Paraplegie - Aus dem Schatten ins Licht Aude Jardins neues Leben im Rollstuhl - Schweizer Paraplegiker-Gruppe
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März 2014 | Nr. 149
paraplegie
Das Magazin der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung
Aus dem Schatten ins Licht
Aude Jardins neues Leben im Rollstuhl
Rollstuhlgängige SBB | Freizeit à la carte | Maurizio Nicoli
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EDITORIAL
Liebe Leserinnen und Leser
I m Jahr 2013 konnten wir erneut zusätzliche Gönnerinnen und Gönner für unser Solidar-
werk gewinnen. Und was mindestens ebenso wichtig ist: Wir konnten den weitaus
grössten Teil der bisherigen Gönnerschaft halten. Viele von Ihnen sind langjährige treue
Mitglieder, auf die wir uns verlassen können. Sie sind der «harte Kern» unseres Werkes.
Nach Konfuzius kann man Treue erst in einer Zeit der Unruhe erkennen. Diese Unruhe
herrscht heute auch auf dem Spendenmarkt, wo immer mehr Institutionen um finanzielle
Unterstützung werben. Hier gehört zu werden, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Sie kann
nur dank der uns erwiesenen hohen Gönnertreue gelingen, die auf der Erkenntnis beruht,
dass die Unterstützung querschnittgelähmter Menschen und ihres Umfeldes nach wie
vor eine notwendige, wichtige und sinnvolle Aufgabe ist. Und wir stellen aufgrund der bei
uns eingehenden Gesuche um Unterstützung fest, dass bei knapper werdenden staatlichen
Mitteln zunehmend mehr Hilfe gefragt ist. Zudem sind für die bevorstehenden Erneuerungs-
arbeiten im Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil grosse finanzielle Mittel bereit-
zustellen. Dieser Schritt ist notwendig, um die Vision von Guido A. Zäch nicht bloss zu
verwalten, sondern weiterzuentwickeln. Damit wir unseren Auftrag auch künftig erfüllen
können, sind wir in hohem Masse auf Ihre Treue angewiesen.
Ausser vielen Mitgliedern der Gönnervereinigung gibt es eine beachtliche Anzahl von uns
wohlgesinnten Personen und Unternehmen, die uns eine Spende zukommen lassen. Schliess-
lich gibt es auch immer wieder Menschen, die uns ihre Treue über den Tod hinaus halten,
indem sie uns in Form einer Erbschaft oder eines Legats unterstützen. Nebst den Mitglieder-
beiträgen sind diese Formen der Unterstützung für uns entscheidend. Wir danken herzlich
für Ihre Treue und zählen gerne weiterhin auf Sie.
Dr. iur. Joseph Hofstetter
Direktor Schweizer Paraplegiker-Stiftung
IMPRESSUM: Paraplegie. Das Magazin der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, www.paraplegie.ch
38. Jahrgang | Ausgabe: März 2014 / Nr. 149 | Erscheinungsweise: vierteljährlich in Deutsch, Französisch und
Italienisch | Gesamtauflage: 1 026 000 Exemplare | Auflage Deutsch: 910 000 Exemplare | Copyright: Abdruck nur
mit Genehmigung der Herausgeberin und der Redaktion.
Herausgeberin: Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, 6207 Nottwil, sps@paraplegie.ch | Verant-
wortlich: Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Unternehmenskommunikation, 6207 Nottwil | Redaktion: Roland Spengler
(Leitung), Mathias Haehl, redaktion@paraplegie.ch | Bild: Walter Eggenberger, Beatrice Felder, Astrid Zimmer-
mann-Boog | Layout / Vorstufe: Regina Lips, Karin Distel, Michael Kling | Anzeigen: Fachmedien Axel Springer
Schweiz AG, 8021 Zürich, info@fachmedien.ch | Vorstufe / Druck: Swissprinters AG, 4800 Zofingen.
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INHALT
6 NEWS
Verdiente Auszeichnung: Marcel Hug wurde für seine Leistungen
als «Schweizer Behindertensportler des Jahres 2013» geehrt.
10 PORTRÄT
Ein Schicksalsschlag führte dazu, dass Aude Jardin
seit zehn Jahren im Rollstuhl sitzt. Doch ihr Leben
ist erfüllter als früher: Sie fand weg von der Strasse,
geniesst heute die Verbundenheit mit der Natur.
Und mit Freund Xavier teilt sie ihre Leidenschaften.
14 REPORTAGE – Freizeit à la carte
Menschen im Rollstuhl wollen gleichwertiger Teil der Gesellschaft
sein. Ein wichtiger Bestandteil der Integration sind Sport- und
Freizeitaktivitäten. Querschnittgelähmte halten sich so zudem fit,
steigern ihre Lebensqualität und lernen dabei, den gelähmten Körper
besser zu akzeptieren. Beim Fallschirmspringen oder beim Tauchen
vergessen sie ihren Rollstuhl für Momente und schweben
zu Hochgefühlen.
22 ZUR SACHE
Der öffentliche Verkehr soll bis 2023 auch an die Bedürfnisse von Quer-
schnittgelähmten angepasst werden. Einiges ist schon geschehen, doch es
gibt noch viel zu tun, wie eine Probefahrt mit einem Rollstuhlfahrer zeigt.
28 PRAXIS
ie Orthotec AG hat in Cugy (VD) eine Filiale eröffnet und ihr Angebot im
D
Fahrzeugumbau für Menschen mit körperlicher Einschränkung ausgedehnt.
30 MOSAIK
150 Zimmer, 36 Seminarräume, drei Restaurants und drei Auditorien,
zwei Säle sowie eine Bar: das Seminarhotel Sempachersee hat neu noch
mehr zu bieten.
32 MEIN TAG IM ROLLSTUHL
Maurizio Nicoli stürzte im Helikopter ab. Jetzt «fliegt» er
im Monoskibob erstmals an Winter Paralympics über Pisten.
34 FINALE
Ansichten zum Thema «Frühlingsputz» von Martin Senn.
Paraplegie, März 2014 |5
NEWS
Nottwil auf
der Weltkarte des Sports
Die Schweizer Meisterschaften der Rollstuhl-Leichtathletik 2013 nahmen am Grand Prix 1037 Sportler aus 69 Ländern teil,
finden neu im Rahmen des IPC Athletics Grand Prix des Inter- sie fuhren zehn Weltrekorde. Ruedi Spitzli, Bereichsleiter
nationalen Paralympischen Komitees statt. Die sogenannten Rollstuhlsport Schweiz, sagt: «Dies ist für unsere Athleten,
«ParAthletics 2014» werden vom 16. bis 18. Mai 2014 in der insbesondere auch für den Nachwuchs, eine Chance, sich in
Sport Arena Nottwil ausgetragen. OK-Präsident Samuel Lanz einem breiteren Feld zu messen und den Austragungsort
rechnet mit rund 250 Teilnehmenden. Weitere Stationen sind Nottwil zu stärken.» Der Anlass ist ausserdem Teil der
neun Weltstädte wie Berlin oder Dubai, Peking und São Paulo. «Schweizer Rennserie», zu der auch das Daniela Jutzeler
Die Finals finden in Birmingham statt. Somit erscheint das Memorial in Nottwil (21. Mai), das Handbike-Einzelzeitfahren
kleine Nottwil mit seinen topmodernen Anlagen auf der in Knutwil (24. Mai) sowie der 15. Internationale Rollstuhl
Sport-Weltkarte. Der Ausbau dieser Sportserie ist auf die zu- marathon in Schenkon (25. Mai) gehören.
nehmende Bedeutung der Leichtathletik zurückzuführen.
Krönung eines Erfolgsjahres
Marcel Hug strahlte als «Schweizer Behindertensportler des
Jahres» bei der Verleihung der Credit Suisse Sports Awards
2013. Der 28-Jährige aus Neuenkirch (LU) verwies die letzt-
jährige Gewinnerin Edith Wolf-Hunkeler und Seriensieger Mehr TV-Präsenz
Heinz Frei mit deutlichem Vorsprung auf die Ehrenplätze. In Das Schweizer Fernsehen baut die Paralympics-
festlichem Rahmen wurde Hug für ein Glanzjahr gewürdigt. Berichterstattung aus. Von den Winter Paralympics
An den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Lyon holte er in Sotschi (Russland) strahlt SRF 2 vom 10. bis
gleich fünfmal Gold: über 400, 1500, 5000 und 10 000 Meter 14. März täglich ab 19 Uhr eine 25-minütige Live-
sowie über die Marathon-Distanz. Zudem gewann er die sendung aus. Im achtköpfigen Schweizer Team,
Marathons von Oita (Japan) und New York (USA). dem nur Skirennfahrer angehören, sind mit
Christoph Kunz (Reichenbach BE), Michael Brügger
Zwei weitere Preise für Hug (Plasselb FR) und Thomas Pfyl (Schwyz) drei
Bei der Auszeichnung der erfolgreichsten Athleten des Jahres 2013 durch Medaillenanwärter dabei. Übrige Athleten im
Swiss Paralympic wurde Marcel Hug ebenfalls geehrt. Hugo Thomas, sehbe- Aufgebot: Christophe Brodard (Arconciel FR),
hinderter Skirennfahrer aus Lausanne, erhielt den Newcomerpreis. Bei seiner Robin Cuche (Saules NE), Maurizio Nicoli
ersten Teilnahme an Weltmeisterschaften holte Thomas Bronze im Super-G. (Wetzikon ZH; siehe auch Seite 32), Jochi
Im weiteren wurden geehrt: die Skisportler Christoph Kunz, Thomas Pfyl und Röthlisberger (Unterseen BE) und Hugo Thomas
Michael Brügger; die Rollstuhl-Rennfahrerinnen Edith Wolf-Hunkeler und (Lausanne). In der Vorbereitung konnten die
Manuela Schär; die Handbike-Fahrer Sandra Graf, Heinz Frei und Tobias Fank- Schweizer von den Erfahrungen von Trainer Karl
hauser sowie die Para-Badmintonspielerin Karin Suter-Erath. Zu guter Letzt Frehsner und des sechsfachen Weltcupsiegers
erhielt Marcel Hug auch noch den Sportpreis des Kantons Luzern, zusammen Didier Cuche profitieren.
mit Manuela Schär.
6 | Paraplegie, März 2014
Namentlich
MOSAIK
Claudio Perret, Sportwissenschaftler und
stellvertretender Leiter der Sportmedizin des
Schweizer Paraplegiker-Zentrums, ist zum
Privatdozenten der ETH Zürich ernannt worden.
Er hatte bereits seit 2009 einen Lehrauftrag
für den Bereich Paraplegie und Sport an der
ETH inne.
Nicolas Hausammann ist neuer Nationaltrai-
Laufend Gutes tun ner für Rollstuhl-Basketball. Der Aargauer war
als Profispieler schon Deutscher Meister und
Auf allen fünf Kontinenten findet am 4. Mai ein einzigartiger Benefiz-Laufevent schaffte mit der Schweizer Nationalmannschaft
statt: Beim «Wings for Life World Run» werden sämtliche Einnahmen einer 2012 den Aufstieg in die europäische A-Liga.
im Jahre 2004 gegründeten Stiftung zugeführt. Sie finanziert an die 100 For-
schungsprojekte an renommierten Universitäten und Instituten. Weltweit gibt Roger Getzmann, Leiter Leistungssport bei
es rund 3 Millionen Menschen mit Rückenmarksverletzung, jedes Jahr kommen der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung, ist vom
rund 130 000 neue dazu. In Olten starten ab 12 Uhr Hobby- und Profiläufer, Dachverband des internationalen Radsports,
an rund 40 anderen Orten der Welt ebenso. Rollstuhlsportler Marcel Hug und Union Cycliste Internationale (UCI), in die Para-
Viktor Röthlin, der erfolgreichste Schweizer Marathonläufer, haben ihre Teil cycling-Kommission gewählt worden.
nahme zugesagt. «Ich will laufend etwas Gutes tun», sagt Röthlin.
Weitere Informationen: www.wingsforlifeworldrun.com
Integration fördern
Ende 2013 präsentierte die Weltgesundheitsorganisation
WHO in Genf ihren weltweit ersten internationalen Gesund-
heitsbericht zum Thema Querschnittlähmung. «Internatio-
nal Perspectives on Spinal Cord Injury» fasst die wichtigsten
wissenschaftlichen Fakten und die neusten Erkenntnisse zu-
sammen. Ausserdem fliessen Erfahrungen von Betroffenen
über die gesamte Lebensspanne und aus aller Welt mit ein.
Basierend auf diesen Erkenntnissen spricht der Bericht kon-
krete Empfehlungen aus, die im Einklang stehen mit den
Bestrebungen der UN-Konvention über die Rechte von Men-
schen mit Behinderungen und ihre Integration. Der Bericht
entstand in Zusammenarbeit mit der Schweizer Paraplegiker-
Forschung in Nottwil.
Fusion zweier Schwesterstiftungen
Forschung in erster Linie zur Heilung von Rückenmarks
verletzungen betreiben die beiden Schwesterstiftungen IFP
Zürich und IRP Genf. Sie fusionierten und treten mit Sitz in
Genf neu unter dem Namen Stiftung IRP auf.
Paraplegie, März 2014 |7
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NEWS
Aussergewöhnliches geleistet
Weil sie in ihrem Leben Aussergewöhnliches geleistet haben, wurden
zwei Menschen im Rollstuhl von der Schweizer Paraplegiker-Stiftung
geehrt. Elisabeth Mettler-Kiener (Hünenberg ZG) und Rolland Bregy
(Turtmann VS) erhielten die Auszeichnung «Querschnittgelähmte des
Jahres 2013», die eine fünfköpfige Jury zum 21. Mal verlieh.
Vorbilder für die Integration
«Elisabeth Mettler-Kiener ist eine mutige und starke Frau, eine beein-
druckende Persönlichkeit und ein prägendes Vorbild für alle», lobte
Gründer und Ehrenpräsident Guido A. Zäch bei der Laudatio die 63-Jäh-
rige, die seit einem tragischen Sturz aus dem Fenster im Rollstuhl lebt.
Um die soziale Isolation zu vermeiden, beschloss Elisabeth Mettler vor
43 Jahren, Sport zu treiben. Sie wurde eine Pionierin im Rollstuhl-Tisch-
tennis. 1980 bis 1988 gewann sie an den Paralympics sechs Goldme-
daillen, schon zuvor hatte sie in Rollstuhlrennen 1976 zweimal Gold
geholt. Sie wurde Mutter und hatte in der Administration der Strafan-
stalt Zug beruflich Erfolg. An Schulen und bei Firmen gibt Elisabeth
Mettler-Kiener Referate, plädiert für Lebensmut und engagiert sich so
für die Integration von Rollstuhlfahrern in die Gesellschaft.
Die Integration ist auch Rolland Bregy, der vor 28 Jahren mit dem
Motorrad in ein Auto krachte und seither im Rollstuhl lebt, ein Anlie-
gen. Das von ihm gestaltete Rollstuhllogo vermittelt das Bild von Rollstuhlfahrern als dyna- Vorbilder im Rollstuhl.
mische, aktive und am Leben teilhabende Menschen. Auch mit dem Kleeblatttaxi, einem von Elisabeth Mettler-Kiener (links) und
Rolland Bregy (rechts) wurden als
ihm gegründeten Fahrdienst für behinderte und ältere Menschen im Oberwallis, zeigte er «Querschnittgelähmte des Jahres
Engagement für Betroffene. An der Berufsschule Oberwallis war er Ausbildner und Vorbild 2013» ausgezeichnet. In der Mitte:
für die Jugend. Der 53-jährige Bregy besitzt Humor in der oft schweren Lebenslage: Seinem Daniel Joggi, Präsident der
Schweizer Paraplegiker-Stiftung.
Vornamen Roland fügte er ein zweites L ein, weil er roLLend durchs Leben geht. Thomas
Troger, Direktor der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung, würdigte Bregys «Schaffenskraft
und Vielfältigkeit, seine Kreativität und seine Talente, die er für ein uneigennütziges Enga-
gement einsetzt».
Agenda
Zunge und Ohren 22. März
SIRMED Schweizer First Responder
aktivieren Rollstühle Symposium
SPZ Nottwil
Dank technischer Erneuerungen können Querschnittgelähmte
ihre Rollstühle oder Computer neuerdings mit dafür unge- 22. / 23. März
wöhnlichen Körperteilen aktivieren. US-Forscher fanden in der Schweizer Meisterschaften Ski alpin
Zunge eine Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine: Obersaxen GR
Mittels eines Piercings wird die Zunge zu einem Joystick, der via
Funk speziell bestückte Computer oder Rollstühle bewegt. 5. April
Deutschen Wissenschaftlern gelangen andere Experimente mit Rollivision – Nationale Messe
implantierten Chips, die Ohrbewegungen via Sender auf einen für Rollstuhlfahrer
Rollstuhl übertrugen. Auch «intelligente» Textilien können Nottwil
helfend wirken: An der ETH Zürich wurden Sensoren in
Unterwäsche integriert, die Körperfunktionen von Patienten 26. Juli – 3. August
überwachen können und etwa bei Bettlägerigen Alarm Europameisterschaft Bogenschiessen
schlagen, wenn Druckgeschwüre entstehen. Nottwil
Paraplegie, März 2014 |9
PORTRÄT
«Meine Krankheit rettete
mir das Leben»
Sie lebte zehn Jahre lang auf der Strasse und abseits der Gesellschaft – heute geniesst Aude Jardin
am Genfersee Verbundenheit mit Natur und Freunden. Ein tragischer Schicksalsschlag führte dazu,
dass sie im Rollstuhl sitzt. Doch ihr Leben ist erfüllter als früher.
Text: Mathias Haehl | Fotos: Beatrice Felder
A ude Jardin streichelt ihre beiden Katzen
Isis und Yoda. Draussen pfeift ein kalter
Winterwind, die drei kuscheln sich in der
Elena Rusca, mit «Spazierfreund» Pierre-
Alain Daverio und mit Geschäftspartner
Vincent Tabone. Man sieht es nicht nur, Aude
warmen Stube aneinander. Die Katzen bestätigt es: «Ich bin rundum zufrieden.»
schnurren vor sich hin, die 32-jährige Frau Das war nicht immer so. Als Pubertierende
lächelt und trinkt geniesserisch ihren Tee führte Aude Jardin ein Leben voller Abhängig-
aus selber gezüchteter Pfefferminze. Ihre keiten und betäubte ihre Sinne: Sie lebte
Gesichtshaut ist etwas blass und erzählt von schon als 17-Jährige auf der Strasse, wollte die
einem strengen Leben, doch ihr Lachen ist Wirklichkeit vergessen und spritzte sich ver-
kräftig und ihre blaugrauen Augen leuchten. meintliche Glücksgefühle in die Venen. Um
Zumal wenn sie anvertrauen darf, wie gut es an den Stoff zu gelangen, musste sie illegale
ihr geht: «Ein Leben im Rollstuhl kann durch- Mittel anwenden.
aus glücklich sein!»
Aude Jardin sagt auch: «Meine Krankheit ret- Platz in der Gesellschaft nicht gefunden
tete mir das Leben.» Ein Abszess an der Wir- Was war der Grund für den Raubbau an sich
belsäule wirkte im Jahre 2003 wie ein Warn- selbst? «Ich hatte mit 15 meinen Platz in der
schuss und zog ihr förmlich den Boden unter Gesellschaft noch nicht gefunden, ich lebte in
den Füssen weg, den sie eh kaum mehr ge- Disharmonie mit mir und meinem Umfeld.»
spürt hatte. Die eitrige Entzündung drückte Aude Jardin erzählt zwar von einer sonnigen
auf das Rückenmark, dadurch erlitt Aude eine Kindheit mit vielen Reisen nach Frankreich
Querschnittlähmung. Sie wurde ins Spital und Besuchen bei Bekannten im Eringertal im
eingeliefert – und musste ihr Leben ändern. Wallis. Es folgten acht schwere Jahre auf der
Strasse. Bald haben sie die tragischen Um-
Geerdet und unabhängig stände von der Familie entfernt.
Aude Jardin fühlt sich geerdet. Sie pflegt regen Aude erfuhr damals kaum Liebe und hat sich
Austausch mit ihrer Familie und ihren Be- auch selber nicht geliebt. Jetzt ist das anders:
Geben. Aude Jardin massiert Reflexzonen
an den Ohren einer Patientin. kannten, es ist ein Geben und ein Nehmen: «Ich will meiner Umwelt viel Zuneigung ge-
mit Freund Xavier Rusconi, mit Künstlerin ben.» Sie hegt ihre Kräuter, sie pflegt ihre
Geben und Nehmen.
Mit Xavier Rusconi verbindet
Aude eine zärtliche Liebe.
10 | Paraplegie, März 2014Katzen und sie umsorgt ihren Freund Xavier. Nach der Operation kam sie zur Rehabilita- schwärmt sie immer noch: «Wir wanderten
Der Maurer, gleich alt wie Aude Jardin, war tion nach Nottwil ins Schweizer Paraplegi- mit Berbern und Kamelen durch die marok-
einst in einer ähnlichen Situation wie sie. Un- ker-Zentrum (SPZ). Dort verbrachte sie zehn kanische Wüste, von Quelle zu Quelle. Ich
tröstlich, unzufrieden, zum Extremsten be- Monate und machte gute Erfahrungen: konnte dank der Gruppe ins Hochgebirge,
reit – das Leben war eine einzige Misere, mit «Man sorgte sich um mich, die Therapien wir schliefen unter Zeltblachen im warmen
der er nur umzugehen wusste, indem er sie und Aktivitäten taten mir gut, auch die ande- Sand, sanft blies der Wind. Wir haben viel
zu ertränken versuchte. ren Patienten nahmen mich ernst. Ich blühte gesungen, wir genossen Ruhe und Zeit zur
Die beiden lachen, sie nehmen sich in den wieder auf.» Besinnung.»
Arm und sind glücklich, dass sie sich gefun- Aude Jardin wollte den Weg zurück in die
den haben. Gemeinsam haben sie in der Gesellschaft eigenständig finden und entwi- Arbeit als Naturheiltherapeutin
Zweizimmerwohnung in Morges bei Lau- ckelte ungekannte Energien. «Ich lernte den Ruhe und Besinnung, das sucht Aude seither
sanne eine «kleine Familie» gegründet. Feh- Rundumservice im SPZ schätzen, denn zuvor vermehrt. Und sorgt als Naturheiltherapeu-
len da nicht Kinder? «Das muss nicht sein», hatte man mich in Psychiatrie- und anderen tin, dass dies auch ihre Privatkunden finden:
sagen sie, denn sie balgen sich auch gerne mit Kliniken weggesperrt oder mit Medikamen- Sie gibt Reflexzonenmassagen an Ohren und
den Katzen. ten stillgelegt. Das zog mich noch mehr her- Füssen von Privatpatienten. Die Räumlich-
unter.» Nachdem sie in Nottwil entlassen keiten im Lausanner Vorort Denges stellt ihr
Stärke aus der Schwäche worden war, kam die Rollstuhlfahrerin in das Vincent Tabone in seiner Praxis zur Verfü-
Früher hatte Aude wenig zu lachen, konnte Therapiehaus Foyers du Rhône in Sion, wo sie gung. Der Physiotherapeut bewundert Aude
mit niemandem herumtollen. Der Abszess Xavier kennen lernte. Von den Naturerlebnis- Jardin: «Ich kenne Menschen im Rollstuhl,
wirkte wie eine durchgebrannte Sicherung, sen, die sie im Rahmen der Therapien machte, die passiv durchs Leben fahren und sich
die den Lebensnerv kappte. Der Wendepunkt von allen helfen lassen. Aude ist anders:
in ihrem Leben war das totale Versagen ihres Sie ist aktiv, sie will nützlich sein
Körpers, der ausgelaugt und geschwächt war. und etwas aus dem Leben
«Schwäche ist ein zu schwaches Wort!» Doch machen. Weil sie sich von
daraus entwickelte sie Stärke. Man staunt, Problemen nicht unterkrie-
wenn man die junge Frau flink hantieren gen lässt, sondern sofort
sieht. Die Unfähigkeit zu gehen kompensiert Lösungen sucht, arbeite ich
sie mit ihrem Rollstuhl. «Ich stand 2003 gerne mit ihr.»
vor dem Nichts», sagt Aude Jardin.PORTRÄT
Finanziell unterstützt wird Aude von der Leidenschaften enthusiastisch Querflöte: Klassik, Walzer,
Stiftung Esperanza, einer gemeinnützigen «Ich lebe eine Aude an die Natur», sagt sie Folk. Immer wieder setzen sie an zu «Katiu-
Institution von Rotariern aus der Region schmunzelnd und meint: Ode an die Natur. sha», einem eingängigen russischen Revoluz-
Lausanne, die jedes Jahr vier hilfsbedürftige Ihr Familienname, Jardin heisst Garten, ver- zerlied. Kunstfotografin Elena ist gerne bei
Personen bei Ausbildungen fördert. Aude pflichtet: Sie fühlt sich sehr mit der Natur Aude, weil diese sie anspornt: «Es gibt nichts,
kann sich deshalb in Genf als Naturheilthera- verbunden. Diese Leidenschaft pflegt sie re- das sie aufhalten könnte. Es heisst doch im-
peutin weiterbilden, wo sie Anatomie, Biolo- gelmässig, etwa, indem sie frisches Obst und mer, dass man Paraplegikern helfen müsse –
gie und Pathologie lernt. «Ich bin der Stiftung Gemüse auf dem Markt in Lonay bei Lau- doch bei uns war es umgekehrt: Als ich in die
sehr dankbar. Und weil mich diese Tätigkeit sanne einkauft. Oder wenn sie im Kräuter- Schweiz kam, unterstützte mich Aude.» Sie
motiviert, lerne ich leidenschaftlich. Da ich sel- laden Ariès Tee, Naturcremen und Duftöle half der Italienerin bei deren Integration in
ber lange Zeit krank war, habe ich grosses Ein- ersteht. Mit ihrem «Copain» Pierre-Alain der Westschweiz. Die beiden sind sich nah
fühlungsvermögen. Ich kann gut nachemp- kann sie stundenlang an den Gestaden des wie Schwestern.
finden, wenn sich jemand schlecht fühlt. Oder Genfersees spazierenfahren und philoso- Bei schlechtem Wetter sitzt Aude gemütlich
gar nicht zur Gesellschaft gehörig.» Einst liess phieren. mit Xavier auf dem Sofa. Sie hören Musik oder
Aude sich von niemandem helfen, jetzt ist sie Wenn ihre Freundin Elena Rusca den Weg schauen Videos. Dann gibt es zwei Pärchen:
demütig und gewillt, anderen zu helfen. von Martigny zu ihr findet, dann spielen sie Xavier und Kater Yoda liegen in aller Ruhe auf
der Couch; Isis und Aude tollen herum.
Manchmal fühle sie sich wie ein Baum, sagt
«Ich hatte mehrere
Aude: «Ich habe starke Wurzeln, dank der
Wertevermittlung durch meine Mama – man
kann mich zwar abschneiden, aber ich blühe
Leben – wie Katzen.»
bald wieder.» Weil Unkraut nicht vergeht? Sie
lacht: «Nein, ich bin stark und wiege elastisch
im Wind.» Sie habe Sinn gefunden in ihrem
Leben, wurde zur Optimistin, sie ist ausgegli-
chen. Mehr noch: «Ich kann fast sagen, ich
hatte mehrere Leben – wie Katzen.»
Aude bringt Xavier Glück
Innert zehn Jahren hat sie sich an ein Leben
im Rollstuhl gewöhnt. Sie vergisst ihr Gefährt
gar oft, und ihre Freunde nehmen es schon
gar nicht mehr wahr. Aude sagt: «Der Roll-
stuhl ist zwar ein Teil von mir, aber er ist nicht
ich.» Nein, zu ihr gehört heute vor allem
Xavier, ihr ruhiger Gegenpol. Was fasziniert
ihn an Aude? Er muss nicht lange überlegen:
«Sie ist lieb und hat einen ansteckenden
Humor. Ich bewundere ihren Willen ange-
sichts ihres Handicaps. Und vor allem gibt sie
mir Glück und Stabilität.»
11 Gesundheit. Aude kauft fast ausschliesslich
Biogemüse und -früchte.
2 Temperament. Mit Katze Isis tollt Aude Jardin
gerne herum.
3 Duett. Elena Rusca ist Audes Freundin,
gemeinsam spielen sie auf ihren Querflöten.
4 Austausch. Im Park am Genfersee spaziert
und philosophiert sie mit Pierre-Alain Daverio.
2
3 4
Paraplegie, März 2014 | 13REPORTAGE
Zu Hochgefühlen schweben Beim Fallschirmspringen oder beim Tauchen überlistet der Mensch die Gesetze der Schwerkraft und schwebt in einer völlig anderen Welt. Man lässt sich fallen, spürt das Körpergewicht nicht mehr, dafür grenzenlose Freiheit und das einzigartige Gefühl, mit den Elementen eins zu werden. Auch Querschnitt- gelähmte haben den Reiz solcher Freizeitaktivitäten längst entdeckt und wollen sich aussergewöhnliche Erlebnisse in der Luft und im Wasser nicht ent- gehen lassen. Um für einmal den Rollstuhl, mit dem sie leben, zu vergessen.
1
Text: Mathias Haehl | Bilder: Walter Eggenberger, Beatrice Felder und Astrid Zimmermann-Boog
G ebannt blickt Ramona König aus gros-
ser Höhe ins weite Mittelland. In einer
Fallschirmspringer-Montur sitzt sie mit
kleine Ewigkeit. Der 27-jährigen Kauffrau aus
Hindelbank (BE), ursprünglich Automechani-
kerin und seit einem Motorradunfall im Jahre
Abheben
Der Para-Sport-Club Triengen (LU) besteht
seit 1958 und gehört mit 200 Mitgliedern
acht anderen Personen im Pilatus Porter 6, 2006 auf einen Rollstuhl angewiesen, kom- zu den grössten seiner Art in der Schweiz.
einer Propellermaschine Jahrgang 1987, die men während des lauten Fluges leise Zweifel Rund 50 Personen der Freiwilligenor-
in leuchtendem Himmelblau lackiert ist. Die hoch. Sie fragt sich: «Will ich das wirklich? ganisation, darunter Instruktoren und
Frau wartet geduldig, bis der Pilot das Flug- Wird die Landung in der Wiese wohl prob- Piloten, engagieren sich vorab für eine
zeug in mehreren Schlaufen auf die Zielhöhe lemlos verlaufen? Und was passiert, wenn gründliche und zertifizierte Ausbildung
von 4300 Metern über Meer gezirkelt hat. mich der Tandemmaster nicht richtig fest- von Fallschirmspringern. Zudem führt der
Von dort aus, wo die Freiheit grenzenlos ist, halten kann?» PSC Triengen verschiedene Anlässe durch
gleicht die Welt unter ihr einer Miniatur: Die und stellt Teilnehmer an nationalen und
«Flying Ranch», Heimat des Para-Sport-Clubs Schweben, ja fliegen internationalen Wettkämpfen.
Triengen (LU), hat die Dimensionen eines Ihr Herz pocht schneller. Denn gleich wird sie Auf ein breiteres Publikum ausgerichtet
Spielzeug-Flugplatzes. Autos sind stecknadel- rasant auf die Erde zufallen. Sie wird schwe- ist das Angebot von Tandemsprüngen.
gross, die Mittelland-Seen kleine Pfützen, der ben, ja fliegen. Der Gedanke daran heizt Diese bieten selbst Unerfahrenen und
Pilatus ein Häufchen Kalkgestein. Ramona König ein, obwohl hier oben Tem- auch Menschen mit Querschnittlähmung
Nach den Sternen greifen kann die Passa- peraturen um den Gefrierpunkt herrschen. die Möglichkeit eines speziellen Erlebnis-
gierin hier zwar nicht – aber sie wird später Die Vorfreude jedoch überwiegt, denn sie ses zwischen Himmel und Erde.
leuchtende Sternchen in den Augen haben. kann sich bewegen, ist in ein Team mit Fuss-
Weitere Informationen:
Ramona König hat ihren «Jungfernflug» vor gängern integriert. «Das nenne ich Lebens-
www.psctriengen.ch
sich und 15 Minuten im Flugzeug sind eine freude, so spüre ich mich gerne!»
16 | Paraplegie März 2014REPORTAGE
in besten Händen. Der 42-jährige Aargauer
Wiedereingliederung
hat schon an die 5000 Absprünge hinter sich
und Solidarität
und ist Inhaber aller wichtigen Brevets – die
ideale Vertrauensperson. Die Schweizer Paraplegiker-Gruppe (SPG)
orientiert sich am Leitsatz «Wiederein-
Voller Lust auf den grossen Hupf gliederung vor Rente». Gemeinsames
Es ist so weit. Ramona König blickt durch die Ziel der Tätigkeit von mehr als 1400
offene Flugzeugtüre ins Freie – bangen Her- Fachleuten ist die ganzheitliche Rehabi-
zens, aber auch voller Lust auf den grossen litation von Menschen mit Querschnitt-
Hupf. Dann springt das Tandem: «Achtung, lähmung. Sie erhalten zielgerichtete,
fertig, los!» Innert Sekunden wird die Roll- wirksame Hilfe, auch zur bestmöglichen
stuhlfahrerin zur Königin der Lüfte. Schreck Re-Integration in die Gesellschaft. Wich-
und Freude huschen über ihr Gesicht. Sie tigste Ziele dabei sind die Rückkehr ins
keucht: «Soooo toll!» Und pumpt acht Minu- Erwerbsleben, Chancengleichheit im All-
ten lang das Adrenalin eines unvergesslichen tag und volle Teilhabe in allen Lebens-
Erlebnisses durch ihren Körper. bereichen. Sport und Freizeitaktivitäten
2
Heil und sanft auf der Wiese gelandet, dankt spielen eine wichtige Rolle. Rollstuhl-
sie dem Tandemmaster mit einem Lächeln. sport Schweiz, ein Bereich der Schweizer
«Ich konnte meinen Körper für einmal glatt Paraplegiker-Vereinigung (SPV), unter-
vergessen – was sonst schwer in den Rollstuhl stützt mehr als 20 Einzel- und Mann-
drückt, war federleicht und stiess auf keinen schafts-Sportarten. Zudem werden Kurse
Widerstand.» und Ausbildungen für Sportler, Trainer
45 Sekunden im freien Fall und Funktionäre angeboten.
Inzwischen werden die letzten Vorberei- Weitere Informationen: www.spv.ch
tungen getroffen. Am Bauch ihres Tandem-
masters Thomas Langenegger mit starken 1 Königin der Lüfte. Ramona König empfindet
Karabinerhaken vorgeschnallt, geht Ramona Schreck und Freude beim Absprung.
König in Gedanken nochmals durch, was sie 2 Trockenübung. Thomas Langenegger erklärt
zuvor in einer kurzen Einführung erklärt die ideale Körperhaltung beim freien Fall.
bekommen hat. Und jetzt, wo sie im Schoss 3 Sicherung. Stahlkarabinerhaken halten.
des 1,90-Meter-Hünen sitzt, hört sie seine 4 Zufriedenheit. Ramona König ist sanft gelandet
– und stolz.
sonore Stimme im Nacken: «Gleich erleben
wir 45 Sekunden im freien Fall, indem wir
die Arme von uns strecken und uns so in der
Luft stabilisieren. Wenn wir dann auf 1500
Metern Höhe den Fallschirm öffnen, hältst du
dich bitte wieder am Gstältli fest. Und dann
segeln wir geruhsam nochmals sechs, sieben
Minuten bis zur Landung. Das wird garantiert
berauschend.»
Bei Thomas Langenegger, dem routinierten
Instruktor des Para-Sport-Clubs Triengen 3 4
(PSC), weiss sich die Querschnittgelähmte
Paraplegie, März 2014 | 17REPORTAGE
Lebensfreude im Sport
Was die eine in der Höhe findet, sucht die
andere in der Tiefe: Ähnlich wie Ramona
König beim Fallschirmspringen kann
Monique Schacher beim Tauchen die Schwe-
relosigkeit erleben. Sie war einst Kranken-
pflegerin, heute arbeitet sie als Primarleh-
rerin. Ein gutartiger Tumor drückte ihr auf
die Wirbelsäule und unterband den Nerven-
strang, was zu einer Querschnittlähmung
führte.
Körperliche Aktivität gab der 35-jährigen
Frau aus Kriens (LU) seit jeher viel Lebens-
freude. Schon vor ihrem Schicksalsschlag war
sie eine «Sportskanone». Sie unterrichtete in
Whistler (Kanada) Snowboard und fuhr gerne
die steilsten Hänge hinunter. Heute sitzt sie 1 2
im Winter im Monoskibob, fährt im Sommer
Wasserski und erkundet die Seen und Meere
auch beim Tauchen. «Obwohl ich mein Brevet und nach oben schaust. Ich war in meinem des erhebenden Gefühls, der Ruhe im Wasser.
erst seit 2008 besitze, hab ich bereits mehr als Element.» Sie zittert am ganzen Körper vor Der 47-jährige Landis hat auch schon Tauch-
120 Tauchgänge gemacht», sagt die Frau mit Kälte, denn die Durchblutung ist bei Quer- gänge in tropischen Meeren gemacht, bei-
dem leuchtend orangen Haar. schnittgelähmten nicht so gut wie bei Fuss- spielsweise in Oman, vor Costa Rica oder auf
gängern. Doch schon bald kommt sie wieder den Malediven. Dort sind die Unterwasserer-
Mitten im Element stark ins Schwitzen, als sie sich mit der Aus- lebnisse gar noch überwältigender als in den
Orangefarben ist auch Monique Schachers rüstung abmüht. «Das Öffnen der Reissver- kalten, oft trüben und dunklen Seegewässern:
Tauchanzug, und breit ist ihr Lachen, als sie schlüsse ist ein Krampf.» Sie ist froh, dass ihr Sichtweiten bis zu 40 Meter, farbige Koral-
bei Regen in den Zürichsee eintaucht. Ein spontan jemand beim Ausziehen hilft. lenriffe und eine riesige Fischvielfalt. Peter
plötzlich einsetzendes Gewitter erlebt sie Landis schwärmt: «In diesem Reich der Tiefe
in zehn Metern Tiefe nur als dumpfes Rau- Verschmelzen mit der Umgebung werden auch alle meine Sinne vertieft. Da bin
schen der auf die Wasseroberfläche trom- Tauchern geht es im See nicht nur um Fauna ich ganz bei mir, ich fühle mich rundum wohl.
melnden Tropfen – es ist der beruhigende und Flora unter Wasser. Sie erleben viel mehr Und ich vergesse für Momente, dass ich ein
Rhythmus für ein Schwebeerlebnis, das wie als die pure Natur beim Abtauchen. «Ich habe Leben mit Rollstuhl führe.»
in Zeitlupe abläuft. Sie sagt: «Welch intensive Freiheiten, die ich sonst leider nicht mehr
Erfahrung! Ich kann langsam und tief atmen, kenne: Schweben, Flexibilität, Verschmelzen
mich elegant mit Armrudern bewegen. Ich mit der Umgebung», nennt es Peter Landis.
will möglichst wenig berühren, nur schauen Auf dem T-Shirt des Querschnittgelähmten
und geniessen.» aus Hirzel (ZH) steht «Extend your Limits»,
Wie entrückt taucht Monique Schacher nach erweitere deine Grenzen. Der Leiter Adminis-
einer guten halben Stunde wieder auf und tration in einer Holzbaufirma ist mit einem
wird von den Clubkameraden über die Stufen Prusten aufgetaucht – zum 150. Mal. Grund
ins Bootshaus getragen. «Toll war’s! Es ist ein- zum Jubeln hat er nicht nur wegen dem
drücklich, wenn du am Boden des Sees liegst Tauchgang-Jubiläum. Sondern auch wegen
18 | Paraplegie März 2014Matthias Strupler ist Chefarzt
Sportmedizin des Schweizer
Paraplegiker-Zentrums (SPZ) sowie
Leiter des Swiss Olympic Medical
Center in Nottwil.
«Den gelähmten Körper
besser akzeptieren»
Matthias Strupler, welchen Nutzen haben Freizeitaktivitäten wie
Tauchen und Fallschirmfliegen für Paraplegiker?
Das sind tolle Sportarten, weil im Wasser und in der Luft die Schwerkraft
ausgehebelt wird. Die gelähmten Beine stören dabei wenig. Zudem stär-
ken solche Erlebnisse und die Adrenalinschübe das Wohlbefinden und
das Selbstbewusstsein und helfen auch, den eigenen gelähmten Körper
besser zu akzeptieren. Aber wer im Sinne der Gesundheitsförderung fit
sein will, sollte das Kraft- und Ausdauertraining nicht vernachlässigen.
Weshalb ist Sporttraining für Menschen im Rollstuhl so wichtig?
Vorab einmal aus medizinischer Sicht: Bewegungsmangel ist ein Risiko-
faktor für Herz-/Kreislaufkrankheiten. Menschen, die sich im Rollstuhl
fortbewegen, sind besonders davon betroffen und müssen vermehrt
aktiv sein. Herz-/Kreislaufprobleme sind auch bei Querschnittgelähm-
ten die häufigste Todesursache, Gewichtzunahme und Störungen im
Cholesterin-Haushalt machen ihnen ebenfalls oft zu schaffen. Auch da
sorgt Sport für Abhilfe.
Fördert Sport auch die Selbstständigkeit von Querschnitt
gelähmten?
Ja, und noch mehr als bei Fussgängern korreliert bei Rollstuhlfahrern
3 die Unabhängigkeit im täglichen Leben mit der Fitness: Wer im Roll-
stuhl sein Körpergewicht mit purer Armkraft fortbewegt, ist sehr auf die
eigene Kraft und Ausdauer angewiesen, ansonsten ist er eher von anderen
Abtauchen
abhängig. Soziale Aspekte sind dabei auch wichtig.
Der Verein Rollstuhl-Taucher Zürich wurde 1982 von
Rollstuhlfahrern und Freunden gegründet. Die Mitglie-
Welche Sportarten sind bei Querschnittgelähmten beliebt?
der treffen sich regelmässig zu gemeinsamen Tauchtrai-
Sportarten, die Ausdauer und Kraft stärken: Ideal dafür sind Rennroll-
nings im See und im Hallenbad. Der Club organisiert
stuhlfahren und Handbike-Fahren. Auch Elektrorollstuhl-Hockey, Basket-
auch Tauchwochenenden in der Schweiz oder -ferien am
ball oder Rollstuhlrugby sind hoch im Kurs. Im Winter halten sich viele
Meer. In der Ausbildung und Zertifizierung hat sich HSA-
Querschnittgelähmte fit, indem sie Monoskibob fahren oder Langlauf
Switzerland, die Handicapped Scuba Association, einen
im Schlitten machen.
Namen gemacht.
Weitere Informationen: www.rtz.ch Welche Ziele und Herausforderungen bestehen für die Zukunft?
und www.hsa-switzerland.ch Es wäre wünschenswert, wenn alle Paraplegiker einsähen, dass Sport-
treiben Sinn macht. Es fördert Gesundheit und Selbstständigkeit, zudem
1 Ausrüstung. Monique Schacher bereitet die Tauchausrüstung vor. macht es auch Spass. Das Ziel sollte, wie bei den Fussgängern, sein, Sport
2 Integration. Tauchkollegen helfen ihr ins Wasser. lebenslang zu treiben: um der Gebrechlichkeit im Alter entgegenzuwirken
3 Erlebnis. Peter Landis gibt das Okay-Zeichen nach dem Auftauchen. und die Lebensqualität zu erhalten.
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21. Mitglieder-Versammlung
Mittwoch, 16. April 2014, 18.00 Uhr
Auditorium Guido A. Zäch Institut GZI, 6207 Nottwil
Traktanden
T
TREPPENLIF TE
1. Begrüssung
Heinz Frei, Präsident Gönner-Vereinigung
2. Jahresbericht des Präsidenten
3. Informationen der Schweizer Paraplegiker- Treppensteigen
Stiftung (SPS), Daniel Joggi, Präsident SPS
leicht gemacht
4. Abnahme der Jahresrechnung 2013 1)
5. Festlegung der Jahresbeiträge
6. Anträge von Vereinsmitgliedern 2)
BACO AG
7. Wahlen in den Vorstand Postfach • 3613 Steffisburg
8. Wahl der Kontrollstelle Tel. 033 439 41 41 • Fax 033 439 41 42
info@baco-ag.ch
9. Informationen www.baco-treppenlifte.ch
10. Varia
1)
ie Jahresrechnung 2013 kann ab 26. März 2014 auf www.paraplegie ch/Gönner-Vereinigung/
D Bestellung
Publikationen/Downloads eingesehen oder schriftlich angefordert werden bei: Gönner-Vereinigung
der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Guido A. Zäch Strasse 6, 6207 Nottwil
GRATIS-Unterlagen:
2)
nträge an die Mitglieder-Versammlung sind bis 21. März 2014 (Poststempel) einzusenden an:
A
Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Guido A. Zäch Strasse 6, 6207 Nottwil
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Anmeldung Mitglieder-Versammlung 2014
❏
❏ GRATIS Beratung zu Hause
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Vorname:
Vorname Name:
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PLZ/Ort:
PLZ/Ort
Telefon:
Gönnernummer
Ich nehme an der Mitglieder-Versammlung teil.
Bitte senden Sie den Anmeldetalon bis 26. März 2014 an: Gönner-Vereinigung Schweizer
Paraplegiker-Stiftung, Guido A. Zäch Strasse 6, 6207 Nottwil.
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Anmeldung online: www.paraplegie.ch/Gönner-Vereinigung/Mitgliederversammlung.ZUR SACHE
Hindernislauf im Rollstuhl
Das Bundesgesetz zur Beseitigung der Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen
sieht vor, dass der öffentliche Verkehr bis 2023 auch an die Bedürfnisse von Querschnittgelähmten
angepasst wird. Einiges ist erreicht, aber es gibt immer noch viel zu tun. Das zeigte eine Fahrt
mit Rollstuhlfahrer Hans Frei.
Text: Mathias Haehl | Bilder: Walter Eggenberger
B ahnhof Landquart, ein klirrend kalter
Wintermorgen, Reif liegt auf den Bahn-
steigen. 10.10 Uhr, Hans Frei sitzt im Roll-
der 59-jährige St. Galler über den Regional-
zug. Mit dem Intercity geht es via Zürich
weiter nach Bern zu einer alle sechs Monate
14 Jahren für Verkehrspolitik, Respekt vor
der Umwelt und Sicherung der Sozialwerke
eingesetzt. Und vor allem: Frei weiss, wovon
stuhl im Viererabteil des Zuges, der ihn von stattfindenden Sitzung mit Sozialminister er spricht: Der Jurist ist seit einem Skiunfall
Scuol ins Tiefland gebracht hat. Neda Jerg, Alain Berset. vor 35 Jahren querschnittgelähmt und auf
Mobi-Helferin der SBB, klappt vom Perron den Rollstuhl angewiesen. Er erinnert sich
aus die Rampe des Mobilifts auf rund einem Reichlich Selbsterfahrung an Zeiten, in denen er in den Zügen in den
Meter Höhe in die offene Zugtüre. Hans Frei Als Präsident von Procap, der grössten Gepäckwagen geschoben wurde. «Das war
ruckelt hin und her, schwingt seinen Roll- Schweizer Selbsthilfeorganisation für Men- eine Zumutung!», findet er. Von «Diskrimi-
stuhl auf die Hebebühne und lässt sich von schen mit Behinderung, macht Frei sich für nierung» wie Kollege Joe Manser, Zürcher
der Helferin sanft aufs Perron senken. barrierefreien öffentlichen Verkehr (ÖV) Gemeinderat im Rollstuhl, will er zwar nicht
«Ich bin froh, dass ich die Fahrt mit diesem stark. Schon vorher, als CVP-Vertreter im sprechen, aber er sagt: «Handlungsunfähig
‚alten Schlitten‘ hinter mir habe», sagt Kantonsrat St. Gallen, hat er sich während fühle ich mich manchmal schon, wenn ich
Vorbildlich. Die Billettautomaten sind für Hans Frei Veraltet. Neda Jerg, eine Mobi-Helferin der SBB, holt
«unterfahrbar» und somit gut zugänglich. Hans Frei aus dem «alten Schlitten» aufs Gleis.
22 | Paraplegie, März 2014Umständlich. Beim Umsteigen
am Hauptbahnhof Zürich
kommt Hans Frei vor allem bei
viel Personenverkehr in Stress.
Paraplegie, Februar 2013 | 23– Anzeige –
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