : Biotope, 2012. Ophrys fuciflora 450 240 - - 350 subsp. elatior Griebel, Norbert : Die Orchideen Öster- Ophrys fuciflora 1340 900 880 1190 1400 reichs. Engerwitzdorf: Freya Verlag, 2013. subsp. fuciflora Ophrys insectifera 2100 1620 1910 2100 1750 Gruppo Italiano per la Ricerca sulle Orchi- dee Spontanee (GIROS) : Orchidee d’Italia. Ophrys sphegodes 1530 810 - - 1300 subsp. araneola Cornaredo : Il Castello, 2016. Ophrys sphegodes 950 760 980 1170 1100 Perazza, Giorgio & Richard Lorenz : Le or- subsp. sphegodes chidee dell’Italia nordorientale. Rovereto : Orchis anthropophora 1550 780 - 580 1600 Edizioni Osiride, 2013. Orchis mascula 2670 1800 2300 2500 2500 subsp. mascula Reinalter, Romedi: Zur Flora der Sediment- Orchis mascula 2510 1900 1840 2570 2500 gebiete im Umkreis der Südrätischen Alpen, subsp. speciosa Livignasco, Bormiese und Engiadin’Ota Orchis militaris 2340 950 1390 2140 2200 (Schweiz-Italien). - Denkschr. Schweiz. Akad. Orchis pallens 2060 1500 1840 2000 2000 Naturwiss. 105. Birkhäuser, Basel, 2003. Orchis provincialis 800 - - 950 1700 Schmid, Walter: Orchideenkartierung in der Orchis purpurea 1110 850 850 1500 1800 Schweiz. In: Journal Europäischer Orchide- Orchis simia 1410 640 - 1450 1300 en, 30: 689–858, 1998. Orchis spitzelii 2050 - 1700 2010 2000 Wartmann, Beat A.: Die Orchideen der Platanthera bifolia 2520 1620 2430 2500 2200 Schweiz, ein Feldführer. Feldmeilen: Edition Platanthera chlorantha 2490 1690 2100 2050 2300 Sternenvogel, 2006. Pseudorchis albida 2660 2310 2440 2710 2500 Wartmann, Beat A.: Die Orchideen der Serapias vomeracea 870 - - 1000 650 Schweiz, der Feldführer. Bern: Haupt, 2020. Spiranthes aestivalis 1260 1000 850 800 1400 Spiranthes spiralis 1480 1160 1200 1170 950 Traunsteinera globosa 2550 2110 2330 2550 2600 Anzahl Höchstnachweise 35 3 4 16 24 Tabelle 2: Schweizer Höchstnachweise im Vergleich mit weiteren Alpenländern 18
Exkursionen Epipactis-Exkursion im Schaffhauser Randen Einheimische Orchideen vom 18. Juli 2020 Schweiz Autor Roland Wüest AGEO Orchis 2/2020 Seite 19–Seite 26 Das erwartungsvolle Teilnehmerfeld Foto: Ruth Bänziger Nach der Bergfahrt im Kleinbus oder in Ruths Siebenplätzer vom Parkplatz ‚Landhaus‘ hinter dem Bahn- hof Schaffhausen zum Wanderparkplatz ‚Häidebomm‘ auf 822 m konnten die beiden Exkursionsleiter, Ruth Bänziger und Roland Wüest, bei idealem Sommerwetter 19 Epipactis-hungrige Orchideenfreunde willkommen heissen. Das Bedürfnis nach Vereinsleben war bei den Teilnehmenden nach dem coronabe- dingten langen Unterbruch gross, dies jedoch mit beispielhafter Einhaltung der vorgeschriebenen Hygien- emassnahmen des Bundes. Unsere Rekognoszierung zwei Tage zuvor hatte gezeigt, dass der nass-kühle Juni auf der Alpennordseite seine Spuren hinterlassen hatte: Aus dem erheblichen Vegetationsvorsprung von damals war zwischen- zeitlich zu unserem Erstaunen ein leichter Rückstand geworden. Die meisten Stendelwurzen hatten sich erst in der Anfangsblühphase befunden. Der vorgängige Respekt des Schreibers vor einer erneut abblü- henden bis verblühten Epipactis-Flora war also zum Glück absolut fehl am Platz gewesen. Der erste Stendelwurz-Schauplatz befand sich bereits im Umkreis des Ausgangspunkts: Im lichten Misch- wald standen rund 50 aufblühende Epipactis leptochila subsp. neglecta1 (Übersehene Stendelwurz), gut erkennbar an ihrem ausgesprochen engen Übergang zwischen Hinter- und Vorderlippe, sowie 9 knospen- de Epipactis purpurata (Violette Stendelwurz) mit markantem Violett-Anteil an Stängel und Laubblättern. Die attraktivsten Individuen wurden von den Fotografen frenetisch abgelichtet. 1 Anmerkung der Redaktion: Aufgrund einer besseren Lesbarkeit werden in diesem Beitrag die beiden Epipactis leptochila Subspezies im Folgenden verkürzt als Epipactis leptochila und Epipactis neglecta bezeichnet. 19
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