Ostern 2020 - Jesuitenmission

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Ostern 2020
Ostern 2020 - Jesuitenmission
Editorial

      Liebe Leserinnen und Leser!

      „Glück bedeutet nicht, viel Reichtum zu haben oder in einer Situation zu leben, in der
      einem es an nichts mangelt. Das ist nicht das Glück. Es gibt Leute, die sehr viel gelitten
      haben, durch materielle Armut und durch Diskriminierung. Aber es gibt etwas, was man
      uns nicht nehmen kann: die Lust am Leben. Und ich glaube, das ist etwas, das auch Pater
      Alfred Welker hier erfahren hat. Die Freude trotz des Leides. Wir haben diese Freude.“

      Diese Worte stammen von Maria Guerrero, die sie auf dem Titelbild sehen. Sie ist Afroko-
      lumbianerin, lebt im Stadtteil Aguablanca, der lange einer der schlimmsten Slums in Cali
      war. Sie kennt Armut, Leid und Diskriminierung aus eigener Erfahrung. Aber wer sie trifft,
      spürt genau diese Würde, Lebensfreude und Stärke, die auch aus ihren Worten spricht. Mit
      unserem Artikel über Aguablanca verbinden wir die Bitte, über Ausbildungsstipendien die
      Jugend zu stärken.

      Mit viel Begeisterung, Freude und Hoffnung ist von Millionen Simbabwern der Tag ihrer
      Unabhängigkeit vor vierzig Jahren gefeiert worden. Von der damaligen Aufbruchsstim-
      mung ist heute nicht mehr viel zu spüren. Simbabwe ist eines der Länder, dem wir als Jesu-
      iten weltweit seit Jahrzehnten eng verbunden sind. Durch unsere alten Missionare, durch
      viele Projekte und Partner vor Ort. Auch in Simbabwe liegen Lebensfreude und Leid oft
      so nah beieinander. Abermals drohen schlechte Ernte und Hunger. Und immer noch ist
      unsicher, was die politische und wirtschaftliche Zukunft bringen wird.

      „Handelt!“ – Diesen Appell gibt Jörg Alt SJ seinem neuen Buch als Titel. Es könnte zu-
      gleich das Motto unserer Osterausgabe sein: Lassen wir uns nicht von Armut und Not
      niederdrücken, glauben wir an die Lebensfreude und die Auferstehung, lassen Sie uns
      gemeinsam handeln!

      Ihre

      Klaus Väthröder SJ		               Mag. Katrin Morales
      Missionsprokurator		               Geschäftsführerin in Wien

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Hilfe für Ostafrika
                                                                                               Inhalt

                                 04 Unsichtbare Grenzen
                                 				Alltag im kolumbianischen Stadtteil Aguablanca

                                 11		 Unsere Spendenbitte für Cali
                                 		   Unterstützen Sie die Ausbildung von Jugendlichen

                                 12		 40 Jahre Unabhängigkeit
                                 		   Stimmen, Gedanken und Eindrücke aus Simbabwe

                                 16		 Bildung in Unsicherheit und Kälte
                                 		   Anna Schenck CJ unterstützt den JRS im Libanon

                                 18 Straße der Hoffnung
Titel Kolumbien:                 		   Eine Meditation von Joe Übelmesser SJ
Maria Guerrero im Kindergarten
in El Retiro/Cali                20		 „Handelt!“
                                 		   Interview mit Jörg Alt SJ über sein neues Buch
Rücktitel Libanon:
Prekäre Lebenssituation für
syrische Flüchtlinge
                                 22		 Europas Abgrund
                                 		   Sara Gratt hat ELIJAH in Rumänien besucht

                                 26 Hoffnung für El Salvador
                                 		   Martin Maier SJ erzählt von seinem Stipendienprojekt

                                 28		 Eindrücke aus Kambodscha
                                 		   Benedicta Opis und Matthias Wind über ihren JV-Einsatz

                                 30		 »Sie halfen mir, Regenbögen zu malen«
                                 		   Stan Fernandes SJ blickt dankbar auf seinen Lebensweg

                                 32 weltweit notiert
                                 		   Nachrichten, Aktion, Termine, Impressum

                                                                                  jesuitenweltweit 3
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Venezuela

Unsichtbare Grenzen
Gewalt, Drogen, Jugendbanden: Aguablanca in der kolumbianischen Metropole
Cali hat keinen guten Ruf. Doch wer sich wie Pater Alfred Welker vor vierzig
Jahren auf das Leben dort einlässt, kann etwas verändern.

E
       s ist einfach eine Straße. Zwar nicht    friedliches Treiben. Eine ganz normale Straße
       geteert, was hier im Viertel nichts      in El Retiro. Und trotzdem viel mehr als nur
       Ungewöhnliches ist. Die Häuser am        eine Straße. Denn an der nächsten Ecke ver-
Straßenrand sind großenteils unverputzt, aber   läuft eine der „fronteras invisibles“ – eine der
gemauert und viele sogar zweistöckig. Kleine    unsichtbaren Grenzen, die das Leben in Calis
Läden und mobile Verkaufsstände haben ihre      Stadtteil Aguablanca vor allem für Jugendli-
Waren ausgebreitet. Es herrscht ein reges und   che so schwierig und gefährlich machen.
                                                                                       jesuitenweltweit 5
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Kolumbien

     Tödliche Bandenkriege                         Im Kanu auf überschwemmten Wegen
     „Natürlich sieht man diese Grenzen            „El Retiro und El Vergel sind als erste Vier-
     nicht“, erklärt Sandra Rodríguez, die hier    tel von Aguablanca entstanden“, erinnert
     aufgewachsen ist. „Sie können sich auch       sich Maria Guerrero an die damalige Zeit.
     verschieben, sie sind nicht fest. Aber alle   „Und bei heftigem Regen versank jedes Mal
     Jugendlichen wissen, dass sie existieren.     alles im Wasser, die Hütten, die Wege, ein-
     Und wer sie nicht beachtet, läuft Gefahr,     fach alles. Denn es gab hier damals nichts:
     in einen Bandenkrieg hineingezogen und        keine Kanalisation, kein Trinkwasser, kei-
     im schlimmsten Fall erschossen zu wer-        nen Strom, rein gar nichts. Es war einfach
     den.“ Die unsichtbaren Grenzen markieren      fürchterlich, ganz schrecklich.“ In den Ge-
     Macht- und Einflussbereiche verschiedener     sichtszügen von Doña Maria verbinden sich
     Jugendbanden. Es kann dann reichen, aus       Leid und Schmerz mit Güte und Freude. Sie
     dem falschen Sektor eines Viertels zu kom-    hat trotz eines Lebens mit vielen Schicksals-
     men, um als Gegner zu gelten. Das Büro        schlägen weder den Mut noch den Glauben
     der Vereinten Nationen für Drogen- und        an Gott und die Menschen aufgegeben. Án-
     Verbrechensbekämpfung (UNDOC) hat             gel Asprilla, der ebenfalls seit Jahrzehnten
     gemeinsam mit der Stadtverwaltung im          im Viertel lebt und von Anfang an als „líder
     Herbst 2019 eine Studie präsentiert, der      comunitario“ Verantwortung für die Nach-
     zufolge es 182 kriminelle Gruppen, Banden     barschaft übernommen hat, fügt lachend
     und Netzwerke in Cali gibt, die für Morde,    hinzu: „Während der Überschwemmungen
     Diebstähle, Erpressungen und Drogenhan-       haben wir uns damals im Kanu in El Reti-
     del in der kolumbianischen Metropole ver-     ro fortbewegt.“ Die Generation von Maria
     antwortlich sind. Rund 80% dieser Grup-       Guerrero und Ángel Asprilla hatte eine gro-
     pen konzentrieren sich auf zwei Distrikte:    ße Hoffnung, für die sie viel gegeben haben:
     Siloé am westlichen Stadtrand und Agua­       dass ihre Kinder und Enkelkinder in Agua­
     blanca im Osten von Cali.                     blanca einmal ein besseres Leben haben wür-
                                                   den. Ein Leben mit Bildung, Perspektiven,
     Diskriminierung und Misstrauen                Arbeit und heilen Familien. Ein Leben ohne
     Entstanden ist Aguablanca in den 1970er       Diskriminierung, Kriminalität, Drogen,
     und 80er Jahren als sogenannte „invasión“,    viel zu frühe Tode, viel zu frühe Schwanger-
     als informelle Siedlung auf unbebautem        schaften, zerbrochene Beziehungen.
     Land am Stadtrand. Vertrieben durch Bür-
     gerkrieg, Gewalt und Terror durch Militär,    Aufschwung in Cali
     Guerilla und Paramilitär sind damals viele    Und Cali hat einen Aufschwung erlebt in
     afrokolumbianische Familien aus der Pa-       den letzten Jahren. Es ist nicht mehr in der
     zifikregion nach Cali geflohen. Die meis-     Hand des gleichnamigen Drogenkartells,
     ten hatten vorher von der eigenen kleinen     das in den 1980er Jahren den Großteil
     Landwirtschaft gelebt und mit dem Verlust     des Kokainexportes aus Kolumbien ver-
     von Feld und Haus blieb ihnen nichts ande-    antwortete. Cali mit seinen mehr als zwei
     res, als in Armut und Elend neu zu begin-     Millionen Einwohnern hat sich zu einer
     nen. Hilfe vom Staat gab es keine und als     lebenswerten Stadt entwickelt, hat ein gut
     Afrokolumbianer stießen sie in etablierten    funktionierendes System öffentlicher Bus-
     weißen Vierteln auf Diskriminierung und       se, anerkannte Universitäten, florierende
     Misstrauen.                                   Wirtschaftszweige, schöne Ecken mit klei-

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Kolumbien

Szenen aus den Vierteln El Retiro und El Vergel. Jubel und Trubel im Schulbus. Ein Bild aus alten Tagen in Cali mit P. Alfred
Welker SJ (links) und dem damaligen Missionsprokurator P. Joe Übelmesser SJ (rechts).

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                                                               Radikal und unbeugsam
                                                               Einer, der bereits vor vierzig Jahren be-
                                                               gonnen hat, gegen diese Stigmatisierung
                                                               zu kämpfen, ist Pater Alfred Welker. Der
                                                               deutsche Jesuit kam 1981 nach Aguablan-
                                                               ca, entschied sich, mit den Menschen un-
                                                               ter den gleichen elenden Bedingungen zu
                                                               leben, und packte überall dort an, wo es bis
                                                               dahin an allem gefehlt hatte: Kanalisation,
                                                               Kindergarten, Schule, Kirche, Gesundheit.
                                                               Padre Alfredo, wie er im Viertel, im Barrio,
                                                               genannt wurde, war „ein Meister der Opti-
                                                               on für die Armen“. So beschreibt es Micha-
                                                               el Kuhnert, ein enger Weggefährte. „Seine
     Maria Guerrero hat Padre Alfredo 1983 kennengelernt und   erste Behausung war – jahrelang – ein Ver-
     ist seitdem in die Sozialarbeit involviert.               hau mit Ratten und Kakerlaken, ehe er sie
                                                               mit einem Minipfarrhaus aus Eternitplat-
     nen Restaurants, eine lebendige Kunst- und                ten tauschte. Er war eine Zumutung: Nicht
     Kulturszene. Aber von alledem profitiert                  nur, weil er sein Gebiss gerne ins Bierglas
     Aguablanca wenig. Viele Taxifahrer lehnen                 anderer warf. Nicht nur, weil seine Rusti-
     es noch immer ab, ihre Fahrgäste in die                   kalität manchmal verletzen konnte und mir
     Viertel El Retiro oder El Vergel zu bringen               bisweilen zu viel war. Sondern vor allem
     – aus Angst vor Überfällen. Marcela, die seit             auch deswegen, weil seine Sicht der Dinge
     über fünf Jahren die Sozialprojekte der ko-               manchmal so dermaßen unbequem war und
     lumbianischen Familienstiftung Fundación                  er durch die Art, wie radikal er lebte, wie
     Carvajal in Aguablanca koordiniert, erzählt:              das personifizierte schlechte Gewissen war.
     „Fast alle meine Freunde erklären mich für                Aber er war eine heilsame Zumutung. Er
     verrückt, dass ich hier arbeite. Das sei doch             war unbeugsam. Er machte immer weiter,
     viel zu gefährlich!“                                      mit Angst und ohne Angst. Es war so un-
                                                               glaublich, diese nächtlichen Schießereien,
     Kein Zugang zum Arbeitsmarkt                              diese absurden Tode, diese obszöne Gewalt
     Aguablanca hat in Cali einen festen Ruf, der              und Menschenverachtung, diese Brutalität.
     dazu beiträgt, den Teufelskreis von Perspek-              Die Kapuzenmänner, die nachts durchs
     tivlosigkeit, Armut und Gewalt weiter zu                  Barrio schlichen und Kleinkriminelle und
     zementieren. Winston Mosquera, langjäh-                   14-,15-jährige Jungs, die Drogenprobleme
     riger Pfarrer in El Retiro, gibt ein Beispiel:            hatten, über den Haufen schossen.“
     „Wenn ein Jugendlicher sich auf einen Job
     bewirbt, wird ihm freundlich gesagt, dass                 Verzehrt wie eine Kerze
     sie sich seinen Lebenslauf ansehen und ihn                Wer heute in El Retiro und El Vergel nach
     anrufen werden. Aber das wird nicht ge-                   Padre Alfredo fragt, stößt bei vielen auf ein
     schehen. Sie stellen ihn nicht ein, weil sie              strahlendes Lächeln voller Dankbarkeit.
     sehen, dass er aus Aguablanca kommt. Das                  „Das Viertel müsste nach ihm benannt wer-
     ist auf dem Arbeitsmarkt ein Stigma. Unse-                den“, betont Valentín Hurtado Vallecilla,
     re Jugendlichen hier sind stigmatisiert.“                 der aufgrund von Alter und Zahnlosigkeit

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Kolumbien

nicht leicht zu verstehen ist, „Barrio Alfred                erklärt Winston Mosquera. „Die Mehrheit
Welker. Er hätte es verdient. Er war ein En-                 der Jugendlichen will nicht kriminell wer-
gel, den Gott uns gesandt hat.“ Der rup-                     den oder an Drogen geraten, sie wollen vor-
pige und unbequeme Pater, der 2011 we-                       wärtskommen.“ Neben dem Aufbau von
gen fortschreitender Demenz zurück nach                      Strukturen wie Kindergarten, Grund- und
Deutschland musste und Ende 2015 ge-                         Sekundarschulen, Gesundheitsposten sowie
storben ist, wird in seinem alten Wirkungs-                  politischer Einflussnahme, um die städti-
bereich noch immer heiß und innig geliebt                    sche Verantwortung für die Entwicklung
und wie ein Heiliger verehrt. „Er hat sich                   des Viertels einzufordern, hat Padre Alfre-
wie eine Kerze für uns verzehrt“, sagt Doña                  do viele Jugendliche und Erwachsene auf
Maria, „das Leben hier ist so, dass ein Jahr                 individueller Basis gefördert, um ihnen den
doppelt zählt, man altert schneller.“ Alle im                Schulabschluss, eine Arbeitsstelle, eine Aus-
Viertel, die Padre Alfredo kannten, erzählen                 bildung oder ein Studium zu ermöglichen.
Geschichten von ihm oder zitieren einen                      Er hat an sie geglaubt – trotz Widerstän-
seiner markigen Sprüche. Er ist präsent im                   den und manchmal sogar gegen ihre eigene
Leben der Leute, weil er ihr Leben geteilt                   Selbsteinschätzung. Damit hat er etwas be-
und verändert hat.                                           wegt im Herzen der Menschen. Doña Ma-
                                                             ria hat das in ihrem eigenen Leben erfah-
Ein tiefer Schmerz in der Seele                              ren: „Ich kam damals mit einem so tiefen
„Der Pater hat den jungen Leuten die Au-                     Schmerz in meiner Seele zum Pater, wegen
gen dafür geöffnet, dass sie weiterkommen                    der Krankheit meines Sohnes. Er hat mir
können, dass es mehr gibt als das, was sie                   klargemacht, dass Gott den Menschen nur
in ihrem engen Umfeld im Barrio sehen“,                      eine Last zumutet, die sie tragen können.

Für Jugendliche in Aguablanca ist es nicht leicht, sich den Bedrohungen und Gefahren des Stadtteils zu entziehen.

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                                                                 ses Stipendienprogramm ihre Ausbildung
                                                                 erfolgreich abgeschlossen, 30 Jugendliche
                                                                 sind im aktuellen Jahrgang. Die von Sale-
                                                                 sianern geleitete Einrichtung bietet ganz
                                                                 verschiedene Ausbildungszweige: Autome-
                                                                 chanik, Industrieelektrik, Industrieschlos-
                                                                 serei, Koch, Friseur, Kosmetik, Schneiderei,
                                                                 Schreinerei, Buchhaltung, Personalwesen,
                                                                 Betriebswirtschaft, Informatik, Grafikde-
                                                                 sign. Die Werkstätten und Workshops sind
                                                                 exzellent ausgestattet, in einer institutsei-
                                                                 genen Mensa mit Cateringbetrieb sowie
                                                                 einem selbstorganisierten Laden setzen die
                                                                 Auszubildenden das Gelernte direkt in die
                                                                 Praxis um. Über sechsmonatige Praktika
     Johan Rios Perez ist einer unserer Stipendiaten und macht   nach dem einjährigen Ausbildungskurs be-
     eine Ausbildung zum Automechaniker.                         kommen die Jugendlichen gute Grundla-
                                                                 gen und Kontakte für einen Berufseinstieg.
     Dass wir die Kraft haben und Wege finden                    Neben dem fachlichen Wissen setzt das
     können, damit umzugehen. Ohne die Hilfe                     Zentrum auch auf Allgemeinbildung und
     des Paters hätten wir nie herausgefunden,                   Persönlichkeitsentfaltung, über psychosozi-
     woran mein Sohn litt und wie ich ihm hel-                   ale Begleitung erhalten die Jugendlichen auf
     fen konnte. Einer der stärksten Werte, die                  sie zugeschnittene individuelle Unterstüt-
     der Pater hier gesät hat, ist, dass wir uns be-             zung, die auch immer die Familiensituation
     fähigen müssen, uns weiterbilden können.                    im Blick hat.
     Mich selbst hat er damals ermutigt, ein
     Lehramtstudium zu beginnen.“                                Kampf für Träume
                                                                 „Wir kämpfen dafür, dass die Träume der
     Systematische Ausbildungschancen                            Jugendlichen wahrwerden“, sagt Sandra
     Was Padre Alfredo auf einer persönlichen                    Rodríguez, die im Ausbildungszentrum ar-
     Ebene geleistet hat, geht das Ausbildungs-                  beitet. Sie ist eine der ehemaligen Jugendli-
     zentrum „Centro de Capacitación Don                         chen, die Padre Alfredo gefördert hat. Auch
     Bosco“ systematisch an. Der Gebäude-                        andere Dozenten haben den Kindergarten
     komplex mitten in Aguablanca hat einen                      und die Schulen in El Retiro durchlaufen.
     großzügigen Innenhof mit Grünflächen,                       Sie haben es geschafft, die unsichtbaren
     Bäumen und Sportplatz. Das Zentrum liegt                    Grenzen zu überschreiten, sich von ihnen
     direkt neben dem Colegio El Diamante,                       nicht einengen und beschränken zu lassen.
     der öffentlichen Schule, zu der jetzt auch                  Dazu gehören Mut und das Vertrauen, es
     die von Padre Alfredo gegründeten Schu-                     schaffen zu können. Beides hat Padre Alfredo
     len gehören. Seit 2017 fördern wir hier                     so vielen im Viertel vermittelt. Über das Sti-
     über Stipendien die Berufsausbildung von                    pendienprogramm machen wir in seinem
     Jugendlichen der beiden Barrios El Retiro                   Sinne weiter.
     und El Vergel. Mehr als 90 junge Männer
     und Frauen haben mittlerweile über die-                                                    Judith Behnen

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jesuitenweltweit
                                                                                        Kirgistan

                                          Unsere Bitte für Cali
   Selbstbewusst und optimistisch posieren die beiden Jugendlichen vor der Kamera. Sie
   gehen in die von Pater Alfred Welker gegründete Schule. Vielleicht erinnern Sie sich noch
   an Ihre eigenen Teenagerjahre? Es ist ein Alter, in dem Weichen gestellt werden, man
   zwischen Unsicherheit und Selbstüberschätzung schwankt, Zukunftswünsche und Be-
   rufsträume hat, glaubt, die Welt mit allen ihren Möglichkeiten stehe einem offen.

   Es ist das Alter, in dem Mädchen und Jungen in Aguablanca oft zum ersten Mal sehr
   bewusst erleben, dass ihre Träume auf viele unsichtbare Grenzen stoßen. Und das ist eine
   tiefe Frustration, die leicht in die falsche Richtung führen kann – hinein in Jugendbanden
   mit allen traurigen Konsequenzen.

   Helfen Sie mit, dass sich mit dem Schulabschluss stattdessen neue Möglichkeiten für Ju-
   gendliche in Aguablanca öffnen. Das 18-monatige Ausbildungsprogramm ist eine solche
   Chance: Die Kosten für Ausbildung, Unterrichtsmaterial, Mittagessen, Praktika und Be-
   gleitung betragen pro Person insgesamt 2.700 Euro. Lassen Sie uns mit vereinten Kräften
   die Mittel für 30 Stipendien zusammenbekommen.

                                                                    Spendenkonto Österreich
   Von Herzen danke ich Ihnen für Ihre Spende!                      IBAN: AT94 2011 1822 5344 0000
                                                                    Spendenkonto Deutschland
   Klaus Väthröder SJ                                               IBAN: DE61 7509 0300 0005 1155 82
   Missionsprokurator
                                                                    Stichwort: X31201 Cali Ausbildung

                                                                              jesuitenweltweit 11
Sambia

                                                     40 Jahre
                                        		Unabhängigkeit
     Simbabwe begeht am 18. April den 40. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Wir
     haben drei unserer Projektpartner nach ihren Erinnerungen und Gedanken zu
     diesem Tag gefragt: Pater Wermter, Schwester Tendai und Pater Johnson.

     A
              ls bei der Unabhängigkeitsfeier am     wirken. Da war ein neuer Geist! Aber es gab
              18. April 1980 die neue Staats-        auch böse Geister. Habsucht verführte dazu,
              flagge des nun freien Simbabwe         Besitz, Reichtum und Macht anzustreben,
     hochging, war die Freude und Begeisterung       aber Versöhnung und Frieden und gegen-
     groß. Der Buschkrieg von 1972 bis 1980          seitige Achtung zwischen den Volksgruppen
     hatte zwischen 40-60.000 Menschen das           zu vergessen. Das führte zu einem erneuten
     Leben gekostet. Nun sollte kein Blut mehr       Krieg im Südwesten des Landes, zwischen der
     vergossen werden, mit dem Rassismus zwi-        Regierung und den rebellierenden Matabele.
     schen Schwarz und Weiß sollte es zu Ende        Wenigstens 20.000 Dorfbewohner kamen
     sein, die Hoffnungen waren groß auf ein         ums Leben.
     besseres Leben.
                                                     Beginn der Auswanderungswelle
     Segen für das neue Land                         Eine sozialistische Wirtschaftsordnung
     Erzbischof Patrick Chakaipa hatte den Segen     sollte Wohlstand bringen. Aber es kam
     für das neue Land gesprochen; und auch das      anders. Der junge Staat gab mehr aus als
     Verhältnis zwischen dem neuen Staat und der     er produzieren konnte. Der Internationale
     Kirche war nun besser: Die Kirche machte        Währungsfonds zwang das Land zu einer
     die größten Anstrengungen, die Buschkrieger,    strikten Sparpolitik: kapitalistische Medi-
     darunter auch Frauen, wieder in das normale     zin für eine marxistische Pleite. Die neuen
     Leben zu integrieren. Schulen, Krankenhäu-      Schulen und Hochschulen bildeten zahllo-
     ser und Kirchen, im Krieg zerstört, wurden      se junge Leute aus, für die der Markt aber
     wieder aufgebaut. Schulkinder gingen wieder     keine Arbeit hatte. Die Auswanderungswel-
     in die Schule, neue Schulen wurden eröffnet,    le begann, zu dem Nachbarn im Süden und
     und Lehrer aus dem Ausland kamen zu Hilfe.      nach Übersee. Nach 20 Jahren erhoben sich
     Der neue Präsident lud alle dazu ein, bei der   neue Parteien gegen die Regierung. Die
     Versöhnung und dem Wiederaufbau mitzu-          Kriegsveteranen verlangten nach Land, eins

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Hilfe für Ostafrika

der Kriegsziele, das noch nicht erreicht war.                  der Wahrheit der grausamen Vergangenheit
Die Großfarmen der weißen Einwanderer                          zu stellen und Versöhnung zu bringen, sind
wurden besetzt, beraubt und zerstört. Ar-                      große Aufgaben für Christen.
beitslose hungerten.
                                                                                         Oskar Wermter SJ
Versöhnung braucht Wahrheit
Doch die Arbeit der Kirche blühte. Neue                        Vierzig verlorene Jahre
Bistümer wurden gegründet, und die Zahl                        Der Befreiungskrieg in Simbabwe war eine
der einheimischen Priester wuchs. Die Missi-                   schreckliche Erfahrung: Viele Menschen
onare, z.B. aus Deutschland und Irland, sind                   starben oder wurden aus ihren Häusern ver-
jetzt die letzten ihrer Art. Gewalt, Morden                    trieben und flohen. Die Menschen lebten
und Blutvergießen sind weiterhin Werkzeuge                     in Angst. Aber es war auch eine Zeit voller
einer brutalen Machtpolitik. Soldaten wer-                     Hoffnung auf ein besseres Simbabwe. Die
den gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt.                     Unabhängigkeit 1980 öffnete uns viele Tü-
Es wird scharf geschossen. Die Kirche ar-                      ren. Auf einmal wurde der Zugang zu Bil-
beitet für „Gerechtigkeit und Frieden“. Sich                   dung für alle einfacher gemacht. Es war eine
                                                               Freude zu sehen, dass Krankenhäuser und
                                                               Schulen offen waren für Menschen jeder
                                                               Hautfarbe. Viele Kliniken wurden eröffnet.
                                                               Ich erinnere mich, wie stolz ich bei Aus-
                                                               landsreisen war, mich als Simbabwerin zu
                                                               identifizieren. Mein erster Schock kam in
                                                               den frühen 1980er Jahren, als wir von „Dis-
                                                               sidenten“ im Matebeleland hörten. Leider
                                                               waren die einzigen Informationsquellen
                                                               der nationale Radio- und Fernsehsender.
                                                               Als diese Nachrichten ausgestrahlt wur-
                                                               den, fragte ich mich, warum jemand gegen
                                                               unsere neugewonnene Unabhängigkeit re-
P. Oskar Wermter SJ. Oben: Jubelnde Befreiungskrieger am 18.   bellieren sollte? Erst Jahre später erfuhren
April 1980. Präsident Mugabe 2006 bei einer Bischofsweihe.     wir, dass es sich um Propaganda handelte.

                                                                                            jesuitenweltweit 13
Hilfe für Ostafrika

                                                                 wir so produktiv sein könnten. Was für eine
                                                                 Verschwendung dieser 40 kostbaren Jahre.

                                                                                     Sr. Tendai Makonese OP

                                                                 Mein Leben in Simbabwe
                                                                 Das erste Mal kam ich 1972 nach Simbab-
                                                                 we, noch bevor ich als Priester ordiniert
                                                                 wurde. Zu dieser Zeit hieß das Land Rho-
                                                                 desien. Eine kleine weiße Minderheit hatte
                                                                 die Kontrolle über Städte und kommerziel-
                                                                 le Farmen. Die dunkelhäutige Bevölkerung
      Sr. Tendai ist Missionsdominikanerin und Medienexpertin.   hatte nur ein unbedeutendes Mitsprache-
                                                                 recht. Es gab separate Bereiche, in denen
      In den 1990er Jahren ging es immer wei-                    Weiße und Schwarze leben, essen und ihren
      ter abwärts. Es war schwer zu glauben, dass                Alltag verbringen durften. Fünf Jahre später
      dies die Menschen waren, an die wir so sehr                kehrte ich in die gleiche Mission zurück,
      geglaubt hatten.                                           aber es fühlte sich so an, als würde ich in
                                                                 ein anderes Land zurückkommen. Vier
      Reduziert zu ewigen Bettlern                               deutsche Dominikanerinnen und drei Jesu-
      Das neue Jahrtausend ist eine schmerzhafte                 iten aus Britannien und Irland waren sechs
      Ära. Die Wirtschaft geht zurück, die Freu-                 Monate zuvor erschossen worden. Der Un-
      de der Menschen verschwindet, viele Sim-                   abhängigkeitskampf der Guerilla hatte be-
      babwer verlassen das Land. Wahlen sind so                  gonnen. Nach meinem Terziat kehrte ich
      bedeutungslos geworden, weil sie, egal wie                 wieder zurück, aber nun in das neue, un-
      die Menschen abstimmten, keine Verände-                    abhängige Simbabwe. Robert Mugabe gab
      rung bringen. Die Menschen sind wieder                     eine großartige Rede, in der er für Frieden
      voller Angst und Misstrauen. Diesmal noch                  und Versöhnung eintrat – doch am Ende
      schlimmer als zuvor, denn nun basiert die                  seiner Rede war ein kurzer Satz, der damals
      Unterdrückung und Repression nicht mehr                    niemandem aufgefallen ist. Es war eine Zeit
      auf der Hautfarbe. Die Unabhängigkeit                      voller großer Hoffnungen und Fortschritt.
      Simbabwes ist eine Illusion. Ein Krebsge-                  Ländliche Schulen und die Gesundheitsver-
      schwür namens Korruption hat jede Faser                    sorgung wurden ausgebaut.
      unseres geliebten Landes erfasst. Tugenden
      wie Ehrlichkeit, Transparenz, Gerechtigkeit                Ein kurzer Satz mit viel Macht
      und Aufrichtigkeit sind schwer zu finden.                  Innerhalb weniger Jahre begannen die Dinge
      Viele Menschen sind getauft, das ist wahr,                 schief zu laufen. Im Südwesten des Landes
      aber die Werte des Evangeliums zu leben                    plünderten einige ehemalige Ndebele-Sol-
      scheint eine große Herausforderung zu sein.                daten Geschäfte und entführten Menschen.
      Das ist so schmerzhaft für mich und ich                    Die Volksgruppe der Ndebele hatte Mugabe
      denke, für viele Menschen. Ich bin mir nicht               nie als ihren neuen Anführer anerkannt. Und
      sicher über die Früchte der Unabhängigkeit.                dann realisierten wir zum ersten Mal, was die-
      Für mich gibt es nichts zu feiern. Sie haben               ser kurze Satz am Ende seiner Rede bedeute-
      uns zu ewigen Bettlern reduziert, obwohl                   te: „… so lange ihr mich als euren Anführer

14 jesuitenweltweit
Simbabwe

akzeptiert.“ Die Armee massakrierte 20.000
Ndebele. Zehn Jahre später hatten die Stu-
denten mit der Korruption in der Regierung
und der sich verschlechternden Wirtschaft zu
kämpfen. Sehr bald griffen die Unruhen auf
die Arbeiter in den Städten über, und in der
Bevölkerung wuchs die Unterstützung für
eine neue Oppositionspartei. Mugabe sah sich
selbst verraten, zuerst von den Ndebele, jetzt
von den Weißen und der schwarzen Stadtbe-
völkerung. Wieder war die Reaktion skrupel-
los. Die Weißen wurden von ihren Farmen
geworfen, die Häuser vieler armer, städtischer
Schwarzer zerstört, viele Oppositionelle getö-
tet, gefoltert und ihre Häuser niedergebrannt.               P. Nigel Johnson SJ leitet das Entwicklungsbüro der Jesuiten.

Beten für eine bessere Zukunft                               nichts geändert. Wir kämpfen immer noch
2017 hat Robert Mugabe sein Amt nie-                         für die Schaffung eines freien, wohlhaben-
dergelegt und ist mittlerweile verstorben.                   den und glücklichen Simbabwes. Wir beten
Die ältere Generation erinnert sich noch                     immer noch für eine bessere Zukunft, und
an seine befreiende Rolle vor 40 Jahren                      dafür, dass die jungen einheimischen Jesu-
und lobt ihn, aber die jüngere Generati-                     iten den Kampf für Gerechtigkeit, Frieden
on freut sich auf eine Zukunft ohne sei-                     und Versöhnung fortsetzen werden.
nen Einfluss. Sein 78-jähriger Nachfolger
verspricht Reformen, aber es hat sich noch                                                         Nigel Johnson SJ

Afrika, der Chancen-Kontinent – im April erscheint ein Interviewbuch mit Pater Wermter. Mehr Infos: jesuitenmission.de

                                                                                                     jesuitenweltweit 15
Libanon

     Bildung in Unsicherheit und Kälte
     Einsatz gegen Armut, Gewalt und Unsicherheit: Schwester Anna Schenck von der
     Congregatio Jesu unterstützt den Flüchtlingsdienst der Jesuiten im Libanon.

     G
               ood morning, Sister Anna!“ –          der bisherigen Regierung, sondern haben
               dieser Gruß der syrischen Kinder      auch die wirtschaftliche Krise des Libanon
               schallt mir entgegen, wenn ich        weiter verschärft. Arbeitslosigkeit und Le-
     eine der Klassen in der Telyani Schule in       benshaltungskosten sind stark angestiegen,
     Bar Elias betrete. Im Rahmen meiner Vor-        was die Lebenssituation der Libanesen und
     bereitung auf die Gelübde auf Lebenszeit        auch der Syrer im Libanon zusätzlich er-
     lebe ich sechs Monate im Libanon in der         schwert. So verwundert es nicht, dass die
     Bekaa-Ebene. Ein Großteil der über eine         Zahl derjenigen, die sich für eine freiwillige
     Million syrischen Flüchtlinge im Libanon        Rückkehr nach Syrien entscheiden, steigt,
     hat hier Zuflucht gefunden. Ich bin als         eine Rückkehr in eine völlig ungesicherte
     Freiwillige in einer der Schulen eingesetzt,    Situation. Denn auch in Syrien ist die wirt-
     die der Jesuitenflüchtlingsdienst (JRS) hier    schaftliche Situation hoch problematisch,
     neben weiteren Bildungseinrichtungen und        von der politischen Unsicherheit ganz zu
     Sozialzentren betreibt. Zwei Aspekte prä-       schweigen. Dennoch verlassen immer wie-
     gen mich und meinen Einsatz ganz beson-         der Kinder meine Schule, weil ihre Famili-
     ders: Zum einen die Massenproteste, die         en nach Syrien zurückkehren – was mich
     im Oktober 2019, genau eine Woche nach          stets sehr berührt.
     meiner Ankunft, begonnen haben, damit
     verbunden die schwierige politische und         Zelte in Schlammwüsten
     wirtschaftliche Lage. Zum anderen die Le-       Inzwischen sind die Straßensperren seltener
     benssituation der syrischen Kinder, denen       und die Armee räumt diese auch schneller,
     ich täglich in der Schule begegnen darf.        so können die Schulen an den meisten Ta-
                                                     gen öffnen. Allerdings bleibt der tägliche
     Proteste und Straßensperren                     Blick aufs Handy, ob Schule ist oder nicht,
     Im Vorfeld meines Aufenthaltes im Liba-         eine Unsicherheit, die sich auch spürbar auf
     non habe ich nicht damit gerechnet, dass        die Schülerinnen und Schüler auswirkt.
     ich Zeugin von landesweiten und langan-         Zugleich stellen diese unplanbaren Unter-
     haltenden Protesten werde. Jedoch haben         brechungen auch für den Unterrichtsablauf
     die Straßensperren, die die Demonstranten       und die Umsetzung des Lehrplans eine gro-
     als ein wesentliches Mittel des Protests lan-   ße Herausforderung dar. Prägend für meine
     desweit errichtet haben, über mehrere Wo-       Schule ist, dass sie nicht nur in unmittel-
     chen und danach immer wieder tageweise          barer Nachbarschaft zu einer Zeltstadt sy-
     dazu geführt, dass die Schulen geschlossen      rischer Flüchtlinge liegt, sondern auch alle
     bleiben mussten und das öffentliche Le-         Schülerinnen und Schüler in Zelten leben
     ben weitgehend zum Erliegen kam. Die            – und nicht etwa in Baracken oder gar Häu-
     Proteste führten nicht nur zum Rücktritt        sern. Konkret bedeutet dies, dass die Famili-

16 jesuitenweltweit
Libanon

en in einem größeren Zelt mit einer kleinen,
angrenzenden Küche und in einfachsten
hygienischen Verhältnissen wohnen – nicht
nur einige Wochen, sondern seit Jahren. Der
Winter mag hier nicht ganz so kalt sein wie
in Deutschland, aber unter diesen Umstän-
den fühlt er sich mindestens so kalt an. Der
viele Regen der letzten Wochen hat die Gas-
sen zwischen den Zelten zudem schnell in
Schlammwüsten verwandelt.

Belastungen für die Kinder
Die größte Herausforderung sehe ich darin,
dass die Kinder all die Probleme aus ihren
Familien mit in die Schule bringen. Denn
die Lebensumstände, die wirtschaftlichen
Schwierigkeiten und oft auch Hoffnungslo-
sigkeit lasten schwer auf ihnen, von Erfah-
rungen im Krieg und auf der Flucht ganz
zu schweigen. Häusliche Gewalt ist weit
verbreitet, auch Kinderarbeit und Miss-
brauch begegnen mir. Es gibt gesundheit-
liche Probleme, aber auch einen Mangel an
Struktur und Unterstützung beim Lernen.
Darum beschäftigen alle Schulen des JRS
eine Sozialarbeiterin – eine sehr sinnvolle
Investition. Dennoch gibt es eine Vielzahl
von Herausforderungen im Schulalltag:
vom Herstellen von Ruhe und Aufmerk-
samkeit über die großen Unterschiede im
Alter und Leistungsniveau innerhalb der
Klassen bis hin zu den einfachen Unter-
richtsräumen. Ich bewundere die Lehre-
rinnen und Lehrer, die sich dieser Aufgabe
jeden Tag aufs Neue stellen. Aber auch mir
sind die Kinder mit ihrer Herzlichkeit und
Lebensfreude einfach ans Herz gewachsen.

                              Sr. Anna Schenck CJ

Schlammige Pfützen in einem Zeltcamp in Bar Elias (oben).
Direktorin und Kinder der JRS-Schule (Mitte). Fladenbrote
für den Schulsnack werden frisch gebacken (unten).

                                                            jesuitenweltweit 17
Foto: Eines der letzten Fotos von P. Alfred Welker SJ in Cali/Kolumbien. Im Viertel El Retiro wird der 2015
gestorbene Padre Alfredo nach wie vor geliebt und als ein Heiliger gesehen.

18 jesuitenweltweit
Straße der Hoffnung
„Eines Tages fiel ein Engel vom Himmel,
der sah aus wie Johannes der Täufer.“
                  Valentin Hurtado Vallecilla

Ja, er kam
und er blieb
und er hat sich eingelassen.
Und er hat sich nicht abweisen lassen.
Und mit ihm kam Hilfe
und mit ihm kam Hoffnung.
Dann ging er wieder.
Er ist nicht mehr da.
Doch er hat Spuren hinterlassen,
weil er sich eingelassen hat.
Und die Hoffnung ist geblieben.
Sie wird auch bei uns bleiben
zusammen mit der Erinnerung.
Joe Übelmesser SJ

                                                jesuitenweltweit 19
„Handelt!“
     Arm an Fußnoten, reich an Meinung und mitunter provokant: Der Titel des neuen
     Buches von Dr. Jörg Alt SJ kommt nicht von ungefähr. Wir sprachen mit ihm über
     sein bisher persönlichstes Buch.

     Jörg, mit „Handelt!“ appellierst du an Chris-      rungsentwicklung betrifft, verweise ich auf
     ten und Kirchen, „die Zukunft zu retten“.          die Gewissensentscheidung der Paare, die
     Wie sind die ersten Reaktionen?                    natürlich auch ihre finanziellen Mittel be-
     Sie decken die ganze Bandbreite ab, von posi-      rücksichtigen müssen, was uns zum nächs-
     tiv bis ablehnend. Die meisten Kritiker ärgern     ten Punkt bringt: In armen Ländern sind
     sich über meine Haltung zum Klimawandel,           Kinder die Altersversicherung der Eltern.
     werfen mir vor, dass ich mich einseitig positio-   Zudem: „Handelt!“ ist ein persönliches
     niere, und dass es ja auch Argumente gegen ei-     Buch und ich vertrete darin meine persön-
     nen menschengemachten Klimawandel gäbe.            liche Meinung.
     Das zweite große Kritikthema ist, dass gerade
     die Katholische Kirche mit ihrer Verhütungs-       Nicht alle globalen Entscheider teilen deinen
     politik dazu beitrage, dass Überbevölkerung        Imperativ des Handelns und Gegensteuerns.
     ein Überleben gefährde.                            Die Rede von Donald Trump auf dem Welt-
                                                        wirtschaftsform in Davos im Januar lässt
     Also Kritik aus sehr unterschiedlichen Ecken.      sich eher mit „Weiter so“ zusammenfassen…
     Wie konterst du jeweils?                           Mit Leuten wie Trump oder den Brexiteers
     Den einen entgegne ich, dass ich mich mit          Boris Johnson und Nigel Farage können
     der Position der Gegner durchaus beschäf-          wir keine problem-angemessene Politik
     tigt habe. Außerdem geht’s im Buch nicht           machen. Nur mit der EU kann der System-
     nur um den Klimawandel, sondern all-               wechsel gelingen. Weil es dort genug Bürger
     gemein um die Übernutzung natürlicher              gibt, die die Notwendigkeit sehen und hier
     Ressourcen und das Absterben des natürli-          aufgrund unserer immer noch halbwegs gut
     chen Lebensraums. Und was die Bevölke-             funktionierenden Demokratie den nötigen

20 jesuitenweltweit
Profitgier, Umweltzerstörung und rasanter technischer Fort-
schritt bedrohen unser Zusammenleben: Mit „Handelt!“
(Vier-Türme-Verlag, 180 S.) formuliert der Sozialwissen-
schaftler Dr. Jörg Alt SJ einen flammenden „Appell an Chris-
ten und Kirchen, die Zukunft zu retten“.
Herzliche Einladung zum Podium mit Jörg Alt, „Fridays for
Future“ und den Nürnberger OB-Kandidaten am 13. März
sowie zur Buchpräsentation am 27. März in Nürnberg:
jesuitenmission.de/Termine

Druck erzeugen können. Europa muss die            Wir leben im Moment in einer Situation,
Probleme ernsthaft angehen, damit in eine        die es in der Menschheitsgeschichte höchs-
Vorreiterrolle kommen und ein moralisches        tens ein-, zweimal gegeben hat, zuletzt beim
Beispiel setzen.                                 Übergang von der Agrar- zur Industriege-
                                                 sellschaft. Eine solche Transformation wird
Sind die EU-Bürger dazu bereit?                  nicht ohne Konflikte abgehen, zumal wir
Wenn nur 3,5 Prozent der Bevölkerung             unter akutem Zeitdruck stehen. Ich wür-
nachhaltig mobilisiert werden können, ist        de es mir natürlich wünschen, dass wir sie
der nötige Druck da. Und zum Glück ori-          vermeiden können. Auf der anderen Seite
entieren sich ja auch in den USA nicht alle      aber hat Papst Franziskus ja bereits gesagt,
an Donald Trump. Man darf nicht vergessen,       dass unser Wirtschaftssystem tötet, und wir
dass beispielsweise mit dem Bundesstaat Ka-      dürfen nicht übersehen, dass die gegenwär-
lifornien eine der größten Volkswirtschaften     tigen Wirtschaftsstrukturen Menschen und
der Welt das Pariser Klimaabkommen als           Umwelt Gewalt antun. Dagegen fällt doch
verbindlich ansieht.                             nicht ins Gewicht, wenn einige Kids SUVs
                                                 zerkratzen, die den Fahrradweg blockieren?
Sind diese entscheidenden 3,5 Prozent nicht
längst da? Etwa durch das Engagement von         Du charakterisierst die Kirche als „Global Play-
„Fridays for Future“, mit denen du ja in Nürn-   er“, die mit der Katholischen Soziallehre das
berg gemeinsame Aktionen startest?               Rüstzeug hat, den Wandel mitvoranzutreiben.
Natürlich haben die „Fridays for Future“         Die gegenwärtigen Diskussionen um Zölibat,
schon einiges erreicht. Das Problem ist halt,    Synodalen Weg etc. mögen Außenstehenden
dass es noch keinen großen Durchbruch gibt.      aber zuweilen selbstreferenziell erscheinen…
Da müssen wir versuchen, das Engagement          Deswegen treten die Leute ja aus der Kirche
aufrecht zu erhalten und neue Gruppen zu         aus. Genau hier hoffe ich auf eine Trend-
gewinnen, auch wenn einige Enttäuschte die       wende: Wenn wir uns mehr um relevante
Bewegung verlassen oder sich radikalisieren.     Zukunftsthemen kümmern und neu be-
                                                 weisen, dass Christen einen Unterschied
Eine Radikalisierung, die du aber im Buch als    bedeuten, finden auch wieder mehr Leute
logische Konsequenz oder gar wünschenswert       zu uns.
bezeichnest…                                                      Interview: Steffen Windschall

                                                                                 jesuitenweltweit 21
Europas Abgrund
     Sara Gratt, die bei Jesuiten weltweit in Wien für Kommunikation zuständig ist,
     hat mit ihrer Nürnberger Kollegin das von Pater Georg Sporschill und Ruth
     Zenkert gegründete Sozialwerk ELIJAH in Rumänien besucht.

     D
                ort wo es wenig gibt, hat ELIJAH     Jeans und Pullover. Maria stammt aus Zie-
                viel aufgebaut. In den kleinen       gental. In dem Dorf leben knapp 200 Ein-
                Dörfern rund um Sibiu werden         wohner, der Großteil von ihnen sind Roma.
     Menschen, die in großer Armut und am            Ausbildung haben die meisten keine und
     Rand der Gesellschaft leben, mit verschie-      die Mädchen werden sehr jung Mütter. So
     denen Maßnahmen unterstützt. Auch in            wäre es wahrscheinlich auch Maria gegan-
     Sibiu selbst hat ELIJAH ein neues Projekt       gen, die dort mit ihrer Familie in einer Art
     gestartet: Casa Francisc bietet Jugendlichen    Haus wohnte. Darüber ist etwas, das einem
     Wohnraum und Begleitung, um weiterfüh-          Dach ähnelt und einen kleinen Schutz ge-
     rende Schulen in der Stadt zu besuchen.         gen den Niederschlag und die Kälte bietet.
                                                     Auf der Straße treffen wir Marias Mutter.
     Aus der Roma-Siedlung in die Schule             Sie ist gerade dabei, Müll zu sammeln. Ein
     So auch Maria, die uns bei der Ankunft          Stück Abfall kommt in den Sack, das nächs-
     mit einem Schild, einem Lächeln und einer       te wird ignoriert – es liegt einfach zu viel
     Umarmung empfängt. „Ich bin Maria“, sagt        Unrat auf den matschigen Wegen herum.
     sie etwas schüchtern auf Deutsch. Gekleidet     Die Initiative von ELIJAH will die Bewoh-
     ist sie wie alle in ihrem Alter, in Sneakers,   ner sensibilisieren, in ihrem Dorf und Le-

22 jesuitenweltweit
Rumänien

bensraum auf Ordnung und Sauberkeit zu            spielen können und betreut werden. Wir
achten. Auch die anderen Jugendlichen, mit        besuchen sie zusammen mit Cornelia, einer
denen Maria in Sibiu in Casa Francisc zu-         rumänischen Mitarbeiterin von ELIJAH. Die
sammenwohnt, stammen aus Dörfern und              Kinder haben gerade Sportstunde und laufen
Familien, mit denen ELIJAH schon lange            durch einen Parcour. Die Sonne scheint und
zusammenarbeitet. „Maria ist eine ausge-          der Spielplatz und die große Wiesenfläche
sprochen talentierte Sängerin und Geigen-         kann auch an diesem Novembertag gut ge-
spielerin“, erzählt Angela King. Als Maria        nutzt werden. Die kleineren Kinder haben
noch im Dorf wohnte, besuchte sie oft die         mich schon an den Händen gepackt, um
von ELIJAH aufgebaute Musikschule.                mir ihre gemalten Bilder zu zeigen und mir
                                                  die Haare zu flechten. Was genau sich hin-
Leben ohne Strom und fließendes Wasser            ter meinem Kopf abspielt, sehe ich nicht. Ich
Angela arbeitet seit vielen Jahren bei ELIJAH     weiß nur, dass einige Mädchen daran beteiligt
und ist normalerweise in Ziegental. Für den       sind, mir einen neuen Look zu verpassen. Ei-
Start von Casa Francisc ist sie nach Sibiu        gentlich sollen wir aufbrechen und die Kirche
gekommen, um dafür zu sorgen, dass alles          und das nächste Zentrum besichtigen. Aber
glatt läuft. „Das Leben in Ziegental ist här-     ich bin verhindert. „Nu pleca!“, rufen die
ter“, sagt sie. „Es gibt keinen Strom, keine      Kinder auf Rumänisch. Meine Kommunika-
Heizung, weder warmes noch fließendes             tion mit ihnen beschränkt sich auf Zeichen-
Wasser und auch sonst sind die Lebensbe-          sprache und eine Mischung aus Italienisch
dingungen sehr mager. Manchmal haben              und Deutsch, wenn gerade niemand die Dol-
wir Freiwillige hier, aber die wenigsten halten   metscherrolle übernimmt: „Geh noch nicht“,
es in Ziegental lange aus. Nicht nur wegen        heißt das, sagt Cornelia.
der Läuse und Flöhe, die hier bei ELIJAH
jeder schon einmal hatte.“

Nu pleca! – Bitte geh nicht!
Wir selbst wohnen im Dorf Hosman, in
der Zentrale von ELIJAH oder dort, wo al-
les 2012 angefangen hat, wie wir von Ruth
Zenkert, der Leiterin des Projekts hören. Im
Haus Stella Matutina sind unsere Gästezim-
mer. Direkt daneben der große Speisesaal,
in dem in zwei Schichten die Kindergarten-
und Schulkinder sowie die Mitarbeiter zu
Mittag essen. Küche, Bäckerei, Hauswirt-
schaft, Schreinerei – all das befindet sich       Kinderlächeln trotz katastrophaler Lebensbedingungen in
auf dem Areal. Hier finden junge Frauen           vielen Roma-Siedlungen (links).
und Männer aus Roma-Familien Ausbil-
dung und Beschäftigung und lernen, den            Ein Raum für eine Großfamilie
Verpflichtungen eines Berufslebens nach-          Wir besuchen noch eine Familie in Hos-
zukommen. Die meisten Kinder aus dem              man. Wir folgen Cornelia in das Zimmer
Dorf, die noch nicht in die Schule gehen,         und verteilen die Fläschchen mit Saft, die
besuchen das Sozialzentrum, in dem sie            wir für die vielen Kinder, die dort woh-

                                                                                       jesuitenweltweit 23
Rumänien

     Pferdegespann vor den typisch siebenbürgischen Dorfhäusern in Hosman, das durch Elijah einen Aufschwung erlebt.

     nen, mitgenommen haben. In dem Raum                          sind alle ähnlich tragisch und erzählen von
     stehen zwei Betten. Eine größere Matratze                    Armut, Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit
     ist noch an die Wand gelehnt, auf der Klei-                  und manchmal daraus entstehende Gleich-
     dung, Essensdosen und andere Dinge lie-                      gültigkeit. „Für die Erwachsenen ist es oft
     gen. In der Ecke steht ein Ofen, aus dem                     zu spät, aber wenigstens die Kinder muss
     der Rauch qualmt. Das Fenster ist ein in die                 man versuchen rauszuholen, ihnen zeigen,
     Wand gehämmertes Loch. Um die Scheibe                        dass es auch ein anderes Leben gibt“, sagt
     sind Stoffreste und Kartons gepresst, die                    Ruth, als wir beim Abendessen über die
     die Spalten füllen sollen und einen kleinen                  Besuche bei den Familien sprechen. Zur
     Schutz gegen Wind und Kälte bieten. Ich                      Hausgemeinschaft, die Mahlzeiten, Alltag
     halte eine Kamera in meiner Hand, aber es                    und Glauben miteinander teilt, gehören
     fällt mir schwer, hier zu fotografieren. Ich                 auch zwei junge rumänische Freiwillige,
     will die Würde der Familie nicht verletzen                   die für ein Jahr bei ELIJAH mitarbeiten,
     und ihr Elend nicht zur Schau stellen. Was                   die beiden Kinder Zana und Ionuz, die von
     wir sehen, ist der Abgrund Europas. Ich set-                 ihrer Mutter nicht mehr versorgt werden
     ze mich zu den Kindern aufs Bett, zu Alice                   können sowie Angelica, die als Straßenkind
     und Paula, den beiden blonden Mädchen,                       in Bukarest zu ELIJAH gefunden hat und
     die hier wohnen. Für eine Weile haben sie                    als Mitarbeiterin geblieben ist.
     Unterschlupf bei ELIJAH gefunden, nun
     teilen sie wieder mit ihrer Mutter und fünf                  Wurst und Eier von nebenan
     oder sechs Geschwistern das Zimmer. Ali-                     Das Essen, das bei ELIJAH auf dem Tisch
     ce ist sechs Jahre alt und sollte eigentlich in              landet, kommt hauptsächlich aus Eigen-
     die Schule gehen. Aber es gibt keinen Platz,                 produktion. Sehen können wir das im Dorf
     so muss sie noch ein Jahr warten. Oft sind                   Marpod, wo gerade ein großes Ausbildungs-
     Roma-Kinder in den Dorfschulen nicht                         zentrum von ELIJAH entsteht. Gartenbau
     willkommen. Die Geschichten, die wir bei                     und Landwirtschaft sollen vergrößert wer-
     verschiedenen Familienbesuchen hören,                        den, auch die Schreinerei soll hierhin ver-

24 jesuitenweltweit
Rumänien

legt werden und es wird zusätzliche Ausbil-       werden. So fällt es auch leicht, die „kleinen
dungsplätze im Bauhandwerk geben. Einiges         Geschenke“, die man aus Rumänien mit
ist noch Baustelle, aber die Hühner scharren      nach Hause bringt, mit Humor zu nehmen,
eifrig in ihrem Außengehege. Ein Kuhstall ist     auch wenn sie fürchterlich jucken.
im Rohbau. Schon bald soll auch Käse selbst
gemacht werden. Um uns herum stehen                                                  Sara Gratt
auch ein paar Mangalitzaschweine. Sie wer-
den an Familien gegeben, die genug Platz für
einen kleinen Stall haben. Diese sollen sich
dann um die Tiere kümmern, bis sie genü-
gend Gewicht erreicht haben, um geschlach-
tet zu werden. Die Projekte von ELIJAH
umfassen Sozialzentren, Arztpraxen, Haus-
bau, Musikschulen, Ausbildung, Landwirt-
schaft zur Eigenversorgung. „Wenn man die
Kinder versorgt, muss man auch den Eltern
helfen“, sagt Ruth. „Im Laufe der Zeit haben
sich immer neue Probleme und Bedürfnisse
herauskristallisiert. So kam es, dass wir mitt-
lerweile nicht nur Sozialzentren haben, son-
dern auch eine Landwirtschaft mit Gemüse
und Tieren.“

Kleine Geschenke aus Rumänien
Am letzten Abend ist es dann soweit und
ich lande auch im Club der mit Läusen und
Flöhen Infizierten. Mein Kopf juckt und
die roten Punkte, die ich zuvor als Mücken-
stiche wahrgenommen hatte, stellen sich als
Flohbisse heraus. Giorgina, eine der jungen
Freiwilligen, lacht und hält Sicherheitsab-
stand. „Das ist ein Geschenk für dich aus
Rumänien“, sagt Zana, die mir zum Ab-
schied einen Kuss auf die Wange drückt.
Und so verlassen wir Rumänien und sind            Mit Feuer vom Himmel: Das neue Buch von
in Gedanken noch bei den Menschen, die            Georg Sporschill SJ und Ruth Zenkert bietet
wir kurz zuvor noch gar nicht kannten.            durch kurze Geschichten und persönliche
Jetzt sind es Kinder, deren Namen und Ge-         Reflexionen eindringliche Einblicke in die So-
schichten und Schicksale wir kennen. Es           zialarbeit sowie wertvolle Denkanstöße. Er-
sind keine Fremden mehr, sondern Kinder,          schienen bei Amalthea, Ladenpreis 23 Euro
die man in wenigen Stunden bereits ins
Herz schließt, die man nicht vergisst und         Weitere Infos zum Projekt: elijah.ro
für die man hofft, dass sie durch ELIJAH          Spendencode: X84020 ELIJAH
eine bessere Zukunft als ihre Eltern haben

                                                                                jesuitenweltweit 25
El Salvador

     Hoffnung für El Salvador
     Vor über 30 Jahren hat Pater Martin Maier ein Stipendienprojekt in El Salvador
     gestartet, das seitdem erfolgreich läuft.

     A
              ngenommen, Sie befinden sich          Zeit hast, um einem Volk zu helfen, dann
              an einem Ort auf dieser Welt, wo      säe Reis. Wenn Du zehn Jahre Zeit hast,
              Menschen hungern und an heil-         dann pflanze einen Baum. Hast Du 100
     baren Krankheiten sterben. Und angenom-        Jahre Zeit, dann erziehe das Volk. Um lang-
     men, Sie bekommen Geld angeboten, um           fristig Veränderungen zu ermöglichen, ist
     den Menschen zu helfen. Wo würden Sie          Bildung ein Schlüssel. So beschloss ich, mit
     ansetzen? Vor 30 Jahren stand ich vor dieser   einem Stipendienprojekt junge Menschen
     Frage. Ich war Pfarrer in der Landgemeinde     beim Besuch einer höheren Schule und
     Jayaque in El Salvador geworden. P. Ignacio    beim Studium zu unterstützen. Wir starte-
     Martín-Baró SJ, mein Vorgänger, war einer      ten mit vier jungen Frauen, die in einer klei-
     der sechs Jesuiten, die am 16. November        nen Wohngemeinschaft zusammenlebten.
     1989 zusammen mit zwei Frauen von Sol-         Inzwischen sind es schon mehrere Hunder-
     daten der Armee brutal ermordet wurden.        te, die als Berufstätige aus diesem Projekt
     Sie wurden umgebracht, weil sie sich in dem    hervorgegangen sind. Patricia ist Psycholo-
     kleinen zentralamerikanischen Land für Frie-   gin, Hugo ist Arzt, Betty Krankenschwes-
     den und Gerechtigkeit eingesetzt hatten.       ter, Antonio Rechtsanwalt. Die Kenntnisse
                                                    von Antonio wurden besonders wichtig, als
     „Erziehe das Volk“                             2001 zwei schwere Erdbeben El Salvador
     Wo also ansetzen? Mir kam eine chinesische     heimsuchten. Über 1.000 Menschen star-
     Weisheit in den Sinn: Wenn Du ein Jahr         ben. In Jayaque waren die meisten Häuser

26 jesuitenweltweit
El Salvador

zerstört. Mit Hilfe der Missionsprokur und
der Universität der Jesuiten starteten wir ein
Wiederaufbauprojekt. 260 Häuser konnten
neu gebaut werden. Eine Voraussetzung war
die Klärung der Rechtstitel der Grundstü-
cke. Hier stand uns Antonio zur Seite.

Zwei kleine Wunder
Ein kleines Wunder ist, dass das Projekt in
Eigenverantwortung und selbstverwaltet
funktioniert. Wöchentlich treffen sich die
jungen Leute, beginnen mit einem Gebet,
tauschen sich über ihre Erfolge und Schwie-
rigkeiten aus und behandeln ein Thema aus
der politischen oder sozialen Wirklichkeit El
Salvadors. Und ein anderes Wunder: bis jetzt
ist immer das notwendige Geld zusammen-
gekommen, um das Projekt weiterzuführen.
Unterstützung kommt von meiner Familie,          Gedenkstein für die 1989 ermordeten Jesuiten. Pater Maier
von einer Partnergemeinde in Gersthofen          mit Stipendiaten (links). Spendencode: X73110 Jayaque
und von Freunden. Geld, das ich mit Vorträ-
gen, Artikeln und Büchern im Zusammen-           Opfer von Mord und Totschlag wie in den
hang mit El Salvador bekomme, fließt eben-       Jahren des Bürgerkriegs. Im Jahr 2018 wur-
falls auf mein Spendenkonto in Nürnberg.         den 3.340 Menschen getötet. Damit wur-
Ich bin jährlich in El Salvador und unterrich-   den 91 von 100.000 Menschen zu Opfern
te Theologie an der Zentralamerikanischen        von Gewaltverbrechen. Das ist eine der
Universität. Am meisten freue ich mich auf       höchsten Raten in ganz Lateinamerika.
das Treffen mit der Stipendiengruppe. Ich        Hinter diesen Zahlen steht das Problem der
nehme mir einen Tag Zeit für einen Ausflug,      Jugendbanden, der sogenannten „maras“,
an dem auch die Familienangehörigen teil-        auf deren Konto zwei Drittel aller Mordta-
nehmen. Besonders gerne gehen wir in einen       ten gehen. Die bisherigen Regierungen ver-
Naturpark mit Namen Caluco. Im vergange-         suchten, dem Problem der Gewalt mit „har-
nen August waren wir 54. Inmitten der tro-       ter Hand“, dann mit „superharter Hand“ zu
pischen Vegetation feiern wir heilige Messe.     begegnen. Die tieferliegenden Gründe sind
Dann baden wir in einem Fluss und teilen         aber nach wie vor die extremen sozialen
das von allen mitgebrachte Essen.                Gegensätze und die fehlenden Perspektiven
                                                 für junge Menschen. Das treibt viele in die
Ein anderes El Salvador ist möglich              Jugendbanden. Da bietet unser Stipendien-
Nach meiner inzwischen dreißigjähren             projekt eine wirkliche Alternative. Es zeigt:
Geschichte mit El Salvador frage ich mich        Wenn junge Menschen sich zusammen-
manchmal, was sich in diesem Land zum            schließen und gefördert werden, dann ist
Besseren gewendet hat. Beängstigend ist vor      ein anderes El Salvador möglich.
allem das Ausmaß der Gewalt. So werden
heute mindestens ebenso viele Menschen                                              Martin Maier SJ

                                                                                       jesuitenweltweit 27
Jesuit Volunteers

weltbegeistert

                                   Eindrücke aus Kambodscha
6067894_JV-Postkarte.indd 2                                      14.12.15 13:19

                       Zwei unserer Freiwilligen sind in Kambodscha in unterschiedliche Projekte ein-
                       gebunden. Sie erzählen, was sie aktuell bewegt.

                       M
                                  ittlerweile lebe und arbeite ich         wachsenen ändert sich nach und nach das
                                  bereits ein halbes Jahr in Croap,        Bewusstsein: Am Markt wird mittlerweile
                                  einem ländlichen Projekt im              mit viel weniger Plastik eingekauft, Becher
                       Westen Kambodschas. Meine zwei großen               und Strohhalme sind aus Bambus und unse-
                       Arbeitsgebiete sind die Schule bzw. der             re Frauengruppe im Projekt hat viele Ideen,
                       Kindergarten und der Versuch, das Projekt           wie man Deko aus Naturmaterialien selbst
                       ein wenig nachhaltiger zu gestalten. Umso           herstellen kann. Es sind zwar kleine Schritte,
                       schöner ist es für mich, dass sich diese zwei       aber sie gehen in die richtige Richtung.
                       Gebiete immer näherkommen. So sammeln
                       wir einmal in der Woche gemeinsam mit den           Meine zweite Familie
                       Schülerinnen und Schülern Müll ein, spre-           Ich habe gelernt, noch mehr die kleinen
                       chen mit ihnen über Plastik und Alternati-          Dinge wertzuschätzen – bei der Arbeit, aber
                       ven und versuchen, ihnen einen achtsamen            auch beim Zwischenmenschlichen. Was das
                       Umgang mit der Natur vorzuleben.                    angeht, kann ich von ganzem Herzen sagen,
                                                                           dass ich hier eine zweite Familie gefunden
                       Dose im Mistkübel                                   habe. Ob es meine Mitbewohnerinnen sind,
                       Es bereitet mir große Freude, dass die Kin-         mit denen ich lange Gespräche führe und viel
                       der nach und nach ein Bewusstsein für Um-           lache, die anderen Mitarbeiter und Mitarbei-
                       weltschutz bekommen. Vor ein paar Wo-               terinnen, mit denen ich beim Essen scherze
                       chen hat eine meiner Schülerinnen, als wir          oder abends tanze, oder aber die Kinder, die,
                       durch den Wald gewandert sind, eine Dose            sobald sie mich sehen, mit offenen Armen auf
                       hochgehoben und in den nächsten Mistkü-             mich zugelaufen kommen. Ich bin als Fremde
                       bel geschmissen und das, obwohl wir gerade          gekommen und wurde wie selbstverständlich
                       eigentlich nicht Müll eingesammelt haben.           aufgenommen. Ich habe gelernt, wo eine ge-
                       Das hat mich sehr berührt. Einfach, weil es         meinsame Sprache wichtig ist und wo auch
                       zeigt, dass meine Arbeit hier anfängt, klei-        einfach nur gemeinsam Tanzen ausreicht, um
                       ne Früchte zu tragen. Noch schöner ist es,          sich zu verständigen, egal woher man kommt.
                       dass die Kinder die alten Verhaltensmuster
                       anfangen zu hinterfragen. Auch bei den Er-                 Benedicta Opis (18) stammt aus Graz

         28 jesuitenweltweit
Jesuit Volunteers

W
             enn ich auf den Schulhof der
             Grundschule komme, um mei-
             ne nächste Klasse zum Sport-
unterricht abzuholen, erwarten mich jeden
Tag strahlende Kinderaugen. Seit fast vier
Monaten arbeite ich nun schon als Lehrer
in der Xavier Jesuit School und was ich am
meisten an meiner Arbeit schätze, ist die un-
erschöpfliche Energie der Kinder. Als Mitte
Oktober das neue Schuljahr begann, war ich
bereits einen Monat im Land, um die kam-
bodschanische Sprache zu lernen und mei-
nen Unterricht vorzubereiten. Trotzdem war
ich vor meinen ersten Stunden ziemlich auf-
geregt. In den Ferien hatte ich jede Spieler-
klärung für die ersten Wochen Satz für Satz
mit meinem Lehrer aus dem Englischen ins                       Das Glück der Kinder
Khmer übersetzt und diese dann Wort für                        Nach einigen Wochen waren die vier mor-
Wort aus meinem Notizbuch vorgelesen.                          gendlichen Sportstunden von 7 bis 11 Uhr
Aber ich merkte schnell, dass meine Sorgen                     fester Alltag und ich begann meine Woche
unberechtigt waren, denn die Kinder kamen                      mit weiteren Aktivitäten zu füllen. Mit den
offen auf mich zu und schon bald wurde ich                     Internatsschülerinnen und -schülern begann
immer wieder gefragt, wann wir denn wie-                       ich nachmittags Karate und Badminton zu
der Unterricht haben. Auch mein Khmer                          trainieren oder joggen zu gehen. Ende No-
wurde schnell sicherer, denn Kinder sind                       vember begann zudem das Scout-Programm,
mit Abstand die besten Lehrerinnen und                         eine noch recht kleine Jugendgruppe, die vor
Lehrer und mein Notizbuch ließ ich schon                       einigen Jahren von der Schule initiiert wur-
bald auf meinem Schreibtisch liegen.                           de. Wie schon im Sportunterricht faszinierte
                                                               mich die große Energie und die unschuldige
                                                               Freude, die die Kinder jeden Tag ausstrahlen.
                                                               Doch erst nach einiger Zeit verstand ich, wa-
                                                               rum Kinder so viel glücklicher als die meis-
                                                               ten Erwachsenen sind: Sie bereuen nicht die
                                                               Fehler ihrer Vergangenheit oder planen weit
                                                               in ihre Zukunft. Viel mehr leben sie im Mo-
                                                               ment, sie genießen jeden Tag aufs Neue und
                                                               gehen mit offenen Augen durch die Welt.
                                                               Spätestens nach der Highschool muss man
                                                               sich diesen Luxus hart erkämpfen. Trotzdem
                                                               will ich mir die strahlenden Augen meiner
                                                               Schüler und Schülerinnen zum Vorbild neh-
                                                               men und so oft es geht den Moment wert-
                                                               schätzen und feiern.
Jugendgruppe und Sportunterricht (oben) an der Xavier
Jesuit School. Mitarbeit auf dem Reisfeld bei Croap (links).         Matthias Wind (19) kommt aus Berlin

                                                                                             jesuitenweltweit 29
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