Pegida & Co - Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens1
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betrifft: Bürgergesellschaft 41 März 2014 Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens1 Dieter Rucht Scheinbar aus dem Nichts hat sich seit dem 13. Europa“ (DDfE). Vieles deutet darauf hin, dass Oktober 2014 in Dresden eine Protestbewegung Pegida & Co. bald vom politischen Markt ver- mit dem Kürzel Pegida („Patriotische Europäer schwinden wird. Viel Lärm also um nichts? gegen die Islamisierung des Abendlandes“) ge- Nein, Pegida & Co. verdienen politische wie ana bildet. Sie fand bald Nachahmer in etlichen lytische Aufmerksamkeit – unabhängig davon, Städten der Bundesrepublik und auch im Aus- dass es sich wahrscheinlich nur um eine Episo- land. Die Bewegung wuchs von Woche zu Wo- de handelt. che und stieß auf ein überbordendes mediales Im ersten Teil dieses Beitrags soll das Erschei- Interesse. Mit ihrer 12. Montagsdemonstration nungsbild von Pegida samt seiner taktisch kal- am 12. Januar 2015 erreichte sie ihren quantita- kulierten Mehrdeutigkeit näher betrachtet wer- tiven Höhepunkt mit – laut überhöhten Anga- den. Im zweiten Teil stehen die öffentlichen Re- ben der Polizei – 25.000 Demonstrierenden. aktionen auf Pegida im Mittelpunkt. Der dritte Von da an ging es bergab. Der Zerfall von Pegida Teil wendet sich den Tiefenströmungen zu, aus offenbarte sich am rapiden Rückgang der Teil- denen sich Pegida speist. Zuletzt geht es um die nehmerzahlen, am Streit der Dresdener Veran- Frage: Was tun? stalter mit Organisatoren von Pegida-Ablegern Der hier vorgelegte Beitrag kann empirisch we- in anderen Orten um die richtige Linie und die nig Neues bieten. Er verfolgt vielmehr den Zweck, Erlaubnis, den Namen Pegida zu nutzen, schließ die verstreuten Informationen zu bündeln und lich am internen Zerwürfnis des Dresdener eine vorläufige politische Einschätzung des Phä „Orga-Teams“. Dieser Streit führte zum Austritt nomens Pegida zu bieten. Dies geschieht primär von fünf Mitgliedern des Leitungsgremiums und aus der Beobachterposition eines Forschers, der zur Gründung einer konkurrierenden Organi- sich jahrzehntelang mit politischem Protest und sation, des Bündnisses „Direkte Demokratie für sozialen Bewegungen im In- und Ausland be- fasst und auch eine Studie2 zu Pegida initiiert 1 Beitrag für die Schriftenreihe „betrifft: Bürgergesell- schaft“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, abgeschlossen am hat. 15. Februar 2015. Ich danke Roland Roth für hilfreiche Hinweise, die sich insbesondere auf den Schlussteil die 2 https://protestinstitut.files.wordpress.com/2015/01/ ses Beitrags beziehen. protestforschung-am-limit_pegida-studie.pdf. Arbeitskreis www.fes.de/buergergesellschaft – Der Arbeitskreis wird gefördert von der Erich-Brost-Stifung. Bürgergesellschaft Leitung: Dr. Michael Bürsch. Koordination: Bettina Luise Rürup, Forum Politik und Gesellschaft, und Aktivierender Friedrich-Ebert-Stiftung, 10785 Berlin, E-Mail: Luise.Ruerup@fes.de Staat
betrifft: Bürgergesellschaft Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens 1. Das Erscheinungsbild von Pegida & Co. Die von außen sichtbare Seite von Pegida, also und politisch oder religiös Verfolgten. Das ist Pegida als Oberflächenphänomen, ist gut doku- Menschenpflicht!“ mentiert. Aufgrund einer Fülle von O-Tönen, Über das Innenleben von Pegida ist dagegen Medienberichten und Kommentaren kann man wenig bekannt. Den Anfang bildete eine Face- sich ein Bild machen. Bis dato wurden zudem book-Kommunikation von Lutz Bachmann, Ini vier Befragungen von Pegida-Anhängern vor- tiator und bis dato wichtigste Figur von Pegida. gelegt3, die jedoch nur einen kleinen, mit Si- Als Verein wurde Pegida am 14. November in cherheit nicht repräsentativen Ausschnitt erfas- Dresden gegründet und am 19. Dezember 2014 sen und insofern auch, entgegen manchen Be- in das amtliche Register eingetragen. Zwölf Per- hauptungen, kein Bild des typischen Pegida- sonen, die fortan – und weitgehend ohne nament Anhängers zeichnen können. Weiterhin liegen liche Nennung – als „Orga-Team“ auftraten, sind Analysen der Facebook-Freunde von Pegida Gründungsmitglieder. Lutz Bachmann wurde vor. Am 20. Februar 2015 wurden dort knapp zum ersten Vorsitzenden, René Jahn zu seinem 160.000 „Likes“ (gefällt mir) verzeichnet.4 Diese Stellvertreter und Kathrin Oertel als Kassiererin Analysen zeigen in aller Deutlichkeit, dass sich gewählt. Später hatte sich das Team stillschwei- Pegida keineswegs als Bewegung harmloser Nor gend auf zehn Köpfe reduziert. Abgesehen von malbürger_innen verstehen lässt.5 Insgesamt bie Bachmann und Oertel, die seit Dezember 2014 tet sich ein schillerndes, teilweise widersprüch- auch als Pressesprecherin firmierte, aber zu- liches Bild, dessen rechtspopulistische, auslän- nächst kaum zu Interviews bereit war, blieben derfeindliche und in Teilen auch rassistische die Mitglieder des Orga-Teams völlig im Hinter Grundierung immer deutlicher hervortrat, auch grund. Interne Zuständigkeiten, Entscheidungs wenn daneben, und insbesondere im 19-Punkte- prozesse wie auch das Zustandekommen und Programm, teilweise moderate Töne angeschla- die Autorenschaft der inzwischen drei Positions- gen werden. Unter Punkt 1 heißt es: „PEGIDA bzw. Forderungskataloge6 sind bis heute im ist FÜR die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen Dunkeln geblieben. 3 Befragt wurden Pegida-Anhänger von einer Gruppe um den Dresdener Politikwissenschaftler Hans Vor- länder, einer Gruppe von Berliner und Chemnitzer So- 6 Das knapp gehaltene „Positionspapier der Pegida“ wur zialwissenschaftler um den Berliner Soziologen Dieter de am 10. Dezember 2014 veröffentlicht. Es beinhaltet Rucht, Mitarbeiter_innen des Göttinger Instituts für De eine partielle Abkehr von vormals offensiveren Forde- mokratieforschung um den Politikwissenschaftler Franz rungen, zumal der Begriff „Islamisierung“ in diesem Walter und schließlich eine Gruppe unter Leitung des Papier nicht erwähnt wird. Am 12. Januar 2015 wurde Dresdener Politikwissenschaftlers Werner Patzelt. das Programm durch sechs Punkte ergänzt, die Bach- 4 Zur Zusammensetzung der Facebook-Freunde von mann als einer der Redner verkündete. Schließlich pu- Pegida siehe: http://www.pegida-mag-dich.de/ sowie blizierte Pegida im Februar die „Dresdener Thesen“, ZEIT-online vom 5. Februar 2015: http://www.zeit.de/ deren zehn Punkte teilweise bisherige Forderungen in gesellschaft/zeitgeschehen/2015-02/wer-ist-pegida- ähnlichem Wortlaut wiederholen, teilweise aber auch facebook-daten. neue Anliegen formulieren, darunter die „Reformation 5 Dies ist die immer wiederkehrende Selbststilisierung der Familienpolitik sowie des Bildungs-, Renten- und der Protagonisten von Pegida. Zum Beispiel meinte Steuersystems“ sowie die „Ablehnung von TTIP, CETA Kathrin Oertel in ihrer Rede am 12. Januar 2015: „Wir und TISA und ähnlichen Freihandelsabkommen“. Die- sind weder radikal oder fanatisch; wir sind eine Bür- se Thesen wurden, in Anlehnung an Martin Luthers gerbewegung, die montäglich ihr Recht in Anspruch historischen Akt, von Bachmann an die Tür der Dres- nimmt und ihre Meinung mit einem friedlichen Spa- dener Kreuzkirche geklebt, auf Veranlassung des zu- ziergang durch unser schönes Dresden demonstriert.“ ständigen Pfarrers jedoch umgehend wieder entfernt. 2
betrifft: Bürgergesellschaft Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens Auch wissen wir nur wenig über Zusammenset- aus intensiver kennenzulernen, als dies bei an- zung und Haltungen der Mehrzahl der De- deren Protestbewegungen vergleichbarer Größe monstrierenden. Vieles bleibt bislang Spekula der Fall ist. tion oder beruht auf fragwürdigen Verallgemei- Die Auftritte von Pegida kennzeichneten eine nerungen öffentlicher Aussagen aus den Reihen teils kalkulierte, teils den Umständen geschulde von Pegida oder Ergebnissen der vier bislang te Mischung von Unprofessionalität und Impro vorliegenden Befragungen. visation auf der einen Seite und einer sorgsamen Pegida & Co. treten öffentlich auf, laden zu ihren Lenkung, Orchestrierung und Effekthascherei sog. „Spaziergängen“ und Kundgebungen ein, auf der anderen Seite. Ankündigungen von Pro- halten Reden vor ihrer Anhängerschaft, begrü- testveranstaltungen erfolgten fast ausschließlich ßen mit jovialem Hallo die Bürger von Dresden über das Internet. Die Treffen begannen am frü (viel Beifall), Deutschland (viel Beifall) und Eu- hen Abend und vollzogen sich – jahreszeitlich ropa (sehr dünner Beifall), wollen offenkundig bedingt – in der Dunkelheit. Die logistischen Sichtbarkeit und Medienresonanz. Andererseits Mittel waren bescheiden. Ein relativ kleiner Laut bestand ein Alleinstellungsmerkmal der Orga- sprecherwagen diente als Bühne für die Red- nisatoren von Pegida darin, sich gegenüber den ner_innen. Einige von ihnen verkörperten die etablierten Medien zu verweigern, diese pau- lokale Verankerung und figurierten als einfache schal als „Lügenpresse“ zu beschimpfen, zunächst Leute, die mit schlichten und zuweilen unbehol alle Anfragen nach Interviews zurückzuweisen fenen Worten die Dinge auf den Punkt zu brin- und auch die Teilnehmer_innen der „Spazier- gen suchten. Zugleich aber waren ihre Reden gänge“ aufzufordern, den Kontakt mit Medien- durchzogen von Andeutungen und Ambivalen- vertretern zu meiden. Gerade diese ostentative zen, in denen das Publikum das zu Ende den- Verweigerung hat das mediale Interesse enorm ken konnte, was man nicht offen auszusprechen beflügelt und dazu geführt, möglichst viel von wagte. Daneben traten gelegentlich Gastredner8 Pegida zu zeigen, die Biografien ihrer Organisa- auf, die an Diskurse jenseits der Stammtische toren zu recherchieren und eine Fülle von Mate anknüpften, indem sie intellektuelle Gewährs- rial, darunter auch ungeschnittene Bildstrecken7 leute, etwa den Publizisten Henrik Broder, zi- sowie komplette Redebeiträge, der breiten Öf- tierten oder auch Brücken hin zu einer gesamt- fentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Auf die- deutschen, ja vermeintlich europäischen Bewe- sem Wege war es möglich, die sich gleichsam als gung symbolisieren sollten. Bemerkenswert ist Massenkörper präsentierende Bewegung wie in diesem Zusammenhang die Grußbotschaft, auch einzelne ihrer Gesichter – allen voran der die der niederländische Islam-Kritiker Geert Initiator Lutz Bachmann und die später als Pres Wilders am 25. Januar 2015 an seine „lieben sesprecherin auftretende Kathrin Oertel – weit- Freunde in Dresden“ richtete. Sie begann mit folgenden Worten: 7 Besonders instruktiv ist das Bild- und Tonmaterial, wel ches das politische Magazin Panorama (NDR) unge- „Es ist wirklich fabelhaft, was hier in Dresden schnitten und in einer Gesamtlänge von 68 Minuten passiert. Dresden zeigt, wie’s geht! Ganz Euro zur Verfügung stellte (siehe: https://daserste.ndr.de/ pa schaut auf Euch. Ihr seid nicht allein. Ihr seid panorama/archiv/2014/Kontaktversuch-Luegenpresse- trifft-Pegida-,pegida136.html). Darin enthalten ist auch ein Interview mit einer Person, die sich als Anhänger 8 Siehe: http://www.epochtimes.de/Pegida-Demo-Dresden- von Pegida ausgab, aber später als ein Journalist des Geert-Wilders-Gruss-am-2501-Ganz-Europa-schaut- TV-Kanals RTL enttarnt wurde. auf-Euch-a1216807.html. 3
betrifft: Bürgergesellschaft Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens Teil von etwas ganz Großem – in Deutschland, siven Äußerungen und Gesten bedacht. Gele- in Holland, in ganz Europa. Ihr erfüllt die Hoff gentlich verdeckten Demonstrierende die Ob- nung vieler. Ihr seid die Stimme des Volkes ge jektive von Foto- und Filmkameras oder stießen gen die Eliten. Ihr seid das Volk!“ ihnen entgegengereckte Mikrofone zur Seite. Mit Blick auf die Publikumsreaktionen während Auffällig war die große Zahl von mit Armbinden diverser Reden waren neben Beifall, Buh-Rufen gekennzeichneten Ordnern (darunter einige we und abwertendem Gelächter (z.B. bei einem Hin nige Frauen), die sich bei der stationären Kund- weis auf „die Generalsekretärin der SPD mit dem gebung unter die Demonstranten mischten und unaussprechlichen Namen“) die immer wieder den Marsch auf beiden Seiten flankierten. Zu- aufkommenden Sprechchöre mit den Hauptbot dem waren auch optisch als solche nicht gekenn schaften „Wir sind das Volk“ und „Lügenpresse“ zeichnete Ordner im Einsatz, die untereinander zu hören. Diese Äußerungen erfolgten zum Teil kommunizierten. spontan als Unterbrechung oder Begleitmusik der Reden. Teilweise reagierten sie auch auf den Dem Marsch, der bei den meisten Veranstaltun Stimulus einer bewusst gesetzten Kunstpause, gen wieder zum Ausgangspunkt zurückführte, welche einer markigen Aussage folgte. folgte in der Regel eine Abschlusskundgebung mit weiteren Reden, bevor sich die Versammel- Den Reden während der stationären Auftaktver ten auf den Heimweg machten. sammlung (in der Regel auf einer großen gräser nen Freifläche in der Nähe der Innenstadt) folg- Die Teilnehmer_innen der Veranstaltungen prä te ein Demonstrationszug, dessen Wegstrecke sentierten sich sowohl bei den Kundgebungen – wohl wegen zu befürchtender Gegendemonstra als auch beim Marsch als ein relativ dicht ge- tionen – meist vorab nicht bekannt gegeben wur packter kollektiver Körper, von dem, nach Wahr de. Die Ansage lautete: „Wir bitten Euch, dem nehmung unserer zahlreicher Beobachter_innen, Führungsfahrzeug der Polizei zu folgen und sowohl ein Signal der Ruhe und Disziplin als auch Anweisungen der Polizei zu beachten.“ An der der Bedrohung ausging. Es gab kaum lockere Spitze des Zuges wurde ein Fronttransparent Grüppchen oder Zonen des Übergangs hin zu den mit der Aufschrift „Gewaltfrei & vereint gegen Neugierigen. Während des Marsches wurden am Glaubenskriege auf deutschem Boden!“ getra- Rande laufende Personen immer wieder von Ord gen. Dicht dahinter folgten die „Offiziellen“ so- nern dazu gedrängt, sich in den Zug einzureihen. wie der „harte Kern“ von Pegida, bestehend aus Dieses weitgehend uniforme Erscheinungsbild der Gruppen von Männern zumeist mittleren Alters, Montagsspaziergänge wurde bis zum 12. Januar, deren Outfit und Auftreten sie als „Rechte“, Fuß dem Tag des stärksten Aufmarsches in Dresden9, ballfans bzw. Hooligans bzw. als Machos erken- 9 Die Dresdener Polizei sprach von 25.000 Teilnehmer_in nen ließ. Zur Mitte und vor allem gegen Ende nen, Lutz Bachmann sogar von 40.000. Auf Basis durch des Zuges hin lockerte sich das Bild insofern auf, aus divergierender Schätzungen mehrerer unserer Beob als auch Frauen, ältere Ehepaare und eher „bür- achtergruppen kamen wir dagegen auf eine Zahl von rund 17.000 Pegida-Demonstrierenden an diesem Tag gerlich“ erscheinende Personen vertreten waren. (vgl. Dieter Rucht: Wie viele haben demonstriert? Ein Gelegentlich wurden auch Fackeln getragen. Am Dossier aus aktuellem Anlass, http://protestinstitut.eu/ Rande stehende Personen und insbesondere 2015/01/23/wie-viele-haben-demonstriert/). Eindeu- tig rechtsradikale Kundgebungen versammelten in der Presseleute wurden teilweise ignoriert, teilweise Bundesrepublik bislang kaum mehr als 5.000 bis 7.000 aber auch misstrauisch beäugt oder mit aggres- Menschen, so etwa bei den Demonstrationen gegen die 4
betrifft: Bürgergesellschaft Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens beibehalten. Die Bewegung hatte von Woche zu In den nachfolgenden Tagen und Wochen über- Woche an Zulauf gewonnen. Ein Redner zählte schlugen sich die Ereignisse. Der Auftritt von an diesem Abend „aktuelle“ Ableger in 31 deut- Kathrin Oertel, die bereits zuvor zur Presse- schen Städten bzw. Regionen auf und kündete sprecherin von Pegida gekürt worden war, bei den Aufbau weiterer Gruppen an. Zudem wur- der Talksendung von Günther Jauch am 18. Ja- de in der Presse von Pegida-Initiativen im Aus- nuar signalisierte den Bruch mit der Verweige- land berichtet. Zu lesen war Mitte Februar 2015 rungshaltung gegenüber den Medien. Die für von Bestrebungen zur Gründung von Pegida- den Folgetag anberaumte Pegida-Veranstaltung Ablegern bzw. öffentlichen Auftritten in der wurde von den Behörden „aus Sicherheitsgrün- Schweiz, Österreich, Belgien, den Niederlanden, den“ abgesagt. Den Hintergrund dafür bildeten Schweden, Norwegen und Großbritannien. Al- der Terroranschlag gegen Charlie Hebdo sowie lerdings blieb es bislang bei kleinen Demonstra- eine nicht weiter konkretisierte Bedrohung der tionen. So versammelten sich beispielsweise bei Person von Lutz Bachmann. Die zunächst für einer ersten Pegida-Kundgebung im schwedi- Montag, den 26. Januar, angekündigte Pegida- schen Malmö am 9. Februar nur gut 30 Perso- Veranstaltung wurde kurzfristig von den Orga- nen. Ihnen standen rund 4.000 Menschen unter nisatoren auf den Sonntag Nachmittag vorgezo- dem Motto „No Pegida Sweden“ gegenüber (die gen, da zeitgleich zur ursprünglich geplanten tageszeitung vom 11.02.2015, S. 10). Veranstaltung ein breites Gegenbündnis eine politisch ausgerichtete Musikveranstaltung mit Mit der Zahl der Pegida-Ableger hatte sich auch prominenten Künstlern annonciert hatte.11 Der die der Gegenveranstaltungen immer weiter er- Zulauf zu diesem bunten Treffen übertraf mit höht, wobei sich eine signifikante Ost-West-Dif- rund 22.000 Teilnehmern (Polizeiangabe) den ferenz abzeichnete. Um Mitte Januar 2015 rech- der Pegida-Demonstration mit 17.300 Teilneh- neten noch fast alle Beobachter und wohl auch mern (Polizeiangabe). Damit war gleichsam der die Organisatoren in Dresden mit einem weite- Bann gebrochen, zumal Pegida an anderen Or- ren Zuwachs von Pegida & Co., während kaum ten, mit Ausnahme von Leipzig, kaum in nen- jemand den Höhepunkt der Bewegung als be- nenswertem Ausmaß Fuß zu fassen vermochte reits erreicht oder gar überschritten sah.10 und sich Gegenprotest selbst an Orten regte, wo Pegida-Ableger bislang weder angekündigt, ge- schweige denn öffentlich aufgetreten waren. Wehrmachtsausstellung in München am 1. März 1997 mit rund 5.000 Demonstrierenden (und etwa doppelt Bereits in dieser Phase waren Konflikte zwischen so vielen Gegendemonstranten; siehe: Marcus Busch müller: Proteste gegen die extreme Rechte in Mün- den Organisatoren in Dresden und denen an an chen, in: Zara S. Pfeiffer (Hrsg.): Proteste in München deren Orten – insbesondere Legida in Leipzig – seit 1945. München: Volk Verlag 2011, S. 241-251, aufgekommen, wo in deutlich höherem Maße als hier S. 244) sowie einer NPD-Kundgebung am 1. Mai 1998, bei der „der NPD-Landesvorsitzende Winfried in Dresden rechtsradikale Personen und Grup- Petzold 7.000 vorwiegend jugendliche deutsche Patrio ten in Leipzig begrüßen“ konnte (siehe: http://www. 11 Nicht ohne einen seltenen Anflug von Ironie begrün- npd-leipzig.net/wir-uber-uns/). deten die Pegida-Organisatoren die Vorverlegung da- 10 Diese erklärtermaßen gewagte Perspektive, die ich am mit, dass auch ihrer Anhängerschaft die Teilnahme an Ende der Pressekonferenz am 12. Januar 2015 in Ant- der musikalisch attraktiven Gegenveranstaltung er- wort auf die Frage eines Journalisten vertrat, geriet zu möglicht werden solle. Die Gegenveranstaltung wurde einer der medialen Hauptbotschaften über diese Ver- organisiert vom Verein „Dresden – Place to be“ unter anstaltung, zumal sie von der Presseagentur dpa in den dem Motto „Offen und bunt – Dresden für alle“ vor Vordergrund gerückt wurde. der Frauenkirche. 5
betrifft: Bürgergesellschaft Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens pen das Geschehen beeinflussten. Diese Diffe- Bereits am 2. Februar gaben die Abtrünnigen renzen führten u.a. zu dem hilflosen Bemühen die Gründung ihres Vereins Direkte Demokratie Bachmanns, mögliche Pegida-Ableger durch die für Europa bekannt. Die neue Gruppe positio- Dresdener Stammorganisation zu zertifizieren niert sich „rechts neben der CDU“, versteht sich und damit auf Linie zu bringen. Auch zwischen als bürgernah und konservativ und will vor al- solchen Ablegern, etwa Dügida (in Düsseldorf) lem mehr Bürgerbeteiligung und mehr direkte und Duigida (Duisburg), kam es zu ideologi- Demokratie verwirklichen. Die erste öffentliche schen Auseinandersetzungen. Protestveranstaltung des Vereins fand unter Be- teiligung von rund 500 Menschen am Sonntag, Am 27. und 28. Januar wurden die schon zuvor den 8. Februar, am Dresdener Neumarkt statt. schwelenden Konflikte im Dresdener Orga-Team Im Mittelpunkt stand eine etwa 17-minütige, öffentlich gemacht, die sich nicht zuletzt auf die vom Blatt verlesene dröge Rede der Galionsfigur dubiose Person und exponierte Rolle von Lutz Kathrin Oertel. Darin spielte das Thema Islami- Bachmann bezogen hatten. Nachdem schon Wo sierung keine Rolle mehr. Zugleich wurde aber chen zuvor die imposante kriminelle Karriere betont, man sei „keine Gegenveranstaltung zu Bachmanns bekannt geworden war, sorgten nun Pegida“ und wisse sich in den Zielen einig, wenn ein Foto Bachmanns mit Hitler-Bart sowie seine gleich man fortan unterschiedliche Mittel und verächtlichen ausländerfeindlichen Einträge im Wege wähle.12 Facebook-Netzwerk für Empörung und zogen noch laufende Ermittlungen gegen Bachmann Am folgenden Tag fand in Fortsetzung der Mon wegen Volksverhetzung nach sich. Diese Vorgän tagsdemonstrationen die Protestkundgebung ge hatten bereits am 21. Januar zu Bachmanns der verbliebenen Pegida-Organisatoren statt, an Rücktritt aus der ersten Reihe der Pegida-Orga- der sich nun allerdings nur noch rund 2.000 nisatoren geführt, aber die Lage nicht beruhigt, Menschen beteiligten (5.000 waren bei den Be- zumal Bachmann hinter den Kulissen an seinem hörden angemeldet). Lutz Bachmann, der vor Führungsanspruch festzuhalten schien. Am 25. der Spaltung des Orga-Teams in die zweite Rei- Januar trat Frank Ingo Friedemann als Mitglied he zurückgedrängt worden war, trat nun erneut des Vorstands zurück. Ihm folgten zwei Tage als erster und zugleich Hauptredner auf und be- später Achim Exner, René Jahn, Bernd-Volker kräftigte die bereits früher eingeschlagene Linie. Lincke, Kathrin Oertel und Thomas Tallacker. Seine ausländerfeindlichen Sprüche („gelumpe“, Jahn, bislang zweiter Vorsitzender des Vereins, „dreckspack“, „viehzeug“), die im Internet kur- sierten, seien verkürzt wiedergegeben worden. äußerte am 28. Januar gegenüber der Zeitung Im Übrigen habe er lediglich Worte gewählt, von „Bild“: Mit diesem Nazi-Zeug und den rechten denen er sicher sein, das sie „jeder, wirklich je- Äußerungen möchte ich nichts zu tun haben.” der von uns schon einmal am Stammtisch be- Somit hatte sich der Vorstand auf fünf Personen nutzt hat“. Tatjana Festerling, die zuvor als AfD- – Bachmann, seine Gattin, Tom Balazs, Stephan Politikerin in Hamburg hervorgetreten war und Baumann und Siegfried Däbritz – verkleinert. Sympathien für die Kölner „Hooligans gegen Sa Wegen „Uneinigkeit“ wurde die nächste anste- lafisten“ bekundet hatte, beklagte in ihrer Dres- hende Montagsdemonstration am 2. Februar ab gesagt. Nun kam auch die Frage auf, ob es am 12 Die komplette Rede von Oertel wurde als Video vom Mitteldeutschen Rundfunk ins Netz gestellt: http:// darauf folgenden Montag zwei konkurrierende w w w.mdr.de/s achs en/ddfe-premiere100_zc- Demonstrationen geben werde. f1f179a7_zs-9f2fcd56.html. 6
betrifft: Bürgergesellschaft Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens dener Rede die in der Öffentlichkeit herrschen- Februar 2015 sprach die Polizei von 4.300, Bach de „Nazi-Paranoia“. mann dagegen von 10.300 Demonstrierenden. Damit sind die Weichen für eine absehbare Zu- Der sich moderat, bürgernah, rechtspopulistisch kunft gestellt. Die zuvor nur scheinbar geeinten und prodemokratisch gebende „weiche“ Kern zwei Flügel der Pegida-Bewegung haben sich läuft programmatisch und organisatorisch gleich heillos zerstritten und organisatorisch verselbst sam ins Leere, weil die Forderungen nach „mehr ständigt. Demokratie“ seit Jahrzehnten zum Kernbestand Der „harte“, explizit ausländerfeindliche, rechts- linker und links-alternativer Gruppierungen ge radikale und rassistische Kern wird versuchen, hören, dort aber von einer gut gebildeten, akti- seine Linie fortzusetzen und zugleich den Pro- vistischen und infrastrukturell abgestützten Ba- test bundesweit in die Fläche zu tragen. Dieses sis getragen werden, die sich mit rechtspopulis- Unternehmen wird sich für einige Zeit und un- tischen Ansinnen nicht gemein machen wird. ter regional sehr unterschiedlichen Konstellatio Es ist somit wahrscheinlich, dass ein Teil des nen fortsetzen, aber voraussichtlich keine Mas- derzeit aufgewühlten rechtspopulistischen Was- senbasis finden. Es fällt auf, dass die Organisato sers auf die parteipolitische Mühle der Partei ren, die bislang die Zahlenangaben der von ihnen Alternative für Deutschland (AfD) gelenkt wird, so hoch gelobten Polizei kommentarlos über- aber keinen starken außerparlamentarischen nommen hatten, zunehmend mit eigenen und Druck zu entfalten vermag. Pegida & Co, nicht weitaus übertriebenen Zahlen aufwarten. Mit jedoch die sie speisenden Unterströmungen (sie Blick auf den „15. Montagsspaziergang“ am 16. he Abschnitt 3.), nähern sich damit ihrem Ende. 2. Die öffentlichen Reaktionen In Relation zur insgesamt doch eher bescheide- schaftlichen Studien, aber nur selten in einer nen Stärke von Pegida (die Lichterketten gegen markanten Protestbewegung gezeigt hatte. Die rechtsradikale und ausländerfeindliche Bestre- gelegentlich vorgenommene Zuschreibung als bungen Ende 1992/Anfang 1993 brachten in ein „Wutbürger“, die in diskreditierender Weise und zelnen Städten jeweils Hunderttausende von seltsamer Verquickung für die Protestierenden Menschen auf die Straße) fällt auf, welch enor- gegen das Projekt Stuttgart 21 und die aggressiv me Beachtung Pegida in den bundesdeutschen auftretenden Befürworter der Ideen von Thilo und auch ausländischen Medien fand und wie Sarrazin vorgenommen wurde13, ist insofern zu viele Vertreter der etablierten Politik Pegida kom treffend, als es Pegida gelungen ist, zumindest mentierten. Die außergewöhnliche öffentliche vorübergehend eine diffuse Stimmung in einen Resonanz, die Pegida & Co. zuteil wurde, ist so- kollektiv repräsentierten und lautstark artikulier- mit nicht durch die Größenordnung der De- ten Protest zu verwandeln. In der Tat wurde viel monstrationen erklärbar. Sie verdankt sich viel- Bauchgefühl, viel Wut zum Ausdruck gebracht. mehr drei Umständen: 13 Der Begriff erlangte mit dem Essay „Der Wutbürger“ Erstens bringt Pegida eine weit verbreitete Stim- des Spiegel-Journalisten Dirk Kurbuweit Breitenwir- kung (Der Spiegel vom 11.10.2010, S. 26-27). Später mungslage zum Ausdruck, die sich bislang pri- wurde der Begriff von der Gesellschaft für deutsche mär in repräsentativen Umfragen und wissen- Sprache zum Wort des Jahres 2010 gekürt. 7
betrifft: Bürgergesellschaft Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens Die sachliche und fachliche Argumentation, wel – erstmals in einem Sakko und damit demonstra che die Gegner des Projekts Stuttgart 21 vortru- tiv „bürgerlich“ auftretend – Lutz Bachmann. gen, wurde im Falle von Pegida durch dunkle Hand in Hand mit dem medialen Interesse ist Andeutungen ersetzt. Pegida auch durch Reaktionen der etablierten Zweitens ist Pegida – weitgehend ungewollt – Politik befördert worden, gleich ob auf dem Weg durch die mediale Berichterstattung aufgewer- einer scharfen Ab- und Ausgrenzung oder des tet worden, was das Selbstbewusstsein von Orga Bemühens, auf die berechtigten Verunsicherun nisatoren wie Anhängerschaft gestärkt und für gen und Nöte des „kleinen Mannes“ dialogisch- weiteren Zulauf gesorgt hat. Die anfängliche Ver paternalistisch einzugehen. Wann hat eine eher weigerung der Organisatoren von Pegida, mit kleine Protestbewegung schon ihren Niederschlag Presseleuten zu sprechen, hat das mediale Inte- in einer Neujahrsansprache gefunden? Wann resse beflügelt und sowohl die Sensationslust als hat sich der Vorsitzende einer Volkspartei be- auch den investigativen Ehrgeiz der Medien an- müßigt gefühlt, außerhalb des Wahlkampfs und gestachelt. Pegida wurde in kurzer Zeit eine bun ostentativ als „Privatperson“ auftretend, die Sor desweit bekannte politische Marke.14 Für die po gen derer anzuhören, die sich angeblich mit er- litische Talksendung von Günther Jauch, die sich klärten Rechtsradikalen und Ausländerfeinden am 15. Dezember 2014 unter dem Titel „Frust- nicht gemein machen wollen, aber gleichwohl bürger und Fremdenfeinde – wie gefährlich sind vor, neben und hinter deren Transparente stel- die neuen Straßen-Proteste“? mit Pegida befass- len, auf denen Sprüche wie „Islam = Karzinom“ te, war es nicht gelungen, auch nur ein einziges zu lesen sind, und die Redner_innen beklat- Mitglied des „Orga-Teams“ zur Teilnahme an schen, welche die Islamisierung des Abendlan- der Diskussion zu bewegen. Kurz danach ereig- des nicht als drohende Gefahr, sondern als be- nete sich mit der Benennung von Kathrin Oertel reits in vollem Gange begreifen? Als Beleg dafür als Pressesprecherin der erste „Sündenfall“. Dem wurde unter anderem auf die Verletzung von folgte die Teilnahme Oertels an einer weiteren deutschen Friedhofsvorschriften hingewiesen, Talksendung mit Günter Jauch am 18. Januar 2015 welche die Bestattung von Toten in Särgen (an- (mit rund fünf Millionen Zuschauer_innen) und statt in Tüchern nach muslimischem Brauch) eine hochgradig umstrittene Pressekonferenz am vorschreiben würden.16 Der fiebrige Erregungs- 19. Januar 2015 in den Räumen der sächsischen pegel17 der etablierter Politik verdankt sich auch Landeszentrale für politische Bildung.15 Hieran dem Umstand, dass Pegida und Co. den wahl- beteiligte sich nicht nur Oertel, sondern auch politischen Aufstieg der AfD befördern und da- mit zu einer Verschiebung der Markt- und Macht 14 Dies war den Veranstaltern durchaus bewusst. So anteile im Parteienspektrum beitragen könnte. meinte Lutz Bachmann in einer Pressekonferenz am Hinzu kommt die Sorge um „Reaktionen aus dem 19.1.2015: „Wir werden unseren Namen nicht ändern.“ Zwar reichten inzwischen die Ziele von Pegida über Ausland“, welche mit Blick auf rechtsradikale das Thema Islamisierung hinaus, doch sei Pegida „in- Tendenzen in Deutschland besonders kritisch zwischen eine Marke geworden“. auszufallen pflegen. Manche Anhänger von Pegi 15 Frank Richter, Leiter der Landeszentrale, zeigte viel Verständnis für Pegida und bot sich mehrfach als Mitt 16 So der Journalist Udo Ulfkotte bei seiner Rede am 5. ler für Gespräche an. In der TV-Diskussion bei Günther Januar 2015 in einer Passage zur „Islamisierung auf Jauch am 15. Dezember 2014 meinte er: „Meiner Wahr Friedhöfen“ (siehe: https://www.youtube.com/watch? nehmung nach sind neunzig Prozent der dort Mitlau- v=98A9aNFfEyI). fenden tatsächlich besorgte Bürger, die sich viele Ge- 17 Vgl. dazu den Kommentar von Simon Teune „Im Pegi danken machen.“ da-Fieber“ (Süddeutsche Zeitung vom 28.1.2014, S. 2). 8
betrifft: Bürgergesellschaft Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens da, zumal diejenigen, die politische Novizen sind, rechtsextremen Ideen zuneigt und unter bestimm konnten sich so zumindest vorübergehend als ten Konstellationen und dank des Deutungs- Nabel der bundesdeutschen Politik begreifen. und Mobilisierungsangebots von politischen Un ternehmern für selbstbewusste öffentliche Auf- Schließlich hat Pegida auch durch die zahlrei- tritte mobilisierbar ist. Die sehr variable Größe chen Gegendemonstrationen – sicherlich wider und Dynamik dieser öffentlichen Auftritte lässt die Intention der Beteiligten – eine Aufwertung allerdings keine Rückschlüsse auf den Umfang erfahren und damit wiederum die Aufmerksam des vorhandenen Potenzials zu. Es ist durchaus keit der Medien und der etablierten Politik wei- möglich, dass unter besonderen Umständen, et ter gesteigert. Gespannt wurden jeweils die ak- wa dem Auftreten einer charismatischen Füh- tuellen Zahlen von Demonstrationen und Gegen rungsfigur, einer günstigen politischen Gelegen demonstrationen verfolgt, die oft Pegida zum heitsstruktur und eher zufälligen, eskalierend Nachteil gereichenden Proportionen ausgerech wirkenden Ereignissen, ein weitaus größerer net, auch das Ost-West-Gefälle betont und über Teil dieses ansonsten schlummernden Potenzials dessen Gründe gerätselt. Es bleibt festzuhalten, aktivierbar ist und, über disziplinierte Protest- dass Pegida & Co. lediglich an einigen Orten in kundgebungen hinausgehend, sich in enthemm- den neuen Bundesländern nennenswerten Zu- ter, aggressiver und handgreiflicher Weise Bahn lauf erhalten haben, während in den alten Bun- brechen kann, wie dies in Rostock-Lichtenhagen desländern die Zahl der Gegner_innen bei Wei- im August 1992 oder bei den jüngsten Kölner tem die der Anhänger_innen überwog. Presse- Ausschreitungen der „Hooligans gegen Salafis- berichten zufolge demonstrierten am 12. Januar ten“ im Oktober 2014 der Fall war. Vorläufigen 2015 in 13 westdeutschen Städten 66.150 Men- Statistiken der Polizei zufolge summierte sich die schen gegen Pegida, während lediglich 1.780 Zahl der Attacken und Übergriffe auf Flücht- Personen für Pegida auf die Straße gingen.18 Ähn lingsunterkünfte im Jahr 2014 auf 150, wobei liche Relationen ergaben sich für Berlin. Aber eine besondere Steigerung in den letzten drei auch im Osten des Landes war die Gegenmobi- Monaten des Jahres – also der Phase der auf- lisierung zeitweise beachtlich. Am 12. Januar kommenden Pegida-Bewegung – zu verzeichnen wurden in sechs ostdeutschen Städten knapp war. Auf dieses Quartal entfiel die Hälfte aller 30.000 Pegida-Anhänger und knapp 43.000 Per Vorfälle des Jahres.21 sonen auf der Gegenseite verzeichnet.19 Insgesamt haben die Aktivitäten von Pegida & Co. zwei politisch entgegengesetzte Entwicklun Rechtspopulismus „the division of the nation into an gen verdeutlicht. Erstens wurde sichtbar, dass in overwhelming majority of ‚plain people’, on the one hand, and a relative handful of very un-plain, very so- der deutschen Bevölkerung, und beileibe nicht phisticated, very scheming conspirators, on the other.“ nur dort, ein Potenzial vorhanden ist, das aus- (George McKenna: American Populism. New York: länderfeindlichen, rechtspopulistischen20 und Capricorn Books 1974, S. xii). Siehe auch Karin Pries- ter: Rechter und linker Populismus: Annäherung an 18 Die Zahlen stammen aus der tageszeitung (14.1.2015, ein Chamäleon. Frankfurt/Main: Campus 2012. S. 2). Davon etwas abweichende Zahlen berichtete der 21 http://www.deutschlandfunk.de/rechtsextremismus- Focus (5/15 vom 24.1.2015, S. 24), nach denen sich für mehr-angriffe-auf-fluechtlingsheime.1818.de.html sechs westdeutsche Städte eine Relation von 57.500 Men ?dram:article_id=311241. Die Zahlen wurden in einer schen gegen Pegida vs. 2.250 für Pegida errechnen lässt. Antwort der Bundesregierung aufgrund einer Anfra- 19 Focus, siehe Fußnote 18. ge der Linksfraktion im Bundestag genannt. Während 20 Es gibt auch einen linken Populismus. Während die- es 2012 nur 24 solcher Fälle gab, waren es 2013 schon ser eher vom Klassengedanken ausgeht, behauptet der 58 und im folgenden Jahr 150. 9
betrifft: Bürgergesellschaft Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens Zweitens haben die Auftritte von Pegida & Co. Flagge zeigen und teilweise auch konkrete Un- aber auch lose vernetzte zivilgesellschaftliche terstützungsleistungen für Migrant_innen und Gegenkräfte auf den Plan gerufen, die in den insbesondere Asylbewerber_innen organisie- Straßen und in anderen öffentlichen Räumen ren. 3. Tiefenströmungen Beunruhigend, so meine These, ist nicht die ins- Kinder schaffen ein Klima der Verunsicherung. gesamt doch eher bescheidene Größenordnung Zugleich wachsen Unzufriedenheit und Empö- der Pegida-Proteste. Es sind vielmehr zwei an- rung angesichts der Tatsache, dass die ohnehin dere Aspekte: Erstens ist es, als Oberflächener- Reichen und Privilegierten zulasten aller übri- scheinung weithin sichtbar, das Selbstbewusst- gen sozialen Schichten sich auf legalen wie ille- sein und die Chuzpe, mit denen sich die An- galen Wegen weitere Vorteile verschaffen. Nicht hängerschaft als Stimme des Volkes („Wir sind die im Vergleich zu anderen westlichen Ländern das Volk“) präsentiert, Werte wie Heimat (Plakat insgesamt günstige ökonomische Lage Deutsch- „Ein Volk, eine Heimat, eine Nation“), Tradition lands, sondern vielmehr die Befürchtung einer („Erzgebirge, Land der Tradition“), Christen- Verschlechterung der eigenen persönlichen Si- tum („Dresdener Christen grüssen die Pegida“) tuation, die Wahrnehmung einer wachsenden, und Identität für sich reklamiert („Das Bekennt nicht auf Leistung beruhenden sozialen Un- nis zum eigenen Land, zur eigenen Kultur und gleichheit und einer insgesamt ungerechten Ver Identität muss selbstverständlich werden und sein teilung des gesellschaftlichen Reichtums bilden und darf niemals in eine Verächtlichmachung eine Schicht der Strömungen, die Pegida, aber gedrängt werden.“). Zugleich wird die politische auch linke und linksradikale Mobilisierungen Umwelt, „das System“ in toto, als unfähig, autis- antreibt. tisch, realitätsblind, lügnerisch, korrupt usw. be schrieben (Plakate: „BRD = DIKTATUR“, „Auf- Orientierungslosigkeit lösung der EU-Diktatur“). Zweitens, und weit- aus bedeutsamer, ist auf die Existenz von eher Die Wahrnehmung eines Zerfalls sozialer Ord- latenten, aber dennoch wirkmächtigen Tiefen- nung, eines Pluralismus von konkurrierenden strömungen hinzuweisen, die unabhängig von Werten, einer Verschiebung vertrauter politi- je spezifischen Themenkonjunkturen und öffent scher Koordinaten, eines sich beschleunigen- lichen Auftritten seit Jahrzehnten Bestand ha- den kulturellen Wandels im Zeichen von Globa ben, wohl auch auf längere Sicht fortbestehen lisierung und Migrationsbewegungen, schließ- werden und in Teilen erneut reaktivierbar sind. lich die Undurchsichtigkeit von Prozessen der Drei solcher Faktorenbündel sind zu nennen: internationalen Ökonomie und Politik begünsti gen ein Verlangen nach Fixpunkten, welche Ein Relative Deprivation deutigkeit, Stabilität und Halt versprechen. Die- Viele Menschen sehen ihren ökonomischen und sem Bedarf kommen bestimmte politische Un- sozialen Status bedroht. Die Sorgen um ihren ternehmer entgegen, deren Spektrum von po- Arbeitsplatz, um bezahlbare Mieten, um eine pulistischen Agitatoren über Nazis bis zu Ver- auskömmliche Rente, um die Zukunft ihrer schwörungstheoretikern reicht. Sie nutzen den 10
betrifft: Bürgergesellschaft Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens „populist moment“22, bieten die gesuchten einfa Abwehr des Fremden chen Erklärungen, identifizieren Schuldige und Ähnlich frontal wie die Gegenüberstellung von schlagen einfache, dem „gesunden Menschen- Volk und herrschender Klasse ist die Entgegen- verstand“ verpflichtete Lösungswege vor, in de- setzung der eigenen Gemeinschaft und des „Frem nen Grautöne, Ambivalenzen und Kompromis- den“. Das Eigene erscheint als vertraut und na- se keinen Platz finden. Damit kommt es zu einem türlich, das Fremde als unheimlich. Die durch- tiefen Misstrauen und schließlich einer ostenta- aus vorhandene Ahnung von den Defiziten und tiven Missachtung all jener Kräfte, die für Un- Widersprüchen des Eigenen wird verdrängt, die eindeutigkeiten, Differenzierungen, Abwägun- irritierende dunkle Seite des Eigenen abgespal- gen und Komplexitäten stehen, also namentlich ten und auf das Fremde übertragen. Je weniger den politischen, ökonomischen und intellektuel die imaginierte Kontrastfolie des Fremden durch len Eliten, die – vermeintlich oder tatsächlich – gelebte Alltagserfahrungen (der Einkauf beim auf das einfache Volk herabschauen und ihre türkischen Bäcker von nebenan, der Schwatz Zuständigkeit, ihre Sach- und Fachkunde, ihren mit einer libanesischen Mutter, die jeden Tag Einblick in die Komplexität der Verhältnisse und ihre Tochter im Kindergarten abholt) infrage ge die Logik von Sachzwängen hervorheben. Die stellt und aufgeweicht werden kann, desto ent- Figuren des Politikers, des Bankers, des Experten schiedener wird das Negativbild vertreten und und sogar des Journalisten geraten damit zum zum Syndrom „gruppenbezogener Menschen- Objekt der Verachtung. „Wir sind das Volk“ lau- feindlichkeit“23 verdichtet. Das erklärt auch, wa tet die trotzige Parole, welche, im Falle einer ost rum ausgerechnet in Regionen, in denen die deutschen Verankerung von Pegida, die Paralle- Zahl von Muslimen verschwindend gering ist, le zwischen den Politbonzen der DDR und der die Angst vor einer Islamisierung besonders zu „politischen Klasse“ der heutigen Bundesrepu- grassieren scheint. blik suggerieren soll. Diese schroffe Gegenüber- stellung von „wir da unten“ und „die da oben“ Was jeweils das Eigene und was das Fremde aus bildet das Herzstück jeglichen Populismus. Para machen soll, ist durchaus variabel. Das Eigene doxerweise kann dieser durchaus mit der kritik lässt sich in Kategorien von Heimat, Tradition, losen Anerkennung von Führungsfiguren ein- Bodenständigkeit, Volk, Deutschland, Europa hergehen, welche sich allerdings, und sei es auch oder Abendland denken; das Fremde kann als nur bloß rhetorisch, als authentische Fürspre- rote Zecke, Jude, Ausländer, Migrant, Asylant, cher des Volkswillens darstellen müssen. 23 Dieses Konzept wurde von dem Sozialwissenschaftler 22 Vgl. Laurence Goodwyn: The Populist Moment: A Wilhelm Heitmeyer und seinen Mitarbeiter_innen im Short History of the Agrarian Revolt in America. Ox- Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und ford: Oxford University Press. Dubiel bemerkt dazu: Gewaltforschung entwickelt. Die empirischen For- „In solchen sozialgeschichtlichen Momenten geschieht schungsberichte des einschlägigen Projekts wurden es, daß die kollektiven Kränkungserfahrungen, die unter dem Titel „Deutsche Zustände“ (Folge 1 bis Fol- Statusängste und die frustrierten Glückserwartungen ge 10) zwischen 2002 und 2011 im Suhrkamp Verlag der betroffenen Bevölkerungsgruppen aus den etablier (Frankfurt/Main) unter der Herausgeberschaft von ten Diskursen und Legitimationsmustern gleichsam Heitmeyer publiziert. Vgl. auch die nachfolgende Pu- herausfallen und den Status vagabundierender Poten- blikation aus dem Institut von Andreas Zick, Beate tiale gewinnen, die eigentümlich querliegen zum Spek Küpper und Andreas Hövermann: Die Abwertung der trum politischer Richtungstraditionen.“ Helmut Du- Anderen. Eine europäische Zustandsbeschreibung zu biel: Das Gespenst des Populismus. In: ders. (Hrsg.): Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung. Bonn: Populismus und Aufklärung. Frankfurt/Main: Suhr- Friedrich-Ebert-Stiftung 2011 (http://library.fes.de/ kamp 1986, S. 33-50, hier S. 47. pdf-files/do/07905-20110311.pdf). 11
betrifft: Bürgergesellschaft Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens Fidschi, Araber oder Neger figurieren. Der na- Dies illustrieren Aussagen aus unserer Befra- mensstiftenden Fokussierung von Pegida auf das gung: von der Islamisierung bedrohte Abendland haf- „Besonders bin ich gegen die zunehmende tet etwas Beliebiges an. Das wird nicht zuletzt Einwanderung von Muslimen. Diese Religion ist daran sichtbar, dass mit gleicher Vehemenz auch definitiv niemals in der Lage, sich zu integrie Klagen gegen die „Lügenpresse“ sowie von außen ren, sie ist menschen- und besonders frauen kommende „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Sozial feindlich, gehört ins Mittelalter und nicht in schmarotzer“ geführt werden. So heißt es auf unser modernes Europa.“ einem am 12. Januar getragenen Plakat: „Wirt- schaftsflüchtlinge und Volksverräter raus aus „Der Islam gehört keinesfalls zu Deutschland. Deutschland“. Die kategoriale Benennung eines Ich habe nichts gegen Kriegsflüchtlinge, doch Sündenbocks wirkt entlastend; sie befreit von ich habe was gegen Wirtschaftsflüchtlinge und möglichen Irritationen durch einen Tatsachen- jene, welche sich hier nicht integrieren wol blick, welcher Grautöne und Widersprüche sicht len. In einigen Städten Deutschlands kommt bar machen oder gar Empathie wecken könnte. man sich fremd im eigenen Land vor. Das kann und darf nicht sein. Die Kriminalität steigt und Zuweilen wird die Ablehnung des Fremden un- die Politik sieht tatenlos zu. Es reicht!!! Ich verblümt ausgesprochen. Da finden sich Anhän brauche keine Verhältnisse wie in Berlin Moha ger von Pegida, die vor laufender Kamera darüber bit (sic!), Köln Kalk oder Essen. Deshalb gehe sinnieren, welche Seuchen durch Asylbewerber ich auf die Straße, um diesen Wahnsinn fern eingeschleppt würden, die meinen, dass die „Ne von Dresden zu halten.“ ger von da unten“ allesamt zu dumm seien, auch nur eine Schraube einzudrehen, dass Asylbewer Pegida zehrt von allen drei genannten Tiefen- ber die Kinder von Deutschen zu entführen droh strömungen. Es verbindet sie in einer diffus-as- ten. Häufiger fallen die Kommentare allerdings soziativen Weise in der Selbststilisierung als ei- vorsichtiger aus, wobei nicht immer ersichtlich ner identitären Gruppe, die sich aus ihrer Op- ist, ob hier reales Differenzierungsvermögen ferrolle25 befreien und Handlungsmacht noch oder vielmehr der Effekt sozialer Erwünschtheit dem Motto entfalten will: Wir sind viele. Wir zum Ausdruck kommt. So wird eine strikte Tren werden immer mehr. Und wir werden es ihnen nung zwischen den „echten“ und willkommenen zeigen. Dieses Credo, das durch die mediale Asylbewerbern24 und den „falschen“ und abzu- Überhöhung der Proteste zu einer temporären weisenden Wirtschaftsflüchtlingen vorgenom- Selbstberauschung führte (Plakate: „Das System men. Häufig findet sich auch eine Entlastung ist am Ende – wir sind die Wende“; „Alle Räder heischende Vorrede, man habe überhaupt nichts stehen still, wenn UNSER starker Arm es will!“), gegen Asylbewerber und Ausländer, um mit dem war letztlich nicht durchzuhalten. Es scheiterte dann folgenden „Aber“ die eigentliche Botschaft an den Enthüllungen über rechtsradikale Äuße- zu offenbaren, indem etwa eine hohe Kriminali 25 Dazu sagte eine Rednerin der Veranstaltung am 5. Ja- tätsneigung von Ausländern oder die prinzipiel nuar 2015: „Wir sind die politisch Verfolgten in unse- le Unfähigkeit von Muslimen behauptet wird, rem Land, werden öffentlich beleidigt als Nazis, Fa- sich in westliche Gesellschaften zu integrieren. schisten, Ausländerfeinde.“ (eigene Mitschrift). In die gleiche Richtung zielen bestimmte Plakate: „Deutsch- 24 „Solidarität mit bedürftigen Flüchtlingen“ nennt einer land – wo Meinungsfreiheit zur Mutprobe wird“ und der von uns Befragten als Hauptmotiv für seine Betei- „Wir lieben unsere Heimat, deshalb nennt man uns ligung an Veranstaltungen von Pegida. Schande für Deutschland“. 12
betrifft: Bürgergesellschaft Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens rungen und Umtriebe einiger Exponenten von Doch die Beruhigung an der Oberfläche bedeu- Pegida, an ideologischen Differenzen und per- tet nicht, dass die seit Jahrzehnten bestehenden sönlichen Eitelkeiten, an der Schizophrenie im Tiefenströmungen an Kraft verloren haben. Un- Umgang mit den Medien, an dem nachlassen- ter neuen strukturellen Konstellationen in Ver- den öffentlichen Interesse und individueller Mo bindung mit aktuellen Anlässen können sie er- tivation angesichts der Wiederholung des im- neut, und durchaus vehementer als im Falle von mer Gleichen, nicht zuletzt auch an der wach- Pegida, an die Oberfläche drängen und soziale senden Gegenmobilisierung. wie politische Erschütterungen auslösen. 4. Was tun? Zum Schluss bleibt die ebenso naheliegende wie in empirisch haltlosen Zuschreibungen (etwa der schwer zu beantwortende Frage: „Was tun?“ Da- Kategorisierung der Pegida-Organisatoren als rüber wurde öffentlich viel gesagt und viel ge- „Nazis in Nadelstreifen“) oder der summarischen stritten. Hierbei standen die Optionen „Abgren Kennzeichnung der gesamten Anhängerschaft zung und ostentative Gesprächsverweigerung“ von Pegida als „braunes Pack“ und dergleichen. versus „Dialog mit der Teilmenge der gesprächs Etikettierungen dieser Art signalisieren den po- bereiten Normalbürger_innen“ im Vordergrund. litischen Standpunkt des Betrachters, aber sie Die Liste der Politiker_innen und Kommenta- tragen wenig zur Aufklärung bei. tor_innen, die sich jeweils in die eine oder an- dere Spalte eintragen ließen, ist ungewöhnlich 2) Eine zweite Reaktion zielt auf die aktive Aus- lang; sie signalisiert vor allem die Redundanz, einandersetzung mit den Sichtweisen und Be- Einäugigkeit und Vordergründigkeit der ge- hauptungen von Pegida & Co. Dazu gehören (a) wählten Perspektiven. Die Verknüpfung beider die Zurückweisung falscher Behauptungen, (b) Optionen, Dialog mit den Diskussionswilligen das Verlangen, diffuse Forderungen zu präzisie- bei gleichzeitiger Ächtung der Unverbesserli- ren, (c) das Aufzeigen von sozialen Vorurteilen chen, ist ein richtiger Schritt. Aber auch ein sol- bis hin zum blanken Rassismus, (d) die Durch- ches Vorgehen bleibt als eine Ad-hoc-Strategie führung von Gegenprotesten und schließlich (e) vordergründig, indem es sich auf die Symptome die strafrechtliche Verfolgung von Tatbeständen richtet, aber die Ursachen nicht berührt. Vier wie zum Beispiel dem der Volksverhetzung. Mit Vorschläge dazu: diesen Reaktionsweisen werden (latente) Diffe- renzen innerhalb der Pegida-Bewegung stärker 1) Ein erste nützliche, eher wissenschaftlich als sichtbar gemacht und zugleich Trennungslinien politisch ausgerichtete Reaktion ist der genaue, zwischen der Bewegung und ihren Kritikern und faktenorientierte und empirisch-analytische Blick Gegnern gezogen. Damit wird die Selbststilisie- auf das Phänomen Pegida & Co. Es geht darum, rung von Pegida als die Stimme des Volkes als dessen Aufkommen, Attraktivität und Dynamik Phrase kenntlich. zu verstehen und dabei, wie hier angedeutet, vor allem auch die Tiefenströmungen zu erfassen. 3) Eine dritte Reaktion besteht darin, dass rele- Zuweilen wird ein solcher Versuch des Verste- vante Gruppen in Politik und Gesellschaft ein- hens als ein Akt der Billigung missverstanden gestehen, Fehler gemacht zu haben. Dazu ge- und vorschnell abgewehrt. Das zeigt sich dann hört, 13
betrifft: Bürgergesellschaft Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens – dass eine wachsende soziale Spaltung der Ge – dass die Europäische Union mehr Maßnah- sellschaft zugelassen, teilweise auch aktiv be- men ergreift, um Flüchtlinge abzuwehren, an fördert wurde, statt dazu beizutragen, die Situation in den – dass politische Partizipation vor allem dort Herkunftsländern positiv zu beeinflussen. willkommen ist, wo sie sich auf Symbolpoli- 4) Dem Eingeständnis zurückliegender und bis tik oder Nebenschauplätze beschränkt, heute anhaltender Fehler und Versäumnisse – dass rechtsradikale und ausländerfeindliche müssten vor allem strukturelle Maßnahmen des Tendenzen kleingeredet wurden, Gegensteuerns und der Abhilfe folgen. Es wäre – dass die Illusion gepflegt wurde, solche Ten- naiv, hier allein auf die Fähigkeit der etablierten denzen fänden sich nur rechts der „bürgerli- Politik zu Einsicht und Selbstkorrektur zu ver- chen Mitte“26, trauen. Grundlegende politische Weichenstel- lungen ergeben sich aus den Verknüpfungen, – dass lange geleugnet wurde, Deutschland sei Konkurrenzen und Kämpfen höchst unterschied ein Einwanderungsland, licher Interessengruppen, die mit unterschiedli- – dass Teile von Politik und Behörden gegen- cher Organisations- und Konfliktfähigkeit aus- über ausländerfeindlichen Tendenzen nach- gestattet sind. Wer Veränderungen will, muss gegeben haben bzw. drohenden Konflikten Einfluss auf die bestehenden Kräfteverhältnisse aus dem Weg gegangen sind (etwa durch die nehmen. Auf politischer Ebene ringen darum Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften in Vertreter dreier Varianten zeitgenössischer De- städtischen Randzonen oder Gewerbegebie- mokratie, wie sie Helmut Dubiel beschrieben ten), hat. Erstrebenswert erscheint mir allein das drit – dass die realen Kosten der Asylpolitik nicht te der nachfolgend beschriebenen Konzepte: offengelegt und selbstbewusst gerechtfertigt Die liberale Variante will „aus einer prinzipiel- werden, len anthropologischen Skepsis oder aus einem – dass Integration mit Assimilation verwech- Mißtrauen gegenüber den Massen das politische selt wird und erstere durch eine Reihe von System gegen deren Zugriff “27 weitgehend ab- Zuständen und Maßnahmen eher erschwert schotten. Damit begünstigt sie eine Entwicklung als erleichtert wird, in eine Richtung, die Colin Crouch als „Post – dass Einwanderung vor allem unter dem As- demokratie“ bezeichnet hat.28 Gemeint ist eine pekt wirtschaftlicher Vorteile begrüßt, legiti- schleichend voranschreitende Entdemokratisie miert und kanalisiert wird, rung, während das Gefüge demokratischer Insti – dass fälschlich der Eindruck verbreitet wird, tutionen nur noch als eine leere Hülse fortbe- Deutschland trage die meisten „Lasten“, wenn steht. Crouch verweist in diesem Zusammen- es darum geht, Asylbewerber und Flüchtlin- hang auf den Verfall politischer Kommunika ge aufzunehmen, tion, den Zuwachs sozialer Ungleichheit (und damit korrespondierender ungleicher politischer 26 Zum Extremismus der „Mitte“ vgl. Oliver Decker, Jo- Beteiligung) sowie eine neoliberale Wirtschafts- hannes Kiess und Elmar Brähler: Die stabilisierte Mit- politik, bei der Unternehmen und Wirtschafts- te. Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014. Leipzig 2014; sowie Andreas Zick und Anna Klein: Fragile Mitte. Feindselige Zustände. Rechtsextreme 27 Dubiel, siehe Fußnote 22, S. 49. Einstellungen in Deutschland 2014, hrsg. von der 28 Siehe: Colin Crouch: Postdemokratie (orig. 2004). Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn: Dietz Verlag 2014. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008. 14
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