PEGIDA UND DER VERFASSUNGS-SCHUTZ - ANALYSEN PARTEIEN UND DEMOKRATIE

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Analysen

Parteien und Demokratie

Pegida und der
Verfassungs-
schutz
Felix Korsch
Inhalt

Asylkritik, mit und ohne Hakenkreuz                                   2

1 Einleitung                                                          6

2 Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen im Diskurs um Pegida    8

3 Die Pegida-Bewegung im Spiegel der Verfassungsschutzberichte       14

4 Berichterstattung und Beobachtung als Verfassungsschutzpolitik     26

5 Pegida als ständiger Prüffall                                      31

6 Reziproke Anpassung                                                34

7 Pegida und die Grenzen des Verfassungsschutzes                     38
2
    «Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.»                           J. W. v. Goethe

    Asylkritik, mit und ohne Hakenkreuz
    Anstelle eines Vorworts

    In den vergangenen Monaten ist in der           Sachsen oder Ostdeutschland beschrän-
    Bundesrepublik – mit deutlichen regio-          ken.
    nalen Schwerpunkten – eine ungeahnte,           An der fortgesetzten Entwicklung hat
    buchstäblich un-heimliche Eskalations-          die extreme Rechte einen unleugbaren
    dynamik zu beobachten. Der staatliche           Anteil, aus der heraus sich offenbar ei-
    Versuch, sie einzudämmen, bewertet              ne neue Fraktion formiert, die durch ei-
    das Geschehen augenscheinlich kaum              nen vigilantistischen Aktionismus1 ge-
    als ein innenpolitisches Risiko. Er teilt da-   eint ist: Das ist beispielsweise der Fall bei
    für, wo zeitweise Grenzen erschlossen           einer sogenannten Bürgerwehr in Frei-
    werden, mit dem Rassismus deutscher             tal, bei Teilen der «Reichsbürger»-Bewe-
    Nation die Signatur des Illiberalen.Diese       gung im Umfeld der «Initiative Heimat-
    scheint seit gut einem Jahr immer stär-         schutz» in Meißen sowie bei überörtlich
    ker auf und begegnet uns – das ist be-          mobilisierungsfähigen, hooligan-artigen
    merkenswert – in Gestalt einer sozia­len        Gruppierungen, die mehrfach bei Legi-
    Bewegung von rechts. Im Oktober 2014            da (Leipzig gegen die Islamisierung des
    begann die Serie von Pegida-Demonstra-          Abendlandes)2 in Leipzig ihre Aufwar-
    tionen in Dresden. Außerhalb der säch-          tung machten. Wissenschaftlich gestütz-
    sischen Landeshauptstadt tritt Pegida           te Einordnungen sind angesichts der dy-
    (Patriotische Europäer gegen die Isla-          namischen Gemengelage noch äußerst
    misierung des Abendlandes), von we-             rar.3 Der Verfasser hat bislang versucht,
    nigen Ausnahmen abgesehen, inzwi-               den Aufschwung der Pegida-Bewegung
    schen nicht mehr in Erscheinung. Recht
    synchron ist es allerdings zu anhalten-         1 Damit wird ein gewaltaffines Gruppenhandeln zur Durch-
                                                    setzung oder Verteidigung bestehender oder erwünschter
    den Protestmobilisierungen in Mittel-           Normen, insbesondere Privilegien, bezeichnet; vgl. Johnston,
    und selbst Kleinstädten gekommen, die           Les: What is Vigilantism?, in: British Journal of Crimonology
                                                    2/1996, S. 220–236. 2 Die meisten Pegida-Ableger haben ih-
    sich – teils unverkennbar – formal, inhalt-     re Eigenbezeichnungen entsprechend an das Dresdner Vor-
    lich und selbst personell auf das Dresd-        bild angelehnt und um einen Ortshinweis ergänzt. 3 Jüngst
                                                    erschienen: Kiess, Johannes: 50 Shades of Brown: Pegida und
    ner Vorbild beziehen, aber insbesondere         der Wunsch nach Autorität, in: Möllers, Martin/van Ooyen,
    gegen Asylsuchende und deren Unter-             Christian (Hrsg.): Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2014/2015,
                                                    Frankfurt a.M. 2015, S. 207–222; Salzborn, Samuel: Demokra-
    bringung gerichtet sind. Dafür stehen in        tieferne Rebellionen. Pegida und die Renaissance völkischer
                                                    Verschwörungsphantasien, in: Frindte, Wolfgang u. a. (Hrsg.):
    (vorerst) letzter Konsequenz die als Po­        Rechtsextremismus und «Nationalsozialistischer Untergrund».
    gromversuch zu wertenden Ausschrei-             Interdisziplinäre Debatten, Befunde und Bilanzen, Wiesbaden
                                                    2015, S. 359–366; Jennerjahn, Miro: Sachsen als Entstehungs-
    tungen von Heidenau. Dafür stehen               ort der völkisch-rassistischen Bewegung PEGIDA, in: Braun,
    auch die vollendeten Anschläge in vielen        Stephan u. a. (Hrsg.): Strategien der extremen Rechten. Hin-
                                                    tergründe – Analysen – Antworten, 2., akt. u. erw. Aufl., Wies-
    anderen Orten, die sich mitnichten auf          baden 2015, S. 533–558.
in ihrer Hochphase und die elektoralen     allerdings beim Worte nehmen, müsste                               3
Auswirkungen nachzuzeichnen.4 Dem-         man auch die NPD als «National-Demo-
nächst erscheinen zwei weitere kleine      kraten» für demokratisch erklären. Das
Studien in einem bei der Forschungsstel-   Abgeben oder Bestreiten solcher Be-
le Rechtsextremismus und Neonazismus       kenntnisse als entscheidendes Kriteri-
(FORENA) der Fachhochschule Düssel-        um für irgendetwas herzunehmen hieße
dorf edierten Sammelband, die sich mit     dann, die Verfassungsschutzbehörden
Interaktionsverhältnissen Pegidas zur      von jedem Auftrag, also auch von der ei-
Alternative für Deutschland (AfD), poli-   genen Verantwortung freizustellen.
tischen Kräfteverhältnissen in der orga-   Die tiefere Bedeutung des Maaßen’schen
nisatorischen Kernsphäre sowie thema-      Satzes wird unten von seiner diskursiven
tischen Elementen der Protestagenda        Vorgeschichte her zu erhellen sein, die,
auseinandersetzen.5                        wie sich zeigen wird, tatsächlich Einfluss
Der hier vorgelegte Beitrag soll den       auf die Entwicklung Pegidas hatte. Dass
Blick weiten und auf einen Akteur auf-     sich im Hinblick darauf kein «Beobach-
merksam machen, der so selbstver-          tungsauftrag» ergab, stand in dieser Zeit
ständlich im medialen Diskurs ein- und     überhaupt nicht fest. Wer das kritisiert,
aufgeht, dass er als kollektive drama-     muss damit rechnen, unter «Pro-Sozia­
tis personae zumeist gar nicht in Be-      lismus-Verdacht» gestellt zu werden. 9
tracht gezogen wird. Gemeint sind die      Bemerkenswert erscheint dem Verfas-
Verfassungsschutzämter der Länder          ser aber die jüngst publizierte Ansicht
und des Bundes, die sich wiederholt,       des Sozialwissenschaftlers und ehema-
vor allem aber wiederholt widersprüch-     ligen Mitarbeiters des nordrhein-west-
lich zur Pegida-Bewegung und zu de-        fälischen Landesamtes für Verfassungs-
ren Umfeld eingelassen haben. Aus-         schutz (LfV), Thomas Grumke, über die
gewertet wurde dafür Material, das bis     Verfassungsschutzämter: «Bisher ist je-
Ende Juni 2015 angefallen ist, das also    doch keine neue Qualität im professio-
mit den Ereignissen in Heidenau und        nellen Handeln bzw. der Auswertung des
andernorts noch nicht rechnen konnte
und auch nicht mit dem entscheiden-        4 Vgl. Korsch, Felix: Pegida – das erste halbe Jahr. Eine kriti-
den Satz, mit dem sich der Präsident des   sche Zwischenbilanz, in: Burschel, Friedrich (Hrsg.): Aufstand
                                           der «Wutbürger». AfD, christlicher Fundamentalismus, Pegida
Bundesamtes für Verfassungsschutz          und ihre gefährlichen Netzwerke. hrsg. von der Rosa-Luxem-
(BfV), Hans-Georg Maaßen, schließ-         burg-Stiftung, Reihe Papers, Berlin 2015, S. 58–66.; Korsch, Fe-
                                           lix: Pegida und die Kommunalpolitik, in: ebd., S. 66–69. 5 Vgl.
lich aus der Affäre zog: «Pegida hat       Häusler, Alexander (Hrsg.): Die Alternative für Deutschland.
                                           Programmatik, Entwicklung und politische Verortung, Wies-
sich deutlich von Rechtsextremisten        baden (im Erscheinen). 6 Zit. nach: Kauschke, Detlef David:
distanziert, insofern hatten wir auch      «Noch besteht Gefahr». Verfassungsschutz-Präsident Hans-
                                           Georg Maaßen über antisemitische Bedrohungen, NPD-Ver-
keinen Beobachtungsauftrag.»6 Der Satz     bot und Vertrauen in seine Behörde, 30.7.2015, unter: www.
ist eine Irreführung, denn niemand, der    juedische-allgemeine.de/article/view/id/22950. 7 Vgl. Botsch,
                                           Gideon: Was ist «Rechtsextremismus»? Definitionen, Problem-
sich um politischen Einfluss bemüht,       dimensionen und Erscheinungsformen, in: Botsch, Gideon/
                                           Kopke, Christoph (Hrsg.): Die NPD und ihr Milieu. Studien und
bekennt sich freiwillig zum «Extremis-     Berichte, Münster/Ulm 2009, S. 24. 8 Vgl. Backes, Uwe: Ex-
mus»,7 sondern wird dies bestreiten, um    tremismus: Konzeptionen, Definitionsprobleme und Kritik, in:
                                           Backes, Uwe u. a. (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokra-
nicht in eine «Außenseiterposition im      tie 2010, Bd. 22, Baden-Baden 2010, S. 13–31. 9 So z. B. Neu,
Kommunikationsprozess» zu geraten. 8       Viola: Lehrbuch Extremismus – Wichtig oder nichtig?, in: Ba-
                                           ckes, Uwe u. a. (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie
Wollte man solche Selbstdarstellungen      2013, Bd. 25, Baden-Baden 2013, S. 297–299.
4   Rechtsextremismus zu erkennen. […]            buchstäblich anfeuert, als «Rechtsextre-
    Nach wie vor gibt es […] weder auf der        mist» bezeichnet werden kann. Genau-
    Arbeits- geschweige denn auf der Lei-         er gesagt existiert dieser Unterschied
    tungsebene den systematischen Erwerb          wenn, dann ausschließlich für die Verfas-
    von Fachkompetenz hinsichtlich des            sungsschutzämter und deren Theoretike-
    Phänomens Rechtsextremismus.»10 Die           rInnen: Das LfV Sachsen veröffentlichte
    Verdrängung der Pegida-Bewegung, ihr          Ende Juli 2015 einen Beitrag, dem zufol-
    ähnlicher Strömungen und der bemer-           ge die «überwiegende Mehrzahl asylkriti-
    kenswerten Verschiebungen in der re-          scher Veranstaltungen im Freistaat Sach-
    zenten extremen Rechten aus dem amt-          sen» von «nichtextremistischen Gruppen
    lichen Gesichtskreis spricht für diesen       initiiert und getragen» werde. Allenfalls
    Befund. Maaßens Satz ist das Paradebei-       habe man es mit «einzelnen Rechtsext-
    spiel genau dieses Befundes.                  remisten» zu tun. Dieser so bezeichneten
    Die Verfassungsschutzämter sprechen           «Einzelfälle» wegen sollten die «asylkriti-
    ihre eigene Sprache, es ist die Seman-        schen Initiativen des Freistaates Sachsen
    tik der Extremismustheorie. Sie fragt da-     […] sensibel und mit deutlicher Abgren-
    nach, und nur danach, ob und inwieweit        zung auf das Engagement von Rechtsex-
    sich politische Strömungen gegen die          tremisten reagieren».12 Dann, so möchte
    Bundesrepublik Deutschland als demo-          man mit Maaßen ergänzen, könne Ent-
    kratischen Verfassungsstaat und dessen        warnung gegeben werden: Solange ei-
    freiheitlich-demokratische Grundord-          ne Distanzierung vorliegt, rangiert «Asyl-
    nung (FdGO) richten. Wenn das der Fall        kritik» als legitime Position innerhalb des
    ist, und nur dann, wird von «Extremis-        Verfassungsbogens.
    mus» gesprochen. Dann, und nur dann,          Es geschieht nicht oft, dass Verfassungs-
    ergibt sich ein «Beobachtungsauftrag»,        schutzämter ihr normiertes Vokabular
    der auch unter Anwendung geheim-              erweitern, und es verwundert, dass der
    dienstlicher Methoden erfüllt wird. Ob        Zweck dieser Erweiterung offensichtlich
    so vorgegangen werden sollte, braucht         darin besteht, ein bestimmtes Protest-
    hier nicht diskutiert zu werden. Soweit       spektrum vom Ruch des «Rechtsextre-
    nämlich Grumkes Befund zutrifft, kön-         mismus» freizuhalten. Das ist keineswegs
    nen noch so viele Informationen auf be-       Aufgabe der Ämter, aber doch ein Vorge-
    liebigem Meldeweg einlaufen – das Re-         hen, das in Bezug auf Pegida schon er-
    sultat bleibt systematisch irrig. In Teilen
    der Wissenschaft, aber auch der Zivilge-      10 Grumke, Thomas: Prozesse und Strukturen der Verfas-
                                                  sungsschutzämter nach dem NSU, in: Frindte (Hrsg.): Rechts-
    sellschaft und der Politik geht man davon     extremismus und «Nationalsozialistischer Untergrund», S.
    aus, dass der Irrtum weniger individuel-      273f. 11 Vgl. u. a. Forum für Kritische Rechtsextremismusfor-
                                                  schung (Hrsg.): Ordnung. Macht. Extremismus. Effekte und
    lem Unvermögen geschuldet ist, son-           Alternativen des Extremismus-Modells, Wiesbaden 2011;
    dern einem zur Doktrin erhobenen Extre-       Ackermann, Jan: Metamorphosen des Extremismusbegriffes.
                                                  Diskursanalytische Untersuchungen zur Dynamik einer funk-
    mismusverständnis.11                          tionalen Unzulänglichkeit, Wiesbaden 2015. 12 Landesamt
                                                  für Verfassungsschutz Sachsen: Rechtsextremisten versuchen
    Es macht auch beim hier verhandelten          weiterhin Einfluss auf Anti-Asylveranstaltungen im Freistaat
    Thema sachlich keinen Unterschied, ob         Sachsen zu nehmen, 29.7.2015, unter: http://verfassungs-
                                                  schutz.sachsen.de/1621.htm. Lesenswert hierzu die Glosse
    dem hegemonialen Verständnis zufolge          des Türkei-Korrespondenten der Tageszeitung Die Welt: Yücel,
    derjenige, der eine Unterkunft für Asyl-      Deniz: Und wer schützt den Verfassungsschutz?, 5.8.2015, un-
                                                  ter: www.welt.de/kultur/article144815456/Und-wer-schuetzt-
    suchende anzündet oder andere dabei           den-Verfassungsschutz.html.
probt ist. Die Irritation ist komplett, wenn   griff erneut in den Diskurs ein. So berich-                      5
man sich anschaut, wann und von wem            tete kürzlich die bayerische Polizei, an ei-
der Begriff «Asylkritik» gebraucht wurde.      ner Brücke im Landkreis Aschaffenburg
Im aktuellen Kontext tauchte er zum ers-       seien «asylkritische Banner» angebracht
ten Mal Ende November 2014 auf, als sich       worden. Keine Pointe: Auf ihnen prangten
ein ehemaliger sächsischer NPD-Kom-            Hakenkreuze.15
munalpolitiker selbst zum «Moderator           Wenn anschließend versucht wird, die
des asylkritischen Protests» erklärte. Es      Schritte nachzuvollziehen, die bei derlei
ist höchst zufällig derselbe NPD-Mann,         Absurditäten enden, wird es nicht aus-
den das LfV Sachsen als «Einzelfall» ei-       bleiben, der Semantik der angewandten
nes Rechtsextremisten unter lauter Un-         Extremismustheorie zu folgen und inso-
bescholtenen ausmacht. 13 Ende 2014            weit die Sprache der Verfassungsschutz-
war «Asylkritik» zunächst in den Medi-         ämter zu sprechen. Die «deutliche Ab-
en als Chiffre für die Ziele der Teilneh-      grenzung» des Verfassers gegen Stücke
merInnen an den Pegida-Veranstaltungen         dieser Werkschau darf vorausgesetzt
übernommen worden. Während etliche             werden.
Medien und Presseagenturen von dem
Etikett wieder Abschied nahmen,14 floss        Felix Korsch
es wenig später als quasi-amtlicher Be-        September 2015

                                               13 Protest gegen Asylheim, SäZ-Online, 30.11.2014, un-
                                               ter: www.sz-online.de/nachrichten/protest-gegen-asyl-
                                               heim-2984106.html. 14 Vgl. Stefanowitsch, Anatol: Kurze Ge-
                                               schichte eines Unwortes: Asylkritiker, 1.8.2015, unter: www.
                                               sprachlog.de/2015/08/01/kurze-geschichte-eines-unworts-
                                               asylkritiker/. 15 Vgl. Polizeipräsidium Unterfranken: Asylkri-
                                               tische Banner mit Hakenkreuzen an Staatsstraße, 15.9.2015,
                                               unter: www.polizei.bayern.de/unterfranken/news/presse/ak-
                                               tuell/index.html/227770.
6   1 Einleitung

    Wer sind die «Patriotischen Europäer       taphorischen Ausdruck findet: dass «der
    gegen die Islamisierung des Abendlan-      Verfassungsschutz» so etwas wie «das
    des» und wie bedenklich sind sie? Seit     Fernlicht» der demokratischen Gesell-
    der Entstehung der Pegida-Bewegung         schaft sei, mit dem Gefahren frühzeitig
    befinden sich unter den ExpertInnen, die   ausgeleuchtet werden könnten. Doch
    in der Medienberichterstattung zur Ein-    gerade vor dem Hintergrund der Pegi-
    ordnung des neuen Phänomens beitra-        da-Bewegung, die ihrerseits Ausdruck
    gen sollen oder wollen, auch Mitarbeite-   eines derzeit äußerst bedeutsamen ge-
    rInnen von Verfassungsschutzbehörden.      sellschaftlichen Konfliktfeldes ist, steht
    An deren Einschätzungen ist nichts Be-     das infrage, wie sich aus Äußerungen der
    sonderes, sie sind so vorläufig wie alle   Verfassungsschutzämter selbst ergibt.
    anderen, sie können sich demnach als       Nur diese Äußerungen können unter-
    zutreffend oder unzutreffend erweisen.     sucht werden. Die eigentliche nachrich-
    Von Anbeginn fraglich war aber das amt-    tendienstliche Tätigkeit, die von anderen
    liche Expertentum, denn zumindest die      Erwägungen geleitet sein und die zu an-
    Stellungnahmen des Landesamtes für         deren Resultaten gelangen könnte, bleibt
    Verfassungsschutz (LfV) Sachsen ha-        dem Diskurs bis auf Weiteres entzogen.
    ben Anfang 2015 – auf dem Höhepunkt        Dem gegenüber ist ein bleibender Ein-
    der Pegida-Bewegung – politischen Ein-     fluss dieser Tätigkeit – genauer: der
    fluss auf den herrschenden Diskurs und     bloßen Ahnung, dass sie stattfinden
    die Handlungsoptionen der Landesre-        könnte – auf das Bewusstsein von Kriti-
    gierung genommen. Hierum wird es zu-       kerInnen wie auch AnhängerInnen der
    nächst gehen.                              Pegida-Bewegung zu berücksichtigen.
    In der Zwischenzeit1 sind einige Verfas-   Der kanadische Kriminologe Jean-Paul
    sungsschutzberichte für das vergangene     Brodeur nannte dies «the threatening
    Jahr vorgelegt worden, von denen eine      potential of secrecy»2 und bezeichnete
    Konsolidierung und Systematisierung        damit eine zentrale, wenn auch zumeist
    der Informationslage zu erwarten gewe-     vorbewusst bleibende Funktion des so-
    sen wäre. Stattdessen gehen Analysen,      genannten high policing, wie sie die Ver-
    Bewertungen und Prognosen von Bun-         fassungsschutzämter im Gegensatz zu
    desland zu Bundesland erheblich ausei-     regulärer Polizeiarbeit (low policing) leis-
    nander, sodass sich ein Flickenteppich     ten. Sie schreiben sich sogleich ein in
    ergibt, der grobe Webfehler aufweist.      Erzählungen über Pegida, sei es in ap-
    Hierum soll es in zweiter Linie gehen.     pellativer oder deskriptiver, in abweh-
    Die Absicht der vorliegenden Analyse ist   render oder diffamierender Absicht. So
    nicht, den Ämtern eine andere Sichtwei-    geht etwa der Investigativ-Journalist
    se nahezulegen; das steht dem Verfasser
    nicht an. Er kennt indes den selbstlegi-   1 Es wurden nachfolgend Quellen berücksichtigt, die bis En-
    timierenden Anspruch jener Behörden,       de Juni 2015 vorlagen. Der Fokus liegt insoweit auf der Hoch-
                                               phase der Bewegung, die nach etwa einem halben Jahr zu
    der in den zumeist ministerlichen Vor-     Ende war, nachdem mit einem Auftritt von Geert Wilders zum
    worten der Verfassungsschutzberichte       vorerst letzten Mal eine fünfstellige Teilnehmerzahl erreicht
                                               worden war. 2 Brodeur, Jean-Paul: The Policing Web, Oxford
    in immer neuen Variationen seinen me-      2010, S. 230.
David Schraven von einer Radikalisie-         Es geht in diesen Beispielen um eine                             7
rung im Umfeld Pegidas aus und äußert         möglichst drastische Abgrenzung, die
aus diesem Grund die Hoffnung, dass           sich beliebig verlängern oder weiterspie-
der Verfassungsschutz «verdammt gut»          geln lässt. Nachdem etwa im Juni 2015
arbeite und «tief in die ganze PEGIDA-        im nahe Dresden gelegenen Freital eine
Bewegung eingestiegen» sei. 3 Dafür           rechte Protestserie, an der Bachmann
spricht realiter wenig, wenn auch die         zeitweise mitwirkte und die teils unter
Besorgnis nachvollziehbar bleibt. Weit-       dem Namen «Frigida» firmierte, in An-
aus häufiger anzutreffen ist eine speku-      griffen auf eine Unterkunft für Asylsu-
lative Steigerung wie die folgende, der       chende und auf AntirassistInnen münde-
die Nachvollziehbarkeit bereits abgeht:       te,7 distanzierte Bachmann sich von den
«Lutz Bachmann mag das Gesicht der            Vorfällen: Die hätten «VS-Schlapphüte
PEGIDA sein, ihr Kopf ist er nicht. […]       von der NPD» und andere eingeschleuste
Welche Behörde würde besser zu den is-        Provokateure angezettelt.8 Um die einge-
lamfeindlichen, die Gesellschaft spalten-     schränkte Glaubwürdigkeit einer solchen
den Ergüssen von PEGIDA passen als der        Abgrenzung muss es hier nicht gehen.9
sächsische Verfassungsschutz?»4 Über          Es sollte dagegen die spezifische diskur-
den kritischen Gehalt solcher Vermutun-       sive Existenz des Verfassungsschutzes
gen soll man sich keine Illusionen ma-        auffallen, ob in kritischer oder apologe-
chen, sie werden sehr ähnlich auch von        tischer Absicht, ob in aller Öffentlichkeit
ganz rechts formuliert: «Lutz Bachmann        oder in internen, bald schon sektiereri-
einte darauf seine Freunde und früheren       schen Fehden. Dem liegt eine erfundene,
Weggefährten, und sie gründeten […]           um nicht zu sagen paranoide Vorstellung
die PEGIDA. Ob das eine Spontaneität          der Tätigkeit von Verfassungsschutzbe-
war oder ob Dienste, Verfassungsschutz        hörden zugrunde. Das aber überstrahlt
u. a. dabei als Pate zur Seite standen, sei   vollständig deren tatsächlichen, mindes-
dahingestellt. […] Das oppositionelle La-     tens rezeptiven Zugriff auf das Themen-
ger zu bündeln und danach zu zerlegen,        feld und die (Wechsel-)Wirkungen, die
wäre ein mögliches Ziel gewesen.»5 An-        sich daraus ergeben.
haltspunkte dafür gibt es nicht. Trotz-
dem ging eine im Namen der «Hooligans
                                              3 Schraven, David: «Ich befürchte, dass wir bald schwe-
gegen Salafisten» (HoGeSa) verbreite-         re Anschläge erleben werden», Interview, 6.5.2015, unter:
te Erklärung noch viel weiter: «Uns sind      www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/politik-ge-
                                              sellschaft/oldschool-society-interview-david-schraven-100.
Informationen aus der Motorrad-Szene          html. 4 Ewen-Ungar, Gert: Wer steckt hinter PEGIDA? Lutz
                                              Bachmann mit Sicherheit nicht, 21.12.2014, unter: http://lo-
zugespielt worden, wonach [eine Pegida-       gon-echon.com/2014/12/21/wer-steckt-hinter-pegida-lutz-
Führungsperson] als Spitzel agiert hat.       bachmann-mit-sicherheit-nicht/. 5 Medger, Gerd: Die Ur-
                                              sprünge von Pegida, in: Die Aula 2/2015, S. 8. 6 Pegida die
[…] Auch haben wir uns gewundert, wie         Wahrheit, 20.1.2015, inzwischen gelöscht; Kopie abrufbar un-
gut organisiert diese Bewegung vorgeht.       ter: https://web.archive.org/web/20150120185352/http://ho-
                                              gesa.info/?page_id=158. 7 Meisner, Matthias/Radau, Lars:
[…] Wo kommt das Geld dafür her und           «Vergleiche mit Hoyerswerda sind angebracht», 23.6.2015,
                                              unter: www.tagesspiegel.de/politik/anti-asyl-proteste-in-frei-
warum hat es die PEGIDA so leicht?»6 Be-      tal-vergleiche-mit-hoyerswerda-sind-angebracht/11955918.
lege wurden nicht präsentiert, und selbst     html. 8 Bachmann, Lutz: Facebook-Profil, 24.6.2015, Kopie
                                              abrufbar unter: https://archive.is/DPvmV. 9 Kurz vorher war
wenn es sie gäbe, würden sie die hinter-      ein Gruppenfoto aufgetaucht, das Pegida-Sicherheitschef Sieg-
fragten Erfolgsbedingungen kaum erklä-        fried Daebritz an der Seite des NPD-Parteivorsitzenden Frank
                                              Franz und des ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten Arne
ren.                                          Schimmer zeigt.
8   2 Das Landesamt für Verfassungsschutz
    Sachsen im Diskurs um Pegida

    Gehen wir zunächst von dem aus,             Auch sonst schien es so, als wäre das
    was das sächsische LfV selbst mitteilt.     LfV mit seiner Warnung auf der Höhe
    Am Anfang war es folgende Passage:          der Zeit. Denn allein in den drei voran-
    «Rechtsextremisten […] bedienen sich        gegangenen Wochen war es in Chem-
    in ihrer Argumentation eines fremden-       nitz, Zwickau, Plauen und Zwönitz zu
    feindlichen Weltbildes, das sich gegen      Attacken gegen Flüchtlingsunterkünf-
    Asylbewerber, gleich welcher Herkunft,      te, teils auch gegen deren BewohnerIn-
    richtet. Der pauschale Vorwurf des mas-     nen gekommen.12 In Wilkau-Haßlau war
    senhaften Asylmissbrauchs und die da-       zudem unter ungeklärten Umständen
    mit verbundene Verunglimpfung und Kri-      ein Döner-Imbiss ausgebrannt, mehrere
    minalisierung der betroffenen Menschen      Menschen hatten aus einem anliegen-
    lassen den extremistischen Kern ihrer       den Wohnhaus gerettet werden müs-
    Agitation offen zutage treten.» Mit die-    sen.13 Das LfV hätte also Anlässe gehabt,
    ser konventionellen Klarstellung warnte     über Montagabende in Dresden oder
    das sächsische Landesamt für Verfas-        andere sächsische Nächte zu berichten.
    sungsschutz öffentlich vor «rechtsextre-    Doch mit jenen «rechtsextremistischen
    mistischen Anti-Asylkampagnen».10 Ent-      Anti-Asyl-Kampagnen» meinte das Amt,
    scheidend war dabei der Zeitpunkt der       pars pro toto, «insbesondere die NPD»14
    Wortmeldung, der 10. November 2014.         und sonst nicht viel mehr. Wer dieses be-
    An diesem Tag gingen in Dresden zum         hördliche Deutungsangebot beim Wort
    vierten Mal die «Patriotischen Europäer     nahm, konnte ihm implizit eine erste Ein-
    gegen die Islamisierung des Abendlan-       schätzung über Pegida entnehmen: Falls
    des» auf die Straße. Daran beteiligten      es sich um eine Anti-Asyl-Kampagne
    sich schon 1.700 Personen, in den Fol-      handelt, ist sie jedenfalls nicht «rechtsex-
    gewochen sollte sich ihre Zahl schließ-     trem». Ihr fehle, so kann man es verste-
    lich mehr als verzehnfachen. Der MDR        hen, so etwas wie die NPD.
    hatte auf die damals unerwartete Ent-       An diesem Befund änderte sich in der
    wicklung bereits zeitig in einem Fernseh-   Folgezeit nichts Wesentliches. Ende No-
    beitrag hingewiesen, Pegida damit über-     vember 2014, als Pegida schon bundes-
    regional bekannt und zugleich zu einem      weit in den Medien war, äußerte sich
    Problem der öffentlichen Sicherheit ge-     erstmals der sächsische Innenminister
    macht. Denn unter anderem wurde auf         Markus Ulbig (CDU) ausführlich zum
    Verbindungen zum Netzwerk der «Hoo-         Thema: Zwar sehe er die aktuelle Ent-
    ligans gegen Salafisten» hingewiesen,       wicklung «mit Sorge», denke aber nicht,
    die sich wenige Tage zuvor unter Mitwir-    10 LfV Sachsen: Rechtsextremistische Anti-Asylkampagnen.
    kung zahlreicher Neonazis in Köln eine      10.11.2014, unter: http://verfassungsschutz.sachsen.de/1473.
                                                htm. 11 Vgl. Fragwürdige Demonstrationen – Wer steckt hin-
    Straßenschlacht mit der Polizei geliefert   ter den Protesten?, MDR Exakt, 5.11.2014, unter: www.mdr.
    hatten, und wie sich ein Pegida-Mitorga-    de/exakt/hooligans116.html. 12 Vgl. Deutscher Bundestag,
                                                Kleine Anfrage, Drs. 18/3964, S. 4f. 13 Vgl. Brand in Döner-Im-
    nisator gegenüber solcher Klientel über     biss bleibt rätselhaft, Freie Presse, 25.3.2015, unter: www.freie­
                                                presse.de/LOKALES/ZWICKAU/ZWICKAU/Brand-im-Doener-
    Muslime äußerte («bärtige Ziegenwäm-        Imbiss-bleibt-raetselhaft-artikel9150761.php. 14 LfV Sachsen:
    ser»).11                                    Rechtsextremistische Anti-Asylkampagnen.
«dass alle, die da mitlaufen, Nazis oder       rationen. Und auch Mitglieder der AfD                             9
Rechte sind. Aber wir müssen genau hin-        beteiligen sich. Sie versuchen, aus dem
sehen, ob nicht unter den Organisatoren        Schicksal der Flüchtlinge politisches Ka-
Rattenfänger sind.»15 Während in dieser        pital zu schlagen. Das ist niederträch-
Hinsicht also noch nichts klar sei, hatte      tig.»19
Ulbig in den Anti-Pegida-Protesten be-         Ist Pegida also doch so etwas wie ei-
reits eine konkrete Gefahr erkannt: «Ich       ne «rechtsextremistische Anti-Asyl-
halte es für gefährlich, wenn hier die übli-   Kampagne»? Dieser Darstellung wur-
chen Antifa-Reflexe kommen. Ich denke,         de unverzüglich in einem anderen
man kann bei dieser Konstellation nicht        Presseorgan widersprochen, das eine
pauschal gegen Demonstranten sein, die         privilegierte Informationsquelle aufbot:
ihre Meinung sagen.» Und in einer ande-        «Rechtsextremisten beteiligen sich nach
ren Hinsicht war gar schon Anlass zum          Erkenntnissen des Landesamtes für Ver-
Eingreifen gegeben: Im selben Interview        fassungsschutz Sachsen bislang als Ein-
kündigte Ulbig an, man werde eine «spe-        zelpersonen an den Veranstaltungen der
zialisierte Gruppe bei der Polizei einset-     ‹Pegida›. Seit Ende November rufen NPD,
zen, die sich mit den straffälligen Asyl-      JN und auch einzelne neonationalsozia­
bewerbern intensiv beschäftigen wird».16       listische Gruppierungen offen zur Teil-
Die Worte des Innenministers konnten           nahme an den Veranstaltungen auf.» Sol-
verstanden werden als eine Drohung an          che Gruppierungen verbänden damit die
die Adresse derjenigen, gegen die sich         Hoffnung, «von der Mobilisierungskraft
der Pegida-Protest richtete, als Delegiti-     der ‹Pegida› zu profitieren.» Also nur ein
mierungsversuch der Anti-Pegida-Pro-           Versuch der Instrumentalisierung, von
teste («gefährlich») und gegenüber Pe-
gida selbst als eine Entwarnung («nicht        15 Thema Asyl: Innenminister plant Sondereinheiten, Mo-
alle rechts»).17 Den ausdrücklichen Vor-       po24, 24.11.2014, unter: https://mopo24.de/nachrichten/
                                               innenminister-ulbig-sondereinheiten-fuer-straffaellige-asyl-
behalt, «ob nicht unter den Organisato-        bewerber-2517. 16 Erwähnenswert ist auch die wörtliche
ren Rattenfänger sind», nahm Ulbig spä-        Begründung: «Wenn deutsche Rocker Angst und Schrecken
                                               verbreiten, gehen wir knallhart dagegen vor. Und wenn Asyl-
ter nach Angaben eines Pegida-Redners          bewerber schwere Straftaten begehen, muss künftig ebenso
                                               konsequent durchgegriffen werden» (ebd.). Der Vergleich hat
wieder zurück.18                               eine doppelte Kriminalisierung zur Konsequenz, wonach Asyl-
Die auffällige Ambivalenz in der Bewer-        suchende nicht nur in einem Maße «kriminell» seien, das ein
                                               «intensiveres» Vorgehen als im Falle üblicher Strafverfolgung
tung bekräftigte das LfV Sachsen Mitte         nötig mache, sondern dass sich diese Kriminalität immer schon
Dezember 2014 unter bemerkenswerten            auf das Feld der Organisierten Kriminalität erstrecke. 17 Nicht
                                               wenige öffentliche Fürsprachen zugunsten Pegidas bedienten
Begleitumständen. Ausgangspunkt war            sich genau dieses Hinweises, man habe es bei den Demons-
                                               trierenden nicht ausschließlich mit AnhängerInnen der extre-
ein ausführliches Presseinterview mit          men Rechten zu tun. Allerdings ist die logische Gegenpos­ition,
dem sächsischen Ministerpräsidenten            die Ulbig mutmaßlich für den sogenannten Antifa-Reflex hält,
                                               im hegemonialen Diskurs durch niemanden vertreten worden.
Stanislaw Tillich (CDU). Er äußerte da-        Antifaschistische Initiativen haben den Pegida-Versammlungen
bei die Ansicht, zwar müsse man mit den        und auch deren Teilnehmenden allenfalls rassistische Inhalte
                                               oder Motivationen unterstellt, was, wenn es zuträfe, noch im-
Demonstrierenden ins Gespräch kom-             mer nicht dasselbe wäre wie die pauschalisierende Betitelung
                                               sämtlicher TeilnehmerInnen als Nazis. 18 Vgl. Reinhold, Fabi-
men, warnte dann aber: «Die NPD hat            an: Anti-Islam-Demos: Pegida wächst weiter, 10.3.2015, un-
sich diese Demonstrationen von Anfang          ter: www.spiegel.de/politik/deutschland/pegida-mehr-teilneh-
                                               mer-und-ein-termin-in-berlin-a-1022668.html. 19 Zit. nach:
an zu eigen gemacht. Nachdem sie nicht         Gaugele, Jochen: Rolle der AfD bei Pegida-Protesten «nieder-
mehr im Parlament auf sich aufmerksam          trächtig», 10.12.2014, unter: www.welt.de/politik/deutschland/
                                               article135200597/Rolle-der-AfD-bei-Pegida-Protesten-nieder-
machen kann, nutzt sie diese Demonst-          traechtig.html.
10   außen betrieben und durch Einzelne ge-        gestimmt haben. Das ist überraschend,
     tragen. Pegida sei daher kein «Beobach-       weil die Stellungnahme ausgesprochen
     tungsobjekt» des LfV Sachsen.20               «scharf» ist. Übertroffen wurde sie noch
     Es bleibt später zu diskutieren, warum        vor Ort durch den nordrhein-westfäli-
     das so war. Beachtung verdienen hier zu-      schen Innenminister Ralf Jäger (SPD),
     nächst einige Besonderheiten im setting.      der im Zusammenhang mit der Pegida-
     Erstens: Dies war die allererste öffentli-    Bewegung von «Neonazis in Nadelstrei-
     che Stellungnahme des LfV Sachsen zu          fen» sprach und eine Beobachtung durch
     Pegida, abgegeben erst acht Wochen            Verfassungsschutzbehörden ankündig-
     nach Beginn, kurz nachdem die damals          te, «wenn sich Pegida verfestigt».23 Diese
     jüngste Demonstration in Dresden auf          vielzitierte Ansicht Jägers, der zu der Zeit
     bereits 10.000 Teilnehmende angewach-         immerhin IMK-Vorsitzender war, dürfte
     sen war. Zweitens: Die Veröffentlichung       der Auffassung des sächsischen Innen-
     war platziert, um kraft Autorität des LfV     ministeriums denkbar fern gestanden
     den sächsischen Ministerpräsidenten           haben. In der Tat widersprach Ulbig un-
     regelrecht zurechtzuweisen und zwar,          verzüglich, warnte erneut vor einer «re-
     drittens: in der Onlineausgabe der rech-      flexhaften Stigmatisierung» und sagte
     ten Wochenzeitung Junge Freiheit. Sie         weiter: «Natürlich [!] sind bei Pegida auch
     verwendete sich nicht das erste Mal für       Rechtsextremisten dabei, aber wir kön-
     die im vorliegenden Falle durch Tillich ge-   nen nicht 10.000 Menschen mit einem
     scholtene AfD21 und begleitete auch die       Satz zu Nazis erklären.»24 Das LfV Sach-
     Pegida-Demonstrationen ausführlich.           sen bekräftigte ihn darin nicht nur, son-
     Währenddessen weilte, viertens, Ulbig in      dern es nahm dem IMK-Beschluss sofort
     Köln, wo bei der Innenministerkonferenz       die Spitze und widerlegte Jäger sozusa-
     (IMK) über Pegida diskutiert und folgen-      gen praktisch, denn das Amt hatte sich
     der Beschluss gefasst wurde:                  ja eben erst für unzuständig erklärt. Mit
     «Die IMK verurteilt die islamfeindliche       anderen Worten: Was die IMK für eine
     Ausrichtung der Organisatoren von ‹PE-        islamfeindliche Ausrichtung, eine Ins-
     GIDA› und Ähnlichen. Sie betrachtet die       trumentalisierung durch das rechtsex-
     Instrumentalisierung von Ängsten aus          treme Spektrum und das Schüren von
     der Mitte der Gesellschaft durch Mitglie-     Vorbehalten halte, sei jedenfalls eines
     der des rechtspopulistischen und rechts-      nicht: extremistisch, und dadurch eben
     extremen Spektrums mit Sorge. Das             auch nicht verfassungsschutzrelevant.
     Schüren von Vorbehalten wegen einer
     angeblichen Islamisierung Deutschlands        20 Tillich attackiert «Pegida», 10.12.2014, unter: www.jun-
     und die Herstellung einer Verbindung zur      gefreiheit.de/politik/deutschland/2014/tillich-attackiert-pegi-
                                                   da-und-afd/. 21 Zum Einfluss der AfD auf die Pegida-Bewe-
     Aufnahme von Flüchtlingen hält die IMK        gung vgl. meinen Beitrag in: Häusler (Hrsg.): Die Alternative
     für unverantwortlich.»22                      für Deutschland (im Erscheinen). 22 Beschluss «‹PEGIDA›
                                                   und Ähnliche demaskieren – Sorgen der Bevölkerung ernst
     Der Diskussionsverlauf und das Ab-            nehmen», in: Freigegebene Beschlüsse der 200. Sitzung der
                                                   IMK (11./12.12.2014), Köln 2014, S. 9. 23 Zit. nach: Innenmi-
     stimmungsverhalten einzelner Länder           nister von NRW: «Pegida» sind «Nazis in Nadelstreifen», dpa,
     während der IMK werden zwar nicht             11.12.2014, unter: www.augsburger-allgemeine.de/politik/
                                                   Innenminister-von-NRW-Pegida-sind-Nazis-in-Nadelstreifen-
     veröffentlicht, jedoch kann sich Sach-        id32308667.html. 24 Zit. nach: Innenminister streiten über
     sen höchstens enthalten und muss der          Pegida, Spiegel Online, 11.12.2014, unter: www.spiegel.de/
                                                   politik/deutschland/pegida-innenminister-streiten-ueber-anti-
     Veröffentlichung des Beschlusses zu-          islam-bewegung-a-1007987.html.
Wir werden darauf zurückkommen, dass          lich von rechtsextremistischen Bezügen                             11
in anderen Bundesländern wohl andere          unter den OrganisatorInnen ausgegan-
Auffassungen vorherrschen.                    gen wäre, wenn eine Radikalisierung hät-
In Sachsen blieb es einstweilen bei der       te konstatiert werden müssen oder ein
Zurückhaltung, die noch mehrfach un-          wachsender Einfluss etwa der NPD oder
terstrichen wurde, nicht ohne behördli-       anderer, nicht mehr nur «einzelner» Neo-
che Aufmerksamkeit für mögliche künf-         nazis. Wären amtlicherseits beliebige An-
tige Entwicklungen zuzusichern: Eine          haltspunkte für einen Extremismusbezug
Beobachtung von Pegida erfolge derzeit        und dadurch eine Verfassungsschutzre-
zwar nicht, «weil es sich um keinen Zu-       levanz vorgebracht worden, hätte ein sol-
sammenschluss von Personen handelt,           ches Treffen nicht stattfinden können. In
der unseren Staat umstürzen will», al-        gewisser Weise trugen die entwarnen-
lerdings würden einzelne rechtsextre-         den presseöffentlichen Statements des
me Organisatoren beobachtet.25 Es habe        LfV dazu bei, das Treffen allererst zu er-
Hinweise gegeben auf «Verbindungen            möglichen. Es ist freilich nicht klar, seit
zwischen den Veranstaltern der Dresd-         wann es angestrebt wurde und welche
ner Anti-Islam-Märsche und der Fußball-       Inhalte es hatte, weil das Innenministe-
Hooliganszene», doch dieser Verdacht          rium hierzu bislang keine exakten An-
habe sich nicht bestätigt.26 Die explizite    gaben gemacht hat.29 Erwägenswert ist
Annahme schließlich, Organisatoren sei-       zumindest ein Interesse Ulbigs an der
en rechtsextrem geprägt, wurde Anfang         Ermöglichung des unter erheblicher
2015 ebenso medienwirksam zurückge-           Medienaufmerksamkeit erwarteten Ge-
rufen, wie sie durch das LfV selbst zuvor     sprächs, insoweit er nicht nur einen «Dia-
verbreitet worden war.27 Am 19. Janu-         log» in seiner Funktion als Innenminister
ar 2015 äußerte sich dann LfV-Präsident       gefordert, sondern unlängst seine Kandi-
Gordian Meyer-Plath in einem ausführ-         datur zur Dresdener Oberbürgermeister-
lichen Interview und gab, wenig überra-       wahl bekannt gegeben hatte.30
schend, noch einmal Entwarnung: Pegi-
da radikalisiere sich nicht, die NPD bleibe   25 Malzahn, Claus u. a.: SPD und Grüne fordern neue Ein-
                                              wanderungspolitik, 14.12.2014, unter: www.welt.de/po-
«Zaungast», zu vermelden sei lediglich        litik/deutschland/article135336908/SPD-und-Gruene-for-
die Teilnahme «einzelner Neonazis».28 Für     dern-neue-Einwanderungspolitik.html. 26 Vgl. Dieckmann,
                                              Christoph u. a.: Neues aus der Tabuzone, in: Die ZEIT Nr. 52,
lobenswert hielt es Meyer-Plath dagegen,      17.12.2014, S. 3f. 27 Vgl. Schlottmann, Karin: Verfassungs-
dass Pegida-AnhängerInnen zunehmend           schutz schaut nach rechts und links, 9.1.2015, unter: www.
                                              sz-online.de/sachsen/verfassungsschutz-schaut-nach-rechts-
«Dialogangebote» nutzen würden.               und-links-3010826.html. 28 Zit. nach: Jansen, Frank: «Sach-
                                              sen im Fokus der Dschihadisten», 19.1.2015, unter: www.
Gut eine Woche nachdem dieses Inter-          tagesspiegel.de/politik/verfassungsschutz-praesident-im-in-
view erschienen war, folgte ein «Dia-         terview-sachsen-im-fokus-der-dschihadisten/11250948.ht-
                                              ml. 29 Vgl. CDU Sachsen: Innenminister Markus Ulbig im
log» dergestalt, dass sich Innenminister      Gespräch mit Pegida-Führung, 26.1.2015, unter: www.cdu-
Ulbig unter Ausschluss der Öffentlich-        sachsen.de/inhalte/2/aktuelles/72676/innenminister-markus-
                                              ulbig-im-gespraech-mit-pegida-fuehrung-staatsregierung-
keit mit Mitgliedern des sogenannten          setzt-dialogforum-fort/index.html. Vgl. hierzu die auch etlichen
                                              Kleinen Anfragen im Sächsischen Landtag, Drs. 6/737, 857,
Pegida-Orgateams traf. Es versteht sich,      879, 1127, 1144, 1311. Einen Tag nach dem seinem Inhalt nach
dass ein solches Treffen nicht opportun       nicht weiter bekannten Treffen mit Ulbig setzte die «Spaltung»
                                              Pegidas ein. 30 Dass dann, gewollt oder nicht, eine Ansprache
gewesen und nach aller Wahrschein-            der Demonstrierenden als Wahlkandidat nicht stattfand, lag an
lichkeit auch nicht zustande gekommen         späteren Ereignissen wie der Spaltung Pegidas und schließlich
                                              der Zuspitzung, dass das «Orgateam» mit Tatjana Festerling ei-
wäre, wenn Ulbigs eigenes Amt öffent-         ne eigene Kandidatin aufstellte.
12   In jedem Fall äußerten sich der Innen-        ne ­und rechtsextremistische Hooligans»
     minister und das LfV, dessen vorgesetz-       zusammenarbeiten und versuchen, Le-
     ter Dienstherr er ist, in einer Zeit ausge-   gida als Plattform zu erschließen38 Es ge-
     sprochen politisch über Pegida, in der        be gleichwohl «keine Anhaltspunkte für
     Pegida ein kommunal-, landes- und bun-        einen dominierenden rechtsextremisti-
     despolitisches Politikum zugleich war.31      schen Einfluss».39 Man beachte, wie sich
     Das Politikum vervielfältigte sich noch,      der Maßstab des Behördenleiters binnen
     als Anfang 2015 neben Pegida in Dres-         weniger Tage in einer entscheidenden
     den mobilisierungsstarke Ableger und          Nuance verschoben hatte. Zunächst war
     ähnliche Protestformate bundesweit in         von einer «maßgeblichen» Beeinflussung
     Erscheinung traten, das stärkste davon        durch Rechtsextremisten die Rede. Dann
     mit Legida in Leipzig. Die dortigen Or-       davon, dass der Einfluss nicht «dominie-
     ganisatorInnen hatten Ende 2014 ein ei-       rend» sei, so jedenfalls die Ansicht am
     genes Positionspapier veröffentlicht und      21. Januar 2015. Am selben Tag fand in
     darin dezidiert extrem rechte Forderun-       Dresden ein erstes «Dialogforum» statt,
     gen aufgestellt, namentlich die «Abkehr       zu dem die Staatsregierung Pegida-An-
     von der Multikultur», eine «Stärkung bzw.     hängerInnen eingeladen hatte.40 Es ver-
     Wiedererlangung unserer nationalen            31 Das mag erklären, warum sich das LfV noch mehrfach ein-
     Kultur» und schließlich die «Beendigung       ließ, nachdem es die eigene Nichtzuständigkeit festgestellt hat-
                                                   te, und der LfV-Präsident ein «Dialogangebot» lobte, für wel-
     des Kriegsschuldkultes und der Genera-        ches das Amt nicht zuständig ist. Es ist aber von Bedeutung,
     tionenhaftung».32 Tatsächlich, so erklärte    dass das LfV hier in der Rolle eines politischen Akteurs spricht:
                                                   Das ist etwas anderes als die sachverständige Expertenrolle,
     Meyer-Plath daraufhin, bestünden «An-         die dem Nachrichtendienst in der Medienöffentlichkeit zuge-
                                                   schrieben wird. 32 Legida 2014: Positionspapier, Erstfassung
     haltspunkte, dass die sogenannten Le-         vom 31.12.2014, inzwischen depubliziert, Kopie im Archiv des
     gida-Demos von rechtsextremen Kräften         Autors. 33 Schlottmann: Verfassungsschutz. 34 Hach, Oli-
                                                   ver/Eumann, Jens: Pegidas rechter Arm in Leipzig, 10.1.2015,
     maßgeblich beeinflusst werden»,33 und         unter: www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/SACHSEN/Pegi-
     zwar «sowohl in der Führung als auch in       das-rechter-Arm-in-Leipzig-artikel9082652.php. 35 ARD Mit-
                                                   tagsmagazin: Widerstand in Leipzig: Demonstrationen gegen
     den Forderungen»,34 die sich «sehr viel       Legida, 12.1.2015,unter: www.daserste.de/information/politik-
                                                   weltgeschehen/mittagsmagazin/sendung/leipzig-legida-pegi-
     näher an der rechtsextremistischen Ge-       da-rechtsextremismus-demonstration-100.html. 36 Döring,
     dankenwelt als bei Pegida» bewegen            Kriminaldirektor und vormals Referatsleiter Rechtsextremis-
                                                   mus im LfV Sachsen, war bis kurz vor diesem Statement zur
     würden. Von einer teilweisen inhaltlichen     Landeszentrale für politische Bildung abgeordnet, die wieder-
     «Deckungsgleichheit mit Rechtsextre-          um wesentlicher Träger des «Dialog»-Konzepts war. Zeitweise
                                                   war Döring als Stellvertreter Meyer-Plaths im Gespräch, aktu-
     misten»35 sprach der Behördenvertreter        ell ist er Pressesprecher des LfV. Vgl. auch Cremet, Jean: Das
                                                   große Verständnis, in: Der rechte Rand, Nr. 153, März/April
     Martin Döring.36 Er fügte sogleich an, es     2015, S. 6. 37 Verfassungsschutz beobachtet Pegida & Co.
     bestehe dennoch keine Veranlassung zu         nicht direkt, 10.1.2015, unter: www.mdr.de/nachrichten/pegi-
                                                   da-legida-verfassungsschutz100_zc-e9a9d57e_zs-6c4417e7.
     einer nachrichtendienstlichen Beobach-        html. 38 Müller, Uwe: Die dubiosen Gestalten hinter der Le-
     tung.37                                       gida-Bewegung, 21.1.2015, unter: http://investigativ.welt.
                                                   de/2015/01/21/die-dubiosen-gestalten-hinter-der-legida-be-
     Das änderte sich auch nicht nach einer        wegung/. 39 Als Hauptorganisator von Legida gilt Silvio Rös-
                                                   ler. Die Tageszeitung Die Welt zitierte in dem genannten Artikel
     ersten Legida-Demonstration am 12. Ja-        aus Dokumenten zu jener Korruptionsaffäre, die unter der Be-
     nuar 2015, die laut Meyer-Plath gezeigt       zeichnung «Sachsensumpf» bekannt geworden ist, und in de-
                                                   nen gegen Rösler der Verdacht der Schleusung und des Men-
     habe, dass der Ableger «entschlossener        schenhandels erhoben wurde. So die Darstellung zutrifft, hat
     und viel radikaler» ausgerichtet sei, als     sich das LfV Sachsen in der Vergangenheit mutmaßlich mit
                                                   Rösler befasst. Umstände und Inhalte der vormaligen Beob-
     es in Dresden der Fall sei. In Leipzig wür-   achtungstätigkeit des Amtes auf dem Gebiet der Organisierten
                                                   Kriminalität waren denn auch Bestandteil der «Sachsensumpf»-
     den «parteigebundene Rechtsextremis-          Affäre und Anlass zweier parlamentarischer Untersuchungs-
     ten, Angehörige der Kameradschaftssze-        ausschüsse im Sächsischen Landtag.
steht sich auch hier von selbst, dass ein     Entsprechend wenig überzeugend ist die                         13
solches Treffen desavouiert worden wä-        Annahme des LfV Sachsen, die Hinwen-
re, falls das LfV auch nur Indizien für ei-   dung des Neonazispektrums zur Pegida/
nen Extremismusbezug der Pegida-Be-           Legida-Bewegung sei die Sache ledig-
wegung festgestellt hätte. Dabei rückte       lich «einzelner» Neonazis. Die Legida-
diese Annahme noch am selben Abend            Organisatoren äußerten in einer Nachbe-
so nahe wie noch nie: Legida demons-          trachtung zur erwähnten Demonstration
trierte zum zweiten Mal, und die Ver-         denn auch unverhohlen, man habe «das
sammlung geriet zu einem der gewalt-          System an seinem wundesten Punkt ge-
tätigsten Ereignisse im Pegida-Kontext        troffen, an der Wurzel allen Übels, näm-
überhaupt. In einer Lageeinschätzung der      lich unserer Demokratie».43 Bei künftigen
Polizeidirek­tion Leipzig hieß es nachher,    Legida-Demonstrationen erschienen ei-
es «befanden sich am 21. Januar 2015          nige JournalistInnen vorsorglich in Be-
unter den Versammlungsteilnehmern             gleitung von Angehörigen einer priva-
mindestens 1000 gewaltbereite Per­so­         ten Sicherheitsfirma. Man weiß nicht, ob
nen. Darunter auch Personen mit starkem       das LfV seine Ansichten änderte, denn
Bezug zur rechtsextremistischen Szene         es äußerte sich nun für längere Zeit gar
und Hooligans. Zwei Reporter sollen laut      nicht mehr. Erst Anfang April 2015 wurde
Medienberichten während des Aufzuges          erneut berichtet, dass das LfV infolge der
physisch angegriffen worden sein.»41 Ver-     Spaltung und der anschließenden Kon-
suche der Veranstalter, solches Vorgehen      solidierung Pegidas eine «Radikalisie-
zu unterbinden, waren nicht zu beobach-       rung» bemerke. Trotzdem finde nach wie
ten, vielmehr befanden sich unter den         vor keine Beobachtung statt.44
Personen, die JournalistInnen bedräng-
ten, offensichtlich auch Legida-Ordner.
Die Fachjournalistin Andrea Röpke be-
schrieb die Vorfälle so:
«‹Schiebt sie weg! Schiebt sie weg!› Mit
diesem Kommando ging die überwie-
gend vermummte Spitze der ‹Legida›
gleich zu Beginn des ‹Spazierganges›
durch Leipzig auf die völlig überrasch-
ten Fotografen los. Die Medien schienen
neben einigen Politikern das Feindbild
Nummer eins dieses Aufmarsches. […]
Bereits auf der Kundgebung auf dem Au-
                                              40 Vgl. 1. Dialogforum, 21.1.2015, unter: www.sachsen.de/
gustusplatz war die Stimmung so aufge-        dialogforum_miteinander_in_sachsen_21.01.2015.jsp. 41 Zit.
heizt, dass der Organisator […] an seine      nach: Stadt Leipzig: Vollzug des sächsischen Versammlungs-
                                              gesetzes. Auflagenbescheid für die angezeigte Versamm-
Anhänger appellieren musste, die Medi-       lung am 9.2.2015, S. 5. Kopie im Archiv des Autors. 42 Röp-
                                              ke, Andrea: Aufgeheizte Gidas, 26.1.2015, unter: www.bnr.
en zu schonen. Seine Mahnung, es herr-        de/print/14159. 43 Leipzig 21.1.2015 – Eine Nachbetrach-
sche ‹absolutes Vermummungsverbot›,           tung, 24.1.2015, unter: https://legida.eu/news/26-leipzig-
                                              21-01-2015-eine-nachbetrachtung.html. 44 Wilders rügt
wurde mit Gelächter gezollt. Ansonsten        Bachmann wegen Hitler-Selfie, 6.4.2015, unter: https://mo-
gab es von der Bühne eher wenig Aufrufe       po24.de/nachrichten/pegida-sucht-rechten-schulterschluss-
                                              in-deutschland-und-europa-5980, inzwischen depubliziert; Ko-
zur Mäßigung – im Gegenteil.»42               pie im Archiv des Autors.
14   3 Die Pegida-Bewegung im Spiegel der
     Verfassungsschutzberichte

     Andere Landesämter für Verfassungs-          –	In Schleswig-Holstein wird auf die ver-
     schutz hatten sich in der Zwischenzeit          fassungsfeindliche Motivation und
     anders geäußert, freilich bezogen auf           «offenkundige» Beeinflussung eines
     die jeweiligen Pegida-Ableger, weniger          dortigen Ablegers (Shegida) hingewie-
     auf die Ereignisse in Sachsen. Eine der         sen48 sowie auch auf das grundsätz-
     frühesten Einschätzungen, noch aus              liche Problem, im Falle Pegidas nur
     dem November 2014, stammt von Ma-               schwer zwischen Rechtspopulismus
     ren Brandenburger, Präsidentin des LfV          und (verfassungsschutzrelevantem)
     Niedersachsen. Noch in Bezug auf die            Rechtsextremismus unterscheiden zu
     damaligen Mobilisierungserfolge der             können.49
     HoGeSa äußerte sie die Sorge, «dass          –	In Bayern wird auf mögliche «Akti-
     aus diesem Bewegungscharakter etwas             vitäten von bekannten Extremisten
     wird, was übergeht in einen Kampagnen-          innerhalb der Initiativen»,50 in Bran-
     teil gegen Asyl, gegen Zuwanderung,             denburg51 und Mecklenburg-Vorpom-
     gegen Einwanderung». Als Beispiel für           mern52 jeweils auf eine «rechtsextre-
     entsprechende «Facetten» einer solchen          mistische Beeinflussung» von außen
     Bewegung nannte sie auch Pegida.45 An-          hingewiesen.
     fang 2015 warnte Bernd Palenda, Präsi-       –	In Sachsen-Anhalt wird dergleichen
     dent des LfV Berlin, vor dem Berliner Bär-      hinsichtlich des Ablegers Magida aber
     gida, einem Bündnis, das sich auf «vor          ausgeschlossen. 53 Auch in Baden-
     allen Dingen durchaus auch rechtsextre-         Württemberg lautet der Befund, dass
     mistisch gesinnte Personen» stütze, die         es sich dort nicht um eine «extremis-
     versuchten, «ein Thema zu okkupieren            tische Bestrebung» handle.54 Hier wä-
     und Unzufriedenheit von Bürgern zu nut-         re nach offiziöser Lesart auch der Fall
     zen».46 Entweder ist etwas Vergleichba-         Sachsen einzuordnen.
     res in Sachsen, trotz beispielsweise der     Aus Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland
     einschlägigen Legida-Episoden, wirklich      sowie den Stadtstaaten Bremen und
     nicht der Fall oder aber die Maßstäbe der    Hamburg sind bisher keine vergleichba-
     behördlichen Bewertung weichen deut-         ren Einschätzungen bekannt geworden.
     lich voneinander ab. Das zeigt sich, wenn    Die auch so gegebene Vielfalt der Län-
     Einschätzungen der jeweiligen Landesre-
                                                  45 Vgl. Hooligans gegen Salafisten: Wer sind die Drahtzieher
     gierungen bzw. ihrer Innenressorts mitei-    hinter den Demos?, 25.11.2014, unter: www.swr.de/report/
     nander verglichen werden:                    hooligans-gegen-salafisten-wer-sind-die-drahtzieher-hinter-
                                                  den-demos/-/id=233454/did=14366704/nid=233454/1e75rys/
     –	In Mecklenburg-Vorpommern (MVgi-          index.html. 46 Verfassungsschutz will «Bärgida» nicht pau-
        da), Niedersachsen (Bragida), Nord-       schal überwachen, 6.1.2015, unter: www.rbb-online.de/politik/
                                                  beitrag/2015/01/verfassungsschuetzer-palenda-zu-baergida.
        rhein-Westfalen (Kögida, Dügida)          html. 47 Deutscher Bundestag, Kleine Anfrage, Drs. 18/4846.
                                                  48 Schleswig-Holsteinischer Landtag, Kleine Anfrage, Drs.
        und Thüringen (Sügida, Thügida) gel-      18/2612. 49 Vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag, Kleine
        ten verschiedene pegida-artige De-        Anfrage, Drs. 18/2568. 50 Vgl. Bayerischer Landtag, Schrift-
                                                  liche Anfrage, Drs. 17/4977. 51 Vgl. Landtag Brandenburg,
        monstrationsserien als «überwiegend       Kleine Anfrage, Drs. 6/673. 52 Vgl. Landtag Mecklenburg-Vor-
        rechtsextremistisch beeinflusst bzw.      pommern, Kleine Anfrage, Drs. 6/3702. 53 Vgl. Landtag von
                                                  Sachsen-Anhalt, Kleine Anfrage, Drs. 6/4044. 54 Vgl. Landtag
        gesteuert».47                             von Baden-Württemberg, Kleine Anfrage, Drs. 15/6314.
derpositionen kann allerdings nicht ei-       re Landesämter äußern sich mitunter an-                          15
ne deutliche Tendenz verdecken: Zum           ders, aber widersprechen einander auch.
als «überwiegend rechtsextremistisch          Das Vorkommen solcher Uneinigkeiten
beeinflusst bzw. gesteuert» eingestuf-        ist so ungewöhnlich nicht,59 doch die Re-
ten Versammlungsgeschehen in Meck-            gel ist eine gegenseitige Erörterung und
lenburg-Vorpommern, Niedersachsen,            Abstimmung. Im VS-Verbund besteht ei-
Nordrhein-Westfalen und Thüringen ge-         ne Zusammenarbeitspflicht,60 die auf ge-
hörten im ersten Quartal 2015 nach Zäh-       genseitige Unterrichtung der beteiligten
lung der Bundesregierung insgesamt 43         Ämter und in Sachfragen auf Einverneh-
Einzelveranstaltungen mit zusammen            men zielt. Das gilt auch für die Auswahl
rund 13.100 Teilnehmenden.55 Das sind         von Beobachtungsobjekten und die da-
etwas mehr als ein Viertel sämtlicher pe-     hingehende Bewertung von Verdachts-
gida-artiger Veranstaltungen außerhalb        fällen.61 Divergente Darstellungen in den
Sachsens in diesem Zeitraum, denen            VSB geben einen Hinweis darauf, dass
sich wiederum etwas mehr als ein Drit-        ein solches Einvernehmen zum vorlie-
tel aller Teilnehmenden anschloss.56 Inso-    genden Thema bisher nicht zu erzielen
weit war eine überwiegende rechtsextre-       war.
mistische Beeinflussung oder Steuerung
der Veranstaltungen bei einem an sich si-
gnifikanten Teil der Bewegung gegeben,
der darüber hinaus vergleichsweise mo-
bilisierungsstark war. Gemessen am ma-
ximal erreichten Zulauf waren mit Sügida
der (nach München/Bagida) zweitstärks-
te, mit Kögida der viertstärkste und mit
MVgida der sechststärkste Pegida-Able-
ger außerhalb Sachsens betroffen. Folgt
man der Einschätzung der Bundesregie-
rung, die sich ihrerseits auf Erkenntnisse
der Ämter für Verfassungsschutz (ÄfV)
stützte,57 muss man anerkennen, dass          55 Vgl. Deutscher Bundestag, Kleine Anfrage, Drs. 18/4846.
                                              56 Nach Erhebung des Verfassers. 57 Vgl. Budler, Kai:
die rechtsextremistische Prägung be-          Rechtsextreme Präsenz auf der Straße, 15.5.2015, unter:
reits zu intensiv ist, um nur mehr als eine   www.bnr.de/print/14353. 58 Vgl. Abgeordnete diskutieren
                                              Rolle des Verfassungsschutzes. 30.4.2015, unter: www.mdr.
Randerscheinung der Pegida-Bewegung           de/sachsen/landtag-extremismus-verfassungsschutz100_
                                              zc-f1f179a7_zs-9f2fcd56.html; Müller, Anna: Verfassungs-
zu gelten.                                    schutzbericht in Sachsen vorgestellt, 23.4.2015, unter: www.
In fast allen bisher erschienenen Verfas-     endstation-rechts.de/news/kategorie/politik/artikel/verfas-
                                              sungsschutzbericht-in-sachsen-vorgestellt-jn-profitiert-von-
sungsschutzberichten (VSB) für das Jahr       distanzierung-von-npd.html; Sundermeyer, Olaf: Rechts lie-
2014, in denen eine Systematisierung der      gen lassen, 14.5.2015, unter: www.juedische-allgemeine.de/
                                              article/view/id/22274. 59 Vgl. kritisch den «klassischen» Ver-
Erkenntnisse hätte erwartet werden kön-       gleich bei Seifert, Jürgen: Hoheitliche Verrufserklärungen?,
                                              in: Vorgänge, Nr. 55, 1/1982, S. 46–60 sowie affirmativ z. B.
nen, bleibt diese Tatsache überraschen-       die Würdigung bei Jaschke, Hans-Gerd: Extremismus in Da-
derweise nicht nur unreflektiert, sondern     ten und Trends, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hrsg.): Jahr-
                                              buch Extremismus & Demokratie 1996, Baden-Baden 1996,
mehrere Landesämter erwähnen Pegida           S. 329f. 60 Vgl. § 1, Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz
überhaupt nicht, was im Falle Sachsens        (BVerfSchG). 61 Richtlinie für die Zusammenarbeit des Bun-
                                              desamtes für Verfassungsschutz und der Landesbehörden für
mit Erstaunen registriert wurde.58 Ande-      Verfassungsschutz – Koordinierungsrichtlinie (KR), §§ 2 bis 5.
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