RECHT AKTUELL 02 2020 - Lutz Abel
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RECHT AKTUELL Sehr geehrte Leserinnen und Leser, wir alle befinden uns noch immer in einer sehr fordernden Zeit. Auch wenn sich die Lage in einigen Bereichen zu entspannen scheint, sind wir dennoch tagtäglich unterschiedlichen Herausforderungen gegenübergestellt und müssen uns auch weiterhin an sich ändernde Rahmenbedingungen anpassen. Unsere Anwälte möchten Sie gerade jetzt besonders unterstützen. Daher freuen wir uns, Sie auch in dieser Ausgabe mit aktuellen und praxisnahen Beiträgen zu informieren und eventuell den ein oder anderen Denkanstoß zu geben. Neben dem Coronavirus-Infoblog mit spannenden Artikeln und Ratgebern auf unserer Website bieten wir zusätzlich verschie- dene Online Seminare an, die es Ihnen ermöglichen sollen, auch weiterhin durch unsere Experten informiert zu bleiben – bis Sie sich wieder persönlich bei unseren Präsenzveranstaltungen mit den Anwälten austauschen können. Einen zusätzlichen Impuls geben Dr. Marius Mann, Ute Schenn und Benjamin Baisch in ihrem Rechtsleitfaden „Vertrieb von Wa- ren und Dienstleistungen in Zeiten von Corona“ – eine präzise und griffige Ratgeber-Broschüre, herausgegeben des C.H. BECK Verlags. Anhand von Praxisbeispielen wird sämtlichen Wirtschaftspartnern aus Handel, Dienstleistung, Veranstaltung und Gas- tronomie sowie Produktion oder Zulieferung in Zeiten der Pandemie eine erste Hilfestellung gegeben. Zum Rechtsleitfaden „Vertrieb von Waren und Dienstleistungen in Zeiten von Corona“ Mit Dr. Karsten Brandt hat LUTZ | ABEL einen erfahrenen Rechtsanwalt und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz hinzugewonnen. Als Partner am Münchner Standort wird er die Praxisgruppe IP weiter vorantreiben und Ihnen als Ansprechpartner für Ihre Themen des gewerblichen Rechtsschutzes rund um Patent-, Marken- und Urheberrecht, unlauteren Wettbewerb sowie Lizenzierung zur Verfügung stehen. Außerdem möchten wir vier neue Kolleginnen im LUTZ | ABEL Team willkommen heißen: Carolin Lang LL.M. ist in den Bereichen Gesellschaftsrecht sowie VC / M&A in München tätig, Merle Techritz verstärkt die Praxisgruppe Arbeitsrecht in Hamburg, Mara Mildenberger bereichert unsere Praxisgruppe Real Estate in Stuttgart, und der Standort Berlin kann sich mit Xenia Verspohl über Verstärkung im Bereich Arbeitsrecht freuen. Besonders freuen wir uns über die aktuellen Ergebnisse bei Best Lawyers: Es werden in diesem Jahr insgesamt 28 Anwälte von LUTZ | ABEL in 14 Rechtsgebieten als „Beste Anwälte“ in ihrem Praxisbereich geführt. Darüber hinaus sind mit Dr. Marius Mann (Litigation) und Tobias Osseforth (Öffentliches Recht) auch zwei unserer Anwälte unter den „Lawyers of the Year“. Wir gratu- lieren allen Ausgezeichneten herzlich. Zuletzt wünschen wir Ihnen weiterhin alles Gute sowie eine anregende Lektüre und freuen uns auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen in unseren Räumlichkeiten. Ihre LUTZ | ABEL Rechtsanwalts PartG mbB 3
RECHT A KT U ELL VERANSTALTUNGEN ARBEITSRECHT & DATENSCHUTZ ONLINE SEMINAR: Homeoffice und mobiles Arbeiten BECK Akademie Seminare 29. Oktober 2020 23. März 2021 Referenten: Dr. André Schmidt, Claudia Knuth GESELLSCHAFTSRECHT Gesellschafterstreit: Typische Konfliktfelder BECK Akademie Seminare 19. November 2020 in München Referenten: Dr. Reinhard Lutz, Dr. Christian Dittert Gesellschafterstreit im Prozess BECK Akademie Seminare 20. November 2020 in München Referenten: Dr. Reinhard Lutz, Dr. Christian Dittert REAL ESTATE Basis-Lehrgang BIM: Implementierung ins Ingenieur- und Planungsbüro Akademie der Ingenieure 13.-14. Oktober 2020 in Mainz Referent: Ulrich Eix u.a. Kostentreiber Bau- und Abbruchabfälle VDI Wissensforum 19.-20. Oktober 2020 in Karlsruhe Referent: Dr. Rainer Kohlhammer u.a. KONTAKT Für Fragen zu den Veranstaltungen und zur Anmeldung stehen Ihnen die Referenten sowie Ilona White (Telefon: +49 89 544 147-0, E-Mail: events@lutzabel.com) gerne zur Verfügung. www.lutzabel.com/termine 4
INHALTSVERZEICHNIS 01 ARBEITSRECHT Urlaub in Zeiten der Corona-Krise Sabine Neumann S7 02 BANK- UND KAPITALMARKTRECHT Corona Schadensersatz- und Entschädigungsklagen zeichnen sich ab Dr. Nina Rossi, Katharina Kendziur S 10 03 COMMERCIAL COVID-19 und Verzug des Leistungsempfängers Ute Schenn S 13 04 GESELLSCHAFTSRECHT Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH während der Corona-Pandemie Dr. Bernd Fluck S 17 05 GEWERBLICHER RECHTSSCHUTZ Der Bundesgerichtshof wendet eigene Maßstäbe zur „Neuheit“ (Art. 54 Abs. 2 EPÜ) an Dr. Karsten Brandt S 21 Dehnt der EuGH das Urheberrecht auf technische Gestaltungen aus? Die Entscheidung Brompton Bicycle Ltd / Chedech/Get2Get (C-833/18 vom 11.06.2020) Dr. Karsten Brandt S 24 5
06 REAL ESTATE Gewerberaummietverträge und Leasingverträge in Zeiten der Corona-Pandemie Vera Lederer S 27 BGH vertagt Entscheidung über Anwendbarkeit der HOAI-Mindestsätze Johannes Stechno S 31 Berechnungsgrundlage des Entschädigungsanspruchs nach § 642 BGB Iris Glönkler S 34 07 VENTURE CAPITAL / M&A Start-up-Finanzierung durch Venture Debt Dr. Sebastian Sumalvico S 38 08 VERGABERECHT Die Auslegung von Ausschreibungsunterlagen im Vergabeverfahren und Vertragsverhältnis Tabitha Niersmann S 42 Vergaberechtlicher Leitfaden in Corona-Zeiten Wolfgang Schindler S 45
A RBEI T SRECHT ARBEITSRECHT URLAUB IN ZEITEN DER CORONA-KRISE RAin Sabine Neumann | neumann@lutzabel.com Während der Corona-Krise sind Themen rund um den „Ur- laub“ aktueller denn je. Arbeitgeber sind vor die Frage gestellt, ob sie während der Pandemie einseitig Urlaub anordnen können. Auf Arbeitneh- merseite tritt angesichts aktueller Reiseverbote vermehrt das Interesse auf, ihren bereits genehmigten Urlaub „zu- rückzugeben“. Ist Kurzarbeit eingeführt, stellt sich die Frage, ob den Ar- beitnehmern volle oder gekürzte Urlaubs- und Urlaubsent- geltansprüche zustehen. SABINE NE UM ANN 7
RECHT A KT U ELL Kann der Arbeitgeber einseitig Urlaub Auswirkungen auf die Praxis anordnen? Das BUrlG gestattet dem Arbeitgeber, grundsätzlich unter Das BUrlG sieht grundsätzlich vor, dass der Arbeitgeber in strengen Anforderungen einseitig Urlaub anzuordnen. Vor- Ausnahmefällen Urlaub einseitig anordnen kann. Dies ist der zugswürdig dürfte indes eine einvernehmliche Regelung Fall, wenn dringende betriebliche Belange die individuellen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein. Dies erlaubt, Urlaubswünsche des Arbeitnehmers überwiegen. Konkret die COVID-19-bedingten wirtschaftlichen Bedürfnisse auf gilt nach § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG, dass bei der zeitlichen Fest- Arbeitgeberseite mit den Urlaubswünschen des Arbeitneh- legung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers mers in Einklang zu bringen. Eine einvernehmliche Regelung zu berücksichtigen sind, es sei denn, dass ihrer Berücksich- hilft im Idealfall auch, die Einführung von Kurzarbeit oder tigung „dringende betriebliche Belange“ entgegenstehen. den Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen zu ver- meiden. Dies bedeutet, dass die Wünsche des Arbeitnehmers zu- nächst als vorrangig zu behandeln sind. Dies gilt insbeson- dere dann, wenn der Urlaub schon beantragt und genehmigt Kann ein Arbeitnehmer seinen Urlaub wurde. Sofern allerdings noch offene Urlaubsansprüche be- „zurückgeben“, wenn er diesen aufgrund stehen, kann der Arbeitgeber bei dringenden betrieblichen der Corona-Krise nicht wie geplant an- Belangen – auch entgegen der Urlaubswünsche der Arbeit- treten kann? nehmer – einseitig Urlaub anordnen. Eine arbeitgeberseitige Verpflichtung, einen Urlaubsantrag des Arbeitnehmers ab- Ist der Urlaub vom Arbeitnehmer beantragt und vom Arbeit- zuwarten, besteht dabei nicht. geber genehmigt, sind beide Parteien grundsätzlich an den Zeitraum des ordnungsgemäß erteilten Urlaubs gebunden. Wann dringende betriebliche Belange in diesem Sinne vor- Durch die vom Arbeitgeber erklärte Freistellung ist eine liegen, ist eine Frage des Einzelfalls und ggf. von einem Konkretisierung des Urlaubsanspruchs auf diesen Zeitraum Arbeitsgericht zu bewerten. Es bedarf dabei stets einer eingetreten, so dass eine nachträgliche Änderung nicht in umfassenden Abwägung der betrieblichen Belange mit Betracht kommt. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeit- den individuellen Urlaubswünschen des Arbeitnehmers. nehmer den Urlaub – z.B. aufgrund von Reiseverboten oder Dringende betriebliche Belange liegen beispielsweise vor, Hotel- und Flugstornierungen – nicht wie geplant antreten wenn keine sinnvolle Arbeit mehr im Betrieb möglich ist. Die kann. Auswirkungen von COVID-19, wie etwa eine erheblich rück- gängige Auftragslage, können daher durchaus einen drin- Zwar könnte eine Anpassung nach den Grundsätzen der genden betrieblichen Belang begründen. Allgemeine Be- Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB in Be- triebsablaufstörungen reichen allerdings für die Annahme tracht kommen. Voraussetzung hierfür ist jedoch u.a., dass von dringenden betrieblichen Belangen nicht aus. In diesem das Festhalten an der zeitlichen Festlegung des Urlaubs Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das allgemeine für den Arbeitnehmer unzumutbar ist, d.h. zu einer untrag- Betriebsrisiko durch die Urlaubsgewährung nicht auf den baren Härte für den Arbeitnehmer führt und dies mit Recht Arbeitnehmer abgewälzt werden darf. So trägt allein der und Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbaren ist. Unter Be- Arbeitgeber das wirtschaftliche Risiko, den Arbeitnehmer rücksichtigung des Sinn und Zwecks des BUrlG liegen diese – auch in finanziell schwierigen Zeiten - zu beschäftigen. Anforderungen jedoch nicht vor. Das BUrlG dient dem Erho- lungszweck. Es verpflichtet den Arbeitgeber, den Arbeitneh- Gesetzliche Regelungen dazu, in welchem Umfang aus- mer für eine bestimmte Dauer im Jahr von der Verpflichtung nahmsweise Urlaub einseitig angeordnet werden kann, gibt zur Arbeitsleistung freizustellen, um ihm die Gelegenheit es nicht. Fest steht allerdings, dass der Arbeitgeber nicht zur selbstbestimmten Erholung zu geben. Wie und wo die sämtliche Urlaubstage der Arbeitnehmer durch einseitige Arbeitnehmer ihren Urlaub verbringen, ist dabei entspre- Urlaubsanordnung determinieren darf. Den wesentlichen chend dem BUrlG nicht maßgeblich: Erholung ist deshalb Teil seines Urlaubs muss der Arbeitnehmer zeitlich selbst nicht nur durch eine Auslands- oder Inlandsreise möglich, festlegen können. Bei der Anordnung von Betriebsferien gilt sondern kann auch durch eine Auszeit in den eigenen vier als angemessen, 3/5 des Jahresurlaubs für Betriebsferien Wänden gelingen. und die verbleibenden 2/5 für individuellen Urlaub vorzuse- hen. Es liegt nahe, zumindest dieses Proportionsverhältnis Auswirkungen auf die Praxis auch im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise als ange- messen zu erachten. Eine Rücknahme des bereits genehmigten Urlaubs ist nur im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber möglich. Im Umkehr- Schließlich ist zu beachten, dass der Arbeitgeber Urlaub schluss bedeutet dies auch für den Arbeitgeber: Der einmal nicht von heute auf morgen anordnen kann. Er hat eine genehmigte Urlaub kann – auch in Zeiten der Corona-Krise angemessene Ankündigungsfrist einzuhalten, damit die - nicht ohne Weiteres gestrichen werden. Arbeitnehmer ihren Urlaub entsprechend planen können. Feste zeitliche Vorgaben gibt es hierzu freilich bisher nicht. 8
A RBEI T SRECHT Kommt eine Kürzung der Urlaubstage Ist eine Kürzung des Urlaubsentgelts in Betracht, wenn Kurzarbeit eingeführt während der Kurzarbeit zulässig? ist? Nach der Rechtsprechung des EuGH kann der Anspruch auf Das Urlaubsentgelt für den gesetzlichen Mindesturlaub den gesetzlichen Mindesturlaub während der Kurzarbeit an- kann infolge der Kurzarbeit nicht gekürzt werden, es bleibt teilig gekürzt werden (EuGH, Urt. v. 8.11.2012, Az.: C-229/11, also in der üblichen Höhe bestehen. Das Urlaubsentgelt be- C-230/11). Gleiches gilt erst recht für den vertraglichen misst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, Mehrurlaub. Der Urlaubsanspruch kann in dem Verhält- welchen der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen nis gekürzt werden, in dem die Kurzarbeit zur regulären vor Urlaubsbeginn erhalten hat. Verdienstkürzungen, die in- Arbeitszeit steht. Es erfolgt – wie bei Teilzeitbeschäftigten folge von Kurzarbeit eintreten, bleiben dabei gem. § 11 Abs. 1 – eine anteilige Kürzung des Urlaubsanspruchs im Verhält- S. 3 BUrlG außer Betracht. Die Kurzarbeit hat somit keine nis der Wochenarbeitstage. Ist „Kurzarbeit Null“ angeordnet, Auswirkungen auf das gesetzliche Urlaubsentgelt. entsteht für diese Zeiten kein Urlaubsanspruch. Die Kürzung des Urlaubsanspruchs wird damit begründet, dass während Arbeitnehmer erhalten ein ungekürztes Urlaubsentgelt für der Kurzarbeit die gegenseitigen Leistungspflichten des Ar- die Zeit, in der sie wegen des gewährten Urlaubs von der beitgebers und des Arbeitnehmers je nach der angeordneten Arbeit freigestellt sind. Wird die Kurzarbeit in der Weise Arbeitszeitverkürzung suspendiert sind bzw. bei „Kurzarbeit durchgeführt, dass nur ein Teil der Stunden pro Arbeitstag Null“ völlig aufgehoben sind. ausfällt, erhalten die Arbeitnehmer für die Stunden des Ar- beitsausfalls Kurzarbeitergeld und für die weiteren Stunden Je länger die Corona-Krise und die Phase der Kurzarbeit an- Urlaubsentgelt. dauert, desto stärker kann sich die Anzahl der Urlaubstage ermäßigen. Die vorstehenden Grundsätze gelten für den gesetzlichen Mindesturlaub. Für den vertraglichen Mehrurlaub gelten sie Auswirkungen auf die Praxis nur, sofern die Arbeitsvertragsparteien keine abweichende Vereinbarung getroffen haben. Arbeitgeber können daher Bisher noch unklar ist, ob die Kürzung der Urlaubsansprü- mit Zustimmung der Arbeitnehmer hinsichtlich des ver- che während der Kurzarbeit automatisch eintritt oder es traglichen Mehrurlaubs eigenständige Regelungen treffen, hierzu einer ausdrücklichen Regelung bedarf. Vorsorglich wonach sich das Urlaubsentgelt für diese Tage während der sollten Arbeitgeber die anteilige Kürzung bzw. den Wegfall Kurzarbeit anteilig kürzt. der Urlaubstage ausdrücklich regeln. Dabei sollte auch be- stimmt werden, ob die Kürzung der Urlaubstage lediglich Auswirkungen auf die Praxis den gesetzlichen Mindesturlaub oder auch den vertragli- chen Mehrurlaub betrifft. Um Verdienstausfälle bzw. Verdiensteinschränkungen in- folge der Kurzarbeit zu vermeiden, können Arbeitnehmer beantragen, dass ihnen ihr Resturlaub gewährt wird, und in der Folge ein ungekürztes Urlaubsentgelt – jedenfalls hin- sichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs – in Anspruch nehmen. 9
RECHT A KT U ELL BANK- UND KAPITALMARKT- RECHT CORONA SCHADENSERSATZ- UND ENTSCHÄDIGUNGSKLAGEN ZEICHNEN SICH AB RAin Dr. Nina Rossi | rossi@lutzabel.com RAin Katharina Kendziur | kendziur@lutzabel.com Die deutschen Gerichte sind bereits jetzt mit verwaltungs- gerichtlichen Verfahren befasst, in denen darüber zu be- finden ist, ob Betriebsschließungen oder sonstige Maßnah- men zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie rechtmäßig angeordnet wurden. Es werden sich künftig nicht nur die Verwaltungsgerichte mit diesen Fragen zu befassen haben. Vielfach dienen die Verfahren vor den Verwaltungsgerichten lediglich der Vorbereitung zivilrechtlicher Schadensersatz- und Entschädigungsklagen. 10
B A N K- U N D KA P I TA LM A RKT RECHT Die Träger der jeweils handelnden Behörden werden sich da- S. 1 IfSG genannten Personen („Störer“), sondern auch ge- rauf einstellen müssen, von Unternehmen und Gewerbetrei- genüber Dritten („Nichtstörer“) ergehen können. benden, Selbstständigen und Arbeitnehmern, die aufgrund behördlicher Anordnungen Umsatzeinbußen oder andere finanzielle Verluste erlitten haben, in Zivilprozessen auf Grundlagen möglicher Entschädigungs- Ersatz in Anspruch genommen zu werden. Schadensersatz- ansprüche ansprüche, insbesondere Amtshaftungsansprüche, werden in vielen Fällen daran scheitern, dass den handelnden Be- Das Infektionsschutzgesetz sieht Ansprüche auf Entschädi- hörden kein rechtswidriges Handeln und erst recht kein Ver- gung auch im Falle rechtmäßigen Verwaltungshandelns vor. schulden zur Last zu legen ist. Damit haben sich mögliche In § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG findet sich eine Entschädigungsrege- Klagen gegen die Träger der jeweils handelnden Behörden lung mit dem folgenden Inhalt: jedoch nicht erledigt. Wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Anste- Insbesondere die einschlägigen Vorschriften des Infek- ckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als tionsschutzgesetzes (IfSG) sehen unter bestimmten Vor- sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von aussetzungen einen Entschädigungsanspruch auch im Falle § 31 Abs. 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen rechtmäßigen Verwaltungshandelns vor. Die Gerichte haben Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und bislang wenig Erfahrung mit den Vorschriften des IfSG, die in dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine der Vergangenheit ein Schattendasein gefristet haben. Viele Entschädigung in Geld. […] sich zu diesen Vorschriften stellende Rechtsfragen werden von den Gerichten in diesen Verfahren erstmals geklärt Ihrem Wortlaut nach gewährt diese Vorschrift einen Ent- werden müssen. schädigungsanspruch nur für Störer, nicht aber für außen- stehende Dritte, von denen selbst keine Gesundheitsgefah- ren ausgehen („Nichtstörer“). Es wird jedoch vereinzelt die Rechtliche Grundlagen behördlicher Auffassung vertreten, dass die Vorschrift auch auf Nicht- Maßnahmen störer entsprechend anzuwenden ist. In einer ersten Ent- scheidung in einem Eilverfahren (Az.: I 4 O 82/20) hat sich Rechtliche Grundlage für die Maßnahmen zur Bekämpfung das Landgericht Heilbronn gegen eine entsprechende An- der COVID-19-Pandemie sind die Vorschriften des Infekti- wendung der Vorschrift auf Nichtstörer entschieden. Eben- onsschutzgesetzes. Die maßgebliche Ermächtigungsgrund- falls erörtert wird, ob auch juristischen Personen ein An- lage des § 28 Abs. 1 IfSG hat auszugsweise den folgenden spruch aus § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG zustehen kann. Diese Fragen Inhalt: sind obergerichtlich noch nicht geklärt. Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungs- Es bleibt insbesondere abzuwarten, ob die Gerichte auch verdächtige oder Ausscheider festgestellt […], so trifft Personen, von denen keine Gesundheitsgefahren ausge- die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaß- gangen sind, eine Entschädigung zusprechen. Dies würde nahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, zu einem ganz erheblichen Anstieg der zu erwartenden Ent- soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung schädigungszahlungen führen. Es sprechen nicht unerheb- übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann liche Gründe dafür, einen Entschädigungsanspruch in diesen insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem Fällen zu verneinen. Gleichwohl gilt, dass eine Reaktion sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Be- auf entsprechende Entschädigungsanträge sorgfältig vor- dingungen zu verlassen, oder von ihr bestimmte Orte bereitet werden sollte. Der Antrag auf Entschädigung nach oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten § 56 IfSG ist binnen einer Frist von zwölf Monaten zu stellen, Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen § 56 Abs. 11 IfSG. von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschrän- Darüber hinaus gewährt das Infektionsschutzgesetz nach ken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 ge- dem Wortlaut des § 65 IfSG eine Entschädigung bei Maß- nannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon nahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten. Die Vor- schließen. schrift lautet wie folgt: Die Eingriffsermächtigung des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG ist weit Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und gefasst. Die dort genannten Maßnahmen sind nach dem Wil- 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger len des Gesetzgebers nicht abschließend, wie ein Blick in Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein ande- die Gesetzesbegründung belegt. Die Vorschrift enthält eine rer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil ver- allgemeine Ermächtigung, alle notwendigen Maßnahmen ursacht wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten. zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Der Gesetzesbegründung lässt sich ebenfalls entnehmen, Für eine direkte Anwendung der Vorschrift dürfte aufgrund dass die Maßnahmen nicht nur gegenüber den in § 28 Abs. 1 der Begrenzung auf Maßnahmen zur Gefahrverhütung in der 11
RECHT A KT U ELL DR. NI NA ROSSI aktuellen COVID-19-Pandemie kaum Raum sein. Einzelne Stimmen vertreten jedoch eine entsprechende Anwendung des § 65 IfSG auf Maßnahmen zur Gefahrbekämpfung. Nach der Begründung des Gesetzgebers ist die Entschädi- gungsvorschrift über die Vernichtung, Beschädigung und sonstige Wertminderung hinaus auf alle in der Praxis vor- kommenden Enteignungsfälle anzuwenden. In vielen Fällen wurde durch die seitens der Behörden angeordneten Maß- nahmen in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen. Jedenfalls die Substanz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs unterfällt dem verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff und dessen Schutz gemäß Art. 14 GG. Die Höhe der zu gewährenden Ent- schädigung wird sich in diesen Fällen in der Regel danach richten, wie viel der Gewerbebetrieb infolge des Eingriffs weniger erzielt hat. Auch insoweit gilt, dass abzuwarten bleibt, wie sich die Gerichte zu den sich in diesem Zusam- menhang stellenden Rechtsfragen positionieren. KATHARI NA KENDZ I U R Da die Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes nicht abschließend sind, kommt darüber hinaus auch eine Ent- schädigung nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht. Um- stritten und in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob insoweit ein Rückgriff auf die Re- gelungen in den landesrechtlichen Polizei- und Ordnungs- gesetzen erfolgen kann. Diskutiert wird darüber hinaus, ob rechtmäßige behördliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie Ansprüche wegen enteignenden Ein- griffs oder Aufopferung begründen können. Sorgfältige Prüfung der Entschädigungs- anträge ist erforderlich Wichtig ist es, eine Reaktion auf zu erwartende Entschä- digungsanträge sorgfältig vorzubereiten und im Falle ge- richtlicher Inanspruchnahmen, insbesondere in möglichen Fällen des Eilrechtsschutzes, zeitnah für eine anwaltliche Beratung und Vertretung zu sorgen. LUTZ | ABEL steht Ihnen hierfür mit einem schlagkräftigen Team erfahrener Pro- zessrechtler und auf das öffentliche Recht spezialisierter Anwälte unterstützend zur Seite. Wir übernehmen Ihre Be- ratung und Vertretung bei der Abwehr außergerichtlicher Inanspruchnahmen und vertreten Sie gerichtlich in Eil- und Hauptsacheverfahren. 12
COMM ERCI A L COMMERCIAL COVID-19 UND VERZUG DES LEISTUNGSEMPFÄNGERS RAin Ute Schenn | schenn@lutzabel.com Seit Ausbruch von COVID-19 und den damit einhergehen- den – insbesondere staatlich verordneten – Beschränkun- gen beobachten wir immer wieder, dass der Gläubiger einer Leistung (z.B. Käufer oder Auftraggeber) die Leistung des Schuldners nicht annehmen möchte. Nicht selten begründet der Gläubiger die Weigerung pauschal mit COVID-19 und den damit zusammenhängenden Beschränkungen. Ziel der Wei- gerung ist meist, die eigene Verpflichtung zur Bezahlung der Leistung möglichst hinauszuschieben. In diesem Beitrag soll gezeigt werden, welche rechtlichen Konsequenzen drohen, wenn der Gläubiger eine vertrags- gemäß angebotene Leistung des Schuldners nicht annimmt. UTE SCHE NN 13
RECHT A KT U ELL Verzug des Gläubigers in Form des An- mit der Bewirtung der Gäste beauftragt. Am 7. August nahmeverzugs (§§ 293 ff. BGB) wird ein Mitarbeiter des Cateringunternehmens positiv auf COVID-19 getestet. In der Folge ordnet die Gesund- Verweigert der Gläubiger die ihm vom Schuldner angebotene heitsbehörde an, dass sich sämtliche Mitarbeiter des Leistung, gerät er in Annahmeverzug, wenn nachfolgend be- Cateringunternehmens vorsorglich in Quarantäne be- schriebene Voraussetzungen vorliegen. geben müssen. Das Cateringunternehmen kann auf die Schnelle keinen Ersatz für die Mitarbeiter organisieren. Angebot des Schuldners Es kann daher am 8. August die von dem Hochzeitspaar beauftragten Leistungen nicht erbringen. Die Leistung Zunächst ist Voraussetzung des Annahmeverzugs, dass der kann auch nicht nachgeholt werden, weil die Leistungs- Schuldner dem Gläubiger die Leistung in der Weise angeboten zeit wesentlich war. Eine spätere Leistung kann den Er- hat, wie sie vertraglich geschuldet ist. Der Schuldner muss folg – Bewirtung der Gäste am 8. August 2020 – nicht dem Gläubiger die Leistung daher insbesondere zur rechten mehr herbeiführen. Das Hochzeitspaar kann in diesem Zeit (§ 271 BGB), am rechten Ort (§§ 269, 270 BGB) und in der Fall daher nicht in Annahmeverzug geraten. vertraglich geschuldeten Qualität und Menge (§ 294 BGB) anbieten. Vielfach ist derzeit zu beobachten, dass Schuldner gegen- über ihren Vertragspartnern schriftlich ihre Leistungsbe- Grundsätzlich muss der Schuldner dem Gläubiger die Leis- reitschaft anzeigen. Hintergrund der Anzeige ist es, den Ver- tung derart anbieten, dass der Gläubiger nur noch zuzugrei- tragspartner (Gläubiger) in Annahmeverzug zu setzen, um fen braucht (§ 294 BGB). Ausnahmsweise ist es ausreichend, den Vergütungsanspruch zu erhalten. Nicht selten zeigen dass der Schuldner dem Gläubiger die Leistung münd- die Auftraggeber ihre Leistungsbereitschaft an, obwohl die lich oder schriftlich anbietet, wenn (i) der Gläubiger dem Leistung unmöglich ist. Unmöglichkeit liegt nämlich auch Schuldner zuvor mitgeteilt hat, dass er die Leistung nicht dann vor, wenn zwar die Leistungshandlung vorgenommen annehmen wird oder (ii) der Gläubiger die Leistung beim werden, diese den Leistungserfolg aber nicht herbeiführen Schuldner abholen muss (§ 295 BGB). kann. Muss der Gläubiger bei der Leistungserbringung mitwirken Beispiel: Ein Restaurantbetreiber hat ein Reinigungsun- und ist für seine Mitwirkungshandlung ein bestimmter Zeit- ternehmen mit täglichen Spülleistungen (gewerbliches punkt vereinbart, ist ein Angebot des Schuldners sogar ganz Geschirrspülen) beauftragt. Da das Restaurant COVID- entbehrlich (§ 296 BGB). 19-bedingt durch staatliche Verordnung geschlossen ist und damit keine Gäste bewirtet, wird auch kein Geschirr Beispiel: Ein Kantinenbetreiber (Gläubiger) beauftragt schmutzig. Das Reinigungsunternehmen könnte das Ge- einen Hersteller von Großküchengeräten (Schuldner) schirr zwar weiterhin spülen, also die Leistungshand- mit der Lieferung und dem Anschluss einer Kaffeema- lung vornehmen. Das Spülen könnte aber nicht dazu schine. Die Parteien vereinbaren, dass der Schuldner die führen, dass das Geschirr sauber wird, weil es bereits Kaffeemaschine am 7. Mai 2020, 10:00 Uhr, zur Kantine sauber ist. Der Leistungserfolg kann demnach nicht her- des Gläubigers liefern und sie dort anschließen muss. beigeführt werden. In diesem Fall ist die Leistung un- Als der Schuldner zum vereinbarten Termin bei der Kan- möglich. Der Restaurantbetreiber gerät nicht in Annah- tine erscheint, findet er verschlossene Türen vor. An der meverzug, wenn er die von dem Reinigungsunternehmen Türe zur Kantine liest der Schuldner die Information, angebotene Leistung nicht annimmt. dass die Kantine aufgrund der Ausbreitung von COVID-19 aktuell geschlossen ist. Der Kantinenbetreiber gerät in Daher sollte in jedem Einzelfall stets genau geprüft werden, diesem Fall ab dem 7. Mai 2020 in Annahmeverzug. Ein ob die Leistung erbracht werden kann oder ein unüberwind- Angebot des Schuldners ist entbehrlich, weil den Kan- bares Leistungshindernis besteht. tinenbetreiber eine Pflicht zur Mitwirkung trifft. Er hat dem Schuldner zum vereinbarten Termin Zugang zum Rechtsfolgen des Annahmeverzugs Gebäude, insbesondere dem Platz, an dem die Kaffee- maschine angeschlossen werden soll, zu verschaffen. Verweigert der Gläubiger die Annahme der Leistung und ge- rät er dadurch in Annahmeverzug, hat dies für ihn folgende Möglichkeit der Leistung nachteilige Konsequenzen: Weitere Voraussetzung ist, dass dem Schuldner die Leistung Haftungsprivilegierung überhaupt möglich ist – denn: Eine Leistung, die der Schuld- ner nicht erbringen kann, kann der Gläubiger auch nicht ab- Für den Schuldner tritt eine Haftungsprivilegierung ein. Er nehmen. haftet während des Annahmeverzugs nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (§ 300 Abs. 1 BGB). Beispiel: Für seine Hochzeit am 8. August 2020 hat ein Hochzeitspaar (Gläubiger) ein Cateringunternehmen 14
COMM ERCI A L Beispiel: In oben genanntem Beispiel nimmt der Schuld- Verzug des Gläubigers in Form des ner die Kaffeemaschine wieder mit, nachdem er bei der Schuldnerverzugs (§ 286 BGB) Kantine niemanden angetroffen hat. Ein Mitarbeiter des Schuldners trägt die Kaffeemaschine wieder ins Lager. Weist der Gläubiger die vertragsgemäß angebotene Leistung Auf dem Weg ins Lager fällt dem Mitarbeiter die Kaffee- des Schuldners zurück, kann er dadurch nicht nur in Annah- maschine aus Unachtsamkeit auf den Boden und wird meverzug geraten, sondern gleichzeitig in Schuldnerverzug. hierdurch zerstört. In diesem Fall muss der Kantinen- Dies kann zur Folge haben, dass sich der Gläubiger durch betreiber die Kaffeemaschine in voller Höhe bezahlen die Annahmeverweigerung sogar schadensersatzpflichtig (§ 326 Abs. 2 BGB). Schadensersatz für die zerstörte gegenüber dem Schuldner macht. Maschine kann der Kantinenbetreiber von dem Schuld- ner nicht verlangen, denn der Schuldner haftet nicht für Der Gläubiger gerät in Schuldnerverzug, wenn nachfolgend eine unachtsame Zerstörung der Kaffeemaschine, son- beschriebene Voraussetzungen vorliegen. dern nur für grob fahrlässiges oder vorsätzliches Ver- halten (§ 300 BGB). Annahmepflicht des Gläubigers Übergang der Leistungs- und Gegenleistungsge- Der Gläubiger muss zunächst zur Annahme der Leistung ver- fahr pflichtet sein. Bei Kaufverträgen ist der Gläubiger (Käufer) zur Annahme der vertragsgemäß angebotenen Leistung ver- Der Annahmeverzug führt außerdem dazu, dass die Leis- pflichtet (§ 433 Abs. 2 Alt. 2 BGB), bei Werkverträgen ist der tungsgefahr (§ 300 Abs. 2 BGB) und die Gegenleistungs- Gläubiger (Auftraggeber) zur Abnahme des vertragsgemäß gefahr (§ 326 Abs. 2 BGB) auf den Gläubiger übergehen. angebotenen Werks verpflichtet (§ 640 Abs. 1 BGB). Verwei- Relevant werden diese Gefahrübergänge dann, wenn der gert der Gläubiger bei diesen Verträgen die Annahme bzw. Gläubiger die ihm angebotene Leistung des Schuldners nicht Abnahme der vertraglich geschuldeten Leistung, verletzt er annimmt und die angebotene Leistung danach ohne Zutun seine Annahmepflicht. einer Partei zerstört oder beschädigt wird. Verschulden des Gläubigers Wie geschildert, muss der Kantineninhaber in oben genann- tem Beispiel die zerstörte Kaffeemaschine bezahlen (Über- Weitere Voraussetzung ist, dass der Gläubiger die Annahme gang der Gegenleistungsgefahr), obwohl er sie nicht erhält schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder fahrlässig verweigert. Ist (Übergang der Leistungsgefahr). der Gläubiger durch COVID-19 oder die damit einhergehen- den Beschränkungen an der Annahme der Leistung gehin- Darüber hinaus kann der Schuldner vom Gläubiger Ersatz dert, trifft ihn in aller Regel kein Verschulden. erforderlicher Mehraufwendungen verlangen, die er für das erfolglose Angebot sowie für die Aufbewahrung und Beispiel 1: Der Betrieb des Gläubigers ist durch behörd- Erhaltung des geschuldeten Gegenstands machen muss liche Anordnung vorübergehend geschlossen. Ihn trifft (§ 304 BGB). daher kein Verschulden, wenn er während der Betriebs- schließung die Leistung des Schuldners nicht annimmt. Beispiel: Der Schuldner hat sich durch Kaufvertrag gegenüber seinem Kunden verpflichtet, die Transport- Beispiel 2: Ist dem Gläubiger die Annahme der ihm ver- kosten für die Lieferung einer Maschine zum Kunden tragsgemäß angebotenen Leistung nicht möglich, weil zu übernehmen. Als das Transportunternehmen die Ma- große Teile seiner Belegschaft COVID-19 bedingt aus- schine beim Kunden anliefern will, verweigert der Kun- gefallen sind und er keinen Ersatz für die Mitarbeiter de die Annahme der Leistung, weil er diese aufgrund der organisieren kann, trifft den Gläubiger kein Verschulden Corona-Krise nicht bezahlen könne. Der Kunde gerät in an der vorübergehenden Annahmeverhinderung. diesem Fall in Annahmeverzug. Er kann sich nicht dar- auf berufen, dass er die Maschine nicht bezahlen kann. In den vorgenannten Beispielen liegt kein Verschulden des Finanzielle Unmöglichkeit kennt das deutsche Gesetz Gläubigers vor. Der Schuldner kann in diesen Fällen vom nicht; es gilt der Grundsatz: Geld hat man zu haben. Auf- Gläubiger daher keinen Schadensersatz für die Nichtabnah- grund des Annahmeverzugs muss der Kunde die Kosten me der Leistung verlangen. Anders könnte es bei dem fol- eines erneuten Transports übernehmen. genden Beispiel sein: Ist der Schuldner ein Kaufmann, kann er bei einem Kauf- Beispiel: Der Gläubiger hat ein Unternehmen mit der vertrag den Kaufgegenstand insbesondere auf Gefahr und Wartung von Maschinen in seiner Produktionsstätte be- Kosten des Gläubigers einlagern oder nach vorheriger An- auftragt. Als Mitarbeiter des Unternehmens zum verein- drohung sogar auf Rechnung des Gläubigers verkaufen barten Termin erscheinen, verweigert der Gläubiger die- (§ 373 HGB). sen den Zutritt zur Produktionsstätte, weil der Gläubiger seine Mitarbeiter vor einer Ansteckung mit COVID-19 15
RECHT A KT U ELL schützen will. In diesem Fall wird man differenzieren Folgen des Schuldnerverzugs müssen. Sofern es dem Gläubiger möglich ist, durch zumutbare Hygieneschutzmaßnahmen die eigenen Mit- Sind alle vorgenannten Voraussetzungen des Schuldnerver- arbeiter und die Mitarbeiter des Schuldners bei der zugs erfüllt, kann der Schuldner vom Gläubiger alle Schäden Annahme der Leistung ausreichend zu schützen, darf ersetzt verlangen, die ihm dadurch entstanden sind, dass der Gläubiger die Annahme der Leistung grundsätzlich der Gläubiger die Annahme der Leistung unberechtigt ver- nicht verweigern. Ist es hingegen trotz Hygieneschutz- weigert. maßnahmen nicht möglich, die eigenen Mitarbeiter oder jene des Schuldners hinreichend zu schützen, so kann Bei weitergehendem Interesse an Störungen bei der Erfül- dem Gläubiger im Einzelfall gestattet sein, die Annahme lung von Verträgen während der COVID-19-Pandemie laden der Leistung zu verweigern, solange ein unzumutbares wir Sie ein, den Rechtsleitfaden „Vertrieb von Waren und Infektionsrisiko besteht und die Annahme der Leistung Dienstleistungen in Zeiten von Corona“ von drei Kollegen nicht ohne Personaleinsatz bewältigt werden kann. aus unserer Kanzlei, Dr. Marius Mann, Ute Schenn und Dr. Benjamin Baisch, zu lesen. Mahnung des Schuldners Zum Rechtsleitfaden „Vertrieb von Der Gläubiger gerät durch Verweigerung der Annahme grund- Waren und Dienstleistungen in Zei- sätzlich nur in Verzug, wenn der Schuldner den Gläubiger zur ten von Corona“ Annahme gemahnt hat (§ 286 Abs. 1 BGB). Eine Mahnung wird jedoch in vielen Fällen entbehrlich sein, weil die Parteien ein bestimmtes Datum vereinbart haben, an dem der Gläubiger die Leistung annehmen muss (§ 286 Abs. 2 BGB). 16 16
GES ELLS CHA F T SRECHT GESELLSCHAFTSRECHT GESELLSCHAFTERBESCHLÜSSE IN DER GMBH WÄHREND DER CORONA-PANDEMIE RA Dr. Bernd Fluck | fluck@lutzabel.com Beschlüsse in Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHs) werden im Regelfall in physischen Zusammen- künften (Versammlungen) der Gesellschafter gefasst (§ 48 Abs. 1 GmbHG). Aufgrund der derzeit herrschenden Kontaktbeschränkungen und wohl noch länger andauernden medizinischen Empfehlung, physische Kontakte zu haus- halts- und familienfremden Personen so weit wie möglich zu meiden, stellt sich in vielen Unterneh-men die Frage, wie Beschlüsse der Gesellschafter ohne physische Präsenz der Anteilseigner gefasst werden können. Insbesondere, wenn eine entsprechende Satzungsregelung zur Beschlussfas- sung im Umlaufverfahren oder zu einer virtuellen Gesell- schafterversammlung fehlt. 17
RECHT A KT U ELL Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Wohnungseigentümergemeinschaften sind in den §§ 1, 3, 5 COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und 6 COVMG geregelt. Für Personen- und Personenhandels- und Strafverfahrensrecht gesellschaften wie die GbR, die OHG, die KG, die PartG und die GmbH & Co. KG enthält das COVMG keine Bestimmungen. Der Bundestag hat zu dieser Problematik ein Gesetz mit der Bezeichnung „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfah- Zeitlicher Anwendungsbereich rensrecht“ beschlossen. Das Gesetz wurde am 27.03.2020 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Es ist seit 28.03.2020 Der zeitliche Anwendungsbereich des § 2 COVMG ist gemäß in Kraft. § 7 Abs. 2 COVMG auf Gesellschafterbeschlüsse beschränkt, die im Jahr 2020 gefasst werden. Maßgeblich hierfür dürfte der letztmögliche Zeitpunkt sein, bis zu dem Stimmen bei Gesetz über Maßnahmen im Gesell- der Gesellschaft eingereicht werden können. § 8 COVMG schafts-, Genossenschafts-, Vereins-, enthält eine Verordnungsermächtigung, wonach das Bun- Stiftungs- und Wohnungseigentums- desjustizministerium durch Rechtsverordnung die Geltung recht zur Bekämpfung der Auswirkungen des § 2 COVMG bis zum 31.12.2021 verlängern kann, wenn der COVID-19-Pandemie – COVMG dies aufgrund der COVID-19-Pandemie für sachgerecht er- achtet wird. Gemäß Artikel 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Straf- verfahrensrecht wurde ein Gesetz mit der sperrigen Be- Sachlicher Anwendungsbereich zeichnung „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungs- Der sachliche Anwendungsbereich des § 2 COVMG erfasst eigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der Beschlussfassungen in Schrift- oder Textform. Darunter COVID-19-Pandemie“ (im Folgenden: „COVMG“) geschaffen. fallen insbesondere Erklärungen, die eigenhändig unter- Das COVMG sieht weitreichende Modifikationen über die be- schrieben und im Original oder per Fax an die Gesellschaft stehenden Regeln zu Beschlussfassungen in Gesellschaften übermittelt werden, aber auch Abstimmungen per E-Mail mit beschränkter Haftung, Aktiengesellschaften, Genos- oder ein Scan des unterzeichneten Dokuments. Videokonfe- senschaften, Vereinen, Stiftungen und Wohnungseigentü- renzen, z.B. per Skype, Zoom, Microsoft Teams etc., oder Te- mergemeinschaften vor. lefonkonferenzen sind demgegenüber nicht von § 2 COVMG erfasst. Während das COVMG hinsichtlich Aktiengesellschaften in § 1 eine relativ detaillierte gesetzliche Anpassung enthält, Gegenständlich ist § 2 COVMG nicht auf bestimmte Beschlüs- trifft § 2 COVMG für Gesellschaften mbH nur eine bruch- se beschränkt. Grundsätzlich können daher alle Beschluss- stückhafte Regelung für Beschlussfassungen außerhalb von gegenstände im Wege einer Beschlussfassung im Umlauf- Gesellschafterversammlungen. Die stiefmütterliche Be- verfahren gemäß dem modifizierten § 48 Abs. 2 GmbHG handlung der GmbH durch den Gesetzgeber überrascht ein gefasst werden. Etwas anderes gilt nur für solche Beschlüs- wenig angesichts der erheblichen Bedeutung der GmbH im se, für die aufgrund zwingender gesetzlicher Regelungen deutschen Wirtschaftsleben. Das COVMG lässt die wesent- eine Versammlungspräsenz vorgesehen ist. Dies betrifft lichen Fragestellungen, wie eine solche Beschlussfassung insbesondere Beschlüsse über die Verschmelzung, die Spal- außerhalb einer Präsenzsitzung auf Grundlage des COVMG tung und den Formwechsel (§ 13 Abs.1 S. 2 UmwG, § 125 i.V.m. stattzufinden hat, ungeklärt. § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG und § 193 Abs. 1 S. 2 UmwG). Probleme bereitet die Beschlussfassung im Umlaufverfahren auch bei Ein kurzer Überblick darüber, wie GmbH-Beschlüsse im Um- solchen Beschlüssen, die einer notariellen Beurkundung laufverfahren ohne Gesellschafterversammlung aufgrund bedürfen, also insbesondere bei Kapitalmaßnahmen oder der neuen Regelungen des COVMG gefasst werden können, satzungsändernden Beschlüssen. Eine Beschlussfassung im soll hier dargestellt werden. Umlaufverfahren kommt bei solchen Beschlussgegenstän- den nur in Betracht, wenn die Gesellschafter ihre Stimmen vor dem beurkundenden Notar abgeben, der dann das Be- Persönlicher Anwendungsbereich schlussergebnis beurkundet. § 2 COVMG sieht vor, dass Beschlüsse der Gesellschafter abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG in Textform oder durch Gesetzestechnik des § 2 COVMG schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständ- nis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden können. Die § 2 COVMG nimmt keine unmittelbare Änderung des Regelung gilt unmittelbar für die GmbH und die UG (haf- § 48 Abs. 2 GmbHG vor. Dies bedeutet, dass sich die Modifi- tungsbeschränkt). Die Beschlussfassungen in Aktienge- kation des § 48 Abs. 2 GmbHG nicht im GmbHG niederschlägt. sellschaften, Genossenschaften, Vereinen, Stiftungen und Vielmehr tritt der Regelungsgehalt des § 2 COVMG in seinem 18
GES ELLS CHA F T SRECHT zeitlichen Anwendungsbereich neben § 48 Abs. 2 GmbHG. sung unerwünschte Gesellschafter umgangen werden. Zum Dies führt zu einer gewissen Unübersichtlichkeit der Geset- Beispiel, wenn die Beschlussfassung für den Zeitraum einer zeslage. Urlaubsabwesenheit eines Gesellschafters angesetzt und die Äußerungsfrist sehr kurz bemessen wird. Konkrete Anforderungen an GmbH-Be- Bei § 48 Abs. 2 GmbHG in seiner ursprünglichen Fassung schlüsse gemäß § 2 COVMG wird ein Fristerfordernis für die Beschlussfassung aus Gründen des Minderheitenschutzes nicht relevant. Eine § 2 COVMG enthält keine Vorgaben darüber, wie eine Be- Beschlussfassung ist im Umlaufverfahren nach dieser Re- schlussfassung im Umlaufverfahren auf Grundlage dieser gelung nur möglich, wenn sämtliche Gesellschafter mit Vorschrift im konkreten Fall abzulaufen hat. Es ist daher der Beschlussfassung im Umlaufverfahren einverstanden weitgehend auf bereits bekannte allgemeine Grundsätze sind. Die Rückäußerungsfrist sollte für die Beschlussfas- des GmbH-Rechts abzustellen. sung im Umlaufverfahren analog zu den gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vorgaben für die Einberufungsfrist für Die Einleitung der Beschlussfassung erfolgt im Regelfall in eine Gesellschafterversammlung erfolgen. Auf diese Weise entsprechender Anwendung des § 49 Abs. 1 GmbHG durch kann das Risiko einer unwirksamen Beschlussfassung auf- den/die Geschäftsführer. Zudem besteht eine Einberu- grund einer zu kurzen Frist vermieden werden. Denn diese fungskompetenz der Gesellschafter nach § 50 Abs. 3 GmbH Regelungen zur Einberufungsfrist für Gesellschafterver- (oder einer entsprechenden Satzungsregelung), wenn der sammlungen sehen einen Zeitraum vor, in welchem die Ge- Geschäftsführer einem berechtigten Verlangen eines Ge- sellschafter im Regelfall damit rechnen müssen, dass eine sellschafters oder Gesellschafterkreises auf Einberufung Beschlussfassung stattfindet, und der für eine Vorbereitung einer Gesellschafterversammlung oder Einleitung einer auf die Beschlussfassung als ausreichend angesehen wird. Beschlussfassung im Umlaufverfahren nicht zeitnah nach- Der früheste zeitlich mögliche Termin für die Rückäußerung kommt oder ein Geschäftsführer nicht vorhanden ist. ist demnach der erstmögliche Tag für eine Gesellschafter- versammlung unter Wahrung der Ladungsfrist. Einleitung der Beschlussfassung Satzungsmäßiges Quorum für die Be- Allen Gesellschaftern ist die Möglichkeit zur Teilnahme an schlussfähigkeit der Beschlussfassung zu gewähren, andernfalls ist eine wirksame Beschlussfassung nicht möglich. Demnach muss Sofern die Satzung der betroffenen Gesellschaft ein so- das Schreiben, welches eine Beschlussfassung im Umlauf- genanntes Quorum für die Beschlussfassung vorsieht, das verfahren nach § 2 COVMG initiiert, an alle Gesellschafter heißt eine Regelung, wonach eine Gesellschafterversamm- übersandt werden. Inhaltlich ist darauf hinzuweisen, dass lung nur dann beschlussfähig ist, wenn eine bestimmte An- eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren eingeleitet wird zahl an Gesellschaftern anwesend ist, die zusammen einen und die Stimmabgabe in Textform und / oder durch schrift- bestimmten Anteil am Stammkapital in sich vereinen, sollte liche Abgabe zu erfolgen hat. Zudem sollte darauf hingewie- diese Anforderung auch für eine Beschlussfassung im Um- sen werden, dass die Beschlussfassung auch ohne Einver- laufverfahren nach § 2 COVMG gewahrt werden. Wenn also ständnis sämtlicher Gesellschafter erfolgen kann. Zudem bis zum Ablauf der zunächst gesetzten Abstimmungsfrist ist ein Endtermin mitzuteilen, bis zu welchem die Gesell- nicht ausreichend viele Gesellschafter an der Abstimmung schafter an der Beschlussfassung partizipieren können, d.h. teilnehmen, damit das satzungsmäßig festgelegte Be- ihre Stimmabgaben bei der Gesellschaft einzugehen haben. schlussquorum erreicht wird, ist regelmäßig zeitnah eine Schließlich müssen die Tageordnung und die anstehen- zweite Beschlussfassung zu initiieren, die dann ohne Rück- den Beschlussgegenstände hinreichend mitgeteilt werden sicht auf das bei der Abstimmung vertretene Stammkapital (§ 51 Abs. 4 GmbHG). beschlussfähig ist. Frist für die Stimmabgabe Form der Mitteilung an die Gesellschaft Ungeklärt ist, welcher Zeitraum für die Frist vorzusehen ist, Ungeklärt ist zudem, in welcher Form die Mitteilung an die bis zu deren Ablauf den Gesellschaftern die Möglichkeit Gesellschaft über die Beschlussfassung im Umlaufverfah- eingeräumt werden muss, an der Beschlussfassung mit- ren, das heißt die Initiierung der Beschlussfassung, zu er- zuwirken. § 2 COVMG regelt das nicht. Dies ist bedenklich, folgen hat. Auch insofern sieht § 2 COVMG keine Regelung da durch die Bestimmung einer sehr kurzen Frist der Ge- vor und es ist nicht hilfreich, auf die für § 48 Abs. 2 GmbHG schäftsführer bzw. der Beschlussinitiator gegebenenfalls entwickelten Grundsätze abzustellen, da dort ein Former- steuern kann, welcher der Gesellschafter die Möglichkeit fordernis aufgrund der Mitwirkung aller Gesellschafter kei- hat, an der Beschlussfassung teilzunehmen. Auf diese Wei- ne Bedeutung erlangt. Daher ist es empfehlenswert, auf die se könnten trotz formaler Beteiligung an der Beschlussfas- satzungsmäßigen oder gesetzlichen Formvorschriften für 19
RECHT A KT U ELL die Einberufung eine Gesellschafterversammlung zurück- § 50 Abs. 3 GmbHG. Die wohl herrschende Meinung im ju- zugreifen. Mangels erleichternder Satzungsregel ist daher ristischen Schrifttum sieht die Beschlussfeststellungs- die Beschlussfassung im Umlaufverfahren nach § 2 COVMG kompetenz demgegenüber auch bei Beschlussfassungen im gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 GmbHG mittels eingeschriebenen Umlaufverfahren beim Versammlungsleiter. Briefs an die der Gesellschaft zuletzt mitgeteilte Adresse des jeweiligen Gesellschafters zu richten. Fazit Satzungsregelungen zur Beschlussfas- § 2 COVMG sieht Erleichterungen für Beschlussfassungen sung im Umlaufverfahren außerhalb von Gesellschafterversammlungen von Gesell- schaften mbH vor, die gerade in der aktuellen Krisensitu- Außerdem ist fraglich, wie mit der Situation umzugehen ist, ation zu begrüßen sind, wobei es sinnvoll gewesen wäre, wenn die GmbH-Satzung vergleichbare Regelungen zur Be- auch die Möglichkeit von Telefon- oder besser noch Video- schlussfassung im Umlaufverfahren oder gar über virtuelle konferenzen einzubeziehen, da dies dem Leitbild einer Ge- Gesellschafterversammlungen enthält. Hierbei wird danach sellschafterversammlung mit Diskussionsmöglichkeit noch zu differenzieren sein, ob und inwieweit diese Satzungsrege- näher käme. Die rudimentäre Ausgestaltung der Vorschrift lungen über den sachlichen Regelungsgehalt von § 2 COVMG stellt den Rechtsanwender zunächst vor einige Unklarhei- hinausgehende Modalitäten für Beschlussfassungen außer- ten. Diese können jedoch weitgehend durch Rückgriffe auf halb physischer Gesellschafterversammlungen vorsehen. allgemeine Prinzipien und Grundsätze des Rechts zur Be- Soweit dies der Fall ist, bleibt die satzungsmäßig vorgese- schlussfassung in der GmbH gelöst werden. Es bleibt abzu- hene Art der Beschlussfassung von § 2 COVMG unberührt, warten, ob sich die Regelung auch über die Zeit der aktuel- da § 2 COVMG für solche Beschlussfassungen (zum Beispiel len Kontaktbeschränkungen hinaus durchsetzen wird. Videokonferenzen, siehe oben) keine Bestimmung enthält. Soweit sich die entsprechende Satzungsregelung zur Be- DR . BERND FLUCK schlussfassung außerhalb von Gesellschafterversammlun- gen hinsichtlich der konkreten Art der Beschlussfassung (in Schrift- oder Textform) mit § 2 COVMG deckt, kommt es da- rauf an, ob die Satzungsregelung strengere Anforderungen an die Beschlussfassung enthält als § 2 COVMG oder nicht. Ist dies der Fall, zum Beispiel weil die Beschlussfassung in Textform nur mit Zustimmung von 75 % des bei der GmbH vorhandenen Stammkapitals möglich sein soll, dürfte der weniger strengen Regelung des § 2 COVMG gegenüber der strengeren Satzungsregel Vorrang zukommen, da es gerade der Zweck des § 2 COVMG ist, Beschlussfassungen außer- halb von Gesellschafterversammlungen während der CO- VID-19-Pandemie zu erleichtern. Erforderliche Mehrheit der Stimmen Hinsichtlich der für die Beschlussfassung erforderlichen Mehrheiten bleibt es bei den allgemeinen Regeln. Das heißt, dass auch die Beschlüsse im Verfahren nach § 2 COVMG mit den durch die gesetzlich oder satzungsmäßig vorgesehenen Stimmenmehrheiten, im Regelfall also mit der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen (vgl. § 47 Abs. 1 GmbHG), gefasst werden. Mitteilung des Beschlussergebnisses Um Transparenz über die Beschlusslage in der GmbH zu schaffen, ist den Gesellschaftern das Ergebnis der Be- schlussfassung mitzuteilen. Die Kompetenz für die Mittei- lung des Beschlussergebnisses liegt nach hier vertretener Auffassung beim Beschlussinitiator, regelmäßig also dem Geschäftsführer oder den Minderheitsgesellschaftern nach 20
GEW ERBLI CHER RECHT SSCHU T Z GEWERBLICHER RECHTSSCHUTZ DER BUNDESGERICHTSHOF WENDET EIGENE MAßSTÄBE ZUR „NEUHEIT“ (ART. 54 ABS. 2 EPÜ) AN RA Dr. Karsten Brandt| brandt@lutzabel.com In seiner Entscheidung „Konditionierverfahren“ vom 21.04.2020 (Az.: X ZR 75/18) hat der BGH ein Urteil des Bun- despatentgerichts aufgehoben und den deutschen Teil des europäischen Patents EP 1 495 486 aufrechterhalten. DR . KA RSTE N BR ANDT 21
RECHT A KT U ELL Streitentscheidend war die Frage, ob eine von der Patentin- Zu dem ersten Thema heißt es in der Rechtsprechung des haberin ca. zwei Jahre vor dem Prioritätsdatum des Streit- BGH (zuletzt Urteil vom 08.11.2016, Az.: X ZR 116/14, Rn. 25) patents an einen Abnehmer verkaufte und ausgelieferte sehr klar: Anlage zur Konditionierung von Halbleiterwafern als „offen- kundige Vorbenutzung“ neuheitsschädlich für das Patent ist. „Die Veräußerung eines Gegenstands, der die Lehre des Streit- patents vorwegnimmt, ohne Begründung einer Geheimhal- Das Bundespatentgericht hat dies angenommen. Der BGH tungspflicht, führt für sich genommen noch nicht zur Offen- hat dies anders beurteilt und als Leitsatz formuliert: kundigkeit. Es muss vielmehr darüber hinaus die nicht nur theoretische Möglichkeit eröffnet sein, dass beliebige Dritte „Lieferung, Installation und Inbetriebnahme einer Anlage bei und damit auch Fachkundige zuverlässige und ausreichende einer Käuferin begründen nicht ohne Weiteres eine hinrei- Kenntnis von der Erfindung erlangen.“ chende Wahrscheinlichkeit dafür, dass beliebige Dritte die Anlage untersuchen und dadurch Kenntnis von der Erfindung Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäi- erhalten.“ schen Patentamts weicht hiervon erheblich ab: Wenn weder eine explizite noch eine implizite Geheimhaltungsabrede Der BGH zitiert zunächst die eigene Rechtsprechung (Urteil besteht, ist der Abnehmer Teil der Öffentlichkeit. So heißt vom 09.12.2014, Az.: X ZR 6/13 – „Presszange“, und Urteil vom es in der Beschwerdekammerentscheidung T 2210/12 vom 08.11.2016, Az.: X ZR 116/14), wonach eine offenkundige Vor- 07.10.2016 unter Punkt 1. 2.2 zu einer an VW gelieferten An- benutzung vorliegt, wenn nicht nur die theoretische und lage: entfernt liegende Möglichkeit eröffnet ist, dass beliebige Dritte, und damit auch Fachkundige, zuverlässige und aus- „Da die Firma VW bereits selbst einen Teil der Öffentlich- reichende Kenntnis von der Erfindung erlangen, wovon nach keit darstellt, ist unerheblich, ob weitere Dritte Zugang zum der Lebenserfahrung auszugehen ist, wenn eine erfindungs- Werksgelände hatten oder nicht.“ gemäße Vorrichtung einem Dritten angeboten oder geliefert worden ist. Im entschiedenen Fall sah der BGH jedoch nur Die Beschwerdekammerentscheidung T 2272/11 vom eine theoretische oder entfernt liegende Möglichkeit der 05.04.2016 kommt zu demselben Ergebnis. Schon zu diesem Kenntnisnahme als gegeben an. ersten Thema besteht ein deutlicher Unterschied zwischen der Rechtsprechung des BGH und der Beschwerdekammern. Für diese Beurteilung war eine Reihe von Faktoren maßgeb- lich: Die Mitarbeiter der Abnehmerin konnten beim normalen Zu dem zweiten Thema sind Ausgangspunkt und kontinuier- Betrieb der Anlage vor dem Prioritätstag keine Kenntnisse lich zitierte Entscheidungsgrundlage der Beschwerdekam- über den inneren Aufbau des patentgemäßen Kühl- und mern des Europäischen Patentamt die „Opinion“ der Großen Temperierungssystems erlangen. Sie durften bis auf Ände- Beschwerdekammer G1/92 vom 18.12.1992, in der es auf Sei- rungen an der Mess-Software keine Veränderungen an dem te 3 heißt: Gerät vornehmen, und auch eine nähere Untersuchung der Anlage durch Dritte war ohne Zustimmung der Abnehmerin „Where it is possible for the skilled person to discover the nicht möglich. Nach der Überzeugung des BGH bestand auch composition of the internal structure of the product and to keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass Mit- reproduce it without undue burden, then both the product and arbeiter der Abnehmerin bis zum Prioritätstag des Streitpa- its composition or internal structure become state of the art. tents versucht hätten, Kenntnisse über die Funktionsweise des patentgemäßen Kühlsystems zu gewinnen, oder dass There is no support in the EPC for the additional requirement sie dazu Dritten Zugriff auf die Anlage ermöglicht hätten. referred to by Board (…) that the public should have particular Installation, Wartung und Reparatur der Anlage oblag allein reasons for analysing a product put on the market, in order to der Lieferantin. Um die patentgemäße Funktionsweise nach- identify its composition or internal structure.” zuvollziehen, hätte die Anlage beschädigt und anschließend wieder repariert werden müssen. Auf Seite 4 heißt es weiter: Die Entscheidung ist aus einer ganzen Reihe von Gründen „The introduction of such an additional requirement would re- bemerkenswert und scheint der Entscheidungspraxis des move a commercially available and reproducible product from Europäischen Patentamts zu widersprechen. Dabei sind the public domain. It would mean an unfounded deviation from zwei Themen voneinander zu unterscheiden: Erstens, was the principles applied in respect of the other sources of the bedeutet „Öffentlichkeit“, und insbesondere, gehören die state of the art as defined in Article 54 (2) EPC and it would Mitarbeiter der Abnehmerin zu dieser „Öffentlichkeit“? obviously represent an element of subjectivity leading to un- Zweitens, was ist durch die Lieferung der Anlage vor dem certainty in applying the concept of novelty as defined in this Hintergrund, dass die erfindungswesentlichen Bestandteile Article.” nur nach Beschädigung erkennbar waren, „zugänglich“ ge- macht werden? Diese Ausführungen der Großen Beschwerdekammer schei- nen dem vom BGH – auch – zur Begründung herangezogenen 22
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