RE:THINKING Diversity' in Publishing - Dr. Anamik Saha Dr. Sandra van Lente - Spread the Word

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RE:THINKING Diversity' in Publishing - Dr. Anamik Saha Dr. Sandra van Lente - Spread the Word
RE:THINKING
         ‚Diversity’ in
           Publishing
           Diversität neu denken!
Der britische Buchmarkt im Fokus

                  Dr. Anamik Saha
             Dr. Sandra van Lente
    Goldsmiths, University of London
Rethinking ‚Diversity’ in Publishing

      Anmerkungen der Übersetzerin
      An mehreren Stellen in der Diskussion über Diversität und      Linie um Erfahrungen und in keiner Weise um biologische
      bei der Übersetzung des englischen Texts wurde deutlich,       Gemeinsamkeiten.“ (Ogette, 77) Weiß ist kursiv gesetzt,
      dass sich vieles nicht 1:1 aus dem Englischen übersetzen       um zu betonen, „dass es sich um eine politische Beschrei-
      lässt. Einige Begriffe haben keine genaue Entsprechung         bung und nicht eine Farbbezeichnung handelt“ (Ogette,
      im Deutschen und/oder haben nicht dieselbe Entwick-            14). Als Adjektiv wird es klein geschrieben.
      lung vollzogen. Autorinnen und Aktivistinnen wie Noah
                                                                     Race: Es gibt im Deutschen keinen äquivalenten Begriff.
      Sow, Tupoka Ogette und Alice Hasters haben das bereits
                                                                     Das deutsche Wort „Rasse“ kann mit race in keinem Fall
      ausführlich in ihren Büchern erörtert, auch Organisati-
                                                                     gleichgesetzt werden. In diesem Bericht wird daher der
      onen wie die Neuen deutschen Medienmacher*innen
                                                                     englische Begriff race verwendet, um zu verdeutlichen,
      weisen in ihren Publikationen darauf hin und machen
                                                                     dass es um das gesellschaftliche Konstrukt von Differenz
      konstruktive Vorschläge. Zusammenfassend finden Sie
                                                                     geht.
      hier einige Anmerkungen zu den in diesem Bericht ver-
      wendeten Formulierungen.                                       Englische Begriffe: Zum Teil werden englische Begriffe
                                                                     verwendet oder in Klammern eingefügt, wenn dadurch
      ‚BAME‘: Im englischen Originaltext wird die Bezeichnung
                                                                     eine genauere Beschreibung bzw. ein Erkenntnisgewinn
      ‚BAME‘ verwendet, die im Englischen für Black, Asian and
                                                                     entsteht, wie beispielsweise bei racial and ethnic identities.
      Minority Ethnic steht. Der Begriff ist umstritten, da er der
      Vielfalt der spezifischen Erfahrungen nicht gerecht wird       Anonymisierung: Alle Interviewten wurden anonymi-
      und verschiedene Differenzkategorien (racial and ethnic        siert. Bei weißen Interviewten werden Beruf und weitere
      difference) undifferenziert zusammenfasst. Allerdings          Merkmale genannt, jedoch musste für BIPoC Interviewte
      betont ‚BAME‘ die Rolle der British Asian Community, die       auf alle weiteren Beschreibungen verzichtet werden, um
      wiederum in anderen Bezeichnungen fehlt. Der Begriff           ihre Identitäten zu schützen, da es bisher nur sehr wenige
      wird in der britischen Literaturbranche häufig verwendet,      in die Verlagshäuser, Agenturen etc. geschafft haben. Zur
      weniger allerdings als Selbstbezeichnung. In Anlehnung         weiteren Anonymisierung der BiPoC Gesprächspartnerin-
      an die Arbeit von Aktivist*innen in Deutschland habe           nen und Gesprächspartner wird an den entsprechenden
      ich mich bei der Übersetzung für die Selbstbezeichnung         Stellen ausschließlich die weibliche Form verwendet.
      BIPoC entschieden.                                                                                     Dr. Sandra van Lente
      BIPoC: Black, Indigenous and Person/People of Colour           Literaturangaben:
      „beschreibt Schwarze und indigene Menschen und deren
      bestimmte Diskriminierungserfahrungen mit besonde-             •   Otoo, Sharon Dodua. 2020. „Dürfen Schwarze Blumen
      rem Fokus darauf, dass Schwarze und indigene Menschen,             malen?“ Klagenfurter Rede zur Literatur 2020. Klagen-
      im Gegensatz zu vielen anderen People of Colour, nie als           furt: Edition Meerauge.
      weiß gelten oder angesehen werden“ (Hasters, 212). Wie
                                                                     •   Hasters, Alice. 2020 (8. Aufl.). Was weiße Menschen
      Alice Hasters weiter schreibt, gibt es im Deutschen „noch
                                                                         nicht über Rassismus hören wollen. Aber wissen sollten.
      kein geläufiges Wort für nicht-weiße Menschen, das nicht
                                                                         München: hanserblau.
      beleidigend oder defizitär klingt“ (Hasters, 31) – daher
      weiche ich auf die von vielen Aktivist*innen verwendete        •   Neue deutsche Medienmacher*innen. 2020. Glossar.
      Formulierung BIPoC aus.                                            https://www.neuemedienmacher.de/wissen/wor-
      Schwarz und weiß: Schwarz ist eine politische Selbstbe-            ding-glossar/ (seit 2011 immer weiter überarbeitet)
      zeichnung und wird daher groß geschrieben – wie nicht          •   Ogette, Tupoka. 2020 (8. Aufl.). exit RACISM. rassismus-
      zuletzt Sharon Dodua Otoo in ihrer Rede zum Bachmann-              kritisch denken lernen. Münster: Unrast.
      preis 2020 erklärte. „Der Begriff ist der Versuch auszudrü-
      cken, welche sozialen Gemeinsamkeiten aus dem Kon-             •   Sow, Noah. 2018 (akt. Aufl.). Deutschland Schwarz
      strukt Rassismus entstanden sind. Es geht also in erster           Weiß. Der alltägliche Rassismus. Norderstedt: BoD.
Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung                                      2
Vorwort von Bernardine Evaristo                      4
Kommentar von Spread the Word                        6
Kommentar von The Bookseller                         7
Einleitung                                           8
Der Akquiseprozess und BIPoC Autor*innen            12
RETHINK: Meritokratie und das ‚Qualitätsargument’   17
RETHINK: Die Kunst des Comping                      19
Marketing und PR für BIPoC Autor*innen              21
RETHINK: Die Buchcover von BIPoC Autor*innen        26
RETHINK: Literaturfestivals                         28
BIPoC Autor*innen im Vertrieb und Verkauf           30
Fazit und Empfehlungen                              36
Diversität neu denken – und jetzt handeln           40
Anhang                                              42
Danksagungen                                        43
Über uns                                            43
Impressum                                           44
Rethinking ‚Diversity’ in Publishing

      Zusammenfassung
      Rethinking ‚Diversity’ in Publishing ist die erste, detaillierte       gelegt wird. Ziel dieses Projektes war auch, Diversität neu
      wissenschaftliche Studie über den britischen Buchmarkt.                zu denken, indem die Diskussion von der reinen Anzahl
      Das Projekt ist eine Zusammenarbeit zwischen Golds-                    von BIPoC Angestellten hin zu der Art und Weise ihrer Er-
      miths, University of London, der Londoner Literaturför-                fahrungen als Erfahrung von Minderheiten, insbesondere
      deragentur Spread the Word und dem Branchenmagazin                     von BIPoC Autor*innen, in den Blick genommen wurde.
      The Bookseller. Es wurde finanziert vom Arts and Huma-                 Das Projekt untersucht, wie Bücher von BIPoC Autor*in-
      nities Research Council. Im Rahmen des Forschungspro-                  nen verlegt und vermarktet werden und spiegelt die
      jekts wurden qualitative Interviews mit den folgenden                  Ergebnisse zurück an die Beteiligten im Buchmarkt, um
      Gesprächspartner*innen geführt:                                        strukturelle Probleme sichtbar zu machen.
      •   113 Angestellte und Selbständige im Buchmarkt;
                                                                             Die Ergebnisse
      •   Autor*innen, Literaturagent*innen, CEOs und Ge-
                                                                             Grundsätzliches
          schäftsführer von imprints, Lektor*innen, Designer*in-
          nen, Marketing- und PR-Expert*innen, Vertriebs-                    •   Vorgefertigte Annahmen über das Publikum: Die
          mitarbeiter*innen, sowie Buchhändler*innen und                         Kernzielgruppe der britischen Verlage ist weiß und
          Organisator*innen von Literaturfestivals;                              middle-class. Der ganze Buchmarkt ist im Prinzip
                                                                                 darauf ausgerichtet, dieses Publikum zu bedienen.
      •   Teilnehmer*innen aus großen und kleinen Verlagshäu-
                                                                                 Das hat einen Effekt darauf, wie mit BIPoC Autor*innen
          sern, Literaturagenturen und Buchhandlungen. Alle
                                                                                 und ihren Büchern umgegangen wird: um diesem
          großen britischen Verlage haben am Projekt teilge-
                                                                                 Segment zu gefallen, wird entweder ihre Ethnizität
          nommen.
                                                                                 verborgen oder die Autor*innen werden exotisiert.
      Die Interviewten wurden zu ihrer Arbeit und ihren Er-
                                                                             •   Unvermögen, ein vielfältiges Publikum anzuspre-
      fahrungen im Verlegen und Verkaufen von Büchern von
                                                                                 chen: Verleger*innen behaupten, sie würden gerne
      BIPoC (Black, Indigenous, People of Colour) Autor*innen
                                                                                 vielfältigere Leser*innen ansprechen, wissen aber
      befragt.
                                                                                 nicht wie – oder sie sind nicht bereit, dafür Zeit und
      Der Fokus des Forschungsprojekts lag auf den folgenden                     Geld zu investieren.
      Phasen: 1) Talentsuche und Akquise, 2) Marketing und PR,
                                                                             •   BIPoC und working-class Leser*innen werden von
      3) Vertrieb und Verkauf. Die vorliegende Studie unter-
                                                                                 Verlagen sowohl ökonomisch als auch kulturell
      sucht die Auswirkungen auf BIPoC Autor*innen in jeder
                                                                                 nicht wertgeschätzt. Das beeinflusst die Akquise,
      dieser Phasen.
                                                                                 Bewerbung und den Verkauf von Büchern von BIPoC
                                                                                 Autor*innen.
      Das Problem
                                                                             Talentsuche und Akquise-Prozess
      Die britische Literaturbranche gesteht sich ein, dass sie
      ein Problem mit Diversität hat. Verlage erkennen, dass ins-            •   Fehlende Kreativität bei der Suche nach Autor*in-
      besondere BIPoC Autor*innen schon seit langem ausge-                       nen: Literaturagent*innen hätten gerne mehr BIPoC
      grenzt werden. Während Verleger*innen gerne vielfältiger                   Autor*innen auf ihren Listen, berichten aber von Pro-
      publizieren möchten, scheint es für sie immer noch eine                    blemen, sie zu finden. Während eine junge Generation
      Herausforderung zu sein, BIPOC Autor*innen zu finden                       von Agent*innen neue Strategien entwickelt, wird es
      und erfolgreich zu verlegen.                                               einige Zeit dauern, bis diese Früchte tragen. Alteinge-
                                                                                 sessene Agent*innen neigen dazu, ihre traditionellen
      Das Projekt und das Ziel                                                   Netzwerke zu bemühen, die nicht das gesamte Spekt-
      Das Forschungsprojekt arbeitet zu den Hindernissen, mit                    rum der Autor*innen abbilden.
      denen BIPoC Autor*innen im Buchmarkt konfrontiert                      •   ‚Qualitätsverständnis‘: Verleger*innen möchten
      werden, wobei der Fokus auf literary fiction (etwa ‚Romane                 gerne mehr BIPoC Autor*innen verlegen, zeigten sich
      mit literarischem Anspruch‘), Krimis und Jugendliteratur                   aber besorgt, dass die Qualität darunter leiden könnte.

                                                                         2
Zusammenfassung

    Argumente, die sich um Qualität drehen, schienen                  Nachteil sein, insbesondere wenn den Entscheidun-
    jedoch oftmals vorgeschoben. Außerdem reflektierten               gen sehr enge Vorstellungen über die Buchkäufer*in-
    die Verleger*innen/Entscheider*innen zu wenig über                nen zugrunde liegen.
    das Zustandekommen ihres eigenen Qualitätsver-
                                                                  •   Beschränktes bzw. enges Verständnis der Zielgrup-
    ständnisses sowie das Ausmaß, inwiefern dieses vom
                                                                      pe: Sowohl unabhängige Buchläden als auch Buch-
    sozioökonomischen Hintergrund und der Bildungs-
                                                                      handlungsketten tendieren immer noch dazu, ein
    biographie beeinflusst ist.
                                                                      weißes middle-class Publikum anzuziehen, was sich
•   Angst vor ‚Nischendasein‘: Im Akquise-Prozess wur-                auch in der Ästhetik der Läden widerspiegelt.
    de deutlich, dass einige Verlage vermuteten, Bücher
                                                                  •   Supermärkte können mehr leisten: Supermärkte
    von BIPoC Autor*innen könnten zu ‚nischenhaft‘ sein
                                                                      könnten ein diverseres Publikum erreichen, aber sie
    und somit die Kernzielgruppe nicht ansprechen. Dies
                                                                      verkaufen nur ein sehr limitiertes Sortiment. Bücher
    hatte Auswirkungen auf die Auswahl der betroffenen
                                                                      von BIPoC Autor*innen werden als Nischenprodukte
    Autor*innen und den Umgang mit ihnen.
                                                                      wahrgenommen.
•   Comping-Praktiken, also die Praxis Manuskripte
                                                                  •   Undurchsichtiges Online-Geschäft: Online-Verkaufs-
    mit anderen Büchern zu vergleichen, um Prognosen
                                                                      plattformen könnten ebenfalls ein breiteres Publikum
    für Verkaufszahlen und Zielgruppen zu erstellen,
                                                                      ansprechen. Jedoch empfinden Verlage den Prozess
    stellen ein weiteres Hindernis dar. So kreativ man
                                                                      unter anderem deswegen als undurchsichtig, weil die
    damit umgehen kann, werden auf diese Weise Bücher
                                                                      Plattformen ihre Parameter jederzeit ändern können,
    bevorzugt, die bestimmte Muster bedienen und/oder
                                                                      ohne dabei offenzulegen, welche Auswirkungen das
    von bereits etablierten Autor*innen stammen, was es
                                                                      auf die Algorithmen hat.
    wiederum für ‚neue Stimmen‘ schwieriger macht.
Marketing und PR                                                  Handlungsempfehlungen
•   Fehlende Kreativität bei der Werbung: Kommunika-              Diversität neu zu denken, ist sicher der erste Schritt, aber
    tionsabteilungen konzentrieren ihre Bemühungen auf            Taten müssen folgen. Dieser Bericht fordert die Akteur*in-
    traditionelle Kanäle, beispielsweise landesweite Zei-         nen der Literaturbranche dazu auf, ihre Praktiken zu re-
    tungen und BBC Radio 4, die nur von einem kleinen             flektieren, ihre vorgefertigten Annahmen zu hinterfragen
    Teil der Bevölkerung konsumiert werden.                       und ihr Verhalten zu verändern, um den Buchmarkt fairer
                                                                  für alle zu machen. Wir fordern Verlage, Agenturen und
•   Fehlendes Bewusstsein: Während es ein gewisses
                                                                  Buchhandlungen dazu auf:
    Bewusstsein für neue Medien – insbesondere digitale
    Medien – gibt, die bisher vom Mainstream vernachläs-          •   Bringen Sie BIPoC Leser*innen mehr Wertschät-
    sigte Zielgruppen ansprechen, werden diese Medien                 zung entgegen und binden Sie sie in Ihre Kommu-
    immer noch als ‚nischenhaft‘ betrachtet. Verlage arbei-           nikation mit ein. Um den Buchmarkt vielfältiger zu
    ten mit solchen Medien oft nur am Rande zusammen                  machen, müssen Verleger*innen lernen, auch Le-
    und setzen sie nicht in den Mittelpunkt ihrer Kampa-              ser*innen zu schätzen, die weder weiß noch midd-
    gnen.                                                             le-class sind.

•   Begrenzten Ressourcen: Eine beschränkte Vor-                  •   Stellen sie vielfältigere Menschen ein. Mehr Men-
    stellung von Zielgruppen erschwert den Erfolg von                 schen aus marginalisierten Gruppen einzustellen,
    Büchern von BIPoC Autor*innen, da Arbeitszeit und                 kann Verlagen helfen, ein neues Publikum zu erschlie-
    Geld in der Kommunikation je nach Erfolgserwartung                ßen – aber nur, wenn die neuen Mitarbeiter*innen die
    auf die verschiedenen Bücher verteilt werden.                     dafür benötigten Freiheiten und Ressourcen bekom-
                                                                      men und nicht dazu gezwungen werden, für ihre
•   Selbstzufriedenheit: Verlage hoffen, dass Bücher
                                                                      jeweiligen communities zu sprechen.
    auch BIPoC Leser*innen erreichen, aber BIPoC oder
    working-class-communities werden nur selten proaktiv          •   Entwickeln Sie strategische Partnerschaften: Es gibt
    angesprochen.                                                     bereits ein Netzwerk von Literaturförderagenturen
                                                                      und Audience-Engagement-Expert*innen, die Verlage
Vertrieb und Verkauf
                                                                      nutzen können, um neue Zielgruppen zu erschließen.
•   Wenige Menschen in Entscheidungspositionen: Der                   Verlage müssen langfristige Beziehungen mit die-
    Bucheinkauf ist in Großbritannien stark zentralisiert;            sen Organisationen aufbauen, um talentierte BIPoC
    die Entscheidung welche Bücher im Handel sichtbar                 Autor*innen zu finden und ihnen dabei zu helfen sich
    sind, liegt in der Hand von sehr wenigen Menschen.                weiterzuentwickeln, ihre Bücher zu verlegen sowie sie
    Für die Bücher von BIPoC Autor*innen kann das ein                 mit ihren Leser*innen zusammenzubringen.

                                                              3
Rethinking ‚Diversity’ in Publishing

                                           Vorwort
                                           von Bernardine Evaristo
                                           Alle Jahre wieder wird plötzlich der dringliche Ruf
                                           nach einem Bericht über die Abwesenheit von People
                                           of Colour in der Literaturbranche in allen Bereichen
                                           von Verleger*innen bis Festival-Kurator*innen laut.
                                           Entsprechend regelmäßig treten dann diejenigen auf
                                           den Plan, die behaupten, diese Abwesenheit gäbe
                                           es gar nicht, und dann mit einigen wenigen Namen
                                           berühmter Autor*innen wedeln, um zu ‚beweisen‘, es
                                           gäbe gar kein Problem. Diese wenigen berühmten
                                           Namen dienen allerdings nur dem Zweck, unsere
                                           allgemeine Unterrepräsentation im Buchmarkt zu
                                           verschleiern. In den letzten Jahren sind zahlreiche Be-
                                           richte erschienen darunter In Full Colour (2004)1, Free
                                           Verse (2005)2, den ich mitinitiiert habe und der sich
                                           mit dem Lyrik-Markt auseinandersetzt, und schließlich
                                           Writing the Future (2015)3 and Freed Verse (2017)4. Mit
                                           Rethinking ‚Diversity’ in Publishing erklingt erneut ein
                                           Weckruf an eine Branche, die es trotz allen Wohlwol-
                                           lens nicht schafft, sich schnell genug zu verändern
                                           und gerechter zu werden.
                                           Es ist frustrierend auf diesen Seiten zu lesen, dass Ver-
                                           lage immer noch überwiegend von derselben weißen
                                           Mittelschicht geleitet werden wie schon vor Jahren;
                                           und dass sich die Vorstellung der Zielgruppe immer
                                           noch um weiße Frauen mittleren Altern dreht, die
                                           angeblich nicht genug Phantasie besitzen, sich auf die
                                           Perspektiven von People of Colour einzulassen – was
                                           einfach nur falsch ist.
                                           Zudem kommt noch der fehlgeleitete Glaube, dass
                                           Schwarze und Asian Menschen nicht den Großteil der
                                           Leser*innenschaft ausmachen, oder es wird sogar
                                           angenommen, dass sie überhaupt keine Literatur
                                           lesen – und das im 21. Jahrhundert! All das ist schon
                                           lächerlich genug, aber es kommt noch schlimmer:
                                           Statt sie als Bücher mit universeller Anziehungskraft
                                           zu schätzen, gelten Bücher von writers of colour für
                                           viel zu viele Akteur*innen im Buchmarkt als Nischen-
                                           produkte, obwohl es so viele Ausnahmen gibt, die das
                                           Gegenteil beweisen.
                                           Als mein Roman Mr Loverman 2013 herauskam, wurde
                                           mir gesagt, dass er von einigen Akteur*innen im

                                       4
Vorwort von Bernardine Evaristo

Buchmarkt negativ aufgenommen und gleich in drei-            Ich hoffe, dass all diejenigen, die diesen Bericht lesen
erlei Hinsicht als Nischenprodukt abgestempelt wur-          müssten, sich die Empfehlungen zur Messung von
de, da der Protagonist ein älterer, schwuler Schwarzer       Diversität, Zielgruppen, Qualitätsverständnissen, Ein-
Mann ist. Was für ein Weltbild steckt dahinter? Dass         stellungspraktiken und Partnerschaften aufmerksam
‚Weiß-Sein‘ das Nonplusultra und einzig Heteronorma-         durchlesen und zu Herzen nehmen. Ich hoffe auf eine
tivität akzeptabel ist? Und ältere Menschen verbannen        Zeit, in der solche Berichte nicht mehr notwendig sein
wir lieber gleich aus unseren Büchern, denn wer inter-       werden, weil sich Verlagswesen und Buchmarkt dahin
essiert sich schon für solch unwichtige Menschen? Die        entwickelt haben werden, dass sie unsere vielfältige
Wahrheit ist, dass gute Literatur von allen Menschen         Gesellschaft reflektieren; dass in Verlagen auf allen
genossen werden kann, egal worum sie sich dreht.             Ebenen, insbesondere bei den Führungspositionen,
Literatur durchdringt alle vermeintlichen Unterschie-        echte Chancengleichheit und Gerechtigkeit herrschen
de und Barrieren. Das ist zumindest teilweise gerade         und die Programme eine große Palette von Autorin-
Sinn der Sache.                                              nen und Autoren widerspiegeln und niemanden mehr
                                                             ausschließen. Dann – und nur dann – können wir
Ich arbeite seit den 1980er Jahren professionell im
                                                             sagen, dass wir angekommen sind.
Kulturbereich, einer Dürrezeit, als unsere Bücher noch
nicht veröffentlicht waren. Seitdem haben einige Ent-
wicklungen dazu beigetragen, dass wir im Buchmarkt
                                                                                              Bernardine Evaristo
stärker repräsentiert sind. Einige der Veränderungen                    Autorin und Professorin für Creative Writing,
wurden von Verlagen initiiert, doch die Vielzahl wurde                                   Brunel University, London
von Aktivistinnen und Aktivisten vorangetrieben. Es
hat seitdem einige Fortschritte gegeben, also ist nicht      Quellenangaben
alles restlos verloren.                                      1.   Kean, Danuta. 2004. In Full Colour: Cultural
In den letzten paar Jahren haben britische writers of             Diversity in Publishing Today. London: Bookseller
colour erfolgreich Einzug in die Welt der Sachbücher              Publications. https://content.yudu.com/web/
gehalten und eine beachtliche Menge an Büchern                    1vcls/0A1xp12/InFullColour2004/index.html
rund um Kultur, gender, race, Identität und class veröf-     2.   Spread the Word. 2005. Free Verse: Publishing
fentlicht. Doch wie viele Romane wurden im letzten                Opportunities for Black and Asian Poets.
Jahr von Schwarzen britischen Männern veröffent-                  www.spreadtheword.org.uk/free-verse-report/
licht? Mir fällt einer ein. Wie viele von Schwarzen briti-
schen Frauen? Ich komme auf acht. Diese Zahlen sind          3.   Spread the Word. 2015. Writing the Future: Black
erschütternd und zeigen uns, wie weit der Weg noch                and Asian Writers and Publishers in the UK Market-
ist, um wirklich ein fester Bestandteil des britischen            place. www.spreadtheword.org.uk/writing-the-
Buchmarkts zu werden. Da ich fest an das Mantra „für              future/
die Vielen, nicht die Wenigen“ („for the many not the        4.   Teitler, Nathalie (ed.). 2017. Freed Verse. Diversity in
few“) glaube, denke ich, dass mein kürzlicher Erfolg              British Poetry 2005-2017.
beim Booker Prize nur dann von Bedeutung sein wird,
wenn er die Türen für andere writers of colour aufstößt,
insbesondere für solche, die ihre eigenen kreativen
Wege gehen und nicht nur reproduzieren, was es
bereits gibt.

                                                              5
Rethinking ‚Diversity’ in Publishing

      Kommentar von

      Spread the Word
      Spread the Word begrüßt dieses Forschungsprojekt.                Publikum aufbauen und dieses dann auch erreichen
      Rethinking ‚Diversity’ in Publishing beleuchtet eindring-        kann. Und auf dem Makrolevel benötigen wir branchen-
      lich eine Vielzahl von Problemen im Herzen der Litera-           übergreifend mehr Transparenz, um Veränderungen
      turbranche und nimmt einige der besonders besorgni-              nachvollziehen zu können, wie beispielsweise regel-
      serregenden Aspekte, die unser Writing the Future Report         mäßigen Erhebungen von Büchern britischer BIPoC
      (Spread the Word, 2015) angesprochen hat, stärker in             Autor*innen in Erzähl- und Sachtexten für Erwachsene.
      Augenschein. Das neue Forschungsprojekt setzt sich
                                                                       Wir begrüßen, dass Rethinking ‚Diversity‘ erneut den
      mit vorgefertigten Annahmen über Qualität, Risiko und
                                                                       Fokus auf die existierende Ungleichbehandlung legt und
      fehlendes Interesse auseinander, das mit BIPoC Autor*in-
                                                                       der Literaturbranche einen erneuten Impuls gibt, sich
      nen assoziiert wird, und hinterfragt den Tunnelblick der
                                                                       mit dieser auseinanderzusetzen und dann neu zu ge-
      Branche in Bezug auf ihre intendierten Leser*innen.
                                                                       stalten, wie wir miteinander zusammenarbeiten können
      Bei allen Problemen, die nach wie vor bestehen, ist unser        – zum Nutzen aller Autor*innen und Leser*innen. Wir
      Eindruck, dass sich seit 2015 tatsächlich vieles verändert       freuen uns darauf, die hier erarbeiteten Empfehlungen
      hat: Die Branche fragt verstärkt nach BIPoC Autor*innen          gemeinsam mit der Literaturbranche umzusetzen, um
      und ruft Programme ins Leben, um bislang unveröf-                einen nachhaltigen systemischen Wandel sicherzustel-
      fentlichte Talente und mehr BIPoC Mitarbeiter*innen              len.
      zu werben und zu unterstützen. Agenturen und Ver-
      lage nehmen auch stärker wahr, dass Programme von                  Rishi Dastidar, Vorsitzender, Chair of Trustees
      Literature Develoment Organisations (Literaturförderinsti-                             Ruth Harrison, Direktorin
      tutionen) und anderen gemeinnützigen Organisationen
      BIPoC Talente befördern.                                              Eva Lewin, Writer Development Manager
      Im aktuellen Lockdown blicken wir von Spread the                 Spread the Word ist die Agentur für Autor*innenentwicklung
      Word mit Sorge in die Zukunft und hoffen, dass die               in London. Sie wurde 1995 von Bernardine Evaristo und Ruth
      Buchbranche in ihrem neuen, von gesellschaftlichen               Borthwick gegründet, ist eine gemeinnützige Stiftung und wird
      und wirtschaftlichen Unsicherheiten geprägten Über-              vom Arts Council England als National Portfolio Organisation
      lebenskampf das Ziel einer breitangelegten Inklusion             gefördert. Ehemalige Teilnehmer*innen des innovativen und
      nicht aus den Augen verliert. Wir haben allen Grund zur          richtungsweisenden Entwicklungsprogramms für unterre-
      Sorge: Wie der Writing the Future Bericht zeigte, wurden         präsentierte Autor*innen sind beispielsweise: Inua Ellams,
      die Bestrebungen der Branche nach mehr Vielfalt (als Re-         Irenosen Okojie, Dean Atta, Malika Booker, Roger Robinson.
      aktion auf den 2004 erschienenen In Full Colour Bericht          Neun Autor*innen des aktuellen Programms, des London Wri-
      des Bookseller) von der Wirtschaftskrise 2008 sowie dem          ters Awards, haben bereits Literaturagenturen gefunden und
      Wachstum des Onlinebuchhandels negativ beeinflusst.              konnten drei Verträge mit Verlagen sichern.
      Jetzt ist es an der Zeit, noch stärker als bisher und mit
                                                                       www.spreadtheword.org.uk
      aller Macht in Inklusion und Chancengerechtigkeit zu in-
      vestieren – bei Autor*innen, Mitarbeiter*innen, Büchern
                                                                       Quellenangaben
      und Leser*innen – und anzuerkennen, dass einmalige
      Initiativen nicht zu dem dringend benötigten Wandel              Kean, Danuta. 2004. In Full Colour: Cultural Diversity in
      führen werden. Wenn man sich allein den demografi-               Publishing Today. London: Bookseller Publications.
      schen Wandel anschaut, werden Verlage BIPoC Autor*in-            https://content.yudu.com/web/1vcls/0A1xp12/InFull
      nen und Leser*innen brauchen, um zu überleben, sich              Colour2004/index.html
      zu entfalten und kulturell relevant zu sein.                     Spread the Word. 2015. Writing the Future: Black and
      Strategische Partnerschaften mit gemeinnützigen                  Asian Writers and Publishers in the UK Marketplace.
      Organisationen und der weiter gefassten Literaturbran-           www.spreadtheword.org.uk/writing-the-future/
      che, wie beispielsweise mit Literaturförderinstitutionen,
      werden notwendig sein, um sicherzustellen, dass die
      Branche die Autor*innen finden kann, sich ein neues

                                                                   6
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The Bookseller
In Zeiten des gesellschaftlichen Wandels und vielschich-          Die Herangehensweise von Dr. Saha und seiner Kolle-
tiger Veränderungen der Leser*innenschaft, steht die              gin Dr. Sandra van Lente, die mit ihm gemeinsam an
Buchbranche vor zwei Herausforderungen: die Diversi-              dem Projekt gearbeitet hat, löst sich von den reinen
tät ihrer Arbeitskräfte sicherzustellen und zugleich die          Zahlen und geht einige Schritte weiter. Eine Erhöhung
Vielfalt der veröffentlichten Bücher.                             des ‚BAME‘-Anteils im Unternehmen von 14 % auf 15 %
                                                                  wird kaum etwas ändern, wenn es nicht gleichzeitig
Was zunächst wie eine moralische Krise aussieht, ist auf
                                                                  Verständnis dafür gibt, was die Unterschiede bedeuten,
den zweiten Blick vor allem eine wirtschaftliche. Verlage
                                                                  wie sie sich im Arbeitsumfeld ausdrücken und was diese
müssen neue Leser*innen finden und sie müssen Au-
                                                                  neuen Stimmen mitbringen.
tor*innen entdecken, die diese Leser*innen ansprechen,
sich in ihre Lebenswelten und Erfahrungen einfühlen               Der Bericht kommt gerade zur rechten Zeit. Es gibt ak-
können. Und dann müssen sie dieser Bücher kommerzi-               tuell eine ganze Reihe von Initiativen großer und kleiner
ell publizieren und die Nachfrage in „Brexit-Britain“ und         Verlage: Sie versprechen mehr Vielfalt bei der Einstellung
darüber hinaus ankurbeln.                                         neuer Kolleg*innen sowie das Entdecken und Veröffent-
                                                                  lichen von mehr writers of colour. Das sind alles löbliche
Doch zunächst ein kurzer historischer Exkurs. Dass die
                                                                  Initiativen und einige haben bereits zu Verbesserungen
britische Literaturbranche nicht gerade repräsentativ ist
                                                                  geführt. Die Veröffentlichung von vielfältigeren Büchern,
für die Gesellschaft, in der sie agiert und der sie eigent-
                                                                  nicht zuletzt durch Dialogue Books (Teil des Hachette
lich dienen sollte, ist seit Langem bekannt. 2004 wurde
                                                                  UK Konzerns) und dem unabhängigen Verlag Knights Of,
die Beilage In Full Colour in The Bookseller als Teil des
                                                                  um nur zwei aktuelle Beispiele zu nennen, können sich
Decibel Programms des Arts Councils veröffentlicht. Eine
                                                                  sehen lassen und reihen sich neben bereits etablierten
der grundlegenden Erkenntnisse dieser Studie: die Bran-
                                                                  Unternehmen wie Jacaranda Books, Hope Road, Peepal
che ist „überwiegend weiß“ mit einem 87-prozentigen
                                                                  Tree Press sowie der Arbeit der seit über 30 Jahren akti-
Anteil an weißen Angestellten.
                                                                  ven Verlegerin Margaret Busby ein. Bernardine Evaristo
Doch trotz aller damals geäußerten Warnungen sieht es             bekam 2019 als erste Schwarze Frau den Booker Prize.
heute, 15 Jahre später, zumindest statistisch gesehen             Wenn dies auch sehr spät erfolgt, so sollten wir den Fort-
nicht viel anders aus. Nach den Zahlen der Publishers             schritt auf keinen Fall ignorieren, wenn er dann endlich
Association (PA, 2019) sind 86 % der Verlagsangestellten          stattfindet.
weiß. Und während der Anteil der ‚BAME‘ (Black, Asian
                                                                  Doch es gibt auch Widerstand gegen Veränderungen,
and Minority Ethnic) Angestellten steigt, liegt er immer
                                                                  wie etwa ein Gefühl, dass die Qualität unter zu schneller
noch unter der PA-eigenen Zielgröße von 15 % und weit
                                                                  Veränderung leiden könnte – oder auch einfach nur
unter dem demographischen Anteil in London, wo der
                                                                  Abwehrreaktionen seitens derjenigen, die die vorge-
Hauptteil der britischen Verlagsbranche angesiedelt ist.
                                                                  tragenen Argumente nicht überzeugen. Hier leistet die
Die Folgen dieses Zustands ziehen sich durch die gesam-
                                                                  Forschungsarbeit von Dr. Saha und Dr. van Lente einen
te Branche: von den Titeln, die Agent*innen kaufen, bis
                                                                  wertvollen Beitrag: Sie untersucht, woher diese Ansich-
hin zum Angebot der Bücher in Buchhandlungen.
                                                                  ten kommen, und schlägt Maßnahmen vor, wie sie ver-
The Bookseller begann die Arbeit mit Dr. Anamik Saha              ändert werden können. Sie zeigt auf, was den Fortschritt
für dessen Forschungsprojekt „Rethinking ‚Diversity‘ in           verlangsamt und wie man dem begegnen kann.
Publishing“ bereits Anfang 2017. Warum? Weil dieses
                                                                  Es bleibt zu hoffen, dass der Rethinking ‚Diversity‘ in
Projekt Antworten verspricht, die ein reiner Blick auf die
                                                                  Publishing-Bericht zu einem Leitfaden wird und nach-
Zahlen nicht liefern kann: Was passiert mit Büchern von
                                                                  haltige Veränderungen anstoßen kann in einer Branche,
writers of colour in einem Verlag, dessen Mitarbeiter*in-
                                                                  die verzweifelt beweisen möchte, dass sie sich ändern
nen mehrheitlich weiß sind? Was bremst diese Bücher
                                                                  kann. Für The Bookseller hat das Projekt alle Hoffnungen,
aus und beschränkt sie auf ein Publikum aus der Mit-
                                                                  die wir uns zu Beginn 2017 gemacht haben, jedenfalls
telschicht? Wie können solche Bücher besser veröffent-
                                                                  vollumfänglich erfüllt.
licht werden, so dass weitere nachfolgen können? Wie
können wir sicherstellen, dass die aktuellen Initiativen
tatsächliche Veränderungen bewirken?
                                                                       Philip Jones, Chefredakteur The Bookseller

                                                              7
Rethinking ‚Diversity’ in Publishing

      Einleitung
      Warum müssen wir Diversität neu denken?                               Zahlen jenseits der Kinder- und Jugendliteratur kaum bes-
                                                                            ser sein werden. Wir können bestätigen, dass alle der über
      Dass sie ein Problem mit Diversität bzw. einen Mangel an
                                                                            hundert Menschen, die wir für diese Studie interviewt
      Diversität hat, ist der britischen Literaturbranche durch-
                                                                            haben, zugegeben haben, dass die Verlagsbranche noch
      aus bewusst – vielleicht sogar mehr noch als anderen
                                                                            viel Verbesserungspotential beim Veröffentlichen von
      Kreativbranchen. Meistens beschränkten sich diese
                                                                            BIPoC Autor*innen hat.
      (Selbst-)Betrachtungen jedoch auf die Zusammensetzung
      der eigenen Angestellten. Die Publishers Association hat              Einer der Gründe, warum Diversität neu gedacht werden
      2019 eine Erhebung zum Buchbranchenpersonal erstellt                  muss ist die Annahme, dass mehr Vielfalt im Kollegium
      (Diversity Survey of the Publishing Workforce 2019): 13 %             automatisch zu einer besseren Repräsentation von Min-
      der Befragten haben sich als ‚BAME‘, also Black, Asian or             derheiten in den veröffentlichten Büchern führt. Aber ist
      Minority Ethnic, identifiziert. Damit liegt die Zahl nur leicht       es wirklich so einfach? Der wegweisende Bericht Writing
      unter dem demographischen UK-Durchschnitt (14 %),                     the Future (2015, Spread the Word) hat ans Licht gebracht,
      aber sehr stark unter den Londoner Zahlen (40,2 %) – und              dass sich Schwarze und Asian Autor*innen im UK dazu
      der Großteil der Verlagsbranche hat ihren Sitz in London.             gedrängt gefühlt haben, Stereotype zu reproduzieren, sei
      Dieselbe Erhebung zeigt auch einen signifikanten Mangel               es in ihren Geschichten oder in der Art und Weise, wie ihre
      an Diversität was den sozioökonomischen Status angeht:                Bücher gestaltet und vermarket wurden. Als ein Faktor
      etwa die Hälfte der Eltern bzw. Erziehungsberechtig-                  wurde die starke Dominanz der weißen Mittelklasse in der
      ten der Befragten ist oder war in Führungspositionen                  Verlagsbranche identifiziert („institutionalised midd-
      beschäftigt und nur ein Drittel als mittlere Management-,             le-class whiteness“). Aber inwiefern stellen die Publika-
      Verwaltungs- oder Fachkraft. Beinahe eine von fünf be-                tionsprozesse Hindernisse für writers of colour dar (oder
      fragten Personen hat Privatschulen oder gebührenpflich-               auch nicht)?
      tige öffentliche Schulen besucht – etwa dreimal so viele
                                                                            Trotz der Erfolge von BIPoC Autor*innen – von Malorie
      wie im britischen Durchschnitt.
                                                                            Blackman bis Zadie Smith – kämpfen Autor*innen aus
      Warum ist das relevant? Es spielt eine Rolle im Hinblick              marginalisierten Gruppen um die Veröffentlichung ihrer
      auf die Frage, ob Angehörige von racial oder ethnischen               Bücher und das Erreichen bestimmter Zielgruppen.
      Minderheiten dieselben Chancen in der Buchbranche                     Während unseres Forschungsprojekts haben wir tatsäch-
      erhalten wie ihre weißen Kolleg*innen, einerseits beim                lich den Eindruck gewonnen, dass Verleger*innen eine
      Zugang zur Branche und bei den Aufstiegsmöglichkeiten                 gewisse Angst oder Sorge an den Tag legen, wenn sie
      (die Studie der Publishers Association zeigt ebenfalls, dass          Bücher von writers of colour publizieren. Ein Ziel unserer
      der Anteil von ‚BAME‘ Befragten mit höherer Position im               Forschung war, diese Ängste zu analysieren und die kon-
      Unternehmen abnimmt). Es spielt aber auch eine Rolle                  kreten Herausforderungen zu identifizieren, die Verlagen
      für die Vielfalt der veröffentlichten Bücher. Während es              (vermeintlich oder tatsächlich) bei der Zusammenarbeit
      für Belletristik sehr wenig Daten über die Diversität der             mit BIPoC Autor*innen begegnen. Wir ziehen auch mögli-
      Autor*innen gibt, hat Dr. Melanie Ramdarshan Bold in ih-              che Chancen in Betracht, die writers of colour haben könn-
      rer Studie für den Book Trust (2019) herausgefunden, dass             ten: Da es um ‚diversity‘ geradezu einen Hype gibt, scheint
      nur 5 % der Autor*innen von Kinder- und Jugendbüchern                 es, als gäbe es eine gesteigerte Nachfrage für neue Talen-
      People of Colour sind und 4 % der Einzeltitel produziert              te aus racial und ethnischen Minderheiten. Oder anders
      haben (2 % der Kinderbuchautor*innen und -illustra-                   formuliert: Das Ziel dieses Forschungsprojekts war es, den
      tor*innen waren britische People of Colour und haben                  Publikationsprozess detailliert zu betrachten und seine
      1,6 % der Einzeltitel produziert). Wir vermuten, dass die             Auswirkungen auf BIPoC Autor*innen zu untersuchen.

                                                                        8
Einleitung

Das Forschungsprojekt                                              des Buchproduktionsprozesses zu untersuchen. Alle In-
                                                                   terviewten wurden anonymisiert. Wir nennen bei weißen
Dieser Bericht basiert auf einer der ersten akademischen
                                                                   Interviewten zwar Beruf und weitere Merkmale, mussten
Untersuchung überhaupt von Diversität in der britischen
                                                                   für BIPoC aber auf alle weiteren Beschreibungen verzich-
Buchbranche. Der Fokus liegt dabei auf dem Produktions-
                                                                   ten, um ihre Identitäten zu schützen.
prozess von Büchern von BIPoC Autor*innen, nicht primär
auf der Zusammensetzung der Angestellten.                          Wir haben uns auf den Kern der Buchbranche konzent-
                                                                   riert und Konzerne sowie unabhängige Verlage mitein-
Wir haben uns auf drei Genres konzentriert: literary fiction
                                                                   bezogen. Aufgrund der begrenzten Zeit und Ressour-
(in etwa beschreibbar als literarisch anspruchsvolle Roma-
                                                                   cen haben wir wichtige Elemente, wie beispielweise
ne, in Abgrenzung zu kommerziellerer Unterhaltungslite-
                                                                   Self-Publishing, Literaturpreise, internationale Rechte
ratur), Kriminalromane/Thriller sowie Young Adult Fiction
                                                                   und Lizensierung sowie Literaturkritik und Buchmessen,
(YA, Jugendliteratur). Wir haben gerade diese Genres
                                                                   außen vor lassen müssen. Eine große Lücke in unserem
ausgewählt, da sie große Unterschiede beim Anteil margi-
                                                                   Projekt betrifft den Bereich Onlinehandel. Wir haben zwar
nalisierter Autor*innen (sowohl in Bezug auf race als auch
                                                                   den Kontakt gesucht, doch leider wurde ein Interview im
ethnicity) aufweisen: die am Writing the Future Report
                                                                   Rahmen unseres Projekts abgelehnt.
(2015, Spread the Word) beteiligten BIPoC Autor*innen
publizierten zu 42 % in literary fiction, 26 % in YA und           Dieser Bericht stellt die Forschungsergebnisse vor und
lediglich zu 4 % im Krimi-/Thrillergenre.                          besteht aus drei Hauptteilen, die sich am Publikationspro-
                                                                   zess orientieren: 1) Talentsuche und Akquise, 2) Marketing
Unsere Forschung basiert auf 113 etwa einstündigen,
                                                                   und PR, 3) Vertrieb und Verkauf. Dazwischen sind kürzere
ausführlichen Interviews mit all jenen, die an den unter-
                                                                   Kapitel eingefügt, in denen spezifische Themen wie die
schiedlichen Schritten im Produktionsprozess mitwirken.
                                                                   Qualitätsfrage und die Illusion von Meritokratie, die Praxis
Dazu gehören: Agent*innen, Verleger*innen, Lektor*in-
                                                                   des Comping, Coverdesign sowie Literaturfestivals im
nen, Expert*innen in Marketing, Design, PR und Vertrieb
                                                                   Detail beleuchtet werden.
sowie Buchhändler*innen auf unterschiedlichen Karrieres-
tufen. Außerdem haben wir Autor*innen und Programm-                Kurzvorstellung der Hauptergebnisse
manager*innen von Literaturfestivals interviewt. Wir
haben sowohl mit weißen als auch mit BIPoC Expert*innen            Unsere Forschung hat gezeigt, dass BIPoC Autor*innen
gesprochen. Zu Anfang bestand unser Plan aus 80 Inter-             in jedem Stadium des Produktionsprozesses benachtei-
views quer durch die o.g. Felder, jedoch konnten wir am            ligt werden, und die folgenden drei Hauptergebnisse
Ende 113 Menschen aus der Literaturbranche interview-              erbracht:
en, davon 66 weiße und 47 BIPoC (zur Zusammensetzung               Wir haben festgestellt, dass britische Verlage eine sehr
siehe auch den Anhang). Das Ziel jedes Interviews war es,          eng gefasste Vorstellung von ihrem Publikum haben. Die
einen Einblick zu bekommen, wie die jeweiligen Ge-                 Kernleser*in stellen sich viele als weiße, ältere Frau aus
sprächspartner*innen ihre Rolle verstehen und ausfüllen,           der Mittelschicht (von mehreren unserer Gesprächspart-
insbesondere mit Blick auf
ihre Erfahrungen mit BIPoC
Autor*innen (sofern vorhan-                Until the publishing industry
den). Unser Forschungsin-
teresse lag dabei darauf, die              diversifies its audience, writers of
                                           colour will always be ‘othered’.
Hindernisse und Chancen für
BIPoC Autor*innen entlang

                                                               9
Rethinking ‚Diversity’ in Publishing

      ner*innen höhnisch ‚Susan‘ genannt) vor. Es gibt einen               Eng mit diesem Punkt verknüpft ist das dritte Haupter-
      gewissen Zweifel, ob Minderheiten (racial and ethnic min-            gebnis: Während Verlage gerne mehr Bücher von BIPoC
      orities) überhaupt lesen oder in demselben Maße lesen                Autor*innen veröffentlichen möchten, halten sie es für
      wie die Kernzielgruppe. Der Hauptteil der Literaturbran-             kommerziell zu riskant. Der Literaturmarkt ist, wie alle Kul-
      che ist auf diesen einen weißen Leser*innentyp ausge-                turbranchen, unvorhersehbar. Wir haben die Branche als
      richtet. Während das nicht heißt, dass BIPoC Autor*innen             sehr risikoavers erlebt, was nicht zuletzt auf den intensi-
      gar keine Chancen haben, bedeutet es andererseits, dass              ven Wettbewerb zurückzuführen ist – laut Nielsen wurden
      sie immer wieder als „die Anderen“ dargestellt (othered)             2019 202 078 gedruckte Bücher veröffentlicht. Vor diesem
      werden, solange die Branche ihr Publikum nicht erweitert.            Hintergrund erscheinen BIPoC Autor*innen als besonders
      Das ist ein wiederkehrendes Thema in unserem Bericht.                riskante Investition und das beeinflusst nicht nur, wie sie
                                                                           akquiriert und unter Vertrag genommen, sondern auch
      Unser zweites Hauptergebnis dreht sich um Diversität
                                                                           wie ihre Bücher beworben und verkauft werden.
      als moralischen und ökonomischen Imperativ. Unsere
      Gesprächspartner*innen haben in den Interviews sowohl
                                                                           Fazit
      moralisch/ethische als auch wirtschaftliche Begründun-
      gen für vielfältigeres Publizieren angesprochen. Von                 Die grundsätzliche Herausforderung, der Verlage begeg-
      der moralischen Seite her gedacht, wie es eine weiße                 nen, wenn sie sich mit Diversität auseinandersetzen, ist
      Literaturagentin formulierte, sei es ihr wichtig, dass ihre          der vermeintliche Widerspruch zwischen dem Kommerzi-
      Liste die Welt reflektiere, in der sie lebe und die sie sehe.        ellen und dem Kulturellen. Alle Verleger*innen, mit denen
      Daneben haben wir Agent*innen und Verleger*innen                     wir gesprochen haben, sehen einen großen kulturellen
      gesprochen, die verzweifelt nach ‚diverseren‘ Stimmen                Wert in ihrer Arbeit. Die Interviewten haben uns glaub-
      suchen – insbesondere im Krimi-/Thriller-Bereich, in                 haft vermittelt, dass ihnen die Bücher, die sie veröffent-
      dem der Output so weiß ist, dass ein*e Schwarze*r oder               lichen, wichtig sind, wie sie das Leben von Menschen
      Asian Autor*in dem Buch automatisch dazu verhelfen                   bereichern und einen gesellschaftlichen Beitrag leisten.
      würde, in einem umkämpften Markt aufzufallen. Wie eine               In diesem Zusammenhang sprachen die Interviewten
      BIPoC Interviewte sagte: „Selbst wenn einem das mora-                fast schon vom Verlegen als einer Art Dienst an der
      lische Argument egal ist, macht es wirtschaftlich Sinn.“             Öffentlichkeit. Gleichzeitig ist ihnen auch klar, dass sie
      Nichtsdestotrotz darf berechtigterweise daran gezweifelt             im Grunde in einem Unternehmen arbeiten und Bücher
      werden, ob Verlage tatsächlich an den wirtschaftlichen               verkaufen müssen. Teilweise sprachen sie sogar davon,
      Wert von Diversität glauben. Anders formuliert: Sie sind             wie kommerzieller Druck sie davon abhält, einige Projekte
      nicht davon überzeugt, dass ihr Kernpublikum wirklich                mit BIPoC Autor*innen zu verwirklichen, die sie gerne
      an Büchern von BIPoC Autor*innen interessiert ist. Ein               durchführen würden. Muss das automatisch so sein? Wie
      Gegenargument wäre natürlich, dass Verlage mehr Geld                 bereits angesprochen ist ein Hauptproblem, dass Verlage
      verdienen könnten, wenn sie ein neues – vielfältigeres               auf ein beschränktes (zugegebenermaßen lukratives)
      – Publikum ansprechen würden. Wir konnten allerdings                 Publikumssegment ausgerichtet sind. Wir argumentieren,
      nicht feststellen, dass Verlage dies in größerem Rahmen              dass wir erst dann mehr gut gemachte Veröffentlichun-
      versuchen wollen. Nach wie vor ist der klassische Markt              gen von BIPoC Autor*innen sehen werden, wenn Verlage
      immer noch lukrativ: nach Zahlen von Nielsen betrug der              neu über ihr Verständnis von Diversität nachdenken, sich
      Umsatz mit gedruckten Büchern 2019 1,67 Mrd. Britische               dabei nicht nur auf die Zusammensetzung ihrer Teams
      Pfund (Total Consumer Market – TCM). Inwieweit streben               beschränken und stattdessen versuchen, der gesellschaft-
      die Interviewten tatsächlich nach einer Neuausrichtung –             lichen Vielfalt gerecht zu werden.
      bei aller Erkenntnis, dass sie durchaus mehr tun könnten,            Gleichzeitig möchten wir auch betonen, dass es bei der
      um ein breiteres Publikum anzusprechen?                              Veröffentlichung von Büchern marginalisierter Autor*in-

                                                                      10
Einleitung

       It is only when publishers rethink ‘diversity’,
       which goes beyond the question of workforce
       composition and instead focuses on catering for
       the full diversity of the nation that we will see more
       writers of colour published, and published well.

nen kein richtig oder falsch gibt. Wir erkennen auch an,            in der Gesellschaft verankert ist. Verlage haben nun die
dass wir als Akademiker*innen nicht dazu qualifiziert sind,         Gelegenheit, Chancengerechtigkeit in den Mittelpunkt zu
Verlagen zu sagen, wie sie Bücher von BIPoC Autor*innen             stellen und den Kampf gegen Ungleichbehandlung zum
besser publizieren können. Nichtsdestotrotz werden wir              Herzstück ihrer Arbeit zu machen.
in den drei Hauptteilen einige praktische Handlungs-
empfehlungen einbringen, wie das Publizieren von                    Quellenangaben
marginalisierten Autor*innen verbessert werden kann.                Publishers Association. 2019. Diversity Survey of the Publis-
Wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse unsere Leser*innen             hing Workforce 2019. www.publishers.org.uk/publications/
dazu ermutigen können, ihre Annahmen zu hinterfragen,               diversity-survey-of-the-publishing-workforce-2019/
ihre Praktiken zu reflektieren und die Literaturbranche in
einen Bereich zu verwandeln, in dem sich Autor*innen                Ramdarshan Bold, Melanie. 2019. Representation of People
jedweder Hintergründe frei entfalten können.                        of Colour among Children’s Book Authors and Illustrators.
                                                                    www.booktrust.org.uk/globalassets/resources/represents/
Nachtrag                                                            booktrust-represents-diversity-childrens-authors-
                                                                    illustrators-report.pdf
Wir haben die Arbeit an unserem Manuskript im CO-
VID-19 Lockdown beendet. In Zeiten, in denen sich                   Spread the Word. 2015. Writing the Future: Black and Asian
Verlage extrem komplexen finanziellen Herausforderun-               Writers and Publishers in the UK Marketplace. www.spread
gen stellen müssen, mag es verlockend sein, Themen wie              theword.org.uk/writing-the-future/
Diversität zurückzustellen. Allerdings bietet sich in Zeiten
der Restrukturierung auch eine einmalige Chance, die
Branche oder das eigene Unternehmen neu aufzustellen
und Vielfalt und Inklusion ins Zentrum zu stellen. Es ist
schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, irgendwelche
Vorhersagen über die Buchbranche für die Zeit nach der
Pandemie zu treffen. Es kommen unweigerlich harte
Zeiten auf alle zu. Gleichzeitig bietet sich eine Chance zu
überdenken, was wir wie tun. Aller Wahrscheinlichkeit
nach werden Neuausrichtungen stattfinden. Sowohl
COVID-19 als auch die Black-Lives-Matter-Bewegung
haben unmissverständlich gezeigt, wie tief Rassismus

                                                               11
Rethinking ‚Diversity’ in Publishing

      Der Akquiseprozess und
      BIPoC Autor*innen
      Einleitung                                                        Autor*innen finden
      Die Akquisephase gilt für viele angehende Autor*innen             Es gibt viele Wege, ein*e Autor*in zu werden. Allerdings
      als wichtigste Phase. Agen*tinnen und Lektor*innen                nehmen Agent*innen im britischen Literaturmarkt auf
      haben ohnehin große Macht, aber bei BIPoC Autor*in-               dem Weg zur Veröffentlichung weiterhin eine wichtige
      nen wird ihre Rolle als kulturelle Gatekeeper nochmal             Rolle ein. Fast alle der interviewten Lektor*innen gaben
      besonders deutlich. Auf die Frage, warum proportional             an, dass sie bei der Suche nach Autor*innen auf die
      weniger Bücher von BIPoC Autor*innen veröffentlicht               Arbeit von Agenturen vertrauen. Viele sagten, dass Au-
      werden, war die allgemeine Einschätzung, dass solche              tor*innen ohne Repräsentation durch eine Agentur prak-
      Autor*innen entweder nicht gefunden werden, dass                  tisch keine Verträge bekommen würden. Während es für
      Minderheiten (racial and ethnic minorities) nicht an              Autor*innen ein schwieriger Prozess ist, eine Agentur zu
      einer Karriere als Autor*innen interessiert seien oder,           finden, ist die Herausforderung für marginalisierte und
      kontroverser, dass die Qualität nicht gut genug sei (siehe        working-class Autor*innen ungleich größer. Es lässt sich
      auch RETHINK Passage m Anschluss an dieses Kapitel).              argumentieren, dass BIPoC Autor*innen in der Unter-
      Das wurde eingehender untersucht, und wie vermu-                  haltungsliteratur weiter marginalisiert werden, solange
      tet waren die Interviews im Bereich Talentsuche und               Agent*innen nur auf den herkömmlichen Wegen neue
      Akquise (mit Agent*innen und auf Verlagsseite) sehr               Autor*innen suchen.
      ergiebig und aufschlussreich. Dieser Bereich ist das erste
                                                                        Die Mehrzahl der Agent*innen nutzt für die Talentsuche
      Hindernis auf dem Weg zur Veröffentlichung, das BIPoC
                                                                        dieselben Wege. Dazu gehören beispielsweise Creati-
      Autor*innen behindern kann – und zwar unverhält-
                                                                        ve-Writing-Kurse und Studiengänge, Netzwerkveranstal-
      nismäßig stärker als ihre weißen Kolleg*innen aus der
                                                                        tungen, Empfehlungen von anderen Agent*innen und
      Mittelschicht. Außerdem wurde herausgearbeitet, dass
                                                                        Autor*innen, Preise und Wettbewerbe sowie Manuskrip-
      erfolgreiche BIPoC Autor*innen in ihrem Schaffen einen
                                                                        teinsendungen. Bei der konkreten Nachfrage nach BIPoC
      Anpassungsprozess durchlaufen (durch die Verlage
                                                                        Autor*innen waren sich alle einig, dass sie gerne mehr
      oder selbstinitiiert), so dass sie mit dem Weltbild der
                                                                        ‚diverse‘ Autor*innen unter Vertrag hätten. Die meisten
      überwiegend weißen Lektor*innen aus der Mittelschicht
                                                                        gaben jedoch auch an, dass sie die Suche nach ihnen
      konform gehen (selbstverständlich gibt es Ausnahmen).
                                                                        schwierig empfanden. Häufig wurde die Suche nach
      Es gibt aber auch Verlage und Agenturen, die kreativere
                                                                        solchen Autor*innen im Allgemeinen als große Heraus-
      Maßnahmen einsetzen, um Autor*innen von gesell-
                                                                        forderung für Agenturen dargestellt.
      schaftlich marginalisierten Gruppen zu finden, und die
      erkannt haben, dass proaktivere Maßnahmen notwen-                 Angeführte Gründe für das ‚Nichtfinden‘ von BIPoC
      dig sind, um diverser zu publizieren.                             Autor*innen

      Während sich der Akquiseprozess vor allem auf die                 Die interviewten Verlagsmitarbeiter*innen und
      Aufnahme eine*r Autor*in in einen Verlag bezieht, ist der         Agent*innen führten eine Reihe von Begründungen an,
      Begriff hier erweitert und bezieht die Entdeckung von             warum es ihnen so schwerfällt, BIPoC Autor*innen zu
      Autor*innen durch Agenturen mit ein. Im Folgenden                 finden. Der häufigste Grund war, dass sie keine Einsen-
      wird gezeigt, wie die Praktiken der Agenturen und der             dungen von diesen erhalten (wobei Lektor*innen und
      an der Akquise beteiligten Akteur*innen auch ungewollt            Agent*innen zugaben, dass sie die Identitäten der Urhe-
      BIPoC Autor*innen benachteiligen können. Außerdem                 ber*innen nicht immer an der Einsendung und Anschrei-
      wird deutlich, wie einige der Gesprächspartner*innen              ben erkennen können – und diese auch nicht systema-
      dies zu verändern versuchen.                                      tisch erfassen). Teilweise wurde vermutet, dass es ein
                                                                        sozioökonomisches Problem sei und nur Angehörige der

                                                                   12
Akquiseprozess und BIPoC Autor*innen

Mittelschicht Schriftsteller*innenkarrieren überhaupt in          ressiert seien, weil die Arbeit schlecht bezahlt sei und
Betracht zögen, wie diese zwei Zitate nahelegen:                  keinen hohen Status mit sich bringt. Stattdessen streb-
                                                                  ten sie nach anderen Karrieren (außerhalb des kreativen
   Wenn Du nicht aus einer Familie kommst, die Dich
                                                                  Bereichs). Jedoch haben einige der Interviewten dieser
   unterstützen kann, dann wirst Du wahrscheinlich nicht
                                                                  Art der Begründung nachdrücklich widersprochen. Eine
   dazu motiviert sein, Dich hinzusetzen und Bücher zu
                                                                  BIPoC Gesprächspartnerin ärgerte sich sehr über die Be-
   schreiben.
                                                                  hauptung, dass sich Angehörige von Minderheiten (raci-
                         – weiße berufserfahrene Lektorin         al and ethnic minorities) gegen kreative Arbeit entschie-
   Für alle unterrepräsentierten Stimmen ist die Idee,            den: „Diese Vorstellung, dass wir kein Interesse haben
   ein Buch zu schreiben und veröffentlicht zu werden,            und nur am Geld interessiert sind, ist so beleidigend.“
   wahrscheinlich sehr weit weg vom eigenen Alltag. Wenn          Grundsätzlich wurde der Begründung der fehlenden
   Du zur Mittelschicht oder oberen Schicht oder so was           Motivation jedoch entgegengesetzt, dass Agent*innen
   gehörst […] dann weißt Du, dass es diese Möglichkeit           nicht genügend tun, um diejenigen Autor*innen aus ra-
   gibt, weil Du wahrscheinlich auch jemanden kennst, der         cial and ethnic minorities zu finden, die Bücher schreiben
   jemanden kennt, der das schon gemacht hat. Während             wollen. Gerade in den letzten Jahren gab es jedoch in
   Du, wenn Du so gar keine Verbindungen zu dieser Welt           der Branche einige Schreibwettbewerbe und -program-
   hast, wie sollst Du dann Dein Buch in einen Verlag             me, die sich speziell an BIPoC Autor*innen richten. Im
   kriegen?                                                       Gespräch mit einigen Menschen aus diesen Initiativen
          – weißer berufserfahrener Vertriebsangestellter         wurde deutlich, dass es keinen Mangel an Einsendungen
                                                                  gab; der Pool an Autor*innen aus Minderheiten-Com-
Interessant ist dabei, dass sich beide Zitate auf finan-          munities mag relativ klein sein, aber er ist vor allem nicht
zielle und kulturelle Hindernisse beziehen. Während               erschlossen.

            As long as agents rely on the traditional ways of
            discovering new authors, then writers of colour will
            remain marginalised in trade fiction.
das erste Zitat einen rein finanziellen Grund anführt,            Herausforderungen für BIPoC Autor*innen, eine
suggeriert das zweite Zitat, dass allein schon die Idee,          Agentur zu finden
das Schreiben zum Beruf zu machen, ein der (weißen)               Die traditionellen Wege, auf denen Agenturen Autor*in-
Mittelschicht vorbehaltener Bereich oder ein Privileg ist.        nen finden, stellen offenichtlich insbesondere für Ange-
Eine BIPoC Gesprächspartnerin hat diesen Gedanken                 hörige von Minderheiten (racial and ethnic minorities) ein
noch weiter ausgeführt und im Zusammenhang mit den                Hindernis dar; dies verstärkt sich noch, wenn sie nicht
fehlenden Vorbildern aus marginalisierten Communi-                aus der Mittelschicht kommen. Besonders Creative-Wri-
ties angemerkt: „Wenn sie sich selbst nicht darin sehen,          ting-Kurse und Studiengänge werden als unzugänglich
wieso sollten sie es dann anstreben?“                             beschrieben. Wie eine BIPoC Gesprächspartnerin zum
Wenn speziell das Thema race angesprochen wurde, war              Ausdruck brachte: „Creative-Writing-Kurse, die eine
eine weit verbreitete Antwort, dass Schwarze und British          Menge Geld kosten, machen sich nun mal nicht für alle
Asian Minderheiten nicht am Schreiben als Beruf inte-             zugänglich.“

                                                             13
Rethinking ‚Diversity’ in Publishing

      Ein weiteres Gegenargument gegen die Vorstellung,                   Richtung machen“ zu können. In diesem Kontext haben
      dass es keine guten, bisher unentdeckten BIPoC Au-                  viele der Interviewten die Bedeutung von Programmen
      tor*innen gäbe, bezieht sich auf den undurchsichtigen               von Writer Development Agencies (Förderorganisationen
      Prozess der Suche. Wie die BIPoC Gesprächspartnerin                 für Autor*innen) berichtet, die lebenswichtige Räume
      von oben weiter ausführte: „Viele Menschen mit ‚diver-              und Wege für neue Autor*innen in die Branche schaffen,
      sem‘ Hintergrund wissen nicht einmal, welche Rolle                  insbesondere von marginalisierten Communities.
      Agenturen im Publikationsprozess spielen und wie man
                                                                          BIPoC Autor*innen unter Vertrag bringen
      an einen Buchvertrag kommt.“ Das war in der Tat ein
      wiederkehrendes Narrativ, das von weißen wie auch                   Nachdem der Schwerpunkt zunächst auf den Agenturen
      BIPoC Verleger*innen und Agent*innen erzählt wurde,                 lag, wurde im Anschluss erforscht, wie BIPoC Autor*in-
      nämlich dass die Kenntnis der Arbeitsweise von Agen-                nen von Verlagen unter Vertrag genommen werden. Ei-
      turen auf Privilegien beruht. Genauer gesagt, dass nur              nes der Ergebnisse des Writing the Future Berichts (2015)
      weiße Schriftsteller*innen aus der Mittelschicht die Rolle          war, dass Autor*innen aus marginalisierten Gruppen den
      von Agent*innen verstehen und wissen, wie man sie                   Druck verspüren, Stereotype zu reproduzieren. Während
      anspricht – oder gar persönliche Verbindungen über                  die Verleger*innen dies nicht zugaben, ging aus den hier
      Familienbande oder soziale Kontakte haben.                          vorgestellten Interviews hervor, dass sie die Strategie
                                                                          verfolgen, vergangene Erfolge zu reproduzieren. Das
      Das wirft die Frage nach der Rolle von class auf und wie
                                                                          Verlagswesen ist ein riskantes Geschäft und daher
      sie in diesem Teil des Prozesses reproduziert wird. Wie
                                                                          versuchen Verlage Formate und Muster, die bereits in
      eine erfahrene weiße Autorin mitteilte:
                                                                          der Vergangenheit erfolgreich waren, zu wiederholen.
         Ich denke, die erste Hürde ist, überhaupt eine*n Agent*in        Wie eine BIPoC Autorin formulierte: „Verlage wollen nicht
         zu finden. Und ich denke, Agent*innen sind überwie-              das nächste große Ding. Das nächste große Ding soll
         gend weiß, middle-class, lesen den Guardian, sind im             so sein wie das letzte, nur ein kleines bisschen anders.“
         Großen und Ganzen liberal. Das ist die erste Hürde, und          Dieser Kommentar war bewusst überspitzt, aber viele
         ich denke, das ist eine hohe Hürde. Das sind keine Men-          Lektor*innen machten ähnliche Bemerkungen, dass das,
         schen, die in ihrem Leben immer wieder mit ‚Differenz‘           was Verlage insbesondere in kommerziellen Segmenten
         zu tun haben. Wenn sie mal auf eine Schwarze Person              suchen, neu, aber nicht zu anders sein soll („same, but
         treffen, dann ist es ihre Putzkraft oder eine furchtbar          different“).
         nette Schwarze Person mit Oxbridge Ausbildung, die seit
                                                                          So werden altbekannte rassistische Stereotype repro-
         25 Jahren in der Buchbranche arbeitet.
                                                                          duziert. Gleichzeitig existiert aber auch ein Bewusstsein
                                – weiße berufserfahrene Autorin           dafür, dass die „großen kommerziellen Erfolge potenziell
      Trotz allem gibt es, wie bereits angerissen, auch Ver-              eher von den Büchern kommen, die die ausgetretenen
      leger*innen und Agent*innen, die proaktiver an die                  Pfade verlassen,“ wie es ein weißer berufserfahrener
      Aufgabe herangehen, BIPoC Autor*innen zu finden und                 Lektor formulierte. „So verändert sich der Buchmarkt auf
      zum Schreiben und Veröffentlichen zu ermutigen. Die                 subtile Art und Weise.“
      Strategien dafür beinhalten institutionalisierte Wege,              Anpassung an weiße Erwartungen
      wie Schreibwettbewerbe für benachteiligte Gruppen,
      sowie informelle Wege, wie das Lesen von Online-Ma-                 Viele der BIPoC Interviewpartner*innen brachten zum
      gazinen und Blogs, die Kommunikation mit BIPoC-kre-                 Ausdruck, dass sie das Gefühl hatten, bestimmten Erwar-
      ativ-Netzwerken und die Ermutigung von People of                    tungen der weißen Lektor*innen aus der Mittelschicht
      Colour zu schreiben. Jedoch kostet eine solche Suche                entsprechen zu müssen, um unter Vertrag genommen
      nach Autor*innen Zeit und Energie. Wie eine BIPoC                   zu werden. Die folgenden Zitate stammen sowohl von
      Gesprächspartnerin erklärte: „Es ist ein langer Prozess.            BIPoC als auch weißen Interviewten:
      Ich habe viele Samen ausgesät und hoffe, dass am Ende                 Und ich glaube, dass von einige weiße Lektor*innen
      ein paar davon reifen und Früchte tragen werden. Aber                 so was kam wie: „Wir dachten, wir kriegen hier eine
      das dauert seine Zeit und diese Dinge passieren nicht                 Immigranten-Geschichte, aber das ist es ja gar nicht,
      einfach von alleine.“ Und eine weitere BIPoC Gesprächs-               also verfolgen wir das nicht weiter.“ […] Ich glaube,
      partnerin gab zu, in der Vergangenheit „sehr viel proakti-            es gibt ein bestimmtes Narrativ, mit dem sie sich wohl
      ver“ gewesen zu sein, aber „jetzt nur noch wenig in diese             fühlen, von dem sie wissen, wie sie es politisch einordnen

                                                                     14
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