PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE
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AUSGABE 04 / 2018 PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE IN KLINIK UND PRAXIS TOPIC TOPIC TOPIC GESUNDHEITSPOLITIK Die KiGGS-Studie – GINIplus und LISA – Die PASTURE-Geburtskohorte – Deutscher Ärztetag: Gesundheits-Survey Epidemiologie allergischer prospektive Langzeitstudie Abschaffung der Weiterbildungs- bei Kindern und Jugendlichen Erkrankungen in der Kindheit zum „Bauernhofeffekt“ zeiten in der Allergologie
2 Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Impressum Inhalt / IMPRESSUM TOPIC populationsbasierte Geburtskohorten aus JOURNAL CLUB Deutschland. Ziel beider Studien ist es, den 25 H ygienehypothese: Über die Mikroben 4 ie KiGGS-Studie − epidemiologische D natürlichen Verlauf allergischer Erkrankungen, hinausgedacht Allergieforschung bei Kindern und wie Heuschnupfen, Asthma und atopisches Jugendlichen in Deutschland Ekzem (atopische Dermatitis), und anderer Vor dem Hintergrund der in den 1990er Jahren häufiger chronischer Erkrankungen von der Weitere Themen noch lückenhaften Informationen zur gesund- frühen Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter 27 Gesundheitspolitik heitlichen Lage von Kindern und Jugendlichen zu beschreiben sowie den Zusammenhang mit D er Deutsche Ärztetag beschließt die Abschaf- in Deutschland hat das Robert Koch-Institut Umwelt- und Lebensstilfaktoren zu untersu- fung der Weiterbildungszeiten in der Allergologie die „Studie zur Gesundheit von Kindern und Ju- chen. gendlichen in Deutschland“ (KiGGS) konzipiert 32 Frage an den Allergologen und mit Finanzierung des Forschungs- und des 18 Die PASTURE-Geburtskohorte Wie lässt sich eine Penicillinallergie nachweisen? Gesundheitsministeriums von 2003−2006 erst- Vor dem Hintergrund der Hygiene-Hypothese 33 Serie Quartheft malig durchgeführt. Heute ist die KiGGS-Studie wurden in den letzten Jahrzehnten viele Spezifische Immuntherapie: Vergleichsstudien fester Bestandteil des Gesundheitsmonitorings Untersuchungen durchgeführt, um zu klären, zu SIT-Präparaten sind rar des Robert Koch-Instituts, welches das Ziel ver- welche Umweltfaktoren einen Einfluss auf die folgt, regelmäßig zuverlässige Informationen Entwicklung von Asthma haben. In diversen 35 Neue Immundefekte zu Gesundheitszustand, Gesundheitsverhalten Querschnittstudien ließ sich schließlich Schwere Influenza bei Defekt des IRF7 und zur Gesundheitsversorgung der deutschen nachweisen: Asthma und andere Allergien im 37 Umweltmedizin Bevölkerung bereitzustellen. Kindesalter treten deutlich seltener bei Kindern Feine und ultrafeine Stäube beeinflussen auf, die sich häufig in Kuhställen aufhalten und wesentlich die Kindergesundheit (Teil 1) 10 Epidemiologie allergischer Erkrankungen (nach dem Abstillen) stets frische Kuhmilch in der Kindheit getrunken hatten. Um solche Daten zu bestä- Die Geburtskohorten GINIplus und LISA tigen, wurde die prospektive PASTURE-Studie Elternratgeber GINIplus (German Infant Study on the Influence (Protection against Allergy − Study in Rural En- 42 Rehabilitation bei Kindern und Jugendlichen: of Nutrition Intervention plus Air pollution and vironments) konzipiert. Es wurden insgesamt Wann? Für wen? Wie? Wie oft? Genetics on Allergy Development) und LISA 1133 Schwangere und ihre Neugeborenen aus (Influence of Lifestyle Factors on Development ländlichen Regionen in Europa rekrutiert; aus Veranstaltungen of the Immune System and Allergies in East Follow-up-Untersuchungen liegen aktuell Daten and West Germany) sind zwei prospektive, bis zum Alter von 11 Jahren vor. 45 Termine Pädiatrische Allergologie in Klinik und Praxis, 21. Jg. / Nr. 4 Herausgeber: Ressortschriftleiter: Bildnachweis: Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie Dr. med. Peter J. Fischer, 73525 Schwäbisch Gmünd Fotos: Prof. A. Bufe: S. 3, 25 | Fotolia: Titelseite: Mon- und Umweltmedizin e. V., Rathausstraße 10, (Elternratgeber); Dr. med. Frank Friedrichs, 52072 key Business, S. 41: Comofoto, S. 45: Picture-Factory | 52072 Aachen, Tel. 02 41/98 00-4 86, Aachen (Gesundheitspolitik); Dr. med. Michael Dr. F. Friedrichs: S. 31 Mitte | Dr. N. Harandi: S. 31 Fax 02 41/98 00-2 59, gpa.ev@t-online.de, Gerstlauer, Klinikum Augsburg, Klinik für Kinder unten | Dr. Th. Spindler: S. 42, 43 E www.gpau.de und Jugendliche, 86156 Augsburg (Fragen an den Anzeigenleitung: Allergologen); Dr. med. Thomas Lob-Corzilius, Verlag: iKOMM GmbH, Albrecht Habicht. Wielandstr. 15, 49078 Osnabrück (Umweltmedizin); iKOMM • Information und Kommunikation im Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 4 vom 1. Oktober 2017. Prof. Dr. med. Jürgen Seidenberg, Elisabeth-Kin- Gesundheitswesen GmbH, Friesenstraße 14, derkrankenhaus, 26133 Oldenburg (Pädiatrische Erscheinungsweise: 53175 Bonn, Tel. 02 28 /37 38 41, Fax 02 28 /37 38 40, Pneumologie); Prof. Dr. med. Volker Wahn, Charité Die Pädiatrische Allergologie in Klink und Praxis er- info@ikomm.info, E www.ikomm.info Campus Virchow, Klinik m. S. Pädiatrische Pneumo- scheint vierteljährlich jeweils zu Beginn des Quartals. Verlagsleitung: Dr. Ulrich Kümmel logie und Immunologie, 13353 Berlin (Pädiatrische Bezugspreise: Immunologie) Schriftleitung: Einzelheft (eJournal): 15,00 Euro, Jahresabonnement: Prof. Dr. med. Albrecht Bufe, Experimentelle Pneumo Redaktion: 42,00 Euro, Jahresabonnement für Studenten logie, Ruhr Universität Bochum, 44780 Bochum, Dr. med. Susanne Meinrenken, Am Schäferhof 3, (bei Vorlage einer Bescheinigung): 31,50 Euro albrecht.bufe@rub.de; 28759 Bremen, susanne.meinrenken@sprachzeug.de Layout: kippconcept gmbh, Bonn Dr. med. Armin Grübl, Kinderklinik München Schwa- bing, Klinik und Poliklinik für Kinder-und Jugendme- Hinweis: Bei Berufsbezeichnungen sind immer ISSN: 2364-3455 dizin, Klinikum Schwabing, StKM GmbH und Klinikum beide Geschlechter gemeint, also Kinder- und rechts der Isar (AöR) der Technischen Universität Jugendärztinnen bzw. Kinder- und Jugendärzte. München, Kölner Platz 1, 80804 München, armin.gruebl@tum.de
Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Editorial 3 Liebe Leserinnen und Leser! „Für eine Welt ohne Allergien!“ − Das ist liche Kontakt mit Innenraumallergenen ist Christian Denne das Motto des diesjährigen E Deutschen ein eindeutiger Risikofaktor für eine frühe zum Thema Peni- Allergiekongresses in Dresden, unter Fe- allergische Sensibilisierung, die Entwick- cillinallergie und derführung der GPA und den Präsidenten lung und Persistenz des kindlichen Asth- Frank Friedrichs er- Christian Vogelberg (Dresden) und Lars ma sowie die Einschränkung der Lungen- klärt zum anderen, war- Lange (Bonn). Ein Märchen aus Utopia funktion. 4. Die Entwicklung kindlicher um es eigentlich keine Ver- oder eine denkbare Aussicht? IgE-Antikörperantworten auf Umweltal- gleichsstudien zwischen den lergene zeigt ein molekulares „spreading“ verschiedenen Applikationsarten Was ist logischer, als für die erwarteten in den ersten Lebensjahren und geht der der Spezifischen Immuntherapie gibt. Im Perspektivdebatten auf einem solchen Krankheitsmanifestation voraus. Umweltressort schreibt Thomas Lob den Kongress Daten aus Geburtskohorten ersten Teil einer ausgezeichneten Zusam- zum Thema Allergieentwicklung der letz- Der dritte Topic präsentiert eine Geburts- menfassung zur Bedeutung der Feinstäu- ten Jahrzehnte zu präsentieren? Würden kohorte, die das Leben auf dem Bauern- be für die kindliche Gesundheit. Thomas diese uns die Frage nach Utopie oder Re- hof und die Exposition gegenüber dort Spindler präsentiert einen sehr informa- alismus nicht beantworten können? vorherrschenden Umweltfaktoren zum tiven Elternratgeber zu Rehabilitation bei Thema gemacht hat: die Pasture-Studie. Kindern und Jugendlichen. In Topic 1 beginnt es mit KiGGS, einer Diese Studie zeigt, dass Infekte und der Querschnittstudie (Survey) vom Robert Konsum von unbehandelter Kuhmilch im Wie zu erwarten sind wir noch mit vielen Koch-Institut (RKI); dargestellt werden ersten Lebensjahr der Kinder zum Aller- relevanten klinischen Fragen und Prob- die Daten der zweiten Welle: Das sieht gieschutz beitragen. lemen der Allergologie konfrontiert. Es aktuell nicht nach einem Leben ohne Al- gibt Perspektiven zur Prävention, vieles lergien aus. Also – bäuerliche Lebensbedingungen noch utopisch, manches realistisch. Las- in jeden Haushalt und die Allergiefreiheit sen wir uns nicht unterkriegen, bleiben In Topic 2 folgen GINIplus und LISA, zwei ist garantiert? wir dabei. prospektive populationsbasierte Geburts- kohorten aus Deutschland. LISA ist rein Der Journal-Club vertieft die Topics. Er Ihnen eine gute Lektüre. epidemiologisch, GINIplus ist eine pros- berichtet von der Identifizierung der nicht pektive Interventionsstudie, die frühe Er- mikrobiellen N-Glycol-Neuraminsäure Mit den besten Grüßen, nährungsformen vergleicht: Also gibt es als Bestandteil des Stallstaubs und be- Ihr Albrecht Bufe doch eine Chance zu einem allergiefreien legt epidemiologisch und im Tiermodell Leben? deren allergieschützende Wirkung. Prof. Dr. med. Albrecht Bufe Wir berichten nicht über die MAS-Kohor- Aus unseren Ressorts: Volker Wahn be- Experimentelle Pneumologie te. Wir verweisen dafür auf einen E Re- richtet über die genetische Störung des Ruhr Universität view in Annals of Allergy, Asthma and Interferon-regulierenden Faktors (IRF) und Bochum Immunology von Susanne Lau und Ulrich dessen Assoziation mit einer selektiven 44780 Bochum Wahn, Letzterer der Vater der Studie und Infektanfälligkeit gegenüber Influenza-Vi- albrecht.bufe@rub.de Schöpfer der Hypothese zum Allergischen ren. Bereits im Newsletter vorveröffent- Marsch [1]. Zusammengefasst: 1. Die ato- licht wurde ein Interview von Frank Fried- pische Multimorbidität der Haut und der richs mit Neda Harandi zum Beschluss des Atemwege ist sehr stark genetisch be- Ärztetages zur Abschaffung der Weiterbil- Literatur stimmt. 2. Zwischen den Geschlechtern dungszeiten in der Allergologie – ein dra- 1 L au S, Matricardi PM, Wahn U, Lee YA, Keil T. Al- gibt es bemerkenswerte Unterschiede in matischer Einschnitt in die Qualifikations- lergy and atopy from infancy to adulthood: Mes- sages from the German birth cohort MAS. Ann der Krankheitsausprägung, die im Lauf bedingungen in unserem Fach. Die Fragen Allergy Asthma Immunol. 2018 May 25. pii: S1081- der Entwicklung variieren. 3. Der frühkind- an Allergologen beantwortet zum einen 1206(18)30378-8
4 Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Topic TOPIC Die KiGGS-Studie − epidemiologische Allergieforschung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland Roma Thamm, Elvira Mauz, Michael Thamm, Bärbel-Maria Kurth, Robert Koch-Institut, Berlin Vor dem Hintergrund der in den 1990er Jahren noch lückenhaften Informationen zur gesundheitlichen Lage von Kindern und Jugendlichen in Deutschland hat das Robert Koch-Institut die „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (KiGGS) konzipiert und mit Finanzierung des Forschungs- und des Gesundheitsministeriums von 2003−2006 erstmalig durchgeführt [4]. Heute ist die KiGGS- Studie fester Bestandteil des Gesundheitsmonitorings des Robert Koch-Instituts, welches das Ziel verfolgt, regelmäßig zuverlässige Infor- mationen zu Gesundheitszustand, Gesundheitsverhalten und zur Gesundheitsversorgung der deutschen Bevölkerung bereitzustellen [6, 7]. Was ist KiGGS? Urinproben ab. Komplettiert wurde die hängigkeit von Einflussfaktoren nachge- Erhebung mit von den Eltern und ab 11 zeichnet werden können. In Abbildung 1 Die KiGGS-Basiserhebung wurde als Un- Jahren zusätzlich auch von den Kindern ist das Studiendesign von KiGGS grafisch tersuchungs- und Befragungssurvey in und Jugendlichen selbst auszufüllenden dargestellt. Bis heute wurden mit KiGGS insgesamt 167 zufällig ausgesuchten Fragebögen zu Gesundheits- und Inan- Welle 1 (2009−2012) und KiGGS Welle 2 Städten und Gemeinden in Deutschland spruchnahmeverhalten und dem familiä- (2014−2017) zwei Folgeerhebungen im durchgeführt. Ziel war es, die Gemeinde- ren wie sozialen Lebensumfeld. Abstand von jeweils ungefähr 5 Jahren struktur in Deutschland hinsichtlich Ge- realisiert [10]. meindegröße und Regionalität adäquat Dieser erste bevölkerungsbezogene Ge abzubilden. Aus den Melderegistern der sundheitsuntersuchungssurvey bei Kin- KiGGS Welle 1 wurde als computerge- jeweiligen Einwohnermeldeämter wurden dern und Jugendlichen lieferte die In- stützte standardisierte Telefonbefragung Kinder und Jugendliche im Alter von 0−17 formationen zur Einschätzung der ge- umgesetzt [13]. Es wurden alle mittlerwei- Jahren stratifiziert nach Geschlecht und sundheitlichen Lage der in Deutschland le 6−24 Jahre alten Teilnehmenden der Ba- Altersjahrgängen zufällig ausgewählt lebenden Kinder und Jugendlichen. Zu- siserhebung erneut zur Teilnahme einge- und dann gemeinsam mit ihren Eltern zur sammen mit nachfolgenden Erhebun- laden, sofern sie der Wiederkontaktierung Studienteilnahme eingeladen. Dabei ist gen bildete er die Ausgangsbasis zur zugestimmt hatten und wieder auffindbar es gelungen, auch Heranwachsende mit Abschätzung repräsentativer Trends waren. Die Wiederteilnehmenden im Al- Migrationshintergrund entsprechend ih- beim Gesundheitszustand und beim Ge- ter von 7−17 Jahren wurden zudem in die rem Anteil an der deutschen Bevölkerung sundheitsverhalten der heranwachsen- Querschnittstichprobe einbezogen und zur Teilnahme zu gewinnen. Insgesamt den Generation. Mit der Verstetigung des mit einer neuen zufällig aus den Melde- konnten umfangreiche Informationen zur Gesundheitsmonitorings für Deutsch- registern der ursprünglichen Studienorte gesundheitlichen Lage von 17.641 Kin- land ist es gelungen, KiGGS als Lang- für den Altersbereich 0−6 Jahre gezogenen dern und Jugendlichen (8985 Jungen und zeitstudie mit Quer- und Längsschnitt- Stichprobe kombiniert (Abb. 1). Sowohl für 8656 Mädchen) erhoben werden. Als Er- komponente weiterzu entwickeln [5]. In Querschnitt- als auch für längsschnittliche hebungsinstrumente wurden standardi- letzterer − der KiGGS-Kohorte − werden Auswertungen wurden spezielle Gewich- sierte medizinische Untersuchungen und die Teilnehmenden der Basiserhebung tungsfaktoren erstellt [8, 9]. motorische Tests, ein computergestütz- von 2003−2006 bis ins Erwachsenenalter tes persönliches ärztliches Interview zu nachbeobachtet. Damit liegen individu- KiGGS Welle 2 [10] als erneuter Untersu- Erkrankungen sowie ein Arzneimittelin- elle Informationen im Lebensverlauf vor, chungs- und Befragungssurvey beinhal- terview eingesetzt. Darüber hinaus ga- mit denen Entwicklungen von Gesund- tet eine neue repräsentative Querschnitt ben die meisten Teilnehmenden Blut- und heit und Gesundheitsverhalten in Ab- erhebung für 0- bis 17-jährige Kinder
Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Topic 5 Abbildung 1. Studiendesign der KiGGS-Studie unter Creative Commons Attribution 4.0 License nach [9] und Jugendliche [2] sowie das zweite eingeladen, eine weitere Teilstichpro- schließliche Befragung angeboten. Nach Follow-up der mittlerweile 10- bis 31-jäh- be von 0−17 Jahren ausschließlich zur Abschluss der Untersuchungsphase des rigen Teilnehmenden der KiGGS-Kohorte Befragung. Für die Nachverfolgung der Surveys wurde den bisher nicht teilneh- [9]. Für die Querschnitterhebung wurde KiGGS-Kohorte wurden unabhängig von menden jungen Erwachsenen eine On- aus den Einwohnermelderegistern der ihrer Teilnahme in KiGGS Welle 1 alle lineerhebung angeboten, um diese bis- ursprünglichen Untersuchungsorte der ehemaligen Basisteilnehmenden erneut her schwer erreichbare Gruppe besser in Basiserhebung eine neue Zufallsstich- zur Untersuchung und Befragung einge- die Kohorte einzubinden. Auch für KiGGS probe von Kindern und Jugendlichen laden, sofern sie der Wiederkontaktie- Welle 2 wurden spezielle Gewichtungs- gezogen. Aus dieser Gruppe wurde eine rung zugestimmt hatten. Waren die Teil- faktoren für Quer- und Längsschnit- ebenfalls nach dem Zufallsprinzip ausge- nehmenden verzogen oder konnten bzw. tanalysen erstellt. In Tabelle 1 sind die wählte Teilstichprobe im Alter von 3−17 wollten sie nicht am Untersuchungspro- Fallzahlen und Teilnahmequoten in allen Jahren zur Untersuchung und Befragung gramm teilnehmen, wurde ihnen die aus- Erhebungswellen zusammengefasst. Tabelle 1. Eckzahlen der bisherigen Erhebungswellen der KiGGS-Studie Studienzeit Methodik KiGGS KiGGS-Kohorte Querschnitte Anzahl Alter Response Anzahl Alter Response KiGGS-Basis Befragungsdaten + 17.641 0−17 Jahre 67 % Baseline analog Querschnitt 2003−2006 Untersuchungsdaten (n = 17.641*) KiGGS Welle 1 Befragungsdaten 12.368 0−17 Jahre 56 % 11.995 6−24 Jahre 69 % 2009−2012 KiGGS Welle 2 Befragungsdaten 15.023 0−17 Jahre 40 % 10.853 10−31 Jahre 62 % 2014−2017 Untersuchungsdaten 3567 42 % 6465 37 % * Ein/e Studienteilnehmende/r wünschte im Nachhinein die Löschung der personenbezogenen Informationen und der Erhebungsdaten. nach [5], aktualisiert
6 Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Topic Welche Informationen ins- Abbildung 2. Trend der 12-Monats-Prävalenz (in %) von Heuschnupfen besondere zu allergischen (Elternangaben zu ärztlichen Diagnosen) bei Kindern und Jugendlichen Erkrankungen wurden in in Deutschland zwischen 2003–2006 und 2014–2017 KiGGS erhoben? Im Rahmen der KiGGS-Studie wurden Daten zu den häufigsten allergischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendli- chen erhoben. Dazu zählen Asthma bron- chiale, allergische Rhinitis (Heuschnup- fen), atopisches Ekzem (Neurodermitis) und allergisches Kontaktekzem. Die El- tern der Teilnehmenden gaben u. a. Aus- kunft darüber, ob ihre Kinder von den Erkrankungen betroffen sind, ob die Er- krankungen ärztlich festgestellt worden sind sowie ob, und wenn ja, welche Me- dikamente deswegen angewendet wer- den. Gefragt wurde auch nach Fehlzeiten neu erstellt anhand der Daten aus [12] in Kita, Schule oder Beruf aufgrund der allergischen Erkrankung. Bei Asthma wurden Fragen zum Thema Selbstwirk- Abbildung 3. Trend der 12-Monats-Prävalenz (in %) von Asthma bronchiale samkeit / Krankheitsmanagement [1] und (Elternangaben zu ärztlichen Diagnosen) bei Kindern und Jugendlichen in Asthmakontrolle [11] gestellt. Spezielle Deutschland zwischen 2003–2006 und 2014–2017 Fragen zur Versorgung liefern Informati- onen zu durchgeführten Allergietestun- gen, spezifischen Immuntherapien (Hy- posensibilisierung) und bei Asthma auch vertiefende Fragen zur Asthma-Behand- lung. Außerdem wurde ein Arzneimittel interview durchgeführt, in dem die Arz- neimittelanwendung der letzten 7 Tage erfasst wird [3]. In Laboranalysen wurden die Blutproben auf allergische Sensibili- sierungen gegen verschiedene Allergene und Allergenmischungen untersucht so- wie das Gesamt-IgE bestimmt. Für die pädiatrisch- neu erstellt anhand der Daten aus [12] allergologische Praxis relevante Trendergebnisse eine ärztliche Heuschnupfendiagnose achten sind charakteristische Unter- erhalten haben und deren Erkrankung schiede nach Geschlecht und Alter, mit Die Daten der KiGGS-Studie belegen die in den letzten 12 Monaten bestand oder höherer Prävalenz bei Jungen als bei hohe Public-Health-Relevanz allergi- medikamentös versorgt wurde, 9,9 % [12]. Mädchen (KiGGS Welle 2: 11,9 % vs. 7,9 %) scher Erkrankungen. Heutzutage beträgt Diese sogenannte 12-Monats-Prävalenz und einer deutlichen Zunahme der Präva- der Anteil der 3- bis 17-Jährigen, die bei- ist in den letzten 10 Jahren unverändert lenz mit zunehmendem Lebensalter bei spielsweise aktuell von Heuschnupfen hoch geblieben (KiGGS- Basiserhebung: beiden Geschlechtern. Aus Abbildung betroffen sind, d. h. laut Elternangaben 9,6 %). Ebenfalls unverändert zu beob- 2 ist ersichtlich, dass jede bzw. jeder 6.
Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Topic 7 4,1 %) und 11−13 Jahre (7,1 % vs. 5,7 %) Abbildung 4. Trend der Inanspruchnahme einer spezifischen Immunthera- zurück. pie (in %) bei Heuschnupfen- u./o. Neurodermitisdiagnose und positivem Allergietest bei 11- bis 17-Jährigen zwischen 2003–2006 und 2014–2017 In absoluten Zahlen ausgedrückt sind nach wie vor mehr als eine Million Kin- der und Jugendliche von Heuschnupfen und annähernd eine halbe Million 3- bis 17-Jährige von Asthma betroffen. Im Vergleich zur KiGGS-Basiserhebung ist der Anteil der 11- bis 17-Jährigen, die bei vorliegender Heuschnupfen- und / oder Neurodermitisdiagnose eine Spe- zifische Immuntherapie erhalten bzw. erhalten haben, signifikant größer gewor- den. Der Anteil beträgt heute 30 % [12]. neu erstellt anhand der Daten aus [12] Eine umfassende Übersicht zur Epide- Jugendliche aktuell von Heuschnupfen wesentlich verändert. Geschlechtsspe- miologie allergischer Erkrankungen in betroffen ist. zifisch betrachtet zeigen sich zwischen Deutschland bei Kindern und Erwachse- den beiden Untersuchungszeitpunkten nen ist der 4., überarbeiteten und erwei- Die 12-Monats-Prävalenz von ärztlich unveränderte Prävalenzen bei Mädchen terten Ausgabe des Weißbuch Allergie diagnostiziertem Asthma bronchiale bei (3,1 % vs. 3,0 %) und ein leichter Anstieg zu entnehmen [15]. Weitere Querschnitt 3- bis 17-jährigen Kindern und Jugend- in den Prävalenzen bei Jungen (5,0 % vs. ergebnisse zur Verbreitung von Allergien lichen beträgt 4,0 % (Abb. 3) [12]. Die 4,2 %). Dieser Anstieg geht im Wesentli- sind in ausführlicherer Form in der Gesamtprävalenz hat sich im Vergleich chen auf höhere Prävalenzen bei Jungen Septemberausgabe 2018 des Journal of zur KiGGS-Basiserhebung (3,7 %) nicht der Altersgruppen 7−10 Jahre (5,7 % vs. Health Monitoring nachzulesen [16]. Tabelle 2. Chance (Odds Ratio) für eine inzidente Asthmadiagnose im 1. Follow-up in Abhängigkeit von Heuschnup- fen zu Baseline. Ergebnisse der KiGGS-Kohorte 2003–2012 Mädchen Jungen Odds Ratio p-Wert Odds Ratio p-Wert [95%-Konfidenzintervall] [95%-Konfidenzintervall] für inzidente Asthmadiagnose für inzidente Asthmadiagnose im 1. Follow-up im 1. Follow-up Keine Heuschnupfendiagnose 1,00 (Ref.) 1,00 (Ref.) zu Baseline Heuschnupfendiagnose 2,3 [1,1−4,8] 0,0227 3,6 [1,6−7,9] 0,0018 im Alter von 0−6 Jahren zu Baseline Heuschnupfendiagnose 1,5 [0,6−3,7] 0,4082 3,3 [1,1−9,8] 0,0314 im Alter von 7−10 Jahren zu Baseline Heuschnupfendiagnose 2,1 [0,7−6,4] 0,1820 1,9 [0,4−8,4] 0,4123 im Alter von 11−17 Jahren zu Baseline Adjustiert für: Genetisch nicht prädisponiert 1,00 (Ref.) 1,00 (Ref.) Genetisch prädisponiert 2,2 [1,4−3,4] 0,0004 2,2 [1,4−3,2] 0,0002 Alter zu Baseline 1,0 [1,0−1,1] 0,5424 0,9 [0,9−0,9] ≤ 0,0001 aus [14]
8 Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Topic Abbildung 5. Sensibilisierung gegen die Allergenmischung SX1 im individuellen 10-Jahres-Lebensverlauf bei Mäd- chen und Jungen. Ergebnisse der KiGGS-Kohorte 2003–2017 [17] 79% bleiben 71% bleiben SX1 neg. beide SX1 neg. beide SX1 neg. Zeitpunkte SX1 neg. Zeitpunkte SX1 neg. SX1 neg. 29% werden SX1 pos. SX1 pos. geworden 21% werden SX1 pos. geworden 6% werden SX1 pos. SX1 wurde neg. 11% werden SX1 neg. SX1 wurde neg. SX1 neg. SX1 pos. SX1 pos. 89% bleiben 95% bleiben SX1 pos. beide SX1 pos. beide SX1 pos. Zeitpunkte SX1 pos. Zeitpunkte 3–17 Jahre 13–31 Jahre 3–17 Jahre 13–31 Jahre KiGGS-Basiserhebung KiGGS Welle 2 KiGGS-Basiserhebung KiGGS Welle 2 unter Creative Commons Attribution 4.0 License nach [17] Für die pädiatrisch-allergo- nannten Etagenwechsel zum Asthma um aus 8 häufigen Inhalationsallergenen logische Praxis relevante das 3,6-Fache bei Jungen bzw. 2,3-Fache von Lieschgras, Roggen, Birke, Beifuß, Längsschnittergebnisse bei Mädchen. Bei Jungen war das Asthma Katze, Hund, Hausstaubmilbe und dem risiko auch dann statistisch signifikant Schimmelpilz Cladosporium herbarum. Neben der zeitlichen Entwicklung auf erhöht, wenn der Heuschnupfen erstmals Untersucht wurden Daten von mehr als Bevölkerungsebene durch den Vergleich im Alter von 7−10 Jahren auftrat (Tab. 2). 4.000 Mädchen und Jungen, die zu beiden von Querschnittdaten (Trend) liefern Die Ergebnisse untermauern die Evidenz KiGGS-Untersuchungszeitpunkten (Basis- wiederholte Befragungen und Untersu- für den bereits seit Langem postulierten erhebung und KiGGS Welle 2) an der chungen Ergebnisse zu individuellen Ent- Etagenwechsel anhand der größten bun- Kohortenstudie teilgenommen hatten und wicklungen (Längsschnitt). Analysen der desweiten Kinderkohorte [14]. zum Zeitpunkt der ersten Messung 3 Jah- Daten der von 2009−2012 durchgeführten re und älter waren. Es zeigte sich, dass je- KiGGS Welle 1 ergaben eine kumulative 6- Eine weitere wichtige Forschungsfrage, des 5. Mädchen (21 %) und jeder 3. Junge Jahres-Heuschnupfeninzidenz (berichte- der mit Daten der KiGGS-Kohorte nach- (29 %) im Verlauf von gut 10 Lebensjahren te ärztliche Diagnosen) für Kinder und Ju- gegangen werden kann, ist, in welchem die SX1-Sensibilisierung neu entwickelt gendliche, die in der Basiserhebung zwi- Ausmaß allergische Sensibilisierungen hat (kumulative 10-Jahres-Inzidenz). An- schen 0 und 17 Jahre alt waren, von 8,2 %. gegen Inhalationsallergene im Lebens- dererseits blieb eine jemals erworbene Die Asthmainzidenz lag für den 6-Jahres- verlauf bestehen bleiben, sich neu entwi- Sensibilisierung größtenteils bestehen, zeitraum bei 3,4 %. Unabhängig von einer ckeln oder auch zurückgehen. Die folgen- denn nur bei 11 % der Mädchen und 6 % der genetischen Vorbelastung erhöhte ein den Ergebnisse basieren auf Messungen Jungen war die SX1-Sensibilisierung gut früh aufgetretener Heuschnupfen im Alter spezifischer IgE-Antikörper gegen die 10 Jahre später nicht mehr nachweisbar von 0−6 Jahren das Risiko für den soge- Allergenmischung SX1, einer Mischung (Abb. 5) [17].
Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Topic 9 Diskussion rapien bei Jugendlichen als einzig kau- Um auch in Zukunft belastbare Daten sale Therapie. Eine Fortführung dieses zur Verbreitung und zur Entwicklung Die KiGGS-Studie ist eine bundesweite Trends ist wünschenswert, insbesondere allergischer Erkrankungen bei Kindern Gesundheitsstudie und nicht als spezi- vor dem Hintergrund, dass das Risiko für und Jugendlichen in Deutschland zu er- elle Allergiestudie konzipiert, liefert aber den sogenannten Etagenwechsel von halten, ist ein kontinuierliches, bevölke- als einzige Studie in Deutschland wieder- Heuschnupfen zu Asthma unabhängig rungsbezogenes Allergie- und Sensibili- holt repräsentative Ergebnisse zum All- von einer genetischen Vorbelastung ins- sierungsmonitoring notwendig, begleitet ergiegeschehen auf Bevölkerungsebene besondere dann erhöht ist, wenn Kinder von vertiefenden Studien zum besseren und stellt eine wichtige Datengrundlage jung, d. h. im Vor- bis Grundschulalter an Verständnis der Ursachen für die Fehlre- im gesundheitspolitischen Entschei- Heuschnupfen erkranken. Außerdem zei- gulation des Immunsystems sowie der dungsprozess dar. Weiterhin dienen die gen Längsschnittuntersuchungen, dass Risiko- und Schutzfaktoren. Daten auch als Referenz für regionale im individuellen Lebensverlauf von gut 10 Studien. Jahren Neusensibilisierungen gegen die Dr. Roma Thamm SX1-Allergenmischung wichtiger Inhalati- Die Häufigkeiten von Heuschnupfen und onsallergene deutlich häufiger waren als Robert Koch-Institut Asthma scheinen sich in den letzten gut Remissionen. Zudem scheint eine einmal Abt. Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring General-Pape-Str. 62−66 | 12101 Berlin 10 Jahren auf hohem Niveau stabilisiert erworbene SX1-Sensibilisierung größten- thammr@rki.de zu haben. Bei Jungen ist die Asthmahäu- teils bestehen zu bleiben. Diese Ergeb- figkeit eher noch gestiegen, wenngleich nisse unterstützen die Empfehlung, bei statistisch nicht signifikant. Positiv zu Vorliegen von Symptomen mit einer Spe- bewerten ist die deutlich gestiegene In- zifischen Immuntherapie auch bei jünge- Die Erstautorin und alle Koautoren geben anspruchnahme Spezifischer Immunthe- ren Kindern nicht zu lange abzuwarten. an, dass kein Interessenskonflikt vorliegt. Literatur 1 Freund T, Gensichen J, Goetz K, Szecsenyi J, Mahler Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 2005; 48: KiGGS Welle 2 und Trends. Journal of Health Moni- C. Evaluating self-efficacy for managing chronic 261-272 toring 2018; 3: 55-59 disease: psychometric properties of the six-item 7 Kurth B-M. Das RKI-Gesundheitsmonitoring – was 13 Robert Koch-Institut: KiGGS – Kinder- und Jugend- Self-Efficacy Scale in Germany. Journal of Evalua- es enthält und wie es genutzt werden kann. Public gesundheitsstudie Welle 1. Projektbeschreibung. In tion in Clinical Practice 2013; 19: 39-43 Health Forum 2012; 4: e1-4. e3 Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Berlin: 2 Hoffmann R, Lange M, Butschalowsky H et al. Quer- Robert Koch-Institut; 2011. 8 L ange M, Butschalowsky HG, Jentsch F et al. KiG- schnitterhebung von KiGGS Welle 2 – Teilnehmen- 14 S chmitz R, Poethko-Müller C, Thamm M. Entwick- GS Study Group: Die erste KiGGS-Folgebefragung dengewinnung, Response und Repräsentativität. lung allergischer Erkrankungen bei Kindern und (KiGGS Welle 1). Studiendurchführung, Stichpro- Journal of Health Monitoring 2018; 3: 82-96 Jugendlichen – Ergebnisse der KiGGS-Kohorte. bendesign und Response. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2014; Allergo J Int 2016; 25: 188 3 Knopf H: Arzneimittelanwendung bei Kindern und Jugendlichen. Bundesgesundheitsblatt − Gesund- 57: 747-761 15 Thamm R, Hey I, Thamm M. Epidemiologie aller- heitsforschung − Gesundheitsschutz 2007; 50: gischer Erkrankungen: Prävalenzen und Trends in 9 L ange M, Hoffmann R, Mauz E et al. Längsschnitter- 863-870 Deutschland. In: Klimek L, Werfel T, Vogelberg C hebung von KiGGS Welle 2 – Erhebungsdesign und Fallzahlentwicklung der KiGGS-Kohorte. Journal of (Hrsg.) Weißbuch Allergie in Deutschland. 4., über- 4 Kurth B-M, Kamtsiuris P, Hölling H et al. The chal- Health Monitoring 2018; 3: 97-113 arbeitete und erweiterte Auflage, München: Urban & lenge of comprehensively mapping children’s Vogel; 2018 (im Druck). health in a nation-wide health survey: design of the 10 Mauz E, Gößwald A, Kamtsiuris P et al. Neue Da- German KiGGS-Study. BMC Public Health 2008; 8: 16 Thamm R, Poethko-Müller C, Hüther A, Thamm M. ten für Taten. Die Datenerhebung der KiGGS Welle 196 Allergische Erkrankungen bei Kindern und Jugend- 2 ist beendet. Journal of Health Monitoring 2017; lichen in Deutschland – Querschnittergebnisse aus 2: 2-27 5 Kurth B-M, Kamtsiuris P, Hölling H, Mauz E. Strate- KiGGS Welle 2 und Trends. Journal of Health Moni- gien des Robert Koch-Instituts zum Monitoring der 11 Nathan RA, Sorkness CA, Kosinski M et al. Develop- toring 2018 (im Review). Journal of Health Monito- Gesundheit von in Deutschland lebenden Kindern ment of the asthma control test. Journal of Allergy ring 2018; 3(3): 3-18 und Jugendlichen. Kinder- und Jugendmedizin and Clinical Immunology 2004; 113(1): 59-65 17 Thamm R, Poethko-Müller C, Thamm M. Allergische 2016; 16: 176-183 12 Poethko-Müller C, Thamm M, Thamm R. Heu- Sensibilisierungen im Lebensverlauf – Ergebnisse 6 Kurth B-M, Ziese T, Tiemann F. Gesundheitsmoni- schnupfen und Asthma bei Kindern und Jugendli- der KiGGS-Kohorte. Journal of Health Monitoring toring auf Bundesebene. Bundesgesundheitsblatt chen in Deutschland – Querschnittergebnisse aus 2018; 3: 71-75
10 Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Topic Topic Epidemiologie allergischer Erkrankungen in der Kindheit Die Geburtskohorten GINIplus und LISA Marie Standl 1, Tamara Schikowski 2, Claudia Flexeder 1, Carla Harris 1, 3, Sibylle Koletzko 3, Irina Lehmann 4, 5, Carl-Peter Bauer 6, 7, Andrea von Berg 8, Gunda Herberth 4, Beate Schaaf 9, Birgit Filipiak-Pittroff 8, Holger Schulz 1, Dietrich Berdel 8, Joachim Heinrich 1, 10, 11 GINIplus und LISA sind zwei prospektive, populationsbasierte Geburtskohorten aus Deutschland. Ziel beider Studien ist es, den natürlichen Verlauf allergischer Erkrankungen und anderer häufiger chronischer Erkrankungen von der frühen Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter zu beschreiben sowie den Zusammenhang mit Umwelt- und Lebensstilfaktoren zu untersuchen. Einleitung Lebensstilfaktoren für die Entstehung al Schwangerschaft oder zur Geburt re- lergischer Erkrankungen ist beispielswei- krutiert werden, bieten dabei die Mög- Die Prävalenz allergischer Erkrankungen se durch den starken Anstieg von respira- lichkeit, die Entstehung allergischer wie Heuschnupfen, Asthma und atopi- torischen Allergien in der ehemaligen DDR Erkrankungen und deren Verlauf zu be- sches Ekzem (atopische Dermatitis) hat nach der Wiedervereinigung mit Adapta- obachten und im Zusammenhang mit in den letzten Jahrzehnten v. a. in west- tion des westlichen Lebensstils Anfang verschiedenen Umwelt- und Lebensstil- lichen Industrienationen stark zugenom- der 1990er Jahre belegt. Inzwischen lässt faktoren zu analysieren. Diese Lang- men [21]. In diesem Zusammenhang sich bei Kindern kein Unterschied mehr zeitstudien ermöglichen es, transiente werden Umwelt- und Lebensstilfaktoren in der Prävalenz allergischer Erkrankun- und persistierende Krankheitsbilder zu diskutiert, die sich über den gleichen gen zwischen Ost- und Westdeutschland unterscheiden und altersgruppenspezi- Zeitraum verändert haben und daher, zu- beobachten [1]. Generell sind Kinder vom fisch auszuwerten. Ein weiterer Vorteil mindest teilweise, für den beobachteten Anstieg allergischer Erkrankungen stärker ist die prospektive Erfassung der rele- Anstieg verantwortlich sein könnten. betroffen als Erwachsene, und häufig ent- vanten Umwelt- und Lebensstilfaktoren, stehen allergische Erkrankungen bereits wodurch sich eine Verzerrung durch Bei der Entstehung allergischer Erkran- früh in der Kindheit. Die Raten für Spon- eine selektive Erinnerung reduzieren kungen wirken genetische Risikovarian- tanremissionen variieren nach der Art der lässt. Es ist allerdings zu berücksich- ten, Umwelt- und Lebensstilfaktoren und allergischen Erkrankung. tigen, dass in Beobachtungsstudien, epigenetische Mechanismen in einem anders als in Interventionsstudien, die individuell unterschiedlichen Ausmaß zu- Geburtskohortenstudien, in welche die Kausalität nicht immer eindeutig beur- sammen. Die Relevanz von Umwelt- und teilnehmenden Familien bereits in der teilt werden kann. 1 Institut für Epidemiologie, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, Neuherberg 2 IUF: Leibniz-Institut für Umweltmedizinische Forschung, Düsseldorf 3 Dr. von Haunersches Kinderspital, Klinikum der LMU, München 4 Department Umweltimmunologie und Core Facility Studien, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung: UFZ, Leipzig 5 Charité Universitätsmedizin Berlin und Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG) 6 Kinderklinik der Technischen Universität München 7 Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd 8 Forschungsinstitut, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Marien-Hospital, Wesel 9 Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Bad Honnef 10 Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München 11 Allergy and Lung Health Unit, Melbourne School of Population and Global Health, The University of Melbourne, Australien
Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Topic 11 Ziel beider Studien ist es, die Entstehung Abbildung 1. Prävalenz allergischer Erkrankungen von der Geburt bis zum häufiger chronischer Erkrankungen mit Alter von 15 Jahren in der GINIplus-Studie (oben) und LISA-Studie (unten) einem speziellen Fokus auf allergische Erkrankungen zu beobachten und den Zusammenhang mit Umwelt- und Le- bensstilfaktoren sowie genetischen und metabolischen Faktoren zu analysieren. Einige ausgewählte Ergebnisse werden im Weiteren ausführlicher beschrieben. Studiendesign Beide Studien haben ein vergleichbares und harmonisiertes Studiendesign. Eine detaillierte Beschreibung sowie eine Über- sicht der Teilnehmerzahlen bis zum Alter von 10 Jahren und der eingesetzten Fra- gebogen- und Untersuchungsmodule bis zum Alter von 15 Jahren ist bei Heinrich et al. 2012 sowie von Berg et al. 2012 zu fin- den [12, 27]. Derzeit wird eine Befragung im Alter von 20 Jahren durchgeführt. Eine Übersicht der eingesetzten Fragebögen ist der Homepage der jeweiligen Studie zu entnehmen ( GINI und E E LISA). Design der GINIplus Studie Die GINIplus-Studie (GINI: German In- fant Study on the Influence of Nutriti- on Intervention plus Air pollution and Genetics on Allergy Development) um- fasst 5991 gesunde reife Neugeborene, die zwischen September 1995 und Juni 1998 in München und Wesel geboren wurden [12, 27]. Die Studie besteht aus 2 Armen, dem Interventions- (n = 2252) und Beobachtungsarm (n = 3739). Der Zur Geburt wurden in GINIplus 5.991 und in LISA 3.097 Kinder rekrutiert. Im Alter von 15 Jahren nah- Interventionsarm, das „German Infant men in GINIplus 3.198 (53 %) und in LISA 1.740 (56 %) Probanden teil. Dargestellt ist die zu jedem Un- tersuchungszeitpunkt maximal verfügbare Anzahl. Diese Prävalenzen wurden aus Daten von Verlaufs- Nutritional Intervention Program“ (GINI), beobachtungen berechnet, sind deswegen anfällig für Verzerrungen durch ein selektives drop-out und ist eine doppelblinde, randomisierte, deswegen nicht direkt vergleichbar mit Prävalenzschätzungen aus einmaligen Erhebungen wie z. B. kontrollierte Studie [27, 29], in die nur Querschnittstudien. Kinder eingeschlossen wurden, deren Eltern oder Geschwister an einer aller- Die beiden Studien GINIplus und LISA risiko und einem Beobachtungsarm bei gischen Erkrankung leiden oder litten. sind prospektive Geburtskohorten (Abb. Kindern mit und ohne Allergierisiko. Die Es wurde empfohlen, für mindestens 4 1). Die GINIplus-Studie besteht aus ei- teilnehmenden Familien wurden zwi- Monate ausschließlich zu stillen. Sofern nem Interventionsarm bei Kindern mit schen 1995 und 1999 in Geburtskliniken dies nicht möglich oder gewünscht war, familiär bedingtem erhöhten Allergie von vier deutschen Städten rekrutiert. wurde eine von 4 Formulanahrungen zur
12 Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Topic Verfügung gestellt. Dabei handelte es sich um drei unterschiedliche Hydroly- Abbildung 2. Prävalenz allergischer Sensibilisierung gegen Nahrungs- satnahrungen und eine reguläre Säug- mittel- und Inhalationsallergene im Alter von 6, 10 und 15 Jahren in der lingsnahrung auf Kuhmilchbasis, die als GINIplus-Studie (oben) und LISA-Studie (unten) Referenz diente [27]. Die Ergebnisse der GINI-Intervention werden nachfolgend ausführlicher dargestellt. Kinder mit erhöhtem Risiko für allergi- sche Erkrankungen, die nicht an der Inter- vention teilnehmen wollten, sowie Kinder ohne erhöhtes Risiko wurden im Beob- achtungsarm weiterverfolgt. Zusammen genommen bilden beide Studienarme die populationsbasierte GINIplus-Studie. Die Untersuchungszeitpunkte der GINI plus- Studie waren 1, 2, 3, 4, 6, 10 und 15 Jahre. Im Alter von 15 Jahren haben noch 53 % (3198/5991) der primären Studienpopu- lation an der Studie teilgenommen. Design der LISA-Studie In die LISA-Studie (LISA: Influence of Li- festyle Factors on Development of the Immune System and Allergies in East and West Germany) wurden 3097 reife, gesunde Neugeborene deutscher Her- kunft eingeschlossen. Die teilnehmen- den Familien wurden zwischen Novem- ber 1997 und Januar 1999 in München, Wesel, Bad Honnef und Leipzig rekrutiert [12]. Die Kinder, bzw. deren Eltern, wur- den im Alter von 6, 12, 18 und 24 Mona- ten, sowie mit 4, 6, 10 und 15 Jahren be- fragt. Im Alter von 15 Jahren haben 1740 (56 %) der ursprünglich 3097 Probanden teilgenommen. Ausgewählte Ergebnisse Die allergische Sensibilisierung wurde mittels RAST-Test bestimmt. Die Inhalationsallergene umfassen Prävalenz allergischer Erkrankungen Gräser, Birke, Beifuß, Roggen, Cladosporium herbarum, Hausstaubmilbe, Hund und Katzenallergen. Die In Abbildung 1 ist die Erkrankungshäu- Nahrungsmittelallergene umfassen Ei, Kuhmilch, Fisch, Weizen, Erdnuss und Soja. figkeit von atopischem Ekzem, Asthma, Heuschnupfen/allergischem Schnupfen und Nahrungsmittelallergien von der Ge- Atopisches Ekzem und Nahrungsmittel- allergischer Schnupfen zunehmen und burt bis zum Alter von 15 Jahren darge- allergien sind dabei in der frühen Kindheit im Schul- und Jugendalter die häufigsten stellt. Die Daten basieren auf den Anga- am häufigsten und nehmen mit dem Alter allergischen Erkrankungen sind. Der Ver- ben der Eltern zu ärztlichen Diagnosen. ab, während Asthma und Heuschnupfen / lauf der allergischen Sensibilisierung ge-
Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Topic 13 gen Nahrungsmittel- und Inhalationsal- lergene ist in Abbildung 2 dargestellt. Die Abbildung 3. Kumulative Inzidenzen von Asthma (A), allergischer Rhinitis Sensibilisierung gegenüber Nahrungs- (B) und atopischem Ekzem (C) bis zum Alter von 15 Jahren in den mittelallergenen ist bei Kindern häufiger 4 Formula-Gruppen der GINI Interventionsstudie. und nimmt in der Jugend ab, während die Sensibilisierung gegenüber Inhalations- allergenen mit dem Alter zunimmt. Frühkindliche Ernährung Ergebnisse der GINI-Intervention mit hydrolysierter Formulanahrung bis zum Alter von 15 Jahren Ziel der prospektiven, doppelblinden Interventionsstudie GINI war es, den Effekt von 3 verschiedenen Hydrolysat nahrungen (partiell hydrolysierte For- mula auf Molkenbasis pHF-W, extensiv hydrolysierte Formula auf Molkenbasis eHF-W, extensiv hydrolysierte Formula auf Kaseinbasis eHF-C) im Vergleich zu einer regulären Kuhmilchformula (CMF) auf die Entstehung allergischer Erkran- kungen bei Kindern mit erhöhtem famili- ärem Risiko zu untersuchen [27, 28]. Die teilnehmenden Kinder (n = 2252) wurden bei Geburt auf eine der 4 Formula-Grup- pen randomisiert, die als einzige Milch- nahrung in den ersten 4 Lebensmonaten (zu-)gefüttert werden sollte, wenn nicht voll gestillt werden konnte. Dabei zeigte sich in der Intention-to-treat-Analyse ein stark reduziertes Risiko für atopisches Ekzem bis zum Alter von 15 Jahren für das partielle Molkenhydrolysat um 25 % und für das extensive Kaseinhydroly- sat um 40 %, jeweils im Vergleich zur Kuhmilchformula (Abb. 3 c). Zusätzlich wurde erstmals im Alter von 11−15 Jah- ren ein präventiver Effekt beider Formu- lae auf die allergische Rhinitis und des extensiven Kaseinhydrolysats auch auf die Prävalenz von Asthma beobachtet [28] (Abb. 3 a und 3 b). Nahezu 50 % der Kinder in der GINIplus- Studie wurden 4 Monate lang voll gestillt. Es wurde kein Unterschied zwischen voll gestillten und teil- oder nicht gestillten übersetzt aus [28] unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial License
14 Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Topic Kindern in der Entwicklung von allergi- Kinder mit frühen Hautsymptomen spä- Frühkindliches Wachstum schen Erkrankungen beobachtet, unab- ter mit höherer Wahrscheinlichkeit aller- Aufgrund einer chronischen Entzündung hängig vom familiären Risiko. Wenn al- gische Erkrankungen entwickelten und der Atemwege mit strukturellen Verände- lerdings nach den verwendeten Formula dass bei ihnen eine niedrigere Nahrungs- rungen und reversibler Verengung wird differenziert wurde, zeigten sich deutli- mittelvielfalt in der Ernährung vorlag. In Asthma auch mit einer eingeschränkten che Unterschiede: Im Vergleich zu den der Gesamtpopulation wurde ein protek- Lungenfunktion in Verbindung gebracht Kindern, die in den ersten 4 Monaten die tiver Effekt der Nahrungsmittelvielfalt im [21]. Zudem steht Asthma in Zusam- Kuhmilchformula ganz- oder teilweise Zusammenhang mit atopischem Ekzem menhang mit Übergewicht, wobei unklar getrunken haben, weisen die voll gestill- und allergischer Sensibilisierung gegen ist, ob Übergewicht die Entstehung von ten Kinder ein um 32 % geringeres Risiko Inhalationsallergene beobachtet. Dieser Asthma beeinflusst oder umgekehrt. für ein frühkindliches Ekzem auf [4]. Zusammenhang zeigte sich allerdings Jedoch haben einige prospektive Studi- nicht in der Gruppe der Kinder ohne frühe en eine Aussage zur Kausalität dieses Beim Vergleich des Interventions- mit Hautsymptome und nur für allergische Zusammenhangs gemacht und Überge- dem Beobachtungsarm wurde zudem Sensibilisierung gegen Inhalationsaller- wicht als Risikofaktor für Asthma iden- Folgendes beobachtet: Die Intervention gene bei Kindern mit frühen Hautsymp- tifiziert [23]. mit bestimmten Hydrolysaten kann das tomen. Risiko bei Kindern mit familiärer Allergie- Das erste Lebensjahr wird als kritisches belastung, bis zum Alter von 6 Jahren an Die Kausalität dieses Zusammenhangs Zeitfenster für die Entwicklung von Über- einem atopischen Ekzem zu erkranken, lässt sich allerdings nicht belegen. Bei gewicht angesehen und eine rasche Ge- so weit senken, dass kein Unterschied den Kindern mit frühen Hautsymptomen wichtszunahme in den ersten Lebensmo- mehr zu Kindern ohne familiäre Belas- handelt es sich um eine sehr heteroge- naten kann langfristige Auswirkungen tung zu erkennen war [27, 29]. ne Gruppe mit unterschiedlich starkem auf die Gesundheit haben [15]. Aus in- Schweregrad. Der präventive Effekt der dividuellen Wachstumskurven für das Nahrungsmittelvielfalt Nahrungsmittelvielfalt auf die allergi- Köpergewicht und die Körpergröße kön- bei der Beikosteinführung sche Sensibilisierung in dieser Gruppe nen maximale Wachstumsgeschwindig- Eine Vermeidung bestimmter Nahrungs- könnte auch dadurch entstehen, dass keiten abgeleitet werden, die Aufschluss mittel, z. B. Fisch oder Hühnerei nach die Eltern, deren Kinder früh starke Haut- über die Geschwindigkeit der Gewichts- dem 4. Monat, wird nicht mehr zur Al symptome zeigten, die Nahrungsmittel- und Größenzunahmen in den ersten bei- lergieprävention empfohlen [3]. Ob sich vielfalt im Rahmen einer Eliminationsdiät den Lebensjahren geben [24, 26] eine hohe Nahrungsmittelvielfalt bei oder zur Prävention einer Lebensmittel- der Beikosteinführung eher günstig aus- allergie reduzierten. Anhand der Daten der GINIplus- und LI- wirkt, wird diskutiert. In der GINIplus-Stu- SA-Studie konnte der individuelle Wachs- die zeigte sich kein Effekt von Zeitpunkt tumsverlauf während der ersten beiden der Einführung oder Vielfalt von Nah- Die GINI-Studie ist die weltweit Lebensjahre modelliert und der Zusam- rungsmitteln im ersten Lebensjahr auf größte Interventionsstudie mit menhang mit dem Auftreten von Asthma die Entstehung des atopischen Ekzems Hydrolysatnahrungen mit der im Kindesalter untersucht werden. Eine bis zum Alter von 4 Jahren [4, 12]. längsten Beobachtungsdauer. Die schnelle Gewichtszunahme während der Ergebnisse der GINI-Studie deuten ersten Lebensmonate geht mit einem In der LISA-Studie wurde die Nahrungs- darauf hin, dass die Verwendung höheren Risiko für Asthma im Alter von mittelvielfalt im ersten Lebensjahr im Zu- von Hydrolysatnahrungen bei fa- 10 Jahren einher [6]. In einer weiteren sammenhang mit der Entstehung allergi- miliär vorbelasteten Kindern sinn- Studie, basierend auf 8 europäischen scher Erkrankungen bis zum Alter von 15 voll ist, sofern nicht gestillt wird. Geburtskohorten einschließlich der GINI Jahren ausgewertet [19]. Dabei wurden Diese Ergebnisse sind eingeflos- plus- und LISA-Studie, konnte zudem die Kinder, die im ersten Lebensjahr zur sen in Empfehlungen nationaler gezeigt werden, dass ein rascher An- Zeit der Beikosteinführung bereits an und internationaler medizinischer stieg des Body Mass Index während der Hautausschlag litten, getrennt von den Fachgesellschaften zur primären ersten beiden Lebensjahre das Risiko für Kindern ohne jegliche Hautsymptome Prävention von Allergien. Asthma bis zum Alter von 6 Jahren er- ausgewertet. Es zeigte sich, dass die höht [22].
Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Topic 15 Des Weiteren wurden in den beiden Ge- zur verkehrsbedingten Luftverschmut- den Gebieten positiv auf den Blutdruck burtskohorten GINIplus und LISA Lun- zung genutzt. Eine gemeinsame Analy- der Kinder aus [20]. Interessant in Be- genvolumina und forcierte Atemstrom- se der GINIplus- und LISA-Studien von zug auf die zunehmende Prävalenz von stärken im Alter von 15 Jahren vor und Studienteilnehmern aus der 10-Jah- Diabetes mellitus ist der Befund, dass nach einem Bronchospasmolysetest mit- res-Untersuchung zeigte keinen klaren eine erhöhte Luftschadstoffbelastung tels Spirometrie gemessen. Dabei konn- Zusammenhang zwischen Luftschad- mit einer erhöhten Insulinresistenz im te ein Zusammenhang zwischen einer stoffexposition und der Prävalenz von Jugendalter assoziiert war [25]. hohen Geschwindigkeit der Gewichts- Asthma, chronischer Rhinitis und aller- zunahme in den ersten 2 Lebensjahren gischer Sensibilisierung [11, 12, 16]. und verminderten Atemstromstärken, Verkehrsbedingte Luftverschmut- quantifiziert anhand spirometrischer Allerdings haben Ergebnisse der LI- zung scheint nicht direkt die Ent- Flussparameter, beobachtet werden [7]. SA-Studie für den Studienort Wesel stehung von allergischen Erkran- Ähnliche Ergebnisse für die Lungenfunk- gezeigt, dass in mittelstädtischen Ge- kungen zu beeinflussen, erhöht tionsparameter gemessen nach dem bieten (Wesel) eine verkehrsbedingte aber die Beschwerden bei bereits Bronchospasmolysetest lassen womög- Luftverschmutzung die Remission des bestehenden allergischen Erkran- lich auf strukturelle Veränderungen in atopischen Ekzems verzögert. Die Un- kungen. Eine Verbesserung der den Atemwegen schließen. tersuchungen der Kinder im Alter von 10 Luftqualität ermöglicht daher kei- und 15 Jahren zeigten, dass bei erhöhter ne primäre Prävention, hat aber Stickstoffdioxidexposition die Lungen- einen positiven Effekt bei beste- Eine schnelle Gewichtszunah- funktion bei Kindern mit Asthma einge- henden allergischen Erkrankun- me und ein rascher Anstieg des schränkt war, jedoch nicht bei gesunden gen. Body Mass Index in der frühen Kindern [9]. Insgesamt unterstreichen Kindheit erhöht das Risiko, in der die Daten, dass Stickstoffdioxid als In- Kindheit an Asthma zu erkranken dikator einer verkehrsbedingten Luft- Innenraumbelastung und geht mit einer reduzierten schadstoffbelastung die Lungenfunktion In der LISA-Studie wurde zusätzlich Lungenfunktion im Jugendalter bei bestehendem Asthma beeinträchtigt, untersucht, ob Belastungen durch In- einher. aber eine Rolle bei der Entstehung von nenraumquellen einen Einfluss auf die Bei Kindern mit einer schnellen Asthma im jungen Lebensalter nicht ein- Entwicklung des Kindes haben können. Gewichtszunahme in den ersten deutig nachweisbar war. Es wurden Hinweise gefunden, dass Lebensmonaten sollte vor die- Renovierungstätigkeiten während der sem Hintergrund besonders auf Ergebnisse dieser beiden Kohorten Schwangerschaft die Entwicklung des frühe Symptome für Asthma ge- haben in Übereinstimmung mit den Er- kindlichen Immunsystems im Mutter- achtet werden. gebnissen anderer vergleichbarer Ge- leib beeinflussen können. Hierzu wurden burtskohorten keine erhöhten Risiken Immunparameter im Nabelschnurblut für eine allergische Rhinitis oder eine untersucht. Es konnte gezeigt werden, Luftschadstoffbelastung allergische Sensibilisierung gezeigt [13 dass Neugeborene, deren Eltern in der In beiden Kohorten wurde der Einfluss und Heinrich 2018 Allergo J, im Druck]. Schwangerschaft renoviert hatten und der individuellen Luftschadstoffbe- Untersuchungen zum Einfluss einer deren Mütter während der Schwanger- lastung auf Entstehung und Progres- grünen Wohnumgebung und dem Auf- schaft erhöhten Konzentrationen an sion allergischer Erkrankungen unter- treten von allergischen Erkrankungen flüchtigen organischen Verbindungen sucht. Hierzu wurden die im Rahmen zeigten unterschiedliche Ergebnisse: In (VOC) ausgesetzt waren, in ihrem Im- der TRAPCA-Studie (Traffic-Related urbanen Gebieten wie München war die munsystem funktionelle Veränderungen Air Pollution on Childhood Asthma, grüne Wohnumgebung mit vermehrtem aufweisen. Dies galt insbesondere hin- 1998−2010) und der „European Study of Auftreten von allergischen Symptomen sichtlich des Gleichgewichts zwischen Cohorts for Air Pollution Effects (ESCA- verbunden, während in den ländlichen vor Allergie schützenden (TH1) und eine PE)“ (2009−2012, in Wesel und Mün- Gebieten wie Wesel dieser Zusammen- Allergie fördernden (TH2) T-Helfer-Lym- chen) anhand der Wohnadresse der hang nicht bestand [10]. Eine grüne phozyten (TH). Im Nabelschnurblut die- Studienteilnehmer modellierten Daten Wohnumgebung wirkte sich aber in bei- ser Kinder wurden verminderte Anteile
16 Pädiatrische Allergologie » 04 / 2018 » Topic von TH1- und erhöhte Anteile an TH2-Zel- was wahrscheinlich auf Unterschiede in gen im Innenraum für das Risiko von len gefunden [12, 17, 18]. der mikrobiellen Exposition zurückzu- Atemwegserkrankungen bei 3-jährigen führen ist. Kindern untersucht. Als wesentliche Des Weiteren wurde festgestellt, dass Partikelquellen im Innenraum wurden verminderte TH1- und erhöhte TH2-Zah- tägliches Rauchen in der Wohnung len im Nabelschnurblut mit einem er- Die Exposition mit Tabakrauch und das Wohnen an einer verkehrs höhten Risiko für das Auftreten eines in der Wohnung und mit Schim- reichen Straße identifiziert. Erhöhte atopischen Ekzems in den ersten beiden melpilzen ist ein konsistent und Partikelkonzentrationen in der Woh- Lebensjahren assoziiert waren [12, 14]. robust nachgewiesener Risi- nung waren mit einem erhöhten Ri- kofaktor für Asthma und sollte siko für insbesondere obstruktive Auch für Schimmelpilzbelastungen unstrittig vermieden werden. Bronchitis assoziiert, wobei kleine oder Feuchtigkeit im Innenraum wurde Expositionen mit VOC durch Re- Partikel (PM1) den stärksten Effekt der starke Zusammenhang mit der Ent- novierungsarbeiten sind insbe- hatten [8]. stehung von Asthma bestätigt sowie sondere in der Schwangerschaft ein Zusammenhang mit Verhaltensauf- zumindest durch ausreichendes Ausblick fälligkeiten, wie emotionale Probleme Lüften, aber besser noch durch oder Hyperaktivität und Unaufmerk- eine zeitliche Verschiebung zu Prospektive Geburtskohortenstudien samkeit, im 10. Lebensjahr bei Kindern reduzieren. wie GINIplus und LISA erlauben es, den aus beiden Kohorten beobachtet [2]. natürlichen Verlauf allergischer Erkran- Bei Feuchtigkeit in den Innenräumen kungen sowie deren Einflussfaktoren zu und gleichzeitiger Haltung von Haustie- In der LISA-Studie wurde außerdem untersuchen, wodurch sich Präventions- ren verstärkten sich die Auffälligkeiten, die Bedeutung von Partikelbelastun- ansätze ableiten lassen. Eine weitere Be- Studiengruppen Funding GINIplus GINIplus Institut für Epidemiologie, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Für die ersten 3 Jahre wurde der Interventionsarm der GINI-Studie durch Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, Neuherberg (Heinrich J, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Beobachtungs- Brüske I, Schulz H, Flexeder C, Zeller C, Standl M, Schnappinger M, Ferland arm durch das Helmholtz Zentrum München unterstützt. Die Untersuchun- M, Thiering E, Tiesler C); Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Marien-Hos- gen im Alter von 4, 6, 10 und 15 Jahren wurden durch die beteiligten Zentren pital, Wesel (Berdel D, von Berg A, Filipiak B, Gappa M, Libuda L); Dr. von finanziert (Helmholtz Zentrum München, Marien-Hospital Wesel, LMU Mün- Haunersches Kinderspital, Ludwig-Maximilians-Universität München chen, TU München mit Unterstützung der DRV Bayern Süd, und ab 6 Jahre (Koletzko S); Kinderklinik der Technischen Universität München (Bauer CP, durch das IUF-Leibniz-Institut für Umweltmedizinische Forschung), sowie Hoffmann U); IUF - Leibniz-Institut für Umweltmedizinische Forschung, durch das Bundesumweltministerium (IUF Düsseldorf, FKZ 20462296). Düsseldorf (Schikowski T, Link E, Klümper C, Krämer U, Sugiri D). Die 15-Jahres-Untersuchung wurde zusätzlich durch das MeDALL-Projekt (Commission of the European Communities, the 7th Framework Program) LISA sowie die Firmen Mead Johnson und Nestlé unterstützt. Institut für Epidemiologie, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, Neuherberg (Heinrich J, LISA Schnappinger M, Brüske I, Ferland M, Schulz H, Zeller C, Standl M, Thiering Für die ersten beiden Jahre wurde die LISA-Studie hauptsächlich durch E, Tiesler C, Flexeder C); Kinderklinik, Städtisches Klinikum St. Georg, Leip- das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Helmholtz zig (Borte M, Diez U, Dorn C, Braun E); Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Zentrum München, das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Marien-Hospital, Wesel (von Berg A, Berdel D, Stiers G, Maas B, , Gappa M, das Marien-Hospital Wesel und die Praxis für Kinder- und Jugendmedizin, Libuda L); Bad Honnef (Schaaf B); Department Umweltimmunologie und Bad Honnef finanziert. Die Untersuchungen im Alter von 4, 6, 10 und 15 Core Facility Studien, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Jahren wurden durch die beteiligten Zentren finanziert (Helmholtz Zentrum Leipzig (Lehmann I, Bauer M, Röder S, Schilde M, Nowak M, Herberth G , München, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Marien-Hos- Müller J); Kinderklinik der Technischen Universität München (Hoffmann U, pital Wesel, Praxis für Kinder- und Jugendmedizin, Bad Honnef, und das Paschke M, Marra S); Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergolo- IUF-Leibniz-Institut für Umweltmedizinische Forschung), sowie durch das gie, Technische Universität München (TUM), München (Ollert M, Grosch J). Bundesumweltministerium (IUF Düsseldorf, FKZ 20462296). Die 15-Jah- res-Untersuchung wurde zusätzlich durch das MeDALL-Projekt (Commissi- on of the European Communities, the 7th Framework Program) unterstützt.
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