Pegida & Co - Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens1

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Pegida & Co - Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens1
betrifft: Bürgergesellschaft 41
März 2014

Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines
­populistischen Unternehmens1
Dieter Rucht

Scheinbar aus dem Nichts hat sich seit dem 13.                        Europa“ (DDfE). Vieles deutet darauf hin, dass
Oktober 2014 in Dresden eine Protestbewegung                          Pegida & Co. bald vom politischen Markt ver-
mit dem Kürzel Pegida („Patriotische Europäer                         schwinden wird. Viel Lärm also um nichts?
gegen die Islamisierung des Abendlandes“) ge-                         Nein, Pegida & Co. verdienen politische wie ana­
bildet. Sie fand bald Nachahmer in etlichen                           lytische Aufmerksamkeit – unabhängig davon,
Städten der Bundesrepublik und auch im Aus-                           dass es sich wahrscheinlich nur um eine Episo-
land. Die Bewegung wuchs von Woche zu Wo-                             de handelt.
che und stieß auf ein überbordendes mediales
                                                                      Im ersten Teil dieses Beitrags soll das Erschei-
Interesse. Mit ihrer 12. Montagsdemonstration
                                                                      nungsbild von Pegida samt seiner taktisch kal-
am 12. Januar 2015 erreichte sie ihren quantita-
                                                                      kulierten Mehrdeutigkeit näher betrachtet wer-
tiven Höhepunkt mit – laut überhöhten Anga-
                                                                      den. Im zweiten Teil stehen die öffentlichen Re-
ben der Polizei – 25.000 Demonstrierenden.
                                                                      aktionen auf Pegida im Mittelpunkt. Der dritte
Von da an ging es bergab. Der Zerfall von Pegida                      Teil wendet sich den Tiefenströmungen zu, aus
offenbarte sich am rapiden Rückgang der Teil-                         denen sich Pegida speist. Zuletzt geht es um die
nehmerzahlen, am Streit der Dresdener Veran-                          Frage: Was tun?
stalter mit Organisatoren von Pegida-Ablegern
                                                                      Der hier vorgelegte Beitrag kann empirisch we-
in anderen Orten um die richtige Linie und die
                                                                      nig Neues bieten. Er verfolgt vielmehr den Zweck,
Erlaubnis, den Namen Pegida zu nutzen, schließ­
                                                                      die verstreuten Informationen zu bündeln und
lich am internen Zerwürfnis des Dresdener
                                                                      eine vorläufige politische Einschätzung des Phä­
„Orga-Teams“. Dieser Streit führte zum Austritt
                                                                      nomens Pegida zu bieten. Dies geschieht primär
von fünf Mitgliedern des Leitungsgremiums und
                                                                      aus der Beobachterposition eines Forschers, der
zur Gründung einer konkurrierenden Organi-
                                                                      sich jahrzehntelang mit politischem Protest und
sation, des Bündnisses „Direkte Demokratie für
                                                                      sozialen Bewegungen im In- und Ausland be-
                                                                      fasst und auch eine Studie2 zu Pegida initiiert
1 Beitrag für die Schriftenreihe „betrifft: Bürgergesell-
  schaft“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, abgeschlossen am              hat.
  15. Februar 2015. Ich danke Roland Roth für hilfreiche
  Hinweise, die sich insbesondere auf den Schlussteil die­            2 https://protestinstitut.files.wordpress.com/2015/01/
  ses Beitrags beziehen.                                                protestforschung-am-limit_pegida-studie.pdf.

                                                                                                         Arbeitskreis
www.fes.de/buergergesellschaft – Der Arbeitskreis wird gefördert von der Erich-Brost-Stifung.            Bürgergesellschaft
Leitung: Dr. Michael Bürsch. Koordination: Bettina Luise Rürup, Forum Politik und Gesellschaft,          und Aktivierender
Friedrich-Ebert-Stiftung, 10785 Berlin, E-Mail: Luise.Ruerup@fes.de                                      Staat
betrifft: Bürgergesellschaft
                                        Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens

                          1. Das Erscheinungsbild von Pegida & Co.
Die von außen sichtbare Seite von Pegida, also               und politisch oder religiös Verfolgten. Das ist
Pegida als Oberflächenphänomen, ist gut doku-                Menschenpflicht!“
mentiert. Aufgrund einer Fülle von O-Tönen,
                                                             Über das Innenleben von Pegida ist dagegen
Medienberichten und Kommentaren kann man
                                                             wenig bekannt. Den Anfang bildete eine Face-
sich ein Bild machen. Bis dato wurden zudem
                                                             book-Kommunikation von Lutz Bachmann, Ini­
vier Befragungen von Pegida-Anhängern vor-
                                                             tiator und bis dato wichtigste Figur von Pegida.
gelegt3, die jedoch nur einen kleinen, mit Si-
                                                             Als Verein wurde Pegida am 14. November in
cherheit nicht repräsentativen Ausschnitt erfas-
                                                             Dresden gegründet und am 19. Dezember 2014
sen und insofern auch, entgegen manchen Be-
                                                             in das amtliche Register eingetragen. Zwölf Per-
hauptungen, kein Bild des typischen Pegida-
                                                             sonen, die fortan – und weitgehend ohne nament­
An­hängers zeichnen können. Weiterhin liegen
                                                             liche Nennung – als „Orga-Team“ auftraten, sind
Analysen der Facebook-Freunde von Pegida
                                                             Gründungsmitglieder. Lutz Bachmann wurde
vor. Am 20. Februar 2015 wurden dort knapp
                                                             zum ersten Vorsitzenden, René Jahn zu seinem
160.000 „Likes“ (gefällt mir) verzeichnet.4 Diese
                                                             Stellvertreter und Kathrin Oertel als Kassiererin
Analysen zeigen in aller Deutlichkeit, dass sich
                                                             gewählt. Später hatte sich das Team stillschwei-
Pegida keineswegs als Bewegung harmloser Nor­
                                                             gend auf zehn Köpfe reduziert. Abgesehen von
malbürger_innen verstehen lässt.5 Insgesamt bie­
                                                             Bachmann und Oertel, die seit Dezember 2014
tet sich ein schillerndes, teilweise widersprüch-
                                                             auch als Pressesprecherin firmierte, aber zu-
liches Bild, dessen rechtspopulistische, auslän-
                                                             nächst kaum zu Interviews bereit war, blieben
derfeindliche und in Teilen auch rassistische
                                                             die Mitglieder des Orga-Teams völlig im Hinter­
Grundierung immer deutlicher hervortrat, auch
                                                             grund. Interne Zuständigkeiten, Entscheidungs­
wenn daneben, und insbesondere im 19-Punkte-­
                                                             prozesse wie auch das Zustandekommen und
Programm, teilweise moderate Töne angeschla-
                                                             die Autorenschaft der inzwischen drei Positions-
gen werden. Unter Punkt 1 heißt es: „PEGIDA
                                                             bzw. Forderungskataloge6 sind bis heute im
ist FÜR die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen
                                                             Dunkeln geblieben.
3 Befragt wurden Pegida-Anhänger von einer Gruppe
  um den Dresdener Politikwissenschaftler Hans Vor-
  länder, einer Gruppe von Berliner und Chemnitzer So-       6 Das knapp gehaltene „Positionspapier der Pegida“ wur­
  zialwissenschaftler um den Berliner Soziologen Dieter        de am 10. Dezember 2014 veröffentlicht. Es beinhaltet
  Rucht, Mitarbeiter_innen des Göttinger Instituts für De­     eine partielle Abkehr von vormals offensiveren Forde-
  mokratieforschung um den Politikwissenschaftler Franz        rungen, zumal der Begriff „Islamisierung“ in diesem
  Walter und schließlich eine Gruppe unter Leitung des         Papier nicht erwähnt wird. Am 12. Januar 2015 wurde
  Dresdener Politikwissenschaftlers Werner Patzelt.            das Programm durch sechs Punkte ergänzt, die Bach-
4 Zur Zusammensetzung der Facebook-Freunde von                 mann als einer der Redner verkündete. Schließlich pu-
  Pegida siehe: http://www.pegida-mag-dich.de/ sowie           blizierte Pegida im Februar die „Dresdener Thesen“,
  ZEIT-online vom 5. Februar 2015: http://www.zeit.de/         deren zehn Punkte teilweise bisherige Forderungen in
  gesellschaft/zeitgeschehen/2015-02/wer-ist-pegida-­          ähnlichem Wortlaut wiederholen, teilweise aber auch
  facebook-daten.                                              neue Anliegen formulieren, darunter die „Reformation
5 Dies ist die immer wiederkehrende Selbststilisierung         der Familienpolitik sowie des Bildungs-, Renten- und
  der Protagonisten von Pegida. Zum Beispiel meinte            Steuersystems“ sowie die „Ablehnung von TTIP, CETA
  Kathrin Oertel in ihrer Rede am 12. Januar 2015: „Wir        und TISA und ähnlichen Freihandelsabkommen“. Die-
  sind weder radikal oder fanatisch; wir sind eine Bür-        se Thesen wurden, in Anlehnung an Martin Luthers
  gerbewegung, die montäglich ihr Recht in Anspruch            historischen Akt, von Bachmann an die Tür der Dres-
  nimmt und ihre Meinung mit einem friedlichen Spa-            dener Kreuzkirche geklebt, auf Veranlassung des zu-
  ziergang durch unser schönes Dresden demonstriert.“          ständigen Pfarrers jedoch umgehend wieder entfernt.

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betrifft: Bürgergesellschaft
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Auch wissen wir nur wenig über Zusammenset-                  aus intensiver kennenzulernen, als dies bei an-
zung und Haltungen der Mehrzahl der De-                      deren Protestbewegungen vergleichbarer Grö­ße
monstrierenden. Vieles bleibt bislang Spekula­               der Fall ist.
tion oder beruht auf fragwürdigen Verallgemei-
                                                             Die Auftritte von Pegida kennzeichneten eine
nerungen öffentlicher Aussagen aus den Reihen
                                                             teils kalkulierte, teils den Umständen geschulde­
von Pegida oder Ergebnissen der vier bislang
                                                             te Mischung von Unprofessionalität und Impro­
vorliegenden Befragungen.
                                                             visation auf der einen Seite und einer sorgsamen
Pegida & Co. treten öffentlich auf, laden zu ihren           Lenkung, Orchestrierung und Effekthascherei
sog. „Spaziergängen“ und Kundgebungen ein,                   auf der anderen Seite. Ankündigungen von Pro-
halten Reden vor ihrer Anhängerschaft, begrü-                testveranstaltungen erfolgten fast ausschließlich
ßen mit jovialem Hallo die Bürger von Dresden                über das Internet. Die Treffen begannen am frü­
(viel Beifall), Deutschland (viel Beifall) und Eu-           hen Abend und vollzogen sich – jahreszeitlich
ropa (sehr dünner Beifall), wollen offenkundig               bedingt – in der Dunkelheit. Die logistischen
Sichtbarkeit und Medienresonanz. Andererseits                Mittel waren bescheiden. Ein relativ kleiner Laut­
bestand ein Alleinstellungsmerkmal der Orga-                 sprecherwagen diente als Bühne für die Red-
nisatoren von Pegida darin, sich gegenüber den               ner_innen. Einige von ihnen verkörperten die
etablierten Medien zu verweigern, diese pau-                 lokale Verankerung und figurierten als einfache
schal als „Lügenpresse“ zu beschimpfen, zunächst             Leute, die mit schlichten und zuweilen unbehol­
alle Anfragen nach Interviews zurückzuweisen                 fenen Worten die Dinge auf den Punkt zu brin-
und auch die Teilnehmer_innen der „Spazier-                  gen suchten. Zugleich aber waren ihre Reden
gänge“ aufzufordern, den Kontakt mit Medien-                 durchzogen von Andeutungen und Ambivalen-
vertretern zu meiden. Gerade diese ostentative               zen, in denen das Publikum das zu Ende den-
Verweigerung hat das mediale Interesse enorm                 ken konnte, was man nicht offen auszusprechen
beflügelt und dazu geführt, möglichst viel von               wagte. Daneben traten gelegentlich Gastredner8
Pegida zu zeigen, die Biografien ihrer Organisa-             auf, die an Diskurse jenseits der Stammtische
toren zu recherchieren und eine Fülle von Mate­              anknüpften, indem sie intellektuelle Gewährs-
rial, darunter auch ungeschnittene Bildstrecken7             leute, etwa den Publizisten Henrik Broder, zi-
sowie komplette Redebeiträge, der breiten Öf-                tierten oder auch Brücken hin zu einer gesamt-
fentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Auf die-              deutschen, ja vermeintlich europäischen Bewe-
sem Wege war es möglich, die sich gleichsam als              gung symbolisieren sollten. Bemerkenswert ist
Massenkörper präsentierende Bewegung wie                     in diesem Zusammenhang die Grußbotschaft,
auch einzelne ihrer Gesichter – allen voran der              die der niederländische Islam-Kritiker Geert
Initiator Lutz Bachmann und die später als Pres­             Wilders am 25. Januar 2015 an seine „lieben
sesprecherin auftretende Kathrin Oertel – weit-              Freunde in Dresden“ richtete. Sie begann mit
                                                             folgenden Worten:
7 Besonders instruktiv ist das Bild- und Tonmaterial, wel­
  ches das politische Magazin Panorama (NDR) unge-             „Es ist wirklich fabelhaft, was hier in Dresden
  schnitten und in einer Gesamtlänge von 68 Minuten            passiert. Dresden zeigt, wie’s geht! Ganz Euro­
  zur Verfügung stellte (siehe: https://daserste.ndr.de/
                                                               pa schaut auf Euch. Ihr seid nicht allein. Ihr seid
  panorama/archiv/2014/Kontaktversuch-Luegenpresse-­
  trifft-Pegida-,pegida136.html). Darin enthalten ist auch
  ein Interview mit einer Person, die sich als Anhän­ger     8 Siehe: http://www.epochtimes.de/Pegida-Demo-Dresden-­
  von Pegida ausgab, aber später als ein Journalist des        Geert-Wilders-Gruss-am-2501-Ganz-Europa-schaut-
  TV-Kanals RTL enttarnt wurde.                                auf-Euch-a1216807.html.

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betrifft: Bürgergesellschaft
                                    Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens

  Teil von etwas ganz Großem – in Deutschland,         siven Äußerungen und Gesten bedacht. Gele-
  in Holland, in ganz Europa. Ihr erfüllt die Hoff­    gentlich verdeckten Demonstrierende die Ob-
  nung vieler. Ihr seid die Stimme des Volkes ge­      jektive von Foto- und Filmkameras oder stießen
  gen die Eliten. Ihr seid das Volk!“                  ihnen entgegengereckte Mikrofone zur Seite.
Mit Blick auf die Publikumsreaktionen während          Auffällig war die große Zahl von mit Armbinden
diverser Reden waren neben Beifall, Buh-Rufen          gekennzeichneten Ordnern (darunter einige we­
und abwertendem Gelächter (z.B. bei einem Hin­         nige Frauen), die sich bei der stationären Kund-
weis auf „die Generalsekretärin der SPD mit dem        gebung unter die Demonstranten mischten und
unaussprechlichen Namen“) die immer wieder             den Marsch auf beiden Seiten flankierten. Zu-
aufkommenden Sprechchöre mit den Hauptbot­             dem waren auch optisch als solche nicht gekenn­
schaften „Wir sind das Volk“ und „Lügenpresse“         zeichnete Ordner im Einsatz, die untereinander
zu hören. Diese Äußerungen erfolgten zum Teil          kommunizierten.
spontan als Unterbrechung oder Begleitmusik
der Reden. Teilweise reagierten sie auch auf den       Dem Marsch, der bei den meisten Veranstaltun­
Stimulus einer bewusst gesetzten Kunstpause,           gen wieder zum Ausgangspunkt zurückführte,
welche einer markigen Aussage folgte.                  folgte in der Regel eine Abschlusskundgebung
                                                       mit weiteren Reden, bevor sich die Versammel-
Den Reden während der stationären Auftaktver­          ten auf den Heimweg machten.
sammlung (in der Regel auf einer großen gräser­
nen Freifläche in der Nähe der Innenstadt) folg-       Die Teilnehmer_innen der Veranstaltungen prä­
te ein Demonstrationszug, dessen Wegstrecke            sentierten sich sowohl bei den Kundgebungen
– wohl wegen zu befürchtender Gegendemonstra­          als auch beim Marsch als ein relativ dicht ge-
tionen – meist vorab nicht bekannt gegeben wur­        packter kollektiver Körper, von dem, nach Wahr­
de. Die Ansage lautete: „Wir bitten Euch, dem          nehmung unserer zahlreicher Beobachter_innen,
Führungsfahrzeug der Polizei zu folgen und             sowohl ein Signal der Ruhe und Disziplin als auch
An­weisungen der Polizei zu beachten.“ An der          der Bedrohung ausging. Es gab kaum lockere
Spitze des Zuges wurde ein Fronttransparent            Grüppchen oder Zonen des Übergangs hin zu den
mit der Aufschrift „Gewaltfrei & vereint gegen         Neugierigen. Während des Marsches wurden am
Glaubenskriege auf deutschem Boden!“ getra-            Rande laufende Personen immer wieder von Ord­
gen. Dicht dahinter folgten die „Offiziellen“ so-      nern dazu gedrängt, sich in den Zug einzureihen.
wie der „harte Kern“ von Pegida, bestehend aus         Dieses weitgehend uniforme Erscheinungsbild der
Gruppen von Männern zumeist mittleren Alters,          Montagsspaziergänge wurde bis zum 12. Januar,
deren Outfit und Auftreten sie als „Rechte“, Fuß­      dem Tag des stärksten Aufmarsches in Dresden9,
ballfans bzw. Hooligans bzw. als Machos erken-
                                                       9 Die Dresdener Polizei sprach von 25.000 Teilnehmer_in­
nen ließ. Zur Mitte und vor allem gegen Ende             nen, Lutz Bachmann sogar von 40.000. Auf Basis durch­
des Zuges hin lockerte sich das Bild insofern auf,       aus divergierender Schätzungen mehrerer unserer Beob­
als auch Frauen, ältere Ehepaare und eher „bür-          achtergruppen kamen wir dagegen auf eine Zahl von
                                                         rund 17.000 Pegida-Demonstrierenden an diesem Tag
gerlich“ erscheinende Personen vertreten waren.          (vgl. Dieter Rucht: Wie viele haben demonstriert? Ein
Gelegentlich wurden auch Fackeln getragen. Am            Dossier aus aktuellem Anlass, http://protestinstitut.eu/
Rande stehende Personen und insbesondere                 2015/01/23/wie-viele-haben-demonstriert/). Eindeu-
                                                         tig rechtsradikale Kundgebungen versammelten in der
Presseleute wurden teilweise ignoriert, teilweise        Bundesrepublik bislang kaum mehr als 5.000 bis 7.000
aber auch misstrauisch beäugt oder mit aggres-           Menschen, so etwa bei den Demonstrationen gegen die

                                                                                                               4
betrifft: Bürgergesellschaft
                                          Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens

beibehalten. Die Bewegung hatte von Woche zu                  In den nachfolgenden Tagen und Wochen über-
Woche an Zulauf gewonnen. Ein Redner zählte                   schlugen sich die Ereignisse. Der Auftritt von
an diesem Abend „aktuelle“ Ableger in 31 deut-                Kathrin Oertel, die bereits zuvor zur Presse-
schen Städten bzw. Regionen auf und kündete                   sprecherin von Pegida gekürt worden war, bei
den Aufbau weiterer Gruppen an. Zudem wur-                    der Talksendung von Günther Jauch am 18. Ja-
de in der Presse von Pegida-Initiativen im Aus-               nuar signalisierte den Bruch mit der Verweige-
land berichtet. Zu lesen war Mitte Februar 2015               rungshaltung gegenüber den Medien. Die für
von Bestrebungen zur Gründung von Pegida-­                    den Folgetag anberaumte Pegida-Veranstaltung
Ablegern bzw. öffentlichen Auftritten in der                  wurde von den Behörden „aus Sicherheitsgrün-
Schweiz, Österreich, Belgien, den Niederlanden,               den“ abgesagt. Den Hintergrund dafür bildeten
Schweden, Norwegen und Großbritannien. Al-                    der Terroranschlag gegen Charlie Hebdo sowie
lerdings blieb es bislang bei kleinen Demonstra-              eine nicht weiter konkretisierte Bedrohung der
tionen. So versammelten sich beispielsweise bei               Person von Lutz Bachmann. Die zunächst für
einer ersten Pegida-Kundgebung im schwedi-                    Montag, den 26. Januar, angekündigte Pegida-­
schen Malmö am 9. Februar nur gut 30 Perso-                   Veranstaltung wurde kurzfristig von den Orga-
nen. Ihnen standen rund 4.000 Menschen unter                  nisatoren auf den Sonntag Nachmittag vorgezo-
dem Motto „No Pegida Sweden“ gegenüber (die                   gen, da zeitgleich zur ursprünglich geplanten
tageszeitung vom 11.02.2015, S. 10).                          Veranstaltung ein breites Gegenbündnis eine
                                                              po­litisch ausgerichtete Musikveranstaltung mit
Mit der Zahl der Pegida-Ableger hatte sich auch
                                                              prominenten Künstlern annonciert hatte.11 Der
die der Gegenveranstaltungen immer weiter er-
                                                              Zulauf zu diesem bunten Treffen übertraf mit
höht, wobei sich eine signifikante Ost-West-Dif-
                                                              rund 22.000 Teilnehmern (Polizeiangabe) den
ferenz abzeichnete. Um Mitte Januar 2015 rech-
                                                              der Pegida-Demonstration mit 17.300 Teilneh-
neten noch fast alle Beobachter und wohl auch
                                                              mern (Polizeiangabe). Damit war gleichsam der
die Organisatoren in Dresden mit einem weite-
                                                              Bann gebrochen, zumal Pegida an anderen Or-
ren Zuwachs von Pegida & Co., während kaum
                                                              ten, mit Ausnahme von Leipzig, kaum in nen-
jemand den Höhepunkt der Bewegung als be-
                                                              nenswertem Ausmaß Fuß zu fassen vermochte
reits erreicht oder gar überschritten sah.10
                                                              und sich Gegenprotest selbst an Orten regte, wo
                                                              Pegida-Ableger bislang weder angekündigt, ge-
                                                              schweige denn öffentlich aufgetreten waren.
   Wehrmachtsausstellung in München am 1. März 1997
   mit rund 5.000 Demonstrierenden (und etwa doppelt
                                                              Bereits in dieser Phase waren Konflikte zwischen
   so vielen Gegendemonstranten; siehe: Marcus Busch­
   müller: Proteste gegen die extreme Rechte in Mün-          den Organisatoren in Dresden und denen an an­
   chen, in: Zara S. Pfeiffer (Hrsg.): Proteste in München    deren Orten – insbesondere Legida in Leipzig –
   seit 1945. München: Volk Verlag 2011, S. 241-251,
                                                              aufgekommen, wo in deutlich höherem Maße als
   hier S. 244) sowie einer NPD-Kundgebung am 1. Mai
   1998, bei der „der NPD-Landesvorsitzende Winfried          in Dresden rechtsradikale Personen und Grup-
   Petzold 7.000 vorwiegend jugendliche deutsche Patrio­
   ten in Leipzig begrüßen“ konnte (siehe: http://www.        11 Nicht ohne einen seltenen Anflug von Ironie begrün-
   npd-­leipzig.net/wir-uber-uns/).                              deten die Pegida-Organisatoren die Vorverlegung da-
10 Diese erklärtermaßen gewagte Perspektive, die ich am          mit, dass auch ihrer Anhängerschaft die Teilnahme an
   Ende der Pressekonferenz am 12. Januar 2015 in Ant-           der musikalisch attraktiven Gegenveranstaltung er-
   wort auf die Frage eines Journalisten vertrat, geriet zu      möglicht werden solle. Die Gegenveranstaltung wurde
   einer der medialen Hauptbotschaften über diese Ver-           organisiert vom Verein „Dresden – Place to be“ unter
   anstaltung, zumal sie von der Presseagentur dpa in den        dem Motto „Offen und bunt – Dresden für alle“ vor
   Vordergrund gerückt wurde.                                    der Frauenkirche.

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betrifft: Bürgergesellschaft
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pen das Geschehen beeinflussten. Diese Diffe-         Bereits am 2. Februar gaben die Abtrünnigen
renzen führten u.a. zu dem hilflosen Bemühen          die Gründung ihres Vereins Direkte Demokratie
Bachmanns, mögliche Pegida-Ableger durch die          für Europa bekannt. Die neue Gruppe positio-
Dresdener Stammorganisation zu zertifizieren          niert sich „rechts neben der CDU“, versteht sich
und damit auf Linie zu bringen. Auch zwischen         als bürgernah und konservativ und will vor al-
solchen Ablegern, etwa Dügida (in Düsseldorf)         lem mehr Bürgerbeteiligung und mehr direkte
und Duigida (Duisburg), kam es zu ideologi-           Demokratie verwirklichen. Die erste öffentliche
schen Auseinandersetzungen.                           Protestveranstaltung des Vereins fand unter Be-
                                                      teiligung von rund 500 Menschen am Sonntag,
Am 27. und 28. Januar wurden die schon zuvor
                                                      den 8. Februar, am Dresdener Neumarkt statt.
schwelenden Konflikte im Dresdener Orga-Team          Im Mittelpunkt stand eine etwa 17-minütige,
öffentlich gemacht, die sich nicht zuletzt auf die    vom Blatt verlesene dröge Rede der Galionsfigur
dubiose Person und exponierte Rolle von Lutz          Kathrin Oertel. Darin spielte das Thema Islami-
Bachmann bezogen hatten. Nachdem schon Wo­            sierung keine Rolle mehr. Zugleich wurde aber
chen zuvor die imposante kriminelle Karriere          betont, man sei „keine Gegenveranstaltung zu
Bachmanns bekannt geworden war, sorgten nun           Pegida“ und wisse sich in den Zielen einig, wenn­
ein Foto Bachmanns mit Hitler-Bart sowie seine        gleich man fortan unterschiedliche Mittel und
verächtlichen ausländerfeindlichen Einträge im        Wege wähle.12
Facebook-Netzwerk für Empörung und zogen
noch laufende Ermittlungen gegen Bachmann             Am folgenden Tag fand in Fortsetzung der Mon­
wegen Volksverhetzung nach sich. Diese Vorgän­        tagsdemonstrationen die Protestkundgebung
ge hatten bereits am 21. Januar zu Bachmanns          der verbliebenen Pegida-Organisatoren statt, an
Rücktritt aus der ersten Reihe der Pegida-Orga-       der sich nun allerdings nur noch rund 2.000
nisatoren geführt, aber die Lage nicht beruhigt,      Menschen beteiligten (5.000 waren bei den Be-
zumal Bachmann hinter den Kulissen an seinem          hörden angemeldet). Lutz Bachmann, der vor
Führungsanspruch festzuhalten schien. Am 25.          der Spaltung des Orga-Teams in die zweite Rei-
Januar trat Frank Ingo Friedemann als Mitglied        he zurückgedrängt worden war, trat nun erneut
des Vorstands zurück. Ihm folgten zwei Tage           als erster und zugleich Hauptredner auf und be-
später Achim Exner, René Jahn, Bernd-Volker           kräftigte die bereits früher eingeschlagene Linie.
Lincke, Kathrin Oertel und Thomas Tallacker.          Seine ausländerfeindlichen Sprüche („gelumpe“,
Jahn, bislang zweiter Vorsitzender des Vereins,       „dreckspack“, „viehzeug“), die im Internet kur-
                                                      sierten, seien verkürzt wiedergegeben worden.
äußerte am 28. Januar gegenüber der Zeitung
                                                      Im Übrigen habe er lediglich Worte gewählt, von
„Bild“: Mit diesem Nazi-Zeug und den rechten
                                                      denen er sicher sein, das sie „jeder, wirklich je-
Äußerungen möchte ich nichts zu tun haben.”
                                                      der von uns schon einmal am Stammtisch be-
Somit hatte sich der Vorstand auf fünf Personen
                                                      nutzt hat“. Tatjana Festerling, die zuvor als AfD-­
– Bachmann, seine Gattin, Tom Balazs, Stephan
                                                      Politikerin in Hamburg hervorgetreten war und
Baumann und Siegfried Däbritz – verkleinert.
                                                      Sympathien für die Kölner „Hooligans gegen Sa­
Wegen „Uneinigkeit“ wurde die nächste anste-
                                                      lafisten“ bekundet hatte, beklagte in ihrer Dres-
hende Montagsdemonstration am 2. Februar ab­
gesagt. Nun kam auch die Frage auf, ob es am          12 Die komplette Rede von Oertel wurde als Video vom
                                                         Mitteldeutschen Rundfunk ins Netz gestellt: http://
darauf folgenden Montag zwei konkurrierende              w w w.mdr.de/s achs en/ddfe-premiere100_zc-
Demonstrationen geben werde.                             f1f179a7_zs-9f2fcd56.html.

                                                                                                          6
betrifft: Bürgergesellschaft
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dener Rede die in der Öffentlichkeit herrschen-        Februar 2015 sprach die Polizei von 4.300, Bach­
de „Nazi-Paranoia“.                                    mann dagegen von 10.300 Demonstrieren­den.

Damit sind die Weichen für eine absehbare Zu-          Der sich moderat, bürgernah, rechtspopulistisch
kunft gestellt. Die zuvor nur scheinbar geeinten       und prodemokratisch gebende „weiche“ Kern
zwei Flügel der Pegida-Bewegung haben sich             läuft programmatisch und organisatorisch gleich­
heillos zerstritten und organisatorisch verselbst­     sam ins Leere, weil die Forderungen nach „mehr
ständigt.                                              Demokratie“ seit Jahrzehnten zum Kernbestand
Der „harte“, explizit ausländerfeindliche, rechts-     linker und links-alternativer Gruppierungen ge­
radikale und rassistische Kern wird versuchen,         hören, dort aber von einer gut gebildeten, akti-
seine Linie fortzusetzen und zugleich den Pro-         vistischen und infrastrukturell abgestützten Ba-
test bundesweit in die Fläche zu tragen. Dieses        sis getragen werden, die sich mit rechtspopulis-
Unternehmen wird sich für einige Zeit und un-          tischen Ansinnen nicht gemein machen wird.
ter regional sehr unterschiedlichen Konstellatio­      Es ist somit wahrscheinlich, dass ein Teil des
nen fortsetzen, aber voraussichtlich keine Mas-        derzeit aufgewühlten rechtspopulistischen Was-
senbasis finden. Es fällt auf, dass die Organisato­    sers auf die parteipolitische Mühle der Partei
ren, die bislang die Zahlenangaben der von ihnen       Alternative für Deutschland (AfD) gelenkt wird,
so hoch gelobten Polizei kommentarlos über-            aber keinen starken außerparlamentarischen
nommen hatten, zunehmend mit eigenen und               Druck zu entfalten vermag. Pegida & Co, nicht
weitaus übertriebenen Zahlen aufwarten. Mit            jedoch die sie speisenden Unterströmungen (sie­
Blick auf den „15. Montagsspaziergang“ am 16.          he Abschnitt 3.), nähern sich damit ihrem Ende.

                               2. Die öffentlichen Reaktionen
In Relation zur insgesamt doch eher bescheide-         schaftlichen Studien, aber nur selten in einer
nen Stärke von Pegida (die Lichterketten gegen         markanten Protestbewegung gezeigt hatte. Die
rechtsradikale und ausländerfeindliche Bestre-         gelegentlich vorgenommene Zuschreibung als
bungen Ende 1992/Anfang 1993 brachten in ein­          „Wutbürger“, die in diskreditierender Weise und
zelnen Städten jeweils Hunderttausende von             seltsamer Verquickung für die Protestierenden
Menschen auf die Straße) fällt auf, welch enor-        gegen das Projekt Stuttgart 21 und die aggressiv
me Beachtung Pegida in den bundesdeutschen             auftretenden Befürworter der Ideen von Thilo
und auch ausländischen Medien fand und wie             Sarrazin vorgenommen wurde13, ist insofern zu­
viele Vertreter der etablierten Politik Pegida kom­    treffend, als es Pegida gelungen ist, zumindest
mentierten. Die außergewöhnliche öffentliche           vorübergehend eine diffuse Stimmung in einen
Resonanz, die Pegida & Co. zuteil wurde, ist so-       kollektiv repräsentierten und lautstark artikulier-
mit nicht durch die Größenordnung der De-              ten Protest zu verwandeln. In der Tat wurde viel
monstrationen erklärbar. Sie verdankt sich viel-       Bauchgefühl, viel Wut zum Ausdruck gebracht.
mehr drei Umständen:
                                                       13 Der Begriff erlangte mit dem Essay „Der Wutbürger“
Erstens bringt Pegida eine weit verbreitete Stim-         des Spiegel-Journalisten Dirk Kurbuweit Breitenwir-
                                                          kung (Der Spiegel vom 11.10.2010, S. 26-27). Später
mungslage zum Ausdruck, die sich bislang pri-             wurde der Begriff von der Gesellschaft für deutsche
mär in repräsentativen Umfragen und wissen-               Sprache zum Wort des Jahres 2010 gekürt.

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betrifft: Bürgergesellschaft
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Die sachliche und fachliche Argumentation, wel­             – erstmals in einem Sakko und damit demonstra­
che die Gegner des Projekts Stuttgart 21 vortru-            tiv „bürgerlich“ auftretend – Lutz Bachmann.
gen, wurde im Falle von Pegida durch dunkle                 Hand in Hand mit dem medialen Interesse ist
Andeutungen ersetzt.                                        Pegida auch durch Reaktionen der etablierten
Zweitens ist Pegida – weitgehend ungewollt –                Politik befördert worden, gleich ob auf dem Weg
durch die mediale Berichterstattung aufgewer-               einer scharfen Ab- und Ausgrenzung oder des
tet worden, was das Selbstbewusstsein von Orga­             Bemühens, auf die berechtigten Verunsicherun­
nisatoren wie Anhängerschaft gestärkt und für               gen und Nöte des „kleinen Mannes“ dialogisch-­
weiteren Zulauf gesorgt hat. Die anfängliche Ver­           paternalistisch einzugehen. Wann hat eine eher
weigerung der Organisatoren von Pegida, mit                 kleine Protestbewegung schon ihren Niederschlag
Presseleuten zu sprechen, hat das mediale Inte-             in einer Neujahrsansprache gefunden? Wann
resse beflügelt und sowohl die Sensationslust als           hat sich der Vorsitzende einer Volkspartei be-
auch den investigativen Ehrgeiz der Medien an-              müßigt gefühlt, außerhalb des Wahlkampfs und
gestachelt. Pegida wurde in kurzer Zeit eine bun­           ostentativ als „Privatperson“ auftretend, die Sor­
desweit bekannte politische Marke.14 Für die po­            gen derer anzuhören, die sich angeblich mit er-
litische Talksendung von Günther Jauch, die sich            klärten Rechtsradikalen und Ausländerfeinden
am 15. Dezember 2014 unter dem Titel „Frust-                nicht gemein machen wollen, aber gleichwohl
bürger und Fremdenfeinde – wie gefährlich sind              vor, neben und hinter deren Transparente stel-
die neuen Straßen-Proteste“? mit Pegida befass-             len, auf denen Sprüche wie „Islam = Karzinom“
te, war es nicht gelungen, auch nur ein einziges            zu lesen sind, und die Redner_innen beklat-
Mitglied des „Orga-Teams“ zur Teilnahme an                  schen, welche die Islamisierung des Abendlan-
der Diskussion zu bewegen. Kurz danach ereig-               des nicht als drohende Gefahr, sondern als be-
nete sich mit der Benennung von Kathrin Oertel              reits in vollem Gange begreifen? Als Beleg dafür
als Pressesprecherin der erste „Sündenfall“. Dem            wurde unter anderem auf die Verletzung von
folgte die Teilnahme Oertels an einer weiteren              deutschen Friedhofsvorschriften hingewiesen,
Talksendung mit Günter Jauch am 18. Januar 2015             welche die Bestattung von Toten in Särgen (an-
(mit rund fünf Millionen Zuschauer_innen) und               statt in Tüchern nach muslimischem Brauch)
eine hochgradig umstrittene Pressekonferenz am              vorschreiben würden.16 Der fiebrige Erregungs-
19. Januar 2015 in den Räumen der sächsischen               pegel17 der etablierter Politik verdankt sich auch
Landeszentrale für politische Bildung.15 Hieran             dem Umstand, dass Pegida und Co. den wahl-
beteiligte sich nicht nur Oertel, sondern auch              politischen Aufstieg der AfD befördern und da-
                                                            mit zu einer Verschiebung der Markt- und Macht­
14 Dies war den Veranstaltern durchaus bewusst. So          anteile im Parteienspektrum beitragen könnte.
   meinte Lutz Bachmann in einer Pressekonferenz am         Hinzu kommt die Sorge um „Reaktionen aus dem
   19.1.2015: „Wir werden unseren Namen nicht ändern.“
   Zwar reichten inzwischen die Ziele von Pegida über
                                                            Ausland“, welche mit Blick auf rechtsradikale
   das Thema Islamisierung hinaus, doch sei Pegida „in-     Tendenzen in Deutschland besonders kritisch
   zwischen eine Marke geworden“.                           auszufallen pflegen. Manche Anhänger von Pegi­
15 Frank Richter, Leiter der Landeszentrale, zeigte viel
   Verständnis für Pegida und bot sich mehrfach als Mitt­   16 So der Journalist Udo Ulfkotte bei seiner Rede am 5.
   ler für Gespräche an. In der TV-Diskussion bei Günther      Januar 2015 in einer Passage zur „Islamisierung auf
   Jauch am 15. Dezember 2014 meinte er: „Meiner Wahr­         Friedhöfen“ (siehe: https://www.youtube.com/watch?
   nehmung nach sind neunzig Prozent der dort Mitlau-          v=98A9aNFfEyI).
   fenden tatsächlich besorgte Bürger, die sich viele Ge-   17 Vgl. dazu den Kommentar von Simon Teune „Im Pegi­
   danken machen.“                                             da-Fieber“ (Süddeutsche Zeitung vom 28.1.2014, S. 2).

                                                                                                                  8
betrifft: Bürgergesellschaft
                                          Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens

da, zumal diejenigen, die politische Novizen sind,            rechtsextremen Ideen zuneigt und unter bestimm­
konnten sich so zumindest vorübergehend als                   ten Konstellationen und dank des Deutungs-
Nabel der bundesdeutschen Politik begreifen.                  und Mobilisierungsangebots von politischen Un­
                                                              ternehmern für selbstbewusste öffentliche Auf-
Schließlich hat Pegida auch durch die zahlrei-
                                                              tritte mobilisierbar ist. Die sehr variable Größe
chen Gegendemonstrationen – sicherlich wider
                                                              und Dynamik dieser öffentlichen Auftritte lässt
die Intention der Beteiligten – eine Aufwertung
                                                              allerdings keine Rückschlüsse auf den Umfang
erfahren und damit wiederum die Aufmerksam­
                                                              des vorhandenen Potenzials zu. Es ist durchaus
keit der Medien und der etablierten Politik wei-
                                                              möglich, dass unter besonderen Umständen, et
ter gesteigert. Gespannt wurden jeweils die ak-
                                                              wa dem Auftreten einer charismatischen Füh-
tuellen Zahlen von Demonstrationen und Gegen­
                                                              rungsfigur, einer günstigen politischen Gelegen­
demonstrationen verfolgt, die oft Pegida zum
                                                              heitsstruktur und eher zufälligen, eskalierend
Nachteil gereichenden Proportionen ausgerech­
                                                              wirkenden Ereignissen, ein weitaus größerer
net, auch das Ost-West-Gefälle betont und über
                                                              Teil dieses ansonsten schlummernden Potenzials
dessen Gründe gerätselt. Es bleibt festzuhalten,
                                                              aktivierbar ist und, über disziplinierte Protest-
dass Pegida & Co. lediglich an einigen Orten in
                                                              kundgebungen hinausgehend, sich in enthemm-
den neuen Bundesländern nennenswerten Zu-
                                                              ter, aggressiver und handgreiflicher Weise Bahn
lauf erhalten haben, während in den alten Bun-
                                                              brechen kann, wie dies in Rostock-Lichtenhagen
desländern die Zahl der Gegner_innen bei Wei-
                                                              im August 1992 oder bei den jüngsten Kölner
tem die der Anhänger_innen überwog. Presse-
                                                              Ausschreitungen der „Hooligans gegen Salafis-
berichten zufolge demonstrierten am 12. Januar
                                                              ten“ im Oktober 2014 der Fall war. Vorläufigen
2015 in 13 westdeutschen Städten 66.150 Men-
                                                              Statistiken der Polizei zufolge summierte sich die
schen gegen Pegida, während lediglich 1.780
                                                              Zahl der Attacken und Übergriffe auf Flücht-
Personen für Pegida auf die Straße gingen.18 Ähn­
                                                              lingsunterkünfte im Jahr 2014 auf 150, wobei
liche Relationen ergaben sich für Berlin. Aber
                                                              eine besondere Steigerung in den letzten drei
auch im Osten des Landes war die Gegenmobi-
                                                              Monaten des Jahres – also der Phase der auf-
lisierung zeitweise beachtlich. Am 12. Januar
                                                              kommenden Pegida-Bewegung – zu verzeichnen
wurden in sechs ostdeutschen Städten knapp
                                                              war. Auf dieses Quartal entfiel die Hälfte aller
30.000 Pegida-Anhänger und knapp 43.000 Per­
                                                              Vorfälle des Jahres.21
sonen auf der Gegenseite verzeichnet.19
Insgesamt haben die Aktivitäten von Pegida &
Co. zwei politisch entgegengesetzte Entwicklun­                  Rechtspopulismus „the division of the nation into an
gen verdeutlicht. Erstens wurde sichtbar, dass in                overwhelming majority of ‚plain people’, on the one
                                                                 hand, and a relative handful of very un-plain, very so-
der deutschen Bevölkerung, und beileibe nicht                    phisticated, very scheming conspirators, on the other.“
nur dort, ein Potenzial vorhanden ist, das aus-                  (George McKenna: American Populism. New York:
länderfeindlichen, rechtspopulistischen20 und                    Capricorn Books 1974, S. xii). Siehe auch Karin Pries-
                                                                 ter: Rechter und linker Populismus: Annäherung an
18 Die Zahlen stammen aus der tageszeitung (14.1.2015,           ein Chamäleon. Frankfurt/Main: Campus 2012.
   S. 2). Davon etwas abweichende Zahlen berichtete der       21 http://www.deutschlandfunk.de/rechtsextremismus-­
   Focus (5/15 vom 24.1.2015, S. 24), nach denen sich für        mehr-angriffe-auf-fluechtlingsheime.1818.de.html
   sechs westdeutsche Städte eine Relation von 57.500 Men­       ?dram:article_id=311241. Die Zahlen wurden in einer
   schen gegen Pegida vs. 2.250 für Pegida errechnen lässt.      Antwort der Bundesregierung aufgrund einer Anfra-
19 Focus, siehe Fußnote 18.                                      ge der Linksfraktion im Bundestag genannt. Während
20 Es gibt auch einen linken Populismus. Während die-            es 2012 nur 24 solcher Fälle gab, waren es 2013 schon
   ser eher vom Klassengedanken ausgeht, behauptet der           58 und im folgenden Jahr 150.

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betrifft: Bürgergesellschaft
                                    Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens

Zweitens haben die Auftritte von Pegida & Co.          Flagge zeigen und teilweise auch konkrete Un-
aber auch lose vernetzte zivilgesellschaftliche        terstützungsleistungen für Migrant_innen und
Gegenkräfte auf den Plan gerufen, die in den           insbesondere Asylbewerber_innen organisie-
Straßen und in anderen öffentlichen Räumen             ren.

                                      3. Tiefenströmungen
Beunruhigend, so meine These, ist nicht die ins-       Kinder schaffen ein Klima der Verunsicherung.
gesamt doch eher bescheidene Größenordnung             Zugleich wachsen Unzufriedenheit und Empö-
der Pegida-Proteste. Es sind vielmehr zwei an-         rung angesichts der Tatsache, dass die ohnehin
dere Aspekte: Erstens ist es, als Oberflächener-       Reichen und Privilegierten zulasten aller übri-
scheinung weithin sichtbar, das Selbstbewusst-         gen sozialen Schichten sich auf legalen wie ille-
sein und die Chuzpe, mit denen sich die An-            galen Wegen weitere Vorteile verschaffen. Nicht
hängerschaft als Stimme des Volkes („Wir sind          die im Vergleich zu anderen westlichen Ländern
das Volk“) präsentiert, Werte wie Heimat (Plakat       insgesamt günstige ökonomische Lage Deutsch-
„Ein Volk, eine Heimat, eine Nation“), Tradition       lands, sondern vielmehr die Befürchtung einer
(„Erzgebirge, Land der Tradition“), Christen-          Verschlechterung der eigenen persönlichen Si-
tum („Dresdener Christen grüssen die Pegida“)          tuation, die Wahrnehmung einer wachsenden,
und Identität für sich reklamiert („Das Bekennt­       nicht auf Leistung beruhenden sozialen Un-
nis zum eigenen Land, zur eigenen Kultur und
                                                       gleichheit und einer insgesamt ungerechten Ver­
Identität muss selbstverständlich werden und sein
                                                       teilung des gesellschaftlichen Reichtums bilden
und darf niemals in eine Verächtlichmachung
                                                       eine Schicht der Strömungen, die Pegida, aber
gedrängt werden.“). Zugleich wird die politische
                                                       auch linke und linksradikale Mobilisierungen
Umwelt, „das System“ in toto, als unfähig, autis-
                                                       antreibt.
tisch, realitätsblind, lügnerisch, korrupt usw. be­
schrieben (Plakate: „BRD = DIKTATUR“, „Auf-
                                                       Orientierungslosigkeit
lösung der EU-Diktatur“). Zweitens, und weit-
aus bedeutsamer, ist auf die Existenz von eher         Die Wahrnehmung eines Zerfalls sozialer Ord-
latenten, aber dennoch wirkmächtigen Tiefen-           nung, eines Pluralismus von konkurrierenden
strömungen hinzuweisen, die unabhängig von             Werten, einer Verschiebung vertrauter politi-
je spezifischen Themenkonjunkturen und öffent­         scher Koordinaten, eines sich beschleunigen-
lichen Auftritten seit Jahrzehnten Bestand ha-         den kulturellen Wandels im Zeichen von Globa­
ben, wohl auch auf längere Sicht fortbestehen          lisierung und Migrationsbewegungen, schließ-
werden und in Teilen erneut reaktivierbar sind.
                                                       lich die Undurchsichtigkeit von Prozessen der
Drei solcher Faktorenbündel sind zu nennen:
                                                       internationalen Ökonomie und Politik begünsti­
                                                       gen ein Verlangen nach Fixpunkten, welche Ein­
Relative Deprivation
                                                       deutigkeit, Stabilität und Halt versprechen. Die-
Viele Menschen sehen ihren ökonomischen und            sem Bedarf kommen bestimmte politische Un-
sozialen Status bedroht. Die Sorgen um ihren           ternehmer entgegen, deren Spektrum von po-
Arbeitsplatz, um bezahlbare Mieten, um eine            pulistischen Agitatoren über Nazis bis zu Ver-
auskömmliche Rente, um die Zukunft ihrer               schwörungstheoretikern reicht. Sie nutzen den

                                                                                                     10
betrifft: Bürgergesellschaft
                                       Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens

„populist moment“22, bieten die gesuchten einfa­           Abwehr des Fremden
chen Erklärungen, identifizieren Schuldige und
                                                           Ähnlich frontal wie die Gegenüberstellung von
schlagen einfache, dem „gesunden Menschen-
                                                           Volk und herrschender Klasse ist die Entgegen-
verstand“ verpflichtete Lösungswege vor, in de-
                                                           setzung der eigenen Gemeinschaft und des „Frem­
nen Grautöne, Ambivalenzen und Kompromis-
                                                           den“. Das Eigene erscheint als vertraut und na-
se keinen Platz finden. Damit kommt es zu einem
                                                           türlich, das Fremde als unheimlich. Die durch-
tiefen Misstrauen und schließlich einer ostenta-
                                                           aus vorhandene Ahnung von den Defiziten und
tiven Missachtung all jener Kräfte, die für Un-
                                                           Widersprüchen des Eigenen wird verdrängt, die
eindeutigkeiten, Differenzierungen, Abwägun-
                                                           irritierende dunkle Seite des Eigenen abgespal-
gen und Komplexitäten stehen, also namentlich
                                                           ten und auf das Fremde übertragen. Je weniger
den politischen, ökonomischen und intellektuel­
                                                           die imaginierte Kontrastfolie des Fremden durch
len Eliten, die – vermeintlich oder tatsächlich –
                                                           gelebte Alltagserfahrungen (der Einkauf beim
auf das einfache Volk herabschauen und ihre
                                                           türkischen Bäcker von nebenan, der Schwatz
Zuständigkeit, ihre Sach- und Fachkunde, ihren
                                                           mit einer libanesischen Mutter, die jeden Tag
Einblick in die Komplexität der Verhältnisse und
                                                           ihre Tochter im Kindergarten abholt) infrage ge­
die Logik von Sachzwängen hervorheben. Die
                                                           stellt und aufgeweicht werden kann, desto ent-
Figuren des Politikers, des Bankers, des Experten
                                                           schiedener wird das Negativbild vertreten und
und sogar des Journalisten geraten damit zum
                                                           zum Syndrom „gruppenbezogener Menschen-
Objekt der Verachtung. „Wir sind das Volk“ lau-
                                                           feindlichkeit“23 verdichtet. Das erklärt auch, wa­
tet die trotzige Parole, welche, im Falle einer ost­
                                                           rum ausgerechnet in Regionen, in denen die
deutschen Verankerung von Pegida, die Paralle-
                                                           Zahl von Muslimen verschwindend gering ist,
le zwischen den Politbonzen der DDR und der
                                                           die Angst vor einer Islamisierung besonders zu
„politischen Klasse“ der heutigen Bundesrepu-
                                                           grassieren scheint.
blik suggerieren soll. Diese schroffe Gegenüber-
stellung von „wir da unten“ und „die da oben“              Was jeweils das Eigene und was das Fremde aus­
bildet das Herzstück jeglichen Populismus. Para­           machen soll, ist durchaus variabel. Das Eigene
doxerweise kann dieser durchaus mit der kritik­            lässt sich in Kategorien von Heimat, Tradition,
losen Anerkennung von Führungsfiguren ein-                 Bodenständigkeit, Volk, Deutschland, Europa
hergehen, welche sich allerdings, und sei es auch          oder Abendland denken; das Fremde kann als
nur bloß rhetorisch, als authentische Fürspre-             rote Zecke, Jude, Ausländer, Migrant, Asylant,
cher des Volkswillens darstellen müssen.
                                                           23 Dieses Konzept wurde von dem Sozialwissenschaftler
22 Vgl. Laurence Goodwyn: The Populist Moment: A              Wilhelm Heitmeyer und seinen Mitarbeiter_innen im
   Short History of the Agrarian Revolt in America. Ox-       Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und
   ford: Oxford University Press. Dubiel bemerkt dazu:        Gewaltforschung entwickelt. Die empirischen For-
   „In solchen sozialgeschichtlichen Momenten geschieht       schungsberichte des einschlägigen Projekts wurden
   es, daß die kollektiven Kränkungserfahrungen, die          unter dem Titel „Deutsche Zustände“ (Folge 1 bis Fol-
   Statusängste und die frustrierten Glückserwartungen        ge 10) zwischen 2002 und 2011 im Suhrkamp Verlag
   der betroffenen Bevölkerungsgruppen aus den etablier­      (Frankfurt/Main) unter der Herausgeberschaft von
   ten Diskursen und Legitimationsmustern gleichsam           Heitmeyer publiziert. Vgl. auch die nachfolgende Pu-
   herausfallen und den Status vagabundierender Poten-        blikation aus dem Institut von Andreas Zick, Beate
   tiale gewinnen, die eigentümlich querliegen zum Spek­      Küpper und Andreas Hövermann: Die Abwertung der
   trum politischer Richtungstraditionen.“ Helmut Du-         Anderen. Eine europäische Zustandsbeschreibung zu
   biel: Das Gespenst des Populismus. In: ders. (Hrsg.):      Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung. Bonn:
   Populismus und Aufklärung. Frankfurt/Main: Suhr-           Friedrich-Ebert-Stiftung 2011 (http://library.fes.de/
   kamp 1986, S. 33-50, hier S. 47.                           pdf-­files/do/07905-20110311.pdf).

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betrifft: Bürgergesellschaft
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Fidschi, Araber oder Neger figurieren. Der na-              Dies illustrieren Aussagen aus unserer Befra-
mensstiftenden Fokussierung von Pegida auf das              gung:
von der Islamisierung bedrohte Abendland haf-
                                                               „Besonders bin ich gegen die zunehmende
tet etwas Beliebiges an. Das wird nicht zuletzt
                                                               Einwanderung von Muslimen. Diese Religion ist
daran sichtbar, dass mit gleicher Vehemenz auch
                                                               definitiv niemals in der Lage, sich zu integrie­
Klagen gegen die „Lügenpresse“ sowie von außen
                                                               ren, sie ist menschen- und besonders frauen­
kommende „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Sozial­
                                                               feindlich, gehört ins Mittelalter und nicht in
schmarotzer“ geführt werden. So heißt es auf
                                                               unser modernes Europa.“
einem am 12. Januar getragenen Plakat: „Wirt-
schaftsflüchtlinge und Volksverräter raus aus                  „Der Islam gehört keinesfalls zu Deutschland.
Deutschland“. Die kategoriale Benennung eines                  Ich habe nichts gegen Kriegsflüchtlinge, doch
Sündenbocks wirkt entlastend; sie befreit von                  ich habe was gegen Wirtschaftsflüchtlinge und
möglichen Irritationen durch einen Tatsachen-                  jene, welche sich hier nicht integrieren wol­
blick, welcher Grautöne und Widersprüche sicht­                len. In einigen Städten Deutschlands kommt
bar machen oder gar Empathie wecken könnte.                    man sich fremd im eigenen Land vor. Das kann
                                                               und darf nicht sein. Die Kriminalität steigt und
Zuweilen wird die Ablehnung des Fremden un-
                                                               die Politik sieht tatenlos zu. Es reicht!!! Ich
verblümt ausgesprochen. Da finden sich Anhän­
                                                               brauche keine Verhältnisse wie in Berlin Moha­
ger von Pegida, die vor laufender Kamera darüber
                                                               bit (sic!), Köln Kalk oder Essen. Deshalb gehe
sinnieren, welche Seuchen durch Asylbewerber
                                                               ich auf die Straße, um diesen Wahnsinn fern
eingeschleppt würden, die meinen, dass die „Ne­
                                                               von Dresden zu halten.“
ger von da unten“ allesamt zu dumm seien, auch
nur eine Schraube einzudrehen, dass Asylbewer­              Pegida zehrt von allen drei genannten Tiefen-
ber die Kinder von Deutschen zu entführen droh­             strömungen. Es verbindet sie in einer diffus-as-
ten. Häufiger fallen die Kommentare allerdings              soziativen Weise in der Selbststilisierung als ei-
vorsichtiger aus, wobei nicht immer ersichtlich             ner identitären Gruppe, die sich aus ihrer Op-
ist, ob hier reales Differenzierungsvermögen                ferrolle25 befreien und Handlungsmacht noch
oder vielmehr der Effekt sozialer Erwünschtheit             dem Motto entfalten will: Wir sind viele. Wir
zum Ausdruck kommt. So wird eine strikte Tren­              werden immer mehr. Und wir werden es ihnen
nung zwischen den „echten“ und willkommenen                 zeigen. Dieses Credo, das durch die mediale
Asylbewerbern24 und den „falschen“ und abzu-                Überhöhung der Proteste zu einer temporären
weisenden Wirtschaftsflüchtlingen vorgenom-                 Selbstberauschung führte (Plakate: „Das System
men. Häufig findet sich auch eine Entlastung                ist am Ende – wir sind die Wende“; „Alle Räder
heischende Vorrede, man habe überhaupt nichts               stehen still, wenn UNSER starker Arm es will!“),
gegen Asylbewerber und Ausländer, um mit dem                war letztlich nicht durchzuhalten. Es scheiterte
dann folgenden „Aber“ die eigentliche Botschaft             an den Enthüllungen über rechtsradikale Äuße-
zu offenbaren, indem etwa eine hohe Kriminali­
                                                            25 Dazu sagte eine Rednerin der Veranstaltung am 5. Ja-
tätsneigung von Ausländern oder die prinzipiel­                nuar 2015: „Wir sind die politisch Verfolgten in unse-
le Unfähigkeit von Muslimen behauptet wird,                    rem Land, werden öffentlich beleidigt als Nazis, Fa-
sich in westliche Gesellschaften zu integrieren.               schisten, Ausländerfeinde.“ (eigene Mitschrift). In die
                                                               gleiche Richtung zielen bestimmte Plakate: „Deutsch-
24 „Solidarität mit bedürftigen Flüchtlingen“ nennt einer      land – wo Meinungsfreiheit zur Mutprobe wird“ und
   der von uns Befragten als Hauptmotiv für seine Betei-       „Wir lieben unsere Heimat, deshalb nennt man uns
   ligung an Veranstaltungen von Pegida.                       Schande für Deutschland“.

                                                                                                                   12
betrifft: Bürgergesellschaft
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rungen und Umtriebe einiger Exponenten von             Doch die Beruhigung an der Oberfläche bedeu-
Pegida, an ideologischen Differenzen und per-          tet nicht, dass die seit Jahrzehnten bestehenden
sönlichen Eitelkeiten, an der Schizophrenie im         Tiefenströmungen an Kraft verloren haben. Un-
Umgang mit den Medien, an dem nachlassen-              ter neuen strukturellen Konstellationen in Ver-
den öffentlichen Interesse und individueller Mo­       bindung mit aktuellen Anlässen können sie er-
tivation angesichts der Wiederholung des im-           neut, und durchaus vehementer als im Falle von
mer Gleichen, nicht zuletzt auch an der wach-          Pegida, an die Oberfläche drängen und soziale
senden Gegenmobilisierung.                             wie politische Erschütterungen auslösen.

                                             4. Was tun?
Zum Schluss bleibt die ebenso naheliegende wie         in empirisch haltlosen Zuschreibungen (etwa der
schwer zu beantwortende Frage: „Was tun?“ Da-          Kategorisierung der Pegida-Organisatoren als
rüber wurde öffentlich viel gesagt und viel ge-        „Nazis in Nadelstreifen“) oder der summarischen
stritten. Hierbei standen die Optionen „Abgren­        Kennzeichnung der gesamten Anhängerschaft
zung und ostentative Gesprächsverweigerung“            von Pegida als „braunes Pack“ und dergleichen.
versus „Dialog mit der Teilmenge der gesprächs­        Etikettierungen dieser Art signalisieren den po-
bereiten Normalbürger_innen“ im Vordergrund.           litischen Standpunkt des Betrachters, aber sie
Die Liste der Politiker_innen und Kommenta-            tragen wenig zur Aufklärung bei.
tor_innen, die sich jeweils in die eine oder an-
dere Spalte eintragen ließen, ist ungewöhnlich         2) Eine zweite Reaktion zielt auf die aktive Aus-
lang; sie signalisiert vor allem die Redundanz,        einandersetzung mit den Sichtweisen und Be-
Einäugigkeit und Vordergründigkeit der ge-             hauptungen von Pegida & Co. Dazu gehören (a)
wählten Perspektiven. Die Verknüpfung beider           die Zurückweisung falscher Behauptungen, (b)
Optionen, Dialog mit den Diskussionswilligen           das Verlangen, diffuse Forderungen zu präzisie-
bei gleichzeitiger Ächtung der Unverbesserli-          ren, (c) das Aufzeigen von sozialen Vorurteilen
chen, ist ein richtiger Schritt. Aber auch ein sol-    bis hin zum blanken Rassismus, (d) die Durch-
ches Vorgehen bleibt als eine Ad-hoc-Strategie         führung von Gegenprotesten und schließlich (e)
vordergründig, indem es sich auf die Symptome          die strafrechtliche Verfolgung von Tatbeständen
richtet, aber die Ursachen nicht berührt. Vier         wie zum Beispiel dem der Volksverhetzung. Mit
Vorschläge dazu:                                       diesen Reaktionsweisen werden (latente) Diffe-
                                                       renzen innerhalb der Pegida-Bewegung stärker
1) Ein erste nützliche, eher wissenschaftlich als      sichtbar gemacht und zugleich Trennungslinien
politisch ausgerichtete Reaktion ist der genaue,       zwischen der Bewegung und ihren Kritikern und
faktenorientierte und empirisch-analytische Blick      Gegnern gezogen. Damit wird die Selbststilisie-
auf das Phänomen Pegida & Co. Es geht darum,
                                                       rung von Pegida als die Stimme des Volkes als
dessen Aufkommen, Attraktivität und Dynamik
                                                       Phrase kenntlich.
zu verstehen und dabei, wie hier angedeutet, vor
allem auch die Tiefenströmungen zu erfassen.           3) Eine dritte Reaktion besteht darin, dass rele-
Zuweilen wird ein solcher Versuch des Verste-          vante Gruppen in Politik und Gesellschaft ein-
hens als ein Akt der Billigung missverstanden          gestehen, Fehler gemacht zu haben. Dazu ge-
und vorschnell abgewehrt. Das zeigt sich dann          hört,

                                                                                                     13
betrifft: Bürgergesellschaft
                                        Pegida & Co. – Aufstieg und Fall eines populistischen Unternehmens

– dass eine wachsende soziale Spaltung der Ge­              – dass die Europäische Union mehr Maßnah-
  sellschaft zugelassen, teilweise auch aktiv be-             men ergreift, um Flüchtlinge abzuwehren, an­
  fördert wurde,                                              statt dazu beizutragen, die Situation in den
– dass politische Partizipation vor allem dort                Herkunftsländern positiv zu beeinflussen.
  willkommen ist, wo sie sich auf Symbolpoli-               4) Dem Eingeständnis zurückliegender und bis
  tik oder Nebenschauplätze beschränkt,                     heute anhaltender Fehler und Versäumnisse
– dass rechtsradikale und ausländerfeindliche               müssten vor allem strukturelle Maßnahmen des
  Tendenzen kleingeredet wurden,                            Gegensteuerns und der Abhilfe folgen. Es wäre
– dass die Illusion gepflegt wurde, solche Ten-             naiv, hier allein auf die Fähigkeit der etablierten
  denzen fänden sich nur rechts der „bürgerli-              Politik zu Einsicht und Selbstkorrektur zu ver-
  chen Mitte“26,                                            trauen. Grundlegende politische Weichenstel-
                                                            lungen ergeben sich aus den Verknüpfungen,
– dass lange geleugnet wurde, Deutschland sei
                                                            Konkurrenzen und Kämpfen höchst unterschied­
  ein Einwanderungsland,
                                                            licher Interessengruppen, die mit unterschiedli-
– dass Teile von Politik und Behörden gegen-                cher Organisations- und Konfliktfähigkeit aus-
  über ausländerfeindlichen Tendenzen nach-                 gestattet sind. Wer Veränderungen will, muss
  gegeben haben bzw. drohenden Konflikten                   Einfluss auf die bestehenden Kräfteverhältnisse
  aus dem Weg gegangen sind (etwa durch die                 nehmen. Auf politischer Ebene ringen darum
  Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften in                Vertreter dreier Varianten zeitgenössischer De-
  städtischen Randzonen oder Gewerbegebie-                  mokratie, wie sie Helmut Dubiel beschrieben
  ten),                                                     hat. Erstrebenswert erscheint mir allein das drit­
– dass die realen Kosten der Asylpolitik nicht              te der nachfolgend beschriebenen Konzepte:
  offengelegt und selbstbewusst gerechtfertigt
                                                            Die liberale Variante will „aus einer prinzipiel-
  werden,
                                                            len anthropologischen Skepsis oder aus einem
– dass Integration mit Assimilation verwech-                Mißtrauen gegenüber den Massen das politische
  selt wird und erstere durch eine Reihe von                System gegen deren Zugriff “27 weitgehend ab-
  Zuständen und Maßnahmen eher erschwert                    schotten. Damit begünstigt sie eine Entwicklung
  als erleichtert wird,                                     in eine Richtung, die Colin Crouch als „Post­
– dass Einwanderung vor allem unter dem As-                 demokratie“ bezeichnet hat.28 Gemeint ist eine
  pekt wirtschaftlicher Vorteile begrüßt, legiti-           schleichend voranschreitende Entdemokratisie­
  miert und kanalisiert wird,                               rung, während das Gefüge demokratischer Insti­
– dass fälschlich der Eindruck verbreitet wird,             tutionen nur noch als eine leere Hülse fortbe-
  Deutschland trage die meisten „Lasten“, wenn              steht. Crouch verweist in diesem Zusammen-
  es darum geht, Asylbewerber und Flüchtlin-                hang auf den Verfall politischer Kommunika­
  ge aufzunehmen,                                           tion, den Zuwachs sozialer Ungleichheit (und
                                                            damit korrespondierender ungleicher politischer
26 Zum Extremismus der „Mitte“ vgl. Oliver Decker, Jo-      Beteiligung) sowie eine neoliberale Wirtschafts-
   hannes Kiess und Elmar Brähler: Die stabilisierte Mit-
                                                            politik, bei der Unternehmen und Wirtschafts-
   te. Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014.
   Leipzig 2014; sowie Andreas Zick und Anna Klein:
   Fragile Mitte. Feindselige Zustände. Rechtsextreme       27 Dubiel, siehe Fußnote 22, S. 49.
   Einstellungen in Deutschland 2014, hrsg. von der         28 Siehe: Colin Crouch: Postdemokratie (orig. 2004).
   Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn: Dietz Verlag 2014.          Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008.

                                                                                                             14
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