Ostern 2020 - Jesuitenmission
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Editorial Liebe Leserinnen und Leser! „Glück bedeutet nicht, viel Reichtum zu haben oder in einer Situation zu leben, in der einem es an nichts mangelt. Das ist nicht das Glück. Es gibt Leute, die sehr viel gelitten haben, durch materielle Armut und durch Diskriminierung. Aber es gibt etwas, was man uns nicht nehmen kann: die Lust am Leben. Und ich glaube, das ist etwas, das auch Pater Alfred Welker hier erfahren hat. Die Freude trotz des Leides. Wir haben diese Freude.“ Diese Worte stammen von Maria Guerrero, die sie auf dem Titelbild sehen. Sie ist Afroko- lumbianerin, lebt im Stadtteil Aguablanca, der lange einer der schlimmsten Slums in Cali war. Sie kennt Armut, Leid und Diskriminierung aus eigener Erfahrung. Aber wer sie trifft, spürt genau diese Würde, Lebensfreude und Stärke, die auch aus ihren Worten spricht. Mit unserem Artikel über Aguablanca verbinden wir die Bitte, über Ausbildungsstipendien die Jugend zu stärken. Mit viel Begeisterung, Freude und Hoffnung ist von Millionen Simbabwern der Tag ihrer Unabhängigkeit vor vierzig Jahren gefeiert worden. Von der damaligen Aufbruchsstim- mung ist heute nicht mehr viel zu spüren. Simbabwe ist eines der Länder, dem wir als Jesu- iten weltweit seit Jahrzehnten eng verbunden sind. Durch unsere alten Missionare, durch viele Projekte und Partner vor Ort. Auch in Simbabwe liegen Lebensfreude und Leid oft so nah beieinander. Abermals drohen schlechte Ernte und Hunger. Und immer noch ist unsicher, was die politische und wirtschaftliche Zukunft bringen wird. „Handelt!“ – Diesen Appell gibt Jörg Alt SJ seinem neuen Buch als Titel. Es könnte zu- gleich das Motto unserer Osterausgabe sein: Lassen wir uns nicht von Armut und Not niederdrücken, glauben wir an die Lebensfreude und die Auferstehung, lassen Sie uns gemeinsam handeln! Ihre Klaus Väthröder SJ Mag. Katrin Morales Missionsprokurator Geschäftsführerin in Wien 2 jesuitenweltweit
Hilfe für Ostafrika Inhalt 04 Unsichtbare Grenzen Alltag im kolumbianischen Stadtteil Aguablanca 11 Unsere Spendenbitte für Cali Unterstützen Sie die Ausbildung von Jugendlichen 12 40 Jahre Unabhängigkeit Stimmen, Gedanken und Eindrücke aus Simbabwe 16 Bildung in Unsicherheit und Kälte Anna Schenck CJ unterstützt den JRS im Libanon 18 Straße der Hoffnung Titel Kolumbien: Eine Meditation von Joe Übelmesser SJ Maria Guerrero im Kindergarten in El Retiro/Cali 20 „Handelt!“ Interview mit Jörg Alt SJ über sein neues Buch Rücktitel Libanon: Prekäre Lebenssituation für syrische Flüchtlinge 22 Europas Abgrund Sara Gratt hat ELIJAH in Rumänien besucht 26 Hoffnung für El Salvador Martin Maier SJ erzählt von seinem Stipendienprojekt 28 Eindrücke aus Kambodscha Benedicta Opis und Matthias Wind über ihren JV-Einsatz 30 »Sie halfen mir, Regenbögen zu malen« Stan Fernandes SJ blickt dankbar auf seinen Lebensweg 32 weltweit notiert Nachrichten, Aktion, Termine, Impressum jesuitenweltweit 3
Venezuela Unsichtbare Grenzen Gewalt, Drogen, Jugendbanden: Aguablanca in der kolumbianischen Metropole Cali hat keinen guten Ruf. Doch wer sich wie Pater Alfred Welker vor vierzig Jahren auf das Leben dort einlässt, kann etwas verändern. E s ist einfach eine Straße. Zwar nicht friedliches Treiben. Eine ganz normale Straße geteert, was hier im Viertel nichts in El Retiro. Und trotzdem viel mehr als nur Ungewöhnliches ist. Die Häuser am eine Straße. Denn an der nächsten Ecke ver- Straßenrand sind großenteils unverputzt, aber läuft eine der „fronteras invisibles“ – eine der gemauert und viele sogar zweistöckig. Kleine unsichtbaren Grenzen, die das Leben in Calis Läden und mobile Verkaufsstände haben ihre Stadtteil Aguablanca vor allem für Jugendli- Waren ausgebreitet. Es herrscht ein reges und che so schwierig und gefährlich machen. jesuitenweltweit 5
Kolumbien Tödliche Bandenkriege Im Kanu auf überschwemmten Wegen „Natürlich sieht man diese Grenzen „El Retiro und El Vergel sind als erste Vier- nicht“, erklärt Sandra Rodríguez, die hier tel von Aguablanca entstanden“, erinnert aufgewachsen ist. „Sie können sich auch sich Maria Guerrero an die damalige Zeit. verschieben, sie sind nicht fest. Aber alle „Und bei heftigem Regen versank jedes Mal Jugendlichen wissen, dass sie existieren. alles im Wasser, die Hütten, die Wege, ein- Und wer sie nicht beachtet, läuft Gefahr, fach alles. Denn es gab hier damals nichts: in einen Bandenkrieg hineingezogen und keine Kanalisation, kein Trinkwasser, kei- im schlimmsten Fall erschossen zu wer- nen Strom, rein gar nichts. Es war einfach den.“ Die unsichtbaren Grenzen markieren fürchterlich, ganz schrecklich.“ In den Ge- Macht- und Einflussbereiche verschiedener sichtszügen von Doña Maria verbinden sich Jugendbanden. Es kann dann reichen, aus Leid und Schmerz mit Güte und Freude. Sie dem falschen Sektor eines Viertels zu kom- hat trotz eines Lebens mit vielen Schicksals- men, um als Gegner zu gelten. Das Büro schlägen weder den Mut noch den Glauben der Vereinten Nationen für Drogen- und an Gott und die Menschen aufgegeben. Án- Verbrechensbekämpfung (UNDOC) hat gel Asprilla, der ebenfalls seit Jahrzehnten gemeinsam mit der Stadtverwaltung im im Viertel lebt und von Anfang an als „líder Herbst 2019 eine Studie präsentiert, der comunitario“ Verantwortung für die Nach- zufolge es 182 kriminelle Gruppen, Banden barschaft übernommen hat, fügt lachend und Netzwerke in Cali gibt, die für Morde, hinzu: „Während der Überschwemmungen Diebstähle, Erpressungen und Drogenhan- haben wir uns damals im Kanu in El Reti- del in der kolumbianischen Metropole ver- ro fortbewegt.“ Die Generation von Maria antwortlich sind. Rund 80% dieser Grup- Guerrero und Ángel Asprilla hatte eine gro- pen konzentrieren sich auf zwei Distrikte: ße Hoffnung, für die sie viel gegeben haben: Siloé am westlichen Stadtrand und Agua dass ihre Kinder und Enkelkinder in Agua blanca im Osten von Cali. blanca einmal ein besseres Leben haben wür- den. Ein Leben mit Bildung, Perspektiven, Diskriminierung und Misstrauen Arbeit und heilen Familien. Ein Leben ohne Entstanden ist Aguablanca in den 1970er Diskriminierung, Kriminalität, Drogen, und 80er Jahren als sogenannte „invasión“, viel zu frühe Tode, viel zu frühe Schwanger- als informelle Siedlung auf unbebautem schaften, zerbrochene Beziehungen. Land am Stadtrand. Vertrieben durch Bür- gerkrieg, Gewalt und Terror durch Militär, Aufschwung in Cali Guerilla und Paramilitär sind damals viele Und Cali hat einen Aufschwung erlebt in afrokolumbianische Familien aus der Pa- den letzten Jahren. Es ist nicht mehr in der zifikregion nach Cali geflohen. Die meis- Hand des gleichnamigen Drogenkartells, ten hatten vorher von der eigenen kleinen das in den 1980er Jahren den Großteil Landwirtschaft gelebt und mit dem Verlust des Kokainexportes aus Kolumbien ver- von Feld und Haus blieb ihnen nichts ande- antwortete. Cali mit seinen mehr als zwei res, als in Armut und Elend neu zu begin- Millionen Einwohnern hat sich zu einer nen. Hilfe vom Staat gab es keine und als lebenswerten Stadt entwickelt, hat ein gut Afrokolumbianer stießen sie in etablierten funktionierendes System öffentlicher Bus- weißen Vierteln auf Diskriminierung und se, anerkannte Universitäten, florierende Misstrauen. Wirtschaftszweige, schöne Ecken mit klei- 6 jesuitenweltweit
Kolumbien Szenen aus den Vierteln El Retiro und El Vergel. Jubel und Trubel im Schulbus. Ein Bild aus alten Tagen in Cali mit P. Alfred Welker SJ (links) und dem damaligen Missionsprokurator P. Joe Übelmesser SJ (rechts). jesuitenweltweit 7
Kolumbien Radikal und unbeugsam Einer, der bereits vor vierzig Jahren be- gonnen hat, gegen diese Stigmatisierung zu kämpfen, ist Pater Alfred Welker. Der deutsche Jesuit kam 1981 nach Aguablan- ca, entschied sich, mit den Menschen un- ter den gleichen elenden Bedingungen zu leben, und packte überall dort an, wo es bis dahin an allem gefehlt hatte: Kanalisation, Kindergarten, Schule, Kirche, Gesundheit. Padre Alfredo, wie er im Viertel, im Barrio, genannt wurde, war „ein Meister der Opti- on für die Armen“. So beschreibt es Micha- el Kuhnert, ein enger Weggefährte. „Seine Maria Guerrero hat Padre Alfredo 1983 kennengelernt und erste Behausung war – jahrelang – ein Ver- ist seitdem in die Sozialarbeit involviert. hau mit Ratten und Kakerlaken, ehe er sie mit einem Minipfarrhaus aus Eternitplat- nen Restaurants, eine lebendige Kunst- und ten tauschte. Er war eine Zumutung: Nicht Kulturszene. Aber von alledem profitiert nur, weil er sein Gebiss gerne ins Bierglas Aguablanca wenig. Viele Taxifahrer lehnen anderer warf. Nicht nur, weil seine Rusti- es noch immer ab, ihre Fahrgäste in die kalität manchmal verletzen konnte und mir Viertel El Retiro oder El Vergel zu bringen bisweilen zu viel war. Sondern vor allem – aus Angst vor Überfällen. Marcela, die seit auch deswegen, weil seine Sicht der Dinge über fünf Jahren die Sozialprojekte der ko- manchmal so dermaßen unbequem war und lumbianischen Familienstiftung Fundación er durch die Art, wie radikal er lebte, wie Carvajal in Aguablanca koordiniert, erzählt: das personifizierte schlechte Gewissen war. „Fast alle meine Freunde erklären mich für Aber er war eine heilsame Zumutung. Er verrückt, dass ich hier arbeite. Das sei doch war unbeugsam. Er machte immer weiter, viel zu gefährlich!“ mit Angst und ohne Angst. Es war so un- glaublich, diese nächtlichen Schießereien, Kein Zugang zum Arbeitsmarkt diese absurden Tode, diese obszöne Gewalt Aguablanca hat in Cali einen festen Ruf, der und Menschenverachtung, diese Brutalität. dazu beiträgt, den Teufelskreis von Perspek- Die Kapuzenmänner, die nachts durchs tivlosigkeit, Armut und Gewalt weiter zu Barrio schlichen und Kleinkriminelle und zementieren. Winston Mosquera, langjäh- 14-,15-jährige Jungs, die Drogenprobleme riger Pfarrer in El Retiro, gibt ein Beispiel: hatten, über den Haufen schossen.“ „Wenn ein Jugendlicher sich auf einen Job bewirbt, wird ihm freundlich gesagt, dass Verzehrt wie eine Kerze sie sich seinen Lebenslauf ansehen und ihn Wer heute in El Retiro und El Vergel nach anrufen werden. Aber das wird nicht ge- Padre Alfredo fragt, stößt bei vielen auf ein schehen. Sie stellen ihn nicht ein, weil sie strahlendes Lächeln voller Dankbarkeit. sehen, dass er aus Aguablanca kommt. Das „Das Viertel müsste nach ihm benannt wer- ist auf dem Arbeitsmarkt ein Stigma. Unse- den“, betont Valentín Hurtado Vallecilla, re Jugendlichen hier sind stigmatisiert.“ der aufgrund von Alter und Zahnlosigkeit 8 jesuitenweltweit
Kolumbien nicht leicht zu verstehen ist, „Barrio Alfred erklärt Winston Mosquera. „Die Mehrheit Welker. Er hätte es verdient. Er war ein En- der Jugendlichen will nicht kriminell wer- gel, den Gott uns gesandt hat.“ Der rup- den oder an Drogen geraten, sie wollen vor- pige und unbequeme Pater, der 2011 we- wärtskommen.“ Neben dem Aufbau von gen fortschreitender Demenz zurück nach Strukturen wie Kindergarten, Grund- und Deutschland musste und Ende 2015 ge- Sekundarschulen, Gesundheitsposten sowie storben ist, wird in seinem alten Wirkungs- politischer Einflussnahme, um die städti- bereich noch immer heiß und innig geliebt sche Verantwortung für die Entwicklung und wie ein Heiliger verehrt. „Er hat sich des Viertels einzufordern, hat Padre Alfre- wie eine Kerze für uns verzehrt“, sagt Doña do viele Jugendliche und Erwachsene auf Maria, „das Leben hier ist so, dass ein Jahr individueller Basis gefördert, um ihnen den doppelt zählt, man altert schneller.“ Alle im Schulabschluss, eine Arbeitsstelle, eine Aus- Viertel, die Padre Alfredo kannten, erzählen bildung oder ein Studium zu ermöglichen. Geschichten von ihm oder zitieren einen Er hat an sie geglaubt – trotz Widerstän- seiner markigen Sprüche. Er ist präsent im den und manchmal sogar gegen ihre eigene Leben der Leute, weil er ihr Leben geteilt Selbsteinschätzung. Damit hat er etwas be- und verändert hat. wegt im Herzen der Menschen. Doña Ma- ria hat das in ihrem eigenen Leben erfah- Ein tiefer Schmerz in der Seele ren: „Ich kam damals mit einem so tiefen „Der Pater hat den jungen Leuten die Au- Schmerz in meiner Seele zum Pater, wegen gen dafür geöffnet, dass sie weiterkommen der Krankheit meines Sohnes. Er hat mir können, dass es mehr gibt als das, was sie klargemacht, dass Gott den Menschen nur in ihrem engen Umfeld im Barrio sehen“, eine Last zumutet, die sie tragen können. Für Jugendliche in Aguablanca ist es nicht leicht, sich den Bedrohungen und Gefahren des Stadtteils zu entziehen. jesuitenweltweit 9
Kolumbien ses Stipendienprogramm ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, 30 Jugendliche sind im aktuellen Jahrgang. Die von Sale- sianern geleitete Einrichtung bietet ganz verschiedene Ausbildungszweige: Autome- chanik, Industrieelektrik, Industrieschlos- serei, Koch, Friseur, Kosmetik, Schneiderei, Schreinerei, Buchhaltung, Personalwesen, Betriebswirtschaft, Informatik, Grafikde- sign. Die Werkstätten und Workshops sind exzellent ausgestattet, in einer institutsei- genen Mensa mit Cateringbetrieb sowie einem selbstorganisierten Laden setzen die Auszubildenden das Gelernte direkt in die Praxis um. Über sechsmonatige Praktika Johan Rios Perez ist einer unserer Stipendiaten und macht nach dem einjährigen Ausbildungskurs be- eine Ausbildung zum Automechaniker. kommen die Jugendlichen gute Grundla- gen und Kontakte für einen Berufseinstieg. Dass wir die Kraft haben und Wege finden Neben dem fachlichen Wissen setzt das können, damit umzugehen. Ohne die Hilfe Zentrum auch auf Allgemeinbildung und des Paters hätten wir nie herausgefunden, Persönlichkeitsentfaltung, über psychosozi- woran mein Sohn litt und wie ich ihm hel- ale Begleitung erhalten die Jugendlichen auf fen konnte. Einer der stärksten Werte, die sie zugeschnittene individuelle Unterstüt- der Pater hier gesät hat, ist, dass wir uns be- zung, die auch immer die Familiensituation fähigen müssen, uns weiterbilden können. im Blick hat. Mich selbst hat er damals ermutigt, ein Lehramtstudium zu beginnen.“ Kampf für Träume „Wir kämpfen dafür, dass die Träume der Systematische Ausbildungschancen Jugendlichen wahrwerden“, sagt Sandra Was Padre Alfredo auf einer persönlichen Rodríguez, die im Ausbildungszentrum ar- Ebene geleistet hat, geht das Ausbildungs- beitet. Sie ist eine der ehemaligen Jugendli- zentrum „Centro de Capacitación Don chen, die Padre Alfredo gefördert hat. Auch Bosco“ systematisch an. Der Gebäude- andere Dozenten haben den Kindergarten komplex mitten in Aguablanca hat einen und die Schulen in El Retiro durchlaufen. großzügigen Innenhof mit Grünflächen, Sie haben es geschafft, die unsichtbaren Bäumen und Sportplatz. Das Zentrum liegt Grenzen zu überschreiten, sich von ihnen direkt neben dem Colegio El Diamante, nicht einengen und beschränken zu lassen. der öffentlichen Schule, zu der jetzt auch Dazu gehören Mut und das Vertrauen, es die von Padre Alfredo gegründeten Schu- schaffen zu können. Beides hat Padre Alfredo len gehören. Seit 2017 fördern wir hier so vielen im Viertel vermittelt. Über das Sti- über Stipendien die Berufsausbildung von pendienprogramm machen wir in seinem Jugendlichen der beiden Barrios El Retiro Sinne weiter. und El Vergel. Mehr als 90 junge Männer und Frauen haben mittlerweile über die- Judith Behnen 10 jesuitenweltweit
jesuitenweltweit Kirgistan Unsere Bitte für Cali Selbstbewusst und optimistisch posieren die beiden Jugendlichen vor der Kamera. Sie gehen in die von Pater Alfred Welker gegründete Schule. Vielleicht erinnern Sie sich noch an Ihre eigenen Teenagerjahre? Es ist ein Alter, in dem Weichen gestellt werden, man zwischen Unsicherheit und Selbstüberschätzung schwankt, Zukunftswünsche und Be- rufsträume hat, glaubt, die Welt mit allen ihren Möglichkeiten stehe einem offen. Es ist das Alter, in dem Mädchen und Jungen in Aguablanca oft zum ersten Mal sehr bewusst erleben, dass ihre Träume auf viele unsichtbare Grenzen stoßen. Und das ist eine tiefe Frustration, die leicht in die falsche Richtung führen kann – hinein in Jugendbanden mit allen traurigen Konsequenzen. Helfen Sie mit, dass sich mit dem Schulabschluss stattdessen neue Möglichkeiten für Ju- gendliche in Aguablanca öffnen. Das 18-monatige Ausbildungsprogramm ist eine solche Chance: Die Kosten für Ausbildung, Unterrichtsmaterial, Mittagessen, Praktika und Be- gleitung betragen pro Person insgesamt 2.700 Euro. Lassen Sie uns mit vereinten Kräften die Mittel für 30 Stipendien zusammenbekommen. Spendenkonto Österreich Von Herzen danke ich Ihnen für Ihre Spende! IBAN: AT94 2011 1822 5344 0000 Spendenkonto Deutschland Klaus Väthröder SJ IBAN: DE61 7509 0300 0005 1155 82 Missionsprokurator Stichwort: X31201 Cali Ausbildung jesuitenweltweit 11
Sambia 40 Jahre Unabhängigkeit Simbabwe begeht am 18. April den 40. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Wir haben drei unserer Projektpartner nach ihren Erinnerungen und Gedanken zu diesem Tag gefragt: Pater Wermter, Schwester Tendai und Pater Johnson. A ls bei der Unabhängigkeitsfeier am wirken. Da war ein neuer Geist! Aber es gab 18. April 1980 die neue Staats- auch böse Geister. Habsucht verführte dazu, flagge des nun freien Simbabwe Besitz, Reichtum und Macht anzustreben, hochging, war die Freude und Begeisterung aber Versöhnung und Frieden und gegen- groß. Der Buschkrieg von 1972 bis 1980 seitige Achtung zwischen den Volksgruppen hatte zwischen 40-60.000 Menschen das zu vergessen. Das führte zu einem erneuten Leben gekostet. Nun sollte kein Blut mehr Krieg im Südwesten des Landes, zwischen der vergossen werden, mit dem Rassismus zwi- Regierung und den rebellierenden Matabele. schen Schwarz und Weiß sollte es zu Ende Wenigstens 20.000 Dorfbewohner kamen sein, die Hoffnungen waren groß auf ein ums Leben. besseres Leben. Beginn der Auswanderungswelle Segen für das neue Land Eine sozialistische Wirtschaftsordnung Erzbischof Patrick Chakaipa hatte den Segen sollte Wohlstand bringen. Aber es kam für das neue Land gesprochen; und auch das anders. Der junge Staat gab mehr aus als Verhältnis zwischen dem neuen Staat und der er produzieren konnte. Der Internationale Kirche war nun besser: Die Kirche machte Währungsfonds zwang das Land zu einer die größten Anstrengungen, die Buschkrieger, strikten Sparpolitik: kapitalistische Medi- darunter auch Frauen, wieder in das normale zin für eine marxistische Pleite. Die neuen Leben zu integrieren. Schulen, Krankenhäu- Schulen und Hochschulen bildeten zahllo- ser und Kirchen, im Krieg zerstört, wurden se junge Leute aus, für die der Markt aber wieder aufgebaut. Schulkinder gingen wieder keine Arbeit hatte. Die Auswanderungswel- in die Schule, neue Schulen wurden eröffnet, le begann, zu dem Nachbarn im Süden und und Lehrer aus dem Ausland kamen zu Hilfe. nach Übersee. Nach 20 Jahren erhoben sich Der neue Präsident lud alle dazu ein, bei der neue Parteien gegen die Regierung. Die Versöhnung und dem Wiederaufbau mitzu- Kriegsveteranen verlangten nach Land, eins 12 jesuitenweltweit
Hilfe für Ostafrika der Kriegsziele, das noch nicht erreicht war. der Wahrheit der grausamen Vergangenheit Die Großfarmen der weißen Einwanderer zu stellen und Versöhnung zu bringen, sind wurden besetzt, beraubt und zerstört. Ar- große Aufgaben für Christen. beitslose hungerten. Oskar Wermter SJ Versöhnung braucht Wahrheit Doch die Arbeit der Kirche blühte. Neue Vierzig verlorene Jahre Bistümer wurden gegründet, und die Zahl Der Befreiungskrieg in Simbabwe war eine der einheimischen Priester wuchs. Die Missi- schreckliche Erfahrung: Viele Menschen onare, z.B. aus Deutschland und Irland, sind starben oder wurden aus ihren Häusern ver- jetzt die letzten ihrer Art. Gewalt, Morden trieben und flohen. Die Menschen lebten und Blutvergießen sind weiterhin Werkzeuge in Angst. Aber es war auch eine Zeit voller einer brutalen Machtpolitik. Soldaten wer- Hoffnung auf ein besseres Simbabwe. Die den gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Unabhängigkeit 1980 öffnete uns viele Tü- Es wird scharf geschossen. Die Kirche ar- ren. Auf einmal wurde der Zugang zu Bil- beitet für „Gerechtigkeit und Frieden“. Sich dung für alle einfacher gemacht. Es war eine Freude zu sehen, dass Krankenhäuser und Schulen offen waren für Menschen jeder Hautfarbe. Viele Kliniken wurden eröffnet. Ich erinnere mich, wie stolz ich bei Aus- landsreisen war, mich als Simbabwerin zu identifizieren. Mein erster Schock kam in den frühen 1980er Jahren, als wir von „Dis- sidenten“ im Matebeleland hörten. Leider waren die einzigen Informationsquellen der nationale Radio- und Fernsehsender. Als diese Nachrichten ausgestrahlt wur- den, fragte ich mich, warum jemand gegen unsere neugewonnene Unabhängigkeit re- P. Oskar Wermter SJ. Oben: Jubelnde Befreiungskrieger am 18. bellieren sollte? Erst Jahre später erfuhren April 1980. Präsident Mugabe 2006 bei einer Bischofsweihe. wir, dass es sich um Propaganda handelte. jesuitenweltweit 13
Hilfe für Ostafrika wir so produktiv sein könnten. Was für eine Verschwendung dieser 40 kostbaren Jahre. Sr. Tendai Makonese OP Mein Leben in Simbabwe Das erste Mal kam ich 1972 nach Simbab- we, noch bevor ich als Priester ordiniert wurde. Zu dieser Zeit hieß das Land Rho- desien. Eine kleine weiße Minderheit hatte die Kontrolle über Städte und kommerziel- le Farmen. Die dunkelhäutige Bevölkerung Sr. Tendai ist Missionsdominikanerin und Medienexpertin. hatte nur ein unbedeutendes Mitsprache- recht. Es gab separate Bereiche, in denen In den 1990er Jahren ging es immer wei- Weiße und Schwarze leben, essen und ihren ter abwärts. Es war schwer zu glauben, dass Alltag verbringen durften. Fünf Jahre später dies die Menschen waren, an die wir so sehr kehrte ich in die gleiche Mission zurück, geglaubt hatten. aber es fühlte sich so an, als würde ich in ein anderes Land zurückkommen. Vier Reduziert zu ewigen Bettlern deutsche Dominikanerinnen und drei Jesu- Das neue Jahrtausend ist eine schmerzhafte iten aus Britannien und Irland waren sechs Ära. Die Wirtschaft geht zurück, die Freu- Monate zuvor erschossen worden. Der Un- de der Menschen verschwindet, viele Sim- abhängigkeitskampf der Guerilla hatte be- babwer verlassen das Land. Wahlen sind so gonnen. Nach meinem Terziat kehrte ich bedeutungslos geworden, weil sie, egal wie wieder zurück, aber nun in das neue, un- die Menschen abstimmten, keine Verände- abhängige Simbabwe. Robert Mugabe gab rung bringen. Die Menschen sind wieder eine großartige Rede, in der er für Frieden voller Angst und Misstrauen. Diesmal noch und Versöhnung eintrat – doch am Ende schlimmer als zuvor, denn nun basiert die seiner Rede war ein kurzer Satz, der damals Unterdrückung und Repression nicht mehr niemandem aufgefallen ist. Es war eine Zeit auf der Hautfarbe. Die Unabhängigkeit voller großer Hoffnungen und Fortschritt. Simbabwes ist eine Illusion. Ein Krebsge- Ländliche Schulen und die Gesundheitsver- schwür namens Korruption hat jede Faser sorgung wurden ausgebaut. unseres geliebten Landes erfasst. Tugenden wie Ehrlichkeit, Transparenz, Gerechtigkeit Ein kurzer Satz mit viel Macht und Aufrichtigkeit sind schwer zu finden. Innerhalb weniger Jahre begannen die Dinge Viele Menschen sind getauft, das ist wahr, schief zu laufen. Im Südwesten des Landes aber die Werte des Evangeliums zu leben plünderten einige ehemalige Ndebele-Sol- scheint eine große Herausforderung zu sein. daten Geschäfte und entführten Menschen. Das ist so schmerzhaft für mich und ich Die Volksgruppe der Ndebele hatte Mugabe denke, für viele Menschen. Ich bin mir nicht nie als ihren neuen Anführer anerkannt. Und sicher über die Früchte der Unabhängigkeit. dann realisierten wir zum ersten Mal, was die- Für mich gibt es nichts zu feiern. Sie haben ser kurze Satz am Ende seiner Rede bedeute- uns zu ewigen Bettlern reduziert, obwohl te: „… so lange ihr mich als euren Anführer 14 jesuitenweltweit
Simbabwe akzeptiert.“ Die Armee massakrierte 20.000 Ndebele. Zehn Jahre später hatten die Stu- denten mit der Korruption in der Regierung und der sich verschlechternden Wirtschaft zu kämpfen. Sehr bald griffen die Unruhen auf die Arbeiter in den Städten über, und in der Bevölkerung wuchs die Unterstützung für eine neue Oppositionspartei. Mugabe sah sich selbst verraten, zuerst von den Ndebele, jetzt von den Weißen und der schwarzen Stadtbe- völkerung. Wieder war die Reaktion skrupel- los. Die Weißen wurden von ihren Farmen geworfen, die Häuser vieler armer, städtischer Schwarzer zerstört, viele Oppositionelle getö- tet, gefoltert und ihre Häuser niedergebrannt. P. Nigel Johnson SJ leitet das Entwicklungsbüro der Jesuiten. Beten für eine bessere Zukunft nichts geändert. Wir kämpfen immer noch 2017 hat Robert Mugabe sein Amt nie- für die Schaffung eines freien, wohlhaben- dergelegt und ist mittlerweile verstorben. den und glücklichen Simbabwes. Wir beten Die ältere Generation erinnert sich noch immer noch für eine bessere Zukunft, und an seine befreiende Rolle vor 40 Jahren dafür, dass die jungen einheimischen Jesu- und lobt ihn, aber die jüngere Generati- iten den Kampf für Gerechtigkeit, Frieden on freut sich auf eine Zukunft ohne sei- und Versöhnung fortsetzen werden. nen Einfluss. Sein 78-jähriger Nachfolger verspricht Reformen, aber es hat sich noch Nigel Johnson SJ Afrika, der Chancen-Kontinent – im April erscheint ein Interviewbuch mit Pater Wermter. Mehr Infos: jesuitenmission.de jesuitenweltweit 15
Libanon Bildung in Unsicherheit und Kälte Einsatz gegen Armut, Gewalt und Unsicherheit: Schwester Anna Schenck von der Congregatio Jesu unterstützt den Flüchtlingsdienst der Jesuiten im Libanon. G ood morning, Sister Anna!“ – der bisherigen Regierung, sondern haben dieser Gruß der syrischen Kinder auch die wirtschaftliche Krise des Libanon schallt mir entgegen, wenn ich weiter verschärft. Arbeitslosigkeit und Le- eine der Klassen in der Telyani Schule in benshaltungskosten sind stark angestiegen, Bar Elias betrete. Im Rahmen meiner Vor- was die Lebenssituation der Libanesen und bereitung auf die Gelübde auf Lebenszeit auch der Syrer im Libanon zusätzlich er- lebe ich sechs Monate im Libanon in der schwert. So verwundert es nicht, dass die Bekaa-Ebene. Ein Großteil der über eine Zahl derjenigen, die sich für eine freiwillige Million syrischen Flüchtlinge im Libanon Rückkehr nach Syrien entscheiden, steigt, hat hier Zuflucht gefunden. Ich bin als eine Rückkehr in eine völlig ungesicherte Freiwillige in einer der Schulen eingesetzt, Situation. Denn auch in Syrien ist die wirt- die der Jesuitenflüchtlingsdienst (JRS) hier schaftliche Situation hoch problematisch, neben weiteren Bildungseinrichtungen und von der politischen Unsicherheit ganz zu Sozialzentren betreibt. Zwei Aspekte prä- schweigen. Dennoch verlassen immer wie- gen mich und meinen Einsatz ganz beson- der Kinder meine Schule, weil ihre Famili- ders: Zum einen die Massenproteste, die en nach Syrien zurückkehren – was mich im Oktober 2019, genau eine Woche nach stets sehr berührt. meiner Ankunft, begonnen haben, damit verbunden die schwierige politische und Zelte in Schlammwüsten wirtschaftliche Lage. Zum anderen die Le- Inzwischen sind die Straßensperren seltener benssituation der syrischen Kinder, denen und die Armee räumt diese auch schneller, ich täglich in der Schule begegnen darf. so können die Schulen an den meisten Ta- gen öffnen. Allerdings bleibt der tägliche Proteste und Straßensperren Blick aufs Handy, ob Schule ist oder nicht, Im Vorfeld meines Aufenthaltes im Liba- eine Unsicherheit, die sich auch spürbar auf non habe ich nicht damit gerechnet, dass die Schülerinnen und Schüler auswirkt. ich Zeugin von landesweiten und langan- Zugleich stellen diese unplanbaren Unter- haltenden Protesten werde. Jedoch haben brechungen auch für den Unterrichtsablauf die Straßensperren, die die Demonstranten und die Umsetzung des Lehrplans eine gro- als ein wesentliches Mittel des Protests lan- ße Herausforderung dar. Prägend für meine desweit errichtet haben, über mehrere Wo- Schule ist, dass sie nicht nur in unmittel- chen und danach immer wieder tageweise barer Nachbarschaft zu einer Zeltstadt sy- dazu geführt, dass die Schulen geschlossen rischer Flüchtlinge liegt, sondern auch alle bleiben mussten und das öffentliche Le- Schülerinnen und Schüler in Zelten leben ben weitgehend zum Erliegen kam. Die – und nicht etwa in Baracken oder gar Häu- Proteste führten nicht nur zum Rücktritt sern. Konkret bedeutet dies, dass die Famili- 16 jesuitenweltweit
Libanon en in einem größeren Zelt mit einer kleinen, angrenzenden Küche und in einfachsten hygienischen Verhältnissen wohnen – nicht nur einige Wochen, sondern seit Jahren. Der Winter mag hier nicht ganz so kalt sein wie in Deutschland, aber unter diesen Umstän- den fühlt er sich mindestens so kalt an. Der viele Regen der letzten Wochen hat die Gas- sen zwischen den Zelten zudem schnell in Schlammwüsten verwandelt. Belastungen für die Kinder Die größte Herausforderung sehe ich darin, dass die Kinder all die Probleme aus ihren Familien mit in die Schule bringen. Denn die Lebensumstände, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und oft auch Hoffnungslo- sigkeit lasten schwer auf ihnen, von Erfah- rungen im Krieg und auf der Flucht ganz zu schweigen. Häusliche Gewalt ist weit verbreitet, auch Kinderarbeit und Miss- brauch begegnen mir. Es gibt gesundheit- liche Probleme, aber auch einen Mangel an Struktur und Unterstützung beim Lernen. Darum beschäftigen alle Schulen des JRS eine Sozialarbeiterin – eine sehr sinnvolle Investition. Dennoch gibt es eine Vielzahl von Herausforderungen im Schulalltag: vom Herstellen von Ruhe und Aufmerk- samkeit über die großen Unterschiede im Alter und Leistungsniveau innerhalb der Klassen bis hin zu den einfachen Unter- richtsräumen. Ich bewundere die Lehre- rinnen und Lehrer, die sich dieser Aufgabe jeden Tag aufs Neue stellen. Aber auch mir sind die Kinder mit ihrer Herzlichkeit und Lebensfreude einfach ans Herz gewachsen. Sr. Anna Schenck CJ Schlammige Pfützen in einem Zeltcamp in Bar Elias (oben). Direktorin und Kinder der JRS-Schule (Mitte). Fladenbrote für den Schulsnack werden frisch gebacken (unten). jesuitenweltweit 17
Foto: Eines der letzten Fotos von P. Alfred Welker SJ in Cali/Kolumbien. Im Viertel El Retiro wird der 2015 gestorbene Padre Alfredo nach wie vor geliebt und als ein Heiliger gesehen. 18 jesuitenweltweit
Straße der Hoffnung „Eines Tages fiel ein Engel vom Himmel, der sah aus wie Johannes der Täufer.“ Valentin Hurtado Vallecilla Ja, er kam und er blieb und er hat sich eingelassen. Und er hat sich nicht abweisen lassen. Und mit ihm kam Hilfe und mit ihm kam Hoffnung. Dann ging er wieder. Er ist nicht mehr da. Doch er hat Spuren hinterlassen, weil er sich eingelassen hat. Und die Hoffnung ist geblieben. Sie wird auch bei uns bleiben zusammen mit der Erinnerung. Joe Übelmesser SJ jesuitenweltweit 19
„Handelt!“ Arm an Fußnoten, reich an Meinung und mitunter provokant: Der Titel des neuen Buches von Dr. Jörg Alt SJ kommt nicht von ungefähr. Wir sprachen mit ihm über sein bisher persönlichstes Buch. Jörg, mit „Handelt!“ appellierst du an Chris- rungsentwicklung betrifft, verweise ich auf ten und Kirchen, „die Zukunft zu retten“. die Gewissensentscheidung der Paare, die Wie sind die ersten Reaktionen? natürlich auch ihre finanziellen Mittel be- Sie decken die ganze Bandbreite ab, von posi- rücksichtigen müssen, was uns zum nächs- tiv bis ablehnend. Die meisten Kritiker ärgern ten Punkt bringt: In armen Ländern sind sich über meine Haltung zum Klimawandel, Kinder die Altersversicherung der Eltern. werfen mir vor, dass ich mich einseitig positio- Zudem: „Handelt!“ ist ein persönliches niere, und dass es ja auch Argumente gegen ei- Buch und ich vertrete darin meine persön- nen menschengemachten Klimawandel gäbe. liche Meinung. Das zweite große Kritikthema ist, dass gerade die Katholische Kirche mit ihrer Verhütungs- Nicht alle globalen Entscheider teilen deinen politik dazu beitrage, dass Überbevölkerung Imperativ des Handelns und Gegensteuerns. ein Überleben gefährde. Die Rede von Donald Trump auf dem Welt- wirtschaftsform in Davos im Januar lässt Also Kritik aus sehr unterschiedlichen Ecken. sich eher mit „Weiter so“ zusammenfassen… Wie konterst du jeweils? Mit Leuten wie Trump oder den Brexiteers Den einen entgegne ich, dass ich mich mit Boris Johnson und Nigel Farage können der Position der Gegner durchaus beschäf- wir keine problem-angemessene Politik tigt habe. Außerdem geht’s im Buch nicht machen. Nur mit der EU kann der System- nur um den Klimawandel, sondern all- wechsel gelingen. Weil es dort genug Bürger gemein um die Übernutzung natürlicher gibt, die die Notwendigkeit sehen und hier Ressourcen und das Absterben des natürli- aufgrund unserer immer noch halbwegs gut chen Lebensraums. Und was die Bevölke- funktionierenden Demokratie den nötigen 20 jesuitenweltweit
Profitgier, Umweltzerstörung und rasanter technischer Fort- schritt bedrohen unser Zusammenleben: Mit „Handelt!“ (Vier-Türme-Verlag, 180 S.) formuliert der Sozialwissen- schaftler Dr. Jörg Alt SJ einen flammenden „Appell an Chris- ten und Kirchen, die Zukunft zu retten“. Herzliche Einladung zum Podium mit Jörg Alt, „Fridays for Future“ und den Nürnberger OB-Kandidaten am 13. März sowie zur Buchpräsentation am 27. März in Nürnberg: jesuitenmission.de/Termine Druck erzeugen können. Europa muss die Wir leben im Moment in einer Situation, Probleme ernsthaft angehen, damit in eine die es in der Menschheitsgeschichte höchs- Vorreiterrolle kommen und ein moralisches tens ein-, zweimal gegeben hat, zuletzt beim Beispiel setzen. Übergang von der Agrar- zur Industriege- sellschaft. Eine solche Transformation wird Sind die EU-Bürger dazu bereit? nicht ohne Konflikte abgehen, zumal wir Wenn nur 3,5 Prozent der Bevölkerung unter akutem Zeitdruck stehen. Ich wür- nachhaltig mobilisiert werden können, ist de es mir natürlich wünschen, dass wir sie der nötige Druck da. Und zum Glück ori- vermeiden können. Auf der anderen Seite entieren sich ja auch in den USA nicht alle aber hat Papst Franziskus ja bereits gesagt, an Donald Trump. Man darf nicht vergessen, dass unser Wirtschaftssystem tötet, und wir dass beispielsweise mit dem Bundesstaat Ka- dürfen nicht übersehen, dass die gegenwär- lifornien eine der größten Volkswirtschaften tigen Wirtschaftsstrukturen Menschen und der Welt das Pariser Klimaabkommen als Umwelt Gewalt antun. Dagegen fällt doch verbindlich ansieht. nicht ins Gewicht, wenn einige Kids SUVs zerkratzen, die den Fahrradweg blockieren? Sind diese entscheidenden 3,5 Prozent nicht längst da? Etwa durch das Engagement von Du charakterisierst die Kirche als „Global Play- „Fridays for Future“, mit denen du ja in Nürn- er“, die mit der Katholischen Soziallehre das berg gemeinsame Aktionen startest? Rüstzeug hat, den Wandel mitvoranzutreiben. Natürlich haben die „Fridays for Future“ Die gegenwärtigen Diskussionen um Zölibat, schon einiges erreicht. Das Problem ist halt, Synodalen Weg etc. mögen Außenstehenden dass es noch keinen großen Durchbruch gibt. aber zuweilen selbstreferenziell erscheinen… Da müssen wir versuchen, das Engagement Deswegen treten die Leute ja aus der Kirche aufrecht zu erhalten und neue Gruppen zu aus. Genau hier hoffe ich auf eine Trend- gewinnen, auch wenn einige Enttäuschte die wende: Wenn wir uns mehr um relevante Bewegung verlassen oder sich radikalisieren. Zukunftsthemen kümmern und neu be- weisen, dass Christen einen Unterschied Eine Radikalisierung, die du aber im Buch als bedeuten, finden auch wieder mehr Leute logische Konsequenz oder gar wünschenswert zu uns. bezeichnest… Interview: Steffen Windschall jesuitenweltweit 21
Europas Abgrund Sara Gratt, die bei Jesuiten weltweit in Wien für Kommunikation zuständig ist, hat mit ihrer Nürnberger Kollegin das von Pater Georg Sporschill und Ruth Zenkert gegründete Sozialwerk ELIJAH in Rumänien besucht. D ort wo es wenig gibt, hat ELIJAH Jeans und Pullover. Maria stammt aus Zie- viel aufgebaut. In den kleinen gental. In dem Dorf leben knapp 200 Ein- Dörfern rund um Sibiu werden wohner, der Großteil von ihnen sind Roma. Menschen, die in großer Armut und am Ausbildung haben die meisten keine und Rand der Gesellschaft leben, mit verschie- die Mädchen werden sehr jung Mütter. So denen Maßnahmen unterstützt. Auch in wäre es wahrscheinlich auch Maria gegan- Sibiu selbst hat ELIJAH ein neues Projekt gen, die dort mit ihrer Familie in einer Art gestartet: Casa Francisc bietet Jugendlichen Haus wohnte. Darüber ist etwas, das einem Wohnraum und Begleitung, um weiterfüh- Dach ähnelt und einen kleinen Schutz ge- rende Schulen in der Stadt zu besuchen. gen den Niederschlag und die Kälte bietet. Auf der Straße treffen wir Marias Mutter. Aus der Roma-Siedlung in die Schule Sie ist gerade dabei, Müll zu sammeln. Ein So auch Maria, die uns bei der Ankunft Stück Abfall kommt in den Sack, das nächs- mit einem Schild, einem Lächeln und einer te wird ignoriert – es liegt einfach zu viel Umarmung empfängt. „Ich bin Maria“, sagt Unrat auf den matschigen Wegen herum. sie etwas schüchtern auf Deutsch. Gekleidet Die Initiative von ELIJAH will die Bewoh- ist sie wie alle in ihrem Alter, in Sneakers, ner sensibilisieren, in ihrem Dorf und Le- 22 jesuitenweltweit
Rumänien bensraum auf Ordnung und Sauberkeit zu spielen können und betreut werden. Wir achten. Auch die anderen Jugendlichen, mit besuchen sie zusammen mit Cornelia, einer denen Maria in Sibiu in Casa Francisc zu- rumänischen Mitarbeiterin von ELIJAH. Die sammenwohnt, stammen aus Dörfern und Kinder haben gerade Sportstunde und laufen Familien, mit denen ELIJAH schon lange durch einen Parcour. Die Sonne scheint und zusammenarbeitet. „Maria ist eine ausge- der Spielplatz und die große Wiesenfläche sprochen talentierte Sängerin und Geigen- kann auch an diesem Novembertag gut ge- spielerin“, erzählt Angela King. Als Maria nutzt werden. Die kleineren Kinder haben noch im Dorf wohnte, besuchte sie oft die mich schon an den Händen gepackt, um von ELIJAH aufgebaute Musikschule. mir ihre gemalten Bilder zu zeigen und mir die Haare zu flechten. Was genau sich hin- Leben ohne Strom und fließendes Wasser ter meinem Kopf abspielt, sehe ich nicht. Ich Angela arbeitet seit vielen Jahren bei ELIJAH weiß nur, dass einige Mädchen daran beteiligt und ist normalerweise in Ziegental. Für den sind, mir einen neuen Look zu verpassen. Ei- Start von Casa Francisc ist sie nach Sibiu gentlich sollen wir aufbrechen und die Kirche gekommen, um dafür zu sorgen, dass alles und das nächste Zentrum besichtigen. Aber glatt läuft. „Das Leben in Ziegental ist här- ich bin verhindert. „Nu pleca!“, rufen die ter“, sagt sie. „Es gibt keinen Strom, keine Kinder auf Rumänisch. Meine Kommunika- Heizung, weder warmes noch fließendes tion mit ihnen beschränkt sich auf Zeichen- Wasser und auch sonst sind die Lebensbe- sprache und eine Mischung aus Italienisch dingungen sehr mager. Manchmal haben und Deutsch, wenn gerade niemand die Dol- wir Freiwillige hier, aber die wenigsten halten metscherrolle übernimmt: „Geh noch nicht“, es in Ziegental lange aus. Nicht nur wegen heißt das, sagt Cornelia. der Läuse und Flöhe, die hier bei ELIJAH jeder schon einmal hatte.“ Nu pleca! – Bitte geh nicht! Wir selbst wohnen im Dorf Hosman, in der Zentrale von ELIJAH oder dort, wo al- les 2012 angefangen hat, wie wir von Ruth Zenkert, der Leiterin des Projekts hören. Im Haus Stella Matutina sind unsere Gästezim- mer. Direkt daneben der große Speisesaal, in dem in zwei Schichten die Kindergarten- und Schulkinder sowie die Mitarbeiter zu Mittag essen. Küche, Bäckerei, Hauswirt- schaft, Schreinerei – all das befindet sich Kinderlächeln trotz katastrophaler Lebensbedingungen in auf dem Areal. Hier finden junge Frauen vielen Roma-Siedlungen (links). und Männer aus Roma-Familien Ausbil- dung und Beschäftigung und lernen, den Ein Raum für eine Großfamilie Verpflichtungen eines Berufslebens nach- Wir besuchen noch eine Familie in Hos- zukommen. Die meisten Kinder aus dem man. Wir folgen Cornelia in das Zimmer Dorf, die noch nicht in die Schule gehen, und verteilen die Fläschchen mit Saft, die besuchen das Sozialzentrum, in dem sie wir für die vielen Kinder, die dort woh- jesuitenweltweit 23
Rumänien Pferdegespann vor den typisch siebenbürgischen Dorfhäusern in Hosman, das durch Elijah einen Aufschwung erlebt. nen, mitgenommen haben. In dem Raum sind alle ähnlich tragisch und erzählen von stehen zwei Betten. Eine größere Matratze Armut, Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit ist noch an die Wand gelehnt, auf der Klei- und manchmal daraus entstehende Gleich- dung, Essensdosen und andere Dinge lie- gültigkeit. „Für die Erwachsenen ist es oft gen. In der Ecke steht ein Ofen, aus dem zu spät, aber wenigstens die Kinder muss der Rauch qualmt. Das Fenster ist ein in die man versuchen rauszuholen, ihnen zeigen, Wand gehämmertes Loch. Um die Scheibe dass es auch ein anderes Leben gibt“, sagt sind Stoffreste und Kartons gepresst, die Ruth, als wir beim Abendessen über die die Spalten füllen sollen und einen kleinen Besuche bei den Familien sprechen. Zur Schutz gegen Wind und Kälte bieten. Ich Hausgemeinschaft, die Mahlzeiten, Alltag halte eine Kamera in meiner Hand, aber es und Glauben miteinander teilt, gehören fällt mir schwer, hier zu fotografieren. Ich auch zwei junge rumänische Freiwillige, will die Würde der Familie nicht verletzen die für ein Jahr bei ELIJAH mitarbeiten, und ihr Elend nicht zur Schau stellen. Was die beiden Kinder Zana und Ionuz, die von wir sehen, ist der Abgrund Europas. Ich set- ihrer Mutter nicht mehr versorgt werden ze mich zu den Kindern aufs Bett, zu Alice können sowie Angelica, die als Straßenkind und Paula, den beiden blonden Mädchen, in Bukarest zu ELIJAH gefunden hat und die hier wohnen. Für eine Weile haben sie als Mitarbeiterin geblieben ist. Unterschlupf bei ELIJAH gefunden, nun teilen sie wieder mit ihrer Mutter und fünf Wurst und Eier von nebenan oder sechs Geschwistern das Zimmer. Ali- Das Essen, das bei ELIJAH auf dem Tisch ce ist sechs Jahre alt und sollte eigentlich in landet, kommt hauptsächlich aus Eigen- die Schule gehen. Aber es gibt keinen Platz, produktion. Sehen können wir das im Dorf so muss sie noch ein Jahr warten. Oft sind Marpod, wo gerade ein großes Ausbildungs- Roma-Kinder in den Dorfschulen nicht zentrum von ELIJAH entsteht. Gartenbau willkommen. Die Geschichten, die wir bei und Landwirtschaft sollen vergrößert wer- verschiedenen Familienbesuchen hören, den, auch die Schreinerei soll hierhin ver- 24 jesuitenweltweit
Rumänien legt werden und es wird zusätzliche Ausbil- werden. So fällt es auch leicht, die „kleinen dungsplätze im Bauhandwerk geben. Einiges Geschenke“, die man aus Rumänien mit ist noch Baustelle, aber die Hühner scharren nach Hause bringt, mit Humor zu nehmen, eifrig in ihrem Außengehege. Ein Kuhstall ist auch wenn sie fürchterlich jucken. im Rohbau. Schon bald soll auch Käse selbst gemacht werden. Um uns herum stehen Sara Gratt auch ein paar Mangalitzaschweine. Sie wer- den an Familien gegeben, die genug Platz für einen kleinen Stall haben. Diese sollen sich dann um die Tiere kümmern, bis sie genü- gend Gewicht erreicht haben, um geschlach- tet zu werden. Die Projekte von ELIJAH umfassen Sozialzentren, Arztpraxen, Haus- bau, Musikschulen, Ausbildung, Landwirt- schaft zur Eigenversorgung. „Wenn man die Kinder versorgt, muss man auch den Eltern helfen“, sagt Ruth. „Im Laufe der Zeit haben sich immer neue Probleme und Bedürfnisse herauskristallisiert. So kam es, dass wir mitt- lerweile nicht nur Sozialzentren haben, son- dern auch eine Landwirtschaft mit Gemüse und Tieren.“ Kleine Geschenke aus Rumänien Am letzten Abend ist es dann soweit und ich lande auch im Club der mit Läusen und Flöhen Infizierten. Mein Kopf juckt und die roten Punkte, die ich zuvor als Mücken- stiche wahrgenommen hatte, stellen sich als Flohbisse heraus. Giorgina, eine der jungen Freiwilligen, lacht und hält Sicherheitsab- stand. „Das ist ein Geschenk für dich aus Rumänien“, sagt Zana, die mir zum Ab- schied einen Kuss auf die Wange drückt. Und so verlassen wir Rumänien und sind Mit Feuer vom Himmel: Das neue Buch von in Gedanken noch bei den Menschen, die Georg Sporschill SJ und Ruth Zenkert bietet wir kurz zuvor noch gar nicht kannten. durch kurze Geschichten und persönliche Jetzt sind es Kinder, deren Namen und Ge- Reflexionen eindringliche Einblicke in die So- schichten und Schicksale wir kennen. Es zialarbeit sowie wertvolle Denkanstöße. Er- sind keine Fremden mehr, sondern Kinder, schienen bei Amalthea, Ladenpreis 23 Euro die man in wenigen Stunden bereits ins Herz schließt, die man nicht vergisst und Weitere Infos zum Projekt: elijah.ro für die man hofft, dass sie durch ELIJAH Spendencode: X84020 ELIJAH eine bessere Zukunft als ihre Eltern haben jesuitenweltweit 25
El Salvador Hoffnung für El Salvador Vor über 30 Jahren hat Pater Martin Maier ein Stipendienprojekt in El Salvador gestartet, das seitdem erfolgreich läuft. A ngenommen, Sie befinden sich Zeit hast, um einem Volk zu helfen, dann an einem Ort auf dieser Welt, wo säe Reis. Wenn Du zehn Jahre Zeit hast, Menschen hungern und an heil- dann pflanze einen Baum. Hast Du 100 baren Krankheiten sterben. Und angenom- Jahre Zeit, dann erziehe das Volk. Um lang- men, Sie bekommen Geld angeboten, um fristig Veränderungen zu ermöglichen, ist den Menschen zu helfen. Wo würden Sie Bildung ein Schlüssel. So beschloss ich, mit ansetzen? Vor 30 Jahren stand ich vor dieser einem Stipendienprojekt junge Menschen Frage. Ich war Pfarrer in der Landgemeinde beim Besuch einer höheren Schule und Jayaque in El Salvador geworden. P. Ignacio beim Studium zu unterstützen. Wir starte- Martín-Baró SJ, mein Vorgänger, war einer ten mit vier jungen Frauen, die in einer klei- der sechs Jesuiten, die am 16. November nen Wohngemeinschaft zusammenlebten. 1989 zusammen mit zwei Frauen von Sol- Inzwischen sind es schon mehrere Hunder- daten der Armee brutal ermordet wurden. te, die als Berufstätige aus diesem Projekt Sie wurden umgebracht, weil sie sich in dem hervorgegangen sind. Patricia ist Psycholo- kleinen zentralamerikanischen Land für Frie- gin, Hugo ist Arzt, Betty Krankenschwes- den und Gerechtigkeit eingesetzt hatten. ter, Antonio Rechtsanwalt. Die Kenntnisse von Antonio wurden besonders wichtig, als „Erziehe das Volk“ 2001 zwei schwere Erdbeben El Salvador Wo also ansetzen? Mir kam eine chinesische heimsuchten. Über 1.000 Menschen star- Weisheit in den Sinn: Wenn Du ein Jahr ben. In Jayaque waren die meisten Häuser 26 jesuitenweltweit
El Salvador zerstört. Mit Hilfe der Missionsprokur und der Universität der Jesuiten starteten wir ein Wiederaufbauprojekt. 260 Häuser konnten neu gebaut werden. Eine Voraussetzung war die Klärung der Rechtstitel der Grundstü- cke. Hier stand uns Antonio zur Seite. Zwei kleine Wunder Ein kleines Wunder ist, dass das Projekt in Eigenverantwortung und selbstverwaltet funktioniert. Wöchentlich treffen sich die jungen Leute, beginnen mit einem Gebet, tauschen sich über ihre Erfolge und Schwie- rigkeiten aus und behandeln ein Thema aus der politischen oder sozialen Wirklichkeit El Salvadors. Und ein anderes Wunder: bis jetzt ist immer das notwendige Geld zusammen- gekommen, um das Projekt weiterzuführen. Unterstützung kommt von meiner Familie, Gedenkstein für die 1989 ermordeten Jesuiten. Pater Maier von einer Partnergemeinde in Gersthofen mit Stipendiaten (links). Spendencode: X73110 Jayaque und von Freunden. Geld, das ich mit Vorträ- gen, Artikeln und Büchern im Zusammen- Opfer von Mord und Totschlag wie in den hang mit El Salvador bekomme, fließt eben- Jahren des Bürgerkriegs. Im Jahr 2018 wur- falls auf mein Spendenkonto in Nürnberg. den 3.340 Menschen getötet. Damit wur- Ich bin jährlich in El Salvador und unterrich- den 91 von 100.000 Menschen zu Opfern te Theologie an der Zentralamerikanischen von Gewaltverbrechen. Das ist eine der Universität. Am meisten freue ich mich auf höchsten Raten in ganz Lateinamerika. das Treffen mit der Stipendiengruppe. Ich Hinter diesen Zahlen steht das Problem der nehme mir einen Tag Zeit für einen Ausflug, Jugendbanden, der sogenannten „maras“, an dem auch die Familienangehörigen teil- auf deren Konto zwei Drittel aller Mordta- nehmen. Besonders gerne gehen wir in einen ten gehen. Die bisherigen Regierungen ver- Naturpark mit Namen Caluco. Im vergange- suchten, dem Problem der Gewalt mit „har- nen August waren wir 54. Inmitten der tro- ter Hand“, dann mit „superharter Hand“ zu pischen Vegetation feiern wir heilige Messe. begegnen. Die tieferliegenden Gründe sind Dann baden wir in einem Fluss und teilen aber nach wie vor die extremen sozialen das von allen mitgebrachte Essen. Gegensätze und die fehlenden Perspektiven für junge Menschen. Das treibt viele in die Ein anderes El Salvador ist möglich Jugendbanden. Da bietet unser Stipendien- Nach meiner inzwischen dreißigjähren projekt eine wirkliche Alternative. Es zeigt: Geschichte mit El Salvador frage ich mich Wenn junge Menschen sich zusammen- manchmal, was sich in diesem Land zum schließen und gefördert werden, dann ist Besseren gewendet hat. Beängstigend ist vor ein anderes El Salvador möglich. allem das Ausmaß der Gewalt. So werden heute mindestens ebenso viele Menschen Martin Maier SJ jesuitenweltweit 27
Jesuit Volunteers weltbegeistert Eindrücke aus Kambodscha 6067894_JV-Postkarte.indd 2 14.12.15 13:19 Zwei unserer Freiwilligen sind in Kambodscha in unterschiedliche Projekte ein- gebunden. Sie erzählen, was sie aktuell bewegt. M ittlerweile lebe und arbeite ich wachsenen ändert sich nach und nach das bereits ein halbes Jahr in Croap, Bewusstsein: Am Markt wird mittlerweile einem ländlichen Projekt im mit viel weniger Plastik eingekauft, Becher Westen Kambodschas. Meine zwei großen und Strohhalme sind aus Bambus und unse- Arbeitsgebiete sind die Schule bzw. der re Frauengruppe im Projekt hat viele Ideen, Kindergarten und der Versuch, das Projekt wie man Deko aus Naturmaterialien selbst ein wenig nachhaltiger zu gestalten. Umso herstellen kann. Es sind zwar kleine Schritte, schöner ist es für mich, dass sich diese zwei aber sie gehen in die richtige Richtung. Gebiete immer näherkommen. So sammeln wir einmal in der Woche gemeinsam mit den Meine zweite Familie Schülerinnen und Schülern Müll ein, spre- Ich habe gelernt, noch mehr die kleinen chen mit ihnen über Plastik und Alternati- Dinge wertzuschätzen – bei der Arbeit, aber ven und versuchen, ihnen einen achtsamen auch beim Zwischenmenschlichen. Was das Umgang mit der Natur vorzuleben. angeht, kann ich von ganzem Herzen sagen, dass ich hier eine zweite Familie gefunden Dose im Mistkübel habe. Ob es meine Mitbewohnerinnen sind, Es bereitet mir große Freude, dass die Kin- mit denen ich lange Gespräche führe und viel der nach und nach ein Bewusstsein für Um- lache, die anderen Mitarbeiter und Mitarbei- weltschutz bekommen. Vor ein paar Wo- terinnen, mit denen ich beim Essen scherze chen hat eine meiner Schülerinnen, als wir oder abends tanze, oder aber die Kinder, die, durch den Wald gewandert sind, eine Dose sobald sie mich sehen, mit offenen Armen auf hochgehoben und in den nächsten Mistkü- mich zugelaufen kommen. Ich bin als Fremde bel geschmissen und das, obwohl wir gerade gekommen und wurde wie selbstverständlich eigentlich nicht Müll eingesammelt haben. aufgenommen. Ich habe gelernt, wo eine ge- Das hat mich sehr berührt. Einfach, weil es meinsame Sprache wichtig ist und wo auch zeigt, dass meine Arbeit hier anfängt, klei- einfach nur gemeinsam Tanzen ausreicht, um ne Früchte zu tragen. Noch schöner ist es, sich zu verständigen, egal woher man kommt. dass die Kinder die alten Verhaltensmuster anfangen zu hinterfragen. Auch bei den Er- Benedicta Opis (18) stammt aus Graz 28 jesuitenweltweit
Jesuit Volunteers W enn ich auf den Schulhof der Grundschule komme, um mei- ne nächste Klasse zum Sport- unterricht abzuholen, erwarten mich jeden Tag strahlende Kinderaugen. Seit fast vier Monaten arbeite ich nun schon als Lehrer in der Xavier Jesuit School und was ich am meisten an meiner Arbeit schätze, ist die un- erschöpfliche Energie der Kinder. Als Mitte Oktober das neue Schuljahr begann, war ich bereits einen Monat im Land, um die kam- bodschanische Sprache zu lernen und mei- nen Unterricht vorzubereiten. Trotzdem war ich vor meinen ersten Stunden ziemlich auf- geregt. In den Ferien hatte ich jede Spieler- klärung für die ersten Wochen Satz für Satz mit meinem Lehrer aus dem Englischen ins Das Glück der Kinder Khmer übersetzt und diese dann Wort für Nach einigen Wochen waren die vier mor- Wort aus meinem Notizbuch vorgelesen. gendlichen Sportstunden von 7 bis 11 Uhr Aber ich merkte schnell, dass meine Sorgen fester Alltag und ich begann meine Woche unberechtigt waren, denn die Kinder kamen mit weiteren Aktivitäten zu füllen. Mit den offen auf mich zu und schon bald wurde ich Internatsschülerinnen und -schülern begann immer wieder gefragt, wann wir denn wie- ich nachmittags Karate und Badminton zu der Unterricht haben. Auch mein Khmer trainieren oder joggen zu gehen. Ende No- wurde schnell sicherer, denn Kinder sind vember begann zudem das Scout-Programm, mit Abstand die besten Lehrerinnen und eine noch recht kleine Jugendgruppe, die vor Lehrer und mein Notizbuch ließ ich schon einigen Jahren von der Schule initiiert wur- bald auf meinem Schreibtisch liegen. de. Wie schon im Sportunterricht faszinierte mich die große Energie und die unschuldige Freude, die die Kinder jeden Tag ausstrahlen. Doch erst nach einiger Zeit verstand ich, wa- rum Kinder so viel glücklicher als die meis- ten Erwachsenen sind: Sie bereuen nicht die Fehler ihrer Vergangenheit oder planen weit in ihre Zukunft. Viel mehr leben sie im Mo- ment, sie genießen jeden Tag aufs Neue und gehen mit offenen Augen durch die Welt. Spätestens nach der Highschool muss man sich diesen Luxus hart erkämpfen. Trotzdem will ich mir die strahlenden Augen meiner Schüler und Schülerinnen zum Vorbild neh- men und so oft es geht den Moment wert- schätzen und feiern. Jugendgruppe und Sportunterricht (oben) an der Xavier Jesuit School. Mitarbeit auf dem Reisfeld bei Croap (links). Matthias Wind (19) kommt aus Berlin jesuitenweltweit 29
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