PSYCHOSO MATIK - DR. MED. SAMUEL PFEIFER - WIE KÖNNEN WIR DIE SPRACHE DES KÖRPERS - STIFTUNG TS
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DR. MED. SAMUEL PFEIFER PSYCHOSOMATIK WIE KÖNNEN WIR DIE S PR A C H E D E S K Ö RP E R S VERSTEHEN? P SYC H I AT R I E S E E L S ORG E SEMINARHEFT
I H R E D I G I TA L E B I B L I OT H E K S 4 Tab eiten 00 elle mit nu v 1 2 S EMIN A RH EF T E VON nd ielen GRA Gra DR . SA MU EL P F EIF ER TIS fiken j e t z t gratis als P D F für Tab l et- P C s / iPA D www.seminare-ps.net/ipad Zwang und Zweifel Sie möchten Lieber richtige SeminarHefte zum nachschlagen? Bezugsquelle für gedruckte hefte: Schweiz: Deutschland / EU: Psychiatrische Klinik Sonnenhalde Alpha Buchhandlung Gänshaldenweg 28 Marktplatz 9 CH-4125 Riehen - Schweiz D-79539 Lörrach Tel. (+41) 061 645 46 46 Tel. +49 (0) 7621 10303 Fax (+41) 061 645 46 00 Fax +49 (0) 7821 82150 E-Mail: seminare@sonnenhalde.ch Übersicht und Preisliste: http://www.seminare-ps.net/Pub/Seminarhefte_Samuel_Pfeifer.pdf
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DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK PSYCHOSOMATIK WIE KÖNNEN WIR DIE SPRACHE DES KÖRPERS VERSTEHEN? 3
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Inhalt Psychosomatik in anderen Kulturen.........................................................2 Symptome nicht erklärbar ........................................................................3 Was ist eigentlich Stress? ..........................................................................4 24 Fragen zur Erfassung von Burnout ......................................................5 Das vegetative Nervensystem ..................................................................6 Funktionelle Störungen .............................................................................7 Stress und Immunsystem .........................................................................8 Deutungen in der Psychosomatik...........................................................10 Entstehung - Die Rolle der Kindheit .......................................................11 Somatoforme Störungen .........................................................................13 Depression und Schmerz .........................................................................14 Therapieprogramm bei Rückenschmerzen ............................................17 Wetterfühligkeit - Kopfschmerzen ........................................................18 Herzbeschwerden ....................................................................................21 Hypochondrie und Gesundheitsängste .................................................22 Magen-Darm-Störungen .........................................................................23 Mund-Nase-Hals (ORL) - Tinnitus und Hörsturz....................................24 Asthma und Allergien - Neurodermitis ..................................................26 Männerprobleme - Frauenprobleme.......................................................28 Chronische Müdigkeit / Fibromyalgie ....................................................31 Trauma - der Körper erinnert sich............................................................32 Symptome und Beziehung ......................................................................34 Psychosomatik in den Psalmen ..............................................................37 Was hilft gegen Burnout? ........................................................................39 Vom Umgang mit Körpersymptomen ....................................................40 Weiterführende Literatur und Internetadressen....................................42 4
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Die Sprache des Körpers verstehen lernen «I ch habe immer gedacht, wenn man sich nur zusammennimmt, so kann man erreichen, was man will. Aber dann sischen Psychosomatosen der 50-er Jahre — rheumatoide Arthritis, Colitis ulcerosa, Bronchialasthma, Neurodermitis, Bluthoch- hat mein Körper nicht mehr mitgemacht.» druck, Magengeschwüre und Hyperthyreo- So und ähnlich beginnen viele «psychoso- se — sind heute viel besser erforscht. Oft ist matische Geschichten». es die Krankheit, die psychische Folgen hat Leib und Seele sind untrennbar miteinan- und nicht umgekehrt. der verwoben. Gefühle werden erst spürbar, Andererseits sind wir mit unerklärlichen wenn sie sich auch in körperlichen Empfin- Symptomen konfrontiert, die die Lebens- dungen ausdrücken. Daraus hat sich auch freude trüben, Beziehungen belasten und unsere «Sprache des Körpers» entwickelt: Es liegt uns etwas auf dem Magen, eine Not bricht uns das Herz, man spürt Schmetter- Die Schmach linge im Bauch, man könnte weinen vor Glück oder man bekommt kalte Füsse vor bricht mir mein Herz, Angst. Rund 30 oder mehr körperliche Bilder und macht mich gibt es für menschliche Gefühle in unserer Sprache. Auch die Psalmen sind reich an krank. Psalm 69,21 Metaphern, die diesen Zusammenhang un- terstreichen. die Arbeitsfähigkeit vermindern können. Spaltung zwischen Leib und Seele Das Seminarheft will Anregungen ge- Wenn der Mensch sich aber nur auf den ben und auf weitere Literatur verweisen. Körper konzentriert (und die moderne Me- Ziel der Informationen ist es, sich selbst dizin ihn darin noch kräftig unterstützt), und betroffene Menschen besser zu ver- dann kommt es zu einer Spaltung zwischen stehen und fachgerecht und einfühlsam Körper und Seele, die oft zu neuen Proble- zu begleiten. men führt. Weil psychosomatische Krankheiten in Dr. med. Samuel Pfeifer jedem Körperteil auftreten können, bilden sie ein eigenartiges Schattenland, das nur schwer fassbar ist und sich allen Versuchen der Hi-Tech-Medizin entzieht, sie zu lokali- sieren und auf Bildern oder Kurven deutlich abzubilden. Ihre Unfassbarkeit sind sowohl ihr Kennzeichen als auch Quelle von immer neuem Rätselraten. Dabei ist es auch gefährlich, alle un- erklärlichen Störungen einfach als «psy- chosomatisch» abzutun. Die sieben klas- 1
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Psychosomatik in andern Kulturen In anderen Kulturen werden körper- FRAGEBOGEN liche Störungen oft als Beschreibung für Ängste und Depressionen verwendet. («Es Welche der folgenden Beschwerden ver- tut überall weh — ich fühle mich schwach, spürten Sie in den letzten vier Wochen? obwohl ich nicht arbeite — es ist, als ob eine Schlange in mein Herz beissen würde — wie Fühlten Sie in letzter Zeit einen Energie- ein grosser Stein auf der Brust — als ob der mangel? Kopf zerspringen würde» etc.). Klassische Spürten Sie Schmerzen im ganzen Kör- Beispiele finden sich auch in den Psalmen per? (vgl. S. 34). Fühlten Sie sich müde, auch wenn Sie nicht arbeiteten? Die indische Schriftstellerin Chitra Ba- Hatten Sie Schmerzen auf der Brust oder nerjee Divakaruni (*) beschreibt in ihren tat Ihnen das Herz weh? Romanen anschaulich die Körpersprache Spürten Sie häufig Herzklopfen? der Seele: Hatten Sie ein Zittern oder Schlottern? «Tausend Fragen quälen mich, bis ich Hatten Sie ein Gefühl wie «Magenflat- das Gefühl habe, als würden in meinem tern»? ganzen Körper Nadeln stecken.» Haben Sie oft starkes Kopfweh? «Und plötzlich schneidet die Tatsache, War es Ihnen als ob Ihr Kopf zusammen- dass wir einander verlassen, wie ein Peit- gepresst würde? schenschlag in mein Fleisch» Hatten Sie ein Erstickungsgefühl oder ei- «Ich denke verzweifelt nach. Mein Kopf nen Kloss im Hals? füllt sich mit einem Brüllen, wie ein ent- Mussten Sie häufiger Wasser lösen? fernt tosendes Feuer. Das Innere meines Spürten Sie Mundtrockenheit? Mundes ist mit Staub überzogen. Staub Haben Sie oft einen schweren Kopf? ziert den Saum meiner Lungen. Er saugt Hatten Sie Verstopfung? meine Stimme auf...» Litten Sie unter Blähungen? Hatten Sie Schmerzen / Verspannungen in Schulter und Nacken? Hatten Sie kalte Hände oder Füsse? Litten Sie unter vermehrtem Schwitzen? (Bradford Somatic Inventory; BSI) Der obige Fragebogen wurde für die Be- schreibung der Depression in der Dritten Welt entwickelt. (Mumford 1996) * Quelle: Chitra Banerjee Divakaruni: Die Prinzessin im Schlangenpalast. Diana Verlag, München-Zürich. 2
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Symptome nicht erklärbar In einer Studie bei Ursache eindeutig (Prozent) 1000 Patienten, die Symptome Organisch Psychogen Unklar ein Ambulatorium Brustschmerz 11 6 83 aufsuchten, wurden Müdigkeit 13 21 66 die körperlichen Be- Schwindel 18 2 80 schwerden genauer Kopfweh 10 15 75 abgeklärt. Häufig Oedeme 36 0 64 fand sich keine or- Rückenweh 10 0 90 ganische Ursache. Atemnot 24 3 73 Oft dauerten die Be- Schlafstörungen 3 50 47 schwerden schon jah- Bauchweh 10 0 90 relang. Gefühllosigkeit 19 4 77 Impotenz 21 4 75 (Kroenke & Mangelsdorff Gewichtsabnahme 5 28 67 1989, Am. J. Medicine) Husten 40 0 60 Verstopfung 0 0 100 1. Die Mehrheit körperlicher Symptome ben einen wesentlichen Einfluss auf die in der Hausarztpraxis sind nicht mit einer Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung. organischen Krankheit verbunden. 2. Psychologischer Stress oder psy- 40 Prozent aller Arztbesuche werden chische Störungen erhöhen die Inan- durch 14 Symptome ausgelöst. Nur 10 bis spruchnahme von medizinischen Leistun- 15 Prozent hatten eine organische Ursache. gen und die Invalidität. Eine andere Studie hat gezeigt, dass in 3. Faktoren wie die frühe Familienumge- 25 bis 50 Prozent aller Hausarztbesuche bung, frühere Krankheitserfahrungen und keine ernsthafte medizinische Störung spezifische Persönlichkeitsfaktoren kön- festgestellt werden konnte. Häufigste Di- nen eine Person dazu disponieren, medi- agnose: «worried well» (= besorgte Gesun- zinisch unerklärte körperliche Symptome de). zu entwickeln. Patienten mit Depressionen und Äng- 4. Je intensiver Patienten in spezifischen sten haben deutlich häufiger medizinisch medizinischen Settings abgeklärt werden, unerklärbare Symptome als Menschen oh- desto häufiger entwickeln sie unter Stress ne psychische Krankheit. Krankheiten, die mit unerklärbaren Sym- 20 bis 30 Prozent der Hausarztpatienten ptomen einhergehen. erfüllen die Kriterien für mindestens eine 5. Medizinisch unerklärte Symptome psychische Störung nach DSM. Rund zwei sind für einen wesentlichen Teil der Ge- Drittel von ihnen kommen zuerst mit der sundheitskosten verantwortlich. Klage von Kopfweh oder Müdigkeit. In rund 6. Medizinisch unerklärte Symptome ha- 50 Prozent wird die psychiatrische Diagno- se nicht gestellt. (Katon & Walker 1998) 3
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Was ist eigentlich Stress? ÜBUNG Stress ist ein Modewort unserer Zeit. Doch jeder versteht darunter etwas an- deres, vom harmlosen Ärger über eine vo- rübergehende Hektik bis hin zu dauernden Tragen Sie Beispiele für Belastungen, die die Gesundheit schädi- gen. Unter Stress versteht man einen vorü- Stress und Strain zusammen! bergehenden oder einen anhaltenden Zu- stand von Anspannung und Erregung. Stress = äußere Ereignisse und Lebens- Der Stressforscher Hans Selye unter- belastungen schied zwischen «Eustress» und «Distress». .......................................................................... Eustress Neues kann aufregend, herausfordernd, .......................................................................... stimulierend sein. Körper und Geist werden gefordert, aber der Mensch geniesst diese .......................................................................... Herausforderung (Beispiele: Sport, Aben- teuer, Prüfungen). Die Stresshormone er- .......................................................................... zeugen einen «Kick», der als anregend er- lebt wird. .......................................................................... Distress Strain = innere Konflikte, Befürch- Wenn Anforderungen und Konflikte als tungen und belastende Vorstellungen dauernder Druck erlebt werden, wenn Zeit- not und übermässige Forderungen verbun- .......................................................................... den sind mit Kritik und mangelnder Aner- kennung; wenn eine Situation auswegslos .......................................................................... erscheint — dann wird Stress zerstörerisch. Das Gehirn schüttet Stresshormone aus, .......................................................................... der Körper steht unter Daueralarm, und das hält kein Mensch lange aus. .......................................................................... Stress am Arbeitsplatz stellt eine .......................................................................... hohe Gefahr für die Gesundheit dar. Rund sieben Prozent aller vorzeitigen Pensionie- Auslöser oder Ursache? rungen gehen auf psychischen Stress am Auslöser: Es bestanden schon andere Arbeitsplatz zurück. Oft spricht man in die- Anspannungen im Vorfeld einer Störung. sem Zusammenhang von «Burnout». Das Ereignis ist sozusagen «der Strohhalm, Stress macht anfälliger für Unfälle am Ar- der dem Kamel den Rücken bricht.» beitsplatz. In Deutschland rechnet man Ursache: Ständige Sorgen, dauernde Be- mit 10.000 vermeidbaren Fällen von Herz- lastung und mangelnde Erholung führen zu infarkt. Die sozialen Kosten für die Kran- einer Störung. kenkassen und die Pensionskassen sind immens. 4
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK 24 Fragen zur Erfassung von Burnout Wenn Sie mehr als 10 — 12 Fragen mit «Ja» beantworten, so weist dies auf ein Burnout hin: JA NEIN O O Fühlen Sie sich in letzter Zeit häufig müde? O O Sind Sie körperlich erschöpft, ohne dass sich ein medizinischer Grund findet? O O Fühlen Sie sich manchmal einfach leer, ohne neue Ideen? O O Wächst Ihnen die Arbeit zunehmend über den Kopf? O O Denken Sie oft, dass ihre Mitmenschen schwieriger geworden sind als früher? O O Sind Ihre Gefühle leichter zu verletzen als früher? O O Erleben Sie frühere Herausforderungen im Beruf heute als Strapaze? O O Wirken Sie manchmal gedankenverloren und hören Sie andern nicht zu? Ver- lieren Sie sich in Tagträumereien? O O Haben Sie den Eindruck, dass sie von Kollegen und Vorgesetzten keine Unterstützung bekommen? O O Sind Sie rasch gekränkt, wenn andere an Ihnen oder Ihrer Arbeit etwas bemängeln? O O Trinken Sie öfter als früher Alkohol, um sich zu beruhigen? O O Haben Sie Ihren früheren Optimismus und Ihr Engagement verloren? O O Haben Sie Mühe mit Veränderungen bei der Arbeit und beim Einsatz neuer Technologien? O O Gehen Ihnen so viele Gedanken durch den Kopf, dass Sie nicht abschalten können? O O Möchten Sie manchmal einfach keinen andern Menschen mehr sehen? O O Haben Sie manchmal den Eindruck, es gebe keinen andern Ausweg als den Ausstieg aus Ihrem Beruf oder die Kündigung? O O Vernachlässigen Sie Dinge, die Ihnen früher wichtig waren? O O Sorgen Sie sich schon am Tag zuvor, wie es am nächsten Tag wohl bei der Ar- beit laufen wird? O O Werden Sie vermehrt von Schmerzen geplagt? O O Erleben Sie ein Nachlassen von Lebensfreude oder sexuelle Lustlosigkeit? O O Haben Sie Minderwertigkeitsgefühle, die Sie früher nicht kannten? O O Machen Sie sich Sorgen um Ihre Gesundheit? O O Nehmen Sie vermehrt Aufputschmittel wie etwa Kaffee zu sich? O O Haben Sie den Eindruck, viel zu wenig Zeit für Ihre Familie und für Ihre Freizeit zu haben? Entfremden Sie sich Ihren Freunden? O O Leiden Sie an Schlaflosigkeit? 5
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Das vegetative Nervensystem kann nicht durch den Willen gesteuert werden (unwillkürlich). begleitet alle Organe, Drüsen, Gefässe, Muskeln. steuert ihre Funktion (Muskelspannung, Sekretion, Durchblutung). erzeugt unter Stress Beschwerden ohne organisch fassbaren Befund. Das Bild zeigt die wichtigsten Organe, die durch das vegetative Nervensystem ge- steuert werden. 6
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Vier Funktionen Funktion Beispiele Rhythmus Herz, Darmperistaltik Tonus Muskeln (Atmung, Kehlkopf, Rücken, Blase etc.) Sekretion Speichel, Darm, Sexualorgane Durchblutung Hände, Füsse, Innenohr Fehlregulation Missempfindung Schmerz, Verspannung, Übelkeit, Magenbrennen Schwindel, Schwächegefühl, Ohrgeräusch etc. Funktionelle Störungen Von funktionellen Störungen spricht Wenn sich der Rhythmus und die Tiefe man, wenn nicht das Gewebe, sondern die der Atmung verändern, dann wird das als Funktion eines Organs so sehr verändert Hyperventillation mit Atemnot erlebt, die ist, dass dies als störend wahrgenommen starke Angst auslöst (dazu kommen durch wird. die Veränderung der Blutgase zusätzliche BEISPIELE: Wenn der Magen mehr Säu- Effekte wie z.B. Krämpfe in den Muskeln). re und gleichzeitig weniger schützenden In den Sexualorganen kann eine man- Schleim für die Magenschleimhaut produ- gelhafte Schleimbildung oder eine man- ziert, so erlebt man dies als Magenbren- gelhafte Durchblutung zu einer empfind- nen. lichen Störung des Liebeslebens führen. Funktionelle Magen-Darmstörungen liegen vor, wenn sich beim Verdauen der «Ich mache mir so Sorgen um mei- Rhythmus der Darmbewegungen verän- nen 12-jährigen Sohn. Seine Lehrerin dert, Enzyme nicht in der richtigen «Dosie- hat kein Verständnis für ihn. Wenn er rung» ausgeschüttet werden, Darminhalt schlechte Noten macht, dann kann er nicht mehr mit der richtigen Menge Flüs- nicht in die höhere Schule. Jeden Tag sigkeit versetzt wird. mache ich mir Sorgen, was er wohl für Am Herzen kann die Veränderung des Noten nach Hause bringt. Ich werde Pulses zum unangenehmen Gefühl von dann so angespannt, dass ich ständig Herzklpfen führen, das manchmal bis in aufs Klo muss.» den Hals oder in die Ohren ausstrahlt. 7
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Stress und Immunsystem hirn. Die Botschaft der Abwehrzellen im Blut wird via Vagus an das Gehirn weiterge- geben, wo ein Notfallprogramm ausgelöst wird. Im Hypothalamus wird Interleukin ausgeschüttet. Ziel ist es, die Kräfte des Körpers ganz auf die Abwehr des Infekts auszurichten. Der Kranke fühlt sich krank, fiebrig, mü- de, lustlos, verliert den Appetit. Er wird ge- zwungen, möglichst wenig Stress zu ha- ben, um sich der Aufgabe der Abwehr zu widmen. Diese Beobachtung erklärt auch, wa- rum manche Menschen nach einer Grip- pe viel weniger seelische Abwehrkraft haben und eine schwere Depression ent- wickeln können. Stress kann Fieber auslösen und vermindert die Abwehr. Man- Stress löst im Gehirn eine Kas- che Menschen erleben unter psychischem kade von Hormonen aus. Im Hypo- Stress eine Erhöhung der Körpertempera- thalamus (einem Zentrum, das eng mit tur; oft haben sie unter Stress vermehrt den Gefühlen des Menschen verbunden grippale Infekte, Angina, Allergien oder ist) wird das Hormon CRH gebildet. Dieses Ekzeme. Das Gehirn erlebt die psychischen aktiviert in der Hypophyse die Ausschüt- Reize wie eine körperliche Krankheit und tung von ACTH (Adeno-Corticotropes Hor- fördert die Ausschüttung von Cortisol, das mon), das wiederum die Ausschüttung von seinerseits die Immunantwort vermindert. Stresshormonen in der Nebenniere (NN) aktiviert. Körperliche Kr ankheit kann Hier wird für schnelle Wirkungen Adre- psychische Symp tome reduzie- nalin und Noradrenalin gebildet (im NN- ren. Aus diesem Grund hat man früher Mark). Dieses verändert innert Sekunden bei Schizophrenie-Patienten Malariakuren die Durchblutung, erhöht den Puls und angewendet. Der Schock des Fieberanfalls bringt den Körper in den Alarmzustand, führte (wenigstens für einige Zeit) zum der notwendig ist, um einer Bedrohung zu deutlichen Nachlassen der Psychose. begegnen. Als länger wirkendes Hormon schüttet die NN-Rinde das Cortisol aus, das das Immunsystem hemmt. Auch Infektionen bedeuten Stress. W eitere I nf o r m ati o nen : Eine Grippe bedeutet nicht nur körperliche Rüegg J.C.: Psychosomatik, Psychotherapie und Ge- Krankheit, sondern auch Stress für das Ge- hirn. Schattauer. 8
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Fühlen mit dem Körper Herr B. erlebt die Arbeit im Großraum- büro einer Bank als stressig: Telefonate Gefühl in Fremdsprachen, Kollegen platzen he- rein, Bürokollegen führen andere Ge- spräche, der Computer stürzt ab. «Wie haben Sie reagiert?» - «Es beginnt mit G efühle finden nicht nur im Kopf statt. Ja, sie wären gar nicht als Gefühle er- lebbar, wenn da nicht die «Begleitmusik» Magenkrämpfen. Dann bekomme ich dieses einseitige Kopfweh, fast wie eine Migräne. Und dann muß ich plötzlich des Körpers wäre. Ohne körperliche Reak- aufs Klo. Der Durchfall kommt wie an- tion bliebe nur «ein kalter und neutraler geworfen und dauert etwa eine Stunde. Zustand intellektueller Wahrnehmung» Wenn es mir dann auch noch schwind- (William James). lig ist, kann ich mich nicht mehr kon- Neuere Forschungen haben gezeigt, zentrieren. Oft finde ich kaum mehr die dass Neurotransmitter, wie etwa Seroto- richtigen Worte. Dann macht mir jedes nin, nicht nur im Gehirn ausgeschüttet Telefon Angst. Ich habe mich schon werden, sondern auch in den inneren Or- mehrmals von der Arbeit abmelden müs- ganen. Heute spricht man in Bezug auf die sen, weil ich den Stress nicht mehr ausge- Eingeweide auch von einem «zweiten Ge- halten habe!» hirn» (Gershon). Organisch oder psychisch? E s ist nicht mehr länger sinnvoll zu unter- scheiden zwischen organischen Hirner- krankungen mit veränderter Hirnstruktur ein Gefühl ein chemischer Vorgang. Angstgefühle lösen Stresshormone aus, die Veränderungen der Muskeln und der und so genannten funktionellen Krank- Durchblutung bewirken. Ein tröstendes heiten wie Neurosen oder Psychosoma- Wort hingegen führt dazu, dass die Angst- tosen. gefühle nachlassen und es zu einer Vermin- Die moderne Hirnforschung hat gezeigt, derung von Alarm-Botenstoffen kommt. dass jeder Gedanke und jedes Gefühl gan- Somit finden Neurobiologie und Psy- ze Netzwerke von Nervenzellen aktiviert. chotherapie auf zellulärer und molekularer Unser Gehirn verfügt über ca. 10 Milliar- Ebene zusammen. Psychotherapie (oder den Nervenzellen. Jede Nervenzelle hat ih- Seelsorge) wirkt nicht nur auf die Seele, rerseits wieder bis zu 100 Fortsätze, die sondern auch auf die biologischen Grund- mit ihren Synapsen Verbindung mit ande- lagen der Psyche. ren Zellen aufnehmen. Jeder Nervenimpuls löst an den Synap- sen die Ausschüttung von chemischen Bo- W eitere I nf o r m ati o nen : tenstoffen aus, die neue Nervenimpulse Damasio A.R.: Descartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und erzeugen. Somit ist auch ein Gedanke oder das menschliche Gehirn. DTV. 9
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Deutungen der Psychosomatik Psychogenese Mutter erwirken solle. «Die Mütter asth- Die einseitige Betonung seelischer Ur- matischer Patienten zeigen eine ambiva- sachen ist heute veraltet. Der Psychoana- lente Haltung, die häufig gleichzeitig be- lytiker Franz Alexander behauptete bei- sitzergreifend, ja verführerisch und ableh- spielsweise, dass jeder psychosomatischen nend ist.» Krankheit eine spezielle Problemkonstella- tion zu Grunde liege. Finale Betrachtungsweise So liege der Hauptkonflikt bei Bronchial- Im systemischen und individualpsycho- asthma in der Angst des Kindes, die Zunei- logischen Denken wurde die Frage gestellt, gung seiner Mutter zu verlieren. Das asth- welche Bedeutung das Symptom im Kon- matische Giemen sei nichts anderes als fliktfeld der Familie hat. Welcher Appell eine Art Weinen, das die Zuwendung der liegt im Asthmaanfall, was wiederholt er an früh-kindlichen Interaktionen mit der Mutter? Welche Formen bewusster oder unbewusster Botschaften (Symbole) und Ist die Mutter schuld? verdeckter Kommunikationsweisen liegen In einem psychoanalytischen Lehrbuch dem Ausbruch einer Allergie in einem Ehe- finden sich folgende Gedanken zur Ent- konflikt zugrunde? «Was will eine Person stehung von Neurodermitis bei Kindern: mit ihrem Symptom erreichen?» In dieser «Mütter emotional unterentwickelt – Form ist nach heutigem Verständnis die Kinder unerwünscht – Mütter reagie- Frage nicht zu beantworten. ren nicht auf Schreien und Tränen der Kinder – Mütter berühren ihre Kinder Moderne Psychosomatik kaum – insgesamt: fehlende mütterliche Sie betont die multifaktorielle Entste- Zuwendung – Spitz (1967): Ungeeig- hung psychosomatischer Erkrankungen. nete Mutter-Kind-Beziehung («psycho- Körperliches und Seelisches, Anlage- und toxisch»), «Feindseligkeit in Form von Umwelteinflüsse, belastende Lebensereig- Ängstlichkeit». Mütter infantil bis debil, nisse und persönliche Verarbeitung spielen wenig Hautkontakt, unbewußte Feind- ineinander und lassen unter Anspannung seligkeit.» körperliche Symptome zum Ausdruck der inneren Not werden. Die «Wahl des Organs» Tabelle: Faktoren, die im modernen liegt in der ganz individuellen Disposition Verständnis psychosomatischer Be- eines Menschen begründet. schwerden zusammenspielen. 1) Disposition: Individuelle Symptommuster des Körpers 2) Persönlichkeit: übermässige Ängstlichkeit, Gewissenhaftigkeit 3) Lebensgeschichte: frühe Belastung z.B. durch Jähzorn des Vaters 4) Auslösersituationen: z.B. öffentliche Blamage, Streit, Enttäuschung 5) Bewältigungsmuster: übermäßige Absicherung, Vermeidung etc. 6) Biologische Aspekte: körperliche Krankheit, Immunsystem, Neurotransmitter 10
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Wie entstehen die Beschwerden? Die Rolle der Kindheit Zwei Aspekte der Kindheit können bei Vorsicht: Nur aus somatisierenden der Entwicklung von somatoformen Stö- Symptomen allein kann man nicht ohne rungen eine Rolle spielen: zusätzliche Angaben einen Rückschluss auf 1. Wie erlebte das Kind den Umgang das Verhalten der Eltern machen. mit kleineren Schmerzen und Beschwer- Es war der Fehlschluss der psychoanaly- den? Wurde es sofort zum Arzt geschleppt? tischen Schulen, dass man selbst bei kör- Erlebte es nur dadurch Aufmerksamkeit? perlichen Krankheiten mit psychischen Be- Wurde es übermässig geschont? Oder wur- gleiterscheinungen (wie z.B. Asthma oder de es harsch abglehnt und abgewertet? Neurodermitis) auf ein schweres Fehlver- (vier negative Haltungen). Positiv wäre: halten der Eltern schloss (vgl. S. 10). Wurde es ernst genommen, gleichzeitig aber auch sachlich beruhigt? die genetische Anlage kann beim 2. Erlebte das Kind schwere körper- Kind bereits eine somatisierende Reakti- liche oder emotionale Misshandlung? onsweise bei seelischen Belastungen vor- Manchmal kann dies zum Auftreten von zeichnen. Gerade bei einer ängstlichen körperlichen Symptomen führen, die sich Grundpersönlichkeit sind angstbesetzte nicht organisch erklären lassen. Häufig Körperreaktionen deutlich gehäuft (Herz- bei Migranten aus sozial vernachlässigten klopfen, Enge-gefühl, Schwindel, kalte Füs- Schichten zu beobachten. se, Harndrang usw.) 11
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Schmerzverarbeitung und Symptom UNTERSCHWELLIGE SYMPTOME WANN FÜHREN SYMPTOME ZUM SIND HÄUFIG: ARZT? Wir erleben tagtäglich kleinere Be- schwerden: Muskelverspannungen, ein Psychologischer Stress ist immer mit kleiner Stich im Rücken, ein Schmerz in körperlichen Symptomen verbunden einem Gelenk, ein Druck im Kopf. (Schwitzen, Herzklopfen, rasche Atmung, Durchschnittlich erleben wir alle 5 bis 7 Stuhldrang etc.). Unser emotionaler Zu- Tage ein neues Symptom. Da es normaler- stand erhält dann mehr «Spitzen», die von weise vorübergehend ist, erzählen wir dem kleineren somatischen Symptomen ausge- Arzt nichts davon. hen. Es kommt zu einer Fokussierung der Diese unterschwelligen Symptome er- Aufmerksamkeit auf die Beschwerden. Oft reichen nicht den Grad von Beschwerden, führen die medizinischen Untersuchungen die uns Sorgen machen. zusätzlich zur Überzeugung, dass es sich um ein körperliches Leiden handelt. Bewusste Wahrnehmung Dabei kann es zu einem fatalen Kreis- lauf kommen: Weil man sich Sorgen macht, verspannt man sich noch mehr – Schwelle die Schmerzen nehmen zu – man macht sich noch mehr Sorgen – die Beschwerden führen zu Einschränkungen – man mel- det sich krank – die Schmerzen werden zum Zentrum ängstlicher Beobachtung und führen zu einer immer stärkeren Um- stellung des Lebens (Vermeiden von nor- Unterschwellige (kleine) Missempfindungen malen Belastungen, ängstliche Rücksicht- nahme durch die Angehörigen, Verzichten auf Dinge, die früher das Leben schön ge- macht haben). Depression Stress Die Schwelle der Schmerzempfin- Schmerz! dung schwankt von Person zu Person, aber auch je nach der Befindlichkeit. Geht es einem Menschen seelisch gut, so hält er Schwelle mehr aus, ist er «gestresst», so wird er nicht nur psychisch reizbar, sondern kann auch schneller an die Grenze der Schmerzemp- findung kommen. 12
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Somatoforme Störungen Störungstypen K l assifikati o n der s o m at o f o r m en störungen 1. Funktionelle Störungen: Seelische Spannungen führen zu Funk- Somatisierungsstörung (F 45.0) tionsveränderungen (reversibel): z.B. Hypochondrische Störung (F 45.2) Durchfall, Muskelverspannungen, Schwin- Somatoforme autonome del, Hautreaktionen. Funktionsstörung (F 45.3) 2. Psychosomatische Krankheiten: - Herz-Kreislauf Psychische Konflikte führen zu blei- - Oberer Gastrointestinaltrakt benden Organveränderungen (z.B. Blut- (Mund, Hals, Speiseröhre, Magen) hochdruck, Magengeschwüre, Asthma - Unterer Gastrointestinaltrakt etc.). Die moderne Forschung hat dieses (Darm, Anus) Konzept nicht ausreichend belegen kön- - Atmungsorgane nen. - Urogenitalsystem 3. Somatopsychische Probleme: - Andere Organsysteme Eine körperliche Krankheit muss see- Anhaltende somatoforme lisch verarbeitet werden (z.B. Krebs, Dia- Schmerzstörung (F 45.4) betes, Dialyse etc.) Dissoziative Störungen (F 44) Neurasthenie (F 48) nach ICD-10 Neue Begriffe Somatisierung: «Tendenz, körperliche Beschwerden WEITERE BEGRIFFE und Symptome – ohne Befund – zu erle- ... die in Fachgebieten außerhalb der ben und auszudrücken, sie körperlichen psychotherapeutischen Medizin häufig ge- Krankheiten zuzuschreiben und medizi- stellt werden und eine deutliche Überlap- nische Hilfe für sie in Anspruch zu neh- pung mit somatoformen Störungen auf- men.» (Lipowski) weisen: Somatisierungsstörung: - Fibromyalgie Körperliche Symptome im Sinne der frü- - Pelvipathie heren Hysterie: Kurzatmigkeit, Menstru- - Chronische Prostatitis (Prostatodynie) ationsbeschwerden, Brennen in den Ge- - Tinnitus schlechtsorganen, Kloßgefühl im Hals, Er- - Spannungskopfschmerz brechen, Amnesie, Schmerzen in den Glied- - Schwankschwindel-Attacken massen. - Multiples Somatoformes Syndrom - Depressive Somatisierung Somatoforme Störungen: - Unfallreaktive Somatisierung «Die Störungen sehen wie körperlich - Umweltbezogene Somatisierung verursachte aus, sind es aber nach dem (Multiple Chemical Sensitivity) gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht.» - Chronic Fatigue Syndrome (Hoffmann) 13
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Depression und Schmerz Schmerz und Depression sind zwei zen- trale Empfindungen. Depression ist stär- Azra H., eine 50-jährige Frau aus Ex-Jugo- ker emotionsgefärbt. Chronischer Schmerz slawien ist die einzige, die in den Westen wird oft von Depression begleitet. Die Psy- gegangen ist. Daheim leben der Ehemann, chodynamik und die Therapie unterschei- der als Akademiker einen Hungerlohn ver- den sich deutlich trotz Ähnlichkeiten. dient, dessen Mutter und zwei Söhne, die beide im Studium sind. Frau H. soll alle Definition des Schmerzes unterstützen. «Schmerz» ist eine grundlegend un- Obwohl sie gelernte Krankenschwester ist, angenehme Empfindung, die dem Körper kann sie nur als Zimmermädchen in einem zugeschrieben wird und dem Leiden ent- Hotel arbeiten, weil ihr Deutsch mangel- spricht, das durch die psychische Wahrneh- haft ist. Sie verdient 3000.– SFr., zahlt mung einer realen, drohenden oder fan- 500.– für die Miete, 500.– für Telefonate tasierten Verletzung hervorgerufen wird. und lebt vom absoluten Minimum, um den Rest an ihre Familie zu schicken. Schmerz und Selbstwertgefühl Beim Heben eines schweren Bettes hat sie – Patient fühlt sich schwach, kompensiert Rückenschmerzen entwickelt und kann aber durch hohe Leistung. nicht mehr arbeiten. Es folgt ein Kreislauf: – Stolz auf besondere Leistungsfähigkeit, Schmerz – Arbeitsunfähigkeit – Angst soziales Ansehen. vor Arbeitslosigkeit – Angst die Angehö- – Schmerz als Preis der Leistungen (Pas- rigen nicht mehr unterstützen zu können sivität = Verzicht), aber Wut auf Körper, – Angst vor Ablehnung und Wertlosigkeit der versagt. – seelische Verspannung – Depression – Verhärtung der Rückenschmerzen etc. Selbstwertgefühl bei Depression Der Ehemann zum Arzt: «Schauen Sie, – Schwach, durch Leistungen kaum wirk- dass meine Frau wieder funktioniert. Wir lich kompensiert. brauchen sie.» – Unerfüllbar hohe Ansprüche (nie gut ge- nug), Aussenseiter. – Depression als Folge des Versagens, Wut auf sich selbst und eigenes Versagen. Umgang mit Schmerz – Verleugnung – Schmerzstillung mit allen Mitteln, um leistungsfähig zu bleiben (schmerz- hafte Behandlungen!) – Antidepressiva schlecht ertragen – Übereifrig, hyperaktiv nach Prof. Dr. med. Peter Keel 14
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Positive und negative Denkmuster Erhöhte Schmerzanfälligkeit bei Belastung Konditions- Schmerz verlust Schonung Inaktivität Gefühl der Depression Nutzlosigkeit nach Keel Verminderte s Selbstwertgefühl Ungünstige Reaktionen Günstige Reaktionen (Dysfunktionale Denkmuster) (Aktive Bewältigung) Es sind schreckliche Schmerzen im Na- Ich habe wieder diese Nackenschmerzen, cken! es spannt. Ich bin in einem schrecklichen Loch Ich bin bedrückt, wie ab und zu. Ob ein Nerv eingeklemmt ist? Ich bin verspannt wegen dieser Reise. Ich habe Angst, etwas könnte schief gehen. Ich gerate in eine furchtbare Depres- Ich bin enttäuscht, weil ich diesen Fehler sion. gemacht habe. Es wird immer schlimmer Wenn es mir gelingt, mich zu entspannen, wird der Schmerz erträglicher werden. Ich rutsche immer tiefer in die Depres- Wenn ich es nicht so tragisch nehme, sion. wird es besser. Ich muss zum Arzt Ein warmes Bad und ein paar Entspan- nungsübungen werden helfen. Ich muss wieder Antidepressiva neh- Am besten erledige ich etwas und ver- men. schaffe mir einen kleinen Erfolg. Ich muss mich schonen. Ich sollte wieder regelmässig schwimmen gehen. Ich bin ein Versager, nichts wert. Fehler machen alle, ist nicht schlimm. Ich habe sonst viel Positives erreicht. 15
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Wo ist die Grenze? E ine Gefahr des psychosomatischen Den- kens liegt darin, dass organische Stö- rungen, die behandelbar wären, als psy- sondern nur indirekt aus den Reaktionen (verzerrtes Gesicht, Muskelverspannung) ableiten. chisch beurteilt werden. Daraus erklärt Für den Patienten ist Schmerz ein Gefah- sich auch der Widerstand vieler Menschen rensignal. Was steht dahinter? Was muss gegen eine seelische Erklärung ihrer Be- man abklären? Was kann man tun? Die- schwerden. se Fragen sind vom Arzt Ernst zu nehmen. Schmerz ist eine Wahrnehmung, die Wenn aber eine gründliche Abklärung letztlich nur der Leidende beschreiben keine Ursache ergibt, so beginnt die Phase kann. Er lässt sich nicht objektiv messen, des Umdenkens (vgl. S. 17). Akuter Schmerz Signal Chronischer Schmerz Gefahr Interpretation: Verletzung / Störung? ? Reaktion: Klärung, Hilfe suchen ENDE Ja Ursache Nein klar Behandlung nach Keel möglich Schmerz geht vorbei Schmerz bleibt Physiotherapie Bei chronischen Rücken- und Nacken- Man geht nicht nur in die Physiothera- schmerzen kann die Physiotherapie einen pie, sondern man erlernt neue Muster der wichtigen Beitrag zur Schmerzbekämp- Bewegung. Dazu dienen Instruktionen für fung leisten. Allerdings geht es nicht nur ein Programm, das zuhause durchgeführt um passive Massage sondern um folgende werden kann. Schwerpunkte: Ganz allgemein wird das Wohlbefinden Haltungsschulung verbessert durch: Entlastungsstellungen Schulung des Körpergefühls Lockerung und Kräftigung Konditionstraining der Muskulatur Freude an Bewegung 16
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Therapieprogramm bei Rückenschmerz Zehn Schritte zu einem besseren Schmerzmanagement 1. Schaffen Sie eine positive Erwartungs- haltung bei Ihren Patienten. Bleiben Sie dabei aber realistisch. 2. Fokussieren Sie mehr auf die Funktion als auf die Schmerzen. Fragen Sie beispiels- weise «Was konnten sie tun?» anstatt «Wie stark sind die Schmerzen?». 3. Motivieren Sie die Patienten, aktiv zu bleiben und weiterzuarbeiten. Gestehen Sie ein, dass dies schwierig sein kann. 4. Schaffen Sie eine positive Kooperation zwischen Patient, Angehörigen, Arbeitge- ber und den Therapeuten. Polarisieren Sie nicht. 5. Stellen Sie klar, dass die Wahrschein- Lange Abwesenheit von der Arbeit birgt lichkeit, wieder arbeitsfähig zu werden mit die Gefahr der Entwöhnung von der Arbeit jedem Tag der Arbeitsunfähigkeit sinkt. und Gefahr des Stellenverlustes. 6. Werden Sie hellhörig, wenn Ihr Patient erst bei «vollständiger Heilung» wieder ar- Ziele der Therapie: beiten will. Nicht Schmerzfreiheit, sondern «Leben 7. Fördern Sie die Selbständigkeit und Ei- mit Schmerz». genverantwortung Ihrer Patienten. Aktivierung trotz Schmerz: Bela- 8. Geben Sie lieber zu, die genaue Ursache stungsschmerz ist ungefährlich. der Schmerzen nicht zu kennen, als speku- lative Erklärungen abzugeben. Absprache Unter den Behandlern: 9. Vermischen Sie körperliche Symptome Zusammenarbeit von Hausarzt, Spezi- nicht mit psychischen Problemen. Beden- alisten, Physiotherapeuten. ken Sie aber auch: Eine rein symptoma- Gleiche Ziele, Koordination der Infor- tische Therapie kann nicht helfen, wenn mationen und Massnahmen. psychische Probleme nicht angegangen werden. 10. Versuchen Sie den Patienten von Be- ginn an zu vermitteln, dass der Schmerz Ein integriertes Therapieprogramm bei beherrscht werden kann und dass auch mit chronischen Rückenschmerzen: Hinter- (leichten) Schmerzen ein normales Leben gründe, Prävention, Behandlung; ent- möglich ist. wickelt von Prof. Dr. med. Peter Keel. Eine Aktion der FMH (Schweizerische (nach Prof. H. Sprott, Ärztegesellschaft). Rheumaklinik Universitätsspital Zürich) 17
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK sonst kaum wahrnehmen, unmittelbar zu Wetterfühligkeit spüren. Das Nervensystem meldet die An- strengungen der Umstellung an das Gehirn weiter. Die Folge: Kopfschmerzen, Müdig- keit, mangelnder Konzentrationsfähigkeit und Schlafstörungen. Bei manchen Menschen können sich be- stehende Krankheiten so verstärken, dass sie zu einem quälendem Leiden werden. Insbesondere ältere Menschen, Herz- und Kreislaufkranke, Asthmatiker und chro- nische Bronchitiker reagieren empfindlich. Man geht aber davon aus, dass der Mensch nicht am Wetter erkrankt, sondern die Fä- higkeit verliert, durch eigentlich unmerk- liche Körperreaktionen mit den natürlichen Klimaveränderungen fertig zu werden. Psychische Reaktionen Wetterfühlige Menschen klagen über schlechte Laune, Antriebslosigkeit oder F öhn, Hitzewellen, drückende Luft, das plötzliche Einbrechen von Sommerge- wittern führen bei etwa 30 Prozent zu Reizbarkeit, obwohl sie sich körperlich ge- sund fühlen. Je schwieriger die aktuelle psycho-physische Situation eines Men- deutlichem Unwohlsein. Es handelt sich schen erscheint, desto stärker lässt er sich nicht um Einbildung, sondern um eine Re- durch bestimmte Witterungseinflüsse ir- aktion des Körpers auf atmosphärische ritieren. Umweltreize. Wir unterliegen ständig dem Allgemeine Wetterfühligkeit kann ein Einfluss von wechselnder Luftfeuchtigkeit, Hinweis auf schwelende Krankheitsherde Temperatur, UV-Strahlung, verändertem oder ungelöste seelische Spannungen sein. Luftdruck und Spherics. Körperliche Reaktionen Spherics Unser vegetatives Nervensystem nimmt Wetterreize oder plötzliche Luftdruckver- «Atmospherics» (Spherics) sind kurze änderungen wie eine Antenne auf. Unser elektromagnetische Impulse. Luftmas- Organismus reguliert dann über Blutkreis- sen reiben sich aneinander bis zur elekt- lauf und Stoffwechsel den notwendigen rischen Entladung. Vor Schlechtwetter- Temperaturausgleich, um die Kerntempe- oder Schönwetterfronten, wenn kalte und ratur von etwa 37 Grad zu halten. Erst wenn warme Luft aufeinander treffen und vor wir schwitzen, frieren oder zittern, nehmen Gewittern häufen sich die Spherics. Mit wir etwas von dieser Arbeit bewusst wahr. Lichtgeschwindigkeit eilen sie dem eigent- lichen Wettergeschehen voraus. Unser Wetterfühligkeit Körper ist Leiter für elektromagnetische Wir beginnen die eigentlich natür- Impulse und so führen Spherics bei emp- lichen Reaktionen des Körpers , die wir findlichen Personen zu den typischen Sym- ptomen. 18
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Kopfschmerzen N icht weniger als 71 Prozent der Bevöl- kerung leiden an Kopfschmerzen, 27.5 Prozent an Migräne und 38.3 Prozent an «Letzte Woche hatte ich häufig Kopf- Spannungskopfschmerzen, 5.6 Prozent an weh. Ich weiss nicht, war es der Wette- anderen Formen. Oft bestehen Migräne rumschwung, der Kälteeinbruch, oder und Spannungskopfschmerzen nebenei- die Mens. Ja, und dann habe ich mich nander. noch über eine freche Bemerkung mei- Viele Betroffene kennen die Auslöser für ner Tochter geärgert. Ich habe richtig ihre Kopfschmerzen. Insbesondere bei der gespürt, wie der Schmerz vom Nacken Migräne reichen oft kleine Reize, wie etwa hochkroch, und die ganze linke Kopfsei- Zigarettenrauch oder ein Glas Rotwein, um te zusammenzog!» einen Anfall auszulösen. Oft spielen auch seelische Spannungen mit. Psychosomatisch besonders bedeu- systematische Anamnese tungsvoll sind Auslöser wie Erwartung- − Beginn der Kopfschmerzerkrankung sangst, Entlastung nach Stress, Wochen- − Verschiedene Formen nebeneinander? ende oder innere Zyklen wie etwa die Mens − Häufigkeit und Dauer oder der Schlaf-Wach-Rhythmus. − Tageszeitliche Abhängigkeit − genauer Anfallsablauf Ursachen von Kopfschmerzen − Ankündigungszeichen Das Auftreten von Kopfschmerzen − Neurologische Begleitstörungen (Aura) wird bedingt durch eine Erniedrigung der − Besondere Eigenschaften / Lokalisation? Schmerzschwelle im Gehirn (vgl. S. 12). Die − Begleitsymptome des Kopfschmerzes Schmerzschwelle ist auch an anderen Tei- − Auslösefaktoren len des Körpers erniedrigt. − Verhaltensmassnahmen Bei der Migräne werden schmerzverstär- − Bisherige Behandlung kende und gefäßerweiternde Überträger- − Weitere Erkrankungen, Medikamente stoffe (Neurotransmitter) im Bereich der − Familienanamnese Hirnhäute und Blutgefäße des Kopfes frei- − Beruf und Lebensgewohnheiten gesetzt, die den Kopfschmerz verstärken. Kopfschmerz wird zum Notfall Der Schwerpunkt in diesem Heft liegt bei folgenden Symptomen: auf Spannungskopfschmerzen. Mehr In- − Hohes Fieber formation über Migräne findet sich in zahl- − Meningismus (steifer Nacken) reichen Büchern und auf vielen Internet- − Epileptische Anfälle seiten. − Erbrechen − Bewusstseinstrübung, Verwirrtheit − Mydriase (weite Pupillen) W eitere I nf o r m ati o nen : − Atmungsstörungen O. Sacks, Migräne. Rowohlt. A. Peikert: Migräne und Kopfschmerzen verstehen - behandeln - bewältigen. Trias. 19
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Spannungskopfschmerzen Kopfschmerzdauer − unbehandelt 30 Minuten bis 7 Tage; in 40 bis 60 Prozent tritt er episodisch auf, nur in 3 Prozent wird er chronisch. Schmerz- − drückend bis ziehend, nicht pulsierend charakteristika − übliche Aktivität nicht nachhaltig behindert (mind. zwei) − beidseitiger Kopfschmerz − körperlicher Aktivität verstärkt Kopfschmerz nicht Weitere Bedingungen − keine Übelkeit − kein Erbrechen − von folgenden zwei Symptomen max. eines: Lichtüberempfidlichkeit, Lärmüberempfindlichkeit Attackenzahl − zehn vorangegangene Attacken − weniger als 15 Kopfschmerztage pro Monat Therapie Nichtmedikamentöse Therapieverfah- Spannungskopfschmerzen sprechen nur ren (wie etwa Entspannungsübungen, ein unvollständig auf Medikamente an. Meist Bad, Massage etc.) sind deshalb elementar. wird nur eine Verminderung der Kopf- Moderne Migränemittel blockieren die schmerzintensität von 30 − 50% erreicht. Freisetzung und Wirkung der schmerz-ver- Starke Analgetika wie Opioide sind nicht stärkenden Neurotransmitter an den Ge- wirksam, oft jedoch «ganz normale» Mit- fässen im Gehirn. tel wie Aspirin oder Paracetamol. Auch An- Gibt man solche spezifischen Medika- tidepressiva können helfen, weil sie die mente, so sollten diese langsam einschlei- Schmerzschwelle heraufsetzen. chend dosiert werden. Dabei ist auch die Information über Nebenwirkungen we- sentlich. Medikamenteninduzierter Dauer- kopfschmerz Häufiges oder täglich konstantes Auf- treten von Kopfschmerzen, die verschlech- tert oder induziert werden durch die re- gelmässige Einnahme von Schmerzmitteln und/oder spezifischen Migränemitteln. Die einzige Möglichkeit, den medika- menteninduzierten Dauerkopfschmerz zu behandeln, ist der Medikamentenentzug! Um Rückfall in die häufige Medikamen- teneinnahme zu verhindern, ist nach Ent- zug regelmässige Nachbetreuung notwen- dig. 20
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Herzbeschwerden Sitz der Gefühle Psychosomatik des Herzens Das Herz ist das zentrale Organ unseres «Das bricht mir das Herz.» Körpers. Auch wenn wir heute wissen, dass «Das wärmt mein Herz.» es in erster Linie als Pumpe für die Vertei- «Eine Herzensangelegenheit» lung des Blutes im Körper zuständig ist, so zeichnen wir nach wie vor ein Herz, wenn Was spricht gegen Herzinfarkt? wir von Liebe sprechen. Das Herz ist seit jugendliches Alter (zwischen 30 und Jahrtausenden der Sitz der Gefühle. 45) normales EKG «Herzangstneurose» vegetative Begleitsymptome So nannte man früher Angststörungen, Stress, Verlusterlebnisse, Trennungs- bei denen die Angst um das Herz im Mit- ängste. telpunkt steht. Angst verursacht nicht die drängendes, dramatisches Verhalten. Aussenwelt, sondern die Innenwelt des Körpers: Angst vor einem Herzinfarkt, Begleitsymptom bei Stress Angst vor einer anderen Herzkrankheit, und Depression oder Angst, «das Herz könnte stehen blei- Ein Druckgefühl auf der Brust oder ein ben.» Stechen in der Herzgegend wird oft bei Wenn eine Person in der Angst einen Stress und Depression beklagt. Die Be- Schmerz auf dem Herzen und Herzrasen schwerden sprechen auf Tranquilizer an verspürt, so wird dies oft von weiteren ve- und gehen mit der allgemeinen Besse- getativen Beschwerden begleitet (Schwit- rung zurück. Eine Patientin erlebte diese zen, Mundtrockenheit, kalte Hände und Beschwerden als «eiserne Faust, die nach Füsse). meinem Herzen greift.» Dies löst ein Alarmgefühl aus: Die Be- troffenen suchen den Arzt auf, lassen ein EKG anfertigen, klammern sich an Bezugs- personen an, geraten in Panik bis hin zu Hy- «Meine Arbeit ist mir einfach zu an- perventillation oder Ohnmacht. strengend geworden. Dazu kommt noch der Haushalt, die Kinder, mein Mann. Angst vor Trennung Aber mein Chef ist so ehrgeizig, der zeigt Es kommt zu einer Dramatik, häufig kein Verständnis. In den letzten Wochen in Situationen, wo sich eine Person davor litt ich immer mehr an Erschöpfung. fürchtet, allein gelassen zu werden, bei Jeden Morgen hatte ich Angst, wie es Trennungen und Verlusten. Ängste können wohl gehen wird. Und dann kam dieser auch dann ausgelöst werden, wenn ein Be- Zusammenbruch: Ich kriegte keine Luft kannter an einem Herztod gestorben ist. mehr, mein Herz raste und ich hatte Der Angstanfall kann dazu führen, dass ernsthaft Angst vor einem Herzinfarkt. Angehörige um das Leben der betroffenen Ich war panisch. Die Untersuchung in Person fürchten. Oft entsteht eine dra- der Poliklinik zeigte aber ein normales matische Abhängigkeit. «Ich kann meine EKG. Dieser Stress macht mich krank!» Mutter nicht allein lassen, sonst geht es (eine Chefsekretärin) ihr schlecht!» 21
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Hypochondrie / Gesundheitsängste Symptomatik he von Ärzten aufgesucht («doctor-shop- Im Vordergrund steht bei der Hypochon- ping»); in manchen Fällen unterziehen sich drie die anhaltende Befürchtung, an einer die Betroffenen sogar risikoreichen opera- schweren körperlichen Erkrankung zu lei- tiven Eingriffen, von denen sie sich Hin- den. Normale körperliche Erscheinungen weise auf die Ursache ihrer Beschwerden oder minimale somatische Veränderungen, erhoffen. wie z.B. leicht erhöhter Puls beim Treppen- Generell ist die Abgrenzung zu ande- steigen, vorübergehende Verdauungsbe- ren somatoformen Erkrankungen schwie- schwerden werden als krankhaft einge- rig. Am ehesten lässt sich sagen, dass bei schätzt und als Belege für diese Krankheit der Hypochondrie das Hauptmerkmal die angesehen. Furcht vor einer Krankheit ist, während Auch ergebnislose medizinische Unter- bei den anderen Störungen das körperliche suchungen können den Betroffenen nicht Symptom selbst im Vordergrund steht. von dieser Überzeugung abbringen. Feh- lende Untersuchungsergebnisse werden Entwicklung von den Betroffenen meist als Anzeichen Vor dem Ausbruch der Erkrankung sind dafür gesehen, dass sie an einer bisher un- die Betroffenen meist mit Informationen bekannten Krankheit leiden oder dass der über Krankheiten in Kontakt gekommen, Arzt sich irrt. z.B. dadurch, dass eine Person aus dem Um- In der Folge werden oft eine ganze Rei- feld schwer erkrankt ist. Oft besteht schon vor Krankheitsbeginn eine hohe psycho- physiologische Reaktivität, d.h. zum Bei- spiel, dass sie auf Reize besonders schnell mit erhöhtem Herzschlag reagieren. Oft wird im Vorfeld über vermehrten Stress oder anstehende Veränderungen berichtet. Unter diesen Umständen führt die Wahrnehmung körperlicher Erschei- nungen, wie unregelmäßiger Herzschlag, Schwindelgefühle, Verdauungsprobleme oder Kopfschmerzen, die als vorüberge- hende Beschwerden völlig normal sind, zu der Annahme, dass diese Symptome Zei- chen einer schweren Erkrankung sind. Die Betroffenen beobachten nun ihr kör- perliches Befinden sehr genau. Hypochon- drische Patienten neigen dazu zu «kata- strophisieren», d.h. Ereignisse extrem ne- gativ zu bewerten. So sehen sie die wahr- genommenen Symptome nicht als die ein- zelnen Beschwerden, die sie sind, sondern als Zeichen einer schweren Erkrankung. 22
DR . SA MUEL PFEIFER : P S YCHOSOM AT IK Magen-Darm-Störungen A m wohlsten fühlen wir uns, wenn unser Verdauungssystem seinen Dienst still und leise im Hintergrund tut, ohne dass «Letzthin hatte ich Streit mit meiner wir etwas davon spüren. Mutter. Ständig kritisiert sie mich, weil Dabei handelt es sich um ein hochkom- ich meine Kinder nicht richtig erziehe. plexes System, das aus einer leckeren Piz- Ihre Vorwürfe tun mir weh. Ich werde za all diejenigen Bausteine des Lebens he- verspannt und kann nicht mehr richtig raus holt, die unser Körper zum Funktionie- schlafen. Mein Magen krampft sich zu- ren und unser Gehirn zum Denken braucht. sammen und ich fühle mich ständig ge- Wir können nur klar denken und uns am Le- bläht.» ben freuen, wenn unsere Eingeweide klag- los ihre Aufgabe erfüllen. Besonders faszinierend: Im «zweiten Gehirn» spielt der gleiche Neurotransmit- Das Reizdarm-Syndrom ter eine Rolle, der im Gehirn bei einer De- Wenn sich aber die Därme verkrampfen pression aus dem Gleichgewicht gerät: das und eine Person imperativ auf die Toilet- Serotonin. te rufen, dann vergehen Lebensfreude und Dies erklärt, weshalb Antidepressiva klares Denken. Das Leben reduziert sich auf nicht nur auf die Psyche, sondern auch den Bauch, der ein unheimliches Eigenle- auf die Verdauung positive Auswirkungen ben entwickelt. haben können (allerdings auch Nebenwir- Funktionelle Magen-Darmstörungen kungen!). liegen vor, wenn sich beim Verdauen der Rhythmus der Darmbewegungen verän- dert, Enzyme nicht in der richtigen Dosie- rung ausgeschüttet werden, Darminhalt nicht mehr mit der richtigen Menge Flüs- sigkeit versetzt wird. Die Folgen: unange- nehme Krämpfe, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung und letztlich eine deutliche Einschränkung des Wohlbefindens; nicht selten führen sie auch zu Arbeitsausfällen. Etwa 15 – 20 Prozent der Bevölkerung leiden an einem «Colon irritabile» oder «Reizdarmsyndrom». Das zweite Gehirn im Bauch Neue Forschungen haben gezeigt, dass für die Steuerung der Verdauung ein «zweites Gehirn» zuständig ist. Mit feins- ten Fasern durchdringt es alle Organe und koordiniert die komplexe Aufgabe der Ver- dauung. In unserem Bauch haben wir mehr Nervenmasse als im Gehirn! 23
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