Weihnachten 2020 MITTEILUNGEN FÜR DEN FREUNDESKREIS CAMPHILL

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Weihnachten 2020 MITTEILUNGEN FÜR DEN FREUNDESKREIS CAMPHILL
Weihnachten 2020
MITTEILUNGEN FÜR DEN FREUNDESKREIS CAMPHILL
Weihnachten 2020 MITTEILUNGEN FÜR DEN FREUNDESKREIS CAMPHILL
Weihnachten 2020 MITTEILUNGEN FÜR DEN FREUNDESKREIS CAMPHILL
Denn es muß von Herzen gehen,
                 Was auf Herzen wirken soll.

Goethe, Faust. Der Tragödie zweiter Teil, 1832. 3. Akt, Schattiger Hain. Phorkyas

                                                              Die Brücke Weihnachten 2020 | 3
Weihnachten 2020 MITTEILUNGEN FÜR DEN FREUNDESKREIS CAMPHILL
Liebe Leserinnen und Leser!
ein nervenaufreibendes Jahr neigt sich dem Ende       Gillian Withrington in ihrem Artikel Gewaltvorfälle
zu. Dabei hatten wir uns den Start in ein neues       in Einrichtungen und stellt im Zuge dessen die
Jahrzehnt doch alle ganz anders ausgemalt. Da         Vertrauensstelle vor.
hat uns Corona wohl einen Strich durch die Rech-
nung gemacht.                                         Bei diesen und allen weiteren Autoren und Auto-
                                                      rinnen möchte ich mich für ihren Beitrag zur Ent-
Die vielen kleinen und großen Steine, die Corona      stehung dieser Ausgabe herzlich bedanken.
uns in den Weg gelegt hat, haben jedoch nicht         Ich wünsche Ihnen eine besinnliche Advents- und
nur Stagnation bedeutet. Sie haben auch Verän-        Weihnachtszeit. Genießen Sie die Zeit mit ihren
derungen bewirkt. Mit mancher Tradition musste        Familien und kommen Sie gesund und wohlbehal-
gebrochen und in vielerlei Hinsicht mussten neue      ten in das neue Jahr.
Wege gegangen und erprobt werden. Kreative Pro-
blemlösestrategien haben Anwendung gefunden.          Es grüßt Sie herzlichst
So gibt es von Seiten der Einrichtungen, der Eltern
und der Bewohner einiges zu berichten, was Ein-
gang in diese Brücke gefunden hat.

Darüber hinaus finden Sie in der vorliegenden         Ihre Annika Göres
Ausgabe weitere interessante Artikel. Jakob Zobel
skizziert seine Arbeit als Musiktherapeut in der
Lebensgemeinschaft Sellen.

Eine weihnachtliche Betrachtung zur „Wachheit
der Sinne und das ‚Sinnesdunkel‘ “ wird von Ri-
chard Steel dargelegt.

Bezugnehmend auf das zu Beginn des Jahres
publik gewordene Geständnis eines früheren Mit-
arbeiters zu sexuellen Übergriffen in der Camphill-
Schulgemeinschaft Brachenreuthe, thematisiert

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Weihnachten 2020 MITTEILUNGEN FÜR DEN FREUNDESKREIS CAMPHILL
Liebe Mitglieder!
Zwar leicht gelockert, aber vorbei mit den Coro-     per Telefon oder gar nicht. Hören und Sehen – das
na Massnahmen war es auch im September noch          war auch die Idee hinter unserer Tablet-Aktion
nicht, als der Vorstand des Freundeskreises sich     (siehe Artikel Seite 26), mit der wir den Bewoh-
in idyllischer Umgebung der Uckermark bei MYSA       nern der Einrichtungen die Kontaktaufnahme mit
(ausführlicher Bericht in diesem Heft) zu einer      ihren Angehörigen per Videoanruf ermöglichen
Sitzung getroffen hat. Natürlich in einem luftigen   wollen. Wenn Sie diese Aktion unterstützen möch-
Raum und mit gehörigem Abstand. Aber eben            ten, bitten wir Sie um eine Spende mit dem Stich-
richtig und menschlich präsent. Besonders be-        wort «Tablett» auf das Konto des Freundeskreises
eindruckt haben uns die Initianten Michael Don-      CamphilI, IBAN: DE05 6905 0001 0001 0209 65.
ner und Stefan Thon mit ihrem Enthusiasmus.
Ihr Engagement zum Aufbau eines Angebots für         Ich wünsche Ihnen eine besinnliche Weihnachts-
Menschen mit herausforderndem Verhalten be-          zeit und bleiben Sie gesund!
geistert.

In der Zwischenzeit haben wir uns über Skype ge-
sehen und gehört – auch das viel besser als nur      Ihr Henrich Kisker

                                                                 Der Vorstand des Freundeskreis
                                                                 Camphill traf sich im September
                                                                 2020 bei MYSA in Fürstenberg / Ha-
                                                                 vel.

                                                                          Die Brücke Weihnachten 2020 | 5
Weihnachten 2020 MITTEILUNGEN FÜR DEN FREUNDESKREIS CAMPHILL
Nicola Noack – Die neue Platzvertreterin am
Lehenhof stellt sich vor
Nicola Noack

                         Einmal durch den Bo-        Geboren bin ich in Heidelberg und kenne mich in
                         densee schwimmen,           Graubünden besser aus als in Baden-Württem-
                         Kuchen backen, rus-         berg. Ganze neun Jahrsiebte lang sammle ich
                         sisch und türkisch spre-    schon Erdenerfahrung, habe vier Kinder bekom-
                         chen, schwere Sachen        men, war viele Jahre lang „nur“ Mutter. Auch Mut-
                         tragen, Reden halten,       ter von „Frühgeborenen“ und Waldorf-Mutter und
                         das kann ich nicht.         kenne alle Varianten unseres Schulsystems aus
                         Französisch und Eng-        Eltern-Sicht. Viele Varianten der Kranken- und
                         lisch kann ich aber         Altenpflege habe ich als Berufstätige ausgeübt.
                         ganz gut sprechen, und      Endlich frei von Verpflichtungen und bürokrati-
                         ich kann stricken und       schen Schikanen bin ich jetzt „berufstätiger“ denn
                         nähen, Noten lesen          je! Der Lehenhof und der Freundeskreis Camphill
und a capella-Singen, Auto fahren, Berge hinauf-     passen wunderbar in meinen jetzigen Lebensab-
wandern (und wieder runter), meine Kinder lieb-      schnitt und ich freue mich auf ein positives Zu-
haben, Tee kochen.                                   sammenwirken.

Und ich übe noch, meine Blumen zu gießen, auf-
zuräumen, Klavier zu spielen,
                                                      www.freundeskreis-camphill.de
Dinge wegzugeben, Menschen zuzuhören, meine
                                                      Einfach QR-Code mit dem Smartphone
LebensPartnerin zu verwöhnen, nicht in alle Fett-
                                                      bzw. Tablet scannen und schon sind
näpfchen zu treten, meine Kräfte einzuteilen.
                                                      Sie auf unserer Website!
Meine Klienten üben mit mir, von sich selbst über-
rascht zu sein, über sich selbst zu erstaunen und
das Gute an sich zu entdecken – ich bin Gestalt-
therapeutin und habe meine Praxis in Filderstadt.

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Weihnachten 2020 MITTEILUNGEN FÜR DEN FREUNDESKREIS CAMPHILL
Auf Wiedersehen Hartwig Hellfritz

Henrich Kisker

Zur Mitgliederversammlung im November 2020
ist Hartwig Helfritz, Platzvertreter aus Sellen, aus
dem Vorstand des Freundeskreises zurückgetre-
ten. Hartwig war seit Pfingsten 2015 Mitglied des
Vorstands.

Er hat unseren Kreis und unsere Diskussionen
immer wieder bereichert durch seine positive Aus-      Dass er Pfarrer war, lässt sich nicht verleugnen.
strahlung, sein fundiertes geschichtliches Wissen      Er kann die Dinge auf den Punkt bringen, aber vor
und seine Erfahrung in administrativen Angele-         dem Punkt gibt es oft eine lange Geschichte.
genheiten.                                             Wir werden dich vermissen, Hartwig.

Dank an die Förderer
des Freundeskreis Camphill
(AL) Durch Ihre Mitgliedsbeiträge und Ihre Spen-       „GKV-Gemeinschaftsförderung Selbsthilfe auf
den ermöglichen Sie dem Freundeskreis Cam-             Bundesebene“ im Jahr 2020 mit einem Betrag in
phill, dass er seine Aufgaben wahrnehmen kann.         Höhe von 15.000 EUR gefördert.
Dafür gebührt Ihnen ein herzlicher Dank! Beson-        (GKV -- Gemeinschaftsförderung Selbsthilfe auf
ders erfreulich ist, dass es einige jahrzehntelange    Bundesebene“: vdek, AOK-Bundesverband, BKK
Mitglieder gibt, manche quasi von Anbeginn an          Dachverband, IKK, Knappschaft, Sozialversiche-
dabei – danke sehr!                                    rung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau)
Der Freundeskreis Camphill e.V. wurde von der          Herzlichen Dank!

                                                                          Die Brücke Weihnachten 2020 | 7
Weihnachten 2020 MITTEILUNGEN FÜR DEN FREUNDESKREIS CAMPHILL
BRÜCKE-Versand – diesmal etwas anders...

Sabine Roth                                          aber wie man auf den Fotos sehen kann, erwiesen
                                                     sich diese als völlig unbegründet.
Viele Jahre lang wurde DIE BRÜCKE von Föhren-
bühl aus verschickt und in den letzten Jahren war    Die Hauptakteure waren beim diesjährigen Jo-
ich dafür verantwortlich.                            hanni-Versand Petra, Anna-Lena und Marco, hier
                                                     sieht man sie beim Eintüten bzw. beim Aufkleben
Nun wollte ich nach langjähriger Tätigkeit in Föh-   der letzten Adressenschildchen. Dem voraus geht
renbühl nochmal Neues kennenlernen und wech-         das Aufkleben der Briefmarken und der Adres-
selte Mitte April an den Hermansberg.                senschildchen. Und in jedes Heft wird ein Über-
                                                     weisungsträger eingelegt. Schließlich muss noch
Natürlich war und ist (Stand Mitte September)        der Klebestreifen von der Verschlusslasche des
der Alltag auch hier „Corona- bedingt“ anders als    Briefumschlags abgezogen und der Umschlag zu-
sonst und damit auch der BRÜCKE-Versand! Ich         geklebt werden. Bei knapp 700 verschickten Hef-
hatte zunächst Zweifel, ob die Hermannsberger        ten ist man da schon einige Zeit beschäftigt. Dazu
Dörfler*Innen DIE BRÜCKE ebenso gerne verschi-       kommen noch zehn Päckchen und Pakete.
cken würden wie die Föhrenbühler Schüler*Innen,

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Weihnachten 2020 MITTEILUNGEN FÜR DEN FREUNDESKREIS CAMPHILL
Nicht zu vergessen       man hier nun leider nicht hören kann, wir wurden
                              war dieses Jahr          die ganze Zeit über begleitet vom Konzert vieler
                              unser besonderer         Distelfinken, die genauso so eifrig wie wir zu Gan-
                              „Corona-bedingter“       ge waren und die sich auf dem Hermannsberg
                              Arbeitsplatz:    die     sehr wohl fühlen.
                              Terrasse der „Mit-
                              taghalde“ (eines der     Der nächste BRÜCKE-Versand wird in der Advents-
                              Wohnhäuser), um-         zeit stattfinden. Wenn alles läuft, wie geplant,
                              geben von hohen          werde ich bis dahin im Förder- und Betreuungsbe-
                              Bäumen, die uns          reich tätig sein und DIE BRÜCKE mit den dortigen
                              den ganzen Vormit-       Betreuten verschicken – wieder ein neues Erfah-
                              tag über Schatten        rungsfeld für uns alle.
                              spendeten und, was       Also – es bleibt spannend!

Liebe Mensch- und Naturfreunde!
Vorsicht! „Ich hatte eine „Vision“
Michael Oeder, Camphill Alt-Schönow, Berlin            gisch wertvoll und vieles mehr waren die Bauern-
                                                       höfe in den Camphill Dorfgemeinschaften.
„Besondere Wohnformen“ waren vor 80 Jahren             Und heute? Und bei uns?
auch die Camphill Lebensorte. Dem gestaltenden         Die menschliche Gesellschaft hat (pardon, ver-
Kollegium war es damals sehr wichtig, dass das         blendeter Weise) einen Trieb entwickelt, viele für
„Herzstück“ oder der Ausgangspunkt der Dorfge-         uns Menschen gesunde Arbeitsprozesse durch
meinschaften eine Landwirtschaft war, an der vie-      Maschinen verrichten zu lassen. Gleichzeitig ist
le Bewohner*innen beteiligt waren und den Sinn         der Bedarf an psychologischer und therapeuti-
ihrer Arbeit erleben können. Sinnvoll, ganzheitlich,   scher Behandlung extrem gestiegen. Kann da ein
Brücken zum Kosmos, produktiv, arbeitspädago-          Zusammenhang sein?

                                                                          Die Brücke Weihnachten 2020 | 9
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Nun zu meiner „Vision“.                             • Ich sehe viele Menschen aus den Häusern,
Wenn ich mit meinem Kompost-Eimerchen in der          die mit Rollatoren und Rollstühlen gern zum
Hand durch den Garten gehe, in dem Peter oft ein-     um unteren Garten gehen, weil es dort etwas
sam in den Blumenbeeten arbeitet:                     zum Zuschauen und Teilhaben gibt.
                                                    • Ich sehe, wie auch am Nachmittag Mitarbei-
• Dann sehe ich imaginativ plötzlich im unteren       ter*innen aus den Häusern gerne mit den Be-
  Bereich viele Menschen, die an Gemüsebee-           wohnern dort tätig werden, weil es dort Aufga-
  ten (vielleicht auch Hochbeeten) sähen, jäten,      ben und Erlebnisfelder gibt. Ich sehe, dass die
  wässern, ernten.                                    „Betreuung“ einfacher wird, weil es „normale“
• Ich sehe große vielfältige Blumenbeete, an          Tätigkeitsmöglichkeiten bzw. Notwendigkeiten
  denen sich Menschen treffen, die Blumen für         gibt.
  den Hausschmuck holen wollen, und die mit-        • Ich sehe Menschen, die stolz auf sich und auf
  einander reden.                                     Alt Schönow sind, weil sie praktisch etwas ge-
• Ich sehe Menschen, die mit sicheren Vorrich-        lernt und getan haben.
  tungen Holz spalten und sägen, in Schubkar-       • Ich sehe das weitere Zusammenwachsen von
  ren packen und zur Heizung fahren.                  Arbeits- und Wohnbereich, weil wir wieder be-
• Ich sehe blühende Wiesen, in denen Bienen           wusst gemeinsame Arbeits- und Kulturaufga-
  summen, die dann abgesenst und von Men-             ben angehen.
  schen auf Heuböcken getrocknet werden.            • Ich sehe noch einen fest installierten, großen
• Ich sehe sieben Hühner, die umhergackern, in        Sitz- und Begegnungsbereich vor dem Gärt-
  den Beeten kratzen und von Bruno vor dem            nerhäuschen, an dem sich Menschen aus den
  Fuchs behütet werden. Ich sehe Menschen,            Hausgemeinschaften und von außen treffen
  die dann unsere Speisereste den Hühnern             und gemeinsam Kaffeetrinken.
  verfüttern.                                       • Ich sehe Besucher*innen, Nachbar*innen
• Ich sehe die Schafe in ihrem Pferch, in den sie     und Gäste kommen, die sich über das Leben
  sich gern von vielen fleißigen Helfern bringen      im Garten freuen.
  lassen. Ich sehe sogar noch einen festen Zaun     • Ich sehe den guten Geist von Camphill, der lä-
  auf der langen Luzernenwiese vor Alt Schö-          chelt und sagt: „Aah, doch Camphill“.
  now, wo sie und die zwei Ziegen, die wir noch
  bekommen werden, weiden. Ich sehe, wie sich       Bis es aber dahin kommt, müssten wir noch man-
  das Grünflächenamt freut (wie vor drei Jah-       ches ändern und tun!
  ren schon vorbesprochen), diese Wiese nicht       Wer will es versuchen?
  mehr mähen zu müssen.                             Mit hoffnungsvollem Gruße, Michael

10 | Die Brücke Weihnachten 2020
Warum reisen wir?

Julia Niederstucke, Camphill Alt-Schönow, Berlin      Das althochdeutsche Wort „reisa“ bedeutete
                                                      „Aufbruch, Zug, Fahrt“ und bezeichnete somit das
Warum reisen Menschen?                                Sich-Aufmachen, Sich-auf-den-Weg-Machen. Das
Menschen reisen, um sich in Erinnerung zu ru-         urgermanische Verb „rīsan“ hat die Bedeutung
fen, dass sie nicht alles wissen und dass die Welt    „sich erheben, aufstehen“ (vgl. zum Beispiel eng-
größer, geheimnisvoller und aufregender ist, als      lisch to rise).
es scheinen mag, wenn man den ganzen Tag zu
Hause sitzt.                                          Also brechen wir auf, machen uns auf den Weg
Das Reisen ist eine ständige Erinnerung an all die    und begeben uns auf die Reise. Wir wollen entde-
Dinge auf der Welt, über die wir staunen. In dieser   cken und schauen, was es außer den alltäglichen
Situation bietet uns das Reisen die Gelegenheit,      Gewohnheiten noch so gibt. Neugier und Abenteu-
uns relativ leicht daran zu erinnern, wie außer-      erlust treiben uns an. Wir wollen unseren Horizont
gewöhnlich viele Dinge sind. Jeder neue Ort und       erweitern und über unsere Grenzen hinausgehen.
jede Erfahrung hinterlassen eine kleine Spur auf      Wir sind aktiv auf der Suche nach persönlicher
unserer Seele.                                        Weiterentwicklung und reisen mit der Idee, dass
                                                      wir bereichert von einem Ort zurückkehren. Wir

                                                                        Die Brücke Weihnachten 2020 | 11
lassen uns faszinieren, kommen aus dem Stau-         Im Reisen befriedigen wir unseren Drang, der Ge-
nen nicht mehr heraus und sammeln Eindrücke          wohnheit zu entfliehen.
für graue Wintertage zu Hause.
                                                     Trotz Corona sind alle diese Wünsche und Be-
Wir tun im Urlaub das, was uns Spaß macht und        weggründe, sich auf die Reise zu begeben, auch
erleben Gefühle von Glück und Freiheit. Wir lassen   in diesem Jahr für viele Bewohner*innen von Alt-
unsere Aufmerksamkeit weit umherschweifen. Wir       Schönow wieder in Erfüllung gegangen. Damit
saugen den Duft der Pinienbäume ein oder genie-      dies möglich ist, planen, organisieren und setzen
ßen in Ruhe den Ausblick über eine Bucht. In sol-    unsere Mitarbeiter*innen großartige Reisen mit
chen Momenten werden vermeintlich unwichtige         außerordentlichem Engagement in die Tat um. Es
Details zu zentralen Wahrnehmungsereignissen.        ist jedes Mal eine herausragende Leistung, die
Sie können im Alltag immer wieder aufblitzen und     dafür erbracht wird.
uns gedanklich zurück in den Urlaub versetzen.       Ich bin sehr froh über diese Bereitschaft und danke
Urlaube machen uns auch langfristig glücklich,       allen Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Jahr
denn wir können immer wieder in Erinnerungen         mit großem persönlichem Einsatz wieder erlebnis-
schwelgen.                                           reiche Urlaubsfahrten möglich gemacht haben!
Hermann Hesse schreibt in seinem Stufen-Ge-
dicht:
    „Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
    Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen
    Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise
    Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen“.

Eines der Ordnungsprinzipien der Moderne ist
die Routine. Das Reisen ist ihre Unterbrechung.

12 | Die Brücke Weihnachten 2020
Serpentinenwegwandern – MYSA e.V.
und das Zusammenleben im Altthymenhaus

Michael Donner                                       nen, von Abweisung, Zurückweisung, Einweisung
                                                     und Dilemmata erschütternden Ausmaßes.
Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelt ein
zweites Mal: „Guten Tag, Familie Vultus hier. Un-    Matthias lebt mit der Autismus-Spektrum-Störung,
ser Sohn Matthias sucht dringend einen Wohnort.      sein Verhalten wird als stark herausfordernd er-
Einen Ort, der seinen Bedürfnissen gerecht wer-      lebt und er gilt als auto- und fremdaggressiv. Mat-
den kann.“ Die MYSA-Sozialarbeiterin Frau Dian-      thias spricht nicht verbal, das Üben an Gebärden
drer erfährt von den Schwierigkeiten, die Matthi-    war wenig erfolgreich, seine individuellen Gesten
as während seiner Schulzeit begleitet haben, die     aber helfen ihm im Miteinander. Kurz; das Leben
Grenzen, die in der Begleitung immer wieder er-      von Matthias ist bisher geprägt von wechselseiti-
reicht werden. Sie hört von Impulsdurchbrüchen,      gen Erfahrungen des Schocks, von Instabilitäten,
Ausbrüchen, seelischen Einbrüchen, Gewalterfah-      Beziehungsabbrüchen, kleinen und großen trau-
rungen, Kommunikationsproblemen, sozialen            matischen „Explosionen“. Nun hat er die Schule
Konflikten mit Mitschülern, die kaum lösbar schei-   absolviert und möchte sich auf die Reise machen,

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einen neuen Lebensmittelpunkt suchen, teilhaben       fang Juni, ca. zwei Wochen nach dem ersten Be-
an der großen, Matthias so sehr reizenden Welt.       such, zum gemeinsamen Wochenende.

Frau Diandrer verabredet einen ersten Besuch im       Mitte Oktober. Matthias wohnt nun seit drei Mona-
Altthymenhaus, hier wäre für Matthias eine Mög-       ten im Altthymenhaus. In der Zeit der Anamnese
lichkeit, Teil einer Wohngemeinschaft zu werden.      hat das Fachpersonal von MYSA neben den po-
Und das Team der assistenzgebenden Mitarbei-          tenziell medizinisch relevanten Informationen u.a.
ter/ innen MYSA‘s arbeitet an der Umsetzung von       auch die frühkindliche Vorgeschichte, die Entwick-
Entwicklungsräumen für Menschen mit stark her-        lungen durch die Jahrsiebte, aber auch einschnei-
ausforderndem Verhalten. An einem Donnerstag          dende Erlebnisse in der Schule, größere Verän-
im Mai ist es soweit, der Lehmofen ist mit Tatkraft   derungen im assistierenden Umfeld, Matthias‘
und Gesang durch Felix-Johann und Sandra an-          Beziehungsgestaltung, Veränderungen im familiä-
gefeuert, Larissa hat den Teig vorbereitet und Kai    ren Zusammenhang, beginnende Auffälligkeiten
hat mindestens sieben verschiedene Gemüse ge-         im Verhalten, Medikation inkl. Neuverordnungen
schnippelt. Die Pizza nimmt sich jeder einzeln vor    und auch bekannte, möglicherweise traumatisie-
und nun rein damit in den Ofen. Matthias scheint      rende Erfahrungen systematisch-professionell
das Mahl unter freiem Himmel zu genießen. Es          erfragt und erfasst. Im August fand nach ausgie-
wird ein schönes Treffen. Matthias nimmt die          biger Vorbereitung der ‚biographical timeline pro-
Ruhe intensiv wahr, er lauscht auf die Pferde, die    cess‘ für Matthias statt.
in der Nähe wiehern, Immer wieder läuft er los,
in den weiten Raum des Geländes, schaut, ob die       An zwei vollen Tagen und mit Beteiligung von
Schafe noch da sind, besucht ein ums andere Mal       unter anderem seiner Klassenlehrerin, seines
den alten Hausherren Hinnerk. Matthias Rufe sind      Neurologen, der Betreuerin, die ihn so viele Jahre
laut und eindringlich. Immer wieder stürmt er auf     begleitete, seiner Familie (selbst die Großmutter
Felix-Johann zu und stoppt nur Millimeter vor sei-    konnte teilnehmen!), dem Fachteam von MYSA,
nem Gesicht. Felix strahlt, wippt intensiv vor und    den Therapeutinnen und der Eurythmistin, die
zurück und schlägt seine rechte Hand heftig in        mittlerweile in die Begleitung von Matthias Ent-
die Linke; „immer mit der Ruhe, Brauner!“ sagt er.    wicklung involviert sind, der Familie Hinnerk des
Die WG-Mitglieder interessieren sich für Matthias,    Altthymenhauses, und überraschend; sogar Klara
wünschen sich ein Wiedersehen. Die Interessen-        und Ansgar, seine Freunde aus Schulzeiten, be-
vertretung entscheidet, dass ihm ein Probeüber-       suchten die arbeitende Gruppe, wanderten alle
nachten angeboten werden sollte. Familie Vultus       gemeinsam durch Matthias Leben. 32 Menschen
ist angetan vom Lebensort und so kommt es An-         beteiligten sich an diesen Serpentinen, welch ein

14 | Die Brücke Weihnachten 2020
Reichtum! Atmend im Rhythmus der Jahrsiebte,          dass am Vorabend immer die Tagesgestaltung an
dialektisch und immer wieder perspektivisch neu,      der Icon-Wand darzustellen ist, dass er in kurzer
empathisch und manchmal innehaltend, in Rollen        Taktung Runden über den Hof laufen wird und
tauchend, Informationen sensibel festhaltend,         dabei sehr laut tönen wird, hatte das Team aus
entstand erstmalig ein umfassendes Gesamtbild         dem durchgeführten Prozess gelernt. Auch umfas-
aus den diversen Lebensstationen heraus. Wel-         senderes Verständnis für seine besonderen Ver-
che feinen Wahrnehmungen durch die ehemalige          haltensauffälligkeiten wie der Wunsch, immer die
BfDlerin zum Tragen kamen! In vielen Momenten         gleiche Unterwäsche zu tragen oder die Ausbrüche
seines Lebens hatte Matthias selbst Strategien        im Zusammenhang mit der Wanduhr (die im Zim-
entwickelt, um Konflikte zu meistern. Manch           mer sein muss, aber zur Wand gedreht) sorgen im
schwerwiegende Erschütterung in seinem Leben          Alltag für weniger Herausforderungen. Die Teams
wiederum wurde z.B. lediglich von den Eltern          sind „im Bilde“, haben Ansätze zum vertieften Ver-
wahrgenommen. Die Hippotherapeutin der Schu-          ständnis der Biographie. Und so zeigt sich, dass
le hörte erstmalig, dass die Verweigerung der ge-     in den auftretenden Krisen (natürlich gibt es die;
liebten Zeit auf dem Pferderücken einherging mit      der Umzug war nicht einfach und unser gemein-
dem Klinikaufenthalt Ansgars, mit dem Matthias        samer Weg steht noch am Beginn) auch die Zu-
doch sonst gern einmal im Monat das Wochenen-         sammenarbeit mit dem Beratungszentrum Alster-
de bei Ansgars Familie verbrachte, nachdem sich       dorf, die Praxisanleitung durch einen Mitarbeiter
freitagnachmittags von den Pferden verabschie-        des MYSA-Teams im Sinne des DOKI-Konzeptes
det worden war. Auffallend, wie sich neue Verhal-     (DOKI steht für Dialog Orientierte Krisen Interven-
tensweisen mit der Veränderung der Medikation         tion), Menschen und Situationen einzuschätzen,
deckten. Wie hilfreich die griffigen Erläuterungen    Matthias‘ Krisensituationen zu managen hilft.
des Neurologen zu medikamentösen Wirkprinzipi-        (https://www.beratungszentrum-alsterdorf.de/
en Einsichten brachten!                               doki-krisenintervention) Bei gewaltsamen Konflik-
                                                      ten können die assistierenden Mitarbeiter*innen
Auf Basis dieser Arbeit hatte sich gezeigt, dass      Sicherheit geben, Entwicklung fördern und den
Matthias mit Interesse die Abläufe rund um unse-      Dialog aufrechterhalten.
re Schafzucht aufnahm, seit einiger Zeit begleitete
er die Fütterung der Tiere und half die Schubkarre    Unser Krisenhaus im Nachbardorf Dahmshöhe,
schiebend beim Abmisten.                              in dem für bis zu zwei Wochen der mitwohnende
                                                      Mensch im Krisenzustand in einer verlässlichen
Dass es für ihn wichtig ist, dabei immer mit dem      Eins-zu-Eins Begleitung Auszeit, Ortswechsel, so-
gleichen Assistenzgeber zusammenzuarbeiten,           ziale Entschleunigung, Beruhigung und Neuorien-

                                                                        Die Brücke Weihnachten 2020 | 15
tierung erfahren kann, hat Matthias noch nicht        Arbeiten (Vom Risiko zur Resilienz, www.leben-
kennengelernt.                                        arbeiten.de), hilft diesem Anspruch immer näher
                                                      zu kommen. Es existiert mittlerweile eine regio-
Familie Vultus nutzt das Angebot des Besuchs und      nale Intervisionsgruppe. Dort werden fortführend
der Übernachtung im Altthymenhaus derzeit regel-      tragende Strukturen aufgebaut, ein regelmäßiger
mäßig. Dem voraus gehen jedes Mal detaillierte        Austausch zu beispielsweise psychohygienischen
Absprachen mit den Mitarbeitenden zum Ablauf,         Übungen und die Erfahrungen damit sorgen für
der Strukturierung des Besuches, aber auch zu         frische Energie und Motivation im Team der Assis-
den Verantwortlichkeiten. Durch das Selbstver-        tenzgeberinnen.
ständnis des Teams, die Haltung gegenüber den
assistenzbedürftigen Menschen, dem gemeinsa-          Die Arbeit an unterstützter Kommunikation bleibt
men, tiefen Einblick in die Seelenlage von Matthi-    eine Herausforderung für die Mitarbeitenden, wir
as, ist eine Offenheit und Transparenz möglich,       schaffen es aber, mit Humor und Gelassenheit
die für alle Beteiligten bisher nur als heilsam zu    sowohl seitens Matthias als auch bei den Men-
beschreiben ist.                                      schen, die mit ihm kommunizieren wollen, immer
                                                      wieder Wege zu entdecken. Das Team ist dank-
Nichtsdestotrotz lebt ein starkes Bewusstsein für     bar für und neugierig auf die Schritte mit unse-
den eben erst begonnenen Weg, für mögliche He-        rer Kommunikations- und Gesundheitsberatung
rausforderungen, für dann vielleicht neue Fragen      (bspw. www.beratung-ulrikemeier.de), mit der ein
und noch unbekannte Antworten. Geduld und             dynamisches Arbeiten nach Bedarfslage verein-
Achtsamkeit wollen immer wieder gepflegt und ge-      bart ist und für Matthias bisher in zwei Beratungs-
übt werden. Sie sind immer wieder neu zu entwi-       modulen entwickelt wurde und wird.
ckeln, brauchen frische Impulse. Die Mitarbeiten-
den von MYSA sollen Wissen, Erkenntnisse und          Vielleicht sind abschließend noch zwei weitere
Handlungsmöglichkeiten erwerben, damit diese          nicht unwesentliche Faktoren zu Matthias zu nen-
Herausforderungen sie nicht überfordern, son-         nen: Matthias‘ sehr deutliche Entscheidung, den
dern sie adäquate Begleitungssituationen schaf-       Wohnraum in der Etage unterhalb der Wohnge-
fen können: für alle Beteiligten individuelle Hand-   meinschaft zu beziehen und selbstbestimmt zu
lungskompetenz und Selbstwirksamkeitserleben          beschließen, ob er bspw. lieber allein oder in der
stärken, neue Handlungsmöglichkeiten schaffen         Gruppe arbeiten, essen oder musizieren möchte,
und Retraumatisierung vermeiden! Unser lang-          scheint uns in der Umsetzung essentiell für sein
fristig angelegtes Arbeiten mit dem Seminar für       Wohlbefinden. Dass Matthias mit dem Ortsvor-
Sozialtherapie des Fördervereins Leben und            steher Herrn Sabokowski einen geduldig inter-

16 | Die Brücke Weihnachten 2020
essierten Freund gefunden hat, der mit ihm die                e.V. die zwei ersten Bewohner der WG bei der Um-
Pferderücken besuchen geht, auf denen Matthias                gewöhnung mit Blick auf den Einzug. Wir gestal-
hippotherapeutisch begleitet werden kann, wenn                ten das tägliche Miteinander derzeit von Dienstag
er so weit ist, scheint uns für beide ein Glück zu            09:00 Uhr bis Donnerstag 17:00 Uhr. Hintergrund
sein.                                                         ist eine bewilligte Übergangskonzeption.

Dieser Text ist ein Notenkonvolut der Zukunftsmu-
sik, so wie sie MYSA e.V. spielen wird. Die Namen
sind wenigstens verändert oder frei erfunden.
Die angerissenen Ansätze stellen hingegen sehr
konkret die begonnene Arbeit in der WG des Alt-
thymenhauses durch das assistenzgebende Team
von MYSA e.V. dar.
Die finale Gründung der Wohngemeinschaft Alt-
thymenhaus steht kurz bevor, die Verhandlungen
zur Übernahme der Kosten der Fachkraftstunde
stehen vor dem Abschluss. Derzeit begleitet MYSA

 Spendenaufruf
 MYSA e. V. plant neben dem ambulanten Dienst zum selbstbestimmten Wohnen den Aufbau eines
 Angebotes der Tagesstruktur und Beschäftigung. Zu diesem Zweck sind in Union mit den Hauseigen-
 tümern umfassende Ausbau- und Sanierungsmaßnahmen in Planung. MYSA e.V. übernimmt dabei
 die Finanzierung und Umsetzung der Aufgaben, die nicht die Sanierung der Räume im Souterrain des
 Altthymenhauses betrifft. Auch der Aufbau weiterer MYSA-Teams, sowohl für das ‚Tagwerk‘, ebenso
 für weitere Wohngemeinschaften, ist mit einigen Kosten verbunden. Für den Ausbau rechnen wir mit
 unserer Architektin nach jetzigem Planstand mit einem Finanzierungsbedarf von 800.000 Euro. Wir
 gehen von einem notwendigen Eigenanteil von ca. 80.000 Euro aus. Hiermit möchten wir sie bitten,
 uns mit einer Spende zu unterstützen! Mit ihrer Hilfe werden wir wirksam! Unser Spendenkonto:
 Mysa e.V. | IBAN: DE614306096712397412 | BIC: GENODEM1GLS
 MYSA e.V. ist unter VR 5265 NP beim Amtsgericht Neuruppin eingetragen. Die Gemeinnützigkeit ist vom Finanzamt Oranien-
 burg nach §§51, 59, 60, 61 AO anerkannt. Spenden sind gemäß §10 EStG als Sonderausgaben abzugsfähig. Die Körper-
 schaft ist berechtigt, für Spenden Zuwendungsbestätigungen auszustellen.

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Die Königsmühle in Corona-Zeiten

Edmund Otto Eisenhauer, Königsmühle                 Wir machten viel Musik und Tanztherapien und
                                                    konnten uns der realen Welt nähern, nachdem
Corona hat uns in der Königsmühle über die zahl-    alles öffentliche Leben runtergefahren war und
reichen Medien und Netzwerke aller Arten und        alles wie Science Fiction.
Typen mit vielen politischen und medizinischen      Als Haupttherapie malte ich viele Bilder in neuer
Informationen nicht verschont.                      Version – abstrakte Kunst, auch führte ich Kunst-
Es herrschte Quarantäne, Maskenpflicht in den       bastelarbeiten durch, stellte Schreibhefte, Sterne
Gruppen und die Mahlzeiten wurden auf die Woh-      in verschiedenen Varianten her in fröhlich bun-
nungen und Zimmern gebracht mit samt Medizin.       ten Farben und diese möchte ich auf dem Weih-
Die Kontaktsperre kränkte so jeden auch mich!       nachtsbazar der Camphill Lebensgemeinschaft
Immer hin fand dann die Heileurythmie zur Stär-     Königsmühle am 2. Sonntag im Advent und am
kung des Immunsystems statt.                        Abholtag kurz vor Weihnachten verkaufen.
Unser Haus ließ sich nicht abschrecken und fuhr     Auch arbeitete ich an der „KÖNIGSMÜHLEN KU-
viel Fahrrad in die nähere Umgebung nur so weit,    RIER“, sie ist unsere kleine Zeitung der Königs-
so dass man ohne Öffentlichen Verkehr zurück        mühle und kann bei uns für 3,50 € erworben wer-
fahren konnte, dass klappte immer!                  den und ist in unserer Homepage als PDF Datei
Ich ließ mir es nicht nehmen und ging auf Wan-      aufrufbar.
derungen, Nordic Walking und Fahrradtouren, die     Auch nutzte ich die Coronapandemie für viele Pri-
mich vom Corona Circus fernhielten. Ich fand das    vatprojekte positiv aus.
Maske tragen im Haus innert der Familie mehr als    Ja, im April begann die künstliche Bewässerung
völlig überzogen und eine Panikmacherei pur!        des Gartens, da es mit der Extremdauertrocken-
Wir feierten trotz Versammlungs- und Kontaktver-    zeitphase begann und vom Himmel immer weni-
bot die Karwoche und das Osterfest!                 ger Wasser fiel als aus dem Gartenschlauch und
Und aßen gemeinsam auf der Terrasse und später      den vielen Gießkannen.
im Esszimmer, nachdem es RKI und Bundestag es       Bin sehr dankbar, dass es Gießkannen und Gar-
zuließen.                                           tenschläuche gibt, mit denen man den Garten
Genauso wurde das Pfingst- und Johannifest kon-     grün halten kann, Danke an die Gartenwerkzeug-
sequent gefeiert nach traditioneller Art, nur das   erfinderInnen!
Feuer war auf Lager/Grillfeuerformat getrimmt!      Somit ist der Garten trotz Trockenheit der Dauer-

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extreme grün statt braun\gelb, wie es in der Sa-          Maskenpflicht in den Häusern fühlte sich an wie
    vannensteppe üblich ist!                                  ein Leben im Gefängnis!
    Wir leben in der grünen OASE!                             Kann es nicht anders formulieren – Ihnen ist´s
    Ja, einige Permakulturen konnten sich durch die           nicht anders ergangen wie uns und mir? (!)
    Bewässerungen halten, andere hingegen verdorr-            Wir sind nach Coronatestergebnis negativ und
    ten da jede Hilfe zu spät kam.                            dass ist super gut!
    Sie lassen die Blätter hängen wie ein Essigkrug,          Ich hoffe sehr, dass die Maskenpflicht so schnell
    was will ich machen?                                      wie nur möglich aufgehoben wird und die Impfung
    Mehr gießen als gießen kann ich nicht, wir haben          gegen neuartigen Corona Virus, Covid 19, Sars
    eine Fläche von gute 2 Fußballfelder!                     CoV2 als verpflichtend eingesetzt wird und die
                                                              Masken auf dauerhaft für immer und ewig ablöst!
    Zurück zum Corona Virus, Covid 19, Sars CoV2:
    wir wurden bis heute – toi, toi, toi – verschont und      Und nun möchte ich ein paar eigene poetische
    hatten diesen neuartigen Virus nicht am eigen             Gedichte als krönenden Abschluss zur Meditation
    Leib erfahren müssen, nur die Quarantäne mit              zum Meditieren an´s Herz legen:

„Lass die Dunkelheit, Dunkelheit sein.
Werde hell im inneren Mensch sein“.
                                         „Im hellen Mondenschein,
„Ich bin das Leben selbst auf Erden.     Ist alles an Krieg vorbei.
Und du bist der Mensch,                  Der Herr Gott ist der Allmächtige
Der das Leben hat“.                      Und bringt uns Frieden
                                         Und will uns sagen;                 „Was du längst verloren hast,
„Der Alltag ist so groß,                 Dass das Christkind zu uns          Wird von Gott im Himmel in der
Der Himmel so weit,                      Gekommen ist.                       Gottesscheune wohl und sicher
Der Mensch so klein                      Also frohe Weihnacht“!              Geborgen.
Und die Sterne über mir,                                                     Bis du Morgen wirst wie neu geboren,
Den Mond im Nacken                       „Was dir wird am Bein gebunden,     Auf irdischen Erdenwelt.
Und die Sonne in mir“.                   So hab´ ich´s,                      Und so brauchst,
                                         Das Verlorene wieder                Da du erwachst am
                                         Gefunden“.                          Morgen,
                                                                             Dir keinen Zwang zumachen um
                                                                             Die vielen Sorgen“.

                                                                               Die Brücke Weihnachten 2020 | 19
Musiktherapie in Sellen

Jakob Zobel                                          Wenn alles gepackt und verstaut ist, ist der Platz
                                                     des kleinen Autos meist sehr gut ausgenutzt und
Es ist Donnerstag. Um 7 Uhr geht es mit dem 22       ich nehme mir anschließend etwas Zeit in mich zu
Jahre alten Toyota Corolla los, von Bramsche nach    gehen und an die Menschen, die mir morgen be-
Steinfurt. Die Fahrt dauert ungefähr eine Stunde.    gegnen werden, zu denken.
Doch halt! Eigentlich geht es schon am Abend vor-
her los. Ich stimme mich und die Instrumente auf     Ich bin Jakob Zobel und ich fahre jeden Donners-
das was am nächsten Tag folgt ein. Die zwei Gitar-   tag in die Camphill Dorfgemeinschaft Sellen,
ren, die Leier und eine Kinderleier brauchen Zeit    um dort Musiktherapie anzubieten. Ich lebe mit
und müssen jeden Mittwochabend von neuem             meiner Frau und meinen drei Kindern im nördli-
gestimmt werden. Außerdem werden viele ande-         chen Osnabrücker Land. Bevor wir hier Fuß fas-
re Instrumente, von Akkordeon über verschieden-      sen konnten gab es viele verschiedene Stationen
artige Trommeln, einer Cajon und anderen Per-        auf dem Lebensweg. Über Thüringen, Branden-
kussionsinstrumenten bis hin zu einer Sansula,       burg und Mecklenburg-Vorpommern gelangte ich
Melodica und Mundharmonika im Auto verstaut.         im jungen Alter von 20 Jahren nach Aberdeen in
Auch technisches Equipment wie beispielswei-         Schottland, um dort meinen Zivildienst in den
se ein mobiles Aufnahmegerät darf nicht fehlen.      Camphill Schools Aberdeen (damals noch Cam-
                                                     phill Rudolf Steiner Schools) auf dem Murtle Es-
                                                     tate zu absolvieren. Nach wenigen Monaten war
                                                     klar, dass ich ein neues Zuhause gefunden hatte
                                                     und wollte bleiben, um dort Heilpädagogik zu stu-
                                                     dieren. Schon zu diesem Zeitpunkt war es mein
                                                     großer Wunsch, Musik in meine Arbeit zu integrie-
                                                     ren und diese auch therapeutisch zu nutzen. Ich
                                                     hatte das Glück, in den nachfolgenden Jahren mit
                                                     Colin Tanser, dem dort ansässigen Musiker und
                                                     Musiktherapeuten zusammenarbeiten zu dürfen,
                                                     welcher mir viele wertvolle Gedanken, praktische
                                                     und inspirierende Ideen und Konzepte für die the-

20 | Die Brücke Weihnachten 2020
rapeutischen Möglichkeiten von Musik mit auf        gebaut. Es bleibt nicht viel Zeit. Halb 9 betritt mein
den Weg geben konnte. Nach 5 Jahren Aberdeen        erster Klient mit einem Koffer in der Hand den
entschieden meine Frau und ich, damals noch         Saal. Nach einer kurzen Begrüßung werden auch
ohne Kinder, uns auf eine Reise durch Indien,       noch Grüße von der Mutter ausgerichtet und der
Nepal und Australien zu begeben, bis wir schließ-   Koffer geöffnet. Darin befindet sich eine eigene
lich wieder zurück nach Deutschland kamen. Hier     Sopranleier. Diese stellt er sorgfältig in den dafür
wollte ich Musiktherapie studieren und fand einen   aufgestellten Ständer und legt einige Notenblät-
Studienplatz in Münster. So zogen wir nach Stein-   ter auf den Notenständer. Meist beginnen wir mit
furt im Münsterland und es entstand schnell ein     einem Gespräch, in welchem persönliche Themen
Kontakt zur dortigen Camphill Dorfgemeinschaft      und Befindlichkeiten angesprochen werden kön-
Sellen, in welcher meine Frau und ich während       nen. Aus diesen Themen kann manchmal schon
des Studiums arbeiten konnten. Nach Abschluss       eine erste Musik entstehen. So konnte zuletzt
des Musiktherapiestudiums begann das Aben-          zum Beispiel eine kleine gemeinsame improvisier-
teuer als freiberuflicher Musiktherapeut und ich    te Musik mit Leier und Klavier in Erinnerung an
schloss mich dem Münsteraner Franchiseunter-        den kürzlich verstorbenen Vater entstehen. Trauer
nehmen „Musik auf Rädern“ an. Die erste Thera-      kann anklingen, aber auch die zuvor angespro-
piestunde in Camphill Sellen fand im August 2013    chenen schönen Erinnerungen, wie das Lächeln
statt und das musiktherapeutische Angebot konn-     des Vaters, findet auf der Ebene der Musik einen
te seitdem wachsen und mit positiver Resonanz       hörbaren Platz. Nach einer kurzen wirkungsvollen
angenommen werden. Heute bin ich mit meinem         Stille sagt der Klient: „Das hat gutgetan.“
eigenen Unternehmen „Mensch Musik Therapie“
unterwegs und kann einen ganzen Tag in Sel-
len verbringen und die vielen Begegnungen dort
klangvoll gestalten.

Um kurz nach 8 treffe ich nun in Camphill Sellen
ein und mache mich nach einigen freudigen ersten
Begrüßungen an die Arbeit, den dortigen Saal für
die heutigen Therapiestunden vorzubereiten. Die
Instrumente werden aus dem Auto gepackt und
einige schwere Instrumente, wie die Klangliege/-
stuhl, ein Schlagzeug oder die große Bassschlitz-
trommel, welche in Steinfurt bleiben, werden auf-

                                                                       Die Brücke Weihnachten 2020 | 21
Musik kann uns trösten. Musik kann uns berüh-         zu bewahren, um Verlorengegangenes wiederher-
ren. Musik kann uns bewegen und in Bewegung           zustellen oder auch Neues entstehen zu lassen.
setzen. Musik kann uns an frühere Zeiten den-
ken lassen und Erlebnisse noch einmal spürbar         Mein erster Klient an diesem Donnerstagmorgen
werden lassen. Musik kann uns verbinden. Musik        konnte neben der guten familiären Unterstützung
kann uns beruhigen oder auch aufwühlen. Musik         und der Unterstützung in der Hausgemeinschaft
kann unsere Identität mitbilden und eine tiefe Ver-   auch durch die Musiktherapie einen Halt auf sei-
bundenheit zu uns selbst und zu anderen herstel-      nem Weg des Abschieds und der Trauer bekom-
len. Musik kann unser Herz höherschlagen lassen.      men. Neben der improvisierten Musik spielen wir
Musik kann unsere Seele massieren. Musik kann         auch immer wieder kleine zweistimmige Lieder
uns Würmer ins Ohr setzen. Musik kann uns be-         aus unterschiedlichen Stilrichtungen, von volks-
gleiten. Musik kann das Schweigen brechen oder        tümlichen, über keltische bis hin zu klassischen
auch die Stille genießbar machen. Musik kann uns      Stücken. Am Ende der Stunde verabschieden wir
herausfordern und an unsere Grenzen bringen.          uns voneinander, im Wissen, dass wir uns später
Musik kann unsere Gefühle zum Klingen bringen.        beim Glockenchor noch einmal wiedersehen wer-
                                                      den. Anschließend darf ich eine kleine Gruppe im
All diese Merkmale oder Fähigkeiten der Musik         Saal begrüßen. Der erste Klient wird im Rollstuhl
werden in der Musiktherapie genutzt, um persönli-     schon freudestrahlend in den Saal geschoben.
che oder auch gemeinsame Entwicklungsprozesse         Sein Blick schweift kurz im Raum zu den verschie-
zu gestalten, um eigene Befindlichkeiten zum Aus-     denen Instrumenten. Plötzlich zeigt er auf eines
druck zu bringen, um Vorhandenes abzulegen oder       der Instrumente und verkündet mit einem lauten
                                                      „joooo…“, dass es heute das Schlagzeug sein wird
                                                      auf welchem er spielen möchte. Die anderen be-
                                                      treten auch den Raum. Eine Klientin setzt sich so-
                                                      fort auf ihren Platz, während eine andere Klientin
                                                      erst noch durch den Raum wandelt, bis sie für sich
                                                      etwas gefunden hat. Die gemeinsame Therapie-
                                                      stunde beginnt mit einer Begrüßungsmusik, bei
                                                      welcher ich mich jedem Einzelnen zuwende und
                                                      versuche einen Eindruck davon zu bekommen, in
                                                      welcher Stimmung und mit welchen Befindlichkei-
                                                      ten oder auch Anliegen diese Person heute hier
                                                      ist. Es können kleine musikalische Dialoge entste-

22 | Die Brücke Weihnachten 2020
hen. Dieser „Einzelkontakt“ richtet die Aufmerk-      kann sie nicht laufen, aber ich führe sie am Arm
samkeit jedes Gruppenteilnehmers vorerst auf          stützend in den Saal und wir drehen summend
eine bestimmte Person, welche in seiner/ihrer In-     und singend ein paar Runden, bis sie sich schließ-
dividualität wahrgenommen und willkommen ge-          lich in den Klangstuhl setzt. Der Klangstuhl ist aus
heißen werden soll. Im weiteren Geschehen geht        massivem Holz und von beiden Seiten mit jeweils
der Fokus vom Zentrum des Einzelnen immer wei-        20 Saiten bespannt, welche in C und in G gestimmt
ter nach Außen in das Gemeinschaftliche. Es wer-      sind. Ich beginne zu spielen. Der Klang umwebt
den rhythmische Muster, Bewegungen, Laute oder        uns und jede Zelle des Körpers. Ich bemerkte wie
auch etwas Gespieltes auf einem der Instrumente       eine anfängliche Anspannung bei meiner Klientin
von mir aufgegriffen und in die gemeinsame Mu-        abnimmt und die Atmung ruhiger wird. Ein Lachen
sik mit eingebettet. Eine tiefe Verbundenheit und     folgt. Eine Bewegung durchzieht den Körper. Nach
wahre Begegnungen können entstehen.                   dem vielen Sitzen im Rollstuhl ein intensives und
                                                      inniges Erlebnis. Nach ungefähr 10 bis 15 Minu-
Ich sehe an diesem Vormittag noch weitere Klien-      ten beende ich das Spiel und eine Stille folgt. Der
ten in der Einzel- und Gruppentherapie. Am Nach-      Körper und die Seele dürfen das, was war, noch
mittag findet der Glockenchor statt. Es kommen        einmal nachklingen lassen.
insgesamt 10 Teilnehmer, um gemeinsam mit den
englischen Handglocken zu musizieren und es           Ein intensiver Tag geht zu Ende. Alles wird wieder
herrscht ein vertrautes Beisammensein. Über das       an Ort und Stelle gestellt und gepackt, bevor ich
Jahr verteilt finden immer wieder kleiner Auftritte   die Heimreise antrete. Von weitem höre ich noch:
statt, welche mit viel Aufregung und Stolz verbun-    „Gute Fahrt! Bis nächste Woche!“
den sind. Fast schon traditionell wird der Martins-
markt vom Glockenchor jedes Jahr eröffnet. Seit
einiger Zeit schon arbeiten wir an einer CD mit
dem Motto „Mein Lieblingslied“. Dazu durfte jeder
Teilnehmer sein Lieblingslied nennen, welches wir
nach einigem Üben dann auch aufnehmen. Hier
wurden bereits Lieder von Abba, über Udo Jürgens
bis hin zu Rihanna gespielt, welche uns teils vor
große Herausforderungen stellten.

Abschließend an diesem Tag kommt noch eine
junge Frau zu mir in die Musiktherapie. Allein

                                                                         Die Brücke Weihnachten 2020 | 23
Dorfgemeinschaft Sellen im Lockdown:
Wahrnehmung aus der Sicht einer Mutter
Jutta Kohaus                                           meinschaft und der lobenswerten Maßnahmen
                                                       der Leitung in Sellen kreativ gemeistert.
Lockdown – nichts geht mehr…, soll ich meine
Tochter für die nächsten Wochen aus der Gemein-        Meine Bedenken als Mutter und Betreuerin wur-
schaft zu uns nach Bochum holen oder sie in ihrer      den durch die regelmäßigen Briefe seitens der
Gemeinschaft belassen? Diese Frage hat mich            Geschäftsführung und der guten und wertvollen
am Freitag, dem 13.3.20, kurzfristig sehr intensiv     Kommunikation mit der Gruppenleitung wäh-
beschäftigt. Gott sei Dank haben wir gemeinsam         rend dieser Zeit absolut zerstreut – VERTRAUEN
in der großen Familie die für Anna richtige Ent-       macht‘s möglich! Anna kam in den digitalen Ge-
scheidung getroffen! Es war gut, dass sie in der       nuss, mit uns zu skypen, wer hätte das gedacht,
Dorfgemeinschaft in ihrer WG geblieben ist, und        als sie vor dem Hintergrund des anthroposophi-
in der Retrospektive hätte Anna es uns wahrlich        schen Weltbildes 2006 in Sellen einzog. Wir müs-
gedankt, wenn sie sprechen könnte! Anna ist 32         sen mit der Zeit gehen und offen bleiben für Ver-
Jahre und hat einen erhöhten Assistenzbedarf im        änderung!
Alltag. Sie lacht viel, äußert sich durch Gestik und
Mimik und liebt ihr Leben in der Gemeinschaft.
Sie sucht mit Temperament immer die Nähe und
kann die notwendige Corona-Maßnahme „Social
Distancing“ nicht wirklich einhalten!

In der Zeit des Lockdowns lagen auch Ostern und
die geplante ambulante Kur von Anna in den Os-
terferien. Gleichzeitig galt das Besuchsverbot
auch für meine Mutter im Seniorenheim. Eine
echte emotionale Herausforderung für mich, aber
mein Motto – „Alles wird gut!“ -, hat sich bewährt.
Es war eine lange Durststrecke ohne Knuddeln…,
aber wir alle haben die Krise dank der tollen Ge-

24 | Die Brücke Weihnachten 2020
Eigentlich ha-       druck wieder vom Gemeinschaftsleben in Cam-
                                 ben wir primär       phill während des Lockdowns im Frühjahr!
                                 mit den WG-
                                 Freunden von         Der WEG ist das ZIEL!
                                 Anna geskypt,
                                 da       Annas
                                 Wortbeiträge
                                 nun doch sehr
                                 begrenzt wa-
                                 ren. Wir hatten
                                 viel Spaß und
                                 es tat mir gut,
                                 Annas Fröh-
                                 lichkeit   und
                                 Zufriedenheit,
wenn auch nur auf dem Bildschirm, zu erleben.
Die lebhaften Schilderungen von Aktivitäten in
der Gemeinschaft durch ihre Mitbewohner waren
Balsam für meine Seele: sie haben gemeinsam
Pizza gebacken, mit Abstand Spaziergänge in der
Natur rundum Sellen unternommen, für Ostern
gebastelt, Tandem gefahren und Vieles mehr.

All das hätte ich Anna nicht bieten können, nur ein
relativ langweiliges Verweilen bei uns zu Hause,
da Kinos, Restaurants, Zoos, Schwimmbäder etc.
ja geschlossen waren. Selbst ihre Oma hätten wir
nicht besuchen dürfen…, was für eine verrückte        Die Gemeinschaftstiftung Sellen drückte den el-
Zeit! Für mich war es eine weitere Fortsetzung des    terlichen Dank mit einer Spende für jeden Mit-
Themas Loslassen, ich bin nun wieder um eine          arbeiter der Dorfgemeinschaft aus in Form eines
gute und wichtige Erfahrung reicher!                  Gutscheines für den Besuch eines Autokinos, was
                                                      auf gute Resonanz stieß und gerne umgesetzt
Die beigefügten Fotos geben einen kleinen Ein-        wurde!

                                                                       Die Brücke Weihnachten 2020 | 25
An dieser Stelle möchte ich noch-
mals meinen persönlichen Dank an
alle Mitarbeiter und die Leitung der
Camphill Dorfgemeinschaft Sellen
aussprechen für ihren unermüdli-
chen Einsatz, den Dörflern eine virus-
freie Gestaltung des Lebens vor Ort
zu ermöglichen sowie für das hervor-
ragende Krisenmanagement!

Viel Glück wünscht uns allen meine
Tochter Anna!
Bleiben Sie gesund!

P.S.: Das Huhn Jacqueline ist ein von
den Dörflern von Sellen bemaltes
Camphill Huhn!

Spendenbitte für Tablets
In den letzten Monaten haben besonders unsere       Sie unserer Initiative mit 50 € oder einem Beitrag
Angehörigen in den Einrichtungen unter den Ein-     Ihrer Wahl.
schränkungen und der fehlenden körperlichen         Wir freuen uns über eine Spende auf unser Konto
Nähe zu ihren Angehörigen gelitten.                 bei der Sparkasse Bodensee mit der
Um etwas Nähe durch Sehen und Hören zu er-
möglichen, unterstützt der Freundeskreis daher      IBAN: DE05 6905 0001 0001 0209 65.
die Camphill Einrichtungen beim Kauf von Tablets.
Bitte nehmen Sie die Gelegenheit wahr und helfen    Danke schön im Voraus!

26 | Die Brücke Weihnachten 2020
Tablets für den Lock-Down –
Erfahrungsbericht aus Sellen
Karl Fikuart, Camphill Sellen                        Um einen gewissen Ausgleich für optische Redu-
                                                     zierungen im Kontakt mit Eltern, Angehörigen und
Mit Beginn der Einschränkungen aufgrund der          Betreuern und den Wohngruppen untereinander
Corona-Pandemie erwies sich die Struktur des         zu schaffen, hat sich der Vorstand der Gemein-
Lebens in voneinander getrennten Wohngruppen         schaftsstiftung Sellen spontan entschlossen, im
einerseits als vorteilhaft, da die Wohngruppen       Einverständnis der Geschäftsführung jeder Wohn-
jeweils als epidemiologische Einheiten streng ge-    gruppe ein Tablet zu übergeben, damit via Skype
trennt voneinander organisiert werden konnten.       oder ähnlicher digitaler Kommunikation die Ver-
Die Gefahr einer Virusübertragung wurde durch        bindung zum Lebensumfeld mindestens in Teilen
konsequente Einhaltung der Kontaktsperre so          erhalten bleibt. Die Tablets, die ausschließlich den
weit minimiert, dass es bisher zu keiner Infektion   Bewohner*innen / Dörflern der Camphill Dorfge-
der Bewohner*innen gekommen ist. Andererseits        meinschaft Sellen zugutekommen, wurden am 3.
waren die Restriktionen jedoch besonders belas-      April 2020 übergeben.
tend dadurch, dass sowohl Kontakte nach außen
und von außen als auch unter den Menschen in-        Die Maßnahme wurde von allen Beteiligten und
nerhalb der Dorfgemeinschaft absolut unterblie-      „Nutzer*innen“ dankbar und mit großer Freude
ben.                                                 aufgenommen. Es zeigte sich, dass aufkommen-
                                                     de Spannungen sich durch Gespräche mit Blick-
Da insbesondere Menschen mit reduzierten oder        kontakt meistens in kurzer Zeit lösen ließen. Die
veränderten geistigen Fähigkeiten oder psychi-       Tablets sind fester Bestandteil der Kommunika-
schen Problemen sich mit solchen plötzlichen Ein-    tionsmöglichkeiten der Bewohner*innen gewor-
schränkungen oder Veränderungen ihres Lebens-        den. Insoweit ist die Maßnahme als voller Erfolg
umfelds nur schwer oder gar nicht arrangieren        und als nachhaltig zu sehen.
können, wurden die Anforderungen an die Bewoh-
ner selbst wie auch für die pflegenden Mitarbeiter
mit der Dauer der Kontaktsperre täglich schwerer.

                                                                        Die Brücke Weihnachten 2020 | 27
„Es geht uns gut!“ Bericht vom Hausenhof

Ralf Hatz, Hausenhof

Vorneweg
Es geht uns gut!

Wir haben die Zeit mit den üblichen Einschrän-
kungen wegen der Corona-Epidemie zumindest im
äußeren Leben bisher (5.10.2020) gut bewältigt.
Bisher traten keine Corona-Infektionen auf, weder
bei Bewohner*innen, noch bei Mitarbeiter*innen.
Seit Juni sind unsere Werkstätten wieder geöff-
net. Jede*r Bewohner*in arbeitet wieder in der
Werkstatt, in der sie/er auch vorher gearbeitet hat
– häuserübergreifend. Und: Wir werden unsere          zu einem Freilauf-Stall für unsere Mutterkuhherde
Weihnachtsspiele (intern, ohne Gäste von außen)       ist im Zeitplan. Die Milchviehherde wurde durch
aufführen können. Das zuständige Gesundheits-         Verkauf und Umstellung zu einer Mutterkuhherde.
amt genehmigte dies trotz unseres Hinweises,          Die Milchproduktion ist eingestellt. Die Milch für
dass es nicht zu vermeiden ist, dass fast alle Be-    unsere Käserei beziehen wir nun von einem be-
wohner die Lieder kräftig mitsingen werden.           nachbarten befreundeten Demeter-Betrieb. Wäh-
                                                      rend der Bauphase ist die Herde ganzzeitig auf
Spannend bleibt, wie sich die Kontakteinschrän-       der Weide. Ende Oktober werden die Kühe den
kungen, das vorübergehende Besuchsverbot, das         dann umgebauten Stall „beziehen“.
vorübergehende Versammlungsverbot, die Mas-
kenpflicht usw. seelisch-geistig bereits ausgewirkt   Förderstätte
haben und wie und wo sich diese Auswirkung            Der Bau unserer Förderstätte für 11 Plätze hat
künftig zeigen werden.                                planmäßig im Frühjahr begonnen. Im Frühjahr
                                                      2021 wird das neue Gebäude dann mit Leben er-
Landwirtschaft                                        füllt werden.
Der Umbau des Anbinde-Stalls für unser Milchvieh

28 | Die Brücke Weihnachten 2020
Ambulant betreute Wohngruppe
                                                     Menschen, die am Hausenhof zurzeit vollstatio-
                                                     när betreut werden und welche eine relativ hohe
                                                     Selbständigkeit in der alltäglichen Lebensführung
                                                     zeigen, soll ein eigenständigeres und mehr selbst-
                                                     bestimmtes Leben ermöglicht werden. Dafür pla-
                                                     nen wir eine ambulant betreute Wohngruppe in-
                                                     nerhalb der Dorfgemeinschaft einzurichten. Dies
                                                     soll kurzfristig umgesetzt werden.

                                                     Soziales
                                                     Was sich im Bewusstsein der Menschen am Hau-
                                                     senhof bzgl. dem je eigenen Verständnis an „Ge-
Tagesstruktur                                        meinschaft“ gerade bildet und bewegt, lässt sich
Damit der Lebensort Hausenhof als Ganzes für         in so einem Bericht kaum schildern. Nur so viel:
neue Bewerber*innen attraktiv bleibt – geschütz-     Es bewegt sich ständig! Man könnte auch sa-
tes Lebensumfeld in der Dorfgemeinschaft, fami-      gen: Wir entwickeln uns. Alte und von manchen
lienähnliche Strukturen, gemischte Altersstruktur,   liebgewonnene Gewohnheiten und Traditionen
vielfältiges Angebot an sinngebenden Arbeitsmög-     enden, ohne dass dafür immer sogleich ein „Er-
lichkeiten – , insbesondere aber, um den Bedürf-     satz“ da wäre. Das zu erleben ist manchmal zu-
nissen derjenigen Menschen nachzukommen, die         nächst frustrierend, öffnet aber auch den Raum
nicht mehr oder nur noch teilweise am Werkstatt-     für zukunftsfähige Entwicklungen. Hier kommt es
leben teilnehmen können und die auch nicht im        scheinbar immer weniger darauf an, neue Formen
Rahmen der Förderstätte betreut werden können,       und Strukturen zu schaffen, sondern alles hängt
soll das Angebot einer geeigneten Tagesstruktur      künftig mehr und mehr von der gemeinschaftsbe-
geschaffen werden. Kurzfristig soll eine WTEG        rücksichtigenden Initiative (nach innen und nach
(Wohnen mit Tagesstruktur für erwachsene Men-        außen) des Einzelnen ab. Und daraus ergeben
schen mit einer geistigen Behinderung) im Haus       sich dann die neuen Formen und Strukturen.
Karneol entstehen. Dieses Angebot richtet sich
ausschließlich an Bewohner*innen, die bereits        Hausenhof, 05.10.2020
vorher an einem Wohnangebot des Hausenhofs
teilgenommen haben.

                                                                       Die Brücke Weihnachten 2020 | 29
Wie haben wir die “Hoch-Zeit” der Corona-
Epidemie erlebt?
Klaus Biedorf (11.7.2020)                            sehr intime Zeit, weitgehend frei von sozialen
                                                     Kontakten und äußeren Beeinflussungen. Wo-
Nachdem das Bayrische Staatsministerium für          chenlang strukturierten wir mit Laurens unseren
Gesundheit und Pflege am 13. März 2020 „All-         Tagesablauf so, dass genügend Abwechslung ge-
gemeinverfügungen“ für den Vollzug des bundes-       geben war. Laurens genoss sichtlich dieses un-
weit geltenden „Infektions-schutzgesetzes“ mit       gewohnt lange Beisammensein, fuhren wir doch
entsprechenden Regelungen auch für die „Behin-       jeden Nachmittag an naturinteressante Plätze in
derteneinrichtungen“ erlassen hatte, war vielen      unserer Umgebung, machten Spaziergänge mit
Eltern und Angehörigen klar, dass wir für das Bei-   „Waldbaden“ und weiten Ausblicken in unsere
sammensein mit unserem Kind oder unserem An-         schöne Heimat. In einem „Tagebuch“ mit vielen
gehörigen Entscheidungen treffen mussten, blie-      Bildern und kurzen Texten hielten wir als Erinne-
ben doch die Werkstätten geschlossen und die         rung und gedankliche Vertiefung das Erlebte fest.
Bewohner nur noch auf ihre Hausgemeinschaften
angewiesen. So entstand eine Quarantänesitua-        Im steten Kontakt mit den Hausverantwortlichen
tion, die das Gemeinschaftsleben für sehr viele      und Mitarbeiterinnen nutzten wir erstmalig Video-
Wochen prägen sollte.                                telefonie, aber auch Sendungen mit der „gelben
                                                     Post“. So entstand ein sehr lebendiger Austausch,
Angesichts des nahenden Osterurlaubs entschlos-      der sehr hilfreich die verordnete Distanz über-
sen wir uns, unseren Sohn Laurens unter den ge-      brückte.
währten Bedingungen – die Leitung des Lebens-
Ortes Hausenhof hatte rechtzeitig und ausführlich    Wir hielten auch enge Verbindungen zu Eltern, die
alle Eltern und Angehörigen informiert – nach        ebenfalls ihre Angehörigen zuhause betreuten
Hause zu holen, wohl wissend, dass die Bedingun-     und auf Informationen zu Rückkehrmöglichkeiten
gen des Zurückkehrens noch nicht geklärt waren.      warteten. Hier war meine frühere Ehrenamtstätig-
Der Abholtag war dann der 22. März, ein Tag, be-     keit im Vorstand des Freundeskreises Camphill
vor auch in Bayern der umfassende „Lockdown“         sehr von Vorteil, gab es doch manche Anrufe aus
in Kraft trat.                                       dieser Verbundenheit heraus und es konnte Rat
Für uns begann dann eine ganz besondere und          gegeben werden.

30 | Die Brücke Weihnachten 2020
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