PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE - Gesellschaft für ...

 
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AUSGABE 01 / 2019

PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE
                                                                              IN KLINIK UND PRAXIS

TOPIC                     TOPIC                 TOPIC                         UMWELTMEDIZIN
Urtikaria:                Tattoos:              Neurodermitis:                Luftverschmutzung:
Umsetzung der aktuellen   Farbe in der Haut     Update zur Pflegeberatung –   Feinstaub und Kindergesundheit
europäischen Leitlinie    und ihre Entfernung   ein Erfahrungsbericht         (Teil 2)
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2         Pädiatrische Allergologie » 01 / 2019 » Impressum

INHALT / IMPRESSUM

TOPIC                                                        das Verfahren einer Photothermolyse mittels      27	In eigener Sache
                                                             Laser am vielversprechendsten. Verschiedene      	Die Preise der GPA 2018
4	
  Urtikaria − Ein Vorschlag zur Umsetzung                    Verfahren werden beschrieben.
  der aktuell überarbeiteten europäischen                                                                     32 Pneumologischer Fall
  Leitlinie in die pädiatrische Praxis                   19	Update Pflegeberatung                            	Therapierefraktäres Asthma oder eine Spielart
	In der kinderärztlichen Praxis sind Patientinnen           für Neurodermitis –                                   der Natur?
     und Patienten mit akuter Urtikaria deutlich             ein Erfahrungsbericht
     häufiger als solche mit einer chronischen Form.     	Im Rahmen der üblichen Betreuung von Kindern       35 Frage an den Allergologen
     Anfang dieses Jahres ist eine überarbeitete             mit Atopischer Dermatitis durch den Kinderarzt   	Nussallergie: Wann ist ein Notfallset
     Version der europäischen Leitlinie zu Diagnos-          bleibt meist zu wenig Zeit, um die Patienten          indiziert?
     tik, Differenzialdiagnosen und therapeutischem          umfassend zu informieren. An Neurodermitis­
     Management der Urtikaria erschienen. Die
                                                                                                              36 Serie Quartheft
                                                             schulungen können manche Familien nicht
     Autoren fassen die wesentlichen Aspekte                                                                  	Handtellergroße Schwellung der Haut nach SCIT
                                                             teilnehmen. Um auch diese Patienten zu versor-
     dieser Leitlinie zusammen und machen einen              gen, bietet die Arbeitsgemeinschaft Neuroder-
                                                                                                              38 Journal Club
     Vorschlag zur Umsetzung für die pädiatrische            mitisschulung (AGNES) in Zusammenarbeit
                                                                                                                   MAS-Studie: Langzeitdaten über 20 Jahre
     Praxis.                                                 mit Beiersdorf Dermo Medical GmbH, Eucerin,
                                                             seit 2012 das Projekt Pflegeberatung an. Die     40 Neue Immundefekte
12	Tattoo:                                                  Ergebnisse von rund 5000 solcher Beratungen           Defekt des Interleukin 7 (IL-7)
    Wie kommt die Farbe in die Haut –                        werden in diesem Beitrag vorgestellt.
    und wie lässt sie sich wieder entfernen?                                                                  42 Umweltmedizin
	Für eine Tätowierung werden als Farbmittel
                                                                                                              	Feine und ultrafeine Stäube beeinflussen
     feste Strukturen eingebracht, die in der Haut       WEITERE THEMEN
                                                                                                                   wesentlich die Kindergesundheit (Teil 2)
     ähnlich einem Implantat liegen bleiben.
                                                         23	Aus den WAG
     Wesentliche Risiken der Tätowierung sind
                                                         	Ekzem- und Allergieprävention                      47	Elternratgeber
     eine Infektion bei unhygienischem Vorgehen                                                               	  So können Sie die Hausstaubmilben-Belastung
                                                             durch vorbeugendes Eincremen
     sowie immunologische Reaktionen. Besonders                                                                    reduzieren
     problematisch sind die Spaltprodukte der            26	Aktuelles
     verschiedenen verwendeten Farbstoffe. Zur           	Dupilumab –                                        50 Veranstaltungen
     Entfernung nicht mehr gewünschter Tattoos ist           neues Wirkkonzept bei Neurodermitis                   Termine

Pädiatrische Allergologie in Klinik und Praxis, 22. Jg. / Nr. 1

Herausgeber:                                             Ressortschriftleiter:                                Bildnachweis:
Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie               Dr. med. Peter J. Fischer, 73525 Schwäbisch Gmünd    Fotos: Prof. A. Bufe: S. 38 | Fotolia: Titelseite:
und Umweltmedizin e. V., Rathausstraße 10,               (Elternratgeber); Dr. med. Frank Friedrichs, 52072   kwanchaichaiudom, S. 13: kohanova1991,
52072 Aachen, Tel. 02 41/98 00-4 86,                     Aachen (Gesundheitspolitik); Dr. med. Michael        S. 25: Kaspars Grinvalds, S. 31 (Noten): dlyastokiv,
Fax 02 41/98 00-2 59, gpa.ev@t-online.de,                Gerstlauer, Klinikum Augsburg, Klinik für Kinder     S. 45: Ingo Bartussek, S. 47: Anke Thomass,
E www.gpau.de                                            und Jugendliche, 86156 Augsburg (Fragen an den       S. 50: Picture-Factory | Dr. A. Grübl: S. 3 | GPA: S. 27,
                                                         Allergologen); Dr. med. Thomas Lob-Corzilius,        29, 31 | Dr. K. Hoffmann: S. 17 | iKOMM GmbH: S. 39 |
Verlag:                                                  Wielandstr. 15, 49078 Osnabrück (Umweltmedizin);     PROCAVE GmbH: S. 48 | Dr. C. Walter: S. 4
iKOMM • Information und Kommunikation im                 Prof. Dr. med. Jürgen Seidenberg, Elisabeth-Kin-
Gesundheitswesen GmbH, Friesenstraße 14,                                                                      Anzeigenleitung:
                                                         derkrankenhaus, 26133 Oldenburg (Pädiatrische
53175 Bonn, Tel. 02 28 /37 38 41, Fax 02 28 /37 38 40,                                                        iKOMM GmbH, Albrecht Habicht.
                                                         Pneumologie); Prof. Dr. med. Volker Wahn, Charité
info@ikomm.info, E www.ikomm.info                                                                             Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 5 vom 1. Oktober 2018.
                                                         Campus Virchow, Klinik m. S. Pädiatrische Pneumo-
Verlagsleitung: Dr. Ulrich Kümmel                        logie und Immunologie, 13353 Berlin (Pädiatrische    Erscheinungsweise:
                                                         Immunologie)                                         Die Pädiatrische Allergologie in Klink und Praxis er-
Schriftleitung:
                                                                                                              scheint vierteljährlich jeweils zu Beginn des Quartals.
Prof. Dr. med. Albrecht Bufe, Experimentelle Pneumo­     Redaktion:
logie, Ruhr Universität Bochum, 44780 Bochum,            Dr. med. Susanne Meinrenken, Am Schäferhof 3,        Bezugspreise:
albrecht.bufe@rub.de;                                    28759 Bremen, susanne.meinrenken@sprachzeug.de       Einzelheft (eJournal): 15,35 Euro, Jahresabonnement:
Dr. med. Armin Grübl, Kinderklinik München Schwa-                                                             47,60 Euro, Jahresabonnement für Studenten
bing, Klinik und Poliklinik für Kinder-und Jugendme-     Hinweis: Bei Berufsbezeichnungen sind immer          (bei Vorlage einer Bescheinigung): 33,80 Euro
dizin, Klinikum Schwabing, StKM GmbH und Klinikum        beide Geschlechter gemeint, also Kinder- und
                                                                                                              Layout: kippconcept gmbh, Bonn
rechts der Isar (AöR) der Technischen Universität        Jugendärztinnen bzw. Kinder- und Jugendärzte.
München, Kölner Platz 1, 80804 München,                                                                       ISSN: 2364-3455
armin.gruebl@tum.de
PÄDIATRISCHE ALLERGOLOGIE - Gesellschaft für ...
Pädiatrische Allergologie » 01 / 2019 » Editorial   3

Liebe Leserinnen und Leser,
unsere Haut ist etwas Besonderes, des-        Keine eindeutigen „nackten Tatsachen“
                                                                                                  Dr. med. Armin Grübl
halb haben wir ihr dieses Ihnen vorlie-       führen uns zur Auflösung kniffliger Fra-
gende Heft gewidmet.                          gen an den Kinderpeumologen, den Al-
                                              lergologen und an den an praktischen
„Wehe wenn es juckt und kratzt“: Christian    Lösungen interessierten Quartheft-Ex-
Walter aus Bad Homburg, Hagen Ott aus         perten.
Hannover und Birgit Ahrens, aus Langen,
Frankfurt machen uns einen Vorschlag,         Man „fühlt sich sehr wohl in seiner Haut“,
wie wir bei Urtikaria die aktuell überar-     wenn man erfährt, wie sorgfältig das
beitete europäische Leitlinie in unserer      Forscherteam der MAS-Studie sich mit
täglichen pädiatrischen Praxis umsetzen       der Entwicklung von allergischen Er-                Kinderklinik München-Schwabing,
können.                                       krankungen über die letzten zwei Jahr-              Klinik und Poliklinik f. Kinder-
                                                                                                  und Jugendmedizin der TUM,
                                              zehnte beschäftigt hat. Unser Journal
                                                                                                  Kölner Platz 1 | 80804 München
Wir wissen zwar nicht, „was so alles auf      Club stellt die neueste Übersichtsarbeit
                                                                                                  armin.gruebl@tum.de
keine Kuhhaut passt“, aber wie die Farbe      dazu vor.
beim Tätowieren in die Haut gelangt, was
sie da so alles verursacht und wie wir        „Warzen“ verschandeln unsere Haut. Vol-
sie letztendlich wieder rausbekommen          ker Wahn aus Berlin ist möglichen Ursa-
– das alles beschreiben uns Silas Paras       chen dafür in seiner Serie Immundefekte
Soemantri, Kristina Hoffmann, Klaus           auf der Spur: Defekt des Interleukin 7.
Hoffmann aus Bochum.
                                              Man braucht ein „dickes Fell“, um feinen
„An meine Haut lasse ich nur Wasser und       und ultrafeinen Stäuben widerstehen zu
Seife“ – ob das so ausreicht, schildern uns   können, wie uns Thomas Lob-Corzilius
Doris Staab und Marion Trentmann aus          aus Osnabrück in seinem umweltmedi-
der Charité Berlin mit ihrem Update Pfle-     zinischen Artikel Teil 2 anschaulich dar-
geberatung für Neurodermitis. Und Frank       stellt.
Ahrens aus Hamburg frägt sich gar, ob vor-
beugendes Cremen sinnvoll ist und schaut      Und um sich gemütlich „auf die faule Haut
dazu für uns in die aktuelle Literatur. Und   legen“ zu können, sollte man als Haus-
Sie können auch nachlesen, ob Dupilumab       staubmilbenallergiker    unbedingt    den
einen beträchtlichen Zusatznutzen bei         neuen Elternratgeber von Dominik und
der Behandlung von mittelschwerer bis         Peter Fischer aus Schwäbisch Gmünd
schwerer Atopischer Dermatitis hat.           beachten.

Die   „Schönheit   von   Haut   und   Fell“   Wenn Sie nach dem Lesen erschöpft
war nicht ausschlaggebendes Kriterium         sind, träumen Sie doch schon mal vom
bei der Auswahl zu den diesjährigen           nächsten Urlaub in diesem Jahr, aber
Preisträgern der GPA am 13. Deutschen         beachten Sie dabei ein altes iranisches
Allergiekongress in Dresden. Lesen Sie        Sprichwort: 
                                                                                *
in diesem Heft über die Preisträgerin für     „ ‫تاغوس‬     ‫رفس‬، ‫“ تسا یتمالس‬
den Förderpreis Pädiatrische Allergo­
logie sowie über die diesjährige Trägerin     Viel Spaß beim Lesen!
der Lucie Adelsberger Medaille und den                                                         * Das Beste, was man vom Reisen nach Hause
Gewinner für „Die Welle“!                     Ihr Armin Grübl                                    bringt, ist die heile Haut …
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4      Pädiatrische Allergologie » 01 / 2019 » Topic Urtikaria

TOPIC URTIKARIA

Urtikaria
Ein Vorschlag zur Umsetzung der aktuell überarbeiteten europäischen
Leitlinie in die pädiatrische Praxis
Christian Walter, Bad Homburg, Hagen Ott, Hannover und Birgit Ahrens, Langen, Frankfurt

In der kinderärztlichen Praxis sind Patientinnen und Patienten mit akuter Urtikaria deutlich häufiger als solche mit einer chronischen
Form. Während die akute Urtikaria meist keine spezifischen diagnostischen Maßnahmen erfordert und die Therapie in der Regel prob-
lemlos gelingt, stellen die chronischen Formen von Urtikaria mit oder ohne Angioödeme oft eine erhebliche Herausforderung dar. Die
Patienten leiden häufig unter psychischen Beeinträchtigungen und einer ausgeprägten Einschränkung der Lebensqualität. Nicht zuletzt
daher bedürfen sie einer zielgerichteten Diagnostik und einer Therapie, die weitestgehend eine Symptomkontrolle ermöglicht [8]. Anfang
dieses Jahres ist eine überarbeitete Version der europäischen Leitlinie zu Diagnostik, Differenzialdiagnosen und therapeutischem Ma-
nagement der Urtikaria erschienen EAACI/GA2LEN/EDF/WAO [17]. Wir möchten im Folgenden einige wesentliche Aspekte dieser Leitlinie
zusammenfassen und mit einem Vorschlag zur Umsetzung für die pädiatrische Praxis verbinden (vgl. auch [11]).

    Patient 1

    Paula1 ist 14 Jahre alt. Bereits seit mehreren Jahren leidet sie unter wiederholten Quaddeln an unterschiedlichen Köperstel-
    len sowie Schwellung des Gesichts und im Thoraxbereich – alles verbunden mit einem starken Juckreiz. Eine umfangreiche
    Diagnostik in einer Universitätshautklinik konnte keine zugrunde liegenden Ursachen oder spezifische Auslöser ermitteln. Die
    Beschwerden treten unvermittelt auf, sowohl Angioödeme als auch Quaddeln sind rasch flüchtig und wechselnd in der Lokali-
    sation. Eine gewisse Verstärkung tritt bei Sonneneinstrahlung auf (Schwimmbad). Aufgrund von rezidivierenden Kopfschmer-
    zen nimmt sie wiederholt (nicht regelmäßig) Ibuprofen ein.

    Die emotionale Belastung sowie die Beeinträchtigung im Alltag sind hoch (Fortsetzung folgt).

Definition und Pathophysio-                                                                    vaskulitis (vgl. Tab. 2) kommt es nicht zu
                                                      Abbildung 1. Urticae
logie                                                                                          Gefäßwandnekrosen (und demzufolge

                                                                              In 80 % der      auch zu keinen länger persistierenden
Die Urtikaria ist definiert durch das Auf-                                    Fälle bei der    Quaddeln). Die Aktivierung sensorischer
treten von flüchtigen (juckenden oder                                         chronischen      Nervenzellen bedingt den für die Erkran-
                                                                              Urtikaria aus-
brennenden) Quaddeln (Abb. 1), von An-                                                         kung typischen Juckreiz [17].
                                                                              schließlich
giödemen oder von beidem [17].                                                Quaddeln, in
                                                                              15 % isolierte   Eine Urtikaria mit einer Dauer von < 6 Wo-
                                                                              Angioödeme,
Die Freisetzung von Histamin und ande-                                                         chen ist per definitionem eine akute Urti-
                                                                              in ca. 10 %
ren Botenstoffen durch die Degranulati-                                       Urticae und
                                                                                               karia [17]. Bei einer persistierenden oder
on von Mastzellen führt zu einer Vaso-                                        Angioödeme       häufig rezidivierenden Urtikaria mit einer
dilatation, einer gesteigerten vaskulären                                     kombiniert       Dauer von > 6 Wochen liegt eine chroni-
                                                                              [11].
Permeabilität mit der Folge von Ödem                                                           sche Urtikaria vor.
und Erythem entweder in der oberen Der-
mis (Quaddel) oder der unteren Dermis /
Subkutis. Im Unterschied zur Urtikaria-                                                        1 Namen der Patientinnen und Patienten geändert
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Pädiatrische Allergologie » 01 / 2019 » Topic Urtikaria   5

                                                                                               Diagnostik der akuten Urtikaria
  Tabelle 1. Formen der Urtikaria                                                              Da die akute Urtikaria in den meisten Fäl-
                                                                                               len infolge von bisher unverstandenen
 Akute Urtikaria
                                                                                               Prozessen im Rahmen von Infektionser-
                                            Urtikaria mit einer Dauer < 6 Wochen               krankungen ausgelöst wird, ist eine Diag-
 Chronische Urtikaria                                                                          nostik in der Regel nicht erforderlich und
                                                                                               sollte nur bei konkretem Verdacht für eine
 Chronische spontane Urtikaria              Chronische induzierbare Urtikaria
                                                                                               andere Ursache erfolgen. Vielmehr sollte
 Spontan auftretende Urtikaria              Physikalische Urtikaria:                           es unsere Aufgabe sein, in diesem Fall die
 > 6 Wochen mit                             ❙ Urticaria factitia                               Eltern aufzuklären und zu beruhigen, um
 ❙ bekannter Ursache                        ❙ Kälteurtikaria                                   die Kinder vor einer überflüssigen Diag-
 ❙ unbekannter Ursache                      ❙ Druck- / Vibrationsurtikaria
                                                                                               nostik zu bewahren. Lediglich in Ausnah-
                                            ❙ Lichturtikaria
                                                                                               mefällen ist unter begründetem Verdacht
                                            Andere chronische induzierbare Urtikaria:          eine differenzialdiagnostische Abklärung
                                            ❙ Cholinerge Urtikaria                             hilfreich (z. B. die Abklärung einer Typ I/
                                            ❙ Aquagene Urtikaria                               IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergie).
                                            ❙ Kontakturtikaria
                                            ❙ Anstrengungsinduzierte Urtikaria
                                                                                                 Bei der akuten Urtikaria ist in der Re-
                                                                                                 gel keine Diagnostik erforderlich!
Bei der chronischen Urtikaria unter-          zeptor) auf Mastzellen binden. Alternativ
scheiden wir die verschiedenen Formen         führt auch die Bindung von Autoantikör-
der induzierbaren chronischen Urtikaria       pern vom Typ IgE an bereits rezeptorge-          Diagnostik der chronischen Urtikaria
(CIndU) von der chronischen spontanen         bundenes IgE auf Mastzellen zur Aus-             Die aktuelle Leitlinie definiert als Ziele
Urtikaria (CsU) (Tab. 1).                     lösung der Degranulation [5, 11].                der Diagnostik:
                                                                                               a. Das Ausschließen von Differenzial­
Die Mastzelldegranulation erfolgt bei der     Diagnostik                                            diagnosen.
CsU häufig aufgrund von Autoimmun-                                                             b. Die Identifikation von Triggerfaktoren
mechanismen. Sie kann z.B. durch Au-          Eine gute Anamneseerhebung und eine                   und ggf. weiteren zugrunde liegen-
toantikörper vom Typ-Immunglobulin-G          gründliche    körperliche      Untersuchung           den Ursachen / Grunderkrankungen.
ausgelöst werden, die an den hochaffi-        stellen die Basis für die diagnostische          c. Das Erfassen von Aktivität, Auswir-
nen Immunglobulin-E-Rezeptor (IgE-Re-         Einordnung dar (s. Kasten) [17].                      kung und Kontrolle der Erkrankung.

                                                                                               a. Differenzialdiagnosen
  Anamnese und Differenzialdiagnosen bei chronischer Urtikaria                                 Die Urtikaria muss von anderen Erkran-
                                                                                               kungen abgegrenzt werden (Tab. 2), bei
  ❙❙ Erkrankungsbeginn, Häufigkeit, Dauer, Lokalisation, Zahl von Quaddeln, Angio­             denen es ebenfalls zu Quaddeln und /
     ödemen (ggf. Tagebuch)                                                                    oder Angioödemen kommt [17].
  ❙❙ Persistenz der Läsionen (Urtikaria < 24 h, hereditäres Angioödem > 24 h)
  ❙❙ Schwere des Juckreizes (z. B. UAS-Score)                                                  Hierzu zählen z. B. Autoimmunerkran-
  ❙❙ Begleitsymptome: z. B. Fieber, Bauchschmerzen, Gelenk- / Knochenschmerzen                 kungen (z. B. Morbus Still), die Bradyki-
  ❙❙ Familienanamnese in Bezug auf Urticae / Angioödeme                                        nin-vermittelten Angioödeme (hereditä-
  ❙❙ Auslöser / Triggerfaktoren: Physikalisch, Anstrengung, Medikamente, Nah-                  res oder erworbenes angioneurotisches
     rungsmittel / Zusatzstoffe, Infektionen, Stress etc.                                      Ödem) sowie die Urtikariavaskulitis und
  ❙❙ Krankheitsanamnese in Bezug auf Allergien, Infektionen, internistische Erkran-            die makulopapulöse kutane Mastozyto-
     kungen, Autoimmunerkrankungen                                                             se (Urticaria pigmentosa).
  ❙❙ Bisherige Therapien und Ansprechen
  ❙❙ Bisherige Diagnostik                                                                      Meist können Differenzialdiagnosen be-
                                                                                               reits im Rahmen der Anamneseerhebung
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    Tabelle 2. Differenzialdiagnosen der Urtikaria (ausgewählt)

    Diagnose                                      Merkmale                                         Diagnostik

    Hereditäres Angioödem                         Angioödeme ohne Urticae, kein Juckreiz,          C1-Esterase-Konzentration und
                                                  Dyspnoe, Bauchschmerzen                          -Aktivität, C4-Konzentration

    Systemischer Lupus erythematodes              Arthralgien, Fieber, Polyserositis               BSG, ANA, Ds-DNA-AK

    Urtikariavaskulitis                           Persistierende Urticae an einem Ort > 24 h       Biopsie (Gefäßwandnekrose)

    Kutane Mastozytose                            Hyperpigmentierung,                              Tryptase fakultativ erhöht
                                                  positives Darier-Zeichen

    Kryopyrinopathien                             Chronische Urtikaria im Säuglings­alter –        Humangenetische Diagnostik
                                                  oft Begleitsymptome (Chronische Meningi-         (Mutationen im NLRP3-Gen)
                                                  tis, Fieberschübe, Schwer­hörigkeit etc.)

                                                                                                                     modifiziert nach Ott 2017 [11]

sowie der klinischen Untersuchung aus-               b. Triggerfaktoren und weitere Ursachen     Hier helfen wiederum die Anamnese und
geschlossen und durch die weitergehen-                  oder Grunderkrankungen                   die gezielte Suche nach Triggerfakto-
de Diagnostik eingegrenzt werden. Zum                   Wurde die Diagnose einer chronischen      ren (Kälte, Wärme, Druck, Anstrengung
Beispiel:                                               Urtikaria gestellt, sollte eine Abgren-   etc.). Eine sinnvolle Frage ist z. B., ob die
❙❙ Flüchtige Angioödeme mit Juckreiz                    zung zwischen der CIndU (chronische       Patienten in der Lage sind, ihre Urtika-
     und Quaddeln sind typisch für die                  induzierbare Urtikaria) und der CsU       ria selbst herbeizuführen. Bei Verdacht
     chronische Urtikaria,                              (chronische spontane Urtikaria) erfol-    auf eine Kälteurtikaria sollten z. B. auch
❙❙ persistierende         Angioödeme       ohne         gen.                                      Symptome bei / nach Verzehr von kalten
     Juckreiz, mit Bauchschmerzen und
     ohne begleitende Urtikaria sind ver-
     dächtig auf ein hereditäres angioneu-             Abbildung 2. Algorithmus bei Verdacht auf Urtikaria: Vorschlag für das

     rotisches Syndrom,                                diagnostische Vorgehen

❙❙ länger als 24 Stunden persistierende
     Quaddeln an einem Ort deuten auf
     eine Urtikariavaskulitis hin,
❙❙ begleitende Arthralgien, Fieber und
     Polyserositis können hinweisend sein
     auf einen Morbus Still,
❙❙ bei einer (sehr seltenen) chronischen
     Urtikaria im frühen Säuglingsalter
     muss an eine Kryopyrinopathie ge-
     dacht werden.

    Anamnese und klinische Untersu-
    chung sind die wichtigsten diagnosti-
    schen Maßnahmen bei allen Formen
    der Urtikaria!

Abbildung 2 zeigt einen Vorschlag eines
für pädiatrische Patienten geeigneten Di-
agnose-Algorithmus (angelehnt an [17]).
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  Tabelle 3. Diagnostik bei chronischer induzierbarer Urtikaria (CindU)

 CindU-Form                       Testareal                          Testdurchführung                    Ablesung und Bewertung

 Symptomatischer Dermogra-        Volarer Unteram                    Moderates Reiben                    Ablesung nach 10 min
 fismus (Urticaria factitia)      Oberer Rücken                      z. B. mit einem Holzspatel          Positive Reaktion:
                                                                                                         Quaddel und Juckreiz

 Kälteurtikaria                   Volarer Unterarm                   Schmelzender Eiswürfel              Ablesung nach 10 min
                                  Abdomen                            in dünner Plastiktüte (5 min)       Positive Reaktion:
                                                                                                         Quaddelbildung

 Verzögerte Druckurtikaria        Schulter                           Schulter:                           Ablesung 6 Std.
                                  Oberschenkel                       7 kg Gewicht,                       nach Test­ende
                                                                     3 cm breiter Tragegurt              Positive Reaktion:
                                  Oberer Rücken
                                                                     (15 min)                            Angioödem und Erythem
                                  Volarer Unterarm

 Wärmeurtikaria                   Volarer Unterarm                   Kontakt mit Wärmequelle             Ablesung nach 10 min
                                                                     (45°C), z.B. warmes Wasser          Positive Reaktion:
                                                                     (5 min)                             Quaddelbildung

 Lichturtikaria                   Glutealregion                      UVA-Bestrahlung 6 J/cm2             Ablesung nach 10 min
                                                                     UVB-Bestrahlung 60 mJ/cm       2
                                                                                                         Positive Reaktion:
                                                                     Sichtbares Licht                    Quaddelbildung

 Vibratorische Urtikaria          Volarer Unterarm                   Vortex-Schüttler                    Ablesung nach 10 min
                                                                     1000 Um­drehungen/min               Positive Reaktion:
                                                                     (10 min)                            Quaddel, Angioödem

 Cholinerge Urtikaria             −                                  Körperliche Belastung               Ablesung sofort
                                                                     (Ergometer, Laufband,               und nach 10 min
                                                                     Treppensteigen)                     Positive Reaktion:
                                                                                                         Quaddelbildung

                                                                                                                             aus: Ott 2017 [11]

Nahrungsmitteln oder Getränken erfragt          NSAID Induced Urticaria / Angoödem            fangreiche      Screeninguntersuchungen
werden.                                         NIUA) als auch ihren Verlauf verstär-         sind abzulehnen. So ist beispielsweise
                                                ken (NECD = NSAID Exacerbated Cuta-           bei einer eindeutigen CIndU in der Regel
Physikalische Provokationstests können          neous Disease) [16].                          keine weitere Labordiagnostik notwen-
die Diagnostik einer CindU ergänzen und       ❙❙ Autoimmunerkrankungen        (z. B.   der    dig. Eine Ausnahme bildet hier die Kälte­
zur Bestimmung eines Schwellenwerts             Schilddrüse) [17].                            urtikaria, bei der eine Bestimmung von
der Auslösung von Symptomen beitra-           ❙❙ Infektionen (z. B. Helicobacter pylo-        Entzündungsparametern (Blutbild, BSG,
gen (Tab. 3). Dieser kann dann im Laufe         ri, Mycoplasmen, Giardia Lamblia,             CRP) sowie auch der Ausschluss von In-
der Therapie erneut überprüft und neben         EBV) [17]. Sichere Erkenntnisse über          fekten (z. B. Mycoplasmen) v. a. bei klini-
der Häufigkeit von Symptomen als Maß            die tatsächliche Relevanz von positi-         schem Verdacht sinnvoll sein kann.
für den Therapieerfolg herangezogen             ven mikrobiologischen Befunden bei
werden (z. B. im Rahmen einer Toleranz­         Kindern und Jugendlichen existieren           Bei einer CsU ohne klinische oder anam-
induktion, siehe Therapie, Punkt 3).            allerdings nicht, sodass eine entspre-        nestische Hinweise auf eine auslösende
                                                chende Diagnostik nur bei klinischem          Erkrankung (s. u.) und bei gutem Anspre-
Mögliche Triggerfaktoren bei einer CsU          Verdacht empfohlen wird [11].                 chen auf die Therapie mit nichtsedieren-
sind z. B.:                                   ❙❙ Sehr selten: IgE-vermittelte Allergien.      den Anthistaminika sollte, gerade bei
❙❙ die Einnahme von NSAID (z. B. Ibupro-                                                      pädiatrischen Patienten, keine weiterge-
   fen): NSAID können eine chronische         Laboruntersuchungen bei der chroni-             hende Diagnostik über eine Basisdiag-
   Urtikaria sowohl auslösen (NIUCA=          schen Urtikaria: Undifferenzierte um-           nostik hinaus erfolgen (Tab. 4).
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8       Pädiatrische Allergologie » 01 / 2019 » Topic Urtikaria

                                                                                                       CU-Q2oL (Chronic Urticaria Quality of Life
    Tabelle 4. Vorschlag Diagnostik bei chronischer spontaner Urtikaria                                Questionnaire) und der AE-Qol (Angioe-

    Form der Urtikaria                              Vorgehen                                           dema Quality of Life Questionnaire) emp-

    Akute spontane Urtikaria                        Keine Diagnostik!                                  fohlen. Sowohl UCT- als UAS-Score sind
                                                    (außer bei konkretem Verdacht)                     unserer Erfahrung nach in der kinderärzt-
    Chronische spontane Urtikaria (CsU):            Ausschluss entzündlicher Erkrankung                lichen Praxis gut einsetzbar und wertvoll.
    unkomplizierte Formen                           (Blutbild, BSG, CRP)
    (mit gutem Ansprechen auf eine                  Absetzen potenziell auslösender                    Therapie und Management
    Therapie mit Antihistaminika)                   Medikamente (z. B. NSAID)
    Chronische spontane Urtikaria (CsU):            Ursachensuche:
    schwere, langwierige und therapie­              ❙ Autoimmunerkrankungen                             Ziel der Behandlung der chronischen
    resistente Formen                               ❙ Infektionen                                       Urtikaria (CU) ist die vollständige

                                                    ❙ Triggerfaktoren                                   Kontrolle der Symptome!

                                                    ❙ IgE-vermittelte Allergien

                                                                                                       Der therapeutische Ansatz kann dabei
                                                     weist auf die Risiken bei Vertauschung            aus mehreren Säulen bestehen:
    Weitergehende Diagnostik bei der
                                                     von Patientenseren hin und gibt keine ein-        1. Beseitigung (Behandlung) zugrunde
    CsU nur bei klinischem Verdacht und
                                                     deutige Empfehlung [17]. Aus (unserer)               liegender Ursachen / anderer Grund­
    therapierefraktärem Verlauf.
                                                     pädiatrischen Sicht sprechen sowohl die              erkrankungen,
                                                     geringe Spezifität, der letztlich fehlende        2. Vermeidung von gesicherten Auslö-
Nur bei therapieresistenten Verläufen und            klinische Nutzen im Hinblick auf die The-            sefaktoren (z. B. NSAID),
insbesondere bei klinischem Verdacht soll-           rapie bei der CsU als auch die schmerz-           3. Versuch einer Toleranzinduktion und /
te die Diagnostik erweitert werden. Zu den           hafte Durchführung gegen diesen Test                 oder
dann empfohlenen Untersuchungen zählt                bei Kindern und Jugendlichen.                     4. Einsatz medikamentöser Therapie.
der Ausschluss von Infektionen (u. a. My-
coplasmen, Helicobacter pylori), von Au-             c. Erfassen von Aktivität, Auswirkung            Als Basisprinzip für die Behandlung gilt:
toimmunerkrankungen und, bei konkretem                  und Kontrolle der Erkrankung                   „as much as needed and as little as possi-
Verdacht, von IgE-vermittelten Allergien.            Die Leitlinie empfiehlt zur Bestimmung            ble“. Dabei sollte ein „stepping up“ oder
                                                     der Krankheitsaktivität sowohl vor als            „stepping down“ des Behandlungsalgo-
Ein Autologer Serumtest wird als Intra-              auch während der Therapie die Verwen-             rithmus dem Krankheitsverlauf ange-
kutantest zum Nachweis von Histamin                  dung von Symptom-Scores wie dem Ur-               passt werden [17].
freisetzenden Serumfaktoren eingesetzt.              tikaria Control Test (UCT) und UAS-Sco-
Er erfolgt mittels intrakutaner Injektion            res (Tab. 5) [17]. Zur Bestimmung des             1. Beseitigung / Behandlung von
von patienteneigenem Serum und Kont-                 Ausmaßes von Einschränkungen der Le-                  Ursachen / Grunderkrankungen
rollen mit Histamin und NaCl. Die Leitlinie          bensqualität werden Instrumente wie der           Dies kann schwierig sein, da oft ein kau-
                                                                                                       saler Zusammenhang zwischen z. B. einer
                                                                                                       Infektion und einer Urtikaria nicht beleg-
    Tabelle 5. UAS-Score                                                                               bar ist. Auch die Remission einer chroni-

    Score   Quaddeln pro 24 Std.                          Juckreiz                                     schen Urtikaria nach Behandlung einer

    0       Keine                                         Kein                                         als Ursache vermuteten Grunderkrankung

    1       < 20                                          Leicht, nicht störend                        ist kein sicherer Beweis für einen kausa-

    2       20−50                                         Mittel: störend, kein Einfluss               len Zusammenhang. Eine Spontanremis-
                                                          auf Alltagsaktivitäten und Schlaf            sion bei der CsU ist jederzeit möglich.
    3       > 50                                          Stark: schwerer Juckreiz
            (oder große konfluierende Flächen)            mit Einfluss auf Alltagsaktivitäten          Eine im Rahmen einer Diagnostik fest-
                                                          und Schlaf
                                                                                                       gestellte (Grund)Erkrankung bedarf in
    Summe der Scores: 0−6 pro Tag. 0−42 pro Woche (= UAS7)                                             jedem Fall einer adäquaten Behandlung
                                                                                  aus: Ott 2017 [11]   (beispielhaft: Eradikation von H. pylori
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Pädiatrische Allergologie » 01 / 2019 » Topic Urtikaria      9

oder die Therapie einer Autoimmuner-         Die IgE-vermittelte Nahrungsmittelaller-     schlüssigen Anamnese mit Hinweisen
krankung der Schilddrüse).                   gie ist eine extrem seltene Ursache ei-      auf einen möglichen Trigger (z. B. ein
                                             ner CsU. Pseudo-allergische Reaktionen       Nahrungsmittelallergen) und nachge-
                                             sind bei Erwachsenen beschrieben [18];       wiesener Sensibilisierung empfiehlt sich
  Keine ungezielten Diäten bei Kindern
                                             ihre Rolle bei Kindern bleibt allerdings     eine definierte Elimination und ggf. eine
  und Jugendlichen mit chronischer
                                             ungeklärt, sodass von ungezielten Diät-      Provokationstestung         (möglichst       dop-
  spontaner Urtikaria (CsU)!
                                             versuchen abzuraten ist. Nur bei einer       pelblind plazebokontrolliert).

  Patient 2

  Jan ist 5 Jahre alt. 2015 erkrankte er erstmals an einer Urtikaria. Im Verlauf kamen auch ein Angioödem der Lippen, Bauch-
  schmerzen und Übelkeit hinzu. Er vertrage keine Tomaten/Zitrusfrüchte. Ein Diätversuch bewirkt keine Besserung. Es kommt
  weiterhin zu urtikariellen Schüben und Angioödemen.

  Bei zunächst unauffälliger Diagnostik und leicht erhöhtem Gesamt-IgE wird keine Symptomkontrolle unter Cetirizin erreicht.

  Schließlich berichten die Eltern auf gezielte Nachfrage von einer ausgeprägten Urtikaria, Angioödem der Lippen nach Verzehr
  von Hackfleischbällchen sowie einer perioralen Urtikaria nach Salamiverzehr. Die erweiterte Diagnostik zeigt ein erhöhtes spe-
  zifisches IgE gegen Galactose-alpha-1-3-galactose („alpha-Gal“). Der Pricktest mit Schweinefleisch, Rindfleisch, Rinderniere,
  Schweineniere, Lamm und Kaninchen ist jeweils positiv. Nach Elimination dieser Nahrungsmittel treten keine Beschwerden
  mehr auf.

  Diagnose: Chronische Urtikaria mit Angioödemen als Manifestation eines Alpha-Gal-Syndroms.

2. V
    ermeidung von Aus­lösern                klusive Epinephrin-Autoinjektor notwen-      Urtikaria [15] und Bestandteil eines um-
NSAID können wie oben beschrieben            dig werden [11].                             fassenden Therapiekonzepts. Allerdings
eine chronische Urtikaria sowohl ver-                                                     wurden diese Daten wie die meisten
ursachen als auch verstärken und             Stress ist ein möglicher Augmentati-         Studien zur chronischen Urtikaria bei
sollten vermieden oder − wenn eine           onsfaktor der CsU – und die Erkrankung       Erwachsenen erhoben. Die klinische Be-
Therapie notwendig ist − durch Wirk-         selbst ein Auslöser für erheblichen see-     obachtung an eigenen Patienten lässt al-
stoffe anderer Klassen ersetzt werden        lischen Stress. Eine Stressreduktion         lerdings erkennen, dass Stress auch bei
[6, 16].                                     ist daher ein weiterer Faktor der Auslö-     Kindern und Jugendlichen ein wesentli-
                                             servermeidung bei einer chronischen          cher Faktor im Krankheitsverlauf ist.
Bei der physikalischen Urtikaria ist die
Vermeidung des auslösenden Stimulus
oft nicht vollständig zu erreichen. Einige     Maßnahmen zur Symptomreduzierung bei chronischer physikalischer

Maßnahmen können jedoch zu einer er-           Urtikaria (Beispiele)

heblichen Symptomreduktion führen (s.
Infokasten) [12].                              ❙❙ Sitzkissen, breite Tragegurte (Rucksäcke) bei Druckurtikaria

                                               ❙❙ Konsequent warme Kleidung bei Kälteurtikaria, Meiden stark gekühlter Getränke
Eine Sonderstellung nimmt hier erneut
                                                 (Larynxödem!), kein Baden in sehr kaltem Wasser
die Kälturtikaria ein. Hier kann ein Ana-
phylaxierisiko bestehen und auch die           ❙❙ Urticaria factitia: Vermeiden von zu enger Kleidung und Scherkräften
Verordnung einer Notfallmedikation in-
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10      Pädiatrische Allergologie » 01 / 2019 » Topic Urtikaria

3. Toleranzinduktion                                                                            Für alle Patienten, die unter einer hoch-
                                                       Nichtsedierende Antihistaminika sind
Eine Toleranzinduktion sowohl bei der                                                           dosierten Therapie mit Antihistaminika
                                                       erste Wahl bei der medikamentösen
solaren Urtikaria als auch bei Kälte­                                                           nicht symptomfrei sind, steht seit
                                                       Therapie.
urtikaria und cholinerger Urtikaria wird                                                        2014 (Zulassung ab 12 Jahren) der
in der Leitlinie beschrieben [17]. Bei                                                          monoklonale Antikörper Omalizumab
erfolgreicher Verschiebung der Tole-                 Antihistaminika der ersten Generati-       zur Verfügung (Stufe 3). Dieser soll
ranzschwelle sollte meist eine kon­                  on sind in der Behandlung der akuten       zu­
                                                                                                  sätzlich zu dem nichtsedierenden
tinuierliche Exposition erfolgen, um den             und chronischen Urtikaria obsolet! Sie     H1-Antihistaminikum eingesetzt wer-
Therapieerfolg aufrechtzuerhalten [2].               wirken sedierend, penetrieren in das       den [17]. Somit steht bei diesen Patien-
                                                     ZNS [7], beeinflussen den REM-Schlaf       ten diese sichere und effektive Thera-
4. M
    edikamentöse Therapie                           und können einen negativen Einfluss        pieoption vor einem (off label) Einsatz
                                                     auf Lernprozesse haben [3]. Von den        von Ciclosporin (Stufe 4) zur Verfügung
 Es gilt „as much as needed – as little
                                                     Antihistaminika der 2. Generation soll-    [17].
 as possible“.
                                                     ten, aufgrund ihrer potenziell kardio­
                                                     toxischen Effekte, weiterhin Astemizol     Die Zulassung von Omalizumab (in ei-
Die Empfehlungen der neuen Leitlinie in              und Terfenadin nicht eingesetzt wer-       ner Dosierung von 300 mg alle 4 Wo-
Bezug auf die medikamentöse Therapie                 den.                                       chen) erfolgte für die Behandlung der
der chronischen Urtikaria sind eindeutig                                                        CsU [17]. Die Studiendaten zeigten bei
und bilden eine gute Grundlage für die                                                          den Patienten unter Therapie mit Oma-
                                                       Antihistaminika der 1. Generation
Beratung unserer Patienten, aber auch                                                           lizumab ein geringeres Auftreten von
                                                       sollten in der Therapie nicht einge-
für die Rechtfertigung unserer Therapie                                                         Angioödemen und eine Verbesserung
                                                       setzt werden.
gegenüber Kostenträgern [17]. Die Leit­                                                         der Lebensqualität und scheint auch
linie unterscheidet 4 Stufen der Behand-                                                        nach Beendigung der Therapie für eine
lung.                                                Bei unzureichender Kontrolle der Sym-      Rezidivprophylaxe geeignet zu sein [9,
                                                     ptome in der Normaldosierung sieht die     10, 14].
First-line-Therapie ist die Behandlung               Leitlinie eine schrittweise Erhöhung der
mit nichtsedierenden H1-Antihistamini-               Dosis bis auf die vierfache Normaldosie-   Die Behandlung sollte bis zur vollstän-
ka der 2. Generation (Stufe 1). Dies kann            rung vor (entspricht einer Off-label-An-   digen Symptomkontrolle erfolgen. Im
in Form einer Dauertherapie bei der CsU              wendung) [4, 13]. Hierdurch wird in fast   Falle eines Rezidivs nach Absetzen des
oder bei Bedarf wie z. B. bei einer akuten           allen Fällen eine vollständige Symptom-    Omalizumab kann die Behandlung ohne
Exazerbation einer Kälteurtikaria ge-                kontrolle bei Kindern und Jugendlichen     Wirkungsverlust wieder aufgenommen
schehen [17].                                        erreicht (Stufe 2).                        werden.

     Patient 1 (Fortsetzung)

     Auch nach Absetzen von Ibuprofen und unter einer Therapie mit Desloratadin in vierfacher Tagesdosis kommt es bei Paula zu
     keiner wesentlichen Besserung der Symptomatik (UCT 0 Punkte). Daher wurde eine Therapie mit Omalizumab begonnen. Nach
     der zweiten monatlichen Injektion berichtet die Patientin von einer deutlichen Besserung der Symptome: keine morgendlichen
     Angioödeme, wenige Urticae, kaum noch Juckreiz (UCT 12 Punkte – gute Symptomkontrolle).

Auch bei schweren Formen der CindU,                  Keinen Platz in der Behandlung der chro-   oralen Steroiden [17]. Letztere könnten
z.B. der cholinergen Urtikaria, Kälteurti-           nischen Urtikaria hat nach den Empfeh-     laut Leitlinie bei schweren Schüben der
karia und Lichturtikaria wurde Omalizu-              lungen der neuen Leitlinie Montelukast     Erkrankung kurzzeitig eingesetzt werden
mab (off label) bereits erfolgreich einge-           sowie auch H2-Antihistaminika (fehlen-     [17].
setzt [17].                                          de Evidenz) und eine Dauertherapie mit
Pädiatrische Allergologie » 01 / 2019 » Topic Urtikaria               11

Fazit                                          Dr. med. Christian Walter

Eine gute Anamneseerhebung und eine
                                               Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Allergologie, pädiatrische Pneumologie
gründliche      körperliche   Untersuchung     Louisenstraße 22 | 61348 Bad Homburg
ermöglichen eine weitgehende diagnos-          dr.christian.walter@gmx.de

tische Einordnung und ersparen unseren
Patientinnen und Patienten unnötige Un-
tersuchungen.                                Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Beitrag
                                             besteht.
Eine akute Urtikaria ist die häufigste
Form der Urtikaria im Kindesalter und
bedarf meist keiner Diagnostik, son-
dern einer symptomatischen Therapie          Literatur
mit nicht sedierenden Antihistami-           1 Altrichter S, Peter H-J, Pisarevskaja D, Metz M, Mar-   10 Metz M, Ohanyan T, Church MK, Maurer M. Retreat-
                                               tus P, Maurer M. IgE mediated autoallergy against           ment with omalizumab results in rapid remission
nika.
                                               thyroid peroxidase − a novel pathomechanism of              in chronic spontaneous and inducible urticaria. In:
                                               chronic spontaneous urticaria? In: PloS one 2011;           JAMA Dermatology 2014; 150 (3): 288-290
Die CsU sowie die CindU sind im Kindes-        6 (4): e14794
                                                                                                        11 O tt H. Chronische Urtikaria im Kindesalter. Rationa-
alter seltener. Durch eine differenzierte
                                             2 Beissert S, Stander H, Schwarz T. UVA rush harden-         le Diagnostik und Therapie. In: Monatszeitschrift für
Anamnese und Befunderhebung können             ing for the treatment of solar urticaria. J Am Acad         Kinderheilkunde 2017; 165: 437-488
Differenzialdiagnosen häufig ohne weit-        Dermatol 2000; 42: 1030-1032
                                                                                                        12 O tt H, Kopp MV, Lange L. Kinderallergologie in Klinik
reichende Diagnostik ausgeschlossen          3 Church MK, Maurer M, Simons FER et al. Risk of             und Praxis. Springer Verlag, Berlin-Heidelberg 2014
werden. Ziele der Diagnostik sind die          first-generation H(1)-antihistamines. A GA(2)LEN
                                               position paper. In: Allergy 2010; 65 (4): 459-466
Identifikation von Triggerfaktoren und                                                                  13 S taevska M, Popov TA, Kralimarkova T et al. The
                                                                                                           effectiveness of levocetirizine and desloratadine in
ggf. zugrunde liegenden anderen Erkran-      4 Guillén-Aguinaga S, Jáuregui Presa I, Aguinaga-
                                                                                                           up to 4 times conventional doses in difficult-to-treat
kungen, Bestimmung der Krankheitsakti-         Ontoso E, Guillén-Grima F, Ferrer M. Updosing
                                                                                                           urticaria. In: J Allergy Clin Immunol 2010; 125 (3):
                                               nonsedating antihistamines in patients with chron-
vität sowie der Ausschluss von Differen-                                                                   676-682
                                               ic spontaneous urticaria. A systematic review and
zialdiagnosen.                                 meta-analysis. In: The British Journal of Dermatol
                                                                                                        14 S taubach P, Metz M, Chapman-Rothe N et al. Effect
                                               2016; 175 (6): 1153-1165
❙❙ Bei der gesicherten CindU ist meist                                                                     of omalizumab on angioedema in H1-antihista-

  keine weitere Labordiagnostik not-                                                                       mine-resistant chronic spontaneous urticaria pa-
                                             5 Kolkhir P, Church MK, Weller K, Metz M, Schmetzer
                                                                                                           tients. Results from X-ACT, a randomized controlled
  wendig (Ausnahme: Kälteurtikaria).           O, Maurer M. Autoimmune chronic spontaneous ur-
                                                                                                           trial. In: Allergy 2016; 71 (8): 1135-1144
                                               ticaria. What we know and what we do not know. In:
  Bei der CsU sollte eine weitgehende
                                               J Allergy Clin Immunol 2017; 139 (6): 1772-1781.e1
                                                                                                        15 Varghese R, Rajappa M, Chandrashekar L et al. As-
  Diagnostik v. a. bei therapieresisten-
                                                                                                           sociation among stress, hypocortisolism, systemic
  ten Verläufen und abhängig von klini-      6 Kowalski ML, Woessner K, Sanak M. Approaches to
                                                                                                           inflammation, and disease severity in chronic urti-
                                               the diagnosis and management of patients with a
  schen Verdachtsmomenten erfolgen.            history of nonsteroidal anti-inflammatory drug-re-
                                                                                                           caria. In: Annals of allergy, asthma & immunology :
                                                                                                           official publication of the American College of Aller-
  Die Rolle von Infektionen und Pseudo-        lated urticaria and angioedema. In: J Allergy Clin
                                                                                                           gy, Asthma, & Immunology 2016; 116 (4): 344-348.
                                               Immunol 2015; 136 (2): 245-251
  allergien in der Auslösung der CsU bei                                                                   e1
  Kindern ist noch ungeklärt.                7 Kubo N, Senda M, Ohsumi Y et al. Brain histamine
                                                                                                        16 Wöhrl S. NSAID hypersensitivity − recommenda-
❙❙ Die Therapie erfolgt über die Vermei-       H1 receptor occupancy of loratadine measured by
                                               positron emission topography. Comparison of H1              tions for diagnostic work up and patient manage-
  dung von Ursachen und Triggerfak-                                                                        ment. In: Allergo Journal international 2018; (4):
                                               receptor occupancy and proportional impairment
  toren (wo möglich), ggf. einer Tole-         ratio. In: Human Psychopharmacology 2011; 26 (2):           114-121

  ranzinduktion (bei der CindU) sowie          133-139
                                                                                                        17 Zuberbier T, Aberer W, Asero R et al. The EAACI/
  medikamentös. Mittel der ersten Wahl       8 Maurer M, Abuzakouk M, Bérard F et al. The burden          GA²LEN/EDF/WAO guideline for the definition, clas-
  sind nicht sedierende H1-Antihistami-        of chronic spontaneous urticaria is substantial. Re-        sification, diagnosis and management of urticaria.
                                               al-world evidence from ASSURE-CSU. Allergy 2017;            In: Allergy 2018; 73 (7): 1393-1414
  nika. Nach sorgfältiger, individueller
                                               72 (12): 2005-2016
  Abwägung stellt Omalizumab eine                                                                       18 Zuberbier T, Chantraine-Hess S, Hartmann K,

  Therapiemöglichkeit (ab einem Alter        9 Maurer M, Kaplan A, Rosén K et al. The XTEND-CIU           Czarnetzki BM. Pseudoallergen-free diet in the
                                               study. Long-term use of omalizumab in chronic id-           treatment of chronic urticaria. A prospective study.
  von 12 Jahren) in therapieresistenten        iopathic urticaria. J Allergy Clin Immunol 2018; 141        In: Acta dermato-venereologica 1995; 75 (6): 484-
  Fällen dar.                                  (3): 1138-1139.e7                                           487
12    Pädiatrische Allergologie » 01 / 2019 » Topic Tattoo

TOPIC TATTOO

Tattoos: Wie kommt die Farbe in die Haut
und wie lässt sie sich wieder entfernen?
Silas Paras Soemantri, Kristina Hoffmann, Klaus Hoffmann, Bochum

Der Duden definiert eine Tätowierung als ein Bild oder ein Motiv, das mit einem Farbmittel in die Haut eingebracht wird. Dabei müssen
die Farbmittel die Eigenschaft haben, dass sie nicht löslich sind. In aller Regel werden daher feste Strukturen eingebracht, die in der
Haut, und dort v.a intrazellulär in Fibroblasten, aber auch in Makrophagen, ähnlich einem Implantat liegen bleiben. Auch wenn Tätowie-
rungen in den letzten Jahrzehnten noch häufiger geworden sind, sind Reste solcher Techniken schon bei der Gletscherleiche Ötzi oder
auch Mumien aus Ägypten nachzuweisen. Wesentliche Risiken der Tätowierung sind eine Infektion bei unhygienischem Vorgehen sowie
immunologische Reaktionen. Besonders problematisch sind die Spaltprodukte der verschiedenen verwendeten Farbstoffe. Zur Entfer-
nung nicht mehr gewünschter Tattoos ist das Verfahren einer Photothermolyse mittels Laser am vielversprechendsten. Je nach Farbe
der Tätowierung kommen Laser unterschiedlicher Wellenlänge zum Einsatz, wobei auch Hauttyp und Alter des Patienten sowie die Lo-
kalisation und das Alter der Tätowierung eine Rolle für die Auswahl des Lasers spielen. Die Lasertherapie geht nicht ohne Hitzeschäden
am Gewebe einher; hier könnten Picosekunden-Laser oder weitere Neuentwicklungen einen Vorteil gegenüber den üblichen Nanosekun-
den-Lasern bieten.

Gesellschaftliche Bedeutung                       Gesellschaft mit der wohl längsten Tra-       Bevölkerung und 8 % der männlichen Be-

von Tattoos                                       dition von Tätowierungen, fanden sich         völkerung ein Tattoo. Schaut man sich
                                                  Tätowierungen häufiger bei weniger            die Altersgruppe der unter 25-Jährigen
Tätowierungen sind in der jüngeren Ge-            angesehenen      Bevölkerungsschichten        an, waren es 14 %, in der Altersgruppe
neration so häufig geworden, dass man             wie Prostituierten oder Kriminellen. In       zwischen 25 und 34 Jahren 22,3 % und
mittlerweile schon von der Bodymodifi-            der Neuzeit bedeuten diese Tätowierun-        in der Altersgruppe von 35−44 Jahren
cation-Generation spricht. Als psycho-            gen gerade in Japan immer noch eine           14,7 % der Bevölkerung, die tätowiert wa-
logischen Hintergrund sieht man hier              Stigmatisierung. Auch im moderneren           ren. Man darf also mittlerweile durchaus
insbesondere eine Art Freiheitsbegeh-             Westeuropa bedeutet eine Tätowierung          von einem Massenphänomen sprechen.
ren, ein Statement für eine Überzeugung           bisweilen, vorurteilsbehaftet, eine Stig-
oder schlicht und einfach den Wunsch,             matisierung.                                  Schaut man sich die Korrelation zwi-
sich von anderen in irgendeiner Weise                                                           schen dem Vorhandensein eines Tattoos
zu unterscheiden. Tattoos werden heute            Viele Menschen glauben auch heute             und der Schulbildung an, so findet sich
als absolute Normalität angesehen, dies           noch, dass Tätowierungen mit einem ge-        beim Vergleich von Menschen mit einem
gilt gerade für die jüngere Generation.           ringeren Bildungsgrad, sozialem Status        Haupt- oder Volksschulabschluss und
Der Wunsch nach Bodymodifications                 oder Einkommen verbunden sind. Bei            solchen mit einem Mittel-, Real- / Fach-
ist aber so alt, wie wir rückblickend For-        einer Studie, die an der Ruhr-Universität     oder Handelsschul-Abschluss und denje-
schung betreiben können. Bereits Ötzi,            Bochum gemeinsam mit allen Tätowier-          nigen, die eine Hochschulreife haben, ein
die Gletscherleiche, hatte Tätowierun-            verbänden durchgeführt wurde, zeigte          erkennbarer Trend, es zeigen sich aber
gen. Gleiches gilt für Mumien aus dem             sich das Gegenteil [13]. Die Gesellschaft     keine signifikanten Unterschiede (9,4 %
alten Ägypten. Tätowierungen haben                für Konsumforschung hat eine repräsen-        versus 10,4 % versus 6,0 %).
aber auch gesellschaftliche Bedeutung.            tative Umfrage durchgeführt, die erst-
                                                  mals sichere Zahlen für Deutschland ge-       Berücksichtigt man in der Gesamtschau
In der Südsee waren Stammeskrieger,               liefert hat. Zu Beginn 2014 wurden 2000       auch Menschen, die möglicherweise noch
bestimmte Kasten oder auch einfach                deutschsprachige Männer und Frauen            ein Piercing tragen, kommt es im Sinne
ethnische Zugehörigkeiten durch ihre              ab 16 Jahren in Deutschland befragt.          der neudeutschen Formulierung der Bo-
Tätowierung zu erkennen. In Japan, die            Dabei fand sich bei 10 % der weiblichen       dymodifications zu noch sehr viel höheren
Pädiatrische Allergologie » 01 / 2019 » Topic Tattoo   13

Zahlen. Dann beträgt der Anteil von Men-
schen mit Körperschmuck in Deutschland
ca. 40 %, wobei der Anteil bei Frauen, ge-
rade wegen des Piercings, deutlich höher
liegt als bei Männern. Es konnte zudem
ein Zusammenhang zwischen einer nied-
rigen sozialen Herkunft und Tattoos, die
im Nachhinein als misslungen empfun-
den werden, gezeigt werden. Somit kann
ausweislich dieser Studie gesagt werden,
dass die Bodymodifications zur Normali-
tät in der Bevölkerung gehören.

Technik der Tätowierung

Das Tätowiermittel wird von einem Tä-
towierer, heute zumeist mit einer Täto-
wiermaschine, die mit einer oder mehre-
ren Nadeln bestückt ist, punktuell in die
Haut gestochen. Die Auswahl der Nadeln
richtet sich dabei nach den gewünsch-
ten Effekten − von einer Linie bis hin zu    den meisten histologischen Studien, die        einzelnen Teile eines Tätowiermittels auf,
Schattierungen oder größeren decken-         durchgeführt wurden. Neuere Studien            ist nur ca. ein Drittel des eingebrachten
den Flächen. In aller Regel wird dazu zu-    zeigen jedoch, dass es möglich ist, dass       Materials das eigentliche Tätowiermittel,
nächst ein Motiv gezeichnet und im Um-       sich Tattoo-Material auch dauerhaft in         der Rest sind Hilfsstoffe.
kehrbild auf die Haut gebracht, sodass       Makrophagen sammelt (Abb. 1). Hier
es dann entsprechend einer Vorlage in        wird ganz offensichtlich ein ganz erheb-       Medizinische Risiken der
die Haut eingestochen werden kann.           licher Teil des Materials eben nicht ver-      Tattoos
                                             daut, sondern sogar von Makrophage zu
Das Farbmittel wird dabei in unterschied-    Makrophage weitergegeben. Ein Teil des         Nimmt man die zuvor genannten Zah-
lichen Lagen der Dermis abgelegt. Das        Materials geht dabei natürlich verloren,       len, so darf man davon ausgehen, dass
tiefe Stechen ist notwendig, da sich an-     sodass Tattoos über die Zeit verwasche-        in der deutschen Bevölkerung zwischen
sonsten das Farbmittel durch die schnel-     ner aussehen und die Farben verblassen.        8 und 10 Millionen Menschen tätowiert
le Erneuerung der Epidermis innerhalb                                                       sind. Eine erhebliche Anzahl an täto-
von einigen Wochen reduzieren würde.         Gleichsam ist bekannt, dass über lympha-       wierten Menschen ist, was Krankheiten
                                             tische Wege, insbesondere kleinste Par-        betrifft, bislang epidemiologisch unauf-
Tattoo-Partikel in                           tikel in die Lymphknoten weitertrans-          fällig, soweit man dies wissenschaft-

Makrophagen                                  portiert werden [8]. Man geht bei den          lich beurteilen kann. Die immer wieder
                                             Tattoos davon aus, dass diese zwischen         geäußerte Annahme, dass Tätowierun-
Dauerhaftes Einbringen in die Haut be-       10 und 100 nm groß sind. Je kleiner ein        gen krank machen können, ist bislang
deutet ein Einbringen in die mittlere Der-   Tattoo-Partikel ist, umso schwieriger ist      wissenschaftlich nicht belegt. Man darf
mis mit unterschiedlicher Tätowiermit-       er in die Haut zu implantieren, da erhebli-    dabei jedoch nicht verkennen, dass Tat-
teldichte. Die Tätowiermittel verdichten     che Teile über die Lymphwege und durch         too-Farbstoffe dann, wenn sie in den
sich dabei insbesondere um die Gefäße        die   Makrophagenreaktion      abgetragen      Körper eingebracht werden, z. B. durch
herum. Man hat bisher angenommen,            werden. In aller Regel werden die Täto-        UV-Strahlung, aber auch durch körpe-
dass diese sich im Wesentlichen intra-       wiermittel daher mit Schellack, Titanium-      reigene Prozesse zersetzt werden kön-
zellulär in Fibroblasten ansammeln. Die      dioxid oder anderen Beimengungen in die        nen und die Spaltprodukte toxische bis
intrazelluläre Ablagerung findet sich in     Haut selbst eingebracht. Trennt man die        hin zu kanzerogenen Wirkungen haben
14    Pädiatrische Allergologie » 01 / 2019 » Topic Tattoo

könnten. Inwieweit dies tatsächlich zu
Krankheiten führt, bleibt umstritten. Zu-            Abbildung 1a, b. Elektronenmikroskopische Aufnahme im Längsschnitt (a)

mindest ist es so, dass das Bundesamt                und Querschnitt (b) von intrazellulärem Tattoopigment (Carbon black) in

für Risikobewertungen auf die Probleme               aggregierter und agglomerierter Form.

der Abspaltung und ihre Folgen hinweist.
                                                        a                                           b
Ein weiteres besonderes wichtiges Pro-
blem bei der Betrachtung zu Tätowie-                                                                                                b
rungen ist die Frage, wie Tätowierungen
eingebracht werden. Es ist sicherlich so,
dass Tätowierungen in professionellen
Tattoo-Studios unproblematischer sind
als von Laien eingebrachte Tätowierun-
gen, wenn man es vom Hygienestand-
punkt her betrachtet. Bei unsachgemä-
ßem, unhygienischem Arbeiten können
natürlich verschiedene Infektionen über-
tragen werden. Es sind Infektionen be-
schrieben, die bis hin zum Verlust von
Gliedmaßen gereicht haben.
                                                  Haut an spezifische Proteine gekoppelt         bei schwächeren Reaktionen kann kurz-
Die direkte toxische Wirkung der ein-             (Hapten) und wirken so allergen [9]. Aller-    fristig eine lokale Immunsuppression mit
gebrachten Farbstoffe ist durch die               dings ist die Häufigkeit deutlich seltener     einer glukokortikoidhaltigen Creme oder
Tätowiermittelverordnung,       die   wir   in    als angenommen. Genaue Zahlen sind             die Unterspritzung mit einer Kristall-
Deutschland haben, und verschiedene eu-           nicht bekannt. In Zentren, die schwer-         suspension versucht werden. In vielen
ropäische Kontrollmechanismen zwar in             punktmäßig tätowierte Menschen behan-          Fällen sind derartige Versuche aber frus-
ihrer Brisanz nicht vollständig gelöst, aber      deln, wie z. B. die Hautklinik der Ruhr-Uni-   tran, sodass eine Exzision unumgänglich
doch deutlich entschärft. Schwermetalle           versität Bochum, wird durchschnittlich         wird. In keinem Fall kann hier eine La-
und Ähnliches mehr werden nicht mehr              ein Patient im Monat mit einer derartigen      serung eingesetzt werden, da auf diese
eingebracht. Die deutsche Tätowiermit-            schwer zu kontrollierenden allergischen        Weise weitere Allergene freigesetzt wer-
telszene kämpft daher dafür, klare Regeln,        Reaktion auf Rot gesehen. Diese kann           den können, die eine bereits bestehende
saubere Farben sowie einen professionel-          granulomatös sein oder sämtliche an-           Allergie verstärken würden [3].
len Umgang mit denselben zu organisie-            dere Formen einer immunologischen
ren. Diese Bestrebung unterscheidet Eu-           Abwehrreaktion zeigen [11]. Gegen rote         Sicherheit bei der Einschätzung, ob ein
ropa von anderen Industrienationen wie            Bestandteile der Tätowiermittel treten         Mensch auf die Farbstoffe reagieren
z. B. den Vereinigten Staaten, wo die FDA         deshalb häufiger allergische Reaktionen        wird, gibt es bislang nicht. Nicht selten
(Food and Drug Administration) eher kein          auf, weil diese Farben besonders häufig        gibt es Fälle, bei denen bereits mehrere
Interesse (schon aus haftungsrechtlichen          sensibilisierende Metalle wie Quecksil-        farbige, Rot enthaltende Tätowierungen
Gründen) an der echten Kontrolle der ein-         ber oder Quecksilbersulfid (Zinnober)          bestehen und es erst bei der letzten ein-
gebrachten Tätowiermittel zeigt.                  und Azo-Pigmente enthalten. Aber auch          gebrachten Tätowierung zu einer immu-
                                                  anderweitige organische und nichtorga-         nologischen Reaktion kommt. Eine abso-
Neben den toxischen Wirkungen, die et-            nische Substanzen, z. B. Kadmium, die          lute Sicherheit gibt es daher nicht.
was häufiger auf den Farbstoff Grün ge-           für rote Farbstoffe verwendet werden,
sehen werden, gilt es zudem auch aller-           können verzögerte Hypersensitivitäts­          Die wesentlichen bekannten Risiken bei
gische Reaktionen auf die eingebrachten           reaktionen auslösen [12].                      einer Tätowierung sind somit die immuno-
Stoffe zu beachten [10]. Diese treten in                                                         logische Reaktion oder Infektion. Bedacht
aller Regel gegen rote Bestandteile der           In aller Regel hilft dann nur die Exzision     werden muss beim Einbringen eines Tat-
Tätowiermittel auf. Diese werden in der           des entsprechenden Tätowiermaterials,          too-Farbstoffs auch immer die Frage der
Pädiatrische Allergologie » 01 / 2019 » Topic Tattoo   15

Langzeitwirkung im Körper selbst, die        Zum einen liegen die Partikel, wie bereits    Die heutige Technologie zur selektiven
nach heutigem Wissen eher unproble-          beschrieben, intrazellulär, zum anderen       Tattoo-Entfernung beinhaltet den Ge-
matisch zu sein scheint. Genauere Daten      neigen diese zur Aggregation und zur Ag-      brauch von pulsativen Lasern, nament-
hierzu gibt es bislang aber nicht.           glomeration, sodass größere Verbände          lich „q-switched“-oder „quality-switched“-
                                             entstehen.                                    Lasern,     welche     Nanosekunden-Pulse
Sieht man sich die Spaltprodukte aus                                                       produzieren, indem sie auf einmal die
Tattoo-Farbstoffen im Labor an, so kann      Eine weitere Schwierigkeit sind gemisch-      gesamte Energie, welche in der Vorbe-
man die Besorgnis der hieran beteiligten     te Pigmente: Sofern Mixturen von Pig-         reitungsphase generiert wird, aus dem
Wissenschaftlicher allerdings mehr als       menten und / oder multiple Farben ver-        Lasermedium entlassen. Dieses Kon-
gut verstehen. Dies gilt umso mehr, als      wendet wurden, kann eine vollständige         zept basiert auf dem Prinzip der Photo-
dass in einem bundesweiten Überwa-           Entfernung der Tätowierung mit Lasern         thermolyse, welche den Gebrauch einer
chungsplan 2007 gezielt Tätowiermittel       unter Umständen nicht erreicht werden.        Wellenlänge, welche das Tattoo-Pigment
angeschaut und auf Schwermetalle, Kon-       Verschiedene Farben werden normaler-          adressiert und den Einsatz von Hitze am
servierungsstoffe sowie auf Keimbelas-       weise gemischt, um verschiedene Hel-          Pigment impliziert (wobei die Länge des
tung untersucht wurden. Diese immer          ligkeiten und Lichteffekte zu erzeugen.       Pulses kürzer ist als die thermale Relaxa-
wieder zitierten Studien zeigten zum         Ein anderer Faktor, der zum Misserfolg        tionszeit des Pigments). Dies erlaubt die
Teil sehr bedenkliche Ergebnisse. Eine       führen kann, ist die Tatsache, dass die       selektive Zerstörung der Zielpigmente in
mittlerweile   gegründete     europäische    meisten Tattoo-Pigmente nicht kontrol-        der Haut ohne das umliegende Gewebe zu
Forschungsgemeinschaft aus Wissen-           liert werden und verschiedene Elemente        schädigen.
schaftlern und Tattoo-Verbänden, die         und chemische Bestandteile beinhalten
erstmals 2013 in Kopenhagen getagt hat,      können. Sollten die exakten Bestandtei-       Zurzeit existieren 4 verschiedene Typen
zeigte aber, dass die Situation sich mitt-   le eines Tattoo-Pigments nicht bekannt        von QS-Nanosekunden-Lasern mit fol-
lerweile deutlich entschärft hat.            sein, kann auf die Tattoo-Entfernung eine     genden Wellenlängen, welche breit zur
                                             paradoxe Verdunklung des Pigments ent-        Tattoo-Entfernung eingesetzt werden:
Zudem wurde ein Meldesystem eta­-            stehen, welches schwierig zu entfernen        ❙❙ 532 nm (Nd:YAG),
bliert, das „Rapid Exchange of Informa-      ist. Des Weiteren sind weiße, orange, gel-    ❙❙ 1064 nm (Nd:YAG),
tion System“ (RAPEX), ein europäisches       be und braune Tattoo-Farben schwierig         ❙❙ 755 nm (Alexandrit) und
Schnellwarnsystem, das vor gefährli-         zu behandeln.                                 ❙❙ 694 nm (Rubin).
chen Verbraucherprodukten warnt und
über bedenkliche Inhaltsstoffe in Täto-      Man darf heute bei der Tattoo-Entfer-         Wellenlängen von 1064 nm (Nd: YAG)
wierfarben berichtet.                        nung davon ausgehen, dass insbesonde-         und 755 nm (Alexandrit) werden zur
                                             re die Entfernung mittels Laser die ziel-     Entfernung schwarzer und blauer Täto-
Entfernung von Tattoos                       führendste Methode ist.                       wierungen eingesetzt, 694 nm (Rubin)
                                                                                           Wellenlänge für blaue, schwarze und
Verschiedene Pigmente                        Die nichtselektive Tattoo-Entfernung be-      grüne Tätowierungen, 532 nm (Nd: YAG)
Das Problem bei der Tattoo-Entfernung        steht hauptsächlich aus folgenden Ver-        Wellenlänge für rote Tätowierungen. Ne-
ist, dass der behandelnde Arzt nicht         fahren:                                       ben der Farbe sind Typ, Alter und Loka-
weiß, wieviel Pigment eingebracht wur-       ❙❙ mechanisch                                 lisation der Tätowierung, Patientenalter
de, in welcher Tiefe es sich befindet und      (Salabrasion und Exzision),                 und Hauttyp des Patienten entscheidend
um welches Pigment es sich tatsächlich       ❙❙ chemisch (Trichloressigsäure) und          für die Wahl des richtigen Lasers und der
gehandelt hat. Die Pigmentgrößen wer-        ❙❙ thermisch                                  individuellen Parameter für jeden Patien-
den auf den Farbpigmentbehältern näm-          (Elektrokauterisierung, Kryotherapie        ten. Abhängig von der Breite an vorhan-
lich in aller Regel nicht angegeben. Es        und kontinuierliche Wellen-Laserung).       denen Farben variiert zudem unter Um-
könnte sich somit um Partikel von 10 nm                                                    ständen die Anzahl an einzusetzenden
bis hin zu 100 nm Größe handeln.             Diese invasiven Methoden variieren stark      Lasern.
                                             in ihrer Wirksamkeit und ziehen immer
Bezüglich der Behandlung mit Lasern          Narben und Fehlpigmentierungen nach           Momentan         werden      QS-Nanosekun-
kommt eine weitere Erschwernis hinzu.        sich.                                         den-Laser erfolgreich zur effektiven und
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