PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE
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AUSGABE 02 / 2020 PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE IN KLINIK UND PRAXIS TOPIC TOPIC TOPIC ELTERNRATGEBER: Bedeutung von Kasuistiken Was ist ein Foodprotein-induced FPIES: Asthma, Teil II: für Medizin und Wissenschaft enterocolitis syndrome (FPIES)? Fünf interessante Kasuistiken Therapie
Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Editorial 3 Liebe LeserInnen! Allergien in Zeiten von Covid-19, Coro- Influenza eine weitaus bedeutsamere fen sein. Wir beantworten zwei Fragen na-Virus Sars-CoV-2: Mitten im Beginn Rolle, wie wir in E früheren Heften be- an die Allergologen: Michael Gerstlauer des exponentiellen Ausbruchs der Coro- reits berichtet haben. Anders stellt sich schreibt zur erhöhten Allergenexpositi- na-Virus-Epidemie in Deutschland kom- dies bei erwachsenen Patienten mit on im Urlaub, Matthias Kopp zur Spezi- men wir mit einem Heft zu Kasuistiken mittelschwerer bis schwerer chronisch fischen Immuntherapie bei Patienten mit in der Allergologie. Dabei fokussieren obstruktiver pulmonaler Erkrankung, Polysensibilisierungen. Im Journal Club wir auch noch auf eine besondere, eher kurz COPD, dar. Aber diese Erkrankung berichten wir passend zum Topic-Thema seltene Form der Nahrungsmittelallergie, ist nicht primär in unserem Fokus und von einem wissenschaftlichen Artikel dem Foodprotein-induced Enterocolitis spielt im Kindesalter kaum eine Rolle. zur Epidemiologie von FPIES und der As- Syndrome (FPIES). So gesehen – etwas oberflächlich asso- soziation mit atopischen Erkrankungen. ziiert – stellt sich die wissenschaftliche Im Umweltressort diskutiert Hans-Jür- Warum das? Nun, wir haben den ra- Informationslage in der Pädiatrie für gen Leist die Frage, wie weit erneuerbare santen Verlauf der Infektion mit SARS- Covid-19 eher „kasuistisch“ dar. Damit Energien die Klimaproblematik wirklich CoV-2 schlicht nicht vorhergesehen und sind wir dann wieder doch ganz zeit lösen können. Dieser Artikel ist in Er- planen unsere Hefte auch eher länger- gemäß, auch wenn wir Ihnen hier zum gänzung zum letzten eJournal 20-1 mit fristig im Voraus. Damit können wir zu Glück keinen kasuistischen Verlauf einer Schwerpunktthema Klimawandel zu le- diesem Zeitpunkt eben nur sehr ober- SARS-CoV-2-Infektion mit einer schwe- sen. Und schließlich werden Sie den 2. flächlich die Bedeutung von Coronavi- ren Erkrankung bei einem Kind präsen- Elternratgeber zum Thema Asthma bron- rus-Infektionen für die Allergologie beur- tieren können. chiale von Peter und Dominik Fischer teilen und lassen den Pneumologinnen finden. und Pneumologen unter uns dabei bes- Aber immerhin, wir diskutieren die be- ser den Vortritt. Die für uns interessante sondere Bedeutung von Kasuistiken für Ihnen eine gute Lektüre und mit den Frage wäre, ob persistierendes Asthma die Medizin und hier insbesondere für die besten Grüßen, bronchiale einen Risikofaktor für die Allergologie. schwer verlaufende Covid-19-Erkran- Ihr Albrecht Bufe kung darstellt. Nach meiner Kenntnis Aus unseren Ressorts: Volker Wahn be- gibt es dazu keine verlässlichen Daten. richtet wieder über Immundefekte, die- Prof. Dr. med. Albrecht Bufe Immunologisch spricht auch aus den Er- ses Mal über Immundefizienzien, die das fahrungen mit SARS vor 16 Jahren wenig angeborene Immunsystem betreffen. Henkenbergstraße 24 44797 Bochum für eine solche Erhöhung des Risikos im Nebenbei gesprochen: Schwere Verläufe Zusammenhang mit einem allergisch von Covid-19 kommen insbesondere bei bedingten Asthma, schon gar nicht im Menschen mit einer Immundefizienz des Kindesalter. In dem Zusammenhang angeborenen Immunsystems vor; hier bufealb@gmail.com spielen Infektionen wie RS-Viren und könnten auch Kinder besonders betrof-
4 Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Impressum INHALT / IMPRESSUM TOPIC WEITERE THEMEN 5 Bedeutung von Kasuistiken 11 Kasuistiken in der Allergologie 21 Fragen an den Allergologen für Medizin und Wissenschaft am Beispiel von FPIES Erhöhte Allergenexposition im Urlaub Kasuistiken dienen im Wesentlichen zwei Die Autorinnen vom Kinder- und Jugendkran- 22 Förderpreis der GPA Zielen: Der individuellen ärztlichen Aus-, Fort- kenhaus Auf der Bult in Hannover und dem St. und Weiterbildung sowie der Vermehrung Marien-Hospital in Bonn haben rund 50 Säug- 23 Serie Quartheft allgemeinen wissenschaftlichen medizinischen linge und Kinder mit FPIES behandelt. Anhand SIT bei Polysensibilisierung Wissens über Krankheitsbilder. der Vorstellung und Diskussion von 5 Fallbei- 25 Journal Club spielen wird deutlich, wie unterschiedlich die FPIES geht häufig mit einer 8 Einführung in das Krankheitsbild Symptomatik ausfallen kann und worauf bei der atopischen Erkrankung einher Foodprotein-induced enterocolitis Diagnostik und Therapie von FPIES besonders syndrome (FPIES) 26 PINA ab jetzt unter dem Dach der GPA zu achten ist. Das Nahrungsmittelprotein-induzierte Entero- kolitissyndrom (Foodprotein-induced entero- 27 Neue Immundefekte Defekte von IRAK-1 und TIRAP colitis syndrome: FPIES) zählt zu den nicht IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien. Mit 30 Umweltmedizin der akuten und der chronischen Form werden Lösen die erneuerbaren Energien zwei Verläufe der Erkrankung unterschieden. die Klimaproblematik? 35 Elternratgeber Asthma bronchiale, Teil II: Therapie 39 Veranstaltungen Termine Pädiatrische Allergologie in Klinik und Praxis, 23. Jg. / Nr. 2 Herausgeber: Schriftleitung: Bildnachweis: Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie Prof. Dr. med. Albrecht Bufe, Henkenbergstraße 24, Titelseite: Colourbox | Pressmaster, S. 3: und Umweltmedizin e.V., 44797 Bochum, bufealb@gmail.com; Dr. med. Prof. A. Bufe, S. 8: Colourbox | Gelpi, S. 11: Rathausstraße 10, 52072 Aachen, Armin Grübl, Kinderklinik München Schwabing, Colourbox | #4824, S. 13: Colourbox | motorolka, Tel. 02 41 / 98 00-486, Fax 02 41 / 98 00-259, Klinik und Poliklinik für Kinder-und Jugendmedizin, S. 14: Colourbox | #777, S. 18: Alisa Arens, S. 21: gpa.ev@t-online.de, E www.gpau.de Klinikum Schwabing, München Klinik gGmbH Colourbox | #5668, S. 22 oben: Colourbox | #247001, und Klinikum rechts der Isar der Technischen Uni- S. 22 unten: Fotolia | adiruch na chiangmai, S. 25: Verlag: versität München, Kölner Platz 1, 80804 München, Prof. A. Bufe, S. 31: Colourbox | #254909, S. 32: iKOMM • Information und Kommunikation armin.gruebl@tum.de. Colourbox | #251891, S. 35: Adobe Stock | bubutu, im Gesundheitswesen GmbH, S. 37: iKOMM GmbH, S. 39: Fotolia | Picture Factory Ressortschriftleiter: Dr. med. Peter J. Fischer, Friesenstraße 14, 53175 Bonn, 73525 Schwäbisch Gmünd (Elternratgeber); Tel. 02 28 / 37 38 41, Fax 02 28 / 37 38 40, Anzeigenleitung: Dr. med. Michael Gerstlauer, Klinikum Augsburg, info@ikomm.info, E www.ikomm.info iKOMM GmbH, Albrecht Habicht. Klinik für Kinder und Jugendliche, 86156 Augsburg Verlagsleitung: Dr. Ulrich Kümmel Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 5 vom 1. Oktober 2018 (Fragen an den Allergologen); Dr. med. Thomas Lob-Corzilius, Wielandstr. 15, 49078 Osnabrück Erscheinungsweise: (Umweltmedizin); Prof. Dr. med. Jürgen Seidenberg, Die Pädiatrische Allergologie in Klink und Praxis er- Lehrbeauftragter an den Universitätskinderkliniken scheint vierteljährlich jeweils am Beginn des Quartals. Oldenburg und Göttingen (Pädiatrische Pneumo- logie); Prof. Dr. med. Volker Wahn, Charité Campus Bezugspreise: Virchow, Klinik m. S. Pädiatrische Pneumologie und Einzelheft (eJournal): 15,35 Euro, Jahresabonnement: Immunologie, 13353 Berlin (Pädiatrische Immuno- 47,60 Euro, Jahresabonnement für Studenten logie) (bei Vorlage einer Bescheinigung): 33,80 Euro Redaktion: Layout: kippconcept gmbH, Bonn Dr. med. Susanne Meinrenken, Bremen, susanne.meinrenken@sprachzeug.de ISSN:2364-3455
Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Topic Bedeutung von Kasuistiken 5 TOPIC Bedeutung von Kasuistiken für Medizin und Wissenschaft Albrecht Bufe, Bochum Kasuistiken dienen im Wesentlichen zwei Zielen: Der individuellen ärztlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie der Vermehrung allge- meinen wissenschaftlichen medizinischen Wissens über Krankheitsbilder [zitiert aus 4]. Kasuistiken für die ärztliche de behandelten Patientinnen und Patien- sibel werden. Das bedeutet, dass man Weiterbildung ten verglichen wird und dieser Abgleich durch einen induktiven Schluss aus der zur diagnostischen und therapeutischen Betrachtung des Krankheitsverlaufs zu Eine Kasuistik ist zum einen Ausdruck Entscheidung beiträgt. einer allgemeinen Hypothese im Zusam- der primären medizinischen Erfahrung menhang mit der Erkrankung gelangen einer Ärztin oder eines Arztes in dem Wissenschaftlicher Wert kann (Abb.). Sinne, dass ein individueller Krankheits- von Kasuistiken verlauf oft paradigmatisch und propä- Als Beispiel sei genannt: Bei einer Pati- deutisch als Fall beschrieben wird [2]. Zusätzlich interessant wird eine Kasu- entin wird im Serum ein erhöhter Spiegel Dabei werden die erkrankungsbezogene istik, wenn an ihr allgemeine Prinzipien für IgE gegen Gräserpollen gemessen, die Anamnese, die klinischen und diagnosti- erkennbar werden, die erst aus dem indi- Patientin leidet gleichzeitig unter häufig schen Befunde, die Arbeitsdiagnose mit viduellen Krankheitsverlauf heraus plau- beobachteten Symptomen einer saisonal Differenzialdiagnose und die individuelle Therapie zusammengefasst und vor dem Hintergrund medizinischer Literatur kri- Abbildung. Pfade zur wissenschaftlichen Erkenntnis tisch diskutiert. Eine Ärztin oder ein Arzt trifft ihre / seine medizinischen Entschei- dungen zusätzlich zu dem Wissen über naturwissenschaftliche Hintergründe von Krankheit im Wesentlichen auf der Theorie (allgemein) Basis der eigenen Erfahrung. Damit kann eine Kasuistik das primäre und sekun- däre Gedächtnis einer Ärztin oder eines Arztes erweitern. Primär, weil die selbst beobachtete Kasuistik Kolleginnen und Kollegen vermittelt wird; sekundär, weil Deduktion Induktion Erfahrung anderer zur eigenen wird. Somit haben Kasuistiken für die Aus-, Fort- und Weiterbildung einen hohen Stel- lenwert, auch weil sie das intuitive, induk- tive und assoziative Denken von Medizi- Empirie (speziell) nerinnen und Medizinern stärken. Dieses Denken wird besonders wichtig, wenn die eigene Erfahrung mit dem jeweils akuten individuellen Krankheitsverlauf von gera-
6 Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Topic Bedeutung von Kasuistiken auftretenden allergischen Rhinitis. Da- überprüfte Therapeutika und Behand- Intervention, Comparator (Kontrollgrup- mit könnten hypothetisch alle Menschen lungsschemata. Kasuistiken von selte- pe), Outcome (Endpunkte), Setting / mit erhöhtem IgE gegen Gräserpollen die nen Erkrankungen sind dann die einzigen Study design. Diagnose Allergie gestellt bekommen. dokumentierten klinischen Daten, die für Hier hätte die Kasuistik also zu einer Be- wissenschaftliche Argumentationen von Die Sicherheit der Ergebnisse von klini- hauptung geführt, deren Wahrheitswert Experten herangezogen werden. Studien schen Studien wird in erster Linie durch 4 allerdings erst nach wissenschaftlichen zu seltenen Erkrankungen sind somit aus Komponenten getragen: Kriterien überprüft werden müsste, wenn Gründen der fehlenden Power besonders 1. „Die interne Validität, eine qualitati- die Kasuistik tatsächlich ein allgemeines schwierig durchzuführen. Die allgemein ve Komponente, repräsentiert durch Prinzip widerspiegelt [1]. Das Ergebnis anerkannten Prinzipien der evidenzba- das Verzerrungspotenzial“ (BIAS). einer solchen wissenschaftlichen Un- sierten Medizin sind nur sehr schwer zu Damit gemeint ist der Einfluss fal- tersuchung könnte sein, dass bei einem erfüllen. scher Untersuchungsmethoden auf bestimmten Prozentsatz an Patientinnen die Ergebnisse einer vergleichenden und Patienten mit erhöhtem IgE tatsäch- Klinische Studien bei Studie, insbesondere der Selekti- lich eine Allergie vorliegt, zahlreiche Men- seltenen Erkrankungen onsbias (z. B. Untersucher schließt schen aber auch ohne allergische Symp- bestimmte Probanden bevorzugt in tome eine Erhöhung des IgE gegen Grä- Vor diesem Hintergrund hat das Bundes- die Studie ein), der Durchführungs- serpollen aufweisen. Ob diese Menschen ministerium für Gesundheit (BMG) 2014 bias (z. B. Untersucher kennt die ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung das Institut für Qualität und Wirtschaft- Zuteilung der Probanden und bewer- allergischer Symptome haben, ist wis- lichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) tet die Verumgruppe positiver), der senschaftlich belegt, allerdings haben beauftragt, einen Bericht zum Thema Entdeckungsbias (z. B. Untersucher wir bis heute keine sicheren Faktoren, die „Bewertung und Auswertung von Studien benutzt unterschiedliche Diagnostik- vorhersagen können, welcher Mensch bei seltenen Erkrankungen“ zu erstellen, methoden bei einer Gruppe), der Ab- mit erhöhtem IgE tatsächlich eine Aller- um diese Probleme seltener Erkrankun- riebbias (z. B. Untersucher verändert gie entwickelt. gen zu adressieren. während des Verlaufs einer Studie die Intensität seiner Beobachtung) und Kasuistiken bei seltenen Ziele dieses Berichts waren [3] : 1 der Berichtsbias (z. B. Untersucher Erkrankungen ❙ „Die Erstellung einer Expertise zu me- dokumentiert unterschiedlich je nach thodischen Aspekten bei der Durch- intuitiv erwartetem Ergebnis). Interessant für Medizinerinnen und Me- führung und Auswertung sowie Bewer- 2. „Die Präzision der Ergebnisse, eine diziner werden Kasuistiken, wenn sie – tung der Ergebnissicherheit von Studi- quantitative Komponente“, repräsen- was häufig der Fall ist – seltene Verläufe en bei seltenen Erkrankungen, tiert durch die Fallzahl(en) und auch von Erkrankungen darstellen. Sie dienen ❙ die Beschreibung der Studiengrundla- die Varianz der Beobachtungen. dann der stets erforderlichen Differen- ge für die Zulassung von Orphan Drugs 3. „Die Effektstärke, repräsentiert durch zialdiagnostik, machen aber den Betrof- (selten angewandten Medikamenten) die Größe der beobachteten Unter- fenen und den Behandelnden das Leben in Europa.“ schiede“. besonders schwer, weil sich die Erkran- 4. „Die externe Validität (oder auch An- kung nicht sicher einem Krankheitsbild Der Bericht unterscheidet seltene wendbarkeit)“, repräsentiert durch den zuordnen lässt. Damit werden die The- (≤5/10.000) und sehr seltene Erkrankun- Aspekt, inwieweit die Studienbedin- rapieentscheidungen sehr schwierig. gen (
Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Topic Bedeutung von Kasuistiken 7 klinische Realität optimal berücksichtigt, ❙ Die Irrtumswahrscheinlichkeit könnte Prof. Dr. med. Albrecht Bufe z. B. durch ein passendes Verfahren beim über den üblichen Wert von 5 % ange- Henkenbergstraße 24 | 44797 Bochum Screening von Probanden für die jeweili- hoben werden, z. B. auf 10 % (Kompro- bufealb@gmail.com ge klinische Studie. miss bei der Präzision). ❙ In absteigender Priorität könnten Ein- Der Bericht kommt nach ausführlicher schränkungen bei der externen Validi- Der Autor gibt an, dass kein Interessen Analyse zu folgendem Fazit: Es gibt kei- tät hingenommen werden, z. B. indem konflikt besteht. ne unterschiedliche wissenschaftliche Daten aus ähnlichen Indikationsberei- Herangehensweise an die Bewertung chen oder Surrogatmarker bei kombi- von Studien zu seltenen und nicht selte- nierten Endpunkten einbezogen wer- nen Erkrankungen. Umgekehrt existieren den. keine spezifischen Designs oder statisti- ❙ Als letzte Priorität könnte auf die Ran- schen Methoden für die Bewertung von domisierung verzichtet werden. Dies Literatur Studien bei seltenen Erkrankungen. wird nur empfohlen, wenn die Daten 1 Bird A. Philosophy of Science, London: UCL Press aus einem Krankheitsregister mit ex- 1998, Kap. 5 und 7 (gut verständliche Einführung in das Problem der Induktion) Zulassungen von Orphan Drugs basieren zellenter Qualität entnommen werden. 2 Jütte R. Vom medizinischen Casus zur Krankenge- zum großen Teil auch bei sehr seltenen schichte. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte Erkrankungen auf konventionellen (ran- Fazit 1992; 15: 50–52 domisierten) Designs. 3 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Ge- Insgesamt sollte deutlich geworden sein, sundheitswesen (IQWiG) Rapid Report MB13-01, Studien bei seltenen Erkrankungen. 2014 E https:// Es können dennoch Kompromisse bei dass Kasuistiken in der Medizin eine be- www.iqwig.de/de/suche.1029.html?query_ex- der Aussagensicherheit von Bewertun- sondere und nicht zu vernachlässigende tended=medizinische-biometrie%2Fmb13-01-be- gen bei medizinischen Interventionen bei Rolle spielen und sowohl für die ärztliche wertung-+und-auswertung-von-studien-bei-sel- tenen- +erkrankungen-rapid-repor t.3685. seltenen Erkrankungen notwendig und Aus-, Fort- und Weiterbildung wie auch html&date_from=&date_to= politisch gewünscht sein. Solche Kom- für die medizinische Wissenschaft ein 4 Kowalzick L. Wie man eine Kasuistik schreibt. Edito- promisse sind auf 3 Ebenen denkbar: großes Potenzial beinhalten. rial; Akt Dermatol 2008; 34; 1–2 Neues GPA / GPP-Sonderheft: Diagnostik in der Pädiatrischen Pneumologie Anfang März 2020 erschien nun zum zweiten Mal ein Sonderheft der Gesellschaft für Pädiatri- sche Allergologie und Umweltmedizin (GPA) zusammen mit der Gesellschaft für Pädiatrische Pneumolo- gie (GPP). Wir nutzen das Erfolgsmodell unserer Zeitschrift „Pädiatrische Allergologie in Klinik und Praxis“, um unsere Zusammenarbeit mit der GPP weiter zu intensivieren und zu festigen. Das vom Vorstandsmitglied der GPP, Prof. Philippe Stock, als Schriftleiter gestaltete Sonderheft fokussiert auf die Diagnostik in der Pädiatrischen Pneumologie. Insofern ist dieses Sonderheft zusätzlich zu den Topic Artikeln auch ein Heft der GPP, in dem sie sich und ihre wissen- schaftlichen Arbeitsgruppen darstellt. Als Topics erscheinen vier Artikel zur Diagnostik der Primären Ciliären Dyskine- sie (PCD), zur Qualitätskontrolle der Lungenfunktionsdiagnostik, zur Personalisierten Diagnostik bei Allergien und zur Diagnostik bei chILD. Das Sonderheft wurde den Mitgliedern der GPA und GPP zugesandt; Sie können weitere Exemplare über die Geschäfts- stelle der GPP (gpp@pneumologie.de) beziehen.
8 Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Topic FPIES TOPIC Einführung in das Krankheitsbild Foodprotein-induced enterocolitis syndrome Alisa Arens, Hannover, Antje Finger und Sunhild Gernert, Bonn Das Nahrungsmittelprotein-induzierte Enterokolitissyndrom (Foodprotein-induced enterocolitis syndrome: FPIES) zählt zu den nicht IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien. Mit der akuten und der chronischen Form werden zwei Verläufe der Erkrankung unterschieden. Die klinische Symptomatik Das akute FPIES zeichnet sich durch wiederholte Episoden mit Erbrechen 1–4 Stunden nach Verzehr eines auslösenden Nahrungsmittels aus. Viele Patientinnen oder Patienten sind während einer Re- aktion auffallend blass oder lethargisch und einige von ihnen entwickeln zusätz- lich Diarrhoen, die blutig sein können. Typischerweise sind Säuglinge während und nach der Beikosteinführung betrof- fen, aber auch ältere Kinder, Jugendli- che und Erwachsene können erkranken. Als Auslöser kommen alle erdenklichen Nahrungsmittel infrage, wobei Kuhmilch, Soja, Getreide und Fisch zu den häufigen Allergenen gehören. Betrachtet man die Literatur, so fallen größere regionale Un- terschiede auf [2, 5, 6, 9, 10, 12]. Das chronische FPIES unterscheidet sich von der akuten Form dahingehend, 8]. Kinder mit chronischem FPIES zeigen erst nach Ausschluss anderer Erkrankun- dass das Nahrungsmittel kontinuier- Erbrechen und Durchfall unabhängig von gen mit gastrointestinalen Symptomen lich im Abstand weniger Stunden auf- der Mahlzeit. Durch den Flüssigkeits- und im frühen Säuglingsalter gestellt (Tab. 1 genommen wird, wie es vor Beginn der Nährstoffverlust sind sie meist dystroph, [3]). Beikost der Fall ist. Dementsprechend können aber auch so krank sein, dass sie sind die infrage kommenden Auslöser mit septischem Krankheitsbild auf der Eine nachhaltige Stabilisierung des Kuhmilchprotein, oder in Regionen, in Intensivstation versorgt werden müssen. Zustandes gelingt erst nach völliger denen Soja-Formulanahrung als Säug- Aufgrund der zum Teil schweren Allge- Allergenkarenz, sei es durch vorüberge- lingsnahrung angeboten wird, Soja. Auch meinsymptome und des fehlenden Erbre- hende vollparenterale Ernährung oder ausschließlich mit Muttermilch ernährte chens nach einer fixierten Latenz als ty- durch das Füttern vollständig kuhmilch- Kinder können an FPIES erkranken, was pisches Hauptsymptom für akutes FPIES oder sojaproteinfreier Formulanahrung. in Einzelfallberichten publiziert wurde [6, wird die Diagnose chronisches FPIES oft Einige Kinder mit FPIES unter Mutter-
Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Topic FPIES 9 Tabelle 1. Differenzialdiagnosen bei FPIES Erkrankung Typische Symptomatik Infektiöse Gastroenteritis Einzelne Episode mit typischer Symptomatik Sepsis Volumentherapie alleine nicht ausreichend Nekrotisierende Enterokolitis Neugeborenenalter, blutige Stühle, intramurale Pneumatosis, Schock Anaphylaxie Symptome beginnend innerhalb von Minuten bis Stunden, positives sIgE, begleitend kutane und / oder extrakutane Symptomatik Angeborene Stoffwechselstörungen Entwicklungsverzögerung, Organomegalie, neurologische Symptomatik Malabsorptionssyndrome Bauchschmerzen, Meteorismus, Diarrhoe nach Laktose / Fruktose Zöliakie Kein zeitlicher Zusammenhang zwischen Symptomatik und Mahlzeit, positive Zöliakie-Serologie Gastroösophageale Refluxkrankheit Erbrechen in der Regel nicht schwerwiegend, keine Dehydratation Eosinophile Gastroenteropathie Nahrungsverweigerung, Gedeihstörung, Dysphagie, Erbrechen in der Regel nicht schwerwiegend Morbus Hirschsprung Verzögerter Abgang des Mekoniums bei Neugeborenem Pylorusstenose / Malrotation Radiologischer Nachweis der Darmpassagestörung Neurologische Erkrankung (z. B. zyklisches Erbrechen) Kein Zusammenhang mit Nahrungsaufnahme Gerinnungsstörung Kein Zusammenhang mit Nahrungsaufnahme Primäre Immundefekte Kein Zusammenhang mit Nahrungsaufnahme, Infekthäufigkeit modifiziert nach [3] milchernährung können weiter gestillt sikkose. Außerdem geht man von einer Die meisten Patientinnen und Patienten werden, wenn die Mutter bei ihrer Ernäh- vermehrten Serotoninausschüttung aus zeigen keine Sensibilisierung gegen den rung auf kuhmilchhaltige Nahrungsmit- den neuroendokrinen Zellen des Darms in Auslöser. Sind sie gegen das auslösende tel oder andere auslösende Allergene der Akutphase aus, was zu unstillbarem Nahrungsmittel sensibilisiert, ohne dass verzichtet. Bei diesem Vorgehen sollte Erbrechen führt. Daher hat sich Ondan- bei typischer FPIES-Symptomatik al allerdings besonders auf die Gewichts- setron als Serotonin-5-HT3-Rezeptor-An- lergische Sofortsymptome wie bei einer entwicklung geachtet werden. Einige tagonist als effektive Behandlungsmög- Anaphylaxie auftreten, spricht man von Kinder werden zwar beschwerdefrei, zei- lichkeit zu Beginn des Erbrechens bei einem atypischen FPIES. Letztere haben gen aber keine ausreichende Gewichts- akuter FPIES-Reaktion bewährt (vgl. Ka- möglicherweise eine schlechtere Prog- zunahme. suistik 1) [11]. nose [1]. Pathomechanismus: Diagnostik und Therapie Wie auch bei IgE-vermittelten Nah- Verschiedene Hypothesen rungsmittelallergien besteht das Ma FPIES beweisende Laborparameter sind nagement darin, das auslösende Aller- Der dem FPIES zugrunde liegende Pa- nicht bekannt und auch die Bestimmung gen zu meiden und eine Toleranzent- thomechanismus ist weiterhin wenig spezifischer IgE-Antikörper hilft in der wicklung in gewissen Abständen zu verstanden. Es besteht die Hypothese, Diagnosefindung nicht. Daher wird die überprüfen. dass der Kontakt der Magen-Darm-Mu- Diagnose klinisch gestellt, also anhand kosa mit dem Allergen eine Aktivierung der typischen Anamnese (Tab. 2). In Seit der Veröffentlichung der interna- intestinaler T-Zellen verursacht, was zu nicht eindeutigen Fällen kann eine Nah- tionalen Konsensusleitlinie 2017 [7], einer Freisetzung proinflammatorischer rungsmittelprovokation als diagnosti- welche wichtige Informationen zum Zytokine führt. Dadurch kommt es zu sches Mittel dienen. Kinder, die an einem Krankheitsbild zusammenfasst, steht einer erhöhten intestinalen Permeabili- chronischen FPIES leiden, reagieren bei auch eine wesentliche Handlungsan- tät, einem Flüssigkeitseinstrom in das Re-Exposition nach einer Karenz mit aku- weisung zur Verfügung. Es werden dort Lumen und in der Folge zu schwerer Ex- ten FPIES-Symptomen. Diagnosekriterien, medikamentöse Be-
10 Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Topic FPIES handlungsoptionen, Beratungsinhalte Tabelle 2. Diagnosekriterien der akuten und chronischen FPIES zur Beikosteinführung und Empfehlun- Akutes FPIES gen zur Durchführung einer Nahrungs- mittelprovokation beschrieben. Majorkriterium: Minorkriterien (3 oder mehr): Erbrechen 1–4 h nach Ingestion des verdäch- 1. Eine 2. Episode von Erbrechen tigten Nahrungsmittels ohne Zeichen einer nach Aufnahme desselben Nahrungsmittels Insgesamt greifen die Autorinnen dieses IgE-vermittelten Reaktion wie Haut- oder 2. Wiederholtes Erbrechen 1–4 h und der weiteren Beiträge auf die Erfah- respiratorische Beschwerden nach Aufnahme eines anderen Nahrungsmittels rung in der Behandlung von über 50 Pa- 3. E xtreme Lethargie tientinnen und Patienten zurück. Die in Zusammenhang mit der Reaktion folgenden Kasuistiken zeigen einen bei- 4. Deutliche Blässe spielhaften Überblick über typische und in Zusammenhang mit der Reaktion ungewöhnliche Verläufe und die Überle- 5. Notwendigkeit einer Notfallbehandlung in Zusammenhang mit einer Reaktion gungen auf dem Weg zur Diagnose. 6. Notwendigkeit der intravenösen Flüssigkeits substitution in Zusammenhang mit einer Alisa Arens Reaktion 7. Durchfall innerhalb von 24 h (meist 5–10 h) Kinder- und Jugendkrankenhaus 8. Hypotension Auf der Bult 9. Hypothermie Janusz-Korczak-Allee 12 | 30173 Hannover arens@hka.de Chronisches FPIES Schweres Erscheinungsbild: Das wichtigste Kriterium ist das Verschwinden der Antje Finger Bei regelmäßigem Konsum (z. B. Formula Symptome innerhalb weniger Tage bei Diät und Dr. med. Sunhild Gernert nahrung): intermittierendes, aber zunehmen- Auftreten akuter FPIES-Symptome bei Wieder des Erbrechen und teils blutiger Durchfall, einführung. Ohne Provokation ist die Diagnose nicht St. Marien-Hospital gelegentlich mit Dehydratation und Azidose sicher zu stellen. Robert-Koch-Straße 1 | 53115 Bonn Mildes Krankheitsbild: antje.finger@gfo-kliniken-bonn.de Bei Konsum geringerer Dosen (z. B. Allergen sunhild.gernert@gfo-kliniken-bonn.de zufuhr über die Muttermilch): intermittierendes Erbrechen und / oder Durchfall mit Gedeihstö- rung ohne Dehydratation oder Azidose Die Autorinnen geben an, aus [4]; modifiziert nach [7] dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1 Caubet JC, Ford LS, Sickles L et al. Clinical features 5 Ludman S, Harmon M, Whiting D, du Toit G. Clinical 8 Ntoumpara M, Sotiriadou F, Fotoulaki M. Acute- and resolution of food protein-induced enterocolitis presentation and referral characteristics of food on-chronic food protein-induced enterocolitis syn- syndrome: 10-year experience. J Allergy Clin Immu- protein-induced enterocolitis syndrome in the Unit- drome in extensively breast-fed infant Clin Case nol 2014; 134(2): 382–9 ed Kingdom. Ann Allergy Asthma Immunol 2014; Rep 2018; 7(1): 71–73 2 Díaz JJ, Espín B, Segarra O et al. Gastrointestinal 113(3): 290–4 9 Ruffner MA, Ruymann K, Barni S et al. Food pro- Allergy Working Group of the Spanish Society of 6 Mehr S, Frith K, Barnes BH, Campbell DE; FPIES tein-induced enterocolitis syndrome: insights from Pediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutri- Study Group. Food protein-induced enterocolitis review of a large referral population. J Allergy Clin tion (SEGHNP) Food Protein-induced Enterocolitis syndrome in Australia: A population-based study, Immunol Pract 2013; 1(4): 343–9 Syndrome: Data From a Multicenter Retrospective 2012-2014. J Allergy Clin Immunolo. 2017; 140(5): 10 Savage J, Sicherer S, Wood R et al. The Natural His- Study in Spain. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2019; 1323–1330 tory of Food Allergy. J Allergy Clin Immunol Pract 68(2): 232–236 2016; 4: 196–203 7 Nowak-Wegrzyn A, Chehade M, Groetch ME et al. 3 Fiocchi A, Claps A, Dahdah L et al. Differential di- International consensus guidelines for the diag- 11 Sopo M. Ondansetron in acute food protein-in- agnosis of food protein-induced enterocolitis syn- nosis and management of food protein-induced duced enterocolitis syndrome, a retrospective drome. Curr Opin Allergy Clin Immunol 2014; 14(3): enterocolitis syndrome: Executive summary-Work- case-control study. Allergy 2017; 72(4): 545–551 246–254 group Report of the Adverse Reactions to Foods 12 Vila Sexto L. Latest Insights on Food Protein-In- 4 Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Um- Committee, American Academy of Allergy, Asthma duced Enterocolitis Syndrome: An Emerging Med- weltmedizin. Sonderheft Nahrungsmittelallergie; & Immunology. J Allergy Clin Immunol 2017; 139(4): ical Condition. J Investig Allergol Clin Immunol 2019: 45 1111–1126.e4 2018; 28(1): 13–23
Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Topic Kasuistiken 11 TOPIC Kasuistiken# in der Allergologie am Beispiel von FPIES Alisa Arens, Hannover, Antje Finger und Sunhild Gernert, Bonn # Alle Namen der Patientinnen und Patienten wurden geändert. Langer Verlauf bei akutem Fisch-FPIES Anamnese Diagnostik und Verlauf Als uns Julia das erste Mal vorgestellt Der Haut-Pricktest (Prick-zu Prick) Die Portionsgrößen wählten wir mit 10– wurde, war sie 2,5 Jahre alt. Um den für Lachs fiel negativ aus. Wir führten 30–60 % der Gesamtmenge analog der ersten Geburtstag gab es 3 Situationen eine dreistufige Nahrungsmittelprovo- Empfehlung aus dem Manual Nahrungs- mit starkem repetitivem Erbrechen be- kation mit Lachs mit der Frage nach mittelprovokation [6]. gleitet von Blässe und Apathie jeweils einer möglichen Toleranzentwicklung 2 Stunden nach dem Verzehr eines durch. Anamnestisch betrug Julias Reaktions- Gläschens mit Fertignahrung mit Gemü- zeit 2 Stunden, sodass wir uns für einen se und Lachs. Einmal setzte Julia nach zweistündigen Abstand zwischen den 3 Vorbereitung der Provokation weiteren 3 Stunden durchfällige Stühle Provokationsmahlzeiten entschieden. 1. Ausschluss einer Sensibilisie- ab. Alle anderen Nahrungsmittel, die sie rung gegen den Auslöser (sIgE, zusammen mit Lachs konsumiert hatte, 90 Minuten nach dem Verzehr der zweiten Haut-Pricktest). vertrug sie danach problemlos. Seitdem Portion wurde Julia schlapp und unleid- 2. Anlage eines i. v.-Zugangs. war die Mutter davon überzeugt, dass lich. Kurz darauf begann sie sich mehr- 3. Großes Blutbild vor der Provokation. Julia Lachs nicht verträgt, sodass Fisch mals heftig zu übergeben, zeigte einen 4. Organisation der Provokations- gemieden wurde. Blutdruckabfall um 10 %, war tachykard mahlzeit: Die Gesamt-Allergenmen- und zunehmend schläfrig. Julia erhielt ge wird gemäß dem Standard bei Mit dem Argument, dass keine sIgE- Prednisolon i. v. sowie einen Volumen IgE-vermittelter Reaktion gewählt. Anti körper gegen Fisch nachgewiesen bolus und erholte sich langsam. werden konnten und Julia keine Sofort- symptome zeigte, wurde eine Allergie bis Durchführung der Provokation Beurteilung einer positiven Provoka- zu dem Zeitpunkt ausgeschlossen. Da die 1. Bei fehlender Sensibilisierung: Pro- tion anhand der klinischen Kriterien Ursache für die Reaktionen unklar blieb, vokationsdosis 10–30–60 % der der Diagnosestellung (siehe Tab. 2 in wurde uns das Mädchen zur Nahrungs- Gesamtmenge des Allergens. Einleitung): mittelprovokation und Objektivierung der 2. Bei Sensibilisierung: 7-Stufen- ❙ Auftreten des Majorkriteriums Situation zugewiesen. Zum Zeitpunkt der Schema analog der IgE-vermittel- ❙ Zusätzliches Auftreten mindestens Vorstellung lag die letzte Reaktion 18 Mo- ten Nahrungsmittelprovokation. zweier Nebenkriterien oder nate zurück. 3. Individueller Abstand zwischen ❙ Auftreten eines Nebenkriteriums den Provokationsdosen, orien und Anstieg der Neutrophilenzahl Anhand der Anamnese stellten wir im tierend an der Reaktionszeit der >1500 über dem Ausgangswert* Aufnahmegespräch die Diagnose Lachs- vergangenen Reaktionen, mindes- * Ein Neutrophilen-Peak wird 6 Stunden nach FPIES. der letzten Provokationsmahlzeit erwartet, tens 1 Stunde, aus Praktikabilitäts- sodass sich zu diesem Zeitpunkt eine Blut- gründen maximal 2,5 Stunden. bildkontrolle empfiehlt [2, 15].
12 Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Topic Kasuistiken Unsere Empfehlung lautete, Lachs weiter 4. Durchfall innerhalb von 24 Stunden Darms aktiviert und hat eine übelkeits- zu meiden. Wir boten an, andere Fischsor- nach Verzehr. erregende Wirkung. ten zu testen, was für die Familie zum da- Ondansetron verlängert dosisabhän- maligen Zeitpunkt keine Option darstellte. Seit Julias letzter Provokation hatte sich gig das QT-Intervall. Folglich ist es rat- unser Interventionsmanagement im Falle sam, vor jedem Erstgebrauch dieses Im Alter von 8 Jahren führten wir eine Pro- einer Reaktion geändert. In Studien wur- Medikaments ein EKG zu schreiben. vokation mit Kabeljau durch, um die Tole- de gezeigt, dass die Gabe von Ondanse- Bei Patienten mit angeborenem Long- ranz gegenüber anderen Fischsorten zu tron die Dauer des Erbrechens deutlich QT-Syndrom sollte die Anwendung überprüfen. 2 Stunden nach der zweiten verkürzt und Symptome wie Blässe und von Ondansetron vermieden werden. Portion klagte das Mädchen über Bauch- Lethargie weniger ausgeprägt sind [20]. Es handelt sich um einen „off-label- schmerzen und Übelkeit, bevor sie sich Da Ondansetron für FPIES nicht zugelas- use“. Eltern sollten daher vor der Ver- mehrmals übergab. Nach Verabreichen sen ist, ist über den Off-Label-Gebrauch wendung entsprechend aufgeklärt von Ondansetron i. v. und Prednisolon i.v. aufzuklären. Aufgrund einer möglichen werden. sistierten die Beschwerden und Julia war QT-Zeit-Verlängerung als Nebenwirkung Dosierung: 0,15 mg/kg KG als ED i. v., zügig beschwerdefrei. ist zusätzlich das Vorliegen eines Long- maximal 4 mg QT-Syndroms mittels EKG auszuschlie- Diskussion ßen. Ondansetron kann i.v. oder i.m. ge- spritzt werden und steht außerdem als Julia erhielt einen Notfallausweis, in Die Diagnose akutes FPIES war bei Julia Saft und Sublingualtablette zur Verfü- dem das Krankheitsbild, die Auslöser, anhand der Diagnosekriterien aus der gung. Es ist zu bedenken, dass durch das die Symptome und die zu verabreichen- Konsensusleitlinie zu stellen [15]. Das Erbrechen die orale Applikation oft nicht den Medikamente im Falle einer Reakti- Hauptkriterium Erbrechen 1–4 Stunden effektiv ist. on notiert sind (Abb. 1). Neben Ondan- nach Verzehr eines verdächtigen Nah- setron wird die Gabe von Prednisolon rungsmittels, in diesem Fall Lachs, ohne empfohlen. Einen hohen Stellenwert Ondansetron IgE-vermittelte Symptome war erfüllt und hat außerdem die Flüssigkeitssubsti- Ondansetron hemmt die Seroto- zusätzlich auch 4 der 9 Nebenkriterien: tution. Bei milden Symptomen kann die nin-Wirkung an 5-HT3-Rezeptoren. 1. eine zweite Episode nach Verzehr orale Flüssigkeitszufuhr ausreichend Serotonin wird aus neuroendokrinen desselben Nahrungsmittels, sein. Zellen der Darmschleimhaut freige- 2. extreme Lethargie und setzt und beeinflusst die Darmmoti- 3. deutliche Blässe im Zusammenhang Prognose lität, indem es die Muskelzellen des mit der Reaktion sowie Das Alter der Toleranzentwicklung bei Patienten mit FPIES unterscheidet sich Abbildung 1. Beispiel für einen Notfallausweis je nach Art des Nahrungsmittels. Für Milch z. B., dem weltweit häufigsten Aus- löser, stehen unter anderem Daten einer großen populationsbasierten Kohorten- studie aus Israel zur Verfügung. Dort waren 60 % der Kinder nach einem Jahr milchtolerant, 75 % nach 2 Jahren und 85 % nach 3 Jahren [8]. Für Getreide be- trägt die mittlere Toleranz etwa 35 Mona- te und für andere feste Nahrungsmittel 42 Monate [15]. Bei Kindern wie Julia mit Fisch-FPIES scheint die Toleranzentwicklung schlech- ter als bei anderen festen Nahrungsmit-
Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Topic Kasuistiken 13 teln zu sein. Eine größere Patientengrup- bei einigen trat eine Toleranz erst nach Erfreulicherweise reagiert die Mehrheit pe von 80 Kindern in Spanien zeigte eine dem 10. Geburtstag ein [5]. Zusätzlich der Kinder auf nur eine Fischsorte, sodass mittlere Toleranz für Fisch im Alter von 5 gibt es Hinweise dafür, dass die Prog- es sinnvoll sein kann, Fischalternativen Jahren [7]. Bei einer weiteren Gruppe von nose bei FPIES für mehrere Fischsorten zu testen, um eine komplette Meidung zu 16 spanischen Kindern waren nur 3 Kin- schlechter ist, als bei FPIES für nur eine verhindern [7, 13]. Thunfisch und Schwert- der vor dem 5. Geburtstag tolerant und Fischsorte [7]. fisch werden z. B. gut vertragen [7]. Julia zeigte eine typische akute FPIES-Reaktion, wie sie bei den meisten Kindern mit akutem FPIES gesehen wird. Die Reexposition mit dem Allergen 12–18 Monate nach der letzten Reaktion ist sinnvoll; sie gibt Aufschluss über eine Toleranzentwicklung oder bestätigt die Diagnose. Aufgrund der möglicherweise verzögerten Toleranzentwicklung bei Fisch-FPIES kann nach einem positiven Provokationsausgang ein längeres Intervall zur nächsten Provokation gewählt werden. Die Kasuistik zeigt, dass FPIES bei Unkenntnis über das Krankheitsbild leicht übersehen wird. Durch eine rechtzeitige Diagnosestellung sind Folgereaktionen vermeidbar. Akutes FPIES bei Fleisch und Banane Anamnese Anna wurde im Alter von 14 Monaten am- tionär aufgenommen wurde. Sie hatte ner- und Putenfleisch und Banane ne- bulant zur Abklärung einer Nahrungsmit- 4,5 Stunden vor Beginn des Erbrechens gativ. telallergie vorgestellt. Sie hatte im Alter eine halbe Banane gegessen. Zuvor von 8 und 9 Monaten 3 Episoden mit repe- und auch danach wurden Bananen im- Zwei Monate nach der Erstvorstellung titivem Erbrechen begleitet von Apathie mer verweigert. Die Mutter beschrieb erfolgte eine stationäre offene Nah- jeweils 1 Stunde nach Rindfleischkon- die Reaktion nach Verzehr der Banane rungsmittelprovokation. Am 1. Tag wurde sum. Aufgrund des deutlich reduzierten als „FPIES-typisch“, nicht wie bei einer Schweinefleisch gegeben, das Mädchen Allgemeinzustandes während dieser Gastroenteritis. reagierte nach der 2. von 3 Gaben (kumu- Episoden war das Mädchen in einer Not- lativ 40 g Fleisch) nach einem Intervall fallambulanz vorgestellt worden. Alle Mit der Familie wurde besprochen, von 1,5 Stunden mit zweimaligem Erbre- anderen Nahrungsmittel einschließlich dass zur Klärung der Toleranz anderer chen. Es erfolgte die Gabe von Volumen, Hühnerfleisch, die im Rahmen der Mit- Fleischsorten zeitnah eine Provokation Ondansetron und Prednisolon i. v.. Die tagsmahlzeiten zusammen mit Rind- mit Schweinefleisch und Hühnerfleisch titrierte Gabe von Hühnerfleisch 2 Tage fleisch konsumiert worden waren, wur- sowie Banane erfolgen kann. Bis dahin später wurde gut vertragen. den vorher und nachher gut vertragen. sollten alle Fleischsorten wie bisher Zum Zeitpunkt der Vorstellung wurden gemieden werden, außerdem Banane. Der Versuch einer Provokation mit Ba- alle Fleischsorten gemieden. Fisch wur- Die Familie wurde mit einem Notfallaus- nane im Alter von 2 Jahren scheiterte an de problemlos regelmäßig konsumiert. weis ausgestattet (s. Topic Einführung). der Kooperation des Kindes, eine geringe Menge Banane (etwa 1/3) wurde konsu- Eine Woche vor der ambulanten Vorstel- Diagnostik miert und toleriert. Der Familie von Anna lung gab es eine weitere Episode mit an- wurde nach der Provokation empfohlen, haltendem Erbrechen und Apathie. An- In der serologischen Allergiediagnos- Geflügelfleisch in die Ernährung einzu- nas Zustand war so reduziert, dass sie tik zeigte sich sIgE gegen Rindfleisch, führen und Fleisch von Säugetieren und zur i. v.-Rehydratation für eine Nacht sta- Schweinefleisch, Hammelfleisch, Hüh- Banane zu meiden.
14 Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Topic Kasuistiken Diskussion ven Provokation mit Schweinefleisch rein nane gestellt werden. In der Provokation pragmatisch die Empfehlung ausgespro- konnte aufgrund der nur geringen Menge Nach den Diagnosekriterien der interna- chen, kein Fleisch von Säugetieren zu ge- konsumierter Banane keine Aussage zur tionalen Konsensusleitlinie von 2017 [15] ben. Alternativ hätten weitere Fleischsor- Toleranz gemacht werden. kann bei Anna für Rindfleisch und für ten von Säugern mittels Provokation ge- Schweinefleisch eindeutig die Diagno- testet werden müssen, was von den Eltern Ein unterschiedliches Zeitintervall zwi- se eines akuten FPIES gestellt werden. abgelehnt wurde. schen Ingestion des auslösenden Nah- Anamnestisch lagen für Rindfleisch das rungsmittels und Beginn der Symptome Haupt- und 3 Nebenkriterien vor (2 oder War nun die einmalige Reaktion auf die wird bei multiplen Auslösern bei den von mehr Episoden von Erbrechen nach Es- halbe Banane auch eine FPIES-Reaktion? uns betreuten Patientinnen und Patienten sen eines verdächtigen Nahrungsmittels, Für sich alleine genommen hätte man von den Eltern immer wieder berichtet. Wir Lethargie, Vorstellung in einer Notfallam- ohne die vorangegangenen Reaktionen beobachten auch bei den FPIES-Provoka- bulanz). Daher war eine Provokation mit auf Rindfleisch die Diagnose eines akuten tionen Reaktionsintervalle, die teilweise Rindfleisch nicht zur Diagnosesicherung FPIES noch nicht gestellt. Auch das Zeit- mehr als 1 Stunde von dem anamnestisch indiziert, wohl aber zur Klärung der Ver- intervall von 4,5 Stunden zwischen In erhobenen Reaktionsintervall abweichen. träglichkeit anderer Fleischsorten. Über gestion und repetitivem Erbrechen war Neben anamnestischen Ungenauigkeiten die Kreuzreaktion von verschiedenen recht lang. Andererseits war der klinische vermuten wir als Ursache für diese Dis Fleischsorten bei FPIES gibt es bislang Zustand identisch zu dem der vorangegan- krepanz eine Abhängigkeit des Reaktions keine publizierten Berichte. Fleisch von genen Reaktionen: Es bestand Lethargie, intervalls von der Allergendosis: Bei In Säugetieren scheint weltweit ein eher das Kind wurde in der Notfallambulanz vor- gestion von nur kleinen Proteinmengen im seltener Auslöser zu sein, wohingegen gestellt und wegen drohender Exsikkose Rahmen der Provokation (1. und 2. Stufe Geflügelfleisch und Fisch als Auslöser stationär aufgenommen (4 Nebenkriterien entsprechend 10 % und 30 % der Gesamt- von FPIES-Reaktionen deutlich häufiger erfüllt). Daher kann aus unserer Sicht in dosis) tritt die Reaktion nicht selten 30–60 vorkommen. Daher wurde nach der positi- diesem Fall die Diagnose FPIES durch Ba- Minuten später auf als zu Hause. Bei akutem FPIES können bei einigen Patienten multiple Auslöser vorliegen. Dabei kann das Reaktionsintervall bei verschiedenen Auslösern unterschiedlich lang sein. Bei Fleisch oder Fisch als Auslöser reagieren Patientinnen und Patienten nicht selten auf verschiedene Fisch- bzw. Fleischsorten. Dies sollte anamnestisch detailliert erfragt werden. Diese Kasuistik zeigt, dass bei akutem FPIES typischerweise solche Nahrungsmittel Auslöser der Symptomatik sind, die als wenig allergen gelten. Ungewöhnlicher Fall einer Hühnereiallergie Anamnese Ein 3 Jahre alter Junge wurde zu einer das unter Basis-Externatherapie seit andere atopische Erkrankungen waren oralen Re-Provokationstestung mit Hüh- Längerem stabil war. Die klassische nicht bekannt. nerei stationär aufgenommen. Zu dem IgE-vermittelte Hühnereiallergie war im Zeitpunkt war er infekt- und fieberfrei und Alter von ca. 18 Monaten mittels oraler Bei abfallenden IgE-Antikörpern gegen befand sich im guten Allgemeinzustand. Provokationstestung in einer anderen Hühnereiweiß (aktuell 0,94 kU/l) be- Klinik diagnostiziert worden. Seitdem stand nach 1,5 Jahren jetzt der Wunsch Anamnestisch bestand ein Atopisches erfolgte eine strikte eifreie Ernährung. der Eltern nach einer Provokations Ekzem seit dem frühen Säuglingsalter, Weitere Nahrungsmittelallergien oder testung.
Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Topic Kasuistiken 15 Diagnostik und Verlauf Tabelle 1. Provokation: 7 Stufen am Beispiel Hühnerei roh Am ersten Tag erfolgte die Provokations- Titrationsstufe Hühnerei Enthaltene Proteinmenge testung nach dem üblichen siebenstufi- Abgewogene Menge gen Schema (Tab. 1). Die ersten 6 Gaben 1 0,04 g 5,2 mg erfolgten problemlos, dann zeigte der Junge erstmalig eine Aversion gegen die 2 0,1 g 12,9 mg Provokationsmahlzeit. Etwa 30 Minuten 3 0,4 g 51,6 mg nach der 7. Gabe (entsprechend 5,16 g 4 1,0 g 129 mg Proteinmenge) zeigte sich erstmalig eine generelle Unruhe des Kindes. In der Folge 5 4g 516 mg kam es rasch zur Entwicklung einer gene- 6 10 g 1,29 g ralisierten Urtikaria mit starkem Pruritus. Extrakutane Symptome traten nicht auf. 7 40 g 5,16 g Nach der i. v.-Gabe von Clemastin und Kumulative Dosis 55 g* 7,095 g Prednisolon war die Symptomatik rasch * entspricht ca. 1 Hühnerei Größe M rückläufig und der Junge wieder in sehr gutem Allgemeinzustand. Quelle: E Sonderheft Nahrungsmittelallergie 2019, Manual orale Nahrungsmittelprovokation [6] Drei Stunden später äußerte der Patient sie sind meist nach 6–24 Stunden zu be- umgekehrt – bei gleichem Allergen – ist akut ein Unwohlsein und Bauchschmer- obachten [17, 21]. In unserem Fall würde bekannt [1, 2]. zen ohne erkennbaren Grund. Sehr rasch die klinische Verschlechterung 3 Stun- folgte eine deutliche Verschlechterung den nach der Erstbehandlung zu einem Eine akute, infektiöse Gastroenteritis als des Allgemeinzustandes mit extremer biphasischen Verlauf einer IgE-vermit- weitere wichtige Differenzialdiagnose ist Blässe, profusem und anhaltendem Er- telten Soforttypreaktion passen, jedoch bei einem so plötzlichen Beginn und ge- brechen, Apathie, Fieber bis 39°C und entspricht der perakute Beginn der Be- nauso raschem Sistieren der Symptomatik, Tachykardie bis 170/min bei noch norm- schwerden mit profusem und lang anhal- fehlendem Keimnachweis im Stuhl sowie wertigem Blutdruck. Eine kutane oder tendem Erbrechen, Apathie und Blässe einer unauffälligen Familien- und Umge- pulmonale Beteiligung bestand nicht. eher einem akuten FPIES [15]. bungsanamnese sehr unwahrscheinlich. Umgehend erhielt der Patient Adrenalin i. m. und Prednisolon i. v. Fieber wie bei unserem Patienten oder er- Es stellt sich nun die Frage, ob ein höhte Entzündungsparameter (in diesem gleichzeitiges Vorkommen einer IgE-ver- Eine klinische Besserung konnte jedoch Fall nicht mitbestimmt) sind kein Aus- mittelten Soforttypreaktion und einer erst unter forcierter Volumentherapie schlusskriterium für ein FPIES. Vielmehr FPIES-Symptomatik im Rahmen einer al nach wenigen Stunden erreicht werden. sind diese Symptome als Ausdruck einer lergischen Reaktion möglich ist. Fieber und Erbrechen traten nicht mehr T-Zell-vermittelten Ausschüttung pro auf und der Allgemeinzustand besserte inflammatorischer Zytokine zu verstehen Letztendlich bleibt die Frage nach dem sich rasch. [9, 10]. Grund der Zweitreaktion ungeklärt; für den Patienten ist die weitere Karenz ge- Diskussion Bei dem Patienten lag eine allergische gen Hühnerei in jedem Fall unverändert Sensibilisierung gegen Hühnereiweiß wichtig. Möglicherweise wird die nächste Allergische Spätreaktion oder Sepsis? vor. Auch wenn ein FPIES meist nicht Provokationstestung eine endgültige Klä- Protrahierte oder biphasische Verläufe IgE-vermittelt ist, schließt ein positiver rung mit sich bringen. Bei bestehender mit einer erneuten Symptomatik sind sIgE-Befund ein FPIES nicht aus; in die- IgE-vermittelter Sensibilisierung wird die- auch nach einer erfolgreichen Akutthera- sem Fall spricht man von einem atypi- se Testung wieder in 7 Stufen erfolgen. pie im Rahmen der Anaphylaxie möglich. schen FPIES. Eine Phänotyp-Verschie- Im Gegensatz dazu erfolgt die Provokati- Häufig handelt es sich dabei um ähnliche bung von typischem FPIES zu einem on bei einem typischen, nicht-IgE-vermit- Symptome wie bei der Erstreaktion und atypischen FPIES mit sIgE-Nachweis und telten FPIES in 3 Stufen [6].
16 Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Topic Kasuistiken Prognose für Hühnereiweiß je nach Population zwi- on bei unserem dreijährigen Patienten schen dem Alter von 2 und 6 Jahren [19]. und der Tatsache, dass es sich um eine Die Prognose einer Hühnereiallergie Kinder mit einem Hühnerei-FPIES wer- Re-Provokationstestung handelte, ent- wird im Allgemeinen als gut angesehen. den in der Regel im Alter von 5 Jahren schieden sich die Eltern vorerst gegen Bei einer IgE-vermittelten Soforttyp tolerant [22]. Aufgrund einer aktuell star- eine erneute Testung in den nächsten reaktion zeigt sich eine mittlere Toleranz ken, biphasischen allergischen Reakti- Jahren. Allergische Reaktionen auf Nahrungsmittel müssen nicht immer entweder IgE- oder nicht-IgE-vermittelt erfolgen. Eine Phänotypverschiebung bei gleichem Allergen im Laufe der Zeit ist bekannt. Das Besondere an dieser Kasuistik ist ein gleichzeitiges Vorkommen einer IgE-vermittelten Soforttypreaktion und einer FPIES-Symptomatik, das sich als solches in den Diagnosekriterien der internationalen Konsensusleitlinie von 2017 [15] zwar nicht findet, aber möglich und bei unserem Patienten nicht auszuschließen ist. Neonatale Gastroenteritis oder doch mehr? Anamnese Aufnahmebefund ❙ Hypalbuminämie 2,6 g/dl, ❙ Harnstoff von 71 mg/dl bei normwerti- In unserer Notaufnahme wurde ein 20 20 Tage altes, dystrophes männliches gem Kreatinin. Tage altes männliches Neugeborenes Neugeborenes in schlechtem Allge- mit einer seit dem Vortag bestehenden, meinzustand und blass-gräulichem Im Übrigen zeigten sich unter anderem nicht blutigen Diarrhoe vorgestellt. Zu- Hautkolorit, Rekapillarisierungszeit 3 Normwerte für Transaminasen, Laktat, dem war es mehrfach zu schwallartigem Sekunden, eingesunkene große Fonta- Ammoniak und CRP. Die sIgE-Antikörper Erbrechen unabhängig von der Mahlzeit nelle, halonierte Augen, trockene Mund- gegen Milcheiweiß waren negativ. Das gekommen. Fieber bestand nicht. Der schleimhaut, reduzierter Hautturgor, Neugeborenen-Stoffwechselscreening Junge sei sehr unruhig gewesen und Tachykardie von 199/min und Tachy inklusive Mukoviszidose war ebenfalls habe fast stündlich trinken wollen, die pnoe von 70/min. Weitere Befunde: Ge- unauffällig. Trinkmengen seien jedoch deutlich re- wicht 2500 g (
Pädiatrische Allergologie » 02 / 2020 » Topic Kasuistiken 17 Verlauf Zwei Tage nach der Entlassung erfolgte kungen vor. Metabolische Azidose und eine erneute stationäre Aufnahme bei Methämoglobinämie sind jedoch hinwei- Aufgrund der schweren hypertonen, me- Erbrechen und Diarrhoe ohne Fieber. send für einen schweren FPIES-Verlauf tabolischen Azidose wurde eine sorgfäl- Laborchemisch zeigte sich wieder eine [14, 15]. tig bilanzierte Infusionstherapie begon- leichte Methämoglobinämie von 2,3% nen. Bei unauffälligen laborchemischen bei noch ausgeglichener Blutgasana- Die Stuhldiagnostik und radiologische Infektparametern und afebrilem Kind lyse. Nach Ausschluss einer Infektion Untersuchungen sind bei FPIES nicht wurde zunächst auf eine antibiotische und eines möglichen „Diätfehlers“ wur- zielführend. Der sonografische Nach- Therapie verzichtet. Bei einer nur sehr de die eHF-Nahrung auf eine Amino- weis einer intramuralen Pneumatosis, zögerlichen Besserung der metaboli- säuren-Formula (AAF) umgestellt. Die der auch beim FPIES vorkommen kann, schen Azidose und der enteritischen klinischen und laborchemischen Auffäl- kann möglicherweise als nekrotisieren- Symptomatik trotz intensivierter Infusi- ligkeiten besserten sich danach anhal- de Enterokolitis fehlgedeutet werden onstherapie erfolgte einmalig die Puf- tend. [15]. ferung sowie die Nahrungsumstellung auf eine extensiv hydrolysierte Formula Diskussion Etwa 10–40 % der Kinder mit FPIES to- (ehF). Im weiteren Verlauf kam es zu ei- lerieren keine ehF-Nahrung und benö- ner langsamen Besserung der klinischen Das initiale klinische Bild entsprach einer tigen daher eine AAF-Nahrung [16]. Die Symptomatik und der laborchemischen schweren Exsikkose bei z. B. infektiöser endgültige und anhaltende Besserung Auffälligkeiten. Gastroenteritis. Differenzialdiagnostisch konnte bei unserem Patienten auch erst wäre auch eine Sepsis denkbar gewe- durch die Umstellung auf eine Amino- Vor der geplanten Entlassung erfolg- sen, jedoch fehlten Fieber und erhöhte säuren-Formula erreicht werden. Zur te die Rück-Umstellung auf die bereits Entzündungsparameter. Einige weitere, Überprüfung einer möglichen Toleranz- zuhause gegebene Pre-Nahrung. Inner- teilweise auch vom Alter abhängige Diffe- entwicklung wurde mit den Eltern eine halb einer Stunde kam es zu einer rapi- renzialdiagnosen finden sich in Tabelle 1 Provokationstestung unter stationärem den Verschlechterung des Allgemein- des Topic Einführung (S. 8 ). Monitoring in ca. 12–18 Monaten verein- zustandes mit Erbrechen, Diarrhoe, bart. Bis dahin muss der Junge milchfrei metabolischer Azidose und Methämo- Letztendlich haben zwei wichtige Kriteri- ernährt werden. globinämie. en zur Diagnose eines chronischen FPIES geführt: Vor der Provokationstestung ist eine er- Somit ergab sich nach der Definition ❙ Besserung der Symptomatik unter neute Kontrolle der sIgE-Antikörper oder der internationalen Konsensusleitlinie Rehydratation UND Allergenkarenz (in des Haut-Pricktest gegen Milch eiweiß von 2017 [15] die Diagnose eines chroni- diesem Fall Milcheiweiß) und sinnvoll. Bei weiter negativen slgE-Anti- schen FPIES. Die Symptomatik besserte ❙ akute FPIES-Symptomatik nach Re- körpern würde man nach üblichem Sche- sich nach Eliminierung des Auslösers Exposition [15]. ma in 3 Stufen provozieren (10–30–60 % (Milcheiweiß) und unter extensiv hydroly- der Gesamtmenge). Bei Nachweis einer sierter Formula (eHF). Die Eltern wurden Die oben genannten Laborauffälligkeiten IgE-Sensibilisierung erfolgt die Provoka- beraten, das Kind vorerst weiter mit eHF sind alleine nicht beweisend für ein FPIES tion in 7 Stufen analog dem Schema für zu ernähren. und kommen auch bei anderen Erkran- IgE-vermittelte Reaktionen [6]. Das Besondere an dieser Kasuistik ist das klinische Bild einer schweren, septischen Gastroenteritis bei einem Neugeborenen. In solchen Fällen sollte unbedingt auch an ein chronisches FPIES gedacht werden, insbesondere wenn die Besserung auf eine Standardtherapie ausbleibt. Neugeborene und Säuglinge mit chronischem FPIES auf Kuhmilchprotein bessern sich klinisch unter milchfreier Ernährung erst nach Tagen. Etwa 10–40 % dieser Kinder werden unter eHF nicht symptomfrei, sondern benötigen eine AAF.
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