DAS JOURNAL #MUSIK UND MEDIEN - HFMT KÖLN
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Das Journal #Musik und Medien Heft 2 | Mai 2021 Nicolas Berge / Evelyn Buyken / Heinz Geuen / Tobias Hartmann / Jonathan Hennig / Susanne Kessel / Felix Knoblauch / hans w. koch / Liga Korne / Svantje Lichtenstein / Uwe Mattheiß / Johannes Moser / Jaana Müller-Brehm / Rainer Nonnenmann / Isabel Pfeiffer-Poensgen / Kobie van Rensburg / Heike Sauer / Stephanie Schroedter / Johannes Tiemann
Das Journal ZUR SACHE! – DAS THEMENHEFT 05 Von der Notenschrift zum Digital Editing: Gedanken zum zweiten Heft »Das Journal« von Rainer Nonnenmann #Musik DISKUSSION – MUSIK UND GESELLSCHAFT 09 »Ich bin Berufsoptimistin«: Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, im Gespräch mit Rainer Nonnenmann 11 Algorithmen für die Massen: Informationen und Kunst vermessen von Jaana Müller-Brehm 13 Rundfunkstaatsvertrag (RStV), II. Abschnitt, § 11 Auftrag und Medien GLOBALE KULTUR – GEDANKEN UND ERFAHRUNGEN 15 Latent gegenwärtig: Wie die Pandemie das Unbekannte berührt von Swantje Lichtenstein 19 Regeln und Repräsentation: Über zeitbasierte Künste in der Pandemie und die Grammatik digitaler Medien von Uwe Mattheiß MEDIAMORPHOSE – PERSPEKTIVEN UND VISIONEN 21 Quo vadis homo digitalis? von Johannes Moser 25 medien kunst stücke von hans w. koch 29 Mixturen von Sein und Schein: Der Sänger und Regisseur Kobie van Rensburg über Multimedia in der Oper, im Gespräch mit Rainer Nonnenmann 03 | Das Journal – Inhalt WIE TICKT KÖLN? – STREIFZÜGE DURCH DIE MUSIKSTADT 33 Symbiosen von Musik und Medienkunst in der Kölner Szene von Felix Knoblauch 35 Wo ist das Publikum? Ein Selbstreport mit Ausflügen von Evelyn Buyken AUS DER PRAXIS – LEHRE UND BERUF 39 Kopieren, Adaptieren, Referenzieren: Komponieren im postdigitalen Zeitalter von Nicolas Berge 41 Algorithmische Choreographien in virtuellen Klangwelten von Stephanie Schroedter AUF DEM PRÜFSTAND – ANALYSE UND WERTURTEIL 45 Drei Fragen an Sampling von Tobias Hartmann GESTERN UND HEUTE – ALUMNI ERINNERN SICH 47 »Die Scheinwerfer auf unsere Zeit richten«: Die Pianistin Susanne Kessel im Gespräch mit Jonathan Hennig, Liga Korne und Johannes Tiemann BEMERKENSWERT – MENSCHEN UND AKTIONEN 51 Raum für Assoziationen: Videos in Produktionen der »Literaturoper« der HfMT Köln von Heike Sauer 55 »Massieren« uns die Medien? von Heinz Geuen Sophia Bauer, »Forest Scapes«, 2019, Klanginstallation: Die aufgenommenen Klänge reflektieren die koloniale 58 Impressum Vergangenheit des Waldes mit im Wald eingesprochenen Zitaten von Forest Reports aus dem National Archive Kenia ebenso wie athmosphärische Aufnahmen der Gegenwart, Interviews mit Menschen, die in und mit dem Wald leben, und Mikro-Aufnahmen der Bäume mit supersensitiven Kontaktmikrofonen.
Von der Notenschrift zipieren. Und im Zuge der Corona-Pandemie gibt es noch mehr Uploads, Streamings, Podcasts. Wie verändert das unsere Musik-, Selbst- und Weltwahrnehmung? Weil Klänge und Bilder nicht mehr analog bzw. linear auf- gezeichnet werden, sondern nach dem binären Raster 0 und 1, lassen sie sich auch nach Belieben neu editieren, zum Digital Editing formatieren, transformieren und mit anderen Digitalisaten Schon die Notenschrift war nicht nur Konservator, sondern auch kombinieren. Das geschieht so lückenlos und realistisch, Generator von Musik. Sie entfesselte die graphische Vorstellungs- dass Originale, Kopien und Derivate nicht mehr zu unter- kraft und kompositorische Kreativität zu polyphonen, akkordi- scheiden sind. Mittels digitaler Medien gestalten immer Gedanken zum schen und immer komplexeren Strukturen und Großformen. Das mehr Kunst- und Musikschaffende immersive »Augmen- moderne Fünfliniensystem befördert tonale Skalen und Terzschich- ted Realities« für alle Sinne, indem sie Realitäten, Eventua- tungen, erschwert aber die Notation von Mikrotönen, Geräusch- litäten und Virtualitäten verschmelzen. Und genau damit klängen und irrationalen Rhythmen. Was lernen wir daraus? wirft diese neue Medienmusik zentrale Fragen unserer Ge- zweiten Heft genwart auf: Was ist Fakt oder Fake? Worin unterscheiden sich Aufklärung oder Propaganda, Satire oder demokratie- Medien sind nie bloß gefährdende Meinungsmache, Unterhaltung oder Unter- drückung? Wann handelt es sich um reale Personen oder Wer heute von »Medien« spricht, meint in der Regel Massenme- dien, digitale und soziale Medien. Doch der Gebrauch von Medien band, Kassette, Compact Disk, Computer, Smartphone. Heute ist Musik über Rundfunk, Fernsehen, Tonträger, Festplatten und Inter- neutrale Transmitter von um Avatare, Bots, Trolls, Fake-Accounts? ist viel älter und umfassender, im Alltag ebenso wie in der Musik. Das lateinische »medium« bedeutet Mitte, Mittelpunkt, auch da- net jederzeit und überall verfügbar. Aktuelle Surround-Sound-Tech- nologien lassen kaum mehr Unterschiede zwischen Originalklang Informationen, sondern McLuhan charakterisierte Medien als »Extensions of man«, die wie Werkzeuge die menschlichen Sinne und Kräfte er- zwischen. Ein Medium vermittelt zwischen zwei oder mehreren Polen, und zwar schon seit die Spezies Homo Sapiens mit Sprach- und Kopie erkennen. Doch wie perfekt die Reproduktion von Musik auch sein mag, sie bleibt stets vom Ort und Zeitpunkt ihrer Produk- entscheidende Faktoren weitern. Aktuell verwachsen immer mehr User mit ihren Endgeräten. Halo-Armbänder teilen schon heute mit, wie und Klopflauten begann, sich zu verständigen oder Musik zu ma- chen. Das elementare Ausbreitungsmedium Luft lässt Schallwel- tion getrennt. R. Murray Schafer charakterisierte diese Situation daher schon 1969 pathologisch als »Schizophonie«. Inzwischen bei deren Produktion, sich die Trägerinnen und Träger gerade fühlen. Filterbla- sen, Augmented Reality Games, Chipimplantate, Holo- Formatierung und 05 | Zur Sache – Das Themenheft len von der Quelle ihrer Entstehung zu unseren Ohren gelangen, werden weltweit in jeder Minute – laut Statistik 2018 – rund vier- gramme und Cyborgs hybridisieren Menschen und Ma- sei es im Konzertsaal oder über die vibrierenden Membranen von hundert Stunden Videos und Sounds ins Internet hochgeladen. Die schinen in einer Weise, die der Physiknobelpreisträger Lautsprechern. Jahrhunderte lang ereignete sich die in Luft ge- zeichnete Zeitkunst nur aktuell hier und jetzt, um im Moment Datenmenge wächst also täglich um rund 576.000 Stunden, also 24.000 Mal schneller, als man über Lebenszeit verfügt, all das zu re- Manipulation. Werner Heisenberg 1953 in seinem Vortrag »Das Naturbild der heutigen Physik« womöglich schon vorausahnte: ihrer Vollendung bereits aus und vorbei zu sein. Live aufgeführte »Vielleicht werden später die vielen technischen Apparate Musik erfüllte sich in ihrem unwiederbringlichen Verklingen. Der Philosoph und Medientheoretiker Mar- ebenso unvermeidlich zum Menschen gehören, wie das Bewahrt und festgehalten werden konnte sie erst durch Ver- shall McLuhan formulierte daher in seinem Schneckenhaus zur Schnecke oder das Netz zur Spinne.« schriftlichung und technische Reproduktion. Seitdem überwin- Buch »Understanding Media« (1964) den be- det Musik Raum und Zeit. Doch zu welchem Preis? rühmten Leitspruch: »The media is the messa- Was macht die aktuelle Mediamorphose mit uns? Und wel- ge«. Speziell mit und für Radio und Lautspre- che Aufgaben wachsen Kunst und Musik dabei zu? Sofern Ab dem 9. Jahrhundert gab es erste musikalische Schriftzeichen, cher konzipiert sind etwa die rein elektronisch ästhetische Erfahrung immer auch gesteigerte Selbst- und sogenannte Neumen. Gregorianische Choräle wurden nicht mehr generierte Musik und die aus Aufnahmen von Welterfahrung ist, geben uns Kunst und Musik auch zu er- nur mündlich tradiert, memoriert und dabei immer auch leicht Alltagsklängen basierende musique concrète. kennen, dass Luft, Schrift, Computer, Internet, Audio-, Vi- variiert und adaptiert. Ihre handschriftliche Fixierung legte den Die Popmusik gestaltet spezielle Videoclips für deo-, Lichttechnik oder sonstige Medien maßgeblich unser Grundstein für die wirkungsmächtigen Kategorien Werk, Autor- Fernsehen und Internet. Und nicht erst seit Co- Selbst- und Weltverständnis prägen. Und genau das gilt es schaft und Originalität. Die Erfindung des Notendrucks durch rona sucht man nach neuen Online-Formaten. bewusst zu machen: Wenn wir schon Netze auswerfen und Ottaviano Petrucci 1501 sorgte für größere Verbreitung von Kom- Schneckenhäuser bauen, dann mit dem Wissen, dass, wie positionen. Doch während man Tonhöhen und Rhythmen notier- Hard- und Software durchdringen heute sämtli- und warum wir es tun. te, setzte man die jeweilige lokale und situative Aufführungspra- che Arbeits- und Lebensbereiche, einschließlich xis als selbstverständlich voraus: Besetzung, Ornamentik, Impro- Kunst, Kultur und Musik. Das Internet ist mo- Ich wünsche Ihnen visation, Dynamik, Phrasierung, Artikulation, Agogik. Mit dem bil, interaktiv und partizipativ. Bei Google, You- viel Freude beim Lesen. Wandel der Praxis zerfiel dann jedoch die ursprüngliche Einheit Tube, Facebook, TikTok, Spotify oder Bandcamp von notiertem Text, implizierter Spielanweisung und intendierter sind fast alle sowohl Empfangende als auch Sen- Prof. Dr. Rainer Nonnenmann Wirkung. Spätere Zeiten konnte deren Verhältnis dann nur noch dende. Der bereits im Jahr 2000 am Massachu- historisch rekonstruieren. Jüngere Notationsformen versuchen setts Institute of Technology (MIT) aufgekom- Der Musikwissenschaftler Prof. Dr. Rainer Nonnenmann zwar möglichst alle Eigenschaften von Musik zu erfassen, bleiben mene Begriff »postdigital« benennt den Um- ist Dozent an der HfMT Köln und Chefredakteur von aber ebenfalls lückenhaft. stand, dass digitale Medien inzwischen so tief DAS JOURNAL. Schwerpunkte seiner Forschung und Lehre liegen auf der Musik, Ästhetik und Kultur- in die menschliche Selbstdarstellung, Kommu- geschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts. Er ist Autor Der 1877 von Thomas Edison patentierte Phonograph erlaubte erst- nikation und Interaktion eingegriffen haben, zahlreicher Aufsätze und Bücher, zudem Heraus- malig die technische Aufzeichnung, Speicherung und Wiedergabe dass davon längst auch nicht-digitale Lebensbe- geber der »MusikTexte« sowie freier Musikjournalist für verschiedene von Klang. Zahlreiche optimierte Geräte folgten: Schallplatte, Ton- reiche überformt werden. Magazine, Zeitungen und Rundfunkanstalten.
Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, im Gespräch mit Rainer Nonnenmann Ich bin Berufsoptimistin 07 | Diskussion – Musik und Gesellschaft Sehr geehrte Frau Ministerin, welche Erfahrungen als Kanzlerin der Hochschule für Musik und Tanz Köln von 1989 bis 1998 helfen Ihnen heute in ihrem Ministeramt? Das war damals mein erstes Amt in größerer Verantwortung, in dem ich für den ganzen inneren Betrieb der Hochschule, für Verwaltung, Veran- staltungen, Finanzierungen zuständig war. Da habe ich sehr viel gelernt, auch in verschiedenen Gremien und vom damaligen Rektor Franz Mül- ler-Heuser. Er hatte eine gute Art, die Hochschule zusammenzuhalten. Außerdem habe ich viele junge Künstlerinnen und Künstler kennenge- lernt, von denen ich einige auf meinen nächsten Stationen wieder getrof- fen habe. Das war eine prägende und sehr schöne Zeit, auch weil ich nach den langen Tagen mit Verwaltungsgeschäften nur ein paar Treppenstu- … Sybella Perry, »Rustic Airs«, 2020, fen hinunter zu gehen brauchte, um ein schönes Konzert zu hören. Das Künstlerbuch und Schallplatte, gezeigt in hat mein persönliches Repertoire in der Musik ungemein erweitert. der Ausstellung Diplome 2020 an der KHM
Das gemeinsame chen war das teilweise wirklich erholsam. Aber bei freien Initiativen aus Kunst, Kultur, Wissenschaft und mir selber und eigentlich allen, die mit Kultur zu tun Gesellschaft, und zum anderen Fellowships für einzel- haben, merke ich, was ohne Kulturveranstaltungen für ne Akteure, damit diese eine Zeitlang in Nord- Defizite entstehen und welche riesigen Veränderun- rhein-Westfalen forschen, arbeiten, größere Projekte Erleben, der gen das zur Folge hat. Wir alle sind soziale Wesen und halten das nicht ewig aus. Das gemeinsame Erleben, der Austausch darüber und die Interaktion zwischen realisieren, hier Impulse geben und sich vernetzen können. Wir haben in NRW ja eine unglaublich große, freie, experimentelle Szene, wo regelmäßig Genregren- Austausch darüber Künstlern und Publikum sind unerlässlich. Doch zen überschritten und aufgelöst werden. Zudem pla- kommt das Publikum auch sofort wieder in Clubs, nen wir für den Herbst ein Medienkunstfestival auf der Theater, Konzerte, wenn sie unter Auflagen wieder öff- Zeche Zollverein. nen können? Oder sind vor allem ältere Menschen und die Interaktion dann immer noch vorsichtig? Diese Ungewissheit be- steht natürlich gerade. Ein Meilenstein der jüngeren Musik- und Medien- geschichte ist das 1953 gegründete Studio für elek- tronische Musik des (N)WDR, das Köln zeitweilig zwischen Künstlern Wie fördert Ihr Ministerium mediengerechte Prä- zu einem Magneten für Komponisten und Kompo- sentationsmöglichkeiten von Musik, Tanz und nistinnen aus aller Welt machte. Seit zwanzig Jah- Theater angesichts der aktuell verhängten Veran- ren ist dieses einmalige Ensemble aus analogen staltungsverbote? und digitalen Geräten in einem Keller ausgelagert. und Publikum sind Dazu gibt es kein spezielles Programm des Landes, weil sich der Bund hier bereits engagiert. Aber wir haben als Kulturministerium im vergangenen Jahr unbürokra- Was tun Sie für dessen Erhalt und Revitalisierung? Hier sind wir gerade dabei, das neu zu ordnen. Schon zu Beginn meiner Amtszeit habe ich alle an diesen Pla- unerlässlich. tisch alle Förderungen, zumeist langfristig projektierte nungen Beteiligten von WDR, Stadt Köln, Kunsthoch- In ihrer Doppelpublikation »Rustic Airs«, die ein 09 | Diskussion – Musik und Gesellschaft Dinge, die geplant und fest zugesagt waren, genau so schule für Medien und Hochschule für Musik und Künstlerbuch und eine Schallplatte umfasst, nimmt weiterlaufen lassen oder nach Bedarf – was haushalte- Tanz Köln an einen Tisch geladen. Vor einiger Zeit ha- Sybella Perry das Beispiel der englischen Airs – risch komplizierter ist – in die Zukunft verschoben. be ich mir auch die Geräte in Köln-Ossendorf angese- einfacher, austauschbarer Melodien von Volksliedern, … die sich auf dem Weg ihrer Verbreitung durch Dazu haben wir dankenswerterweise die Rückende- hen. Das ist alles gut archiviert und in Stand gehalten. Großbritannien stetig verändert haben – zum Anlass, ckung des Finanzministers bekommen, so dass die Bud- Das Studio hat eine enorme Bedeutung für die Ent- um über Mobilität, Transformation und Pluralität Die Nutzung von Medien ist auch generationenab- gets, die den Häusern zur Verfügung stehen, von diesen wicklung der neuen Musik, auch im Popbereich. Und nachzudenken. hängig. Woran denken Sie beim Thema »Musik auch erneut abgerufen werden können. jetzt gibt es eine Idee für eine Unterbringung in Köln, und Medien« als erstes? die gerade ausgearbeitet wird. Aus dem Studio soll Ich bin ein analog sozialisierter Mensch und erinnere NRW ist ein wichtiger Standort für Technologien, kein Museum werden, sondern es soll aktiv nutzbar aus meiner Zeit an der Kölner Hochschule, was für ein Industrien, Wissenschaft, Kunst, Kultur und Me- sein, zum Beispiel für Menschen an der Musikhoch- großes Abenteuer es war, die Hochschule mit digitalen dien. Nun hat Ihr Ministerium im Volumen von schule und der Medienhochschule. Ich bin Berufsopti- Wir haben in NRW ja Möglichkeiten zu versehen. Wir hatten damals einen knapp einer Million Euro bis 2023 zwei neue För- mistin: Es wird sicherlich nicht einfach, das zukunfts- Tonmeister und einen Fernsehmeister, die ihre Sache derprogramme für Medienkunst und digitale Kul- fähig zu machen, aber ich bin absolut dafür, und wir eine unglaublich große, freie, toll gemacht haben, aber keine IT-Spezialisten waren. tur aufgelegt. müssen alles tun, damit es gelingt. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Es gab schon früher die Überlegung, in diesem Bereich experimentelle Szene, Durch die schwierige Pandemie-Zeit, die wir gerade aktiv zu werden. Wir entwickeln solche Programme Medien werden gerne als vierte Gewalt im Staat erleben, hat die Digitalisierung nochmals einen enor- aber nicht einfach am Schreibtisch, sondern sehen erst bezeichnet, weil sie nicht nur Wirklichkeit abbil- wo regelmäßig Genregrenzen men Schub bekommen, was ich sehr gut finde – auch einmal, was es alles schon gibt. Sehr interessante Ein- den, sondern auch Informationen und Öffentlich- beim Erleben von Kunst und Musik. Aber das ist ambi- richtungen sind beispielsweise die Akademie für Thea- keit generieren. Politik sucht daher gerne die Nähe überschritten und valent: man freut sich, etwas zu hören oder die Premie- ter und Digitalität in Dortmund und der Hartware Me- zu Medien. Sie auch? re einer Oper als Stream zu verfolgen, aber noch viel dienkunstverein, der im Dortmunder U Ausstellungen Ich bin ja nicht die »klassische« Politikerin und deswe- aufgelöst werden. mehr freue ich mich – da bin ich wieder ganz analog –, präsentiert und erst kürzlich für »Artists & Agents – gen vielleicht kein so ganz typisches Exemplar. Aber hoffentlich bald wieder Musik live erleben zu können. Performancekunst und Geheimdienste« von der deut- natürlich sind Medien für uns wahnsinnig wichtig, um Das ist einfach etwas anderes. schen Sektion des Internationalen Kunstkritikerver- Inhalte zu transportieren, vor allem wenn sie einen bands AICA mit der »Ausstellung des Jahres 2020« qualitativen Anspruch haben, also guter Journalismus Isabel Pfeiffer-Poensgen ist Volljuristin Was geschieht mit einer Gesellschaft, wenn Kunst auszeichnet wurde. Eingehend informiert haben wir wichtige Informationen und deren Einordnung liefert. und war von 1989 bis 1999 Kanzlerin der Hoch- und Kultur nicht mehr gemeinschaftlich erlebt uns auch seit 2018 im Rahmen der Ruhrkonferenz, wo Deswegen bin ich eine leidenschaftliche und überzeug- schule für Musik Köln. Anschließend wirkte werden, sondern nur noch vereinzelt von zu Hause? wir viele Künstlerinnen, Künstler und Kulturorganisa- te Zeitungsleserin, elektronisch, aber auch gerne auf sie als Beigeordnete für Kultur und Soziales der Stadt Aachen sowie als Generalsekretärin der Im ersten Lockdown vor einem Jahr haben sicherlich toren aus dem Ruhrgebiet zusammengeführt und dabei Papier, was immer mir zwischen die Finger kommt. Kulturstiftung der Länder in Berlin. viele Menschen, die sehr beschäftigt und beruflich ein- festgestellt haben, wie viele bereits im Bereich Medien- Qualitätsjournalismus, auch im Rundfunk, ist ein Seit 30. Juni 2017 ist sie Ministerin für Kultur und Wissenschaft gespannt sind, es auch einmal als ganz angenehm kunst unterwegs sind. Wir fördern jetzt zum einen wichtiges Gut, aber wirtschaftlich in Gefahr und des- des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Interview mit ihr fand empfunden, öfter zu Hause zu sein. In den ersten Wo- neue kooperative Projekte zwischen Institutionen und wegen leider etwas im Rückzug. am 10. Februar 2021 statt.
Algorithmen für die Massen Informationen und Kunst vermessen 11 | Diskussion – Musik und Gesellschaft Eine unbekannte Dreizehnjährige veröffentlicht 2015 beim Audiostreaming- dienst Soundcloud einen Song. In den zwei Folgewochen hören ihn mehrere Hunderttausend. Ein Jahr später produziert sie ein Musikvideo für einen weiteren Song und stellt es auf der Videoplattform YouTube online. Bis Anfang 2021 wird es über 29 Millionen Mal aufgerufen. Mittlerweile ist diese Künstlerin, Billie Eilish, ein Weltstar, der 2020 vier Grammy Awards erhält. …
Laut einer Statista- auch den zu Kunst – insbesondere zu Musik. Die Umfrage »Mu- sic Listening 2019« der International Federation of the Phono- Derzeit kommt bei Intermediären vor allem die Vielfalt zu kurz. Das zeigen unter anderem die Dienste erfolgreicher Musikstrea- Umfrage stieg in graphic Industry ergab, dass in den 19 Musik-Kernmärkten welt- weit beinahe neun von zehn Befragten Streamingdienste nut- minganbieter, gerade weil deren Empfehlungsalgorithmen kom- merzielle Interessen bedienen, die die Nutzer*innen lange auf den Deutschland der Anteil der zen. Laut einer Statista-Umfrage stieg in Deutschland der Anteil der Internetnutzer*innen, die online Musik streamen, von neun Plattformen halten sollen. Damit das gelingt, weisen algorithmi- sche Musikempfehlungen möglichst viel Ähnlichkeit zum be- Internetnutzer*innen, die Prozent im Jahr 2013 auf 57 Prozent im Jahr 2020. Für 2023 wer- den rund 23,8 Millionen Musikstreaming-Nutzer*innen prog- reits Gehörten auf. Andere Musikstile kennenzulernen, ist so fast unmöglich. Zudem gleichen Algorithmen die Playlists verschie- online Musik streamen, nostiziert. dener Nutzer*innen ab. Gibt es viele Übereinstimmungen von Titeln, erhält eine Person Vorschläge für bislang ungehörte Songs von neun Prozent im Auch in der Kunst brechen Teile der »Gatekeeper« weg. Das birgt die Chance, Aufmerksamkeit breiter zu streuen und auch auf aus den Playlists der anderen. Je häufiger bestimmte Titel zu Play- lists hinzugefügt und gehört werden, desto wahrscheinlicher Jahr 2013 auf 57 Prozent Künstler*innen fernab des Mainstreams zu lenken. Deshalb von einer Demokratisierung zu sprechen, erscheint jedoch ange- sind Übereinstimmungen. Die Empfehlungen beinhalten des- halb eher bereits bekannte und weit verbreitete Songs. Unbe- im Jahr 2020. sichts dessen, wie erfolgreiche Angebote derzeit gestaltet sind und benutzt werden, mindestens romantisierend, wenn nicht kanntere Künstler*innen haben schlechtere Chancen auf algo- rithmische Empfehlungen. gar verklärend. Wie viele Künstler*innen nutzt Eilish Streamingdiens- Wissenschaftliche Untersuchungen wie »Seek and you shall ter den vorherrschenden Bedingungen repräsentieren können te und Social-Media-Angebote, um ihre Musik zu streuen. Soziale Netzwerke, Suchmaschinen und Streamingdienste sind find?« der Universität Mainz von 2020 stellen fest: Wir nehmen oder wollen. In Algorithmen bilden sich auch gesellschaftliche Diese zunehmend bedeutsamen Verbreitungsmedien Angebote privatwirtschaftlicher Unternehmen. Sie verdienen über Intermediäre nicht die Diversität an Inhalten wahr, die wir Stereotype, Bewertungsmuster oder strukturelle Missstände ab. sind für alle zugänglich und ohne große Hürden bedien- Geld damit, Inhalte zu vermitteln. Dabei spielen insbesondere dort sehen könnten. Das hat vor allem damit zu tun, wie die ver- Ihre Ergebnisse sind nicht neutral, sondern das Produkt mensch- bar. Demokratisiert das den Musikmarkt? Werbeeinnahmen eine Rolle. Intermediäre bieten personalisier- mittelnden Algorithmen dieser Angebote gestaltet sind. Hinzu licher Vorgaben. Immer wieder kommt es deshalb zu Diskrimi- 13 | Diskussion – Musik und Gesellschaft te Werbung an. Grundlage dafür sind die detaillierten Datenpro- kommt, dass bestimmte Akteure die Funktionsweise der Inter- nierungen, beispielsweise rassistischen oder sexistischen. Hinter dieser Idee steht der Gedanke einer Demokrati- file ihrer Nutzer*innen. Sie erlauben es den Anbietern, günstige mediäre gezielt ausnutzen, um das Meinungsklima zu bestimm- sierung von Öffentlichkeit durch neue Technologien, Werbeplätze mit hohen Wirkungsraten anzubieten, was das ten Themen zu beeinflussen. Zugleich treten andere in den Hin- insbesondere durch so genannte Intermediäre. Damit Werben über Intermediäre besonders attraktiv macht. Zugleich tergrund, weil sie sich nicht in dieser öffentlichen Form und un- Erste Regulierungen versuchen, sind Plattformen gemeint, die als Vermittlerinnen sind die Angebote so gestaltet, dass die Nutzer*innen möglichst einigen dieser Entwicklungen zu zwischen Angebot und Nachfrage treten wie soziale lange auf den Plattformen verweilen, so dass sie mehr Werbung begegnen. Netz werke, Suchmaschinen, Video- und Audiostrea- mingdienste oder Online-Warenhäuser. Ihre Leistung sehen und mehr Daten über sie gesammelt werden können. Rundfunkstaatsvertrag besteht vor allem darin, ein passendes Produkt, eine In- formation oder einen Inhalt zielgerichtet an die Nut- Die Funktionsweise der Angebote dient also in erster Linie kom- merziellen und nicht demokratischen Zwecken. Dabei sind Algo- (RStV) Ein besonders umfangreiches Vorhaben ist der »Digital Service Act« der Europäischen Union. Der Gesetzesentwurf, der sich im An- zer*innen zu vermitteln. Das verändert Öffentlichkeit rithmen zentral, mit deren Hilfe uns jeweils die zu uns passen- fangsstadium einer umfangreichen Aushandlungsphase befindet, II. ABSCHNITT: VORSCHRIFTEN FÜR DEN sieht unter anderem mehr Transparenz für die Forschung vor. Auch maßgeblich. Besonders klar zeichnet sich das im Kont- den Inhalte erreichen sollen. Algorithmen selektieren Inhalte ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN RUNDFUNK die Nutzer*innen sollen nachvollziehen können, warum ihnen In- rast zur Vermittlung von Informationen über klassische nach bestimmten vorab von Menschen festgelegten Kriterien. Medien ab: Dort spielen Redakteur*innen und Journa- Sie folgen dabei nicht breit ausgehandelten gesellschaftlichen halte angezeigt werden und wie sie diese Einstellungen nach Belie- § 11 AUFTRAG ben verändern. Das könnte eine Chance für die Vielfalt der Inhalte list*innen eine zentrale Rolle, denn sie bestimmen, wel- Kodizes oder einer eigens hierfür entwickelten Rechtsgrundlage, che Informationen relevant für die Gesellschaft und sondern vor allem wirtschaftlichen Erwägungen. (1) Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, sein, die Intermediäre vermitteln. Letztlich hat die naiv romantisch bestimmte Zielgruppen sind. Das entscheiden diese »Ga- durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als anmutende Idee, die Vermittlung von Informationen und auch tekeeper« unter anderem auf Grundlage gesellschaftlich Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öf- Kunst könne sich mithilfe von Intermediären demokratisieren, ein ausgehandelter Kriterien, wie dem Pressekodex. Darü- Derzeit kommt bei Intermediären fentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demo- sehr gewichtiges Argument auf ihrer Seite: Die Technologie an sich, ber hinaus müssen sie sich an das Presserecht halten, das vor allem die Vielfalt zu kurz. kratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesell- die zunächst einmal vielen das Publizieren und den Austausch er- bestimmte Pflichten für die Berichterstattung festlegt. schaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstal- möglichen, hat hohes demokratisches Potential. Sie kann Vielfalt Indes ist das genaue Vorgehen der Algorithmen in Intermediä- ten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick und Teilhabe stärken. Doch um dieses Potential auszuschöpfen, Diese verkürzte und idealtypische Darstellung ent- ren weitgehend unbekannt. Ihr Code gilt als Geschäftsgeheim- über das internationale, europäische, nationale und regiona- müssen wir sie dementsprechend gestalten, einsetzen und nutzen. spricht sicherlich nicht immer der Realität. Dennoch nis. Bekannt ist, dass hohe Interaktionsraten – also Klicks, Li- le Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu ge- zeigen sich grundlegende Unterschiede zur Funktions- kes, Kommentare oder das Teilen der Inhalte – die Relevanzbe- ben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, Jaana Müller-Brehm arbeitet beim unabhängigen weise von Intermediären, die das Sende-Empfangs-Sche- wertung beeinflussen und damit auch, wie viele Nutzer*innen die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zu- Think Tank iRights.Lab (https://irights-lab.de) ma des vordigitalen Zeitalters aufbrechen. Alle, die über einen Inhalt sehen und an welcher Stelle er ihnen begegnet. sammenhalt in Bund und Ländern fördern. Ihre Angebote und beschäftigt sich dort vor allem mit den die notwendigen Kenntnisse und die Ausstattung ver- Die Informationsgrundlagen einzelner Personen unterschei- haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung Themen Öffentlichkeit, Medien, Demokratie, Menschenrechte, Gesellschaft und Bildung fügen, können ihre Themen und Ansichten streuen. Die den sich hierdurch stark. Das trägt zu einem grundlegenden zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzu- im Zusammenhang der Digitalisierung. Intermediäre durchsuchen die so entstehenden Massen Medienwandel und dem Zerfall der Öffentlichkeit in Teilöf- bieten. Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Sie schreibt wissenschaftsjournalistische Beiträge, Expertisen an Inhalten und sortieren sie automatisiert. Das verän- fentlichkeiten bei. Verständigung und gesellschaftlicher Kon- Angebotsprofil entsprechen. und entwickelt Vermittlungskonzepte, um Kenntnisse über dert nicht nur den Zugang zu Informationen, sondern sens werden seltener. die Digitalisierung in die Breite zu tragen.
Latent gegenwärtig Wie die Pandemie das 15 | Globale Kultur – Gedanken und Erfahrungen Unbekannte berührt
Die Pandemie Die Latenz wird historisch auch als Grundbedingung für die Kunst betrachtet, die darin besteht, sich selbst als Verfahren zu verbergen. Ovid schreibt im 10. Buch on droht leicht übergriffig zu werden; ihr geht es, wie einem Text, der schwer zu lesen ist, erst kommt es zu Abwehr und Kampf, dann zum Versuch, alles in bekannte Bahnen lenken zu wollen. nahme. Sie wünscht sich, dass sie das Andere meta- morphosieren würde. Die Stimme allein durch ihr Bitten einer unerklärlichen Kraft. Des Wünschens. zwingt uns in einen der »Metamorphosen«: »ars adeo latet arte sua« (»so verbirgt durch die eigene Kunst sich die Kunst«). Als ein Aspekt der Verborgenheit beinhaltet Latenz Dabei bietet die überragend-überraschende Situation, in die uns die Pandemie alle unvorbereitet gebracht hat, latente künstleri- sche und musikalische Räume. Auch wenn zweifellos einiges Heftig genug wünschen. Sie wünscht sich, dass die Person in das zurück metamorphosiert würde, was sie vorher war, erfindet, wenn nötig. Es braucht weni- Transitraum, der zwangsläufig etwas, das die Kunst ausmacht und er- öffnet. Momentan werden wir in einen Zustand ver- setzt, der uns glauben macht, wir könnten uns beim nicht überleben wird, vielleicht auch einiges, was sich schon län- ger überlebt hatte. Es könnte also zunächst darum gehen, in der Kunst und Musik Machbares auszuloten. ger Zeit, um zu bemerken, dass es keine magische Ver- schiebung gab.« uns an die Grenzen künstlerischen Handeln beobachten, da wir uns auf Bildschirmen und abgefilmt von Kameras selbst an- sichtig werden. Aber natürlich sehen wir uns beim Vielleicht könnte es auch die Poesie sein, die zwischen Musik und Sprache steht, denn: »Die Poesie ist die Art, mit der wir dem Nicht nur meine Stimme hat sich verändert, sondern mein ganzer Körper ist durch die Starre in Bewegung geraten und darum vertraue ich fest darauf, dass die- des Absehbaren, Denken oder künstlerischen, musikalischen Han- deln nicht wirklich zu, sondern bedauern zumeist vielmehr, dass wir damit und mit unseren Projekten Unbenannten Namen geben, sodass es gedacht werden kann«, wie Audre Lorde in »Kraft und Widerstand« schreibt. Die Poesie ist die latente Sprache für das, was verzögert, das heißt sich als se Zeit viel Festgefahrenes bewegen wird, was wir in der derzeitigen Trauer über die verlorengegangenen Auftritte und Zusammenkünfte noch nicht sehen aber auch des nicht voranschreiten können. Wir befinden uns in einem latenten Raum, in dem Widerhall dieser Zeit entgegen und zugleich an die Seite stellt. Denn die Poesie ist eine Beziehungsstifterin, ein Verbindungs- glied und eine machbare Aktion (Poiesis). können, was sich aber bereits im Entstehen befindet und wichtige Wechsel hervorzubringen vermag. Vielleicht sogar die Loslösung des immerwährenden Bekannten führt etwas ins Stocken gerät, sich verzögert und zugleich unaufhaltbar ist. Einem verborgenen Raum, in dem wir uns gleichzeitig und gemeinsam aufhalten, in Wir haben noch wenig körperliche Erfahrung mit der pandemi- schen Situation, aber ein Jahr ist zum Erlernen eines Instru- Echos eines nicht unproblematischen Künstler*in- nentums, weg von eurozentrischen und identitären Kulturmodellen, hin zu einer größeren Offenheit, und so eine 17 | Globale Kultur – Gedanken und Erfahrungen dem wir uns nach und nach zurechtfinden, ihn bele- ments oder der Arbeit mit Stimme und Körper auch ein sehr kur- Beziehungsfähigkeit, hin zur Verbindung aller Men- ben und interpretierbar machen. Éduoard Glissant zer Zeitraum. Wir werden unsere Instrumente, Stimmen, Perfor- schen und Kulturen, die latent immer schon dazu- erklärte in »Kultur und Identität. Aufsätze zu einer mances und Konzerte mit einem langfristigeren Verzögerungs- und zusammengehörten. Dies könnte ein tröstlicher Weiterentwicklung Poetik der Vielfalt«: »Das Unvorhersehbare zu ken- nen, bedeutet, sich auf [...] seine Gegenwart, in der man lebt, auf neue, nicht mehr empirische oder syste- effekt an diese neue Realität anpassen müssen. Wir werden uns beim Bespielen dieses latenten Raums langsam vortasten, um mit all seinen technischen Herausforderungen und Versuchun- und stimmiger Gedanke sein. Das Latente ist unterstützen kann. matische, sondern auf poetische Weise einzustim- men.« Die poetischen Verbindungsformen, die durch das Unbekannte entstehen können, haben wir als gen vertraut zu werden. Dieser Prozess des tastenden Berührens und zögerlichen Aneig- nichts, was in der Chance oder eine Art Kulturentwicklungsplan drin- nens erscheint uns professionellen Musiker*innen und Künst- gend nötig. Die Pandemie zwingt uns in einen Tran- ler*innen beunruhigend, da uns das Unbekannte selbst in den Zeit der Pandemie sitraum, der uns an die Grenzen des Absehbaren, aber avanciertesten, experimentellsten und improvisationsgeschul- Gegenwärtig ist vieles latent. Die Verzögerungszeit, die zwi- auch des Bekannten führt und so eine Weiterent- ten, europäischen Kontexten häufig noch als Bedrohliches entge- erst entstanden schen dem Auftreten eines Ereignisses und dem erwarteten Folge- wicklung unterstützen kann. gentritt. Dabei liegt in diesem Moment des Neuansetzens, des ereignis vergeht, bezeichnet man als Latenz (Latency Effect). Es ist Ein- und Ausatmens, des Delays oder der Pause eine große Wich- wäre, es wird nur die Zeit, die benötigt wird, eine Verbindungsstrecke zu überwin- Als vor einhundert Jahren die letzte globale (Grippe) tigkeit. Sie gestattet eine andere Anordnung, die neu montiert den oder ein Signal zu übertragen. Die Latenz in ihren vieldeuti- Pandemie wütete, war es noch nicht möglich, zeit- und abgemischt auch unbekannte Anschlussstellen zulässt. in deutlicherem gen Bezugsmöglichkeiten ist ein Begriff, den ich in vielen Video- gleich Zugänge zu schaffen und in Verbindung zu treffen gehört habe, als Hintergrund und Hinderungsgrund in die- bleiben. Diese Möglichkeiten machen Dinge einfa- Das Latente ist nichts, was in der Zeit der Pandemie erst entstanden Ausmaß sichtbar ser Übergangszeit, in der wir zwar alle zugleich sind, aber eben cher und komplizierter zugleich, da es immer noch wäre, es wird nur in deutlicherem Ausmaß sichtbar und hörbar, nicht synchronisiert. Die Klagen kommen gehäuft dort vor, wo unklar ist, wie wir mit all dem umgehen sollen. Wir auch für die, die sich vorher in sicheren Räumen wähnten. Latent und hörbar. der Latency Effect das kollektive (Musik)Machen beeinträchtigt, können in Beziehung treten, aber das heißt noch sind die Stimmungen, die in jedem Raum vorhanden sind. Es sind durch ungewollte Echokammern, widerhallenden Widerstand, nicht, dass wir verstehen können. Bislang haben wir auch die Stimmen, mit denen wir gegen Bildschirme anzusprechen dauernde Delays, akustische Verschiebungen oder visuelle Glit- allenfalls eine latente Ahnung. versuchen. Meine Stimme benötigt jedenfalls eine veränderte Art Swantje Lichtenstein, Performance-/ ches. Unsere Gegenwart hat sich verschoben, nicht nur auf der zu Atmen beim Sprechen gegen die festen Bildschirm(Flächen). Klang-Künstlerin, Poetin, mit Hauptinteresse Ebene des klanglichen oder kommunikativen Datenverkehrs. Die Folge eines allgegenwärtigen Glaubens, wir wür- Mein Körper musste diese Bewegung hin zur Öffnung erst einmal auf transtextuellen Erweiterungen der den doch alles verstehen, zeigte Susan Sonntag mit einsehen und sich großflächig umorientieren. Sprache sowie elektroakustischen Für meine Arbeit sind Widerstand und Spannung sehr wichtig, »Against Interpretation« bereits 1961 auf: »die zeitge- Aufzeichnungsweisen. Sie performt inter- weil sie das vermeintlich Normale überraschend überwinden; aber nössische Begeisterung für die Interpretation hat ih- Die Nymphe Echó hat aus ihrer Sprechnot ein Kommunikations- national auf Festivals, in Museen und Konzerthäusern. Ihre Publikationstätigkeit umfasst Poesie, darum bewege ich mich wohl auch im sogenannten experimen- ren Grund häufig nicht in der Ehrfurcht vor dem be- modell entwickelt, durch den Einsatz des Widerhalls ihrer Stim- Essay, Theorie, Übersetzung und Text-Sound-Arbeiten. Sie ist tellen Bereich der Künste, wo Kunst und Musik, Klang und Spra- schwerlichen Text [...], sondern in einer offenen Ag- me. Die amerikanisch-koreanische Künstlerin Theresa Hak im Kurator*innenteam der Monheim Triennale (2021) und che dazu dienen, etwas herauszufinden, um abzurücken von Er- gressivität.« Die Auslegung und Notwendigkeit der Kyung Cha poetisiert dies in »Dictee« so: »Sie [die Stimme] ist die lehrt als Professorin für Ästhetische Praktiken in Düsseldorf wartungen und dem, womit ich mich schon gut genug auskenne. Interpretation einer kulturell gänzlich neuen Situati- erste, die ihre Ankunft bekannt gibt. Die Stimme der Vorweg- sowie anderen Kunst- und Musikhochschulen.
Setzt Öffentlichkeit tatsächlich noch die körperliche Nähe eines 19 | Globale Kultur – Gedanken und Erfahrungen Kollektivs Regeln zwingend und voraus? Repräsentation Über zeitbasierte Künste in der Pandemie und die Grammatik digitaler Medien
der Bühne oder dem Podium statt. Ihr liegt vielmehr ein Rimini Protokoll machen mit ihrem Parcours das mimetischer Prozess zugrunde, in dem sich anwesen- Theater zum Museum seiner selbst. Das ist erstmal Wenn die Künste nicht des Publikum als eine Vergegenwärtigung des Ideals eine nette Pointe auf Legitimationskrisen, mit denen einer bürgerlichen Öffentlichkeit entwirft, mit dem sich vor allem textbasierte Theaterformen im Hori- auf falsche Zeitgenossenschaft fernen Horizont der antiken Polis und dem Körperge- zont einer postmodernen Kritik der Repräsentation fühl der fußläufigen (Klein)Stadt des 19. Jahrhunderts. herumschlagen. Die Auseinandersetzung mit poeti- schielen, sondern ihren Dieses idyllische Gemeinschaftsgefühl der gebildeten schen Texten wird obsolet und als überkommenes Stände ist von der Alltagspraxis der Gegenwart über- kulturelles Distinktionsmittel abgetan. Das Als-ob immanenten Widerstand und formt. Haben die Kanäle, über die der Traffic digitaler des Schauspielens erscheint grundsätzlich affirma- Kommunikation sich ins Unermessliche steigert, nicht tiv. Der Verdacht, letztlich doch imitatio zu sein, er- ihr repräsentationskritisches auch etwas mit zeitgenössischer Öffentlichkeit zu tun? klärt Mimesis zur Ideologie. Eine Ästhetik des Per- formativen versucht, sie durch die Forderung nach Potential aktualisieren, Wir sind gänzlich andere Menschen als in der Antike Authentizität zu ersetzen, die sich am Ende erst recht oder im 19. Jahrhunderts. Die wundersamen apparati- als Abbild einer schlechten Wirklichkeit erweist. kann es wieder spannend ven Erweiterungen des menschlichen Körpers, die die Cyborg-Theorien einer Sciencefiction-Literatur der Der archäologische Blick gewinnt im noch nicht be- werden. 1990er Jahre für eine ferne Zukunft versprochen haben, zogenen Theaterhaus eine weitere Facette. Erinnert sind längst da. In der Sozialisation mit digitalen Tech- kann hier nur werden, was einmal sein wird, was Er- Weil Aufführungen vor hunderten Menschen derzeit nicht stattfinden nologien, ihrer Einverleibung in die Alltagspraxis, ei- innerung immer mehr als etwas erweist, das im Lim- können, spielt man im Wiener Volkstheater nur für jeweils eine Person. ner Neuformatierung des gesamten Wahrnehmungs- bus zwischen Faktum und Fiktion angesiedelt bleibt. Gesellschaft und nicht abgehängt zu werden, wenn diese den Mit einem Kopfhörer ausgerüstet wird man e inzeln durch das gesamte apparats im Gebrauch digitaler Medien sind wir fast Das Theater scheint aus der Zeit gefallen, weil die Betrieb wieder »hochfährt«. … 21 | Globale Kultur – Gedanken und Erfahrungen Theaterhaus geleitet und erhält neue und ungewohnte Einblicke. unbemerkt »Cyborgs« geworden. Dauer des Stillstands seine Zeitstruktur übersteigt. Die pandemische Beeinträchtigung von Theatern Dabei ist nicht überraschend, dass die medialen Formate einen Das Wiener Volkstheater war immer ein wenig Schmuddelkind Was aber ist das Theater, der Tanz und die Musik des- und Konzertsälen über nahezu ein Jahr ist kurz da- anderen Takt vorgeben, andere Konventionen, andere Gramma- dessen, was man in dieser Stadt naturvergleichend gerne Theater- sen, was man vor gut hundert Jahren euphorisch den vor, deren längstes Wiederkehrintervall, die »Spiel- tiken, andere Aufmerksamkeitsspannen, andere Sichtweisen, landschaft nennt. An einer zugigen Straßenkreuzung abseits der »Neuen Menschen« nannte? Und wie realisiert man zeit«, zu überschreiten. andere Ökonomien. Diese Kollision kann erkenntnistreibend imperialen Prachtbauten der Wiener Ringstraße gelegen war das das alles in den Repräsentationsbauten des späten 19. sein, wenn man sich nicht der Illusion einer Erweiterungsmög- 1889 erbaute Haus anfänglich der Ausdruck bürgerlichen Selbstbe- Jahrhunderts? Solche Fragen mögen die Handelnden Institutionen der Aufführungspraxis zeitbasierter lichkeit in einen herrschaftsfreien »digitalen Raum« hingibt, wusstseins gegenüber einer höfischen Repräsentationskultur am k. um den neuen Intendanten des Wiener Volkstheater Künste fußen auf einem doppelten Versprechen, dem sondern versteht, dass man in das technische Substrat ganz und k. Hofburgtheater ein paar hundert Meter weiter. Kay Voges bewegt haben, noch vor einem ungewissen des einmaligen, unwiederbringlichen Moments und gar »analoger« Verhältnisse wirtschaftlicher Macht hineingera- Eröffnungsdatum die – präventionstaugliche – Ver- dem seiner vorhersagbaren regelmäßigen Wiederkehr. ten ist. Deren Verwertungsgebot reproduziert ästhetische Inhal- In der Ära einer kulturellen Hegemonie der Sozialdemokratie wäh- suchsanordnung »Black Box« von Stefan Kaegi und Die Regelhaftigkeit und Anverwandlung von Kultur te in der Warenform und drängt in die Affirmation. rend der 1970er Jahren war hier von »Kultur für alle« zumindest Rimini Protokoll anzusetzen. an Natur im Jahresrhythmus stabilisiert das symboli- die Rede. Bald aber war das Haus außen patiniert, innen morsch bis sche Kapital der Künste gegenüber der Gesellschaft, Wenn die Künste nicht auf falsche Zeitgenossenschaft schielen, zur Grenze der Funktionstüchtigkeit und prekär in den Finanzen. Sie schickt im Fünf-Minuten-Takt einzelne Zuschau- sichert Aufmerksamkeit und regelmäßige Budgets oh- sondern ihren immanenten Widerstand und ihr repräsentati- Eine Generalrenovierung war unumgänglich. Zwischen dem ers- er*innen mit einem Audio-Guide bewaffnet auf einen ne permanenten Legitimationsdruck. Sie lässt sogar an onskritisches Potential aktualisieren, kann es wieder spannend ten und zweiten Lockdown des Jahres 2020 fertiggestellt, steht nun Parcours durchs Haus und dringt dabei vom Maschi- Produktionsformen wie dem Repertoirebetrieb festhal- werden. Eine, wenn man so will, »technophagische« Praxis der das neue Volkstheater in seiner hellen Pracht in der abendlichen nenraum der Klimatisierung bis zum Souffleurkasten ten, der bei über Jahrzehnte rückläufigen Publikums- Einverleibung digitaler Medien und ihrer Zergliederung und Ver- Silhouette der Stadt und harrt wie unzählige andere Kultureinrich- in Welten vor, die das Publikum selten zuvor gesehen zahlen ökonomisch zunehmend fragwürdig erscheint arbeitung im Präsenzmodus der Künste könnte tatsächlich so et- tungen in rasendem Stillstand seiner Bestimmung. hat. Die Aufführung ist in eine Audiodatei entschwun- und immer weniger den immanenten Erfordernissen was wie einen hybriden Möglichkeitsraum aufspannen, der von den. Eine Stimme vom Datenträger kommandiert mit der Kunstproduktion entspricht. medial-präsenten Akteur*innen, menschlichen wie nicht-mensch- Was kann man tun, auch wenn man nichts tun kann? Der Lock- der salbungsvollen Autorität eines Navigationssystems lichen Ursprungs, reich bevölkert ist. down wirft Fragen auf, die man im vollen Lauf des Betriebs so nicht durch sie hindurch. Eine vom Virus verpatze Saison lässt sich noch ganz gestellt hätte: Nicht allein, wann es in den Theatern und Konzert- gut wegstecken. Was darüber hinausgeht, öffnet den Adornos Kalenderspruch, dass Aufgabe der Kunst heute sei, Chaos sälen wieder weiter geht, sondern ob es das ohne Abstriche über- Die geskriptete Wahrnehmung hat alle Mühe, den Zeit- Blick ins alles verschlingende Nichts eines Aus-der- in die Ordnung zu bringen, gilt in naher Zukunft umso dringlicher. haupt je wieder wird? Kann man die Erfahrung der Pandemie so takt der Tonspur mit den Referenzpunkten in der Reali- Zeit-Fallens. Die hektische Betriebsamkeit in den einfach wegstecken und sich wieder unbefangen zwischen Frem- tät des Gebäudes in Übereinstimmung zu bringen. Sie darstellenden Künsten beim Streamen vorprodu- den und fremd Bleibenden ins Dunkel eines Zuschauerraums drän- ist die permanente Forderung, geistesgegenwärtig zu zierter Inhalte und der Einarbeitung digitaler Medi- Uwe Mattheiß lebt und arbeitet als Autor gen? Wieso verharrt die darstellende Kunst der Gegenwart in handeln. Quick Response statt Reflexion. Was der Tour en in aktuelle Arbeitsprozesse, hat ihre entscheiden- und Dramaturg in Wien und an der hessischen Raumkonzepten und -hierarchien des späten 19. Jahrhunderts? weit mehr abgeht als hüstelnde Sitznachbar*innen ist de Ursache möglicherweise genau darin und weni- Bergstraße, schreibt für die tageszeitung (taz), das in Wien erscheinende Wochenmagazin das deliberative Moment einer Aufführung. Man han- ger in der naiven Erwartung, irgendetwas im Medi- FALTER und die Tageszeitung Der Standard. Setzt Öffentlichkeit tatsächlich noch die körperliche Nähe eines delt alleine, statt im Hinblick auf eine Gemeinschaft um »rüberzubringen«, was im Zuschauerraum ver- Seine Themen sind Theater, Tanz, zeitgenös- Kollektivs zwingend voraus? Fiktion findet in einer Theater-, Handlungsmodelle zu erwägen und in der Wahrneh- wehrt bleibt. Es ist vielmehr der Versuch, »in Takt« sische bildende Kunst und die gesellschaftlichen Verhältnisse, Opern-, Tanz- oder Konzertaufführung schließlich nicht nur auf mung durchzuspielen. zu bleiben mit der veränderten Betriebsamkeit einer in denen sie stattfinden.
Wer eine künstlerische Ausbildung beginnt, lernt von Anfang an, dass man kurz vor dem Auftritt durch einen gehörigen Adrenalinschub ins »Fight or Flight« versetzt wird, Angriff oder Weglaufen – das Monster fletscht die Zähne! Allein: Weglaufen ist leider keine Option, denn Frau Mayer hat ja ihre Konzertkarte bezahlt… 23 | Mediamorphose – Perspektiven und Visionen Quo vad is homo di gitalis?
Die Umstellung, ohne Publikum zu konzertieren, fällt mir persönlich sehr schwer, der Energieaustausch und das rauschhafte Konzerterlebnis müssen jetzt irgend- wie künstlich hergestellt werden – maximal kräftezeh- Die rend. Und natürlich bleibt die nicht allein wegen mas- kulturaffinen … siv bedrohter Musiker-Existenzen äußerst drängende Frage, wie man diese Konzerte monetarisieren soll? Internetnutzer Auch jetzt heißt es, sich mit der Realität zu konfron- Was ist so ein steril digitales Konzert wert? Wofür wird tieren und grundlegend zu überdenken, wie wir aus mit einer Konzertkarte denn eigentlich bezahlt? Allein der Vielzahl der Möglichkeiten und Entwicklungen, für die aufspielenden Musiker? Oder für das Gesamter- die sich durch die radikale Digitalisierung unseres lebnis mit großem Saal, kollektivem Erleben im Publi- wollen Lebens ergeben haben, Formate herausdestillieren, kum und dem seit Generationen abonnierten Plüsch- die auch nach der Pandemie unser musikalisches klappsessel in der Oper? All das fällt weg vor dem hei- und kulturelles Leben bereichern können. mischen Bildschirm. Was bekomme ich in einem digi- talen Live-Angebot, was eine CD oder die Digital Con- Ich selbst bin in den sozialen Medien während der letzten Jahre immer aktiv gewesen. Dabei war das di- gitale Spielfeld immer nur als Zuspieler für meine künstlerische Realität relevant, nie jedoch als digita- cert Hall nicht in viel besserer Auflösung bereithalten? Wieviel bleibt übrig vom live-Charakter, nachdem er durch Kabel und Bildschirm gelaufen ist? Letztendlich ist hier von unserer Seite mehr Kreativität gefordert. Interaktion! le Echokammer. Der digitale Raum als autarkes Akti- onsfeld hatte mich nie interessiert. Dementspre- Plötzlich ist der digitale Raum nicht mehr allein Zuspieler für Im Moment bieten wir zu oft herkömmliche Konzert- Fairerweise muss man sagen, dass damals von Corona 25 | Mediamorphose – Perspektiven und Visionen chend radikal war dann im letzten Jahr die Umstel- die Wirklichkeit, keine abstrakt augmentierte Realität, sondern formate an, ohne dabei die digitalen Möglichkeiten noch nichts »in der Luft« lag (sic). Jetzt sind die Mühlen lung zum Homo digitalis auch für mich. zum Hauptspielfeld meiner Tätigkeit geworden.Doch auch diese auch nur ansatzweise auszuschöpfen. Ein erfrischen- ordentlich in Schwung gekommen, und das ist gut so. Welle bricht, zumindest teilweise: Auf die emotionalen Sympathie- des Gegenbeispiel habe ich gerade bei meinem letzten Ich persönlich habe mit Online-Unterricht äußerst po- Zeitblende zurück zu Anfang 2020. Vor mir liegen bekundungen und die einhellige Solidarität nach den ersten On- Konzert in Paris erlebt, wo man sich mit einer App an sitive Erfahrungen gemacht, die Studierenden machen sechs Monate intensiver Unterrichtswochen und line-Konzerten folgt die zu erwartende allgemeine Erschöpfung. verschiedene Positionen des Orchesters setzen und sehr gute Fortschritte. Sogar Klassenstunden haben wir ausgebuchtes Touring, jede Woche von Januar bis En- Die ubiquitär gestreamten Angebote nehmen überhand. Irgend- mitspielen konnte. Quasi ein klassisches Karaoke. während Corona digital abgehalten, inklusive Buch- de Juli ist komplett durchgeplant. Anfang März ist wann erträgt man die schnöde Wohnzimmer-Akustik über miser- Club und gemeinsamer Koch-Sessions per Zoom. So der Wiener Musikverein zweimal ausverkauft mit able Mikros und Handystreaming nicht mehr. Vielleicht jetzt die Die kulturaffinen Internetnutzer wollen Interaktion! konnten wir bis zuletzt ein sehr gutes Klassengefühl meiner Uraufführung des Konzerts von Bernd alte LP-Sammlung mal wieder abstauben? War die Rezeption im Konzertsaal bisher passiv oder herstellen. Mit grundlegendem Equipment, das wir in- Deutsch, in den Wochen davor war ich ohne freien allenfalls durch aufmerksames Zuhören, gelegentli- zwischen wirklich alle haben sollten, ist hervorragen- Tag in New York, Milwaukee, Boston, Warschau, in Meine Masterclasses auf YouTube laufen indessen im Coro- che Huster und Applaus mitgestaltet, sind jetzt die der Instrumentalunterricht ohne Einbußen zu machen. Wien zu Proben, und natürlich beständig an der na-Sommer weiter, die Interaktion mit jungen Musiker*innen ist interaktiven Möglichkeiten der digitalen Sphäre un- Auch das leidige Zoom hat extrem nachgebessert und Hochschule für Musik und Tanz Köln. Dann der sehr dynamisch und gibt mir bei allen beruflichen Hiobsbot- sere Chance, augmentierte Konzerterlebnisse zu bie- bietet inzwischen tolle Audioqualität. Schock: am Morgen nach der Wiener Uraufführung schaften Halt. Die Reaktion darauf lässt nicht lange auf sich war- ten, die man im herkömmlichen Konzertbetrieb so schließt der Musikverein seine Tore. Tags darauf flie- ten: die Anfragen, um vor den anstehenden Aufnahmeprüfun- nicht bekommen kann (Stichwort Virtual Reality, Die Praxis hat wirklich alle Zweifel ausräumen können. ge ich nach Hamburg, Haydn-Konzert in der Elbphil- gen für einen Studienplatz bei mir vorzuspielen, verzehnfachen Oculus Rift etc.). Nur so werden auch nach Corona bei Und das wird uns erhalten bleiben, Hybridformate wer- harmonie. Am Tag danach macht auch die Elphi sich. Dazwischen immer wieder Konzerte ohne Publikum, ge- geöffneten Konzerthäusern diese kreativen Formate den zu unserem Alltag gehören. Eine Rückkehr zur gu- dicht. Die Schließungen verfolgen mich wie ein Ts- streamt und dann auf YouTube verfügbar. bleiben und uns bereichern. Der seit Jahren beschwo- ten alten, komplett analogen Zeit wird es auch in der unami. Am 13. März holt mich die Welle ein, alle renen Klassik-Krise könnte man ironischerweise gera- Lehre nicht geben, zumal Prognosen uns das Virus Konzerthäuser geschlossen, alle Reisen untersagt, de mit den Mitteln der Corona-Krise beikommen – noch für einige Jahre voraussagen. Man sollte also alles DELETE-Taste im Konzertkalender für den Rest der Die Anfangsphase dieser wenn man die sich jetzt bietenden Chancen nutzt. daran setzen, um die neuen Unterrichtsformate zu per- Saison, Konzerte mit dem Los Angeles Philharmonic und Gustavo Dudamel sowie eine Konzerttournee neuen Digitalität fühlt sich Und an der Hochschule? Dass ich die forcierte Digita- fektionieren, statt von vorübergehenden Krücken zu sprechen, die man nach der allgemeinen Genesung im durch die USA mit einem Kammerorchester, alles trotz aller schmerzlichen lisierung in der Lehre sehr begrüße, lässt mich nicht Corona-Kuriositäten-Keller wieder verschwinden lässt. abgesagt. zuletzt an einen Besuch vor zwei Jahren im Rektorat Absagen und finanziellen der HfMT Köln zurückdenken. Damals begegnete Ich war zu hundert Prozent im Touring-Modus, wie man meiner Idee, einen digitalen Unterrichtsraum ein heißgefahrener Rennwagen. Um der plötzlichen Einbußen an wie ein Rausch, einzurichten, noch mit sehr viel Skepsis. Nach einiger Der von FonoForum als »einer der spek- takulärsten Cellisten dieser Zeit« gepriesene Goldgräberstimmung – Leere und meiner Unruhe zumindest etwas Aktivi- Überzeugungsarbeit gab es dann einen ernüchtern- Johannes Moser gehört nicht zuletzt seit seinem fulminanten Debüt bei den Berliner tät entgegen zu setzen, beginne ich in der ersten Co- den Besuch bei der Hochschul-IT: Für Online-Unter- Philharmonikern unter Zubin Mehta zur Welt- vid-Woche digitale Formate zu entwickeln, mit Mas- überall ungeahnte richt seien die Bedingungen trotz Highspeed-Internet spitze seines Fachs. 2002 gewann er den ter Class-Videos, Online-Konzerten, Übertragungen einfach noch nicht geschaffen. Ich solle mal wieder in Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau. An der Hochschule für meines Übe-Alltags in der Ausnahmesituation. Möglichkeiten. ein paar Monaten vorbeischauen. Musik und Tanz Köln hat er seit 2012 eine Professur inne.
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