Monitoring zur Gleichbehandlung von Sinti und Roma & zur Bekämpfung von Antiziganismus
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Monitoring zur Gleichbehandlung von Sinti und Roma & zur Bekämpfung von Antiziganismus Zentralrat Deutscher Sinti und Roma Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma Sozialfabrik/Forschung und Politikanalyse e. V.
Impressum Veröffentlicht durch: Zentralrat Deutscher Sinti und Roma Bremeneckgasse 2 | 69117 Heidelberg | Deutschland www.sintiundroma.de Design und Layout: Thekla Priebst | www.theklapriebst.de Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche: Dirk Gebhardt ©2018 Zentralrat Deutscher Sinti und Roma Diese Publikation ist durch die Europäische Kommission gefördert. Rechtlicher Hinweis: Dieses Dokument gibt nicht die Meinung der Europäischen Kommission wieder. Die darin enthaltenen Interpretationen oder Ansichten sind ausschließlich die der Autoren Alle Rechte sind vorbehalten. Kein Teil dieser Publikation darf ohne die vorherige Zustimmung des Herausgebers in irgendeiner Form oder in irgendeiner Weise – sei es elektronisch, mechanisch, als Fotokopie, Aufnahme oder anderweitig - reproduziert, in einem Abfragesystem bereit- gestellt oder übertragen werden.
Inhalt Vorwort . . ............................................................................................................................................................. 06 Einleitung ......................................................................................................................................................... 08 Zusammenfassung .. .............................................................................................................................. 09 Abkürzungen . . .............................................................................................................................................. 10 Empfehlungen ............................................................................................................................................ 11 I Institutionelle Rahmenbedingungen 1. Belange der Sinti und Roma in der Legislative ...................................................................... 12 2. Die Nationale Kontaktstelle .. .............................................................................................................. 12 3. EU-Programme auf nationaler Ebene .......................................................................................... 13 4. Die Städteebene............................................................................................................................................ 16 5. Politische und zivilgesellschaftliche Teilhabe der Sinti und Roma . . ....................... 19 6. Ethnische Datenerhebung .. .................................................................................................................. 22 II Gleichbehandlung 5 1. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und der Schutz von Sinti und Roma............................................................................................... 23 2. Antidiskriminierungsarbeit in der Bekämpfung von Antiziganismus .. ............... 24 3. Diskriminierung und Segregation von Roma-Kindern im Schulsystem . . ........... 26 4. Die Einschränkung der Freizügigkeitsrechte ......................................................................... 28 5. Diskriminierung beim Zugang zu Wohnraum ..................................................................... 30 6. Abschiebungen von Roma-Asylbewerbern in die Balkanländer . . ............................. 31 III Antiziganismus 2. Hasskriminalität ......................................................................................................................................... 33 3. Hassrede online ........................................................................................................................................... 35 4. Antiziganismus in den Medien ........................................................................................................ 38 5. Antiziganismus in politischen Diskursen ................................................................................. 40 6. Rechtsextremismus .................................................................................................................................. 44 7. Antiziganismus in der Polizei ............................................................................................................ 46 8. Antiziganismus im Fußball . . ............................................................................................................... 49 9. Förderung antiziganistischer Filmproduktionen . . ............................................................... 50 10. Bevölkerungseinstellungen gegenüber Sinti und Roma ............................................... 52 Bibliographie................................................................................................................................................. 54
Vorwort Romani Rose Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma legt in humanisierung, als rassistische Gewalt, wie auch Zusammenarbeit mit dem Verein Sozialfabrik – als struktureller Rassismus in vielen Institutionen Forschung und Politikanalyse sowie mit dem Do- der europäischen Staaten. Der Zentralrat veröf- kumentations- und Kulturzentrum Deutscher fentlichte mit der ‚Allianz gegen Antiziganismus‘ Sinti und Roma einen Monitoringbericht zur Um- ein Grundlagenpapier und eine Arbeitsdefinition setzung des „EU-Rahmens für nationale Strategien für Antiziganismus, um ein umfassenderes Ver- zur Integration der Roma“ in Deutschland vor. ständnis der Wirkungsmechanismen und notwen- In vielen Ländern Europas wurdenund werden oft- digen Gegenstrategien zu schaffen.2 mals bis heute Sinti und Roma als ein sogenanntes Die Universität Leipzig veröffentlichte im No- soziales Problem behandelt und damit stigmati- vember 2018 die aktuellen Studienergebnisse zu siert, was Regierungen im Rahmen von sogenann- autoritären und rechtsextremen Einstellungen ten Armutsstrategien dann zu lösen versuchten. in Deutschland. Das Leipziger Forschungsteam Solche Ansätze ignorieren und leugnen oft den kommt zu dem Schluss, dass der massive Antizi- zugrunde liegenden Antiziganismus und tra- ganismus oft aus dem Blick gerät: 60 Prozent der gen gerade dazu bei den Kreis von Ausgrenzung Deutschen stimmen der Aussage zu, dass Sinti und Rassismus zu reproduzieren. Den Opfern des und Roma zur Kriminalität neigten. In den ost- strukturellen Rassismus wird selbst die Schuld an deutschen Bundesländern glauben dies sogar 70 ihrer desolaten Lage zugeschrieben Prozent der Bevölkerung. Neben asylsuchenden 6 Der Antiziganismus, diese spezifische Form von Menschen ziehen Sinti und Roma die meisten Ag- Rassismus, verhindert eine gleichberechtige Teil- gressionen auf sich. Demnach hätten 56 Prozent habe von Sinti und Roma in nahezu allen gesell- der Befragten Probleme mit Sinti und Roma in ih- schaftlichen Bereichen. Wenn wir über die desolate rer Nachbarschaft und 49,2 Prozent wollen sie aus Wohnsituation oder die in weiten Teilen schlechte den Innenstädten verbannen. Antiziganismus, so Bildungssituation und die Segregation von Sinti halten die Leipziger Forschenden fest, ist in den und Roma in Schulen sprechen, dann müssen wir neuen Bundesländern verbreiteter als in den alten, diese vielfach dokumentierten Benachteiligungen wo der Sockel bereits sehr hoch ist. In den neuen als das begreifen, was sie sind: nämlich als mate- Bundesländern leben nur sehr wenige Sinti oder riell gewordenen Rassismus. Diese Ablehnung, die Roma; ähnlich wie es dort einen Antisemitismus zusammen mit dem seit Jahren anwachsenden ex- ohne Juden gibt, gibt es dort einen Antiziganismus tremen Nationalismus immer gewaltbereiter wird, ohne Sinti oder Roma. bedroht zunehmend die Minderheit in nahezu al- Es hat in Deutschland Jahrzehnte gedauert, len europäischen Ländern. bis der Holocaust an 500.000 Sinti und Roma im Im Oktober 2017 wurde in einer wegweisenden NS-besetzten Europa durch die Bundesregierung Entschließung des Europäischen Parlaments1 zum im Jahr 1982 anerkannt wurde – als Ergebnis ei- ersten Mal umfassend der Antiziganismus als die ner jahrzehntelangen Bürgerrechtsarbeit der Sinti Ursache für Hass, Gewalt, Diskriminierung und und Roma. Mit der Unterzeichnung des Rahmen- gesellschaftliche Ausgrenzung benannt, von der übereinkommens des Europarates zum Schutz na- große Teile der Minderheit unmittelbar betroffen tionaler Minderheiten im Jahr 1995 wurden auch sind. Der Antiziganismus ist ebenso wie der Anti- die deutschen Sinti und Roma neben der dänischen semitismus seit Jahrhunderten in der europäischen Minderheit, den Friesen und den Sorben als natio- Geschichte tief verwurzelt. Er äußert sich als ras- nale Minderheit anerkannt. Dies war ein wichtiger sistisches Vorurteil in der Bevölkerung, als Ent- Erfolg der Bürgerrechtsarbeit des Zentralrats und 1 http://zentralrat.sintiundroma.de/europaeisches-parlament-erzielt- seiner Landesverbände, dem weitere positive Ent- einen-wichtigen-fortschritt-um-die-grundrechte-von-sinti-und- roma-zu-thematisieren/ 2 http://zentralrat.sintiundroma.de/grundlagenpapier-antiziganismus/
wicklungen folgten. Schleswig-Holstein hat deut- programme zum Erfolg führen.3 Der nun vorge- sche Sinti und Roma als Minderheit in der Landes- legte Bericht analysiert kritisch die politischen verfassung benannt, und zahlreiche Bundesländer Entwicklungen wie auch die Maßnahmen, wel- haben Staatsverträge oder Rahmenvereinbarun- che die Gleichbehandlung von Sinti und Roma in gen mit den Landesverbänden Deutscher Sinti Deutschland fördern sollen. und Roma abgeschlossen. Im Jahr 2015 wurde der Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma for- beim Bundesministerium des Innern angesiedel- dert die deutsche Bundesregierung auf sich dafür te Beratende Ausschuss für Fragen der deutschen einzusetzen, dass die Bekämpfung von Antiziga- Sinti und Roma eingerichtet, welcher der Minder- nismus ein fester Bestandteil sämtlicher EU Hand- heit den Kontakt zu der Bundesregierung und dem lungsstrategien wird und damit zum Kern einer eu- Deutschen Bundestag sichert. ropäischen Rahmenstrategie für Roma nach 2020. Inzwischen gibt es positive Entwicklungen in Deutschland soll eine tragende Kraft sein, auch ba- der Bekämpfung von Antiziganismus. Am 27. März sierend auf den eigenen Erfahrungen und der eige- 2019 berief die Bundesregierung die Mitglieder der nen Geschichte, damit die Bekämpfung von Antizi- im Koalitionsvertrag vereinbarten unabhängigen ganismus europaweit zu einer Priorität wird. Expertenkommission Antiziganismus ein, die vom Die Entwicklung hin zu einem demokratischen Zentralrat Deutscher Sinti und Roma seit mehre- Europa, zu der Demokratie, in der wir heute leben, ren Jahren gefordert wurde. Dieses Gremium soll war und ist keine Selbstverständlichkeit. Der Anti- 7 die Ursachen, Erscheinungsformen und Konse- ziganismus zielt genauso wie der Antisemitismus quenzen des Antiziganismus in Deutschland un- vordergründig auf die Angehörigen der Sinti und tersuchen und dafür Gegenstrategien entwickeln. Roma wie der Juden, tatsächlich aber bedeuten sie Zudem begrüßt es der Zentralrat außerordentlich, einen Angriff auf die Demokratie, auf den Rechts- dass die Bundesregierung seit wenigen Jahren mit staat und auf die Menschenrechte. dem Programm „Demokratie leben“ auch jährlich Die Bekämpfung des Antiziganismus ist nicht mehrere Millionen Euro in die politische Bildung zuerst die Aufgabe der Minderheit selbst. Es ist die über Antiziganismus investiert. Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft und ihrer Insti- Die aktuellen Evaluationen der europäischen tutionen; es ist die Aufgabe der europäischen Insti- Rahmenstrategie für Roma zeigen deutlich, dass tutionen und der europäischen Staaten, denn Sinti die Bekämpfung der Wirkungsmechanismen des und Roma sind gleichberechtigte Bürgerinnen und Antiziganismus eine zentrale Voraussetzung ist, Bürger ihrer Heimatländer. damit Inklusions- und Antidiskriminierungs- 3 https://ec.europa.eu/info/files/2018-communication-evaluation- eu-framework-national-roma-integration-strategies-2020_en
Einleitung Dieser Monitoringbericht bietet sowohl einen Gebhardt (Sozialfabrik) hat die Kapitel zu EU-Fun- Überblick über die Programme und Maßnahmen, dingprogrammen und zu lokalen Programmen ge- die auf die Gleichbehandlung benachteiligter Sinti schrieben; Mirja Leibnitz (Sozialfabrik) zur Freizü- und Roma abzielen, als auch über die Entwicklung gigkeit und zur Diskriminierung im Schulsystem des Antiziganismus in Deutschland. Die Studie und beim Wohnraum. Beiträge wurden ebenfalls schließt zusätzlich Empfehlungen zur Bekämp- geleistet von Kostas Gkantinas (Sozialfabrik) zu fung von Antiziganismus und zur Verbesserung Abschiebungen, von Anna Striethorst (Sozialfab- von Maßnahmen ein, die auf die Gleichbehand- rik) zu Antiziganismus in Filmproduktionen und lung von Sinti und Roma abzielen. Der Bericht von Joana Skowronek (Sozialfabrik) und Franzis- stützt sich auf Methoden der qualitativen Sozi- ka Rocholl zu Hasskriminalität im Internet. Anja alforschung und basiert auf Literaturrecherchen Reuss, Ruhan Karakul und Jara Kehl (Zentralrat) und Interviews mit beteiligten und betroffenen sowie Markus End haben Teile des Berichts kom- Akteuren. Die ausgewertete Literatur umfasst Ge- mentiert und redigiert. setzestexte, parlamentarische Anfragen aus dem Bundestag und den Landtagen, Berichte von Bun- Dieser Bericht wurde als Teil des Pilotprojekts des- und Landesministerien und Stadtverwaltun- Roma Civil Monitor - „Aufbau des Handlungsver- gen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und mögens der Roma-Zivilgesellschaft und Stärkung Forschungszentren. Strukturierte und halbstruk- ihrer Teilhabe im Monitoring der nationalen Stra- turierte Interviews wurden mit folgenden Akteu- tegien zur Integration der Roma“ verfasst. Dieses 8 ren geführt: Regierungsbehörden auf Bundes- und Pilotprojekt wird von der Generaldirektion Justiz Landesebene, Stadtverwaltungen, Vertretern von und Verbraucher der Europäischen Kommission Organisationen der Sinti und Roma, zivilgesell- umgesetzt. Es wird koordiniert durch die Central schaftlichen Organisationen sowie Wissenschaft- European University (CEU) und das Centre for Po- lern. 22 Interviews wurden durchgeführt sowie 4 licy Studies (CPS), in Partnerschaft mit dem Eu- Anfragen wurden per Email geantwortet. Diese ropean Roma Grassroots Organisations Network informierten insbesondere über die Wirksamkeit (ERGO Network), dem European Roma Rights von Maßnahmen, die wesentlicher Gegenstand Centre (ERRC), der Stiftung Fundación Secretari- des vorliegenden Monitoringberichts sind. ado Gitano (FSG) und dem Roma Education Fund Dieser Bericht wurde von Sozialfabrik/For- (REF). In dieses Monitoringprojekt sind 90 Nicht- schung und Politikanalyse e. V. in Zusammenar- regierungsorganisationen (NROs) und Experten beit mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma aus 27 Mitgliedsstaaten involviert. und dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma erstellt. Guillermo Ruiz Dieser Bericht wurde für die Europäische Kom- Torres (Sozialfabrik), der herausgebende Koordi- mission verfasst. Er spiegelt aber nur die Meinung nator, hat einen Großteil der Kapitel in Absprache der Autoren wieder. Die Europäische Kommission mit Jonathan Mack (Zentralrat) verfasst. Letzte- ist nicht verantwortlich für die Nutzung der in die- rer hat den gesamten Prozess eng begleitet. Dirk sem Bericht enthaltenen Informationen.
Zusammenfassung Die Maßnahmen, die auf die soziale Eingliede- der Sinti und Roma hat um die Anerkennung als rung benachteiligter Sinti und Roma und auf die Minderheit gekämpft und den strukturellen Ras- Bekämpfung von Antiziganismus abzielen, sind sismus thematisiert. Der EU-Rahmen und De- in den letzten zehn Jahren auf Bundes- und Län- mokratieförderprogramme haben einen weiteren derebene ausgebaut worden. Verschiedene Fak- Impuls gesetzt. toren haben diese Entwicklung gefördert. Die Diese Maßnahmen wurden in einer Zeit ein- Verabschiedung des EU-Rahmens für nationale geleitet, in der ein Zuwachs von Antiziganismus Strategien zur Integration der Roma hat die Bun- beobachtet werden kann, der sich in politischen des- und Landesregierungen sowie lokale Behör- und medialen Diskursen widerspiegelt. So werden den angeregt, Maßnahmen auszubauen. So haben Roma, die als EU-Bürger aus Bulgarien und Ru- beispielsweise die Kommunen ihre Programme mänien und als Asylsuchende aus den Balkanlän- umgestaltet, um den Anforderungen von sozi- dern in die Bundesrepublik Deutschland gekom- al benachteiligten, eingewanderten Bürgern aus men sind und kommen, per se als Ausnutzer des Bulgarien und Rumänien gerecht zu werden – EU- deutschen Sozialsystems konstruiert. In der Folge Bürgern der Roma-Minderheiten und der Mehr- sind Sinti und Roma zunehmend Opfer von Hass- heitsgesellschaft. Parallel hierzu hat die Bundes- kriminalität; antiziganistische Narrative sind regierung Programme zur Demokratieförderung gängig im Internet sowie in medialen und politi- ausgebaut, um rechtsextremen Tendenzen in der schen Diskursen. Trotz der oben genannten posi- Gesellschaft entgegenzuwirken. Ein Teil dieser tiven Entwicklungen im Bereich politischer Maß- Programme fokussierte auch auf das Empower- nahmen haben sich die existierenden juristischen 9 ment von Sinti und Roma und die Bekämpfung und politischen Instrumente zur Bekämpfung von Antiziganismus. Die Bürgerrechtsbewegung von Antiziganismus als unzureichend erwiesen.
Abkürzungen ADS Antidiskriminierungsstelle des Bundes AfD Alternative für Deutschland ALG I/II Arbeitslosengeld I/II AG Arbeitsgruppe AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ASMK Arbeits- und Sozialministerkonferenz ARIC Antirassistisch-Interkulturelles Informationszentrum AsylbLG Asylbewerberleistungsgesetz BAMF Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge CDU Christlich Demokratische Union CSU Christlich-Soziale Union DGB Deutscher Gewerkschaftsbund EC Europäische Kommission (European Commission) 10 EFRE Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung (European Regional Development Fond) EuGH Europäischer Gerichtshof ESF Europäischer Sozialfonds EU Europäische Union EVZ Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft EHAP Europäischer Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (Fund for European Aid to the Most Deprived) FRA Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (Fundamental Rights Agency) KMK Kultusministerkonferenz LADS Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung Berlin NRO Nicht-Regierungsorganisation NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands SGB Sozialgesetzbuch SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands UN Vereinten Nationen (United Nations) UNICEF Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen
Empfehlungen Expertenkommission zum Recht auf die Einreichung Antiziganismus von Verbandsklagen Die Expertenkommission soll die vielfältigen Ur- Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sachen, Erscheinungsformen und Auswirkungen muss dahingehend geändert werden, dass die von Antiziganismus in Politik und Gesellschaft Möglichkeiten zur Einreichung von Verbandskla- untersuchen, Strategien zur Bekämpfung des Anti- gen ausgeweitet werden. Antidiskriminierungsver- ziganismus entwickeln und entsprechende Hand- bänden und -organisationen muss das Recht auf lungsvorschläge und Empfehlungen an die po- die Einreichung von Verbandsklagen im Namen litischen Entscheidungsträger aussprechen. Die der Opfer zugestanden werden. Expertenkommission soll Studien in Auftrag ge- ben, wodurch alle gesellschaftspolitischen Lebens- Beteiligung von Sinti und Roma bereiche abgedeckt werden, in denen Antiziganis- in den Rundfunkräten und mus zum Ausdruck kommt. Zudem fehlen bisher Landesmedienanstalten Studien zu Perspektiven und Erfahrungen der von Vertreter von Sinti und Roma sollen in Rundfun- Antiziganismus betroffenen Menschen, die in Zu- kräte und Landesmedienanstalten berufen werden. sammenarbeit mit Selbstorganisationen von Sinti Die Berufung von Sinti und Roma in die Kontroll- und Roma durchgeführt werden sollten. gremien der privaten und öffentlich-rechtlichen Medien stellt ausdrücklich eine gesellschaftspoliti- Monitoring von Antiziganismus sche und rechtliche Verpflichtung dar, die sich aus 11 Zahlreiche Berichte, journalistische Beiträge und der Anerkennung der Sinti und Roma als autoch- wissenschaftliche Studien belegen den strukturel- thone nationale Minderheit in Deutschland ergibt. len Antiziganismus und die Diskriminierung von Dazu hat sich die Bundesrepublik Deutschland mit Sinti und Roma. Dennoch fehlen Monitoring-In- der Ratifizierung des Rahmenübereinkommens strumente und -Strukturen sowie tiefgreifende zum Schutz nationaler Minderheiten zur Einbezie- Fallstudien, durch die das Ausmaß, die Vielschich- hung der Sinti und Roma ins gesellschaftliche und tigkeit und die Komplexität des Phänomens sicht- politische Leben verpflichtet. bar werden. Während die staatliche Statistik zur „politisch motivierten Kriminalität“ seit Kurzem Antiziganismus als Fokus in der die antiziganistische Hasskriminalität dokumen- Europäischen Agenda Post 2020 tiert, sollte die Bundesregierung eine unabhängi- Die Rahmenstrategie der Europäischen Union zur ge Stelle zum Monitoring des Antiziganismus in Roma-Inklusion von 2011 setzte den Fokus auf die allen Bereichen einrichten und finanzieren. Diese soziale Komponente. Auf Nachdruck von Sinti- und Stelle untersucht und dokumentiert kontinuierlich Roma-Organisationen und NROs wurde im Eu- alle antiziganistischen Vorfälle und Entwicklun- ropäischen Parlament und von der Europäischen gen und ermöglicht damit eine systematische Er- Kommission erkannt, dass Antiziganismus einer fassung und Aufarbeitung in allen Bereichen des der wichtigsten Faktoren für die soziale Ausgren- öffentlichen Lebens, selbst wenn diese strafrecht- zung von benachteiligten Sinti und Roma darstellt. lich nicht relevant sind. Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass die Bekämpfung von Antiziganismus Priorität in der Agenda Post 2020 zur Inklusion von Roma wird. Deutschland soll eine tragende Kraft sein, auch basierend auf den eigenen Erfahrungen und der eigenen Geschichte, damit die Bekämpfung von Antiziganismus europaweit zu einer Priorität wird.
I I nst i t u t i on e l l e R a h m e n b edin gun gen I Institutionelle Rahmenbedingungen 1. Belange der Sinti und Roma Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma for- in der Legislative dert vom Deutschen Bundestag seit Jahren die Einrichtung einer Expertenkommission zum An- Im Bundestag werden Themen, die Sinti und Roma tiziganismus, die ähnlich wie der Unabhängige als autochthone Minderheit betreffen, im Ge- Expertenkreis Antisemitismus einmal pro Legisla- sprächskreis nationale Minderheiten im Innenaus- turperiode einen Bericht und Empfehlungen zum schuss diskutiert, der mehrmals im Jahr tagt und an Thema Antiziganismus vorlegen soll. Die Exper- dem der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma teil- tenkommission soll die vielfältigen Ursachen, Er- nimmt. In anderen Ausschüssen wie im Ausschuss scheinungsformen und Auswirkungen von Antizi- für Menschenrechte und humanitäre Hilfe wer- ganismus in Politik und Gesellschaft untersuchen, den ebenfalls Angelegenheiten von Belang für den Strategien zur Bekämpfung des Antiziganismus Schutz von Menschenrechten von Sinti und Roma entwickeln und entsprechende Handlungsvor- im Inland wie auch im Ausland behandelt. Der Bun- schläge und Empfehlungen an die politischen Ent- destag befasst sich ebenfalls mit Angelegenheiten scheidungsträger aussprechen. Im Februar 2017 der Sinti und Roma durch die parlamentarischen organisierten die Regierungsfraktionen ein inter- Anfragen der Fraktionen an die Bundesregierung. nes Fachgespräch zur Expertenkommission. In den letzten zwei Legislaturperioden sind mehrere parlamentarischen Anfragen zum Thema im Bun- 2. Die Nationale Kontaktstelle destag und Landtagen gestellt worden.1 Die Nationale Kontaktstelle Sinti und Roma ist im 12 Ein weiteres Instrument zur Behandlung von An- Referat M II 4 des Bundesinnenministeriums (Na- gelegenheiten der Community sind die parla- tionale Minderheiten in Deutschland; europäische mentarischen Anhörungen, in denen spezifische Minderheitenpolitik) angesiedelt. Die Kontaktstel- Themen behandelt werden. Am 12.11.2014 fand le hatte in den letzten zwei Jahren einen intensi- beispielsweise eine Anhörung im Ausschuss für veren Kontakt mit zivilgesellschaftlichen Organi- Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Bun- sationen. Entgegen der Kritik der Europäischen destag „Lage der Sinti und Roma in Deutschland Kommission, der Parteien Bündnis 90/Die Grü- und in der EU: Ausgrenzung und Teilhabe“ statt, nen und Die Linke sowie von zivilgesellschaftli- an der der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma chen Organisationen beharrt die Bundesregierung und die Romane Romnja Initiative teilnahmen.2 auf ihrer Haltung, dass die Kontaktstelle keine Im Bundesrat wird seit 1993 anlässlich des Jah- Zuständigkeit hat, Programme zu entwerfen oder restages von Himmlers „Auschwitz-Erlass“ vom 16. solche Programme mit den Bundesländern oder Dezember 1942 jeweils in der letzten Plenarsitzung Kommunalverwaltungen abzustimmen. Die Bun- des Jahres des nationalsozialistischen Völkermor- desregierung begründet ihre Position im föderalen des an 500.000 Sinti und Roma mit einer offiziellen System Deutschlands und verweist darauf, dass Gedenkstunde im Bundesrat gedacht. Traditionell die Kontaktstelle nicht in die Politik zu Sinti und finden an diesem Tag Gespräche mit den Minis- Roma von Ländern, Städten und Gemeinden ein- terpräsidenten der Länder und Vorstandsmitglie- greifen darf (Deutscher Bundestag 2015). dern des Zentralrats statt, die es dem Zentralrat In einer Evaluierung der deutschen Maßnah- und seinen Landesverbänden ermöglichen, wichti- menpakete der Bundesregierung erklärte die Eu- ge politische Anliegen direkt in den Bundesrat ein- ropäische Kommission, dass die Koordinierungs- zubringen. rolle der Kontaktstelle gestärkt werden sollte. Die Kommission empfiehlt, dass Daten erhoben wer- 1 Siehe Liste der Kleinen Anfragen im Literaturverzeichnis. 2 Der Bundestag ist aber auch ein Ort, an dem antiziganistische Vorurteile den sollten, damit die Wirkung der Mainstream- (re)produziert und weiter tradiert werden. Die Debatte um die Erklärung der Balkanländer als sogenannte sichere Drittstaaten steht beispielhaft dafür. und zielgerichteten Maßnahmen, welche auf Sinti Bitte siehe in dieser Publikation das Kapitel zum Antiziganismus in politi- schen Diskursen. und Roma als Gruppe abzielen, evaluiert werden
Inst i t ut i onelle Rahmenb e d in g un g e n I kann. Die Kommission forderte ebenfalls eine stär- 3. EU-Programme auf nationaler Ebene kere Zusammenarbeit mit Organisationen der Sin- Die Bundesregierung betont auch in ihrem aktu- ti- und Roma (Europäische Kommission 2014). ellen Fortschrittsbericht zur Umsetzung des EU- Rahmens im Jahr 2016 (Bundesministerium des In- DER FORTS CHRIT TSBERICHT ZUR nern 2017) ihren Standpunkt, dass „keine speziellen UMSE T ZUNG DER M A S SN A HMENPA K E TE Politiken für bestimmte Gruppen“ durchgeführt Seit 2012 hat die Bundesregierung einen Fort- werden und Projekte grundsätzlich allen potenziel- schrittsbericht veröffentlicht, in dem sie die Um- len Adressaten offen stünden. Angesichts dieses setzung der Integrierten Maßnahmenpakete dar- „Mainstreaming“-Ansatzes von Sinti- und Roma- legt. Der letzte Fortschrittsbericht beinhaltet eine Angelegenheiten innerhalb des EU-Rahmens geht detailliertere Auflistung von Initiativen und Pro- die folgende Darstellung der Frage nach, inwieweit jekten, die auf die Gleichbehandlung und sozi- Maßnahmen innerhalb der EU-Programme Euro- ale Eingliederung von Sinti und Roma abzielen. päischer Sozialfonds (ESF), Europäischer Fonds für Nichtsdestotrotz weist dieser Fortschrittsbericht Regionale Entwicklung (EFRE) und Europäischer eine Fülle von Mängeln auf: Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (EHAP) auch Sinti und Roma erreichen, •• Es werden Maßnahmen und Programme bzw. ob und wie dies überprüft wird. dargestellt, zu denen jeder Bürger und/ oder Migrant Zugang finden kann. Dabei DER EUROPÄ IS CHE S OZI A L FONDS (ESF) wird nicht erörtert, ob Sinti und Roma 13 an diesen Programmen und Maßnahmen Die Verwaltungsstruktur des ESF in Deutschland teilgenommen haben bzw. ob und wie in der aktuellen Förderperiode 2014–20 teilt die- diese für die Mitglieder der Community sen auf Länder- (insgesamt 4,8 Milliarden Euro) wirklich zugänglich sind. und Bundesprogramme (2,7 Milliarden Euro) auf. Außerdem wird der Fokus nicht klar ein- Der Fortschrittsbericht der Bundesregierung stellt gegrenzt und es bleibt unklar, wieso diese insbesondere solche Programme dar, die sich (wie Programme und Maßnahmen aufgelistet BIWAQ, „Jugend stärken im Quartier“ und die „In- werden und nicht andere. tegrationsrichtlinie Bund“) explizit an Zugewan- derte oder Menschen mit Migrationshintergrund •• Es bestehen keine Information über die wenden. Einige der in diesen Programmen geför- Auswirkung dieser Maßnahmen und derten Projekte haben Roma (das Flüchtlingspro- Programme auf die Gleichbehandlung und jekt „FairBleib“ in fünf niedersächsischen Kom- soziale Eingliederung benachteiligter Sinti munen) bzw. Zugewanderte aus Südosteuropa und Roma bzw. auf Veränderung eines ge- (Projekte in Dortmund, Duisburg, Mannheim und samtgesellschaftlichen Klimas, welches die Tuttlingen) als explizite Zielgruppe. Teilhabe von Sinti und Roma verbessern Innerhalb einer für diesen Bericht ausgewerteten würde. Keine Informationen werden außer- Stichprobe von vier Bundesländern (Bayern, Berlin, dem über die Evaluation der aufgelisteten Hamburg, Nordrhein-Westfalen [NRW]) ist Berlin Programme und Maßnahmen geliefert. das einzige Land, das in seiner ESF-Programmstruk- •• Auch in diesem letzten Bericht der Bundes- tur explizit die Zielgruppe „Roma“ aufgreift.3 regierung ist kein neuer Ansatz zur Pla- Auf Projektebene nennt ein Projekt in den vier Län- nung und Entwicklung von Maßnahmen dern „Sinti und Roma“ als explizite Zielgruppe: das zu erkennen. 3 Das von der Senatsstelle für Integration, Arbeit und Soziales betreute ESF-Förderinstrument 19 lautet „Förderung der beruflichen Orientierung und Qualifizierung von Migranten/innen sowie der sozialen Eingliederung und Bekämpfung der Armut von Neuzuwanderern einschließlich Roma und Flüchtlinge“.
I I nst i t u t i on e l l e R a h m e n b edin gun gen Hamburger Beratungsprojekt „Qualifizierung und DER EUROPÄ IS CHE FONDS berufliche Einstiege für Roma und Sinti“ (Träger: FÜR REGION A L E ENT WICK LUNG (EFRE) SBB GmbH und der Landesverein der Sinti in Ham- Der Europäische Fonds für regionale Entwick- burg). Die Zielgruppe der Zugewanderten aus Bul- lung (EFRE) sieht für Deutschland in der aktu- garien und Rumänien ist in NRW in sechs Projek- ellen Förderperiode 2014–20 EU-Zuwendungen ten explizit genannt (Essen, Gelsenkirchen [je 2x], in Höhe von 10.7 Milliarden vor. Der Fonds wird Hamm und Köln), in Hamburg und Baden-Würt- ausschließlich von den Bundesländern vergeben. temberg je einmal. Gegenstand der Projekte sind Die Operationellen Programme (OP) zielen vor al- Sprachkurse, Jugendarbeit, Verzahnung von Aus- lem auf die Entwicklung von Wirtschaft und For- bildung und Beruf sowie Heranführung an den Ar- schung sowie ökologische Nachhaltigkeit, haben beitsmarkt. In Bayern und Berlin gibt es keine Pro- aber auch Relevanz für Themen der sozialen Inklu- jekte, die sich explizit auf diese Zielgruppe beziehen. sion, insbesondere mittels der Förderung benach- Diese Auswertung von Operationellen Pro- teiligter Stadtquartiere und über den auf EU-Ebe- grammen (OP) und Förderdatenbanken kann al- ne ausgewiesenen Maßnahmentyp der „Förderung lerdings nur begrenzte Informationen über den der sozioökonomischen Integration benachteilig- tatsächlichen Zugang für Sinti und Roma zu ESF- ter Gruppen, z. B. Roma“ (Interventionskategorie V: geförderten Eingliederungsmaßnahmen bieten. „Promoting sustainable and quality employment Zwar wird durch den Teilnehmenden-Fragebogen and supporting labour mobility“). für ESF-Maßnahmen die Zugehörigkeit zu einer In diesem Rahmen gehören Berlin und NRW 14 „anerkannten Minderheit“ (womit also deutsche zu den Bundesländern, die der integrierten Stadt- Sinti und Roma gemeinsam mit Sorben, Friesen entwicklung ein überdurchschnittliches Gewicht und Dänen gemeint sind) erfragt. Allerdings wird einräumen, während die OPs in Hamburg und diese Frage nach Angaben der Agentur für Quer- Bayern keine Maßnahmen in diesem Bereich vor- schnittsziele im ESF zu selten beantwortet, um ver- sehen. Berlin setzt die Mittel des EFRE für inte- lässliche Daten gewinnen zu können.4 grierte Stadtentwicklung in den Programmgebie- Innerhalb der Programmverwaltung ist die ten der „Zukunftsinitiative Stadtteil“ (ZIS II) ein Agentur für Gleichstellung im ESF verantwort- und führt damit seinen Ansatz integrierter Maß- lich für die Umsetzung der sogenannten „Quer- nahmen in benachteiligten Quartieren fort, zu de- schnittsziele“ des ESF, zu denen auch die Nicht- nen auch durch Migranten– inklusive Roma – aus diskriminierung gehört. Die Agentur hat aber aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten geprägte Gebiete den genannten Gründen keine Informationen über gehören. Wie das Land Berlin im zweiten Umset- die Teilnahme von Sinti und Roma, auch wenn be- zungsbericht seines Roma-Aktionsplans ausführt, kannt ist, dass im ESF-Programm IsA (Integrati- werden EFRE-Mittel für eine Reihe von Projekten on statt Ausgrenzung) einige Projekte (auch) mit zur Wohnintegration zugewanderter Roma auf Roma arbeiten.5 Stadtteilebene verwendet. Dabei handelt es sich Der deutsche ESF-Begleitausschuss, dessen um Beratung zu Rechten und Pflichten von Mie- Aufgabe die Kontrolle der Programmumsetzung tern und zu unseriösen Vermietungspraktiken so- ist, hat neben öffentlichen Stellen einige Mitglie- wie um Begleitprojekte für Neumietern (Der Senat der aus zivilgesellschaftlichen Organisationen von Berlin 2017: 29ff). (z. B. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohl- fahrtspflege), jedoch keinerlei Mitglieder mit ei- nem Profil im Bereich Minderheiten/Migration. 4 Antwort von Evelyn Zehe, Agentur für Querschnittsziele im ESF, auf eine per E-Mail gestellte Informationsanfrage am 11.12.2017. 5 Antwort von Evelyn Zehe, Agentur für Querschnittsziele im ESF, auf eine E-Mail-Anfrage vom 11.12.2017.
Inst i t ut i onelle Rahmenb e d in g un g e n I DER EUROPÄ IS CHE HIL FSFONDS FÜR Viele weitere Projekte zielen explizit oder implizit DIE A M STÄ RKSTEN BEN ACHTEIL IGTEN auf Zugewanderte aus Südosteuropa. PERS ONEN (EH A P) Anders als im ESF wird im EHAP-Programm- management das Querschnittsziel Nicht-Diskrimi- Im neuen Europäischen Hilfsfonds für die am nierung in Form von Maßnahmen für den Zugang stärksten benachteiligten Personen (EHAP) hat von Minderheiten wie Sinti und Roma zu den Pro- Deutschland neben Schweden seine nationalen jekten berücksichtigt. Im Begleitausschuss ist die Handlungsschwerpunkte (HS) explizit auf Zu- Hildegard Lagrenne Stiftung für Bildung, Inklusi- gewanderte aus EU-Staaten ausgerichtet (Euro- on und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutsch- päische Kommission (2015):18). In Deutschland land als eines von 24 Mitgliedern (neben Vertre- fördert das Programm die Vermittlung von Zuge- ter des Bundes, der Länder, der Kommunen und wanderten aus EU-Staaten an Regeldienste (HS1) der Zivilgesellschaft) vertreten. Diese Beteiligung und in das Bildungssystem (HS2), sowie die Un- bringt zum Ausdruck, dass benachteiligte Roma terstützung von Menschen, die von Wohnungslo- zumindest implizit als eine Zielgruppe des Fonds sigkeit bedroht sind (HS3)6. Das Programm richtet gesehen werden. Dies hat unter anderem dazu ge- sich an zivilgesellschaftliche Organisationen, die führt, dass seit 2017 im Auftrag der das Programm Projekte gemeinsam mit Kommunen einreichen. koordinierenden Stelle des Bundesministeriums In Deutschland wurden in einer ersten Förderpha- für Arbeit und Soziales (BMAS) Antiziganismus- se von 2016–18 rund 90 Projekte mit einem Ge- Trainings für Projektträger durchgeführt werden. samtumfang von 61 Millionen Euro bewilligt. Das Im Jahr 2017 wurden sieben von zehn vorgesehe- 15 Gesamtbudget bis 2020 beläuft sich auf 92.8 Mil- nen Trainings durchgeführt. Der Stellenwert die- lionen Euro, also ca. 10 % des ESF oder des EFRE. ses Angebots zeigt sich darin, dass 21 EHAP-Pro- Berlin (13), Hamburg (4), Hannover und Frank- jekte, also knapp 25 %, ihr Interesse am Training furt (jeweils 3) sowie Köln, Duisburg, Offenbach bekundet haben. Der mit der Durchführung be- und Stuttgart (jeweils 2 Projekte) bilden die städ- auftragte Trainer berichtete außerdem, dass viele tischen Schwerpunkte. Projektträger durch ihre Arbeit über Diskriminie- Im Vergleich zum ESF haben die Projekte ei- rungsfälle von Roma durch Behördenmitarbeiter nen stärkeren Zuschnitt auf EU-Neuzugewanderte sensibilisiert wurden und einige auch einen Bedarf in prekären Lebenslagen. Insgesamt dominiert in an der Beseitigung eigener Stereotype sehen.7 Die den Projekten, wie in den Handlungsschwerpunk- Trainings werden außerdem unter Beteiligung ei- ten vorgesehen, die „Brückenlogik“, d. h. das Ziel, nes Mitglieds einer Roma-Organisation (des Ber- zu Regelangeboten zu vermitteln. Dies geschieht liner Landesrats der Roma und Sinti RomnoKher zum Teil durch Beratungszentren und Cafés, zum Berlin-Brandenburg) evaluiert. Teil durch aufsuchende Beratung und Streetwork. Wie im ESF wird die Partizipation von Sinti und Laut der EHAP-Projektdatenbank gibt es zwei Roma im EHAP im Rahmen des Programm-Moni- Projekte mit explizitem Roma-Fokus: die „An- torings, das zahlreiche Merkmale zur demografi- laufstelle für bedürftige europäische Roma und schen und sozialen Situation der an den Maßnah- Nicht-Roma“ (Träger: Amaro Foro e. V. in Berlin) men Teilnehmenden erfasst, nicht ausgewertet.8 und die „Verweisberatung Hilfe und Perspekti- . ve für Roma“ in Frankfurt (Träger: Förderverein Roma e. V.). Beide Projekte befassen sich mit ei- nem breiten Spektrum von Unterstützungs- und Vermittlungsleistungen in Bereichen wie Melde- 7 Interview mit Christoph Leucht, dem mit der Durchführung der wesen, Wohnen, Gesundheit, Arbeit und Bildung. Antidiskriminierungstrainings mit EHAP-Trägern beauftragten Experten, am 9.12.2017. 8 Antwort vom 5.12.2017 auf eine per E-Mail gestellte Anfrage an 6 Siehe http://www.bmas.de/DE/Themen/Soziales-Europa-und-Internati- Thomas Becker, Koordinator für die Umsetzung des EHAP beim onales/Europaeische-Fonds/EHAP/ehap.html Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
I I nst i t u t i on e l l e R a h m e n b edin gun gen FA ZIT dass mit der 2017 in Kraft getretenen Beschrän- kung des Zugangs neu Zugewanderter zu Förder- Die drei untersuchten EU-Fonds sind in unter- maßnahmen nach dem SGB II nun auch gesetzli- schiedlichem Maße dazu geeignet, Sinti und Roma che Barrieren den Zugang zu Fördermaßnahmen in verschiedenen sozialen Problemlagen zu unter- erschweren (siehe ausführlicher Abschnitt II.4 in stützen. In den beiden Strukturfonds (ESF und diesem Bericht). Das bedeutet einen Ausschluss EFRE) variiert der potenzielle Beitrag der Fonds vieler Maßnahmen, die wie Alphabetisierungs- zur Roma-Inklusion stark mit der Ausrichtung der und Sprachkurse die Beschäftigungsoptionen von Bundesländer und führt beispielsweise in NRW zu zugewanderten Roma erhöhen könnten.10 einer stärkeren Ausrichtung auf spezifische Prob- lemlagen von (insbesondere zugewanderten) Roma. 4. Die Städteebene Im wesentlich kleineren Fonds EHAP liegt der Schwerpunkt insbesondere bei Zugewanderten in Das Kapitel zu „lokalen Maßnahmen“ im Fort- sehr prekären Lebenslagen. Darüber hinaus ist es schrittsbericht der Bundesregierung besteht aus aufgrund der sehr allgemeinen Ausrichtung un- einer Auflistung der Initiativen in verschiedenen möglich, Aussagen über die Partizipation von Sinti Städten, die über den Deutschen Städtetag abge- und Roma in diesen Programmen zu machen. fragt werden, und einigen vom BAMF geförderten Die Bundesregierung stellt in ihrem Fort- Projekten, die (auch) Roma zur Zielgruppe haben. schrittsbericht das Fehlen von Daten zum Zu- Diese eher lose Aufzählung spiegelt die aktuelle Si- gang von Sinti und Roma zu EU-Programmen in tuation einer nur geringen Politikkoordination des 16 den Zusammenhang der aus historischen Grün- Bundes mit der lokalen Ebene in Fragen der Inklu- den und zum Schutz der Minderheiten nicht er- sion der benachteiligten Sinti und Roma wider. folgenden Erfassung der Ethnizität durch öffentli- Ansätze von Politikkoordination gab es in den che Stellen. Angesichts vorliegender statistischer vergangenen Jahren vor allem im Bereich der Zu- Informationen über Vorurteile und Ablehnung wanderung aus Südosteuropa. Im Anschluss an gegenüber Sinti und Roma und einer Vielzahl be- das Papier des Städtetags von 2013 (Deutscher kannter Diskriminierungsfälle (Strauß 2013) (auch Städtetag 2013). und den Staatssekretärsausschuss durch Behördenmitarbeiter) ist dieses „blinde Ver- zu „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der trauen“ darauf, dass Sinti und Roma ebenfalls Zu- Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssys- gang zu den Projekten haben, als unzureichend zu teme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ bewerten. Angesichts der Diskriminierung dieser (Bundesministerium des Innern, Bundeministeri- Minderheit müsste der Minderheitenschutz eher um für Arbeit und Soziales 2015). waren Städte an umgekehrt als Argument für eine solidere Infor- der Politikdefinition zu dieser neuen Gruppe von mationsbasis dienen, beispielsweise in Form stich- Zugewanderten beteiligt. Neben der thematischen probenartiger und qualitativer Erhebungen oder Ausrichtung des EHAP-Fonds auf EU-Zuwanderer Gruppendiskussionen mit Trägern in Zusammen- bewirkte diese Koordination aber vor allem eine arbeit mit der Minderheit. Einschränkung des Zugangs der Zuwanderer zu Im Rahmen von Interviews mit Trägern von Sozialleistungen. Zum 1.1.2017 wurde der Zugang Anlaufstellen für Bürger aus Rumänien und Bul- zu verschiedenen Sozialleistungen nach SBG II garien, von denen ein erheblicher Teil Roma sind, und XII für Ausländer in den ersten fünf Jahren wurde geäußert, dass Förderprogramme im ESF ihres Aufenthalts eingeschränkt (siehe Abschnitt oft auf besser Ausgebildete abzielten und ein Man- II.4 in diesem Bericht). Dies führte zwar vermut- gel an niedrigschwelligen Fördermaßnahmen be- lich zur Senkung kommunaler Ausgaben in eini- stehe.9 Für zugewanderte Roma kommt hinzu, gen Bereichen, erhöhte aber gleichzeitig drastisch die Zahl von hilfsbedürftigen Personen, die voll- 9 Interviews mit dem Roma Förderverein Frankfurt und der Diakonie Dortmund 10 Interview Joachim Brenner, Förderverein Roma Frankfurt
Inst i t ut i onelle Rahmenb e d in g un g e n I ständig von Unterstützungsmaßnahmen ausge- einige wenige kommunale Projekte zur Bekämp- schlossen sind. fung des Antiziganismus unterstützt (Berlin, Göt- In vielen Städten (z. B. Frankfurt, Hamburg tingen, Saarbrücken). und Dortmund) wird Menschen nun auch Nothil- Aufgrund der insgesamt nur schwachen Unter- fe verweigert. Exemplarisch soll hier der Fall ru- stützung von Bund und Ländern für lokale Politik mänischer alleinstehender Frauen mit Kindern in für Sinti und Roma variiert deren Zugang zu sozi- Frankfurt am Main genannt werden, denen nach alen und Menschenrechten auf lokaler Ebene sehr der Räumung einer von ihnen bewohnten infor- stark und ist abhängig von dem Engagement und mellen Siedlung auf einer Industriebrache nur für der Haushaltssituation der Kommunen. Nur weni- einige Tage Nothilfe gewährt wurde (siehe Ab- ge Kommunen und Stadtstaaten, in denen Sinti und schnitt II.5 Wohnen).11 Dies veranschaulicht die Roma leben, engagieren sich für die Belange der Min- neue Praxis, Nothilfe vom Beschäftigungsstatus derheit, und diese verfolgen dabei sehr unterschied- abhängig zu machen. Ein weiteres Beispiel ist die liche Ansätze. Im Folgenden werden zwei Städte mit Praxis in Hamburg, das Freizügigkeitsrecht nun besonders entwickelten Politikansätzen vorgestellt. weitaus enger auszulegen und Menschen, die nach drei Monaten keine Arbeit aufgenommen haben, MÜNCHEN 1 2 sofort zur Ausreise aufzufordern. Die Stadt München stellt zu den Auswirkun- Die Stadt München ist ein Beispiel für eine ver- gen der neuen Bundespolitik fest, dass die Annah- gleichsweise aktive und inklusive Politik gegenüber me der Bundesregierung, eine Zugangsbeschrän- deutschen Sinti und Roma und zugewanderten 17 kung für EU-Bürger zu Sozialleistungen führe zur Roma, die sich weitgehend unabhängig von euro- Arbeitsaufnahme oder zur Rückkehr, falsch sei päischen und Bundesprogrammen entwickelt hat. (Landeshauptstadt München 2017). und dass an- Mit der Koordinationsstelle „Sinti, Roma, EU-Zu- gesichts der andauernden Herausforderungen „sei- gewanderte“ wurde eine Stelle innerhalb der Ver- tens der Bundesregierung wenig Unterstützung“ waltung geschaffen, die nicht nur für die Koordi- erfolgte (ebd.). nation, sondern auch für die Sensibilisierung für Auch aus dem Bericht der Stadt Dortmund, das Thema Antiziganismus und Ausgrenzung von die der Städtetags-Arbeitsgruppe „Zuwanderung Sinti und Roma zuständig ist. aus Rumänien und Bulgarien“ vorsitzt, geht her- Auch wenn die Angebote angesichts der sozia- vor, dass weiterhin Koordinierungsbedarf mit dem len Probleme sicher nicht ausreichend sind, zeich- Bund zu Themen wie Krankenversicherung, Zu- net sich die Münchner Politik durch ein breites gang zu Förderstrukturen und öffentlich geförder- Angebot von Maßnahmen der sozialen Inklusi- ter Beschäftigung besteht (Stadt Dortmund (2017). on aus, die auf deutsche Sinti und Roma oder auf Allerdings wird in diesem Dokument nicht er- Zugewanderte aus Südosteuropa in prekären Le- wähnt, inwieweit nach den Änderungen des SGB II benslagen zielen. Hierzu gehören Maßnahmen und XII hier neue Probleme entstanden sind. Eine der Schulmediation, der Berufsorientierung sowie Einschätzung des Deutschen Städtetags in einem eine Vielzahl von miteinander verzahnten Bera- Interview konnte leider nicht gewonnen werden. tungsdiensten für EU-Migranten (wie z. B. das Be- Im Hinblick auf deutsche Sinti und Roma ratungscafé für Zugewanderte in prekären Lebens- und die Bekämpfung des Antiziganismus hat das situationen). Dabei ist bemerkenswert, dass viele Bundesprogramm „Demokratie leben!“ (siehe Ab- Maßnahmen (etwa die Schulmediation oder die schnitt I.3) wohl die stärkste Bedeutung für lokale Berufsorientierung) regelfinanziert sind und dass Politik. Im Programm wurden bisher jedoch nur der strukturelle Faktor Antiziganismus als integ- 11 Artikel der „Hessenschau“ zur Räumung unter: 12 Für dieses Fallbeispiel wurden Interviews mit der Stadtverwaltung http://www.hessenschau.de/gesellschaft/elends-lager- und mit einem freien Träger geführt sowie Ratsberichte zum Thema in-frankfurt-abgerissen,raeumung-lager-100.html Zuwanderung aus Südosteuropa ausgewertet.
I I nst i t u t i on e l l e R a h m e n b edin gun gen raler Bestandteil der sozialen Arbeit berücksich- in Europa“ und eine zusätzliche aufsuchende Bera- tigt wird. Ein Beispiel hierfür ist das Berufsorien- tung, Kompetenzfeststellungsverfahren und Sprach- tierungsprojekt „Drom – Sinti und Roma“. kurse sowie Ausbildungsmaßnahmen. Dabei dient München füllt mit diesen lokalen Maßnahmen ein 9-Schritte-Modell als Leitlinie für einen mangels Lücken eines Finanzierungs- und Politikvakuums Qualifikationen und Sprachkenntnissen oft relativ auf der Landes- und Bundesebene. So führt die langen Weg in eine geregelte Beschäftigung. Stadt beispielsweise ein ursprünglich vom BAMF Schließlich ist Dortmund auch in Erasmus+- finanziertes Pilotprojekt für sozialpädagogisch und ROMACT-Initiativen, auch in der transnationa- begleitete Sprach- und Integrationskurse für Zu- len Kooperation mit Akteuren in den Herkunftsre- gewanderte aus Bulgarien und Rumänien mit ei- gionen (insbesondere in Bulgarien), aktiv geworden. genen Mitteln fort, nachdem der Bund das Pro- Die beiden vorgestellten Städte stellen, gemein- gramm beendet hat. Außerdem reagierte die Stadt sam mit Berlin, innerhalb Deutschlands Ausnahmen auf den Ausschluss von EU-Zuwanderern von So- mit vergleichsweise umfangreichen lokalen Ansät- zialleistungen nach SGB II und XII ab dem 1.1.2017 zen zur Inklusion zugewanderter Roma dar. Im Falle durch die Eröffnung einer Clearingstelle und einen Münchens sind diesen auch überwiegend an deut- neuen Notfallfonds für die Gesundheitsversor- sche Sinti und Roma gerichtete Maßnahmen zur gung prekär Beschäftigter. Seite gestellt. Beide Städte zeigen dabei eine von den meisten Großstädten vertretene Haltung, auf die ex- DORTMUND 1 3 plizite Nennung der Zielgruppe „Roma“ im Falle der 18 Zugewanderten weitgehend zu verzichten, um nicht Die Stadt Dortmund hat in den letzten Jahren eine eine Ethnisierung und eine zusätzliche Stigmatisie- intensive lokale Koordination der Integration von rung der Zugewanderten voranzutreiben. zugewanderten Bürgern aus Südosteuropa entwi- Entgegen dieser Politikausrichtung verfolgt ckelt. Der Ansatz wird im Sozialdezernat koordiniert Berlin einen zielgerichteten Ansatz. Seit 2014 im- und beinhaltet die Kooperation mit dem Jobcenter plementiert die Stadt den Aktionsplan zur Einbe- Dortmund und freien Projektträgern. Er hat einen ziehung ausländischer Roma. Der Plan besteht aus Schwerpunkt in der Arbeitsmarktintegration, um- einer Fülle von Maßnahmen in den Bereichen Bil- fasst aber auch andere sozialpolitische Bereiche wie dung, Gesundheit, Wohnraum, Antidiskriminie- Bildung, Gesundheit, Spracherwerb und Wohnen. rung und Community Building und hat ein Bud- Die Maßnahmen haben in der Regel keine ethnisch get von 1.8 Millionen Euro für 2018–2019. Berliner definierte Zielgruppe, auch wenn Mitarbeiter mit Organisationen der Sinti und Roma haben am Plan bulgarischen, rumänischen und Romanes-Sprach- die mangelnde Teilnahme an Entscheidungspro- kenntnissen eingesetzt werden. Als Überschneidun- zessen, die Verteilung von Ressourcen sowie die gen mit den Maßnahmen zur Integration neu zu- Ethnisierung von Interventionsfeldern wie in den gewanderter Flüchtlinge festgestellt wurden, wurde Bereichen Gesundheit und Bildung kritisiert.14 auch diese Zielgruppe in eine erweiterte Gesamtstra- Neben diesen Städten gibt es andere, die wie tegie Neuzuwanderung einbezogen. Duisburg das Thema Zuwanderung aus Südosteu- Bemerkenswert am Dortmunder Ansatz ist, ropa vor allem ordnungsstaatlich behandeln,15 und dass es der Stadt gelungen ist, insbesondere EHAP eine große Mehrheit, die keine oder keine nennens- und umfangreiche ESF-Bundes- und Landesmittel werten Initiativen zur sozialen Inklusion der zuge- zu akquirieren und die so geschaffenen Angebote wanderten und deutschen Sinti und Roma sowie miteinander zu verzahnen. Zum Ansatz gehören zum Kampf gegen Antiziganismus entwickelt haben. die Anlaufstelle für Erstintegration „Willkommen 14 Interview mit Merdjan Jakupov, Amaro Foro. 13 Für dieses Fallbeispiel wurden zwei Interviews mit Akteuren der 15 Siehe den folgenden Zeitungsartikel zur Räumungspolitik gegenüber städtischen Koordination Zuwanderung aus Südosteuropa durch- Zugewanderten in Duisburg: https://www.waz.de/staedte/duisburg/ geführt und der „Sachstandsbericht Zuwanderung aus Südosteuropa" nord/weggeraeumt-das-leben-der-rumaenen-und-bulgaren-in- (April 2017) ausgewertet. marxloh-id212974281.html
Inst i t ut i onelle Rahmenb e d in g un g e n I 5. Politische und zivilgesellschaftliche der im Rahmen der Konferenz der Regierungsche- Teilhabe der Sinti und Roma finnen und Regierungschefs der Länder in Berlin einen Beschluss zum Ruherecht für Grabstätten BUNDESEBENE der unter der nationalsozialistischen Gewaltherr- Das heutige Verhältnis zwischen Organisationen schaft verfolgten Sinti und Roma gefasst. Die kon- der Sinti und Roma und Institutionen der Bundes- kreten Details der Regelung, die im Jahr 2018 in und Landesregierungen ist vor allem das Ergebnis Kraft treten soll, werden jetzt im Rahmen einer politischer Kämpfe seitens der Selbstorganisatio- Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter der Federfüh- nen der Minderheit, die mit der Bürgerbewegung rung des Bundesministeriums für Familie, Senio- der Holocaust-Überlebenden und ihrer Angehöri- ren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und unter Be- gen ab den 1970er Jahren vorangetrieben wurden. teiligung der Kommunalen Spitzenverbände, der Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ist der Kirchen und des Zentralrats ausgearbeitet.17 wichtigste Ansprechpartner auf Bundesebene und Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma enga- befindet sich im stetigen Austausch mit Bundes- giert sich mit Nachdruck für die Erfüllung von zwei ministerien und anderen Institutionen des Bun- für die Minderheit höchst relevanten Forderungen des. Als wichtigstes Konsultationsgremium der an die Politik: erstens die Einrichtung einer ständi- Bundesregierung wurde 2015 der Beratende Aus- gen Arbeitsgruppe bei der Kultusministerkonferenz, schuss für Fragen der deutschen Sinti und Roma bei der das Thema Sinti und Roma, bzw. nationale beim Bundesministerium des Innern eingerich- Minderheiten in Deutschland, ein fester Bestandteil tet, an dem der Zentralrat sowie die Sinti Allianz ist und in welche die entsprechenden Minderheiten- 19 Deutschland teilnehmen. Er soll den Austausch organisationen einbezogen werden. Eine Aufgabe mit der Bundesregierung, dem Deutschen Bundes- dieser Arbeitsgruppe wäre der Entwurf, das Moni- tag und den Landesregierungen über Angelegen- toring und die Evaluierung von Bildungsstandards heiten und Belange der Minderheit verbessern.16 in Bezug auf die Geschichte und Kultur der Sinti Der Zentralrat nimmt ebenfalls am Gesprächs- und Roma. Die zweite Forderung ist die Beteiligung kreis nationale Minderheiten im Innenausschuss von Sinti und Roma in Rundfunkräten und Landes- des Bundestages teil, der mehrmals im Jahr tagt. medienanstalten (siehe Empfehlungen).18 Der Zentralrat nimmt auch an den Bund-Län- der-Konferenzen mit Vertretern der Dachorgani- L A NDESEBENE sationen der nationalen Minderheiten und Vertre- Die offizielle Anerkennung der deutschen Sinti und tern von Bund und Ländern zur Umsetzung des Roma als nationale Minderheit erfolgte durch die Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Bundesrepublik Deutschland mit der Unterzeich- Minderheiten und der Europäischen Charta der nung des Rahmenübereinkommens zum Schutz na- Regional- oder Minderheitensprachen des Europa- tionaler Minderheiten des Europarates am 11. Mai rats teil. Der Zentralrat ist außerdem Mitglied im 1995 und war ein wichtiger Erfolg der Bürgerrechts- Beirat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes arbeit des Zentralrats und seiner Landesverbände. (ADS). Die Hildegard Lagrenne Stiftung ist im Be- Der Zentralrat setzt sich seitdem für den Abschluss gleitausschuss des EHAP vertreten. von verbindlichen vertraglichen Vereinbarungen Eines der wichtigsten Anliegen des Zentralra- zwischen den jeweiligen Landesregierungen und tes Deutscher Sinti und Roma ist der dauerhafte den Institutionen bzw. Selbstorganisationen der Erhalt der Gräber von im Nationalsozialismus ver- deutschen Sinti und Roma ein, in denen die kon- folgten Sinti und Roma auf Dauer als Familienge- kreten Umsetzungsverpflichtungen der Länder aus dächtnisstätten. Am 8. Dezember 2016 haben Bund und Län- 17 Mehr Information dazu ist auf der Website des Zentralrates zu finden: http://zentralrat.sintiundroma.de/arbeitsbereiche/minderheitenrechte/ 18 Siehe hier die Forderung des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma: 16 Interview mit der Kontaktstelle http://zentralrat.sintiundroma.de/arbeitsbereiche/minderheitenrechte/
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