Reformschwerpunkt Pflege: Pflegepersonal-untergrenzen und DRG-Pflege-Split - Dr. Wulf ...

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111             7

Reformschwerpunkt
Pflege: Pflegepersonal-
untergrenzen und
DRG-Pflege-Split
Wulf-Dietrich Leber und Charlotte Vogt

7.1         Vergütung pflegerischer Leistungen
            im Finanzierungssystem für Krankenhäuser – 113

7.2         Abbildung der Pflege im DRG-System – 114
7.2.1       DRG: Gruppenbildung nach Maßgabe ärztlicher Kategorien – 114
7.2.2       PKMS: Zusatzentgelt für aufwendige Pflegefälle – 115
7.2.3       Zusatzentgelte für Pflegegrade – 116

7.3         Flankierende Maßnahmen – 116
7.3.1       Externe stationäre Qualitätssicherung – Pflege:
            Dekubitusprophylaxe – 116
7.3.2       Pflegestellen-Förderprogramme – 117
7.3.3       Personalvorgaben im Bereich Pflege im Krankenhaus – 117

7.4         Pflegepersonaluntergrenzen – 121
7.4.1       Gesetzgebung infolge der Pflegeexpertenkommission – 121
7.4.2       Methodische Fragen der Festlegung von
            Pflegepersonaluntergrenzen – 122
7.4.3       Pflegepersonaluntergrenzen für 2019 und 2020 – 124
7.4.4       Pflegepersonaluntergrenzen als Digitalisierungsproblem – 127
7.4.5       Weiterentwicklung der Pflegepersonaluntergrenzen:
            Risikoadjustierung und Komplettierung – 128
7.4.6       Pflegepersonaluntergrenzen versus Personalanhaltszahlen – 129

© Der/die Autor(en) 2020
J. Klauber et al. (Hrsg.), Krankenhaus-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60487-8_7
7.5     DRG-Pflege-Split – 130
7.5.1   Koalitionsbeschluss zur Ausgliederung der Pflege aus dem DRG-
        System – 130
7.5.2   Umsetzung des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes – 132
7.5.3   DRG-Pflege-Split als mehrjähriger Prozess – 135

7.6     Abbildung der Pflege
        in Krankenhausvergütungssystemen – 136
7.6.1   Erfassung von Pflegebedarf und Pflegeleistungen – 136
7.6.2   Nursing Related Groups – 138
7.6.3   Conclusio: Von der Pflegedokumentation über Pflegescores
        zur Vergütung von Pflege – 139

7.7     Optionen zur Berücksichtigung der Pflege
        bei der Krankenhausvergütung – 139
7.7.1   Wiedereingliederung der Pflegeleistung in ein neues DRG-
        System – 139
7.7.2   Weiterentwicklung des Pflegebudgets jenseits
        der Selbstkostendeckung – 140
7.7.3   Zusammenhänge mit anderen DRG-Entwicklungen – 140

7.8     Fazit: Digitale Erfassung von Pflegebedarf und
        Pflegeleistungen vorantreiben – 142

        Literatur – 143
7.1  Vergütung pflegerischer Leistungen im Finanzierungssystem für Krankenhäuser
                                                                                          113                    7
2Zusammenfassung                                        conditions for hospitals considerably and asso-
Im Bereich der Krankenhausversorgung ist der            ciated with several implementation agreements
Bereich Pflege gleich zweifach Gegenstand zen-           between the German Hospital Association and
traler Reformvorhaben des Gesetzgebers: Zum             the National Association of Statutory Health In-
ersten gelten seit 2019 für ausgewählte Kran-           surance Funds. The article shows that minimum
kenhausbereiche verbindliche Pflegepersonalun-           levels for nursing staff are a sensible contribu-
tergrenzen, zum zweiten werden ab dem Bud-              tion to patient safety and argues in favour of
getjahr 2020 die Pflegepersonalkosten aus den            setting minimum staffing levels for all wards in
DRG-Fallpauschalen ausgegliedert und in Form            the medium term. Instead, the so-called nurs-
eines Pflegebudgets nach dem Selbstkostende-             ing DRG split (also known as “Pflexit”) is viewed
ckungsprinzip refinanziert. Die beiden Reformen          critically. Due to the full refinancing of costs,
ändern die Rahmenbedingungen für die Kran-              nursing staff might again increasingly become
kenhäuser erheblich und sind mit einer Viel-            engaged in activities away from nursing care. In
zahl von Umsetzungsvereinbarungen zwischen              order to replace the principle of cost coverage, the
der Deutscher Krankenhausgesellschaft und dem           authors discuss alternative ways for determining
GKV-Spitzenverband verbunden. Der Artikel               the nursing budget. These require a system for
stellt dar, dass Pflegepersonaluntergrenzen ein          recording care needs and nursing services. The
sinnvoller Beitrag zum Patientenschutz sind, und        same applies to the minimum staffing levels for
plädiert dafür, Untergrenzen mittelfristig für alle     nursing staff, which have so far been set without
Stationen festzulegen. Kritisch hingegen wird der       taking the individual care needs of patients into
sogenannte DRG-Pflege-Split (auch „Pflexit“) ge-          account. In order to ensure that the mapping of
sehen. Diese Maßnahme dürfte dazu beitragen,            nursing care in the context of quality assurance
dass Pflegekräfte wegen der vollen Refinanzie-            and hospital reimbursement does not lead to ad-
rung der Kosten wieder vermehrt pflegeferne              ditional bureaucratic burdens, there is an urgent
Tätigkeiten ausüben. Zur Ablösung des Selbst-           need for digital nursing care documentation from
kostendeckungsprinzips werden Alternativen zur          which the necessary information can be derived
Bestimmung des Pflegebudgets diskutiert. Die-            with little effort.
se bedürfen einer Erfassungssystematik für Pfle-
gebedarf und Pflegeleistungen. Gleiches gilt für
die Pflegepersonaluntergrenzen, die bislang ohne         7.1     Vergütung pflegerischer
Berücksichtigung des individuellen Pflegebedar-                  Leistungen
fes der Patienten festgesetzt werden. Damit die                 im Finanzierungssystem
Abbildung der Pflege im Rahmen der Qualitäts-                    für Krankenhäuser
sicherung und der Krankenhausvergütung nicht
zu zusätzlichem bürokratischem Aufwand führt,
                                                        Die Finanzierung pflegerischer Leistungen ist
bedarf es dringend einer digitalen Pflegedoku-
                                                        das dominierende gesundheitspolitische The-
mentation, aus der aufwandsarm die notwendi-
                                                        ma der letzten und der laufenden Legisla-
gen Informationen abgeleitet werden können.
                                                        turperiode – vorrangig allerdings in der Al-
                                                        tenpflege. Drei Reformen (PSG I1 , PSG II2 ,
In the area of hospital care, the nursing sector
is the subject of two central reform projects of
the legislator: firstly, minimum staffing levels for       1
                                                              Erstes Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versor-
nursing staff which have been in force for selected            gung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Ers-
hospital areas since 2019; secondly, from the bud-            tes Pflegestärkungsgesetz – PSG I) vom 17.10.2014
get year 2020, nursing staff costs will be separated           (BGBl. I S. 2222–2230).
                                                        2
                                                              Zweites Gesetz zur Stärkung der pflegerischen
from the DRGs and refinanced via a nursing                     Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschrif-
budget according to the principle of cost coverage.           ten (Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II) vom
The two reforms are changing the framework                    21.12.2015 (BGBl. I S. 2424–2463).
114         Kapitel 7  Reformschwerpunkt Pflege: Pflegepersonaluntergrenzen und DRG-Pflege-Split

    PSG III3 ) unter Gesundheitsminister Hermann                  einer Ersatzvornahme des Bundesministeri-
    Gröhe ordneten die gesetzliche Pflegeversiche-                 ums für Gesundheit (BMG) in Kraft gesetzt
    rung neu, so z. B. durch die Einführung von                   werden (siehe 7 Abschn. 7.4). Die erstmalige
    Pflegegraden statt der vorher geltenden Pfle-                   Festlegung von Pflegepersonaluntergrenzen ist
    gestufen. Daneben wurde im Rahmen des so-                     der Beginn eines längeren Prozesses, bei dem
    genannten zweiten Pflegegipfels – nach dem                     in den initialen Jahren 2019 und 2020 lediglich
    ersten Pflegegipfel unter Gesundheitsministe-                  ein Viertel der Krankenhausstationen geregelt
    rin Ulla Schmidt – die Pflegesituation im Kran-                wurde und zudem eine Berücksichtigung des
    kenhaus zum Handlungsfeld gesundheitspo-                      individuellen Pflegebedarfs fehlt.
    litischer Maßnahmen. Sie schlugen sich nie-                       Parallel erfolgte der sogenannte „Pflexit“,
    der im Koalitionsvertrag der Großen Koalition                 also die Ausgliederung der Pflege am Bett in
    am Anfang dieser Legislaturperiode: Zum ei-                   ein Pflegebudget, dessen Volumen sich kran-
    nen wurden Pflegepersonaluntergrenzen fest-                    kenhausspezifisch nach den Selbstkosten be-
    gelegt, zum anderen wurden – völlig überra-                   misst. Dieser Vorgang kann als eine Art Kolla-
    schend – die Pflegeleistungen als Pflegebud-                    teralschaden der Diskussion in der gesetzlichen
7   get aus den DRG-Fallpauschalen ausgegliedert.                 Pflegeversicherung und als gesundheitspoliti-
    Die Umsetzung dieser Maßnahmen führte zu                      scher Fehler gewertet werden. Die Umsetzung
    einer Vielzahl an Aufgaben für die gemeinsame                 auf Selbstverwaltungsebene ist komplex (siehe
    Selbstverwaltung. Diese sind das zentrale The-                7 Abschn. 7.5) und schlägt sich in einer Vielzahl
    ma der folgenden Ausführungen.                                von Vereinbarungen zur Kostenabgrenzung so-
         Das DRG-Fallpauschalensystem ist in sei-                 wie in neuen Regeln zur Abrechnung und Bud-
    nen Ursprüngen ein ärztlich dominiertes Sys-                  getbestimmung nieder.
    tem, in dem aber sukzessive pflegerische As-                       Sowohl die Pflegepersonaluntergrenzen als
    pekte integriert wurden, so z. B. durch die                   auch die künftigen Bestimmungsgrößen für das
    Einführung eines Scores für aufwendige Pfle-                   Pflegebudget werfen tiefgreifende Fragen der
    gefälle und Zusatzentgelte für Pflegegrade (sie-               Abbildung pflegerischer Leistungen auf (sie-
    he 7 Abschn. 7.2). Bedeutsamer aber waren die                 he 7 Abschn. 7.6). Es zeigt sich ein erheblicher
    flankierenden Maßnahmen zur Sicherung der                      Nachholbedarf bei der elektronischen Erfas-
    Pflegequalität, so z. B. die externe Qualitätssi-              sung von Pflegebedarf und Pflegeleistungen,
    cherung zum Dekubitus, das Pflegestellen-För-                  ohne die eine sinnvolle Weiterentwicklung der
    derprogramm und die Personalvorgaben (siehe                   Qualitätssicherung und des Vergütungssystems
    7 Abschn. 7.3). Personalvorgaben existieren in-               nicht möglich sein wird (siehe 7 Abschn. 7.7).
    zwischen teils als Anhaltszahlen, teils als Unter-            Die künftige Systematik wird auf einer besse-
    grenzen an mehreren Stellen in der gesetzlichen               ren digitalen Erfassung pflegerischer Leistun-
    Pflege- und in der gesetzlichen Krankenversi-                  gen aufbauen müssen (siehe 7 Abschn. 7.8).
    cherung.
         Die Pflegepersonaluntergrenzen für die
    Krankenhauspflege im Gefolge des zweiten
                                                                  7.2     Abbildung der Pflege im DRG-
    Pflegegipfels sind der zurzeit bedeutsamste
    Ansatz zur Sicherung der Pflegequalität. Ih-                           System
    re Umsetzung ist hoch konfliktär und musste
    nach anhaltendem Widerstand der Deutschen                     7.2.1    DRG: Gruppenbildung
    Krankenhausgesellschaft (DKG) auf dem Wege
                                                                           nach Maßgabe ärztlicher
                                                                           Kategorien
    3
          Drittes Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versor-
          gung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drit-
          tes Pflegestärkungsgesetz – PSG III) vom 23.12.2016     Das DRG-System ist ein medizinisch-
          (BGBl. I S. 3191–3220).                                 ökonomisches Klassifikationssystem, das von
7.2  Abbildung der Pflege im DRG-System
                                                                               115                  7
Ärzten entwickelt wurde. Folglich bilden             Der PKMS ist nach wie vor Gegenstand
die Kategorien primär ärztliche Leistungen       heftiger Auseinandersetzungen innerhalb des
ab. Das pflegerische Leistungsgeschehen in        Deutschen Pflegerates (DPR) sowie zwischen
Krankenhäusern hingegen bleibt weitgehend        Krankenhäusern und Krankenkassen. Der
unbeachtet. So berücksichtigt das DRG-Sys-       PKMS war eine Lösung der mangelnden
tem den medizinischen Schweregrad eines          Berücksichtigung besonders schwerer Kran-
Krankenhausfalles, nicht aber den Pflegebedarf    kenhausfälle. Dies aber wurde von großen
eines Patienten und den daraus resultierenden    Teilen der pflegerischen Interessenvertretung
Pflegeaufwand eines Falles. Dies ist insofern     als unzureichende Antwort auf die insgesamt
relevant, als der Pflegeaufwand für Patien-       problematische Pflegesituation angesehen.
ten bei gleicher medizinischer Diagnose und      Schließlich erfasst der PKMS nicht einmal 5 %
Behandlung aufgrund pflegerischer Kriterien       der Krankenhausfälle – bei erheblichem Er-
erheblich variieren kann (Thomas et al. 2014;    fassungsaufwand. In der Tat war das Ziel der
Simon 2008; Eberl et al. 2005; Fischer 1999,     PKMS-Einführung die Berücksichtigung be-
2002). Pflege war lange überhaupt nicht erlös-    sonders schwerer Fälle im DRG-System, um
relevant im DRG-System und ist es nach wie       für die betroffenen Patientengruppen eine ne-
vor wenig. Die Folgen sind massive Einspa-       gative Risikoselektion auszuschließen. Man
rungen in der Krankenhauspflege seit Beginn       hilft diesen Gruppen nicht mit einem Kode,
des DRG-Systems, die in dem derzeit ange-        der quasi bei allen Krankenhausfällen kodier-
prangerten „Pflegenotstand“ gipfeln (obwohl       bar ist, da dann gerade die differenzierende
es den schon vor der DRG-Einführung gab).        Wirkung verloren geht.
Neben der unzureichenden Berücksichtigung            Von Krankenhausseite wird der PKMS we-
von Pflege im DRG-System fehlt es darüber hi-     gen seines bürokratischen Aufwands kritisch
naus an der Transparenz über Pflegeleistungen     gesehen. Die Lobbyaktivitäten der DKG zur
im Krankenhaus.                                  Abschaffung des PKMS haben ihren Grund
                                                 jedoch vor allem durch die Auseinander-
                                                 setzungen im Rahmen der Rechnungsprü-
7.2.2   PKMS: Zusatzentgelt
                                                 fung. Da eine PKMS-Kodierung über 1.000 €
        für aufwendige Pflegefälle               zusätzlich erbringt (bei Kleinkindern, Kin-
                                                 dern und Jugendlichen bis über 6.000 €, sie-
Die Abbildung schwerer Pflegefälle war eines      he 7 Abschn. 7.5.3), wurde auf Kassenseite der
der wesentlichen Ergebnisse des ersten Pfle-      Nachweis der einzelnen Aktivitäten in großem
gegipfels und erfolgte als „Pflegekomplexmaß-     Umfang überprüft (z. B.: „Waren wirklich zwei
nahmen-Score (PKMS)“.                            Personen bei der Umbettung anwesend?“). Die
    Der PKMS ist eine Art Einzelleistungs-       Kampagnen der DKG gegen den PKMS führ-
erfassung pflegerischer Leistungen, wobei die     ten schließlich zu einer Regelung im Pfle-
Leistungen mit Punkten bewertet sind. Hohe       gepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG)4 , die von
Punktzahlen führen im DRG-System zu einer        den Spitzenverbandspartnern einvernehmliche
zusätzlichen Vergütung bei Fällen mit hohem      Vorschläge für zu streichende Prozeduren ein-
Pflegeaufwand, beispielsweise bei Patienten mit   forderte.5 Da der PKMS nach Einführung
Querschnittslähmung. Da ein solch hoher Pfle-     des Pflegebudgets vermeintlich nicht mehr
geaufwand in allen Fallgruppen auftreten kann,   erlösrelevant sei, könne künftig verzichtba-
erfolgt die Vergütung in Form eines Zusatz-
entgelts. Ziel des PKMS ist die Identifizierung
und adäquate Vergütung von hohem Pflegeauf-       4
                                                     Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals (Pflege-
wand bei bestimmten Patientengruppen, um zu          personal-Stärkungsgesetz – PpSG) vom 11.12.2018
vermeiden, dass diese Patienten von den Kran-        (BGBl. I S. 2394–2422).
kenhäusern abgewiesen werden.                    5
                                                     Vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 9 KHEntgG.
116     Kapitel 7  Reformschwerpunkt Pflege: Pflegepersonaluntergrenzen und DRG-Pflege-Split

    rer Dokumentationsaufwand vermieden wer-              doch nicht mehr. Ein Vorschlag für eine Nach-
    den.                                                  folgeregelung für den PKMS findet sich in
        Absehbar scheiterten die diesbezüglichen          7 Abschn. 7.6.3.
    Verhandlungen zwischen DKG und GKV und
    es kam kein gemeinsamer Vorschlag bis zum
    28.02.2019 zustande. Der Weg, die Schieds-            7.2.3    Zusatzentgelte
    stelle nach § 18a Abs. 6 KHG anzurufen,
    wurde von keinem der Spitzenverbandspart-
                                                                   für Pflegegrade
    ner beschritten. Es sei bei dieser Gelegenheit
    auf diese skurrile neue Gesetzeskonstruktion          Ergebnis des zweiten Pflegegipfels war die
    der „zuarbeitenden Selbstverwaltung“ hinge-           Nutzung der Pflegegrade aus der Pflegever-
    wiesen: Die Selbstverwaltungspartner sollen           sicherung als Zusatzentgelt im DRG-System.
    verhandeln, können auch die Schiedsstelle be-         Die Pflegegrade (in Verbindung mit der Ver-
    mühen; das Verhandlungsergebnis war dann              weildauer) waren in Form der Zusatzentgel-
    aber nichts anderes als ein Vorschlag für das         te ZE162 und ZE162 im DRG-System 2018
7   obrigkeitsstaatlich entscheidende Deutsche In-        erstmals erlösrelevant. Da fast 90 % der zu-
    stitut für Medizinische Dokumentation und In-         sätzlichen Kosten im Bereich der Pflegemodule
    formation (DIMDI).                                    anfallen, stellte sich die Frage, ob die Wei-
        Der GKV-Spitzenverband vertrat die Mei-           terführung dieser Zusatzentgelte bei Ausglie-
    nung, dass der PKMS keinesfalls ersatzlos ge-         derung der Pflegepersonalkosten noch sinn-
    strichen werden solle, und zwar aus mehreren          voll ist. Im Sinne einer zunächst konservati-
    Gründen:                                              ven Weiterentwicklung des DRG-Systems (sie-
    1. Das Institut für das Entgeltsystem im Kran-        he 7 Abschn. 7.5.3) wurden die Zusatzentgelte
        kenhaus (InEK) konnte zeigen, dass der            auch im DRG-System 2020 erhalten, obwohl
        PKMS auch nach Ausgliederung der Pfle-             die Höhe von 18 € bzw. 34 € eigentlich kein Zu-
        gekosten maßgebliche DRG-Erlösbestand-            satzentgelt mehr rechtfertigt. Prinzipiell bleibt
        teile triggert (Erklärung: Pflegeaufwendige        es ein kluger Weg, vorhandene Daten zum Pfle-
        Fälle haben auch einen höheren Sachkos-           gebedarf in der Krankenhausvergütung zu nut-
        tenanteil bei Verbandskosten.).                   zen – sei es im DRG-System oder aber auch
    2. Eine Identifizierung pflegeaufwendiger Fäl-          bei einer künftigen Bemessung des Pflegebud-
        le ist notwendiger Bestandteil bei der Ri-        gets.
        sikoadjustierung im Zusammenhang mit
        Pflegepersonaluntergrenzen und beim Pfle-
        gepersonalquotienten.                             7.3     Flankierende Maßnahmen
    3. Da absehbar ist, dass das Selbstkostenprin-
        zip beim Pflegebudget nicht auf Dauer Be-          7.3.1    Externe stationäre
        stand haben wird, ergibt sich die Notwen-
                                                                   Qualitätssicherung – Pflege:
        digkeit, weiterhin unterschiedlichen Pflege-
        aufwand „sichtbar“ zu machen.                              Dekubitusprophylaxe

    Allerdings führt das diesbezügliche Zusatzent-        Das DRG-System wurde im Laufe der Jahre
    gelt nur noch zu Erlösen, die rund ein Viertel        um ein differenziertes System externer Quali-
    des Volumens vor der Pflegeausgliederung be-           tätssicherung ergänzt, das derzeit 271 Indikato-
    tragen (siehe 7 Abschn. 7.5.3, . Tab. 7.6).           ren zu rund 30 Leistungsbereichen erfasst (mit
        Noch ist keine Lösung gefunden. Das BMG           starkem Schwerpunkt auf chirurgischen Leis-
    hat den Selbstverhandlungspartnern im Ju-             tungen). Pflegerische Aspekte wurden ledig-
    ni 2019 mitgeteilt, dass der PKMS für das             lich im Qualitätssicherungsverfahren „Pflege:
    Jahr 2020 beibehalten wird – für 2021 je-             Dekubitusprophylaxe“ abgebildet, das im Jahr
7.3  Flankierende Maßnahmen
                                                                                       117                  7
2004 eingeführt wurde; 2007 wurde eine Risi-            len bestätigten ein Volumen von 13.600 Pflege-
koadjustierung implementiert und 2013 wurde             vollzeitkräften im Förderzeitraum.8
das Dokumentationsverfahren erheblich ver-                  Mit     dem     Krankenhausstrukturgesetz
einfacht. So erfolgt die Datenerfassung seitdem         (KHSG)9 wurde ein zweites Pflegestellen-För-
weitgehend automatisiert über die im Kran-              derprogramm eingerichtet. Im Zeitraum von
kenhaus vorhandenen Abrechnungsdaten nach               2016 bis 2018 wurden rund 660 Mio. € für
§ 21 KHEntgG.6                                          die Stärkung der unmittelbaren Patientenver-
                                                        sorgung auf bettenführenden Stationen zur
                                                        Verfügung gestellt. Das vorläufige Ergebnis
7.3.2   Pflegestellen-                                  des zweiten Förderprogramms war eher er-
        Förderprogramme                                 nüchternd, da in den Förderjahren 2016 bis
                                                        2018 lediglich 339 Mio. € verausgabt wurden
                                                        und damit nur die Hälfte der insgesamt zur
Jenseits der Qualitätssicherung reagierte die           Verfügung stehenden Mittel. Das endgültige
Politik im Rahmen des ersten Pflegegipfels auf           Ergebnis des zweiten Förderprogramms steht
den Stellenabbau in der Krankenhauspflege in             erst im Juni 2020 fest.
den Jahren 1997 bis 2007 und legte ein Pro-                 Mit dem PpSG ist die Weiterentwicklung
gramm zur Förderung von Neueinstellungen                und der Ausbau des Pflegestellen-Förderpro-
oder Aufstockungen vorhandener Teilzeitstel-            gramms gesetzlich verankert worden. Bereits
len in der Pflege auf. Dieses sogenannte ers-            ab dem Jahr 2019 wird jede zusätzliche und
te Pflegesonderprogramm wurde mit Inkraft-               jede aufgestockte Pflegekraft am Bett unabhän-
treten des Krankenhausfinanzierungsreform-               gig von einer Obergrenze vollständig durch die
gesetzes (KHRG7 ) zum 01.01.2009 eingeführt             Kostenträger finanziert. Der bisherige Eigen-
(Laufzeit bis 2011). In diesem Zeitraum wur-            anteil der Krankenhäuser von 10 % sowie die
den die durch Neueinstellung oder Aufsto-               bisherige Begrenzung auf 0,15 % des Kranken-
ckung zusätzlich entstehenden Personalkosten            hausbudgets entfallen. Dies kann als Einstieg
zu 90 % durch die Krankenkassen gefördert.              in die ebenfalls mit dem PpSG beschlossene
Für die Förderung neuer bzw. aufgestockter              und ab dem Jahr 2020 geltende Selbstkosten-
Pflegestellen war es möglich, jährlich bis zu            deckung im Bereich der Pflegepersonalkosten
0,48 % des Krankenhausbudgets (Gesamtbe-                bewertet werden.
trag nach § 4 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG) zu-
sätzlich zu vereinbaren. Im Rahmen des ersten
Pflegesonderprogramms sind für ca. 15.300 zu-
                                                       7.3.3 Personalvorgaben im Bereich
sätzliche Vollkräfte im Pflegedienst insgesamt
ca. 1,1 Mrd. € von den Krankenkassen an die                    Pflege im Krankenhaus
Krankenhäuser geflossen. Die Nachweise über
die tatsächlich geschaffenen zusätzlichen Stel- Eine weitere, das DRG-Vergütungssystem flan-
                                                       kierende Maßnahme zur Qualitätssicherung in
                                                       der Pflege im Krankenhaus ist die Festsetzung
                                                       von Personalvorgaben (siehe . Tab. 7.1). Es gibt
6
    Vgl. Abschlussbericht des Instituts für angewandte derzeit acht gesetzliche Aufträge in der gesetzli-
    Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheits-
    wesen GmbH (AQUA) (2016): Weiterentwicklung der
                                                        8
    Risikoadjustierung für den Leistungsbereich Pfle-       Vgl. Abschlussbericht des GKV-Spitzenverbandes an
    ge: Dekubitusprophylaxe, abrufbar auf www.aqua-         das Bundesministerium für Gesundheit (2013) zum
    institut.de.                                            Pflegesonderprogramm für die Förderjahre 2009 bis
7
    Gesetz zum ordnungspolitischen Rahmen der               2011, abrufbar auf www.gkv-spitzenverband.de.
                                                        9
    Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 (Kran-         Gesetz zur Reform der Strukturen der Krankenhaus-
    kenhausfinanzierungsreformgesetz – KHRG) vom            versorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG)
    17.03.2009 (BGBl. I S. 534–549).                        vom 10.12.2015 (BGBl. I S. 2229–2253).
7
                                                                                                                                                                          118

. Tabelle 7.1 Personalvorgaben in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung

Nr.   Regelung, Rechtsgrundlage und      Festsetzung                          Methodik          Transparenz über Einhaltung Konsequenzen bei Nichtein-
      Regelungszeitraum                                                                                                     haltung
1     Stationäre Altenpflege             Landesebene:                        Tradierte Er-
      §§ 75 Abs. 3 und 84 Abs. 5 Nr. 2   Vereinbarung von Personalschlüsseln fahrungswerte
      SGB XI                             und Fachkraftquoten                 aus früheren
      ab 2002                                                                Verhandlungen

                                         Einrichtungsebene:                 Auf Basis der  Überprüfung durch Landesver- Kürzung der Pflegesätze
                                         Vereinbarung von einrichtungsbezo- Landesvorgaben bände der Pflegekassen; keine
                                         genen Personalschlüsseln                          Veröffentlichung

      § 113c SGB XI                      Weiterentwicklung:                   REFA-Methode
      zusätzlich seit 2016               wissenschaftliches Personalbemes-
                                         sungsverfahren

2     Pflege-Personalregelung (PPR)     Gesetzliche Regelung im KHG (1990); Testläufe,          Nachweis der PPR-Minuten in       Budgetrückerstattung bei
      BPflV (1993)                      Festlegung der PPR durch Experten- Expertenein-         den Budgetverhandlungen           Nichtbesetzung vorab verein-
      ab 1993                           gremium                             schätzungen                                           barter Pflegestellen
      (Aussetzung 1996, Aufhebung 1997)

3     Pflegepersonaluntergrenzen         Vereinbarung der PpUG;            Perzentilansatz      Nachweise gegenüber InEK          Sanktionen für Nichteinhal-
      (PpUG)                             Nachweis- und Sanktionsregelungen auf Basis von Ist-   und Kostenträgern: Monats-        tung: Vergütungsabschläge
      § 137i SGB V                       durch DKG und GKV-Spitzenverband; Daten                durchschnittswerte, Anzahl        oder Fallzahlverringerung;
      erstmals ab 01.01.2019;            ggf. BMG-Ersatzvornahme                                gerissener Schichten; ab 2020:    Vergütungsabschläge bei
      Weiterentwicklung für 2020;                                                               jährlicher Erfüllungsgrad; Dar-   Nichtmeldung
      ab 2021 jährlich Erweiterung um                                                           stellung in Qualitätsberichten
      neue pflegesensitive Bereiche

4     Pflegepersonalquotient (PpQ)       Festsetzung der Untergrenze durch    Perzentilansatz   Jährliche Ermittlung und Ver-     Sanktionen bei Unterschrei-
                                                                                                                                                                 Kapitel 7  Reformschwerpunkt Pflege: Pflegepersonaluntergrenzen und DRG-Pflege-Split

      § 137j SGB V                       BMG-Rechtsverordnung;                                  öffentlichung der PpQ aller       tung der PpQ-Untergrenze:
      ab 2020                            Vereinbarung von Sanktionen durch                      Krankenhausstandorte durch        Vergütungsabschläge oder
                                         DKG und GKV-Spitzenverband                             InEK                              Fallzahlverringerung
. Tabelle 7.1 (Fortsetzung)

Nr.   Regelung, Rechtsgrundlage und     Festsetzung                         Methodik             Transparenz über Einhaltung Konsequenzen bei Nichtein-
      Regelungszeitraum                                                                                                      haltung
                                                                                                                                                                  7.3  Flankierende Maßnahmen

5     Qualitätssicherungs-Richtlinie    Richtlinie des G-BA                 Studien zu Per-      Klärender Dialog: Berichte an   Erfüllungsgrad der schichtbe-
      Früh- und Reifgeborene (QFR-RL)                                       sonalvorgaben        G-BA;                           zogenen Personalschlüssel:
      § 136 Abs. 1 SGB V                                                    (Leitlinien usw.);   Strukturabfrage: Ergebnisse     2020 bis 2022 90 %, in 2023
      ab 2006                                                               Expertenemp-         öffentlich und einrich-         95 % und ab 2024 100 %;
                                                                            fehlung durch        tungsbezogen auf www.           ggf. keine Vergütung
                                                                            Fachgruppe           perinatalzentren.org

6     Hygieneförderprogramm             Gesetzliche Regelung im § 23 Infekti- Expertenemp-       Nachweis in Budgetverhand-      Rückzahlungspflicht bei Nicht-
      § 4 Abs. 9 KHEntgG                onsschutzgesetz (IfSG); Festsetzung   fehlungen          lungen,                         einstellung des vereinbarten
      2013 bis 2019; Verlängerung bis   durch KRINKO                          (KRINKO-Emp-       jährlicher Bericht durch GKV-   Personals
      2022 (MDK-Reformgesetz)                                                 fehlung)           Spitzenverband

7     Personalbedarf stationärer psych- BMG-Rechtsverordnung;               Gesetzliche Re-      Ab 2016 Nachweise über die      Keine Sanktionen (ab 2016
      iatrischer Krankenhäuser          Nachweisvereinbarung durch DKG      gelung auf Basis     tatsächliche Stellenbesetzung   mit Nachweisen sehr einge-
      (Psych-PV)                        und GKV-Spitzenverband              von Experten-        und die zweckentsprechende      schränkte Konsequenzen bei
      (Nachweis §§ 9, 18 BPflV)                                             empfehlungen         Mittelverwendung                zweckfremder Mittelverwen-
      01.01.1991                                                                                                                 dung)

8     Personalausstattung in Psychia-   Richtlinie des G-BA                 Fortschreibung       Darstellung in Qualitätsberich- Ggf. keine Vergütung
      trie und Psychosomatik (PPP)                                          der Psych-PV         ten;
      § 136a Abs. 2 SGB V                                                                        Nachweise über zweckentspre-
      ab 01.01.2020                                                                              chende Mittelverwendung
                                                                                                                                                                                                 119

Krankenhaus-Report 2020
                                                                                                                                                                                   7
120         Kapitel 7  Reformschwerpunkt Pflege: Pflegepersonaluntergrenzen und DRG-Pflege-Split

    chen Kranken- und Pflegeversicherung. Dabei                 zuhalten. Anderenfalls droht der Wegfall der
    folgen diese Aufträge unterschiedlichen me-                Vergütung.
    thodischen Ansätzen und bergen verschiedene                    Personalvorgaben, die hingegen primär der
    konzeptionelle, methodische und empirische                 Personalbemessung und Budgetfindung die-
    Herausforderungen. . Tab. 7.1 gibt einen Über-             nen, leiten aus normativ festgelegten Zeitwer-
    blick über diese Regelungen, ihren Regelungs-              ten für differenzierte Patienten- oder Behand-
    zeitraum, die Art der Festsetzung der Personal-            lungsgruppen eine erforderliche Personalaus-
    vorgaben und die gewählte Methodik sowie die               stattung ab, die anschließend die Grundlage für
    Regelungen zu Transparenz und Konsequen-                   die Vereinbarung einer entsprechenden Vergü-
    zen bei Nichteinhaltung der Vorgaben. Es sei               tung ist. Der organisatorische Bezug solcher
    darauf hingewiesen, dass neben diesen Vorga-               Personalvorgaben ist dabei meist das gesam-
    ben auch in diversen Richtlinien des Gemeinsa-             te Krankenhaus und nicht die einzelne Stati-
    men Bundesausschusses (G-BA) und in mehre-                 on. So ergab sich bei der Psych-PV aus der
    ren Komplexkodes Personalvorgaben enthalten                Eingruppierung von stationären Patienten der
    sind. Diese sind aber in der Regel Mindestan-              Psychiatrie ein erforderlicher Minutenwert je
7   forderungen an die beteiligten Berufsgruppen               Berufsgruppe. Aus der Summe der Minuten-
    (z. B. Teamzusammensetzung in der ambulan-                 werte wurde dann die erforderliche Personal-
    ten spezialfachärztlichen Versorgung) und ent-             bemessung für die gesamte Einrichtung abge-
    halten keine quantitativen Vorgaben. Sie blei-             leitet, die die Grundlage für die Verhandlung
    ben im Folgenden außer Betracht.                           des Krankenhausbudgets war.
        Die Übersicht zeigt, dass es neben Perso-                  Eine wesentliche Überarbeitung der Rege-
    nalvorgaben, bei denen die Personalbemessung               lungen zur Personalausstattung in der Psychia-
    und eine daraus abgeleitete Budgetfindung im                trie erfolgte erst kürzlich mit der Personalaus-
    Vordergrund stehen (z. B. PPR und Psych-                   stattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richt-
    PV) auch Personalvorgaben mit einem Fokus                  linie (PPP-RL)11 des G-BA. Die größte Neue-
    auf Patientensicherheit (z. B. Pflegepersonalun-            rung (und Konfliktpunkt zwischen DKG und
    tergrenzen und Qualitätssicherungs-Richtlinie              GKV) ist, dass mit der PPP-RL aus den Werten
    Früh- und Reifgeborene (QFR-RL)) gibt. Die-                eines Budgetbemessungsinstruments (Psych-
    se schreiben stations- und schichtgenaue Min-              PV) eine Mindestvorgabe abgeleitet wurde, die
    destvorgaben für die Qualifikation und die An-              nun verbindlich einzuhalten ist. Künftig ist die
    zahl des einzusetzenden Personals im Verhält-              Behandlung von Patienten nur dann zulässig
    nis zur Patientenanzahl vor. So sieht die QFR-             und vergütungsfähig, wenn die Mindestvor-
    RL für die Versorgung von intensivtherapie-                gaben für die Berufsgruppen erfüllt sind. Bei
    pflichtigen Frühgeborenen unter 1.500 g Ge-                 Nichteinhaltung der Mindestvorgaben entfällt
    burtsgewicht in Perinatalzentren Level I oder              der Vergütungsanspruch.
    Level II zu jeder Zeit einen Pflegepersonal-                    Einem anderen Ansatz folgt der Pflegeper-
    schlüssel von „1 : 1“ und für intensivüberwa-              sonalquotient (§ 137j SGB V), der mit dem
    chungspflichtige Frühgeborene unter 1.500 g                 PpSG gesetzlich verankert wurde. Der Pflege-
    Geburtsgewicht von „1 : 2“ vor.10 In den Jah-              personalquotient setzt im Sinne eines Ganz-
    ren 2020 bis 2022 ist ein Erfüllungsgrad von
    mindestens 90 %, im Jahr 2023 von mindestens               11
                                                                    Richtlinie über die Ausstattung der stationären Ein-
    95 % und ab dem Jahr 2024 von 100 % ein-                        richtungen der Psychiatrie und Psychosomatik mit
                                                                    dem für die Behandlung erforderlichen therapeuti-
                                                                    schen Personal gemäß § 136a Abs. 2 Satz 1 SGB V
                                                                    (Personalausstattung Psychiatrie und Psychosoma-
    10
          Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgebo-        tik-Richtlinie – PPP-RL): Erstfassung, G-BA-Beschluss
          rene (QFR-RL) in der Fassung vom 20.09.2005, letz-        vom 19.09.2019. Der Beschluss tritt nach Veröffent-
          te Änderung vom 18.07.2019, in Kraft getreten am          lichung im Bundesanzeiger zum 01.01.2020 in Kraft;
          05.10.2019, abrufbar auf www.g-ba.de.                     abrufbar auf www.g-ba.de.
7.4  Pflegepersonaluntergrenzen
                                                                                           121                   7
hausansatzes die Anzahl der Pflegevollkräfte                Krankenhaus“ zurück, die 2015 vom damali-
ins Verhältnis zu dem am Krankenhausstand-                 gen Bundesminister für Gesundheit, Hermann
ort erbrachten Pflegeaufwand und wird jähr-                 Gröhe, einberufen wurde. Gesetzlich verankert
lich, erstmals im Jahr 2020, vom InEK ermittelt.           wurden die Pflegepersonaluntergrenzen mit
Die Personalvorgabe erfolgt über die Festle-               Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung
gung einer Untergrenze durch eine Rechtsver-               der epidemiologischen Überwachung über-
ordnung des BMG.12 Krankenhausstandorte,                   tragbarer Krankheiten14 im Juli 2017 (§ 137i
an denen im Verhältnis zum Pflegeaufwand zu                 SGB V). Der gesetzliche Auftrag an die Selbst-
wenig Pflegepersonal beschäftigt wurde, wer-                verwaltungspartner GKV-Spitzenverband und
den sanktioniert.13 Darüber hinaus erfolgt ei-             DKG lautete, innerhalb eines Jahres pflegesen-
ne Veröffentlichung der Pflegepersonalquoti-                 sitive Bereiche in Krankenhäusern festzulegen
enten aller Krankenhausstandorte. Auch wenn                und Pflegepersonaluntergrenzen zu vereinba-
bei diesem Ansatz nicht die schicht- und sta-              ren, die ab dem 01.01.2019 verbindlich gelten.
tionsbezogene Sicherstellung der Patientensi-              An der Ausarbeitung und Festlegung waren
cherheit im Vordergrund steht, bietet der Pfle-             der DPR, Vertreter der Gewerkschaften und
gepersonalquotient doch einen niedrigschwel-               Arbeitgeberverbände, Patientenvertreter sowie
ligen und bürokratiearmen Überblick über das               wissenschaftliche Fachgesellschaften (AWMF)
Verhältnis aus Pflegepersonal und dem Pfle-                  qualifiziert zu beteiligen. Über die Festlegung
geaufwand der betreuten Patienten. Allerdings              von Pflegepersonaluntergrenzen hinaus sollten
kann auch bezweifelt werden, dass der Pflege-               zahlreiche weitere Vereinbarungen getroffen
personalquotient zu einem wirkmächtigen Ins-               werden, u. a. zur Nachweisführung und Vergü-
trument wird, da die Rechtsverordnung mit                  tung bzw. Sanktionierung bei Nichteinhaltung
Zustimmung des Bundesrates erfolgen muss.                  der Pflegepersonaluntergrenzen.
                                                                Mit dem PpSG wurden die Pflegepersonal-
                                                           untergrenzen als Qualitätssicherungsmaßnah-
7.4     Pflegepersonaluntergrenzen                         me bestätigt. Die für 2019 festgelegten Pfle-
                                                           gepersonaluntergrenzen sollen mit Wirkung
7.4.1     Gesetzgebung infolge der                         ab 2020 auf Basis einer umfassenden, reprä-
                                                           sentativen Datenerhebung evaluiert und ange-
          Pflegeexpertenkommission
                                                           passt werden. Dabei soll der heterogene Pfle-
                                                           geaufwand von Patienten bei der Festlegung
Eine der aktuellsten Maßnahmen, die flankie-                der Pflegepersonaluntergrenzen berücksichtigt
rend zum G-DRG-System implementiert wur-                   werden, indem nach der Pflegelast differenzier-
den, um die pflegerische Versorgung in Kran-                te Schweregradgruppen unterschieden werden
kenhäusern zu verbessern, sind Pflegeperso-                 (Risikoadjustierung). Weiter sieht das PpSG
naluntergrenzen für sogenannte pflegesensitive              vor, dass erstmals ab 2021 jährlich weitere pfle-
Bereiche. Ihre Einführung geht auf die Arbeit              gesensitive Bereiche in Krankenhäusern festge-
der Expertenkommission „Pflegepersonal im                   legt und für diese Pflegepersonaluntergrenzen
                                                           vereinbart werden sollen. Weitere gesetzliche
12
      Bei Redaktionsschluss stand die Rechtsverordnung     Initiativen sehen vor, dass die Nachweisverein-
      des BMG zur Festlegung der Untergrenze für den
                                                           barung jährlich angepasst und die Sanktions-
      Pflegepersonalquotienten und der näheren Ausge-
      staltung der Veröffentlichung der Pflegepersonal-    vereinbarung um weitere Sanktionstatbestände
      quotienten der Krankenhäuser (§ 137j Abs. 2 Satz 1   erweitert werden sollen.15 . Tab. 7.2 gibt einen
      SGB V) noch aus.
13
      DKG und GKV-Spitzenverband haben hierzu am           14
                                                                Gesetz zur Modernisierung der epidemiologischen
      31.07.2019 eine Vereinbarung nach § 137j Abs. 2           Überwachung übertragbarer Krankheiten vom
      Satz 2 SGB V (Pflegepersonalquotient-Sanktions-           17.07.2017 (BGBl I S. 2615–2639).
      Vereinbarung) geschlossen; abrufbar auf www.gkv-     15
                                                                Der gesetzliche Auftrag zur jährlichen Fortschrei-
      spitzenverband.de.                                        bung der PpUG-Nachweis-Vereinbarung gemäß
122         Kapitel 7  Reformschwerpunkt Pflege: Pflegepersonaluntergrenzen und DRG-Pflege-Split

          . Tabelle 7.2 Übersicht der gesetzlichen beauftragten Vereinbarungen bzw. Rechtsverordnungen gemäß
          § 137i SGB V (Stand: 12.11.2019)

          Nr.   Datum               Vereinbarung/Verordnung                                     Festlegung durch

          1     05.10.2018          Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV 2019)          BMG-Ersatzvornahme

          2     28.11.2018          PpUG-Nachweis-Vereinbarung                                  Vereinbarung

          3     30.11.2018          Fortschreibung der Vereinbarung über die Übermittlung       Vereinbarung
                                    von Daten nach § 21 Abs. 4 und Abs. 5 KHEntgG 2019 für
                                    das Datenjahr 2018

          4     26.03.2019          PpUG-Sanktions-Vereinbarung                                 Schiedsstelle

          5     28.10.2019          Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV 2020)          BMG-Ersatzvornahme

          7     12.11.2019          Fortschreibung der PpUG-Nachweis-Vereinbarung für 2020 Vereinbarung

          8     in Arbeit           Fortschreibung der PpUG-Sanktions-Vereinbarung              Vereinbarung
7         9     Frist: 01.01.2020   Festlegung weiterer pflegesensitiver Bereiche für 2021      BMG-Ersatzvornahme

          Krankenhaus-Report 2020

    Überblick über die bereits in Kraft getretenen              gie, Herzchirurgie, Kardiologie, Unfallchirur-
    Vereinbarungen und Verordnungen.                            gie und Intensivmedizin. Die Auswahl dieser
                                                                Bereiche basierte maßgeblich auf den Ergeb-
                                                                nissen des vom BMG beauftragten Gutachtens
    7.4.2       Methodische Fragen                              des Hamburg Center for Health Economics
                der Festlegung von                              (Schreyögg und Milstein 2016a, 2016b).16 Aus-
                                                                gehend von den Abrechnungsdaten der Kran-
                Pflegepersonaluntergrenzen                      kenhäuser und den Angaben der Krankenhäu-
                                                                ser in den Qualitätsberichten wurde für ins-
    Die Festlegung von Pflegepersonaluntergren-                  gesamt 15 medizinische Fachabteilungen der
    zen in pflegesensitiven Bereichen ist von einer              Zusammenhang zwischen den pflegesensitiven
    Vielzahl definitorischer, konzeptioneller und                Ergebnisindikatoren (PSEI) und der Personal-
    methodischer Herausforderungen geprägt. Die                 belastungszahl der Pflegekräfte untersucht. An-
    erste Herausforderung liegt in der Festlegung               gesichts der verzerrten Datengrundlage kann
    der Bereiche. Für die erstmalige Vereinbarung               das Ergebnis des Gutachtens kritisiert werden.
    von Pflegepersonaluntergrenzen für das Jahr                  Dennoch war es aufgrund mangelnder Alter-
    2019 konnten sich die Selbstverwaltungspart-                nativen handlungsleitend für die Selbstverwal-
    ner auf sechs pflegesensitive Bereiche in Kran-              tungspartner und das BMG.
    kenhäusern verständigen: Geriatrie, Neurolo-
                                                                16
                                                                     Weitere von den Selbstverwaltungspartnern ver-
          § 137i Abs. 4 Satz 2 SGB V wurde mit dem Gesetz            wendete Quellen für die Auswahl pflegesensitiver
          für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung          Bereiche waren Auswertungen des Beschwerdema-
          (GSAV) vom 09.08.2019 verankert. Der gesetzliche           nagements der Krankenkassen und der CIRS-Syste-
          Auftrag zur Fortschreibung der PpUG-Sanktions-             me (Critical Incident Reporting System) der Kran-
          Vereinbarung gemäß § 137i Abs. 1 Satz 10 SGB V             kenhäuser sowie eine Studie des IGES-Instituts (Nä-
          ist im Gesetzentwurf der Bundesregierung für das           her et al. 2018). Die vom IGES-Institut im Rahmen
          Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen             der Studie befragten Pflegeexperten stuften zudem
          (MDK-Reformgesetz) vom 23.09.2019 (Drucksache              noch die Bereiche „Innere Medizin“ und „Chirurgie“
          19/13397) vorgesehen.                                      als pflegesensitiv ein.
7.4  Pflegepersonaluntergrenzen
                                                                                               123                   7
     Eine weitere Herausforderung ist die Festle-             zen betreffen den unterschiedlichen Pflegeauf-
gung der Grenzwerte, da Studien zum Zusam-                    wand von Patienten und die unterschiedli-
menhang von Personalausstattung und Ergeb-                    chen Qualifikationsniveaus von Pflegekräften,
nisqualität fehlten. Es wurde deshalb die rein                den zeitlichen und organisatorischen Bezug der
statistische Methode des sogenannten Perzen-                  Untergrenzen und die Regelungen dazu, wann
tilansatzes gewählt, bei dem der Grenzwert auf                Untergrenzen als eingehalten bzw. nicht ein-
Basis der Verteilung von erhobenen Ist-Daten                  gehalten gelten. Diese Herausforderungen wer-
erfolgt – im Falle der Pflegepersonaluntergren-                den im Folgenden kurz erläutert.
ze auf Basis des 25 %-Perzentils. Krankenhäu-
ser, deren Pflegepersonal-Patienten-Verhältnis                2Heterogenität des Pflegeaufwands
im unteren Quartil der Verteilung liegt, müssen               von Patienten
ihr Verhältnis von Pflegepersonal zu Patienten                 Nicht alle Patienten haben denselben Pflege-
mindestens bis zum Erreichen des vorgegebe-                   aufwand. Vielmehr variiert der Pflegeaufwand
nen Grenzwertes verbessern. Dies kann zum                     von Patienten zum Teil erheblich, sowohl zwi-
einen durch die Aufstockung des Pflegeper-                     schen unterschiedlichen Patientengruppen als
sonals und zum anderen durch die Reduzie-                     auch über den Zeitverlauf des Krankenhaus-
rung von Patientenzahlen erreicht werden. Der                 aufenthaltes. So ist z. B. der Pflegeaufwand ei-
Vor- und Nachteil zugleich beim Perzentilan-                  nes frisch operierten Patienten in den ersten
satz ist die Nähe zum Status quo. Aus wis-                    Tagen nach der Operation höher als in den
senschaftlichen Studien oder REFA-Erhebun-                    Tagen kurz vor der Entlassung aus dem Kran-
gen abgeleitete Personalvorgaben bergen die                   kenhaus. Für die Umsetzung einer geeigneten
Gefahr, dass sie so weit von der tatsächlichen                Risikoadjustierung des Pflegeaufwands von Pa-
bzw. realistisch umsetzbaren Personalausstat-                 tienten wurde das InEK beauftragt, den patien-
tung entfernt sind, dass lange Übergangsfristen               tenindividuellen Pflegeaufwand aus den Pfle-
(Beispiel: QFR-RL) oder sogar eine Außerkraft-                gepersonalkostenanteilen der G-DRG-Fallpau-
setzung (Beispiel: PPR) die Folge sein können.                schalen abzuleiten. Das Ergebnis war ein soge-
Allerdings kann beim Perzentilansatz das Ge-                  nannter Pflegelast-Katalog19 , der für jede DRG
samtniveau der erhobenen Ist-Daten – vergli-                  die Pflegelast pro Verweildauertag und addi-
chen mit der Einschätzung von Experten, Po-                   tive Komponenten in Form eines Relativge-
litikern oder Einzelpersonen – inadäquat sein                 wichts enthält, differenziert für Normal- und
und einen als kritisch eingeschätzten Status quo              Intensivstationen sowie für die Versorgung von
manifestieren.17                                              Erwachsenen und Kindern. Im Rahmen einer
     Für die erstmalige Vereinbarung von                      vom BMG moderierten Einigung sollten drei
Pflegepersonaluntergrenzen wurde die Wirt-                     Schweregradgruppen mit jeweils vergleichba-
schaftsprüfungsgesellschaft KPMG AG mit der                   rer Pflegelast gebildet werden. Mangels signi-
Datenerhebung und Auswertung beauftragt.18                    fikanter Daten konnten jedoch keine differen-
Mit Inkrafttreten des PpSG wurde das InEK                     zierten Grenzwerte für die Jahre 2019 und 2020
mit diesen Aufgaben betraut.                                  festgelegt werden.
     Weitere zentrale Herausforderungen bei
der Festlegung von Pflegepersonaluntergren-                   2Qualifikationsmix des Pflegepersonals
                                                              Eine ähnliche Herausforderung zeigt sich auch
17
     Vgl. hierzu auch die Diskussion „Personaluntergren-      auf der Seite des Pflegepersonals: Nicht alle
     zen versus Personalanhaltszahlen“ in 7 Abschn. 7.3.3.    Pflegekräfte haben dasselbe Qualifikationsni-
18
     Vgl. KPMG-Abschlussbericht: Studie zur Pflegeperso-      veau. Die Verordnungen für die Jahre 2019 und
     nalausstattung und „Pflegelast“ in pflegesensitiven
     Bereichen in Krankenhäusern im Auftrag des GKV-
                                                              19
     Spitzenverbandes und der Deutschen Krankenhaus-               Vgl. InEK: Katalog zur Risikoadjustierung für Pfle-
     gesellschaft vom 24.09.2018 (Friedrich et al. 2018),          geaufwand (Pflegelast-Katalog) – Version 0.99 vom
     abrufbar auf www.gkv-spitzenverband.de.                       29.03.2018, abrufbar auf www.g-drg.de.
124        Kapitel 7  Reformschwerpunkt Pflege: Pflegepersonaluntergrenzen und DRG-Pflege-Split

     2020 sehen vor, dass in erster Linie Pflege-              und eine Nachtschicht festgelegt? Werden Vor-
     fachkräfte mit mindestens dreijähriger Berufs-           gaben für Schichten an Werktagen von sol-
     ausbildung maßgeblich für die Einhaltung der             chen für Wochenendtage unterschieden? Für
     Pflegepersonaluntergrenzen sind. Bis zu einem             die ersten beiden Jahre wurde im Rahmen
     bestimmten Umfang können darüber hinaus                  der Rechtsverordnung ein Zweischichtenmo-
     auch anteilig weitere Pflegekräfte berücksich-            dell ohne Wochentag- und Wochenend-Diffe-
     tigt werden.                                             renzierung festgelegt.

    2Organisatorischer Bezug von                            2Einhaltung von
     Pflegepersonaluntergrenzen                              Pflegepersonaluntergrenzen
     Während das Gesetz Pflegepersonaluntergren-               Schließlich galt es eine Regelung zur Frage der
     zen für pflegesensitive Bereiche vorschreibt,             Einhaltung bzw. Nichteinhaltung und Sank-
     fehlt es an einer organisatorischen Verortung            tionierung von Pflegepersonaluntergrenzen zu
     des Begriffs. Die ärztliche Patientenversorgung           vereinbaren. Die adäquate Lösung aus Sicht
     in deutschen Krankenhäuser ist traditionell              des Patienten ist die hundertprozentige Einhal-
7    in medizinischen Fachabteilungen organisiert,            tung der Grenzwerte in allen Schichten. Als
     deren Bezeichnungen und Differenzierungs-                 Einstiegslösung hat das BMG allerdings die
     grad sich an der Weiterbildungsordnung für               Einhaltung der Grenzwerte im Monatsdurch-
     Ärzte20 orientieren. Die pflegerische Patienten-          schnitt vorgegeben, was die Saldierung von
     versorgung hingegen ist in Stationen organi-             über- und unterbesetzten Schichten erlaubt.
     siert, die zunehmend interdisziplinär, d. h. mit         Die Anzahl der gerissenen Schichten muss al-
     Patienten von verschiedenen Fachabteilungen,             lerdings ebenfalls mitgeteilt werden.
     belegt sind. Aus Gründen des Patientenschut-
     zes müssen die Pflegepersonaluntergrenzen für
     Stationen festgelegt werden, zu denen es je-             7.4.3   Pflegepersonaluntergrenzen
     doch im deutschen Krankenhauswesen keiner-                       für 2019 und 2020
     lei Festlegungen und Statistiken gibt. Kranken-
     kassen erhalten beispielsweise im Rahmen der
                                                   Die Verhandlungen der Selbstverwaltungspart-
     Abrechnung lediglich Angaben zur Abteilung
                                                   ner über die Pflegepersonaluntergrenzen für
     – nicht zu den Stationen, auf denen der Pa-
                                                   das Jahr 2019 gestalteten sich schwierig und
     tient versorgt worden ist. In einem hier nicht
                                                   führten letztlich zur Ablehnung eines vom
     näher beschriebenen Prozess erhält das InEK
                                                   BMG moderierten Kompromisses durch den
     Informationen zu den „pflegesensitiven“ Sta-
                                                   DKG-Vorstand. Damit waren die Verhandlun-
     tionen, für die die Grenzwerte anzuwenden
                                                   gen der Selbstverwaltungspartner gescheitert
     sind.
                                                   und das BMG erließ die Pflegepersonalunter-
                                                   grenzen per Rechtsverordnung (Pflegeperso-
    2Zeitlicher Bezug von
                                                   naluntergrenzen-Verordnung (PpUGV)21 für
        Pflegepersonaluntergrenzen
                                                   das Jahr 2019 vom 05.10.2018). Inhaltlich setz-
    Eine weitere Entscheidung lag in dem zeitli-
                                                   te diese PpUGV weitgehend die Vorarbeiten
    chen Bezug von Pflegepersonaluntergrenzen:
                                                   von GKV-Spitzenverband und DKG aus den
    Werden Pflegepersonaluntergrenzen differen-
                                                   Verhandlungen um, traf aber in den bis zu-
    ziert für jede Schicht eines üblichen Drei-
                                                   letzt strittigen Verhandlungspunkten die aus-
    Schicht-Modells (Früh-, Spät- und Nacht-
                                                   stehenden Entscheidungen. Die entscheidende
    schicht) oder nur differenziert für eine Tages-
                                                   Abweichung von den empirischen Ergebnis-
     20
           Vgl. BÄK: (Muster-)Weiterbildungsordnung 2018
                                                              21
           vom 16.11.2018, abrufbar auf                            Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV)
           www.bundesaerztekammer.de.                              vom 05.10.2018 (BGBl. I S. 1632–1645).
7.4  Pflegepersonaluntergrenzen
                                                                                         125                 7
sen der KPMG-Datenerhebung waren weniger                       gestellte, anästhesietechnische Assistentin-
strenge Vorgaben für die Intensivstationen.                    nen und Assistenten und Notfallsanitäter
    Um der Weiterentwicklung und Auswei-                       erweitert.
tung der Pflegepersonaluntergrenzen eine si-               4    Es wird eine bundeseinheitliche Definition
chere Basis zu bereiten, wurde die Erhebung                    von Stationen normiert.
und Auswertung der notwendigen Daten expli-               4    Die Aufgreifkriterien zur Identifikation von
zit durch das PpSG geregelt und dem InEK als                   pflegesensitiven Bereichen in Krankenhäu-
Aufgabe übertragen. Ende Januar 2019 wurden                    sern werden geschärft.
für eine Stichprobe knapp 800 Krankenhäuser               4    Es werden Regelungen dazu festgelegt, un-
gezogen, die dann bis Ende Mai 2019 stations-                  ter welchen Bedingungen Personalverlage-
und schichtgenaue Daten zur Pflegepersonal-                     rungen aus nicht-pflegesensitiven in pfle-
ausstattung und Patientenbelegung zu liefern                   gesensitive Bereiche als unzulässig gelten.
hatten. Insgesamt lagen über 23.000 verwertba-                 Die Ermittlung unzulässiger Personalverla-
re Daten vor.                                                  gerungen erfolgt jährlich durch das InEK.
    Obwohl in den intensiven Verhandlungen                4    Auch für das Jahr 2020 gilt eine Übergangs-
der Selbstverwaltungspartner über Pflegeper-                    regelung für das erste Quartal 2020 für die
sonaluntergrenzen für das Jahr 2020 wieder                     vier neu geregelten Bereiche (Herzchirur-
eine weitgehend geeinte Kompromisslösung er-                   gie, Neurologie, Neurologische Schlagan-
arbeitet werden konnte, lehnte der DKG-Vor-                    falleinheit, Neurologische Frührehabilitati-
stand die Personalgrenzwerte erneut ab: Die                    on).
vom InEK ermittelten Werte für die Untergren-
zen in den zwei Schweregradklassen der Inten-             . Tab. 7.3 gibt einen Überblick über die Pfle-
sivmedizin und im Bereich Neurologie seien                gepersonaluntergrenzen in pflegesensitiven Be-
zu streng.22 Insgesamt schienen die Verhand-              reichen gemäß den Rechtsverordnungen für
lungen jedoch vorrangig an der grundsätz-                 die Jahre 2019 und 2020.
lich ablehnenden Haltung der Krankenhaus-                      Neben der Überprüfung und Weiterent-
vertreter gegenüber dem Instrument der Pfle-               wicklung der bestehenden Pflegepersonalun-
gepersonaluntergrenzen gescheitert zu sein.23             tergrenzen sieht das PpSG auch die jährliche
Auch für das Jahr 2020 war damit das BMG                  Festlegung weiterer pflegesensitiver Bereiche
gefordert, die Pflegepersonaluntergrenzen per              und Pflegepersonaluntergrenzen vor, erstmals
Rechtsverordnung festzulegen (Pflegepersonal-              mit Wirkung für das Jahr 2021. Während sich
untergrenzen-Verordnung (PpUGV) für das                   die Vertreter der Kostenträger für die Innere
Jahr 2020 vom 28.10.2019).24 Sie enthält die fol-         Medizin und die Chirurgie als neue pflegesen-
genden Neuerungen im Vergleich zur Rechts-                sitive Bereiche sowie für eine explizite Berück-
verordnung aus dem Jahr 2018:                             sichtigung rein pädiatrischer Versorgungsbe-
4 Die Qualifikationsgruppen von Pflegehilfs-                reiche einsetzten, schwieg dazu die DKG zu-
    kräften, die anteilig berücksichtigt werden           nächst und lehnte schließlich Mitte Oktober
    können, werden um medizinische Fachan-                2019 die Vereinbarung neuer Bereiche gänzlich
                                                          ab. In der Folge wird das BMG auch zu diesem
22
     Vgl. Pressemitteilung der DKG vom 02.09.2019 „GKV-   Punkt eine Ersatzvornahme erlassen müssen.25
     Spitzenverband gefährdet Versorgung durch Maxi-
                                                               Anders als bei der Festlegung von Pfle-
     malforderungen“, abrufbar auf www.dkgev.de.
23
     Vgl. Gemeinsame Pressekonferenz von DPR,             gepersonaluntergrenzen gelang den Selbstver-
     ver.di und DKG am 13.08.2019 zum Pflege-             waltungspartnern eine Einigung über die Rege-
     personalbemessungsinstrument:          Hochwertige   lungen zur Nachweisführung sowie über deren
     Patientenversorgung und attraktive Arbeitsbedin-     Fortschreibung für das Jahr 2020. Bezüglich der
     gungen sind die Zielsetzung, abrufbar auf www.
     dkgev.de.
24                                                        25
     Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV)             Bei Redaktionsschluss stand diese Rechtsverord-
     vom 28.10.2019 (BGBl. I S. 1492–1507).                    nung des BMG noch aus.
126         Kapitel 7  Reformschwerpunkt Pflege: Pflegepersonaluntergrenzen und DRG-Pflege-Split

          . Tabelle 7.3 Übersicht der Pflegepersonaluntergrenzen gemäß PpUGV für das Jahr 2019 und das Jahr 2020
          (Datenquelle: PpUGV 2019, 2020)

                                 PpUGV 2019 vom 05.10.2018                    PpUGV 2020 vom 28.10.2019

                                 Maximale Anzahl     Maximaler Anteil         Maximale Anzahl     Maximaler Anteil
                                 von Patienten je    von Pflegehilfs-         von Patienten je    von Pflegehilfs-
                                 Pflegekraft         kräften                  Pflegekraft         kräften
                                                     (in %)                                       (in %)

                                 Tag       Nacht     Tag           Nacht      Tag       Nacht     Tag       Nacht
          Intensivmedizin            2,5       3,5       8             8        2,5      3,5       8         0

          Geriatrie              10        20        20            40         10        20        15        20

          Unfallchirurgie        10        20        10            15         10        20        10        15

          Kardiologie            12        24        10            15         10        20        10        10

7         Neurologie             –         –         –             –          10        20        10         8

          Neurol. Schlaganfall   –         –         –             –            3        5         0         0

          Neurol. Frühreha       –         –         –             –            5       12        10         8

          Herzchirurgie          –         –         –             –            7       15         5         0

          Krankenhaus-Report 2020

    Details sei verwiesen auf die PpUG-Nachweis-              grenzen auf alle Bereiche eines Krankenhauses
    Vereinbarung.26                                           begegnen (siehe 7 Abschn. 7.4.5).
        Die ersten Nachweise der Krankenhäuser                    Keine Einigung konnte letztendlich über
    zeigen erstaunliche Entwicklungen: Während                die Regelungen zu Sanktionen bei Nichtein-
    im ersten Quartal 2019 noch 12 % der gesam-               haltung von Pflegepersonaluntergrenzen erzielt
    ten schicht- und stationsbezogenen Meldungen              werden. Nachdem der Gesetzgeber zunächst
    eine Nichteinhaltung im Monatsdurchschnitt                nur Vergütungsabschläge als Sanktionsform
    aufwiesen, verringerte sich diese Quote bis zum           vorgesehen hatte, schaffte er – nicht zuletzt auf
    dritten Quartal 2019 auf 3 % – ein Rückgang               Anregung des GKV-Spitzenverbandes – mit
    um 75 % innerhalb von neun Monaten! Es ist                Inkrafttreten des PpSG die Möglichkeit, alter-
    schwer zu glauben, dass diese rasante Verbes-             nativ zu Vergütungsabschlägen die Fallzahl an-
    serung der pflegerischen Versorgungssituation              zupassen. Dieses Vorgehen ist nicht zuletzt vor
    in den betroffenen Krankenhäusern allein auf               dem Hintergrund der Diskussion über die sta-
    eilig erfolgte Neueinstellungen von Pflegekräf-            tionäre Fallzahl und damit letztlich auch über
    ten zurückzuführen ist, auch wenn dies die                die Anzahl der Krankenhäuser in Deutsch-
    wünschenswerte Ursache wäre. Solchen Verla-               land wünschenswert (Loos et al. 2019; Busse
    gerungseffekten, die mutmaßlich Grund für die              und Berger 2018; Leber und Scheller-Kreinsen
    augenscheinlich rasante Verbesserung der Ver-             2018; SVR 2018). Die komplizierte Ausgestal-
    sorgungssituation in den betroffenen Kranken-              tung von stations- und schichtbezogenen Fall-
    häusern sind, kann man nur mit einer konse-               zahlreduktionen wurde schließlich in einem
    quenten Ausweitung von Pflegepersonalunter-                Schiedsstellenverfahren entschieden.27

    26
          PpUG-Nachweis-Vereinbarung vom 28.11.2018
                                                              27
          sowie vom 12.11.2019, abrufbar auf www.gkv-                  PpUG-Sanktions-Vereinbarung vom 26.03.2019, ab-
          spitzenverband.de.                                           rufbar auf www.gkv-spitzenverband.de.
7.4  Pflegepersonaluntergrenzen
                                                                                         127                        7

                                             Subsystem 2                          Finanzbuchhaltung
                PACS

                                                  KIS                                   Personal

              Belegungsstatistik                         ?                             Dienstplan

                                                         7:1
     Belegung             Pflegebedarf                                               Dienstplan IST

                                                                                          Krankenhaus-Report 2020

. Abb. 7.1 Schematische Darstellung der Informationssysteme in Krankenhäusern und der fehlenden Integration
der Pflegepersonal- und Patientendaten

7.4.4   Pflegepersonaluntergrenzen                      tationsaufwand und Bürokratisierungsgrad bei
        als Digitalisierungsproblem                     der Umsetzung der Pflegepersonaluntergren-
                                                        zen. Internationale Studien zum Digitalisie-
                                                        rungsgrad in Krankenhäusern bestätigen dies.
Die Diskussionen um Pflegepersonalun-                    So untersuchten Stephani et al. (2019) anhand
tergrenzen haben über den Mangel an                     des sogenannten Electronic Medical Record
Pflegekräften hinaus auch ein massives                   Adoption Model (EMRAM)28 den Digitalisie-
Digitalisierungsdefizit in den deutschen Kran-           rungsgrad in den deutschen Krankenhäusern
kenhäusern aufgedeckt: In einem Großteil                im internationalen Vergleich.
der Krankenhäuser findet keine systematische                 Allerdings scheint in diesen Bereich nun
Integration der Daten über die Pflegepersonal-           Bewegung zu kommen, nicht zuletzt getrieben
ausstattung und die Patientenbelegung auf den
Stationen statt (. Abb. 7.1).
                                                        28
    So wird die Patientenbelegung, aus deren                 Das EMRAM-Modell wurde 2005 von HIMSS Analy-
                                                             tics in den USA entwickelt und ist mittlerweile in
Datenpool sich grundsätzlich der individuelle                vielen Ländern ein etabliertes Modell zur Bewertung
Pflegebedarf bzw. Pflegeaufwand für eine be-                   des Digitalisierungsgrades von Krankenhäusern so-
darfsgerechtere Personalplanung ableiten lie-                wie zur politischen Steuerung der digitalen Trans-
ße, meist völlig unabhängig von der Dienst-                  formation (Stephani et al. 2019). Das Modell stuft
planung und Dokumentation der tatsächli-                     Krankenhäuser in sieben Digitalisierungsstufen ein.
                                                             Dabei gilt: Je höher die Stufe eines Krankenhau-
chen Personalausstattung dokumentiert. Zu-                   ses und damit auch der Punktwert eines Landes,
dem sind die Dokumentationssysteme in den                    desto digitaler ist das Krankenhaus bzw. die Kran-
Krankenhäusern immer noch häufig vollstän-                    kenhauslandschaft eines Landes. Die Ergebnisse von
dig oder zumindest vorrangig papierbasiert,                  Stephani und Kollegen zeichnen ein düsteres Bild
was eine Migration und Integration von Da-                   von der deutschen Krankenhauslandschaft: Mit ei-
                                                             nem Punktwert von 2,3 liegen die deutschen Kran-
ten erheblich erschwert bzw. unmöglich macht.                kenhäuser weit unter dem EU-Durchschnitt von 3,6
Entsprechend hoch ist der seitens der Kranken-               und den Krankenhäusern in den USA (5,0) und Sin-
häuser und der Pflege bemängelte Dokumen-                     gapur (5,7).
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