Pilotstudie: Vergleich zweier Bewegungseinheiten bei Kindern und Jugendlichen während eines stationär psychiatrischen Aufenthalts ...

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LEOPOLD-FRANZENS-UNIVERSITÄT INNSBRUCK

      Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft, Institut für Sportwissenschaft

            Pilotstudie: Vergleich zweier
          Bewegungseinheiten bei Kindern
          und Jugendlichen während eines
              stationär psychiatrischen
                     Aufenthalts

                                     MASTERTHESIS

                          Zur Erlangung des akademischen Grades
                            Master of Science (M.Sc.) im Fach
                                    Sportwissenschaft

                                    Richter, Katharina, B.A.
                                          26.05.2020

Sommersemester 2020
Matrikelnummer: 11719346
Katharina.richter@student.uibk.ac.at
Betreuer: Univ.- Prof. Dr. Martin Kopp
I

Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre hiermit an Eides statt durch meine eigenhändige Unterschrift, dass ich die
vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und
Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen
Quellen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht.

Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als
Magister-/Master-/Diplomarbeit/Dissertation eingereicht.

          26.05.2020
                Datum                                          Unterschrift
II

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei meiner Betreuerin Anika Frühauf sowie Univ.-

Prof. Dr. Kopp für das Ermöglichen dieser Masterarbeit und die bestmögliche Unterstützung

bedanken. Mein Dank gilt ebenso der Station der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Tirol-

Kliniken in Hall für eine gute Zusammenarbeit während den Interventionen.

Bei meinen Freunden und Kommilitonen möchte ich mich für die schöne Zeit während des

Studiums und natürlich für eure Unterstützung bei dieser Arbeit bedanken! Ihr habt mir

durch eure gute Laune, viele hilfreiche Tipps, Korrekturlesungen und bei allem Anderen sehr

geholfen.

Ein großer Dank geht auch an meine Familie, welche mir in jeder Phase meines Studiums

zur Seite stand und mich in all meinen Entscheidungen unterstützt hat. Danke vor allem an

meinen Bruder, der mir mit seinen technischen Ratschlägen viel Zeit und Arbeit erspart hat.
III

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................................... V

Tabellenverzeichnis ................................................................................................................ VI

Abbildungsverzeichnis ..........................................................................................................VII

Zusammenfassung ............................................................................................................... VIII

1.     Einleitung .......................................................................................................................... 1

2.     Theoretischer Hintergrund ................................................................................................ 2

     2.1      Körperliche Aktivität und Gesundheit ....................................................................... 2

       2.1.1.       Präventive Maßnahmen ...................................................................................... 4

       2.1.2.       Rehabilitative Maßnahmen................................................................................. 8

       2.1.3.       Ansätze und Erklärungsmodelle ....................................................................... 11

     2.2      Ätiologie, Definition, Klassifikation und Epidemiologie von psychiatrischen

     Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen..................................................................... 19

     2.3      Messinstrumente zur Erhebung der Befindlichkeit ................................................. 26

     2.4      Bewegungstherapie .................................................................................................. 30

     2.5      Klettertherapie ......................................................................................................... 33

       2.5.1        Physiologische und psychologische Aspekte ................................................... 34

       2.5.2        Vergleich zu anderen Behandlungsmethoden .................................................. 38

       2.5.3        Kletterinterventionen in der Therapie .............................................................. 39

     2.6      Studienziel ............................................................................................................... 43

3.     Methodik ......................................................................................................................... 43

     3.1      Stichprobe und Studiendesign ................................................................................. 43
IV

     3.2     Messaufbau und -instrumente .................................................................................. 44

       3.2.1        Durchführung der Therapieeinheiten ............................................................... 44

       3.2.2        PANAS-C ......................................................................................................... 45

       3.2.3        Feeling Scale und Felt Arousal Scale ............................................................... 46

       3.2.4        BORG-Skala ..................................................................................................... 48

     3.3     Datenverarbeitung und statistische Auswertung ..................................................... 49

4.     Ergebnisse ....................................................................................................................... 50

5.     Diskussion ....................................................................................................................... 55

     5.1     Veränderungen im affektiven Bereich ..................................................................... 55

     5.2     Der Einfluss der Intensität ....................................................................................... 61

     5.3     Evidenzbasierte Bewegungstherapie ....................................................................... 62

     5.4     Wirksamkeit des therapeutischen Kletterns............................................................. 64

     5.5     Limitationen............................................................................................................. 67

     5.6     Conclusio ................................................................................................................. 69

6.     Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 71
V

Abkürzungsverzeichnis

ADHS                    Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung

BDNF                    Brain Derived Neurotrophic Factor

COPD                    Chronisch obstruktive Lungenerkrankung

CVD                     Cardiovascular Disease

DSM                     Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders

FAS                     Felt Arousal Scale

FS                      Feeling Scale

HDL                     High Density Lipoprotein

HPA-Achse               Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse

ICD                     International Classification of Disease

IL                      Interleukine

KHK                     Koronare Herzkrankheiten

MS                      Multiple Sklerose

PANAS                   Positive and Negative Affect Scale

SDQ                     Strength and Difficulties Questionnaires

VLDL                    Very Low Density Lipoprotein

WHO                     World Health Organization
VI

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Wöchentliche Bewegungsempfehlung der WHO .................................................... 5

Tabelle 2 Prävalenz psychischer Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten im Kindes-

und Jugendalter ...................................................................................................................... 22

Tabelle 3 BORG-Skala ........................................................................................................... 48

Tabelle 4 Ergebnisse der Positive and Negative Affect Scale ............................................... 51

Tabelle 5 Ergebnisse der Feeling Scale und Felt Arousal Scale ............................................ 52

Tabelle 6 Ergebnisse der BORG-Skala .................................................................................. 54
VII

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Circumplexmodell der affektiven Befindlichkeit .............................................. 29

Abbildung 2 Studiendesign .................................................................................................... 44

Abbildung 3 Feeling-Scale ..................................................................................................... 47

Abbildung 4 Felt-Arousal-Scale............................................................................................. 47

Abbildung 5 Prozentuale Veränderung der Positive and Negative Affect Scale ................... 51

Abbildung 6 Circumplexmodell der Feeling-Scale und Felt-Arousal-Scale.......................... 52

Abbildung 7 Prozentuale Verteilung der Mittelwerte der BORG-Skala ................................ 54
VIII

Zusammenfassung
Hintergrund: Im Bereich der Bewegungstherapie wurden in den vergangenen Jahren die
Auswirkungen der Klettertherapie auf die physische und psychische Gesundheit untersucht.
Allerdings ist die wissenschaftliche Evidenz der Wirksamkeit, besonders im Bereich der
Kinder- und Jugendtherapie, sehr gering. Das Ziel dieser Studie ist die Untersuchung akuter
Effekte des therapeutischen Kletterns im Vergleich zu einer Schwimm- und einer
Ergotherapieeinheit auf die Befindlichkeit bei psychiatrisch stationären Kindern und
Jugendlichen.

Methodik: An dieser Pilotstudie nahmen 19 psychisch erkrankte und verhaltensauffällige
stationäre Kinder und Jugendliche mit einem Durchschnittsalter von 13 Jahren teil. Während
einer 60-minütigen Kletter-, Schwimm- und Ergotherapieeinheit wurden die aktuelle
Befindlichkeit anhand der PANAS-C, der FAS und FS sowie die subjektiv empfundene
Erschöpfung anhand der BORG-Skala erfasst. Die PANAS-C wurde vor (t0) und nach (t3)
der Therapie, die FAS, FS und BORG-Skala alle 20 Minuten zu den Zeitpunkten t0, t1, t2
und t3 gemessen. Die statistische Analyse erfolgte anhand der einfaktoriellen ANOVA mit
Messwiederholung.

Ergebnisse: Es gab in Bezug auf die PANAS keine statistisch signifikanten Unterschiede
zwischen den Gruppen zu den Zeitpunkten t0 und t3 (PA: F(2,34)=0,464; p=0,633;
η²=0,027, f=0,17; NA: F(2,34)=1,443; p=0,250; η²=0,078; f=0,29). Es gab zudem keine
signifikanten Unterschiede in der wahrgenommenen Aktivierung (FAS: F(6,102)=0,347;
p=0,910; η²=0,020; f=0,14) oder in der affektiven Befindlichkeit (FS: F(6,102)=0,851;
p=0,474; η²=0,048; f=0,23) zwischen den Gruppen zu den Zeitpunkten t0-t3. In Bezug auf
die BORG-Skala konnte ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen
Klettern und Schwimmen (p=0,001) sowie Klettern und Ergotherapie (p=0,009) analysiert
werden (F(2,34)=5,304 p=0,020; η²=0,238; f=0,56), wobei sich beim Klettern eine höhere
subjektive Belastung zeigte.

Diskussion: Alle drei Interventionen führten zu einer Verbesserung der Befindlichkeit.
Allerdings konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Interventionen gefunden
werden. Damit kann aus den vorliegenden Ergebnissen keine Empfehlung der
Klettertherapie gegenüber anderen Bewegungstherapien getroffen werden. Zukünftige
Interventionen, die Klettereinheiten einschließen, sollten in kontrollierten Studien-Designs
mit noch stärkerer Berücksichtigung der Diagnose und vielleicht zusätzlichen diagnostischen
Inventaren untersucht werden.

Schlüsselwörter: Klettertherapie, affektive Befindlichkeit, psychische Störung und
Verhaltensauffälligkeit, Kinder und Jugendliche
IX

Abstract

Background: In the field of exercise therapy, the effects of climbing therapy on physical and
mental health have been investigated in recent years. However, the scientific evidence of its
effectiveness, especially in child and youth therapy, is very limited. The aim of this study is
to investigate acute effects of a therapeutic climbing in comparison to swimming and
occupational therapy on the mental health of psychiatrically inpatient children and
adolescents.

Methods: 19 psychologically and behaviorally disturbed inpatient children and adolescents
with an average age of 13 years participated in this pilot study. During a 60-minute climbing,
swimming and occupational therapy session, the current state of health was assessed using
PANAS-C, FAS and FS and the subjectively perceived exhaustion by the BORG-scale. The
PANAS-C was recorded before (t0) and after (t3) the therapy, the FAS, FS and BORG scale
were recorded every 20 minutes at t0, t1, t2 and t3. Statistical analysis was performed using
single factor repeated measured ANOVA.

Results: There were no statistically significant differences between the groups at the time of
t0 and t3 (PA: F(2.34)=0.464; p=0.633; η²=0.027, f=0.17; NA: F(2.34)=1.443; p=0.250;
η²=0.078; f=0.29). There were also no significant differences in perceived activation (FAS:
F(6.102)=0.347; p=0.910; η²=0.020; f=0.14) or affective valence (FS: F(6.102)=0.851;
p=0.474; η²=0.048; f=0.23) between groups at times t0-t3. With regard to the BORG scale, a
statistically significant difference between the groups climbing and swimming (p=0.001) and
climbing and occupational therapy (0.009) could be analyzed (F(2.34)=5.304 p=0.020;
η²=0.238; f=0.56), whereby climbing was characterized by a higher subjective load.

Discussion: All three interventions led an improvement in well-being. However, no
significant differences between the interventions could be found. Therefore, no
recommendations of climbing therapy over other exercises therapies can be made from the
available results. Future interventions, involving climbing units, should be investigated in
controlled study designs with even greater emphasis on diagnosis and perhaps additional
diagnostic inventories.

Keywords: Climbing therapy, affective state, psychological and behavioral disorders,
Children and adolescents
1

   1. Einleitung

„Mein Ziel beim Klettern ist, das Schwere mit Leichtigkeit zu überwinden. Dazu braucht es

Geschicklichkeit und Kraft, aber zuallererst den Glauben daran, es zu können“ (Ilgner,

2015). Der deutsche Kletterer und Bergsteiger Bernd Arnold bezieht sich mit seinem Zitat

auf den Klettersport und beschreibt sowohl die physischen als auch psychischen

Voraussetzungen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Auch im Alltag wird man häufig vor

Herausforderungen gestellt, die ohne bestimmte Voraussetzungen nicht bewältigt werden

können, besonders wenn dabei physische oder psychische Einschränkungen, beispielsweise

in Form von Erkrankungen, auftreten. Um sich den alltäglichen Herausforderungen zu

stellen, werden häufig Behandlungsmethoden in Form von medikamentösen Therapien oder

Psychotherapien angewendet. Auch die bewegungsbezogene Therapie rückt sowohl auf

physiologischer, als auch auf psychologischer Ebene immer weiter in den Fokus der

Wissenschaft. So konnten beispielsweise internistische Erkrankungen wie Krebs, chronisch

obstruktive Lungenerkrankung (COPD), oder koronare Herzerkrankung (KHK) sowie

orthopädische Funktionseinschränkungen bei chronisch nichtspezifischen Rückenschmerzen

durch Bewegung vermindert werden (Pfeifer, Schöne & Brüggemann, 2008; Pottgießer,

Bode & Röcker, 2014; Spruit, Pitta, McAuley, ZuWallack & Nici, 2015; Stout, Baima,

Swisher, Winters-Stone & Welsh, 2017). Eine wachsende Anzahl an Publikationen in den

letzten Jahren zu den Effekten von Bewegung auf die psychische Gesundheit deutet auf ein

großes Forschungsinteresse in diesem Bereich hin (Cooney et al., 2013). Einige Belege

deuten darauf hin, dass psychische Erkrankungen wie Depression, Angststörung oder

Schizophrenie, durch die Bewegungstherapie, meist in Form eines Ausdauertrainings,

reduziert werden könnten (Blumenthal et al., 2007; Broocks & Wedekind, 2009; Lukowski,

2018). Die Klettertherapie wurde in den letzten Jahren immer häufiger in das therapeutische
2

Programm im klinischen Setting aufgenommen, allerdings fehlt es noch an eindeutigen

wissenschaftlich Belegen für die Wirksamkeit dieser Bewegungseinheit (Frühauf, Sevecke &

Kopp, 2019). Besonders die akuten Auswirkungen des Kletterns wurden bisher nur limitiert

diskutiert (Kleinstäuber, Reuter, Doll & Fallgatter, 2017). Wie die körperliche Aktivität und

insbesondere das Klettern auf Patienten mit psychischen Erkrankungen wirken, soll in dieser

Arbeit diskutiert werden.

Zu Beginn werden Informationen über die allgemeine körperliche Aktivität im

Zusammenhang mit der Gesundheit sowie Informationen über psychische Erkrankungen

gegeben. Anschließend wird genauer auf die Effekte des Kletterns sowie auf aktuelle

Interventionen diesbezüglich eingegangen. Der empirische Teil der Arbeit beschäftigt sich

mit einer durchgeführten Kletterintervention mit Kindern und Jugendlichen, in Folge dessen

die Ergebnisse zusammengefasst und diskutiert werden. In dieser Arbeit wird aus Gründen

der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige

Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich miteingeschlossen, soweit es für die

Aussage erforderlich ist.

   2. Theoretischer Hintergrund

   2.1     Körperliche Aktivität und Gesundheit

Im Jahr 2016 waren weltweit 23 % der Männer und 32 % der Frauen ab 18 Jahren körperlich

nicht ausreichend aktiv, wobei Nord- und Südamerika mit 39 % und der östliche

Mittelmeerraum mit 35 % die höchste Prävalenz aufwiesen (Guthold, Stevens, Riley & Bull,

2018). 81 % der Schulkinder und Jugendlichen im Alter von 11-17 Jahren waren weltweit im

Jahr 2010 nicht ausreichend körperlich aktiv, wobei die Inaktivität der Mädchen mit 84 %
3

gegenüber der Jungen mit 78 % höher war (World Health Organization, 2020). Aber was

versteht man unter körperliche Aktivität und welchen Stellenwert nimmt sie in der

Gesundheit ein? Körperliche Aktivität umfasst jede körperliche Bewegung, die von der

Skelettmuskulatur   hervorgerufen        wird   und    zu   einer   erheblichen   Erhöhung     des

Energieverbrauchs führt. Zu den positiven physiologischen Auswirkungen zählen unter

anderem der Anstieg der kardiorespiratorischen Ausdauerleistung, Insulinaktivitäten in der

Skelettmuskulatur sowie im Gewebe, ein Anstieg des High Density Lipoprotein (HDL)

Cholesterins und die Senkung des Blutdrucks (Bouchard, Blair & Haskell, 2007). Die World

Health Organization (WHO) zählt zu den gesundheitsfördernden Auswirkungen der

körperlichen Aktivität zudem noch die verbesserte Knochenstabilität, die Reduktion von

KHK, Schlaganfällen, Diabetes, unterschiedlichen Krebsarten und Depressionen sowie die

Risikominimierung      von    Stürzen,     Hüft-      und   Wirbelbrüchen.    Zudem      sei   das

Sterblichkeitsrisiko inaktiver Menschen um 20-30 % höher als das körperlich Aktiver

(World Health Organization, 2018). Eine Metaanalyse bestätigt diese Statistik in einer

Untersuchung    über    den    Einfluss     regelmäßiger     körperlicher    Aktivität   auf   die

Gesamtmortalität und konnte einen signifikanten Zusammenhang zwischen aktiven Personen

und einer niedrigen Mortalitätsrate im Vergleich zu häufig sitzenden Personen feststellen

(Löllgen, Böckenhoff & Knapp, 2009; Naci & Ioannidis, 2013).

Neben den physiologischen Auswirkungen von körperlicher Aktivität auf die Gesundheit

sind auch die psychologischen Faktoren zu berücksichtigen. Bevor der Einfluss von

Bewegung auf psychische Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten analysiert wird, folgt

ein Überblick über die Prävalenz dieser Erkrankungen.

Eine Analyse der WHO zeigt die weltweite Prävalenzrate im Jahr 2015 von Depression und

Angststörung, die als häufig auftretende psychische Erkrankungen deklariert werden. Dabei

wird die Gesamtzahl der Bevölkerung mit Depressionen auf über 300 Millionen Menschen
4

geschätzt und entspricht damit 4,4 % der Weltbevölkerung. Frauen seien mit 5,1 % häufiger

betroffen als Männer (3,6 %). 264 Millionen Menschen (3,6 % weltweit) leiden unter einer

Angststörung. Auch hier sind Frauen mit 4,6 % häufiger betroffen als Männer mit 2,6 %.

Laut der WHO nimmt die Zahl der Menschen mit psychischen Erkrankungen und

Verhaltensauffälligkeiten weltweit zu. Dieses Phänomen zeigt sich insbesondere in Ländern

mit geringem Einkommen, da die Bevölkerung stetig wächst und immer mehr Menschen in

das Alter von 55-74 Jahren kommen, in denen Depressionen am häufigsten auftreten. Für

das Jahr 2015 wird die Selbstmordrate auf 788 000 geschätzt, wobei die depressive

Erkrankung eine der Hauptursachen darstellt (World Health Organization, 2017). Aufgrund

dieser Datenlage ist es wichtig, Ansätze und Modelle zur Reduktion von physischen und

psychischen Erkrankungen zu finden. Neben den Standardinterventionen, wie der

medikamentösen und der Psychotherapie, nimmt auch die Bewegungstherapie einen immer

höheren Stellenwert ein. In den folgenden Abschnitten werden die präventiven und

rehabilitativen Maßnahmen in Form von Bewegung analysiert. Anschließend wird der

Einfluss der körperlichen Aktivität auf die Psyche anhand von verschiedenen

Erklärungsmodellen betrachtet.

   2.1.1. Präventive Maßnahmen

Um präventive Maßnahmen zur Gesundheitsförderung zu ergreifen, stellt die WHO eine

altersspezifische Bewegungsempfehlung dar, die für Menschen ohne Kontraindikationen gilt

(s. Tabelle 1). Dabei geben die jeweiligen Einheiten ein Mindestmaß an körperlicher

Aktivität wieder.
5

Tabelle 1
Wöchentliche Bewegungsempfehlungen der WHO für Kinder, Erwachsene und Senioren
(World Health Organization, 2018)
 Alter (in Jahren)   Ausdauertraining (in min)                 Krafttraining (pro Woche)
 5-17                60 pro Tag (moderat bis intensiv)         3
 18-64               150 (moderat) oder 75 (intensiv)          2-3
                     während der Woche
 >65                 150 (moderat) oder 75 (moderat-           2
                     intensiv) während der Woche

Auf staatlicher Ebene wurde in Deutschland im Jahr 2016 das Präventionsgesetz (§ 20d Abs.

3 SGB V) verabschiedet. Dieses zielt besonders auf die gesetzliche Kranken-, Renten- und

Unfallversicherung, die soziale Pflegeversicherung und auf Unternehmen der privaten

Krankenversicherung ab, welche aufgerufen werden, Leistungen zur Förderung der

Gesundheit und Minimierung gesundheitlicher Risiken zu erbringen. Basierend auf dem

Gesetz sollen die Kranken- und Pflegekassen in Zukunft rund 300 Mio. Euro jährlich in die

Gesundheitsförderung und Prävention investieren, wobei besonders Kitas, Schulen,

Kommunen, Betriebe und Pflegeeinrichtungen mit Gesundheitsprojekten gefördert werden

sollen (Nationale Präventionskonferenz, 2018).

Das Sozialministerium in Österreich beruft sich in der Frage nach Prävention und

Gesundheitsförderung auf die Bangkok-Charta für Gesundheitsförderung, in der zum aktiven

Handeln für das globale Ziel „Gesundheit für alle“ aufgerufen wird und in der die Bedeutung

Setting übergreifender Kooperationen für die Gesundheit verdeutlicht wird (World Health

Organization, 2008). Zudem beruft sich das Ministerium auf die Jakarta-Deklaration, in der

die Entwicklung nationaler Gesundheitsstrategien fokussiert wird           (World Health

Organization, 1997). Mit dem Gesundheitsförderungsgesetz wurde eine gesetzliche

Grundlage geschaffen, welche die Maßnahmen zur Erhaltung, Förderung und Verbesserung

der Gesundheit sowie Aufklärung über vermeidbare Krankheiten umfasst. Zudem sollen

Informationen über seelische, geistige und soziale Faktoren, die die Gesundheit beeinflussen
6

können, bereitgestellt werden (StF: BGBI. I Nr.51/1998). Seit dem Jahr 2006 existiert die

Gesundheit Österreich GmbH, welche das nationale Forschungs- und Planungsinstitut im

Gesundheitswesen sowie die Kompetenzstelle für Gesundheitsförderung darstellt. Dabei

wird ein besonderer Fokus auf die Handlungsfelder Bewegung, Ernährung, seelische

Gesundheit, Menschen am Arbeitsplatz, ältere Menschen sowie Kinder und Jugendliche

gelegt (Gesundheit Österreich GmbH, 2018).

Der Einfluss von körperlicher Aktivität auf das Risiko an KHK und weiteren

kardiovaskulärer Erkrankungen (CVD) zu erkranken, konnte in einer Metaanalyse dargestellt

werden. Anhand von verschiedenen Studien wurde eine Dosis-Wirkungs-Beziehung

zwischen Perzentilen der körperlichen Aktivität und dem Risiko einer KHK oder CVD

erstellt. Das Perzentil gibt dabei an, wie viel Prozent der Gesamtstichprobe weniger

(geringerer Wert) oder mehr (höherer Wert) körperliche Aktivität betreiben, um diesen

Prozentsatz als Vergleichswert einordnen zu können. Die Ergebnisse belegen, dass die

Risiken einer KHK oder CVD ab dem 25ten Perzentil linear mit der steigenden körperlichen

Aktivität abnehmen (Williams, 2001). Bei der Krebsprävention konnte aufgezeigt werden,

dass körperlich aktive Männer und Frauen im Vergleich zu inaktiven Personen ein 30-60 %

geringeres Darmkrebsrisiko aufweisen. Das Brustkrebsrisiko bei körperlich aktiven Frauen

reduziert sich um 20-30 % im Gegensatz zu Frauen, die körperlich eher inaktiv sind (Lee,

2003). Auch in der Prävention von Gebärmutter-, Nieren-, Blasen-, Speiseröhren- und

Magenkrebs ist ein aktiver Lebensstil von Vorteil, wohingegen Inaktivität im Umkehrschluss

mit einem höheren Risiko von Melanomen verbunden ist (Patel et al., 2019). Außerdem hat

körperliche Aktivität auf neurologischer Ebene einen Einfluss auf die Gesundheit, da

beispielsweise   das   Schlaganfallrisiko    bei   Menschen     mit    arteriosklerotischen

Gefäßerkrankungen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich erhöht ist. Beiden

Erkrankungen kann durch regelmäßige körperliche Aktivität entgegengewirkt werden
7

(Goldstein et al., 2006). Im Jahr 2010 wurde weltweit 17,7 % des Risikos, an Alzheimer zu

erkranken, auf körperliche Inaktivität zurückgeführt (Norton, Matthews, Barnes, Yaffe &

Brayne, 2014).

Ebenso ist die psychologische Ebene von entscheidender Bedeutung in der Prävention. Eine

in Amerika durchgeführte Studie ergab, dass körperliche Inaktivität bei 15-54 jährigen

Personen ein Risikofaktor für Depressionen und Angstzustände sein kann (Carek, Laibstain

& Carek, 2011). Eine weitere Studie untersuchte den Effekt körperlicher Aktivität von

Jugendlichen in Bezug auf die Depressionsrate. Ein höheres Maß an körperlicher Aktivität

bei Jugendlichen war mit einem geringeren Maß an Depressionen sowie mit einem

verlangsamten Anstieg, bzw. Rückgang der Depression im Laufe der Zeit verbunden

(McPhie & Rawana, 2015). Die Ergebnisse eines Review-Artikels aus dem Jahr 2019 deuten

darauf hin, dass Programme für körperliche Aktivität und Bewegung bei jungen Menschen

in Bezug auf die Verbesserung der psychischen Gesundheit, vor allem in der Entwicklung

von Depressionssymptomen, wirksam sein kann. Der Fokus der Bewegung lag dabei

besonders auf den Bereichen Yoga sowie Kraft- und Ausdauertraining (Pascoe & Parker,

2019). Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2009 konnte belegen, dass die

Sportbeteiligung im Jugendalter eine protektive Funktion besitzt. Regelmäßige körperliche

Aktivität kann vor Depressionen und Suizidgedanken schützen, da hierdurch die endogenen

Endorphin-Spiegel erhöht, das Selbstwertgefühl gesteigert, das Körperbild verbessert, die

soziale Unterstützung erhöht und der Drogenmissbrauch beeinflusst wird (Babiss &

Gangwisch, 2009). Goodwin (2003) konnte ebenfalls einen negativen Zusammenhang

zwischen körperlicher Aktivität und schweren Depressionen sowie Angststörungen

feststellen. Diese Ergebnisse wurden anhand von Daten aus der Comorbidity National

Survey analysiert, wobei hierbei keine Angaben zur Art und Dauer der körperlichen Aktivität

gemacht wurden (Goodwin, 2003). Weitere interessante Ergebnisse, die den Zusammenhang
8

zwischen körperlicher Aktivität und der psychischen Gesundheit darstellen, wurden in einer

Metaanalyse von Vancampfort et al. (2017) vorgestellt und bezogen sich auf den alters- und

geschlechtsspezifischen   Vergleich.     Menschen   mit   psychischen   Erkrankungen   und

Verhaltensauffälligkeiten betrieben signifikant weniger mäßige bis intensive körperliche

Aktivität als Gesunde und erfüllten die Richtlinien für körperliche Aktivität signifikant

weniger. Auch die sitzende Lebensweise war bei psychisch erkrankten Menschen signifikant

höher (Vancampfort et al., 2017). Demnach ist das Ergreifen präventiver Maßnahmen von

entscheidender Bedeutung, da viele Krankheiten bereits vorgebeugt werden können, bevor

sie überhaupt entstehen (Grams, 2018).

   2.1.2. Rehabilitative Maßnahmen

Körperliche Fitness ist nicht nur in der Prävention ein wichtiger Faktor, um Krankheiten

vorzubeugen und die Gesundheit aufrecht zu erhalten, sondern auch in der Rehabilitation

rückt die Bewegung in Form einer Therapie immer stärker in den Mittelpunkt. Das Ziel der

Bewegungstherapie ist dabei die Steigerung der allgemeinen körperlichen Leistungsfähigkeit

sowie die Behandlung lokaler Funktionsstörungen (Spring & Egger, 2005). Die

medizinische Trainingstherapie ist in vielen Rehabilitationseinrichtungen von großer

Bedeutung. Kraft, Koordination, Gleichgewicht, Ausdauer, Haltung oder Flexibilität sollen

hierbei einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf sowie auf die Lebensqualität von

Patienten nehmen (Gerstendorfer, 2012). Diese positive Wirkung konnte unter anderem bei

onkologischen Patienten festgestellt werden. Die häufigsten Krebsarten in dieser

Untersuchung waren Brust-, Prostata- und Darmkrebs. Laut der Autoren soll jedoch bei allen

Krebsarten die körperliche Aktivität vorteilhaft für den Krankheitsverlauf und die

körperlichen Funktionen sein. Dabei ist die Trainingsintensität von besonderer Bedeutung.

Eine moderate bis hohe Intensität verbessert verschiedene körperliche und funktionelle
9

Indikatoren, wohingegen Interventionen mit niedriger Intensität positive Auswirkungen auf

kognitive Prozesse, Depressionen und Angst aufzeigten (Stout et al., 2017). Auch bei

weiteren Krankheitsbildern, wie beispielweise der COPD, führt Training in der Phase der

Rehabilitation zu einer Verbesserung des Gesundheitszustandes sowie der Reduktion der

Gesamtmortalität. Die Ergebnisse des Review-Artikels empfehlen im Frühstadium der

COPD eine körperliche Betätigung von mindestens zwei Stunden pro Woche (Spruit et al.,

2015). Allerdings gibt es in diesem Bereich noch Forschungsbedarf, um beispielsweise

individuelle Trainingsvorschriften oder interdisziplinäre Ansätze für Verhaltensänderungen

für COPD Patienten entwickeln zu können (Spruit et al., 2015; Zeng, Jiang, Chen, Chen &

Cai, 2018). Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen muss die Bewegungstherapie differenziert

betrachtet werden. Körperliche Aktivität wirkt sich positiv auf die arterielle Hypertonie aus,

da die Vasodilatation, also die gefäßerweiternden Mechanismen, durch ein erhöhtes

Schlagvolumen und einer erhöhten Herzfrequenz angeregt werden. Zudem wird die

Sympathikus-Aktivität verringert und die Parasympathikus-Aktivität erhöht. Generell kann

der arterielle Blutdruck durch körperliches Training dauerhaft gesenkt werden (Steinacker &

Lesevic, 2017). Bei Patienten mit Herzinsuffizienz führt körperliche Aktivität zu einer

Verbesserung der pathophysiologischen Parameter, einer Steigerung der Leistungsfähigkeit

sowie der Lebensqualität und zu einem Rückgang der Mortalität (Pottgießer et al., 2014).

Genauer gesagt kann durch regelmäßiges Training die maximale Sauerstoffaufnahme um 15-

30 % gesteigert und die Vasodilatation sowie die pulmonale Kapazität verbessert werden

(Wonisch et al., 2004). Der Fokus in der Rehabilitation von KHK liegt in der Stabilisation

des Krankheitsverlaufes, der Kontrolle der Risikofaktoren, dem Training neuer

Verhaltensweisen sowie der Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Die

Bewegungstherapie ist auch in Bezug auf die Auslastung verschreibungspflichtiger

Medikamente von großer Bedeutung. In einer Studie über die Wirksamkeit von
10

Medikamenten und Trainingsinterventionen konnte aufgezeigt werden, dass hinsichtlich der

Mortalität bei KHK und Prädiabetes einige Medikamente den gleichen Effekt aufwiesen wie

körperliche Aktivität. Bei Schlaganfallpatienten war das Training sogar effektiver als die

medikamentöse Therapie (Naci & Ioannidis, 2013).

Nicht nur auf der somatischen, sondern auch auf der psychologischen Ebene soll der Fokus

neben der medikamentösen- und Psychotherapie immer mehr auf die Sport- und

Bewegungstherapie     gelegt    werden.     In    den    vergangenen     Jahren    wurden

Bewegungsinterventionen bei klinischen Populationen mit diagnostizierten Depressionen,

Angstzuständen und Essstörungen durchgeführt (Stathopoulou, Powers, Berry, Smits &

Otto, 2006). Allerdings ist die Wirksamkeit oftmals nicht eindeutig belegbar, da einige

Studien erhebliche methodische Limitationen aufweisen (Cooney et al., 2013; Lawlor &

Hopker, 2001; Stathopoulou et al., 2006). Dennoch konnten einige Autoren einen

Zusammenhang zwischen aeroben Training und der psychischen Gesundheit feststellen

(Biddle, Ciaccioni, Thomas & Vergeer, 2019; Stathopoulou et al., 2006). Cooney et al.

(2013) berichtet in seiner Studie über einen mäßigen Effekt bei der Reduktion depressiver

Symptomatik durch Bewegung im Vergleich zu Kontrollinterventionen ohne Bewegung.

Laut dieser Metaanalyse scheint jedoch die Bewegungstherapie nicht wirksamer als

psychologische oder pharmakologische Therapien zu sein, wobei diese Schlussfolgerung auf

wenige kleinere Studien beruht (Cooney et al., 2013). Eine Studie mit depressiven und

schizophrenen Patienten konnte nach einem vierwöchigen Ausdauertraining eine Steigerung

der kognitiven Leistungsfähigkeit in den Bereichen visuelles Lernen, Arbeitsgedächtnis und

Verarbeitungsgeschwindigkeit sowie eine Abnahme der Zustandsangst und eine Steigerung

der subjektiven Lebensqualität belegen (Oertel-Knöchel et al., 2014). Bei 180 Schulkindern,

bei denen fast die Hälfte depressive Symptome aufwiesen, konnten Zusammenhänge von

sportlicher Betätigung und die Häufigkeit depressiver Symptome gemessen werden. Je
11

häufiger sich die Kinder körperlich betätigten, desto geringer waren Schwere und Häufigkeit

depressiver Symptome (Alghadir, Gabr & Al-Eisa, 2016). Wie genau sich körperliche

Aktivität auf den Organismus auswirkt und warum die WHO bereits ab dem fünften

Lebensjahr einen ausreichenden Bewegungsumfang empfiehlt, wird im folgenden Abschnitt

erläutert.

    2.1.3. Ansätze und Erklärungsmodelle

Die Wirkmechanismen körperlicher Aktivität auf die Gesundheit lassen sich in zwei große

Kategorien einteilen, auf die im folgenden Abschnitt genauer eingegangen wird:

physiologische und psychologische Faktoren. Dabei beschäftigt sich der erste Teil mit den

Auswirkungen auf die physische Gesundheit. Im zweiten Teil werden die Auswirkungen auf

psychische Faktoren und Krankheitsbilder betrachtet.

Körperliche Aktivität führt bereits im Kindesalter zu Anpassungen des Herz-Kreislauf-

Systems sowie des Bewegungsapparates. Mit der physischen Belastung geht eine

beschleunigte und vertiefte Atmung einher, sodass dies zu einer mechanischen Reinigung

und Belüftung der Atemwege führt, wodurch die Anzahl von Krankheitserregern reduziert

werden kann (Rosenhagen, 2017). Bewegungsmangel kann bereits im Kindesalter zu einer

endothelialen Dysfunktion führen. Das Endothel ist eine metabolisch aktive einzellige

Schicht, die das Gefäßsystem auskleidet und für die Gefäßweitung zuständig ist.

Verschiedene Faktoren, wie beispielsweise die Hypercholesterinämie, können zu einem

Versagen der Gefäßfunktionen und somit zu kardiovaskulären Problemen führen (Pires,

Sena & Seiça, 2016). Die Aktivierung des Herz-Kreislauf-Systems durch Bewegung führt zu

einem erhöhten Blutfluss und somit zu einer Stimulation der Endothelzellen, wodurch eine

schnellere Vasodilatation begünstigt wird. Zudem wirkt Training inflammatorisch, also

entzündungshemmend. Diese Faktoren wirken unter anderem positiv auf das Gefäßsystem
12

und somit auch auf KHK (Steinacker & Lesevic, 2017). Zusätzlich profitieren die passiven

Strukturen von regelmäßiger körperlicher Aktivität. So kann beispielsweise die

Knochenstabilität verbessert werden. Durch Druck oder Zug knöcherner Strukturen werden

biomechanische Reaktionen (Mechanotransduktionen) ausgelöst, die im weiteren Verlauf zu

einem stimulierenden Effekt auf die knochenbildenden Osteoblasten führen. Diese

Knochenstabilisierung wirkt präventiv gegen Knochendegenerationen wie Osteopenie oder

Osteoporose und verschiebt die Frakturschwelle des altersdegenerativen Knochens

(Rosenhagen, 2017). Aufgrund des steigenden Wohlstandes in unserer Gesellschaft nehmen

ausreichend körperliche Aktivität und ausgewogene gesunde Ernährung immer höhere

Stellenwerte ein, da zunehmend mehr Menschen an der sogenannten Wohlstandserkrankung

leiden. Darunter fällt das metabolische Syndrom, welches folgende kardiovaskuläre

Risikofaktoren zusammenfasst: Adipositas, Insulinresistenz, bzw. Diabetes Mellitus Typ II,

arterielle Hypertonie bei endothelialer Dysfunktion sowie die Dyslipoproteinämie, einem

gestörten Verhältnis der Fettsäuren, bei dem eine Erhöhung der Triglyceriden und des Very

Low Density Lipoprotein Cholesterin (VLDL) sowie ein erniedrigtes HDL-Cholesterin

auftritt (König, 2017). Durch körperliche Aktivität kann dieses Syndrom gelindert werden,

da Fettmasse zum Teil in Muskelmasse umgewandelt wird. Zusätzlich wird eine

Verbesserung der Insulinresistenz durch eine erhöhte Anzahl von Insulinrezeptoren erzielt.

In Bezug auf die Dyslipidämie das HDL-Cholesterin leicht gesteigert und das LDL, bzw.

VLDL-Cholesterin reduziert werden (Wirth, 2002).

Des Weiteren sollen die psychologischen Auswirkungen körperlicher Aktivität auf die

neurophysiologischen Parameter betrachtet werden. Die Hypothalamus-Hypophysen-

Nebennieren-Achse (HPA-Achse) spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung

adaptiver Reaktionen auf physische und psychische Stressfaktoren. Das gesamte HPA-

System ist so konzipiert, dass sich Organismen an physische und psychosoziale
13

Veränderungen in ihrer Umwelt anpassen können. Beim Menschen aktiviert akuter Stress

das Zentralnervensystem und bewirkt unter anderem die Freisetzung des Glukokortikoids

Cortisol aus der Nebennierenrinde (Burke, Davis, Otte & Mohr, 2005). Erhöhte

Cortisolspiegel wiederum hemmen über negative Rückkopplungsmechanismen im

Hippocampus, präfrontalen Kortex und der Amygdala das HPA-System (Burke et al., 2005;

S. Lee, Jeong, Kwak & Park, 2010). Dies kann sich auf die neuronale Verhaltensfunktion der

genannten Hirnregionen auswirken. So kann beispielsweise die Neurogenese, die Bildung

neuer Nervenzellen, gehemmt werden. Die durch chronischen Stress verursachten

Anomalien der Hippocampus-Neuronen können die Hemmschwelle der HPA-Achse

reduzieren, was zur Hyperaktivität der HPA-Achse führen kann. Diese Hyperaktivität konnte

bei der Hälfte der depressiven Patienten gemessen werden (Anderson & Shivakumar, 2013;

S. Lee et al., 2010). Dysregulationen auf der HPA-Achse, wie beispielsweise eine

Hyperaktivität, kann eine Manifestation von Depressionen und Angstsymptomen

hervorrufen (Anderson & Shivakumar, 2013). Durch körperliche Aktivität konnte bei

depressiven Frauen die Ausschüttung an Cortisol reduziert und der depressive Zustand

signifikant vermindert werden (Nabkasorn et al., 2006). Diese Ergebnisse konnten durch

eine weitere Studie bestätigt werden, die die Auswirkungen von Bewegung auf die HPA-

Achse und die Cortisol-Reaktion bei 46 Frauen untersuchte. Unter Laborbedingungen

wurden dabei Stresssituationen herbeigeführt und die darauffolgende Cortisol-Reaktion

anhand von Speichel-Cortisol gemessen. Bei körperlich aktiven Frauen verzögerte sich der

Cortisol-Anstieg und es folgte eine raschere Erholung der HPA-Achse nach der

Stressinduktion im Vergleich zu körperlich inaktiven Frauen. Dies deutet darauf hin, dass

Personen, die einen körperlich aktiven Lebensstil führen, vor den Auswirkungen von akutem

Stress geschützt werden könnten (Puterman et al., 2011). Eine lang andauernde

Hyperaktivität der HPA-Achse in Folge von chronischem Stress kann jedoch auch zu einem
14

Hypocortisolismus führen, also einem geringen Cortisol-Spiegel, der ebenfalls mit einer

depressiven Symptomatik assoziiert wird (Fries, Hesse, Hellhammer & Hellhammer, 2005;

Maripuu, Wikgren, Karling, Adolfsson & Norrback, 2014). Die bereits erwähnte gehemmte

Neurogenese kann bei depressiven Patienten zu einem verringerten Volumen im

Hippocampus führen (Wolf & Hautzinger, 2012). Einige Studien, zusammengefasst in einer

Metaanalyse von Brunoni, Lopes und Fregni (2008), konnten einen Zusammenhang

zwischen dem Wachstumsfaktor Brain Derived Neurotrophic Factor (BDNF), das am

häufigsten im Gehirn vorkommende Neurotrophin, und der Depressionsrate erkennen. Bei

depressiven Patienten war der BDNF-Spiegel signifikant niedriger als bei Gesunden

(Brunoni et al., 2008). Dieser niedrige BDNF-Spiegel konnte auch bei anderen psychischen

Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten beobachtet werden (Duman & Monteggia,

2006; Xiu et al., 2009). Die Auswirkung körperlicher Aktivität auf den BDNF wurde

zunächst in einigen Tierstudien untersucht, wobei ein signifikanter Anstieg des BDNFs bei

steigernder körperlicher Aktivität beobachtet werden konnte (Oliff, Berchtold, Isackson &

Cotman, 1998; Russo-Neustadt, Beard & Cotman, 1999). Seit einigen Jahren gibt es

diesbezüglich auch Ergebnisse in der Humangenetik. Durch akute aerobe körperliche

Aktivität kann der BDNF-Spiegel im peripheren Blut gesteigert und somit möglicherweise

der neuronale Wachstum im Hippocampus gefördert werden (Knaepen, Goekint, Heyman &

Meeusen, 2010). Bereits eine einzige Trainingseinheit konnte bei depressiven Frauen einen

Anstieg des BDNF hervorrufen (Laske et al., 2010). Zusätzlich sind die Neurotransmitter

Monoamine      bei    der    Betrachtung    von     psychischen     Erkrankungen     und

Verhaltensauffälligkeiten wichtig. Zu diesen zählen Serotonin, Noradrenalin und Dopamin,

die den Hirnkreislauf durch die Regulierung von Stimmungen, die Reaktionsfähigkeit auf

psychischen Stress, die Selbstkontrolle, die Motivation und kognitive Leistungen

beeinflussen (Hamon & Blier, 2013). Durch körperliche Aktivität kann dieses Monoamin-
15

System aktiviert und somit eine Erholung der Depression bewirkt werden (van Praag, 2009).

Besonders Serotonin (5-HT) ist in Bezug auf die Depression von entscheidender Bedeutung,

da bei dieser Erkrankung häufig ein Mangel vorliegt. 5-HT wird mit seiner Auswirkung auf

Schlaf, Lethargie und Motivationsverlust in Verbindung gebracht. Körperliche Aktivität

kann den 5-HT Spiegel reduzieren, allerdings ist die Intensität der Belastung sowie die

angesteuerte Hirnregion von entscheidender Bedeutung (Lin & Kuo, 2013). BDNF und

Serotonin interagieren miteinander, um die Entwicklung und Plastizität neuronaler

Schaltkreise   zu     regulieren,   welche     an    psychischen     Erkrankungen      und

Verhaltensauffälligkeiten wie Depression und Angststörungen beteiligt sind. So fördert

BDNF beispielsweise das Überleben und die Differenzierung von 5-HT-Neuronen und

umgekehrt Serotonin die BDNF-Genexpression (Martinowich & Lu, 2008). Weitere

wichtige Faktoren sind die immunologischen Prozesse. Die Transmitter Zytokine fungieren

als Signalübertragung zwischen den Zellen und steuern den Transport von Immunzellen ins

Gewebe, wo sie entweder hemmend oder aktivierend wirken. Interleukine (IL) bilden eine

Subgruppe der Zytokine. Proinflammatorische IL können krankheitsbedingte Reaktionen

wie Rückzug, Appetitmangel etc. auslösen, um somit beispielsweise Krankheitserreger zu

bekämpfen. Bei depressiven Patienten scheint die Produktion des proinflammatorische IL-6

erhöht. Dieses aktiviert die HPA-Achse, was wiederum zur erneuten Ausschüttung von

Glukokortikoiden führt. Zudem können proinflammatorische IL Wachstumsfaktoren wie

BDNF hemmen, wodurch die depressive Symptomatik gesteigert werden kann (Wolf &

Hautzinger, 2012). Eine Studie aus dem Jahr 2011 konnte aufzeigen, dass bei körperlich

inaktiven Personen die Depressionsrate signifikant mit höheren IL-6 Werten assoziiert

wurde. Daraufhin schlussfolgern die Autoren, dass moderate körperliche Aktivität das Risiko

proinflammatorischen IL-Werte, welche häufig mit depressiven Symptomen assoziiert

werden, vermindern kann (Rethorst, Moynihan, Lyness, Heffner & Chapman, 2011). Die
16

antidepressive Wirkung von IL-6 sowie deren Reaktion auf körperliche Bewegung konnte

auch durch die Studie von Lavebratt et al. (2017) bestätigt werden. Patienten mit leichten bis

mittelschweren Depressionen nahmen 12 Wochen an einem Trainingsprogramm teil, in

Folge dessen eine Verringerung der IL-6 Werte signifikant mit einer parallelen Verringerung

des Depressionsschweregrades einhergingen (Lavebratt et al., 2017). Die physiologische

Wirkungsweise von körperlicher Aktivität auf die Gesundheit scheint überwiegend geklärt

zu sein. Einige Studien weisen auf die Effizienz der Bewegung auf die psychische

Gesundheit hin, allerdings ist der psychologische Mechanismus, der zu dieser Veränderung

führen kann, bisher noch nicht ausreichend erforscht. Der folgende Abschnitt stellt drei

Erklärungsmodelle vor, die den Einfluss der Bewegung auf die psychische Gesundheit

beschreiben, wobei sich die Modelle überwiegend auf die Depression beziehen, da diese die

meist verbreitete psychische Erkrankung darstellt (World Health Organization, 2017). In

vielen Studien zum Thema psychische Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten wird die

Selbstwirksamkeit thematisiert. Diese ist das Maß an Vertrauen einer Person in ihre

Fähigkeit, bestimmte Handlungen selbstständig auszuführen, um die gewünschten

Ergebnisse zu erzielen (Bandura, Freeman & Lightsey, 1999). Depressive Menschen haben

oft ein niedriges Niveau der Selbstwirksamkeit. White, Kendrick und Yardley (2009)

analysierten eine Verbesserung der Selbstwirksamkeit nach einer achtwöchigen Steigerung

der körperlichen Aktivität bei depressiven Patienten und fand zudem heraus, dass dies mehr

mit einer Verbesserung der positiven Gefühle als mit einer Verringerung der negativen

Gefühlen einherging (White et al., 2009). Dies konnte auch von Bodin und Martinsen (2004)

bestätigt werden, in deren Studie sich die Selbstwirksamkeit nach einer Kampfsport-

Intervention bei klinisch-depressiven Patienten signifikant erhöhte. Auch die Zustandsangst

sowie die negativen Gefühle konnten reduziert werden, sodass die Autoren von einer

positiven Wirkung der erhöhten Selbstwirksamkeit auf die Stimmung der Patienten ausgehen
17

(Bodin & Martinsen, 2004). Ekkekakis und Acevedo (2006) nehmen an, dass die Steigerung

der Selbstwirksamkeit vor allem dann gewährleistet ist, wenn die Intensität unterhalb oder

annährend der aerob-anaeroben Schwelle liegt (Ekkekakis & Acevedo, 2006). Außerdem

konnte Craft (2005) in seiner Untersuchung eines Ausdauertrainings mittlerer Intensität eine

Verbesserung der Depression bei Frauen feststellen und definierte als mögliche Ursache eine

Erhöhung der Selbstwirksamkeit (Craft, 2005). Eine weitere mögliche psychologische

Wirkung könnte in der Ablenkung liegen. Nach einem theoretischen Modell seien

Menschen, die sich auf die Symptome der Depression sowie deren mögliche Ursachen und

Folgen konzentrieren, länger depressiv als Menschen, die Maßnahmen ergreifen, um von

diesen Symptomen abzulenken (Nolen-Hoeksema, 1991). Eine dieser Maßnahmen soll die

körperliche Aktivität darstellen, da diese als Ablenkung von Sorgen und depressiven

Gedanken dienen kann (Craft & Perna, 2004). Goode und Roth (1993) fanden heraus, dass

nicht die Ablenkung an sich, sondern der Inhalt der Ablenkungstechniken mit

Veränderungen des emotionalen Wohlbefindens verbunden ist. Genauer gesagt berichteten

sie, dass Läufer, die sich auf nicht-assoziative Gedanken (solche, die nicht mit dem Training

in Verbindung stehen) konzentrierten, im Vergleich zu Läufern, die sich auf assoziative

Gedanken (Überwachung des Körpers und der Übung selbst) konzentrierten, weniger

Müdigkeit und in einigen Fällen eine Abnahme von Anspannung und Angst zeigten (Goode

& Roth, 1993). Allerdings ist die aktuelle Studienlage zu diesem Thema nicht eindeutig. Es

konnte eine Verbesserung der Befindlichkeit bei depressiven Patienten auf einem

Fahrradergometer aufgezeigt werden. Dies ließ sich auf einen gewissen Flow-Effekt und

somit auf eine Art Beseitigung oder Reduktion negativer Gedanken zurückführen, wodurch

die depressiven Symptome vermindert werden könnten. Dieser Effekt wurde allerdings nur

akut und nicht langfristig gemessen (Reinhardt et al., 2008). Laut Craft (2005) scheint der

psychologische Mechanismus der antidepressiven Wirkung von Bewegung allerdings nicht
18

die Ablenkung, sondern mehr die Erhöhung der Selbstwirksamkeit zu sein (Craft, 2005).

Weitere Studien konnten zwar die Effizienz dieser Ablenkungstheorie bestätigen, allerdings

handelte es sich bei den meisten Probanden um gesunde, nicht psychisch erkrankte und

verhaltensauffällige Personen, sodass diese Studien für die vorliegende Arbeit nicht weiter

als relevant erachtet werden.

Des Weiteren könnte die interpersonelle Ebene, die in vielen Bewegungsformen (Teamsport

oder Gruppensetting) auftritt einen Einfluss auf die Befindlichkeit nehmen. So ist ein

sozialer Effekt laut Wolf und Hautzinger (2012) zwar eher unwahrscheinlich, da dieser

bisher in einigen empirischen Studien nicht nachgewiesen werden konnte, allerdings gehen

Kleinstäuber et al. (2017) in ihrer Studie über die akuten Effekte einer Klettertherapie bei

depressiven Patienten auf diesen sozialen Faktor ein (Kleinstäuber et al., 2017; Wolf &

Hautzinger, 2012). Demnach kann die Emotionsregulation auf zwischenmenschliche Effekte

reagieren, wodurch die Auswirkungen sozialer Unterstützung auf die Depression erklärt

werden könnte. Die Emotionsregulation bezieht sich dabei auf extrinsische oder intrinsische

Prozesse, die für die Überwachung, Bewertung und Modifizierung emotionaler Reaktionen

verantwortlich sind. Allerdings ist der Einfluss sozialer Unterstützung in Bezug auf die

depressive Erkrankung uneinheitlich. Manchmal ist diese hilfreich, manchmal schädlich und

manchmal macht sie keinen Unterschied (Marroquín, 2011). Generell kann gesagt werden,

dass soziale Unterstützung positive Auswirkungen durch ein gesteigertes Wohlbefinden

bietet und positive psychologische Zustände wie Selbstwertgefühl oder positive Affekte

fördert (Cohen, Hammen, Henry & Daley, 2004). Besonders wichtig ist dabei allerdings die

wahrgenommene Unterstützung (Marroquín, 2011; Rueger, Malecki, Pyun, Aycock &

Coyle, 2016). Cohen et al. (2004) fanden heraus, dass ein geringes Maß an

wahrgenommener sozialer Unterstützung ein Risiko für ein depressives Rezidiv darstellt

(Cohen et al., 2004). Es gibt Hinweise darauf, dass eine Depression nicht nur durch eine
19

abnorme Emotionserfahrung (z.B. geringer positiver Affekt und hoher negativer Affekt

(Watson,   Clark   &    Tellegen,   1988)),   sondern   auch    durch   eine   maladaptive

Emotionsregulation gekennzeichnet ist (Marroquín, 2011).

Es ist klar erkennbar, dass die empirische Datenlage, insbesondere in Bezug auf die

psychologischen Wirkfaktoren körperlicher Aktivität nicht eindeutig geklärt ist. Allerdings

nimmt die Forschung hierbei zunehmend einen wichtigen Stellenwert ein, da psychische

Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten bereits im Kindes- und Jugendalter auftreten

können. Dies wird im folgenden Abschnitt genauer erläutert.

   2.2     Ätiologie, Definition, Klassifikation und Epidemiologie von psychiatrischen

           Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen

Beim Auftreten diverser Krankheitsbilder wird häufig recht schnell die Frage nach der

Ursache gestellt. Bei psychischen Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten, besonders

wenn diese bereits im Kindes- und Jugendalter auftreten, trägt die Ursachenforschung einen

wichtigen Teil zur Aufklärung und Behandlung bei. In den letzten Jahren wurden einige

Modelle entwickelt, um Störungen während der kindlichen Entwicklung zu erklären. Dabei

nimmt die Entwicklungspsychopathologie eine besondere Rolle ein. Diese beschäftigt sich

mit der Entstehung, Ursache und dem Verlauf einer psychischen Störung und bezieht sowohl

die psychischen, also auch die biologischen und sozialen Faktoren mit ein (Petermann &

Resch, 2013). Psychische Störungen zeigen sich oft in Form von Symptomen. Diese sind

aber laut Resch und Parzer (2015) nicht nur ein Ausdruck gestörter Hirnfunktionen, sondern

stellen die Anpassung eines Individuums dar (Resch & Parzer, 2015). Entscheidende

Faktoren, die hierbei berücksichtigt werden müssen, sind die Risiko-, Vulnerabilitäts-,

Kompensations- und Schutzfaktoren. Vulnerabilitäts- und Schutzfaktoren werden durch ein

belastendes Ereignis oder eine Bedingung wirksam, hingegen Risiko- und kompensatorische
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