RECHT AKTUELL 02 2020 - Lutz Abel

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RECHT AKTUELL 02 2020 - Lutz Abel
RECHT A KT U ELL

                    RECH T
                   AKTUELL
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RECHT AKTUELL

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

wir alle befinden uns noch immer in einer sehr fordernden Zeit. Auch wenn sich die Lage in einigen Bereichen zu entspannen
scheint, sind wir dennoch tagtäglich unterschiedlichen Herausforderungen gegenübergestellt und müssen uns auch weiterhin
an sich ändernde Rahmenbedingungen anpassen. Unsere Anwälte möchten Sie gerade jetzt besonders unterstützen. Daher
freuen wir uns, Sie auch in dieser Ausgabe mit aktuellen und praxisnahen Beiträgen zu informieren und eventuell den ein oder
anderen Denkanstoß zu geben.

Neben dem Coronavirus-Infoblog mit spannenden Artikeln und Ratgebern auf unserer Website bieten wir zusätzlich verschie-
dene Online Seminare an, die es Ihnen ermöglichen sollen, auch weiterhin durch unsere Experten informiert zu bleiben – bis Sie
sich wieder persönlich bei unseren Präsenzveranstaltungen mit den Anwälten austauschen können.

Einen zusätzlichen Impuls geben Dr. Marius Mann, Ute Schenn und Benjamin Baisch in ihrem Rechtsleitfaden „Vertrieb von Wa-
ren und Dienstleistungen in Zeiten von Corona“ – eine präzise und griffige Ratgeber-Broschüre, herausgegeben des C.H. BECK
Verlags. Anhand von Praxisbeispielen wird sämtlichen Wirtschaftspartnern aus Handel, Dienstleistung, Veranstaltung und Gas-
tronomie sowie Produktion oder Zulieferung in Zeiten der Pandemie eine erste Hilfestellung gegeben.

                                                                       Zum Rechtsleitfaden „Vertrieb von Waren
                                                                       und Dienstleistungen in Zeiten von Corona“

Mit Dr. Karsten Brandt hat LUTZ | ABEL einen erfahrenen Rechtsanwalt und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
hinzugewonnen. Als Partner am Münchner Standort wird er die Praxisgruppe IP weiter vorantreiben und Ihnen als Ansprechpartner
für Ihre Themen des gewerblichen Rechtsschutzes rund um Patent-, Marken- und Urheberrecht, unlauteren Wettbewerb sowie
Lizenzierung zur Verfügung stehen. Außerdem möchten wir vier neue Kolleginnen im LUTZ | ABEL Team willkommen heißen:
Carolin Lang LL.M. ist in den Bereichen Gesellschaftsrecht sowie VC / M&A in München tätig, Merle Techritz verstärkt die
Praxisgruppe Arbeitsrecht in Hamburg, Mara Mildenberger bereichert unsere Praxisgruppe Real Estate in Stuttgart, und der
Standort Berlin kann sich mit Xenia Verspohl über Verstärkung im Bereich Arbeitsrecht freuen.

Besonders freuen wir uns über die aktuellen Ergebnisse bei Best Lawyers: Es werden in diesem Jahr insgesamt 28 Anwälte von
LUTZ | ABEL in 14 Rechtsgebieten als „Beste Anwälte“ in ihrem Praxisbereich geführt. Darüber hinaus sind mit Dr. Marius Mann
(Litigation) und Tobias Osseforth (Öffentliches Recht) auch zwei unserer Anwälte unter den „Lawyers of the Year“. Wir gratu-
lieren allen Ausgezeichneten herzlich.

Zuletzt wünschen wir Ihnen weiterhin alles Gute sowie eine anregende Lektüre und freuen uns auf ein hoffentlich baldiges
Wiedersehen in unseren Räumlichkeiten.

Ihre LUTZ | ABEL Rechtsanwalts PartG mbB

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                   ARBEITSRECHT & DATENSCHUTZ

                                                ONLINE SEMINAR: Homeoffice und mobiles Arbeiten
                                                BECK Akademie Seminare
                                                29. Oktober 2020
                                                23. März 2021
                                                Referenten: Dr. André Schmidt, Claudia Knuth
                   GESELLSCHAFTSRECHT

                                                Gesellschafterstreit: Typische Konfliktfelder
                                                BECK Akademie Seminare
                                                19. November 2020 in München
                                                Referenten: Dr. Reinhard Lutz, Dr. Christian Dittert

                                                Gesellschafterstreit im Prozess
                                                BECK Akademie Seminare
                                                20. November 2020 in München
                                                Referenten: Dr. Reinhard Lutz, Dr. Christian Dittert
                   REAL ESTATE

                                                Basis-Lehrgang BIM: Implementierung ins Ingenieur- und Planungsbüro
                                                Akademie der Ingenieure
                                                13.-14. Oktober 2020 in Mainz
                                                Referent: Ulrich Eix u.a.

                                                Kostentreiber Bau- und Abbruchabfälle
                                                VDI Wissensforum
                                                19.-20. Oktober 2020 in Karlsruhe
                                                Referent: Dr. Rainer Kohlhammer u.a.
                   KONTAKT

                                                Für Fragen zu den Veranstaltungen und zur Anmeldung stehen Ihnen die Referenten sowie Ilona White
                                                (Telefon: +49 89 544 147-0, E-Mail: events@lutzabel.com) gerne zur Verfügung.

                                                www.lutzabel.com/termine

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RECHT AKTUELL 02 2020 - Lutz Abel
INHALTSVERZEICHNIS

01   ARBEITSRECHT

     Urlaub in Zeiten der Corona-Krise
     Sabine Neumann                                                                      S7

02   BANK- UND KAPITALMARKTRECHT

     Corona Schadensersatz- und Entschädigungsklagen zeichnen sich ab
     Dr. Nina Rossi, Katharina Kendziur
                                                                                         S 10

03   COMMERCIAL

     COVID-19 und Verzug des Leistungsempfängers
     Ute Schenn                                                                          S 13

04   GESELLSCHAFTSRECHT

     Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH während der Corona-Pandemie
     Dr. Bernd Fluck                                                                     S 17

05   GEWERBLICHER RECHTSSCHUTZ

     Der Bundesgerichtshof wendet eigene Maßstäbe zur „Neuheit“
     (Art. 54 Abs. 2 EPÜ) an
     Dr. Karsten Brandt                                                                  S 21

     Dehnt der EuGH das Urheberrecht auf technische Gestaltungen aus?
     Die Entscheidung Brompton Bicycle Ltd / Chedech/Get2Get (C-833/18 vom 11.06.2020)
     Dr. Karsten Brandt                                                                  S 24

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06   REAL ESTATE

     Gewerberaummietverträge und Leasingverträge in Zeiten der Corona-Pandemie
     Vera Lederer                                                                S 27

     BGH vertagt Entscheidung über Anwendbarkeit der HOAI-Mindestsätze
     Johannes Stechno                                                            S 31

     Berechnungsgrundlage des Entschädigungsanspruchs nach § 642 BGB
     Iris Glönkler                                                               S 34

07   VENTURE CAPITAL / M&A

     Start-up-Finanzierung durch Venture Debt
     Dr. Sebastian Sumalvico                                                     S 38

08   VERGABERECHT

     Die Auslegung von Ausschreibungsunterlagen im Vergabeverfahren und
     Vertragsverhältnis
     Tabitha Niersmann                                                           S 42

     Vergaberechtlicher Leitfaden in Corona-Zeiten
     Wolfgang Schindler                                                          S 45
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A RBEI T SRECHT
                       ARBEITSRECHT
URLAUB IN ZEITEN DER CORONA-KRISE

                        RAin Sabine Neumann | neumann@lutzabel.com

                    Während der Corona-Krise sind Themen rund um den „Ur-
                    laub“ aktueller denn je.

                    Arbeitgeber sind vor die Frage gestellt, ob sie während der
                    Pandemie einseitig Urlaub anordnen können. Auf Arbeitneh-
                    merseite tritt angesichts aktueller Reiseverbote vermehrt
                    das Interesse auf, ihren bereits genehmigten Urlaub „zu-
                    rückzugeben“.

                    Ist Kurzarbeit eingeführt, stellt sich die Frage, ob den Ar-
                    beitnehmern volle oder gekürzte Urlaubs- und Urlaubsent-
                    geltansprüche zustehen.
 SABINE NE UM ANN

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RECHT A KT U ELL

                   Kann der Arbeitgeber einseitig Urlaub                            Auswirkungen auf die Praxis
                   anordnen?
                                                                                    Das BUrlG gestattet dem Arbeitgeber, grundsätzlich unter
                   Das BUrlG sieht grundsätzlich vor, dass der Arbeitgeber in       strengen Anforderungen einseitig Urlaub anzuordnen. Vor-
                   Ausnahmefällen Urlaub einseitig anordnen kann. Dies ist der      zugswürdig dürfte indes eine einvernehmliche Regelung
                   Fall, wenn dringende betriebliche Belange die individuellen      zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein. Dies erlaubt,
                   Urlaubswünsche des Arbeitnehmers überwiegen. Konkret             die COVID-19-bedingten wirtschaftlichen Bedürfnisse auf
                   gilt nach § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG, dass bei der zeitlichen Fest-   Arbeitgeberseite mit den Urlaubswünschen des Arbeitneh-
                   legung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers          mers in Einklang zu bringen. Eine einvernehmliche Regelung
                   zu berücksichtigen sind, es sei denn, dass ihrer Berücksich-     hilft im Idealfall auch, die Einführung von Kurzarbeit oder
                   tigung „dringende betriebliche Belange“ entgegenstehen.          den Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen zu ver-
                                                                                    meiden.
                   Dies bedeutet, dass die Wünsche des Arbeitnehmers zu-
                   nächst als vorrangig zu behandeln sind. Dies gilt insbeson-
                   dere dann, wenn der Urlaub schon beantragt und genehmigt         Kann ein Arbeitnehmer seinen Urlaub
                   wurde. Sofern allerdings noch offene Urlaubsansprüche be-        „zurückgeben“, wenn er diesen aufgrund
                   stehen, kann der Arbeitgeber bei dringenden betrieblichen        der Corona-Krise nicht wie geplant an-
                   Belangen – auch entgegen der Urlaubswünsche der Arbeit-          treten kann?
                   nehmer – einseitig Urlaub anordnen. Eine arbeitgeberseitige
                   Verpflichtung, einen Urlaubsantrag des Arbeitnehmers ab-         Ist der Urlaub vom Arbeitnehmer beantragt und vom Arbeit-
                   zuwarten, besteht dabei nicht.                                   geber genehmigt, sind beide Parteien grundsätzlich an den
                                                                                    Zeitraum des ordnungsgemäß erteilten Urlaubs gebunden.
                   Wann dringende betriebliche Belange in diesem Sinne vor-         Durch die vom Arbeitgeber erklärte Freistellung ist eine
                   liegen, ist eine Frage des Einzelfalls und ggf. von einem        Konkretisierung des Urlaubsanspruchs auf diesen Zeitraum
                   Arbeitsgericht zu bewerten. Es bedarf dabei stets einer          eingetreten, so dass eine nachträgliche Änderung nicht in
                   umfassenden Abwägung der betrieblichen Belange mit               Betracht kommt. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeit-
                   den individuellen Urlaubswünschen des Arbeitnehmers.             nehmer den Urlaub – z.B. aufgrund von Reiseverboten oder
                   Dringende betriebliche Belange liegen beispielsweise vor,        Hotel- und Flugstornierungen – nicht wie geplant antreten
                   wenn keine sinnvolle Arbeit mehr im Betrieb möglich ist. Die     kann.
                   Auswirkungen von COVID-19, wie etwa eine erheblich rück-
                   gängige Auftragslage, können daher durchaus einen drin-          Zwar könnte eine Anpassung nach den Grundsätzen der
                   genden betrieblichen Belang begründen. Allgemeine Be-            Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB in Be-
                   triebsablaufstörungen reichen allerdings für die Annahme         tracht kommen. Voraussetzung hierfür ist jedoch u.a., dass
                   von dringenden betrieblichen Belangen nicht aus. In diesem       das Festhalten an der zeitlichen Festlegung des Urlaubs
                   Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das allgemeine         für den Arbeitnehmer unzumutbar ist, d.h. zu einer untrag-
                   Betriebsrisiko durch die Urlaubsgewährung nicht auf den          baren Härte für den Arbeitnehmer führt und dies mit Recht
                   Arbeitnehmer abgewälzt werden darf. So trägt allein der          und Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbaren ist. Unter Be-
                   Arbeitgeber das wirtschaftliche Risiko, den Arbeitnehmer         rücksichtigung des Sinn und Zwecks des BUrlG liegen diese
                   – auch in finanziell schwierigen Zeiten - zu beschäftigen.       Anforderungen jedoch nicht vor. Das BUrlG dient dem Erho-
                                                                                    lungszweck. Es verpflichtet den Arbeitgeber, den Arbeitneh-
                   Gesetzliche Regelungen dazu, in welchem Umfang aus-              mer für eine bestimmte Dauer im Jahr von der Verpflichtung
                   nahmsweise Urlaub einseitig angeordnet werden kann, gibt         zur Arbeitsleistung freizustellen, um ihm die Gelegenheit
                   es nicht. Fest steht allerdings, dass der Arbeitgeber nicht      zur selbstbestimmten Erholung zu geben. Wie und wo die
                   sämtliche Urlaubstage der Arbeitnehmer durch einseitige          Arbeitnehmer ihren Urlaub verbringen, ist dabei entspre-
                   Urlaubsanordnung determinieren darf. Den wesentlichen            chend dem BUrlG nicht maßgeblich: Erholung ist deshalb
                   Teil seines Urlaubs muss der Arbeitnehmer zeitlich selbst        nicht nur durch eine Auslands- oder Inlandsreise möglich,
                   festlegen können. Bei der Anordnung von Betriebsferien gilt      sondern kann auch durch eine Auszeit in den eigenen vier
                   als angemessen, 3/5 des Jahresurlaubs für Betriebsferien         Wänden gelingen.
                   und die verbleibenden 2/5 für individuellen Urlaub vorzuse-
                   hen. Es liegt nahe, zumindest dieses Proportionsverhältnis       Auswirkungen auf die Praxis
                   auch im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise als ange-
                   messen zu erachten.                                              Eine Rücknahme des bereits genehmigten Urlaubs ist nur
                                                                                    im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber möglich. Im Umkehr-
                   Schließlich ist zu beachten, dass der Arbeitgeber Urlaub         schluss bedeutet dies auch für den Arbeitgeber: Der einmal
                   nicht von heute auf morgen anordnen kann. Er hat eine            genehmigte Urlaub kann – auch in Zeiten der Corona-Krise
                   angemessene Ankündigungsfrist einzuhalten, damit die             - nicht ohne Weiteres gestrichen werden.
                   Arbeitnehmer ihren Urlaub entsprechend planen können.
                   Feste zeitliche Vorgaben gibt es hierzu freilich bisher nicht.

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A RBEI T SRECHT
Kommt eine Kürzung der Urlaubstage                               Ist eine Kürzung des Urlaubsentgelts
in Betracht, wenn Kurzarbeit eingeführt                          während der Kurzarbeit zulässig?
ist?

Nach der Rechtsprechung des EuGH kann der Anspruch auf           Das Urlaubsentgelt für den gesetzlichen Mindesturlaub
den gesetzlichen Mindesturlaub während der Kurzarbeit an-        kann infolge der Kurzarbeit nicht gekürzt werden, es bleibt
teilig gekürzt werden (EuGH, Urt. v. 8.11.2012, Az.: C-229/11,   also in der üblichen Höhe bestehen. Das Urlaubsentgelt be-
C-230/11). Gleiches gilt erst recht für den vertraglichen        misst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst,
Mehrurlaub. Der Urlaubsanspruch kann in dem Verhält-             welchen der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen
nis gekürzt werden, in dem die Kurzarbeit zur regulären          vor Urlaubsbeginn erhalten hat. Verdienstkürzungen, die in-
Arbeitszeit steht. Es erfolgt – wie bei Teilzeitbeschäftigten    folge von Kurzarbeit eintreten, bleiben dabei gem. § 11 Abs. 1
– eine anteilige Kürzung des Urlaubsanspruchs im Verhält-        S. 3 BUrlG außer Betracht. Die Kurzarbeit hat somit keine
nis der Wochenarbeitstage. Ist „Kurzarbeit Null“ angeordnet,     Auswirkungen auf das gesetzliche Urlaubsentgelt.
entsteht für diese Zeiten kein Urlaubsanspruch. Die Kürzung
des Urlaubsanspruchs wird damit begründet, dass während          Arbeitnehmer erhalten ein ungekürztes Urlaubsentgelt für
der Kurzarbeit die gegenseitigen Leistungspflichten des Ar-      die Zeit, in der sie wegen des gewährten Urlaubs von der
beitgebers und des Arbeitnehmers je nach der angeordneten        Arbeit freigestellt sind. Wird die Kurzarbeit in der Weise
Arbeitszeitverkürzung suspendiert sind bzw. bei „Kurzarbeit      durchgeführt, dass nur ein Teil der Stunden pro Arbeitstag
Null“ völlig aufgehoben sind.                                    ausfällt, erhalten die Arbeitnehmer für die Stunden des Ar-
                                                                 beitsausfalls Kurzarbeitergeld und für die weiteren Stunden
Je länger die Corona-Krise und die Phase der Kurzarbeit an-      Urlaubsentgelt.
dauert, desto stärker kann sich die Anzahl der Urlaubstage
ermäßigen.                                                       Die vorstehenden Grundsätze gelten für den gesetzlichen
                                                                 Mindesturlaub. Für den vertraglichen Mehrurlaub gelten sie
Auswirkungen auf die Praxis                                      nur, sofern die Arbeitsvertragsparteien keine abweichende
                                                                 Vereinbarung getroffen haben. Arbeitgeber können daher
Bisher noch unklar ist, ob die Kürzung der Urlaubsansprü-        mit Zustimmung der Arbeitnehmer hinsichtlich des ver-
che während der Kurzarbeit automatisch eintritt oder es          traglichen Mehrurlaubs eigenständige Regelungen treffen,
hierzu einer ausdrücklichen Regelung bedarf. Vorsorglich         wonach sich das Urlaubsentgelt für diese Tage während der
sollten Arbeitgeber die anteilige Kürzung bzw. den Wegfall       Kurzarbeit anteilig kürzt.
der Urlaubstage ausdrücklich regeln. Dabei sollte auch be-
stimmt werden, ob die Kürzung der Urlaubstage lediglich          Auswirkungen auf die Praxis
den gesetzlichen Mindesturlaub oder auch den vertragli-
chen Mehrurlaub betrifft.                                        Um Verdienstausfälle bzw. Verdiensteinschränkungen in-
                                                                 folge der Kurzarbeit zu vermeiden, können Arbeitnehmer
                                                                 beantragen, dass ihnen ihr Resturlaub gewährt wird, und in
                                                                 der Folge ein ungekürztes Urlaubsentgelt – jedenfalls hin-
                                                                 sichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs – in Anspruch
                                                                 nehmen.

                                                                                                                                  9
RECHT AKTUELL 02 2020 - Lutz Abel
RECHT A KT U ELL

                   BANK- UND KAPITALMARKT-
                            RECHT
                       CORONA SCHADENSERSATZ- UND
                      ENTSCHÄDIGUNGSKLAGEN ZEICHNEN
                                 SICH AB

                               RAin Dr. Nina Rossi | rossi@lutzabel.com
                           RAin Katharina Kendziur | kendziur@lutzabel.com

                        Die deutschen Gerichte sind bereits jetzt mit verwaltungs-
                        gerichtlichen Verfahren befasst, in denen darüber zu be-
                        finden ist, ob Betriebsschließungen oder sonstige Maßnah-
                        men zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie rechtmäßig
                        angeordnet wurden. Es werden sich künftig nicht nur die
                        Verwaltungsgerichte mit diesen Fragen zu befassen haben.
                        Vielfach dienen die Verfahren vor den Verwaltungsgerichten
                        lediglich der Vorbereitung zivilrechtlicher Schadensersatz-
                        und Entschädigungsklagen.

             10
B A N K- U N D KA P I TA LM A RKT RECHT
Die Träger der jeweils handelnden Behörden werden sich da-      S. 1 IfSG genannten Personen („Störer“), sondern auch ge-
rauf einstellen müssen, von Unternehmen und Gewerbetrei-        genüber Dritten („Nichtstörer“) ergehen können.
benden, Selbstständigen und Arbeitnehmern, die aufgrund
behördlicher Anordnungen Umsatzeinbußen oder andere
finanzielle Verluste erlitten haben, in Zivilprozessen auf      Grundlagen möglicher Entschädigungs-
Ersatz in Anspruch genommen zu werden. Schadensersatz-          ansprüche
ansprüche, insbesondere Amtshaftungsansprüche, werden
in vielen Fällen daran scheitern, dass den handelnden Be-       Das Infektionsschutzgesetz sieht Ansprüche auf Entschädi-
hörden kein rechtswidriges Handeln und erst recht kein Ver-     gung auch im Falle rechtmäßigen Verwaltungshandelns vor.
schulden zur Last zu legen ist. Damit haben sich mögliche       In § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG findet sich eine Entschädigungsrege-
Klagen gegen die Träger der jeweils handelnden Behörden         lung mit dem folgenden Inhalt:
jedoch nicht erledigt.
                                                                    Wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Anste-
Insbesondere die einschlägigen Vorschriften des Infek-              ckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als
tionsschutzgesetzes (IfSG) sehen unter bestimmten Vor-              sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von
aussetzungen einen Entschädigungsanspruch auch im Falle             § 31 Abs. 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen
rechtmäßigen Verwaltungshandelns vor. Die Gerichte haben            Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und
bislang wenig Erfahrung mit den Vorschriften des IfSG, die in       dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine
der Vergangenheit ein Schattendasein gefristet haben. Viele         Entschädigung in Geld. […]
sich zu diesen Vorschriften stellende Rechtsfragen werden
von den Gerichten in diesen Verfahren erstmals geklärt          Ihrem Wortlaut nach gewährt diese Vorschrift einen Ent-
werden müssen.                                                  schädigungsanspruch nur für Störer, nicht aber für außen-
                                                                stehende Dritte, von denen selbst keine Gesundheitsgefah-
                                                                ren ausgehen („Nichtstörer“). Es wird jedoch vereinzelt die
Rechtliche Grundlagen                    behördlicher           Auffassung vertreten, dass die Vorschrift auch auf Nicht-
Maßnahmen                                                       störer entsprechend anzuwenden ist. In einer ersten Ent-
                                                                scheidung in einem Eilverfahren (Az.: I 4 O 82/20) hat sich
Rechtliche Grundlage für die Maßnahmen zur Bekämpfung           das Landgericht Heilbronn gegen eine entsprechende An-
der COVID-19-Pandemie sind die Vorschriften des Infekti-        wendung der Vorschrift auf Nichtstörer entschieden. Eben-
onsschutzgesetzes. Die maßgebliche Ermächtigungsgrund-          falls erörtert wird, ob auch juristischen Personen ein An-
lage des § 28 Abs. 1 IfSG hat auszugsweise den folgenden        spruch aus § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG zustehen kann. Diese Fragen
Inhalt:                                                         sind obergerichtlich noch nicht geklärt.

    Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungs-          Es bleibt insbesondere abzuwarten, ob die Gerichte auch
    verdächtige oder Ausscheider festgestellt […], so trifft    Personen, von denen keine Gesundheitsgefahren ausge-
    die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaß-           gangen sind, eine Entschädigung zusprechen. Dies würde
    nahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten,     zu einem ganz erheblichen Anstieg der zu erwartenden Ent-
    soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung      schädigungszahlungen führen. Es sprechen nicht unerheb-
    übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann        liche Gründe dafür, einen Entschädigungsanspruch in diesen
    insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem         Fällen zu verneinen. Gleichwohl gilt, dass eine Reaktion
    sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Be-      auf entsprechende Entschädigungsanträge sorgfältig vor-
    dingungen zu verlassen, oder von ihr bestimmte Orte         bereitet werden sollte. Der Antrag auf Entschädigung nach
    oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten       § 56 IfSG ist binnen einer Frist von zwölf Monaten zu stellen,
    Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen          § 56 Abs. 11 IfSG.
    von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen
    oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschrän-           Darüber hinaus gewährt das Infektionsschutzgesetz nach
    ken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 ge-       dem Wortlaut des § 65 IfSG eine Entschädigung bei Maß-
    nannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon          nahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten. Die Vor-
    schließen.                                                  schrift lautet wie folgt:

Die Eingriffsermächtigung des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG ist weit        Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und
gefasst. Die dort genannten Maßnahmen sind nach dem Wil-            17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger
len des Gesetzgebers nicht abschließend, wie ein Blick in           Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein ande-
die Gesetzesbegründung belegt. Die Vorschrift enthält eine          rer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil ver-
allgemeine Ermächtigung, alle notwendigen Maßnahmen                 ursacht wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten.
zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen.
Der Gesetzesbegründung lässt sich ebenfalls entnehmen,          Für eine direkte Anwendung der Vorschrift dürfte aufgrund
dass die Maßnahmen nicht nur gegenüber den in § 28 Abs. 1       der Begrenzung auf Maßnahmen zur Gefahrverhütung in der

                                                                                                                                 11
RECHT A KT U ELL

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                   aktuellen COVID-19-Pandemie kaum Raum sein. Einzelne
                   Stimmen vertreten jedoch eine entsprechende Anwendung
                   des § 65 IfSG auf Maßnahmen zur Gefahrbekämpfung.

                   Nach der Begründung des Gesetzgebers ist die Entschädi-
                   gungsvorschrift über die Vernichtung, Beschädigung und
                   sonstige Wertminderung hinaus auf alle in der Praxis vor-
                   kommenden Enteignungsfälle anzuwenden. In vielen Fällen
                   wurde durch die seitens der Behörden angeordneten Maß-
                   nahmen in das Recht am eingerichteten und ausgeübten
                   Gewerbebetrieb eingegriffen. Jedenfalls die Substanz des
                   eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs unterfällt
                   dem verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff und dessen
                   Schutz gemäß Art. 14 GG. Die Höhe der zu gewährenden Ent-
                   schädigung wird sich in diesen Fällen in der Regel danach
                   richten, wie viel der Gewerbebetrieb infolge des Eingriffs
                   weniger erzielt hat. Auch insoweit gilt, dass abzuwarten
                   bleibt, wie sich die Gerichte zu den sich in diesem Zusam-
                   menhang stellenden Rechtsfragen positionieren.
                                                                                  KATHARI NA KENDZ I U R
                   Da die Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes nicht
                   abschließend sind, kommt darüber hinaus auch eine Ent-
                   schädigung nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht. Um-
                   stritten und in der Rechtsprechung noch nicht abschließend
                   geklärt ist die Frage, ob insoweit ein Rückgriff auf die Re-
                   gelungen in den landesrechtlichen Polizei- und Ordnungs-
                   gesetzen erfolgen kann. Diskutiert wird darüber hinaus, ob
                   rechtmäßige behördliche Maßnahmen zur Bekämpfung der
                   COVID-19-Pandemie Ansprüche wegen enteignenden Ein-
                   griffs oder Aufopferung begründen können.

                   Sorgfältige Prüfung der Entschädigungs-
                   anträge ist erforderlich

                   Wichtig ist es, eine Reaktion auf zu erwartende Entschä-
                   digungsanträge sorgfältig vorzubereiten und im Falle ge-
                   richtlicher Inanspruchnahmen, insbesondere in möglichen
                   Fällen des Eilrechtsschutzes, zeitnah für eine anwaltliche
                   Beratung und Vertretung zu sorgen. LUTZ | ABEL steht Ihnen
                   hierfür mit einem schlagkräftigen Team erfahrener Pro-
                   zessrechtler und auf das öffentliche Recht spezialisierter
                   Anwälte unterstützend zur Seite. Wir übernehmen Ihre Be-
                   ratung und Vertretung bei der Abwehr außergerichtlicher
                   Inanspruchnahmen und vertreten Sie gerichtlich in Eil- und
                   Hauptsacheverfahren.

             12
COMM ERCI A L
                          COMMERCIAL

COVID-19 UND VERZUG DES LEISTUNGSEMPFÄNGERS

                            RAin Ute Schenn | schenn@lutzabel.com

                    Seit Ausbruch von COVID-19 und den damit einhergehen-
                    den – insbesondere staatlich verordneten – Beschränkun-
                    gen beobachten wir immer wieder, dass der Gläubiger einer
                    Leistung (z.B. Käufer oder Auftraggeber) die Leistung des
                    Schuldners nicht annehmen möchte. Nicht selten begründet
                    der Gläubiger die Weigerung pauschal mit COVID-19 und den
                    damit zusammenhängenden Beschränkungen. Ziel der Wei-
                    gerung ist meist, die eigene Verpflichtung zur Bezahlung der
                    Leistung möglichst hinauszuschieben.

                    In diesem Beitrag soll gezeigt werden, welche rechtlichen
                    Konsequenzen drohen, wenn der Gläubiger eine vertrags-
                    gemäß angebotene Leistung des Schuldners nicht annimmt.
      UTE SCHE NN

                                                                                   13
RECHT A KT U ELL

                   Verzug des Gläubigers in Form des An-                               mit der Bewirtung der Gäste beauftragt. Am 7. August
                   nahmeverzugs (§§ 293 ff. BGB)                                       wird ein Mitarbeiter des Cateringunternehmens positiv
                                                                                       auf COVID-19 getestet. In der Folge ordnet die Gesund-
                   Verweigert der Gläubiger die ihm vom Schuldner angebotene           heitsbehörde an, dass sich sämtliche Mitarbeiter des
                   Leistung, gerät er in Annahmeverzug, wenn nachfolgend be-           Cateringunternehmens vorsorglich in Quarantäne be-
                   schriebene Voraussetzungen vorliegen.                               geben müssen. Das Cateringunternehmen kann auf die
                                                                                       Schnelle keinen Ersatz für die Mitarbeiter organisieren.
                   Angebot des Schuldners                                              Es kann daher am 8. August die von dem Hochzeitspaar
                                                                                       beauftragten Leistungen nicht erbringen. Die Leistung
                   Zunächst ist Voraussetzung des Annahmeverzugs, dass der             kann auch nicht nachgeholt werden, weil die Leistungs-
                   Schuldner dem Gläubiger die Leistung in der Weise angeboten         zeit wesentlich war. Eine spätere Leistung kann den Er-
                   hat, wie sie vertraglich geschuldet ist. Der Schuldner muss         folg – Bewirtung der Gäste am 8. August 2020 – nicht
                   dem Gläubiger die Leistung daher insbesondere zur rechten           mehr herbeiführen. Das Hochzeitspaar kann in diesem
                   Zeit (§ 271 BGB), am rechten Ort (§§ 269, 270 BGB) und in der       Fall daher nicht in Annahmeverzug geraten.
                   vertraglich geschuldeten Qualität und Menge (§ 294 BGB)
                   anbieten.                                                       Vielfach ist derzeit zu beobachten, dass Schuldner gegen-
                                                                                   über ihren Vertragspartnern schriftlich ihre Leistungsbe-
                   Grundsätzlich muss der Schuldner dem Gläubiger die Leis-        reitschaft anzeigen. Hintergrund der Anzeige ist es, den Ver-
                   tung derart anbieten, dass der Gläubiger nur noch zuzugrei-     tragspartner (Gläubiger) in Annahmeverzug zu setzen, um
                   fen braucht (§ 294 BGB). Ausnahmsweise ist es ausreichend,      den Vergütungsanspruch zu erhalten. Nicht selten zeigen
                   dass der Schuldner dem Gläubiger die Leistung münd-             die Auftraggeber ihre Leistungsbereitschaft an, obwohl die
                   lich oder schriftlich anbietet, wenn (i) der Gläubiger dem      Leistung unmöglich ist. Unmöglichkeit liegt nämlich auch
                   Schuldner zuvor mitgeteilt hat, dass er die Leistung nicht      dann vor, wenn zwar die Leistungshandlung vorgenommen
                   annehmen wird oder (ii) der Gläubiger die Leistung beim         werden, diese den Leistungserfolg aber nicht herbeiführen
                   Schuldner abholen muss (§ 295 BGB).                             kann.

                   Muss der Gläubiger bei der Leistungserbringung mitwirken            Beispiel: Ein Restaurantbetreiber hat ein Reinigungsun-
                   und ist für seine Mitwirkungshandlung ein bestimmter Zeit-          ternehmen mit täglichen Spülleistungen (gewerbliches
                   punkt vereinbart, ist ein Angebot des Schuldners sogar ganz         Geschirrspülen) beauftragt. Da das Restaurant COVID-
                   entbehrlich (§ 296 BGB).                                            19-bedingt durch staatliche Verordnung geschlossen ist
                                                                                       und damit keine Gäste bewirtet, wird auch kein Geschirr
                       Beispiel: Ein Kantinenbetreiber (Gläubiger) beauftragt          schmutzig. Das Reinigungsunternehmen könnte das Ge-
                       einen Hersteller von Großküchengeräten (Schuldner)              schirr zwar weiterhin spülen, also die Leistungshand-
                       mit der Lieferung und dem Anschluss einer Kaffeema-             lung vornehmen. Das Spülen könnte aber nicht dazu
                       schine. Die Parteien vereinbaren, dass der Schuldner die        führen, dass das Geschirr sauber wird, weil es bereits
                       Kaffeemaschine am 7. Mai 2020, 10:00 Uhr, zur Kantine           sauber ist. Der Leistungserfolg kann demnach nicht her-
                       des Gläubigers liefern und sie dort anschließen muss.           beigeführt werden. In diesem Fall ist die Leistung un-
                       Als der Schuldner zum vereinbarten Termin bei der Kan-          möglich. Der Restaurantbetreiber gerät nicht in Annah-
                       tine erscheint, findet er verschlossene Türen vor. An der       meverzug, wenn er die von dem Reinigungsunternehmen
                       Türe zur Kantine liest der Schuldner die Information,           angebotene Leistung nicht annimmt.
                       dass die Kantine aufgrund der Ausbreitung von COVID-19
                       aktuell geschlossen ist. Der Kantinenbetreiber gerät in     Daher sollte in jedem Einzelfall stets genau geprüft werden,
                       diesem Fall ab dem 7. Mai 2020 in Annahmeverzug. Ein        ob die Leistung erbracht werden kann oder ein unüberwind-
                       Angebot des Schuldners ist entbehrlich, weil den Kan-       bares Leistungshindernis besteht.
                       tinenbetreiber eine Pflicht zur Mitwirkung trifft. Er hat
                       dem Schuldner zum vereinbarten Termin Zugang zum            Rechtsfolgen des Annahmeverzugs
                       Gebäude, insbesondere dem Platz, an dem die Kaffee-
                       maschine angeschlossen werden soll, zu verschaffen.         Verweigert der Gläubiger die Annahme der Leistung und ge-
                                                                                   rät er dadurch in Annahmeverzug, hat dies für ihn folgende
                   Möglichkeit der Leistung                                        nachteilige Konsequenzen:

                   Weitere Voraussetzung ist, dass dem Schuldner die Leistung      Haftungsprivilegierung
                   überhaupt möglich ist – denn: Eine Leistung, die der Schuld-
                   ner nicht erbringen kann, kann der Gläubiger auch nicht ab-     Für den Schuldner tritt eine Haftungsprivilegierung ein. Er
                   nehmen.                                                         haftet während des Annahmeverzugs nur für Vorsatz und
                                                                                   grobe Fahrlässigkeit (§ 300 Abs. 1 BGB).
                       Beispiel: Für seine Hochzeit am 8. August 2020 hat ein
                       Hochzeitspaar (Gläubiger) ein Cateringunternehmen

             14
COMM ERCI A L
   Beispiel: In oben genanntem Beispiel nimmt der Schuld-      Verzug des Gläubigers in Form des
   ner die Kaffeemaschine wieder mit, nachdem er bei der       Schuldnerverzugs (§ 286 BGB)
   Kantine niemanden angetroffen hat. Ein Mitarbeiter des
   Schuldners trägt die Kaffeemaschine wieder ins Lager.       Weist der Gläubiger die vertragsgemäß angebotene Leistung
   Auf dem Weg ins Lager fällt dem Mitarbeiter die Kaffee-     des Schuldners zurück, kann er dadurch nicht nur in Annah-
   maschine aus Unachtsamkeit auf den Boden und wird           meverzug geraten, sondern gleichzeitig in Schuldnerverzug.
   hierdurch zerstört. In diesem Fall muss der Kantinen-       Dies kann zur Folge haben, dass sich der Gläubiger durch
   betreiber die Kaffeemaschine in voller Höhe bezahlen        die Annahmeverweigerung sogar schadensersatzpflichtig
   (§ 326 Abs. 2 BGB). Schadensersatz für die zerstörte        gegenüber dem Schuldner macht.
   Maschine kann der Kantinenbetreiber von dem Schuld-
   ner nicht verlangen, denn der Schuldner haftet nicht für    Der Gläubiger gerät in Schuldnerverzug, wenn nachfolgend
   eine unachtsame Zerstörung der Kaffeemaschine, son-         beschriebene Voraussetzungen vorliegen.
   dern nur für grob fahrlässiges oder vorsätzliches Ver-
   halten (§ 300 BGB).                                         Annahmepflicht des Gläubigers

Übergang der Leistungs- und Gegenleistungsge-                  Der Gläubiger muss zunächst zur Annahme der Leistung ver-
fahr                                                           pflichtet sein. Bei Kaufverträgen ist der Gläubiger (Käufer)
                                                               zur Annahme der vertragsgemäß angebotenen Leistung ver-
Der Annahmeverzug führt außerdem dazu, dass die Leis-          pflichtet (§ 433 Abs. 2 Alt. 2 BGB), bei Werkverträgen ist der
tungsgefahr (§ 300 Abs. 2 BGB) und die Gegenleistungs-         Gläubiger (Auftraggeber) zur Abnahme des vertragsgemäß
gefahr (§ 326 Abs. 2 BGB) auf den Gläubiger übergehen.         angebotenen Werks verpflichtet (§ 640 Abs. 1 BGB). Verwei-
Relevant werden diese Gefahrübergänge dann, wenn der           gert der Gläubiger bei diesen Verträgen die Annahme bzw.
Gläubiger die ihm angebotene Leistung des Schuldners nicht     Abnahme der vertraglich geschuldeten Leistung, verletzt er
annimmt und die angebotene Leistung danach ohne Zutun          seine Annahmepflicht.
einer Partei zerstört oder beschädigt wird.
                                                               Verschulden des Gläubigers
Wie geschildert, muss der Kantineninhaber in oben genann-
tem Beispiel die zerstörte Kaffeemaschine bezahlen (Über-      Weitere Voraussetzung ist, dass der Gläubiger die Annahme
gang der Gegenleistungsgefahr), obwohl er sie nicht erhält     schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder fahrlässig verweigert. Ist
(Übergang der Leistungsgefahr).                                der Gläubiger durch COVID-19 oder die damit einhergehen-
                                                               den Beschränkungen an der Annahme der Leistung gehin-
Darüber hinaus kann der Schuldner vom Gläubiger Ersatz         dert, trifft ihn in aller Regel kein Verschulden.
erforderlicher Mehraufwendungen verlangen, die er für
das erfolglose Angebot sowie für die Aufbewahrung und              Beispiel 1: Der Betrieb des Gläubigers ist durch behörd-
Erhaltung des geschuldeten Gegenstands machen muss                 liche Anordnung vorübergehend geschlossen. Ihn trifft
(§ 304 BGB).                                                       daher kein Verschulden, wenn er während der Betriebs-
                                                                   schließung die Leistung des Schuldners nicht annimmt.
   Beispiel: Der Schuldner hat sich durch Kaufvertrag
   gegenüber seinem Kunden verpflichtet, die Transport-            Beispiel 2: Ist dem Gläubiger die Annahme der ihm ver-
   kosten für die Lieferung einer Maschine zum Kunden              tragsgemäß angebotenen Leistung nicht möglich, weil
   zu übernehmen. Als das Transportunternehmen die Ma-             große Teile seiner Belegschaft COVID-19 bedingt aus-
   schine beim Kunden anliefern will, verweigert der Kun-          gefallen sind und er keinen Ersatz für die Mitarbeiter
   de die Annahme der Leistung, weil er diese aufgrund der         organisieren kann, trifft den Gläubiger kein Verschulden
   Corona-Krise nicht bezahlen könne. Der Kunde gerät in           an der vorübergehenden Annahmeverhinderung.
   diesem Fall in Annahmeverzug. Er kann sich nicht dar-
   auf berufen, dass er die Maschine nicht bezahlen kann.      In den vorgenannten Beispielen liegt kein Verschulden des
   Finanzielle Unmöglichkeit kennt das deutsche Gesetz         Gläubigers vor. Der Schuldner kann in diesen Fällen vom
   nicht; es gilt der Grundsatz: Geld hat man zu haben. Auf-   Gläubiger daher keinen Schadensersatz für die Nichtabnah-
   grund des Annahmeverzugs muss der Kunde die Kosten          me der Leistung verlangen. Anders könnte es bei dem fol-
   eines erneuten Transports übernehmen.                       genden Beispiel sein:

Ist der Schuldner ein Kaufmann, kann er bei einem Kauf-            Beispiel: Der Gläubiger hat ein Unternehmen mit der
vertrag den Kaufgegenstand insbesondere auf Gefahr und             Wartung von Maschinen in seiner Produktionsstätte be-
Kosten des Gläubigers einlagern oder nach vorheriger An-           auftragt. Als Mitarbeiter des Unternehmens zum verein-
drohung sogar auf Rechnung des Gläubigers verkaufen                barten Termin erscheinen, verweigert der Gläubiger die-
(§ 373 HGB).                                                       sen den Zutritt zur Produktionsstätte, weil der Gläubiger
                                                                   seine Mitarbeiter vor einer Ansteckung mit COVID-19

                                                                                                                                15
RECHT A KT U ELL

                       schützen will. In diesem Fall wird man differenzieren         Folgen des Schuldnerverzugs
                       müssen. Sofern es dem Gläubiger möglich ist, durch
                       zumutbare Hygieneschutzmaßnahmen die eigenen Mit-             Sind alle vorgenannten Voraussetzungen des Schuldnerver-
                       arbeiter und die Mitarbeiter des Schuldners bei der           zugs erfüllt, kann der Schuldner vom Gläubiger alle Schäden
                       Annahme der Leistung ausreichend zu schützen, darf            ersetzt verlangen, die ihm dadurch entstanden sind, dass
                       der Gläubiger die Annahme der Leistung grundsätzlich          der Gläubiger die Annahme der Leistung unberechtigt ver-
                       nicht verweigern. Ist es hingegen trotz Hygieneschutz-        weigert.
                       maßnahmen nicht möglich, die eigenen Mitarbeiter oder
                       jene des Schuldners hinreichend zu schützen, so kann          Bei weitergehendem Interesse an Störungen bei der Erfül-
                       dem Gläubiger im Einzelfall gestattet sein, die Annahme       lung von Verträgen während der COVID-19-Pandemie laden
                       der Leistung zu verweigern, solange ein unzumutbares          wir Sie ein, den Rechtsleitfaden „Vertrieb von Waren und
                       Infektionsrisiko besteht und die Annahme der Leistung         Dienstleistungen in Zeiten von Corona“ von drei Kollegen
                       nicht ohne Personaleinsatz bewältigt werden kann.             aus unserer Kanzlei, Dr. Marius Mann, Ute Schenn und Dr.
                                                                                     Benjamin Baisch, zu lesen.
                   Mahnung des Schuldners
                                                                                                   Zum Rechtsleitfaden „Vertrieb von
                   Der Gläubiger gerät durch Verweigerung der Annahme grund-                       Waren und Dienstleistungen in Zei-
                   sätzlich nur in Verzug, wenn der Schuldner den Gläubiger zur                    ten von Corona“
                   Annahme gemahnt hat (§ 286 Abs. 1 BGB). Eine Mahnung wird
                   jedoch in vielen Fällen entbehrlich sein, weil die Parteien ein
                   bestimmtes Datum vereinbart haben, an dem der Gläubiger
                   die Leistung annehmen muss (§ 286 Abs. 2 BGB).

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GES ELLS CHA F T SRECHT
 GESELLSCHAFTSRECHT

GESELLSCHAFTERBESCHLÜSSE IN DER GMBH
    WÄHREND DER CORONA-PANDEMIE

             RA Dr. Bernd Fluck | fluck@lutzabel.com

     Beschlüsse in Gesellschaften mit beschränkter Haftung
     (GmbHs) werden im Regelfall in physischen Zusammen-
     künften (Versammlungen) der Gesellschafter gefasst
     (§ 48 Abs. 1 GmbHG). Aufgrund der derzeit herrschenden
     Kontaktbeschränkungen und wohl noch länger andauernden
     medizinischen Empfehlung, physische Kontakte zu haus-
     halts- und familienfremden Personen so weit wie möglich
     zu meiden, stellt sich in vielen Unterneh-men die Frage, wie
     Beschlüsse der Gesellschafter ohne physische Präsenz der
     Anteilseigner gefasst werden können. Insbesondere, wenn
     eine entsprechende Satzungsregelung zur Beschlussfas-
     sung im Umlaufverfahren oder zu einer virtuellen Gesell-
     schafterversammlung fehlt.

                                                                    17
RECHT A KT U ELL

                   Gesetz zur Abmilderung der Folgen der                          Wohnungseigentümergemeinschaften sind in den §§ 1, 3, 5
                   COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz-                        und 6 COVMG geregelt. Für Personen- und Personenhandels-
                   und Strafverfahrensrecht                                       gesellschaften wie die GbR, die OHG, die KG, die PartG und
                                                                                  die GmbH & Co. KG enthält das COVMG keine Bestimmungen.
                   Der Bundestag hat zu dieser Problematik ein Gesetz mit
                   der Bezeichnung „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der
                   COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfah-       Zeitlicher Anwendungsbereich
                   rensrecht“ beschlossen. Das Gesetz wurde am 27.03.2020
                   im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Es ist seit 28.03.2020    Der zeitliche Anwendungsbereich des § 2 COVMG ist gemäß
                   in Kraft.                                                      § 7 Abs. 2 COVMG auf Gesellschafterbeschlüsse beschränkt,
                                                                                  die im Jahr 2020 gefasst werden. Maßgeblich hierfür dürfte
                                                                                  der letztmögliche Zeitpunkt sein, bis zu dem Stimmen bei
                   Gesetz über Maßnahmen im Gesell-                               der Gesellschaft eingereicht werden können. § 8 COVMG
                   schafts-, Genossenschafts-, Vereins-,                          enthält eine Verordnungsermächtigung, wonach das Bun-
                   Stiftungs- und Wohnungseigentums-                              desjustizministerium durch Rechtsverordnung die Geltung
                   recht zur Bekämpfung der Auswirkungen                          des § 2 COVMG bis zum 31.12.2021 verlängern kann, wenn
                   der COVID-19-Pandemie – COVMG                                  dies aufgrund der COVID-19-Pandemie für sachgerecht er-
                                                                                  achtet wird.
                   Gemäß Artikel 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen
                   der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Straf-
                   verfahrensrecht wurde ein Gesetz mit der sperrigen Be-         Sachlicher Anwendungsbereich
                   zeichnung „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-,
                   Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungs-           Der sachliche Anwendungsbereich des § 2 COVMG erfasst
                   eigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der             Beschlussfassungen in Schrift- oder Textform. Darunter
                   COVID-19-Pandemie“ (im Folgenden: „COVMG“) geschaffen.         fallen insbesondere Erklärungen, die eigenhändig unter-
                   Das COVMG sieht weitreichende Modifikationen über die be-      schrieben und im Original oder per Fax an die Gesellschaft
                   stehenden Regeln zu Beschlussfassungen in Gesellschaften       übermittelt werden, aber auch Abstimmungen per E-Mail
                   mit beschränkter Haftung, Aktiengesellschaften, Genos-         oder ein Scan des unterzeichneten Dokuments. Videokonfe-
                   senschaften, Vereinen, Stiftungen und Wohnungseigentü-         renzen, z.B. per Skype, Zoom, Microsoft Teams etc., oder Te-
                   mergemeinschaften vor.                                         lefonkonferenzen sind demgegenüber nicht von § 2 COVMG
                                                                                  erfasst.
                   Während das COVMG hinsichtlich Aktiengesellschaften in
                   § 1 eine relativ detaillierte gesetzliche Anpassung enthält,   Gegenständlich ist § 2 COVMG nicht auf bestimmte Beschlüs-
                   trifft § 2 COVMG für Gesellschaften mbH nur eine bruch-        se beschränkt. Grundsätzlich können daher alle Beschluss-
                   stückhafte Regelung für Beschlussfassungen außerhalb von       gegenstände im Wege einer Beschlussfassung im Umlauf-
                   Gesellschafterversammlungen. Die stiefmütterliche Be-          verfahren gemäß dem modifizierten § 48 Abs. 2 GmbHG
                   handlung der GmbH durch den Gesetzgeber überrascht ein         gefasst werden. Etwas anderes gilt nur für solche Beschlüs-
                   wenig angesichts der erheblichen Bedeutung der GmbH im         se, für die aufgrund zwingender gesetzlicher Regelungen
                   deutschen Wirtschaftsleben. Das COVMG lässt die wesent-        eine Versammlungspräsenz vorgesehen ist. Dies betrifft
                   lichen Fragestellungen, wie eine solche Beschlussfassung       insbesondere Beschlüsse über die Verschmelzung, die Spal-
                   außerhalb einer Präsenzsitzung auf Grundlage des COVMG         tung und den Formwechsel (§ 13 Abs.1 S. 2 UmwG, § 125 i.V.m.
                   stattzufinden hat, ungeklärt.                                  § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG und § 193 Abs. 1 S. 2 UmwG). Probleme
                                                                                  bereitet die Beschlussfassung im Umlaufverfahren auch bei
                   Ein kurzer Überblick darüber, wie GmbH-Beschlüsse im Um-       solchen Beschlüssen, die einer notariellen Beurkundung
                   laufverfahren ohne Gesellschafterversammlung aufgrund          bedürfen, also insbesondere bei Kapitalmaßnahmen oder
                   der neuen Regelungen des COVMG gefasst werden können,          satzungsändernden Beschlüssen. Eine Beschlussfassung im
                   soll hier dargestellt werden.                                  Umlaufverfahren kommt bei solchen Beschlussgegenstän-
                                                                                  den nur in Betracht, wenn die Gesellschafter ihre Stimmen
                                                                                  vor dem beurkundenden Notar abgeben, der dann das Be-
                   Persönlicher Anwendungsbereich                                 schlussergebnis beurkundet.

                   § 2 COVMG sieht vor, dass Beschlüsse der Gesellschafter
                   abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG in Textform oder durch        Gesetzestechnik des § 2 COVMG
                   schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständ-
                   nis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden können. Die       § 2 COVMG nimmt keine unmittelbare Änderung des
                   Regelung gilt unmittelbar für die GmbH und die UG (haf-        § 48 Abs. 2 GmbHG vor. Dies bedeutet, dass sich die Modifi-
                   tungsbeschränkt). Die Beschlussfassungen in Aktienge-          kation des § 48 Abs. 2 GmbHG nicht im GmbHG niederschlägt.
                   sellschaften, Genossenschaften, Vereinen, Stiftungen und       Vielmehr tritt der Regelungsgehalt des § 2 COVMG in seinem

             18
GES ELLS CHA F T SRECHT
zeitlichen Anwendungsbereich neben § 48 Abs. 2 GmbHG.           sung unerwünschte Gesellschafter umgangen werden. Zum
Dies führt zu einer gewissen Unübersichtlichkeit der Geset-     Beispiel, wenn die Beschlussfassung für den Zeitraum einer
zeslage.                                                        Urlaubsabwesenheit eines Gesellschafters angesetzt und
                                                                die Äußerungsfrist sehr kurz bemessen wird.

Konkrete Anforderungen an GmbH-Be-                              Bei § 48 Abs. 2 GmbHG in seiner ursprünglichen Fassung
schlüsse gemäß § 2 COVMG                                        wird ein Fristerfordernis für die Beschlussfassung aus
                                                                Gründen des Minderheitenschutzes nicht relevant. Eine
§ 2 COVMG enthält keine Vorgaben darüber, wie eine Be-          Beschlussfassung ist im Umlaufverfahren nach dieser Re-
schlussfassung im Umlaufverfahren auf Grundlage dieser          gelung nur möglich, wenn sämtliche Gesellschafter mit
Vorschrift im konkreten Fall abzulaufen hat. Es ist daher       der Beschlussfassung im Umlaufverfahren einverstanden
weitgehend auf bereits bekannte allgemeine Grundsätze           sind. Die Rückäußerungsfrist sollte für die Beschlussfas-
des GmbH-Rechts abzustellen.                                    sung im Umlaufverfahren analog zu den gesetzlichen oder
                                                                satzungsmäßigen Vorgaben für die Einberufungsfrist für
Die Einleitung der Beschlussfassung erfolgt im Regelfall in     eine Gesellschafterversammlung erfolgen. Auf diese Weise
entsprechender Anwendung des § 49 Abs. 1 GmbHG durch            kann das Risiko einer unwirksamen Beschlussfassung auf-
den/die Geschäftsführer. Zudem besteht eine Einberu-            grund einer zu kurzen Frist vermieden werden. Denn diese
fungskompetenz der Gesellschafter nach § 50 Abs. 3 GmbH         Regelungen zur Einberufungsfrist für Gesellschafterver-
(oder einer entsprechenden Satzungsregelung), wenn der          sammlungen sehen einen Zeitraum vor, in welchem die Ge-
Geschäftsführer einem berechtigten Verlangen eines Ge-          sellschafter im Regelfall damit rechnen müssen, dass eine
sellschafters oder Gesellschafterkreises auf Einberufung        Beschlussfassung stattfindet, und der für eine Vorbereitung
einer Gesellschafterversammlung oder Einleitung einer           auf die Beschlussfassung als ausreichend angesehen wird.
Beschlussfassung im Umlaufverfahren nicht zeitnah nach-         Der früheste zeitlich mögliche Termin für die Rückäußerung
kommt oder ein Geschäftsführer nicht vorhanden ist.             ist demnach der erstmögliche Tag für eine Gesellschafter-
                                                                versammlung unter Wahrung der Ladungsfrist.

Einleitung der Beschlussfassung
                                                                Satzungsmäßiges Quorum für die Be-
Allen Gesellschaftern ist die Möglichkeit zur Teilnahme an      schlussfähigkeit
der Beschlussfassung zu gewähren, andernfalls ist eine
wirksame Beschlussfassung nicht möglich. Demnach muss           Sofern die Satzung der betroffenen Gesellschaft ein so-
das Schreiben, welches eine Beschlussfassung im Umlauf-         genanntes Quorum für die Beschlussfassung vorsieht, das
verfahren nach § 2 COVMG initiiert, an alle Gesellschafter      heißt eine Regelung, wonach eine Gesellschafterversamm-
übersandt werden. Inhaltlich ist darauf hinzuweisen, dass       lung nur dann beschlussfähig ist, wenn eine bestimmte An-
eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren eingeleitet wird       zahl an Gesellschaftern anwesend ist, die zusammen einen
und die Stimmabgabe in Textform und / oder durch schrift-       bestimmten Anteil am Stammkapital in sich vereinen, sollte
liche Abgabe zu erfolgen hat. Zudem sollte darauf hingewie-     diese Anforderung auch für eine Beschlussfassung im Um-
sen werden, dass die Beschlussfassung auch ohne Einver-         laufverfahren nach § 2 COVMG gewahrt werden. Wenn also
ständnis sämtlicher Gesellschafter erfolgen kann. Zudem         bis zum Ablauf der zunächst gesetzten Abstimmungsfrist
ist ein Endtermin mitzuteilen, bis zu welchem die Gesell-       nicht ausreichend viele Gesellschafter an der Abstimmung
schafter an der Beschlussfassung partizipieren können, d.h.     teilnehmen, damit das satzungsmäßig festgelegte Be-
ihre Stimmabgaben bei der Gesellschaft einzugehen haben.        schlussquorum erreicht wird, ist regelmäßig zeitnah eine
Schließlich müssen die Tageordnung und die anstehen-            zweite Beschlussfassung zu initiieren, die dann ohne Rück-
den Beschlussgegenstände hinreichend mitgeteilt werden          sicht auf das bei der Abstimmung vertretene Stammkapital
(§ 51 Abs. 4 GmbHG).                                            beschlussfähig ist.

Frist für die Stimmabgabe                                       Form der Mitteilung an die Gesellschaft

Ungeklärt ist, welcher Zeitraum für die Frist vorzusehen ist,   Ungeklärt ist zudem, in welcher Form die Mitteilung an die
bis zu deren Ablauf den Gesellschaftern die Möglichkeit         Gesellschaft über die Beschlussfassung im Umlaufverfah-
eingeräumt werden muss, an der Beschlussfassung mit-            ren, das heißt die Initiierung der Beschlussfassung, zu er-
zuwirken. § 2 COVMG regelt das nicht. Dies ist bedenklich,      folgen hat. Auch insofern sieht § 2 COVMG keine Regelung
da durch die Bestimmung einer sehr kurzen Frist der Ge-         vor und es ist nicht hilfreich, auf die für § 48 Abs. 2 GmbHG
schäftsführer bzw. der Beschlussinitiator gegebenenfalls        entwickelten Grundsätze abzustellen, da dort ein Former-
steuern kann, welcher der Gesellschafter die Möglichkeit        fordernis aufgrund der Mitwirkung aller Gesellschafter kei-
hat, an der Beschlussfassung teilzunehmen. Auf diese Wei-       ne Bedeutung erlangt. Daher ist es empfehlenswert, auf die
se könnten trotz formaler Beteiligung an der Beschlussfas-      satzungsmäßigen oder gesetzlichen Formvorschriften für

                                                                                                                                19
RECHT A KT U ELL

                   die Einberufung eine Gesellschafterversammlung zurück-                            § 50 Abs. 3 GmbHG. Die wohl herrschende Meinung im ju-
                   zugreifen. Mangels erleichternder Satzungsregel ist daher                         ristischen Schrifttum sieht die Beschlussfeststellungs-
                   die Beschlussfassung im Umlaufverfahren nach § 2 COVMG                            kompetenz demgegenüber auch bei Beschlussfassungen im
                   gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 GmbHG mittels eingeschriebenen                             Umlaufverfahren beim Versammlungsleiter.
                   Briefs an die der Gesellschaft zuletzt mitgeteilte Adresse
                   des jeweiligen Gesellschafters zu richten.
                                                                                                     Fazit

                   Satzungsregelungen zur Beschlussfas-                                              § 2 COVMG sieht Erleichterungen für Beschlussfassungen
                   sung im Umlaufverfahren                                                           außerhalb von Gesellschafterversammlungen von Gesell-
                                                                                                     schaften mbH vor, die gerade in der aktuellen Krisensitu-
                   Außerdem ist fraglich, wie mit der Situation umzugehen ist,                       ation zu begrüßen sind, wobei es sinnvoll gewesen wäre,
                   wenn die GmbH-Satzung vergleichbare Regelungen zur Be-                            auch die Möglichkeit von Telefon- oder besser noch Video-
                   schlussfassung im Umlaufverfahren oder gar über virtuelle                         konferenzen einzubeziehen, da dies dem Leitbild einer Ge-
                   Gesellschafterversammlungen enthält. Hierbei wird danach                          sellschafterversammlung mit Diskussionsmöglichkeit noch
                   zu differenzieren sein, ob und inwieweit diese Satzungsrege-                      näher käme. Die rudimentäre Ausgestaltung der Vorschrift
                   lungen über den sachlichen Regelungsgehalt von § 2 COVMG                          stellt den Rechtsanwender zunächst vor einige Unklarhei-
                   hinausgehende Modalitäten für Beschlussfassungen außer-                           ten. Diese können jedoch weitgehend durch Rückgriffe auf
                   halb physischer Gesellschafterversammlungen vorsehen.                             allgemeine Prinzipien und Grundsätze des Rechts zur Be-
                   Soweit dies der Fall ist, bleibt die satzungsmäßig vorgese-                       schlussfassung in der GmbH gelöst werden. Es bleibt abzu-
                   hene Art der Beschlussfassung von § 2 COVMG unberührt,                            warten, ob sich die Regelung auch über die Zeit der aktuel-
                   da § 2 COVMG für solche Beschlussfassungen (zum Beispiel                          len Kontaktbeschränkungen hinaus durchsetzen wird.
                   Videokonferenzen, siehe oben) keine Bestimmung enthält.
                   Soweit sich die entsprechende Satzungsregelung zur Be-
                                                                                  DR . BERND FLUCK

                   schlussfassung außerhalb von Gesellschafterversammlun-
                   gen hinsichtlich der konkreten Art der Beschlussfassung (in
                   Schrift- oder Textform) mit § 2 COVMG deckt, kommt es da-
                   rauf an, ob die Satzungsregelung strengere Anforderungen
                   an die Beschlussfassung enthält als § 2 COVMG oder nicht.
                   Ist dies der Fall, zum Beispiel weil die Beschlussfassung in
                   Textform nur mit Zustimmung von 75 % des bei der GmbH
                   vorhandenen Stammkapitals möglich sein soll, dürfte der
                   weniger strengen Regelung des § 2 COVMG gegenüber der
                   strengeren Satzungsregel Vorrang zukommen, da es gerade
                   der Zweck des § 2 COVMG ist, Beschlussfassungen außer-
                   halb von Gesellschafterversammlungen während der CO-
                   VID-19-Pandemie zu erleichtern.

                   Erforderliche Mehrheit der Stimmen

                   Hinsichtlich der für die Beschlussfassung erforderlichen
                   Mehrheiten bleibt es bei den allgemeinen Regeln. Das heißt,
                   dass auch die Beschlüsse im Verfahren nach § 2 COVMG mit
                   den durch die gesetzlich oder satzungsmäßig vorgesehenen
                   Stimmenmehrheiten, im Regelfall also mit der einfachen
                   Mehrheit der abgegebenen Stimmen (vgl. § 47 Abs. 1 GmbHG),
                   gefasst werden.

                   Mitteilung des Beschlussergebnisses

                   Um Transparenz über die Beschlusslage in der GmbH zu
                   schaffen, ist den Gesellschaftern das Ergebnis der Be-
                   schlussfassung mitzuteilen. Die Kompetenz für die Mittei-
                   lung des Beschlussergebnisses liegt nach hier vertretener
                   Auffassung beim Beschlussinitiator, regelmäßig also dem
                   Geschäftsführer oder den Minderheitsgesellschaftern nach

             20
GEW ERBLI CHER RECHT SSCHU T Z
                                 GEWERBLICHER
                                 RECHTSSCHUTZ
  DER BUNDESGERICHTSHOF WENDET EIGENE
MAßSTÄBE ZUR „NEUHEIT“ (ART. 54 ABS. 2 EPÜ) AN

                                     RA Dr. Karsten Brandt| brandt@lutzabel.com

                               In seiner Entscheidung „Konditionierverfahren“ vom
                               21.04.2020 (Az.: X ZR 75/18) hat der BGH ein Urteil des Bun-
                               despatentgerichts aufgehoben und den deutschen Teil des
                               europäischen Patents EP 1 495 486 aufrechterhalten.
      DR . KA RSTE N BR ANDT

                                                                                              21
RECHT A KT U ELL

                   Streitentscheidend war die Frage, ob eine von der Patentin-        Zu dem ersten Thema heißt es in der Rechtsprechung des
                   haberin ca. zwei Jahre vor dem Prioritätsdatum des Streit-         BGH (zuletzt Urteil vom 08.11.2016, Az.: X ZR 116/14, Rn. 25)
                   patents an einen Abnehmer verkaufte und ausgelieferte              sehr klar:
                   Anlage zur Konditionierung von Halbleiterwafern als „offen-
                   kundige Vorbenutzung“ neuheitsschädlich für das Patent ist.            „Die Veräußerung eines Gegenstands, der die Lehre des Streit-
                                                                                          patents vorwegnimmt, ohne Begründung einer Geheimhal-
                   Das Bundespatentgericht hat dies angenommen. Der BGH                   tungspflicht, führt für sich genommen noch nicht zur Offen-
                   hat dies anders beurteilt und als Leitsatz formuliert:                 kundigkeit. Es muss vielmehr darüber hinaus die nicht nur
                                                                                          theoretische Möglichkeit eröffnet sein, dass beliebige Dritte
                       „Lieferung, Installation und Inbetriebnahme einer Anlage bei       und damit auch Fachkundige zuverlässige und ausreichende
                       einer Käuferin begründen nicht ohne Weiteres eine hinrei-          Kenntnis von der Erfindung erlangen.“
                       chende Wahrscheinlichkeit dafür, dass beliebige Dritte die
                       Anlage untersuchen und dadurch Kenntnis von der Erfindung      Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäi-
                       erhalten.“                                                     schen Patentamts weicht hiervon erheblich ab: Wenn weder
                                                                                      eine explizite noch eine implizite Geheimhaltungsabrede
                   Der BGH zitiert zunächst die eigene Rechtsprechung (Urteil         besteht, ist der Abnehmer Teil der Öffentlichkeit. So heißt
                   vom 09.12.2014, Az.: X ZR 6/13 – „Presszange“, und Urteil vom      es in der Beschwerdekammerentscheidung T 2210/12 vom
                   08.11.2016, Az.: X ZR 116/14), wonach eine offenkundige Vor-       07.10.2016 unter Punkt 1. 2.2 zu einer an VW gelieferten An-
                   benutzung vorliegt, wenn nicht nur die theoretische und            lage:
                   entfernt liegende Möglichkeit eröffnet ist, dass beliebige
                   Dritte, und damit auch Fachkundige, zuverlässige und aus-              „Da die Firma VW bereits selbst einen Teil der Öffentlich-
                   reichende Kenntnis von der Erfindung erlangen, wovon nach              keit darstellt, ist unerheblich, ob weitere Dritte Zugang zum
                   der Lebenserfahrung auszugehen ist, wenn eine erfindungs-              Werksgelände hatten oder nicht.“
                   gemäße Vorrichtung einem Dritten angeboten oder geliefert
                   worden ist. Im entschiedenen Fall sah der BGH jedoch nur           Die Beschwerdekammerentscheidung T 2272/11 vom
                   eine theoretische oder entfernt liegende Möglichkeit der           05.04.2016 kommt zu demselben Ergebnis. Schon zu diesem
                   Kenntnisnahme als gegeben an.                                      ersten Thema besteht ein deutlicher Unterschied zwischen
                                                                                      der Rechtsprechung des BGH und der Beschwerdekammern.
                   Für diese Beurteilung war eine Reihe von Faktoren maßgeb-
                   lich: Die Mitarbeiter der Abnehmerin konnten beim normalen         Zu dem zweiten Thema sind Ausgangspunkt und kontinuier-
                   Betrieb der Anlage vor dem Prioritätstag keine Kenntnisse          lich zitierte Entscheidungsgrundlage der Beschwerdekam-
                   über den inneren Aufbau des patentgemäßen Kühl- und                mern des Europäischen Patentamt die „Opinion“ der Großen
                   Temperierungssystems erlangen. Sie durften bis auf Ände-           Beschwerdekammer G1/92 vom 18.12.1992, in der es auf Sei-
                   rungen an der Mess-Software keine Veränderungen an dem             te 3 heißt:
                   Gerät vornehmen, und auch eine nähere Untersuchung der
                   Anlage durch Dritte war ohne Zustimmung der Abnehmerin                 „Where it is possible for the skilled person to discover the
                   nicht möglich. Nach der Überzeugung des BGH bestand auch               composition of the internal structure of the product and to
                   keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass Mit-                 reproduce it without undue burden, then both the product and
                   arbeiter der Abnehmerin bis zum Prioritätstag des Streitpa-            its composition or internal structure become state of the art.
                   tents versucht hätten, Kenntnisse über die Funktionsweise
                   des patentgemäßen Kühlsystems zu gewinnen, oder dass                   There is no support in the EPC for the additional requirement
                   sie dazu Dritten Zugriff auf die Anlage ermöglicht hätten.             referred to by Board (…) that the public should have particular
                   Installation, Wartung und Reparatur der Anlage oblag allein            reasons for analysing a product put on the market, in order to
                   der Lieferantin. Um die patentgemäße Funktionsweise nach-              identify its composition or internal structure.”
                   zuvollziehen, hätte die Anlage beschädigt und anschließend
                   wieder repariert werden müssen.                                    Auf Seite 4 heißt es weiter:

                   Die Entscheidung ist aus einer ganzen Reihe von Gründen                „The introduction of such an additional requirement would re-
                   bemerkenswert und scheint der Entscheidungspraxis des                  move a commercially available and reproducible product from
                   Europäischen Patentamts zu widersprechen. Dabei sind                   the public domain. It would mean an unfounded deviation from
                   zwei Themen voneinander zu unterscheiden: Erstens, was                 the principles applied in respect of the other sources of the
                   bedeutet „Öffentlichkeit“, und insbesondere, gehören die               state of the art as defined in Article 54 (2) EPC and it would
                   Mitarbeiter der Abnehmerin zu dieser „Öffentlichkeit“?                 obviously represent an element of subjectivity leading to un-
                   Zweitens, was ist durch die Lieferung der Anlage vor dem               certainty in applying the concept of novelty as defined in this
                   Hintergrund, dass die erfindungswesentlichen Bestandteile              Article.”
                   nur nach Beschädigung erkennbar waren, „zugänglich“ ge-
                   macht werden?                                                      Diese Ausführungen der Großen Beschwerdekammer schei-
                                                                                      nen dem vom BGH – auch – zur Begründung herangezogenen

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