Ärztehaushalte im 16. Jahrhundert. Einkünfte, Status und Praktiken der Repräsentation

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Ärztehaushalte im 16. Jahrhundert. Einkünfte, Status und
                                                                                     Praktiken der Repräsentation

                                                                                     Tilmann Walter

                                                                                     Summary
                                                                                     Physicians’ Households in the 16th Century
                                                                                     16th-century’s medicine was marked by a wave of professionalization: besides scientific
                                                                                     influences – evident by new ambitious texts on botany, anatomy, and chemiatry – func-
Open Access Download von der Verlag Österreich eLibrary am 06.06.2022 um 18:52 Uhr

                                                                                     tions of medical expertise for political purposes were an important factor. Based on find-
                                                                                     ings made in my DFG-funded project “Ärztliche Autorität in der Frühen Neuzeit” (medical
                                                                                     authority in early modern times) is discussed how these influences altered the professional
                                                                                     conditions for physicians. “Haushalt” (household) can be understood as a social communi-
                                                                                     ty as well as a monetary budget in this context: physicians earned their money with a lot
                                                                                     of different ventures beside medical practice, as commerce, farming, banking, or mining
                                                                                     etc. Expenses for houses, gardens, interior etc. were based on needs of everyday life but
                                                                                     could also be signs of luxury. Thus the physicians demonstrated the high social status they
                                                                                     had acquired, and some of them thereby placed themselves at one social level with the
                                                                                     nobility. Even scientific books can be estimated as a special case of such a conspicuous
                                                                                     consumption for in most cases publishing made high investments without monetary bene-
                                                                                     fit necessary. Thus scientific reputation was to some degree foreseeable: epoch-making
                                                                                     books like above all Andreas Vesalius’ “De humani Corporis fabrica libri septem” (Basel
                                                                                     1543) had to be financed out of the assets of the family (in Vesalius’ case: a high-standing
                                                                                     family in the emperor’s services). Other sources show clearly that many doctors were not
                                                                                     able to afford publishing comparable elaborated and expensive books.

                                                                                     Einführung
                                                                                     Zwischen 1500 und 1600 machte sich in der Medizin eine Welle der Profes-
                                                                                     sionalisierung bemerkbar: Neben wissenschaftlichen Einflüssen – neuarti-
                                                                                     gen anspruchsvollen Texten zu Botanik, Anatomie und Chemiatrie, die
                                                                                     durch die allgemeine Aufbruchsstimmung im Humanismus um 1500 beein-
                                                                                     flusst waren1 – war die Funktionalisierung medizinischen Wissens für ord-
                                                                                     nungspolitische Anliegen ein wesentlicher Faktor. Als Vergleichsfall wurde
                                                                                     die Durchdringung der frühmodernen Gemeinwesen mit juristischen Fach-
                                                                                     leuten2 und komplementär die Säkularisierung des universitären Ausbil-
                                                                                     dungsbetriebs, namentlich in protestantischen Territorien, diskutiert3. Die
                                                                                     dabei angestellten Überlegungen – Nachfrage nach akademischer Expertise

                                                                                     1    Vgl. MacLean (2002), S. 18f.; Schmitz/Keil (1984).
                                                                                     2    Vgl. etwa Immenhauser (2007), S. 224-226, 400-421; Reinhard (2000), S. 189-196;
                                                                                          Schnur (1986).
                                                                                     3    Vgl. etwa Baumgart (2006); Holtz (2002); Rudersdorf/Töpfer (2006). Unter den Vor-
                                                                                          zeichen der Gegenreformation wurde auch das geistige Leben an den katholischen
                                                                                          Universitäten stärker politisiert.

                                                                                     MedGG 27  2008, S. 31-73
                                                                                      Franz Steiner Verlag Stuttgart

                                                                                                                                  Franz Steiner Verlag
32                                                                       Tilmann Walter

                                                                                     in Entscheiderpositionen, Tendenz zur bürokratischen Funktionalisierung
                                                                                     universitärer Bildung – dürften auch helfen, die wachsende Bedeutung der
                                                                                     Ärzteschaft zu erklären4: Für die Obrigkeiten gewann der Wunsch nach
                                                                                     verlässlicher Erfüllung des Stadtarztamtes an Gewicht. Im Interesse einer
                                                                                     dauerhaft gesicherten Versorgung der Einwohnerschaft wurden Stadtärzte
                                                                                     zur unentgeltlichen Behandlung der Armen, eventuell auch von Spitalinsas-
                                                                                     sen, zur regelmäßigen Leprösenschau, zur Abfassung von Gutachten bei
                                                                                     Gericht und Expertisen bei Epidemien, zur Visitation der Apotheken sowie
                                                                                     zur Examinierung von Chirurgen, Badern, Apothekern, Hebammen und
                                                                                     anderen Heilpersonen verpflichtet.5 Im Interesse der medizinischen policey6
                                                                                     erhielten die – zahlenmäßig anfangs eher wenigen und aus Furcht vor blei-
                                                                                     benden finanziellen Verpflichtungen rechtlich eher locker gebundenen7 –
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                                                                                     Stadtärzte nun dauerhafte »beamtenähnliche« Stellungen.
                                                                                     Für eine Sozialgeschichte der frühneuzeitlichen Ärzteschaft bleibt zu fragen,
                                                                                     inwiefern die veränderten Verhältnisse auf Mediziner einen Sog zur Karrie-
                                                                                     re ausgeübt haben. Dazu möchte ich im Folgenden ausgewählte Ergebnisse
                                                                                     des von mir bearbeiteten DFG-Projekts »Ärztliche Autorität in der Frühen
                                                                                     Neuzeit« vorstellen. Ausgangspunkt des Projekts war die Frage nach kol-
                                                                                     lektiven und individuellen Strategien der Herstellung, Behauptung und An-
                                                                                     fechtung von Autorität in der Ärzteschaft des 15. und 16. Jahrhunderts.
                                                                                     Sozialgeschichtlich angelegt war es insofern, als die günstigeren Karrierech-
                                                                                     ancen der studierten Mediziner gegenüber nichtakademischen Heilern nicht
                                                                                     aus der vermeintlichen Überlegenheit der universitären Heilkunst, sondern
                                                                                     aus der vergrößerten Bedeutung ärztlichen Wissens und ärztlicher Verant-
                                                                                     wortung im politischen Zusammenleben der Städte, also gesellschaftlichen
                                                                                     Faktoren, erklärt werden sollten. Ausgehend von prosopographischen Da-
                                                                                     ten sollen hier Rollen und Aufgaben, ökonomische Spielräume und symbo-
                                                                                     lische Ausprägungen der materiellen Kultur8 im Umfeld von Mediziner-
                                                                                     haushalten näher betrachtet werden. Als ein Sonderfall zur Schau gestellten
                                                                                     Konsums werden die in den Druck gelangten wissenschaftlichen Werke
                                                                                     analysiert. Schwerpunktmäßig wird auf die qualitative Analyse dieser Zu-

                                                                                     4    Zur Vorgeschichte, dem Sozialprestige von Medizinern im ausgehenden Mittelalter,
                                                                                          vgl. am Beispiel Kölns Bernhardt (1996); Prüll (1996).
                                                                                     5    Vgl. dazu exemplarisch u. a. Alfons Fischer (1933), S. 78-81; Klaus Fischer (1996), S.
                                                                                          59-83; Hanhart (1824), S. 143; Kintzinger (2000); Knefelkamp (1989), S. 158-171;
                                                                                          Lehmann (1909), S. 31-33; Russel (1981); Schumm (1964), S. 5-35; Studer (1958), bes.
                                                                                          S. 154-156, 165f., 168.
                                                                                     6    Vgl. Struppius von Gelnhausen (1573); Hörnigk (1638); dazu Gröschel (1977); La-
                                                                                          bisch (1992).
                                                                                     7    Vgl. Kintzinger (2000); Lehmann (1909), S. 32. Kritisch dazu hat sich Immenhauser
                                                                                          (2007), S. 422-426, geäußert: Wesentlich für die kurze Laufzeit der Verträge sei die ge-
                                                                                          ringe Zahl einheimischer Bewerber gewesen, denen man bereitwillig längere Verträge
                                                                                          angeboten habe. Einen Widerspruch sehe ich darin nicht.
                                                                                     8    Vgl. dazu Certeau (1984); Fouquet (1998); Goldthwaite (1987).

                                                                                                                          Franz Steiner Verlag
Ärztehaushalte im 16. Jahrhundert                                                     33

                                                                                     sammenhänge Wert gelegt; im vorstatistischen Zeitalter9 sind be-kanntlich
                                                                                     Zahlen wegen fehlenden Belegmaterials, erheblicher lokaler Abweichungen
                                                                                     sowie zeitlicher Schwankungen des Feingehaltes und Wertes von Münzen,
                                                                                     der Preise sowie Lebenshaltungskosten10 auch nur bedingt aussagekräftig.

                                                                                     Ärztehaushalte und ihre Einkünfte
                                                                                     In der »klassischen«, auf die Person bedeutender Ärzte und ihre wissen-
                                                                                     schaftlichen Leistungen ausgerichteten Medizingeschichtsschreibung stand
                                                                                     die Frage im Vordergrund, wie Individuen den Fortgang der Heilkunde
                                                                                     beeinflusst haben. Dass Gelehrte, unter die sich die studierten Ärzte einreih-
                                                                                     ten, aller zeittypischen Selbststilisierung zum Trotz, kein konsequent zu-
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                                                                                     rückgezogenes, sondern ein soziales Dasein führten, haben jüngere For-
                                                                                     schungen zu Briefnetzwerken11 und zu Gelehrtenhaushalten12 vor Augen
                                                                                     geführt. Wie vor allem Gadi Algazi in einer Reihe von Veröffentlichungen
                                                                                     gezeigt hat13, entwickelten die Geistesarbeiter des Renaissancehumanismus,
                                                                                     vergleichbar mit den bald etablierten protestantischen Pfarrfamilien14, eine
                                                                                     »spezifische Lebensweise«15. Die für Schichten und soziale Räume typischen
                                                                                     Verhaltenserwartungen16 erzeugten eine »Kultur« des Berufsstandes als ein
                                                                                     praktisches Verständnis von Wissenschaftlichkeit. Bereits die häusliche Er-
                                                                                     ziehung wirkte auf die Erfüllung gewohnheitsmäßiger Rollenerwartungen
                                                                                     hin: Wie der Basler Arzt und Medizinprofessor Felix Platter (1536-1617) in
                                                                                     seinem Nachruf auf seinen Freund und Kollegen Theodor Zwinger (1533-
                                                                                     1588) mitteilt, pflegte dieser seine Söhne bei Tisch zu instruieren und zu
                                                                                     examinieren.17
                                                                                     Aktiv wurden Universitäten im als intellektuell vorbildlich geltenden Ober-
                                                                                     italien aufgesucht, denn hinsichtlich Sprache, Auftreten sowie einzelner Le-
                                                                                     bensgewohnheiten bemühten sich viele Mediziner um die Nachahmung

                                                                                     9   Vgl. Dirlmeier (1978), S. 26-38; Pierenkemper (1991), bes. S. 14-17, 22, sowie aus
                                                                                         medizinhistorischer Perspektive Dinges (2008), S. 34; Jütte (1991), S. 11.
                                                                                     10 Für Belege zu den Schwankungen von Feingehalt und Wechselkursen der Münzen
                                                                                        vgl. Bothe (1906), S. 3-14; zu Preisen vgl. die Tabellen im Anhang, Bothe (1906), S.
                                                                                        *158-*171, *208-*265; Dirlmeier (1978), S. 293-392.
                                                                                     11 Vgl. etwa Bröer (1994); Findlen (1991); Mauelshagen (2003); Stuber/Hächler/Lien-
                                                                                        hard (2005).
                                                                                     12 Vgl. als Einstieg in das Thema Lüdtke/Prass (2007).
                                                                                     13 Vgl. Algazi (2007).
                                                                                     14 Vgl. dazu Greiffenhagen (1991).
                                                                                     15 Algazi (2007), S. 111.
                                                                                     16 Impulse, die der universitäre Alltag auf die Habitusentwicklung der Gelehrten ausübte,
                                                                                        hat Füssel (2006) ausführlich diskutiert.
                                                                                     17 Vgl. Zwinger (1604), Bd. 1, Bl. ):(4v [Kennzeichnung der Seite im Original]. Zur Früh-
                                                                                        erziehung bei Gelehrten vgl. weiter Algazi (2007), S. 111.

                                                                                                                           Franz Steiner Verlag
34                                                                   Tilmann Walter

                                                                                     eines Gelehrtenhabitus nach italienischem Vorbild. Nicolò Leoniceno
                                                                                     (1428-1524) und sein Schüler Giovanni Manardo (1462-1536) in Ferrara
                                                                                     galten als die Leitsterne humanistischer Erneuerung in der Medizin. An
                                                                                     ihnen, die meist über ihre philologisch ausgerichteten Schriften als Vorbil-
                                                                                     der erfahren wurden, orientierten sich viele Arzthumanisten, bis mit dem
                                                                                     literarischen Werk von Andreas Vesalius (1514-1564) und dem posthumen
                                                                                     Ruhm von Paracelsus (1493-1541) neue und, was die Methoden anging,
                                                                                     spezifischer »medizinische« Personalautoritäten in Mode kamen. Wer die
                                                                                     erhebliche Einstiegsinvestition eines Studiums in Italien (mit beträchtlichen
                                                                                     Reise- und deutlich höheren Lebenshaltungskosten sowie exorbitanten Prü-
                                                                                     fungsgebühren)18 auf sich genommen hatte, schimpfte dann nach seiner
                                                                                     Rückkehr vielleicht selbst, wie italienische Ärzte es taten, über die Unfähig-
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                                                                                     keit (anderer) deutscher Ärzte19. Da Chirurgie in Oberitalien als akademi-
                                                                                     sches Fach unterrichtet wurde, eröffneten sich auch Möglichkeiten zur Pro-
                                                                                     filierung gegenüber den handwerklich ausgebildeten Chirurgen in Deutsch-
                                                                                     land.20
                                                                                     Der »gelehrte« Haushalt soll hier einerseits im Sinne des sprichwörtlichen
                                                                                     »Ganzen Hauses« als ein für die Frühe Neuzeit Europas typisches Gesamt-
                                                                                     gefüge aus personalen Beziehungen und materiellem Besitz verstanden wer-
                                                                                     den.21 »Haushalt« ist im gegebenen Zusammenhang andererseits enger als
                                                                                     das in einem Haus verfügbare und zu verausgabende monetäre Vermögen
                                                                                     zu verstehen: Geld scheint bei ärztlichen Karrieren und darüber hinaus in
                                                                                     der Geschichte medizinischer Ideen eine leicht zu unterschätzende Rolle

                                                                                     18 Die italienischen Universitäten ließen sich ihren guten Ruf in barer Münze bezahlen.
                                                                                        Doktordiplome konnten an Prächtigkeit, Umfang und großartiger Formulierungskunst
                                                                                        mit kaiserlichen Urkunden verglichen werden: vgl. Wolfangel (1957), S. 11f., Faksimi-
                                                                                        le S. 68-71: Edition des Doktordiploms von Melchior Ayrer, ausgestellt von der Uni-
                                                                                        versität Bologna. Dagegen sind die Diplome des Frankfurter Arztes Johann Hartmann
                                                                                        Beyer über die Erlangung des Grades eines Bakkalaureus (1581) und Magister artium
                                                                                        (1583) in Straßburg simple Einblattdrucke mit dem Namen sämtlicher Absolventen
                                                                                        des Jahrgangs. Das handschriftliche Tübinger Doktordiplom (1588) nennt die abgeleg-
                                                                                        ten Prüfungen, verzichtet aber auf jeglichen Schmuck und selbst ein Siegel: vgl. UB
                                                                                        Frankfurt/Main, Handschriftenabteilung, Sign. Ms. Ff. J.H. Beyer.
                                                                                     19 Vgl. etwa Lange (1605), S. 2f., 44f., 677-682.
                                                                                     20 Vgl. Paracelsus (1928), S. 12-14: Brief des Nürnberger Arztes Wolfgang Talhauser
                                                                                        vom 24. Juli 1536, in dem der ungenügende Bildungsstand der »scherer, bader, lasser,
                                                                                        barbirer und was des gesints mehr ist« (Paracelsus (1928), S. 13) beklagt wird. Vor
                                                                                        diesem Hintergrund verdiente das humanistische Bestreben des italienischen Profes-
                                                                                        sors Manardo um die Erneuerung der Heilkunst Talhauser zufolge besonderes Lob.
                                                                                     21 Vgl. Ariès/Duby (1993-1995), Bde. 2, 3; Beattie (2003); Brunner (1956); DWB (1877),
                                                                                        Sp. 640-650; Burkhardt (1990); Derks (1996); Dülmen (1990); Egan (1998); Eibach
                                                                                        (2004); Ehlert (1991); Freitag (1988); Haverkamp (1984); Herlihy (1985); Hochstrasser
                                                                                        (1993); Medick (1982); Meyer (1998); Mitterauer (1979); Münch (1992); Opitz (1994);
                                                                                        Ozment (1983); Petzina (1991); Richarz (1991); Roper (1989); Troßbach (1993); vgl.
                                                                                        dazu weiter unter http://www.blogs.uni-osnabrueck.de/inschmid/bibliographie/ (letz-
                                                                                        ter Zugriff: 1.10.2008) die Bibliographie der AG »Haus im Kontext«.

                                                                                                                         Franz Steiner Verlag
Ärztehaushalte im 16. Jahrhundert                                                      35

                                                                                     gespielt zu haben, so dass der schnöde Mammon in der traditionell perso-
                                                                                     nen-, geistes- oder ideengeschichtlich geprägten Medizingeschichtsschrei-
                                                                                     bung – aber auch in jüngeren sozialgeschichtlich ausgerichteten Arbeiten –
                                                                                     eher unterbewertet geblieben ist.22 Die Hintergründe sind unschwer abzuse-
                                                                                     hen: Dem Selbstverständnis nach waren (und sind) Ärzte selbstlose Helfer
                                                                                     an den Kranken.23 Gerade im Hinblick auf das in der klassischen Medizin-
                                                                                     geschichte primär fokussierte Personal der »großen Ärzte« und die »Fort-
                                                                                     schritte der Medizin« verdient das Thema Beachtung, denn einen bleiben-
                                                                                     den Ruf als Gelehrter, Forscher oder Wissenschaftler kann sich ein Arzt
                                                                                     nicht ohne einschlägige Publikationen, die in zeitlicher wie finanzieller Hin-
                                                                                     sicht erhebliche Investitionen erforderlich machen, erwerben. Daneben gab
                                                                                     es immer auch Modeärzte mit hohem Einkommen, die als solche in der
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                                                                                     Medizingeschichte aber üblicherweise ohne (positive!) Resonanz bleiben.
                                                                                     In Briefen, die die Grenzen des ärztlichen Berufsstandes nicht überschritten,
                                                                                     findet sich das Thema Geld erfreulich offen thematisiert. Daher liegt für
                                                                                     mich hier auch der besondere Wert der für das Projekt bevorzugt unter-
                                                                                     suchten Quellengattung der Ärztebriefe.24 Zwar wurde in der literaturge-
                                                                                     schichtlich, aber auch wissenschaftssoziologisch ausgerichteten Brieffor-
                                                                                     schung25 hervorgehoben, beim frühneuzeitlichen Briefverkehr habe es sich
                                                                                     um keine »intime« Kommunikation gehandelt, und »Korrespondenzen«
                                                                                     habe man am ehesten als die potentielle Gleichwertigkeit der ausgetauschten
                                                                                     Informationen, Geschenke, Empfehlungen und Aufmerksamkeiten im Sin-

                                                                                     22 Angaben zu Einnahmen, Ausgaben und Vermögensverhältnissen von Ärzten kann
                                                                                        man in der Literatur mit einiger Mühe zusammensuchen. Weniger Beachtung fanden
                                                                                        Preise ärztlicher Behandlungen oder von Medikamenten, die aber in Arzneitaxen und
                                                                                        Anstellungsverträgen festgeschrieben wurden: vgl. Dinges (2008), S. 24. Entsprechen-
                                                                                        de Angaben zu Köln im 16. und 17. Jahrhundert finden sich bei Jütte (1991), S. 241
                                                                                        (Tab. 8), zu Berlin im 18. Jahrhundert bei Stürzbecher (1966), S. 148-151 (Tab. IV).
                                                                                        Übereinstimmungen sind in der Kunstgeschichte laut Goldthwaite (1987), S. 153, in-
                                                                                        sofern erkennbar, als die realen Kosten von Kunstwerken ebenfalls wenig beachtet
                                                                                        worden seien. Dieser sozialgeschichtliche Aspekt scheint bei der jüngsten Aufmerk-
                                                                                        samkeit für das Bild in der Geschichtswissenschaft (vgl. dazu Emich (2008), bes. S. 50-
                                                                                        56; Jäger (2006)) erneut eine geringe Rolle zu spielen.
                                                                                     23 Wofür sie allerdings in der Regel eine überdurchschnittliche Bezahlung erwarten;
                                                                                        schon ein frühneuzeitliches Sprichwort besagte allerdings: »Gottseligkait ist kain ge-
                                                                                        werbe« (Johann Agricola (1548), S. 267). Die damals vorgebrachte Begründung einer
                                                                                        langen und aufwendigen Ausbildung erscheint noch heute in Leserbriefen zu Fragen
                                                                                        der Vergütung in jeder durchschnittlichen Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts. Argumen-
                                                                                        tiert wird weiter mit der größeren Verantwortlichkeit der Ärzte, verglichen mit dem
                                                                                        Pflegepersonal.
                                                                                     24 Diese Quellen wurden ergänzt durch Ego-Dokumente und Archivalien zur Amtsfüh-
                                                                                        rung von Stadtärzten. Geographisch konzentrierte sich die Untersuchung auf Süd-
                                                                                        deutschland und die deutschsprachige Schweiz.
                                                                                     25 Vgl. dazu etwa Bröer (1994); Findlen (1991); Körber (1997); Mauelshagen (2003);
                                                                                        Worstbrock (1983).

                                                                                                                           Franz Steiner Verlag
36                                                                  Tilmann Walter

                                                                                     ne ihres ökonomischen Tauschwertes zu verstehen26. Gleichwohl liegt in
                                                                                     einer im gedruckten Wort so nicht üblichen Offenheit hin zum Persönli-
                                                                                     chen oder Vertraulichen der spezifische Wert dieses Quellenmaterials, das
                                                                                     in unvergleichlicher Weise Einsichten in die soziale Figuration der Ärzte-
                                                                                     schaft eröffnet27, welche einerseits nach außen hin mehr oder weniger abge-
                                                                                     schlossen und andererseits intern durch ein deutliches soziales Oben und
                                                                                     Unten strukturiert war.
                                                                                     Bei allen vordergründigen Übereinstimmungen der Familien Platter und
                                                                                     Zwinger – Felix Platter wie Theodor Zwinger zählten zu den bedeutendsten
                                                                                     Medizinern der Universität Basel und verfügten über beste Beziehungen zu
                                                                                     den städtischen Führungsschichten, beide unterhielten umfangreiche Kor-
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                                                                                     respondenzen und traten durch Veröffentlichungen von bleibender Bedeu-
                                                                                     tung in Erscheinung – sind hier beispielsweise die ökonomischen Unter-
                                                                                     schiede nicht zu übersehen: Theodor Zwinger war nach seiner Heirat mit
                                                                                     Valeria Rüdin (1532-1601), Tochter des Zunftmeisters Jakob Rüdin und
                                                                                     Witwe von Johann Lucas Iselin, finanziell abgesichert. Den großbürgerli-
                                                                                     chen Lebensstil, den Zwinger genoss, demonstrierte etwa sein karitatives
                                                                                     Engagement: Wie Platter in seinem Nachruf auf Zwinger berichtet, konnte
                                                                                     es sich sein Kollege leisten, die teuren chymischen Medikamente, die da-
                                                                                     mals aufkamen, kostenlos an die Armen abzugeben, anstatt mit der begehr-
                                                                                     ten Medizin Berge von Gold (»aureos montes«) anzuhäufen.28
                                                                                     Nicht bei allen Ärzten war Geld immer im Überfluss vorhanden; von als
                                                                                     ungenügend empfundenen Einkünften und daraus entstehenden Geldsorgen
                                                                                     zeugen unmittelbar die Supplikationen an die Dienstherren: Mit einer Bitte
                                                                                     um Aufbesserung seiner Bezüge wandte sich 1502 der Stadtarzt Johann
                                                                                     Steinwert von Soest (1448-1506) an Bürgermeister und Rat der Stadt Frank-
                                                                                     furt am Main. Zur Begründung verwies er auf die nichtakademische heileri-
                                                                                     sche Konkurrenz vor Ort, durch deren Tätigkeit ihm das »brott abge-
                                                                                     schnytten« werde; inzwischen, so kommentierte er dies, sei es so weit ge-
                                                                                     kommen, dass »schyr yderman Ertzny tryben wyl«.29 Unter diesen ungüns-
                                                                                     tigen Umständen bringe ihm seine Privatpraxis nicht ausreichend Geld ein;
                                                                                     die städtische Obrigkeit akzeptierte dieses Argument und erhöhte seine jähr-
                                                                                     lichen Bezüge um 50 Prozent.30 Mit finanziellen Belastungen als Vater von
                                                                                     zehn Kindern erklärte der als Botaniker berühmt gewordene Tübinger Me-
                                                                                     dizinprofessor Leonhard Fuchs (1501-1566) seinen Wunsch nach berufli-
                                                                                     cher Veränderung: Mit Herzog Albrecht von Preußen (1490-1568) verhan-
                                                                                     delte er über eine Tätigkeit als Leibarzt von Albrechts Schwager, König

                                                                                     26 Vgl. pointiert Findlen (1991); Mauelshagen (2003).
                                                                                     27 Vgl. übereinstimmend Dinges/Barras (2007).
                                                                                     28 Vgl. Zwinger (1604), Bd. 1, Bl. ):(4r.
                                                                                     29 Vgl. IfStG Frankfurt/Main, Bestand Sanitätsamt: Akten des Rats (Medicinalia), Sign.
                                                                                        113.
                                                                                     30 Vgl. IfStG Frankfurt/Main, Bestand Dienstbriefe, Sign. 964.

                                                                                                                         Franz Steiner Verlag
Ärztehaushalte im 16. Jahrhundert                                                       37

                                                                                     Christian III. von Dänemark (1503-1559), und Professor für Medizin in
                                                                                     Kopenhagen. Fuchs schwebte eine erhebliche Ausweitung seiner bisherigen
                                                                                     Einkünfte – als Professor bezog er in Tübingen ein Gehalt von 200 Gulden
                                                                                     plus Zulagen – vor, denn er erwartete sich künftig ein Entgelt von 700 bis
                                                                                     800 Gulden.31 Ein Engagement wurde letztlich durch Fuchs’ umfänglichen
                                                                                     Haushalt verhindert: Mit so vielen kleinen Kindern und so vielen Büchern,
                                                                                     wie er sie habe, war ihm der Umzug zu weit, und Fuchs blieb der Universi-
                                                                                     tät Tübingen bis an sein Lebensende erhalten. Auch der Züricher Schul-
                                                                                     meister und Arzt Konrad Gesner (1516-1565) wandte sich im Jahr 1558 an
                                                                                     Bürgermeister und Rat seiner Heimatgemeinde: Er verwies auf familiäre
                                                                                     Verpflichtungen, weil er diverse Zahlungen für die Versorgung seiner chro-
                                                                                     nisch kranken Frau und der erweiterten Familie (Gesner selbst war kinder-
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                                                                                     los) zu übernehmen habe.32 Hierfür sei die schlechte Besoldung als Schul-
                                                                                     meister nicht ausreichend. Mit seiner Praxis mache er nur wenig Gewinn,
                                                                                     und seine schlechte Gesundheit und nachlassende Sehkraft verwehrten ihm
                                                                                     zusehends die gewohnten Nebeneinkünfte aus seiner Tätigkeit als Heraus-
                                                                                     geber und Fachschriftsteller. Da er 20 Jahre lang bei geringer Besoldung
                                                                                     geduldig Dienste für seine Stadt ausgeübt habe, bat er um die Aufnahme in
                                                                                     das Stift beim Münster, die ihm dann auch gewährt wurde. Nicht jeder ärzt-
                                                                                     liche Bittsteller konnte bereits auf langjährige Dienste verweisen. Gerade
                                                                                     beim Berufseinstieg hatten es Mediziner finanziell schwer, da sie noch ohne
                                                                                     Patientenstamm waren. Die Gemeinden statteten Jungärzte anfangs wohl
                                                                                     bewusst schlechter aus, weil sie, sollte sich das Dienstverhältnis bewähren,
                                                                                     mit erhöhten Gehaltsforderungen rechneten.
                                                                                     Wie seinem Kollegen Theodor Zwinger gelang Felix Platter durch seine
                                                                                     Heirat mit Magdalena Jeckelmann (1534-1613), der einzigen Tochter des
                                                                                     Scherers und Ratsherrn Franz Jeckelmann (1504-1579), der Aufstieg in die
                                                                                     führenden Kreise seiner Heimatstadt Basel. Anders als Valeria Rüdin
                                                                                     brachte Magdalena Jeckelmann allerdings kein nennenswertes Vermögen
                                                                                     mit in die Ehe33, und Platter litt, wie er sich später erinnerte, darunter, sei-
                                                                                     ner attraktiven jungen Frau keinen angemessenen Lebensstil bieten zu kön-
                                                                                     nen34. Schon zu Studienzeiten hatte ihn sein Vater Thomas (1499?/1507?-
                                                                                     1582) daran erinnert, dass er als eines »armen schůlmeisters sun« die Unter-
                                                                                     stützung bekannter Männer des Rates benötigen würde35, denn gegenüber
                                                                                     der politischen Elite der Gemeinde standen Thomas Platter als Stadtlehrer
                                                                                     und Felix Platter als Archiater und Hochschullehrer in einem Dienst- und

                                                                                     31 Vgl. Voigt (1841), S. 266: Brief an Herzog Albrecht von Preußen vom 10. April 1538.
                                                                                     32 Vgl. Milt (1929), S. 486.
                                                                                     33 Vgl. Lötscher (1975), S. 92-112, hier S. 104: Als Mitgift brachte sie 300 lb. sowie wei-
                                                                                        tere 100 fl. in bar mit.
                                                                                     34 Vgl. Platter (1976), S. 330.
                                                                                     35 Achilles Burckhardt (1890), S. 40: Brief mit einem Recipi Felix Platters vom 26. Febru-
                                                                                        ar 1554.

                                                                                                                           Franz Steiner Verlag
38                                                                   Tilmann Walter

                                                                                     Abhängigkeitsverhältnis. Umgekehrt war der Ratsherr Franz Jeckelmann
                                                                                     anscheinend auf das akademische Renommee erpicht, das ihm die Verhei-
                                                                                     ratung seiner Tochter einbringen würde: Thomas Platter berichtete an sei-
                                                                                     nen Sohn, man sehe in Basel ungern, dass Jeckelmann seine Tochter ande-
                                                                                     ren potentiellen Bewerbern vorenthalte; die Leute meinten, »sy můss ein
                                                                                     iungen doctor han«.36
                                                                                     Den Konstanzer Bürgermeister Thomas Blarer (nach 1492-1567) bewegten
                                                                                     ähnliche Sorgen wie den älteren Platter, nachdem sein Sohn Albert (um
                                                                                     1534-1592) das Medizinstudium beendet hatte, denn auch in der Bodensee-
                                                                                     stadt gab es schon mehr als genug Ärzte. Unter solchen Umständen war die
                                                                                     Einheirat in bessere Kreise – meistens über Witwen, oftmals solche, die ver-
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                                                                                     storbene Kollegen zurückließen – für Nachwuchsmediziner der übliche
                                                                                     Weg, sich zu etablieren.37 Gleich zweimal ging der Stadtarzt der schwäbi-
                                                                                     schen Reichsstadt Hall, Johann Morhard (1554-1631), die Ehe mit Witwen
                                                                                     von Standeskollegen ein: 1588 mit Anna (geb. Hiller, † 1603), der Witwe
                                                                                     seines Tübinger Mitstudenten Josef Brenz († 1586), jüngster Sohn des Haller
                                                                                     Reformators, von dem er das Amt des Stadtarztes, die Amtswohnung und
                                                                                     mit der Eheschließung auch zwei unmündige Kinder übernahm. 1622 hei-
                                                                                     ratete Morhard in dritter Ehe Catharina, die Witwe seines Kollegen Georg
                                                                                     Winkler. Insgesamt brachten seine drei Frauen Aktiva in Höhe von rund
                                                                                     270038, 296839 und 420040 Gulden mit in die Ehe. Diese Beträge blieben

                                                                                     36 Achilles Burckhardt (1890), S. 84: Brief vom September 1555.
                                                                                     37 Vgl. Blarer/Blarer (1908-1912), Bd. 3, S. 416: Brief vom 9. Januar [1558]: Der Rektor
                                                                                        des St. Anna-Gymnasiums, Matthias Schenk (1517-1571), teilt mit, in Augsburg ließe
                                                                                        sich, da Blarers Name in der Stadt einen guten Ruf genieße, entweder eine reiche Gat-
                                                                                        tin oder eine passende Stelle finden.
                                                                                     38 Vgl. Stadtarchiv Schwäbisch Hall, Sign. 6/88 1/2: Zubringensinventur von Anna
                                                                                        Brenz, geb. Hiller von 1588. Hinzu kamen ein Haus, Hausrat sowie die Bibliothek
                                                                                        von Josef Brenz. Die hier zitierten Abrechnungen sind durch ausgesprochene De-
                                                                                        tailfreudigkeit ausgezeichnet, für den außenstehenden Leser bleibt allerdings vieles
                                                                                        nicht nachvollziehbar. Die genauen Summen sind nicht zuverlässig zu beziffern, da
                                                                                        teilweise nur die regelmäßigen Zinseinkünfte aufgeführt werden und die verliehene
                                                                                        Hauptsumme offenbleibt. Grund hierfür war, dass in Zinsgeschäften konkrete Rückzah-
                                                                                        lungstermine der Gesamtschuld (»Wiederkauf«) im Sinne einer dauerhaften Leibrente
                                                                                        (»ewiger Kauf«) nicht festgelegt wurden. Außenstände blieben teilweise jahrzehntelang
                                                                                        offen: vgl. Lipp (2007), S. 28. Beim Wiederkauf war die Höhe der zurückzuzahlenden
                                                                                        Summe dann offenbar Gegenstand von Verhandlungen: vgl. Stadtarchiv Schwäbisch
                                                                                        Hall, Sign. 17/1475 und 17/1476: Urkunden über den Wiederkauf von Schulden der
                                                                                        Stadt Schwäbisch Hall von Erben Morhards aus zweiter bzw. dritter Ehe.
                                                                                     39 Vgl. Stadtarchiv Schwäbisch Hall, Sign. 6/88 1/2: Testament von Johann Morhard
                                                                                        und Barbara Koch vom 12. März 1615; hier Anhang: Inventur des von Barbara Koch
                                                                                        in die Ehe gebrachten Besitzes aus der Feder von Morhard anlässlich ihres Todes vom
                                                                                        1. September 1622: Zu der genannten Summe kamen Schmuck und Hausrat. Aller-
                                                                                        dings brachte Barbara Koch auch Schulden in Höhe von 3840 fl. mit in die Ehe, so
                                                                                        dass der Saldo insgesamt negativ ausfiel.
                                                                                     40 Vgl. Stadtarchiv Schwäbisch Hall, Sign. 6/88 1/2: Testament von Johann Morhard

                                                                                                                        Franz Steiner Verlag
Ärztehaushalte im 16. Jahrhundert                                                        39

                                                                                     nach dem Tod der Ehefrauen ihren Erben vorbehalten und fielen nicht
                                                                                     Kindern aus anderen Ehen zu.41 Als Vater zahlreicher Kinder musste Mor-
                                                                                     hard auch für die Ausbildung seiner Söhne und die Aussteuer seiner Töch-
                                                                                     ter aufkommen.42 Bei seinem Tod im Jahr 1631 hinterließ er seinen Erben
                                                                                     ein Haus und Barschaft im Wert von 1280 Gulden zuzüglich 18.043 Gul-
                                                                                     den in Gült- und Zinsbriefen, abzüglich eigener Schulden in Höhe von
                                                                                     2995 Gulden.43 Hinzu kamen Kleinodien und Ringe aus Gold, Silberge-
                                                                                     schirr sowie wertvoller Hausrat aus Silber, Kupfer und Messing. Wagt man
                                                                                     eine mit vielen Unsicherheiten behaftete Bilanz – da nirgends verzeichnet
                                                                                     wurde, wie viel Morhard aus dem Erbe seiner Eltern zugesprochen bekam,
                                                                                     bleibt beispielsweise die Höhe dieses Zugewinns unklar –, so hat Morhard
                                                                                     zwischen 1588 und 1631 einen Gewinn von 10.300 Gulden oder einen jähr-
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                                                                                     lichen Gewinn von durchschnittlich rund 240 Gulden erwirtschaftet.
                                                                                     Ein nennenswertes Vermögen44 war für Ärzte aus eigener Kraft nur mit Ge-
                                                                                     schick zu erzielen. Breiten Raum nimmt die Beschreibung seines mit erheb-
                                                                                     lichen Mühen erkämpften finanziellen Aufstiegs, den er in der Hauptsache
                                                                                     dem Erwerb eines solventen Patientenstamms verdankte, im Tagebuch Fe-

                                                                                         vom 20. April 1629. Hinzu kamen Schmuck und Hausrat.
                                                                                     41 Dementsprechend verzeichnet die Nachlassinventur Morhards vom 19. April 1631
                                                                                        beispielsweise das Silbergeschirr nach Provenienz aus zweiter und dritter Ehe: vgl.
                                                                                        Stadtarchiv Schwäbisch Hall, Sign. 14/542.
                                                                                     42 So sicherte Morhard in seinem Testament vom 20. April 1629 seinen beiden jüngsten,
                                                                                        noch unmündigen Töchtern aus dritter Ehe je 1200 Gulden zu: vgl. Stadtarchiv
                                                                                        Schwäbisch Hall, Sign. 6/88 1/2.
                                                                                     43 Vgl. Stadtarchiv Schwäbisch Hall, Sign. 14/542. Wenige Jahre vor Morhards Amts-
                                                                                        antritt, 1580, wurde das Durchschnittsvermögen der Haller anlässlich der Steuererhe-
                                                                                        bung mit nicht ganz 600 Gulden angegeben: vgl. Landkreis Schwäbisch Hall (2005),
                                                                                        S. 155. 1618 belief sich das durchschnittliche Vermögen der Steuerpflichtigen (N =
                                                                                        1179) auf 1088 Gulden; insgesamt hatten Halls Bürger für ein Gesamtvermögen von
                                                                                        1.045.346 Gulden Steuern zu entrichten: vgl. Wunder (1980), S. 269, Statistik 5. Die
                                                                                        elf reichsten Bürger (≈ 0,9 %) besaßen gemeinsam 163.100 (≈ 15,6 %) oder durch-
                                                                                        schnittlich 14.827 Gulden. Dann ließ der Dreißigjährige Krieg die Vermögen dahin-
                                                                                        schmelzen.
                                                                                     44 In der Literatur wird die Schwelle zu den »Reichen« unter den Steuerpflichtigen für
                                                                                        das ausgehende Mittelalter bei einem Vermögen über 2000, 5000 oder 10.000 Gulden
                                                                                        angesetzt: vgl. Dirlmeier (1978), S. 503-508. Bothe (1906), S. 153, vermittelt einen
                                                                                        Eindruck von der Verteilung des Steueraufkommens in Frankfurt am Main: Im Jahr
                                                                                        1556 waren demzufolge von (N =) 2111 Steuerpflichtigen 208 (≈ 9,9 %) »Nichtshäbi-
                                                                                        ge«, 1004 (≈ 47,6 %) Steuerpflichtige versteuerten bis zu 99 fl., 400 (≈ 18,9 %) Steuer-
                                                                                        pflichtige 100-299 fl., 386 (≈ 18,3 %) Steuerpflichtige 300-999 fl., 33 (≈ 1,6 %) Steuer-
                                                                                        pflichtige 1000-5999 fl. Die reichsten 80 (≈ 3,8 %) Steuerpflichtigen hatten für ein
                                                                                        Vermögen von über 6000 fl. Steuern zu entrichten. 1593 setzte die höchste Steuerklas-
                                                                                        se (≈ 4,1 % der Steuerpflichtigen) bei einem Vermögen von 8000 fl. ein: vgl. Bothe
                                                                                        (1906), S. 154. In der Handels- und Messestadt Frankfurt waren die reichsten Bürger
                                                                                        Patrizier und Kaufleute: vgl. Bothe (1906), S. 162-166; für weitere Impressionen aus
                                                                                        anderen Gemeinden vgl. Bothe (1906), S. 142-149; Dirlmeier (1978), S. 491-526.

                                                                                                                            Franz Steiner Verlag
40                                                                     Tilmann Walter

                                                                                     lix Platters ein. Als junger Arzt scheute Platter nicht vor beschwerlichen
                                                                                     mehrtägigen Reisen zurück, um Kranke auswärts zu besuchen; allein im
                                                                                     November 1562 verließ der 26-Jährige zehnmal die Stadt, wobei er einmal
                                                                                     drei, ein anderes Mal vier Tage ausblieb.45 Auch der Mühe, Patienten im
                                                                                     eigenen Haus zur stationären Pflege aufzunehmen46, hätte sich ein etablier-
                                                                                     ter Arzt wohl nicht mehr unterzogen. Für Platter zahlte sich der Aufwand,
                                                                                     den er als reisender Arzt anfangs betrieb, aus; mit der Behandlung Auswär-
                                                                                     tiger hatte er schließlich mehr als das Fünffache dessen verdient, was ihm
                                                                                     die ärztliche Versorgung Einheimischer einbrachte.47 Gelegenheit zum kon-
                                                                                     templativ zurückgezogenen Studium48 wird ihm dabei wenig geblieben sein.
                                                                                     Auch die vielen erhaltenen Patientenbriefe sprechen zu dieser Zeit für eine
                                                                                     gezielte Konzentration Platters auf seine zahlungskräftigen Patienten: Aus
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                                                                                     seinem Tagebuchbericht und der archivalischen Überlieferung ergeben sich
                                                                                     keine Hinweise auf eine umfangreiche Gelehrtenkorrespondenz49, wie sie für
                                                                                     die Basler Ärztefamilien Zwinger und Bauhin50 durch ihre Briefarchive
                                                                                     überliefert ist. Da er nicht wie Zwinger eine vermögende Baslerin zur Frau
                                                                                     genommen hatte und ihm auch keine frühe Erbschaft Geld einbrachte, war
                                                                                     die Sicherung seines Nachruhms für Platter offenkundig ein sekundäres An-
                                                                                     liegen: Während Zwinger schon 1565 sein monumentales »Theatrum vitae
                                                                                     humanae« veröffentlichte, gab Platter sein Erstlingswerk »De Corporis
                                                                                     Humani Structura et Usu« (Basel 1583) erst im Alter von 47 Jahren heraus.
                                                                                     Den bis dahin erreichten akademischen Aufstieg verdankte er stattdessen
                                                                                     glücklichen Umständen: Als Platter an der Universität Basel zu lehren be-

                                                                                     45 Vgl. Platter (1976), S. 389f. Wie sich aus der Aufstellung aller Einnahmen von 1612
                                                                                        ergibt, war er allein in den ersten 13 Jahren seiner Laufbahn 414-mal, insgesamt an
                                                                                        die 700-mal zu Kranken gereist: vgl. Platter (1976), S. 520.
                                                                                     46 Vgl. Platter (1976), S. 362.
                                                                                     47 Vgl. Platter (1976), S. 520.
                                                                                     48 Vgl. Algazi (2007), S. 110-112.
                                                                                     49 Die Briefe müssten verschollen sein – oder sie wurden, was wahrscheinlicher ist, nie
                                                                                        geschrieben. Die erhaltenen Briefe des ansonsten sammel- und erinnerungssüchtigen
                                                                                        Felix Platter wurden von Jakob Zwinger aufbewahrt, der als Testamentsvollstrecker
                                                                                        Magdalena Platters (geb. Jeckelmann) in den Besitz der Briefe kam: vgl. Lötscher
                                                                                        (1975), S. 163. Der einzige geschlossene Band mit Briefen an Platter in der Frey-
                                                                                        Grynaeischen Sammlung (Sign. Fr. Gr. Ms I, 6) der Handschriftenabteilung der UB
                                                                                        Basel enthält 244 Patientenbriefe in deutscher Sprache aus den Jahren 1569/70: vgl.
                                                                                        Staehelin (1947), S. 182-185. Lateinische Briefe von Kollegen tauchen verstreut in den
                                                                                        Bänden mit Briefen an Theodor und Jakob Zwinger auf; andere (etwa von Gesner o-
                                                                                        der Wilhelm Fabri) sind aus zeitgenössischen Editionen bekannt.
                                                                                     50 Ähnlich wie Zwinger war auch Caspar Bauhin schon am Beginn seiner Karriere frei
                                                                                        von echten finanziellen Sorgen. Sein Vater, der Glaubensflüchtling Jean Bauhin d. Ä.
                                                                                        (1511-1582), hatte in Frankreich in königlichen Diensten gestanden. Als hochangese-
                                                                                        hener Arzt erwarb er sich in Basel schnell eine solvente Patientenschaft, die sein Sohn
                                                                                        Caspar nach seinem Tod übernahm: vgl. als Gesamtdarstellung noch immer maßgeb-
                                                                                        lich Heß (1860).

                                                                                                                          Franz Steiner Verlag
Ärztehaushalte im 16. Jahrhundert                                                 41

                                                                                     gann, fehlte es unter dem gealterten Ordinarius Oswald Bär (1486-1568) an
                                                                                     jungen, brillanten Köpfen.51 Nachdem die zwei, später drei medizinischen
                                                                                     Lehrstühle Basels mit Platter, Zwinger und Caspar Bauhin (1560-1624) be-
                                                                                     setzt worden waren und ihnen jeweils ihre Söhne (bzw. in Platters Fall sein
                                                                                     Halbbruder und Ziehsohn Thomas II.) nachfolgten, machte in der Basler
                                                                                     Universitätsmedizin sonst niemand mehr Karriere.
                                                                                     Mit 76 Jahren bilanzierte Platter seine Einnahmen aus den Jahren 1558 bis
                                                                                     1612, um sich und seinen Nachfahren den eigenen Aufstieg ins Gedächtnis
                                                                                     zu rufen. Wie diese Aufzeichnungen zeigen, bezog er Einkünfte aus den un-
                                                                                     terschiedlichsten Quellen: Mit rund 45.169 Pfund machte die Privatpraxis
                                                                                     ein Vielfaches der Entlohnungen als Stadtarzt, Hochschullehrer, Leibarzt
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                                                                                     des Basler Bischofs in Pruntrut und der Nebeneinkünfte aus Prüfungen so-
                                                                                     wie Publikationen aus. Als Stadtarzt hatte er 2031 lb., als Professor 11.139
                                                                                     lb., als Leibarzt des Basler Bischofs in Pruntrut 208 lb. und mit Prüfungen
                                                                                     weitere 2850 lb. verdient. Hinzu kamen die zusätzliche Besoldung als Rek-
                                                                                     tor und Prorektor (342 lb.) und Vergütungen aus wissenschaftlichen Aktivi-
                                                                                     täten wie öffentlichen Anatomien (38 lb.) und seinen Publikationen (76
                                                                                     lb.).52 Weitere Einnahmen verzeichnete Platter aus unternehmerischen Tä-
                                                                                     tigkeiten wie dem Handel mit Zitruspflanzen und -früchten, Äpfeln, Ros-
                                                                                     marin und anderen Pflanzen, Kanarienvögeln, Habichten, Tauben und
                                                                                     Meerschweinchen, der Beherbergung von Studenten sowie Eintrittsgeld
                                                                                     zum Besuch seiner Sammlungen.53 Erheblich ins Gewicht fiel mit 12.669
                                                                                     Pfund auch der Erlös aus landwirtschaftlichen Flächen, die er verpachtet
                                                                                     hatte. Verglichen damit spielten die Erbschaften (4069 lb.) in seinem Fall
                                                                                     keine große Rolle.
                                                                                     Auch sonst nahmen Ärzte Geld mit unternehmerischen Aktivitäten man-
                                                                                     cherlei Art ein: In den 1530ern hatte Heinrich Stromer (1482-1542) in
                                                                                     Leipzig für ein gutes Drittel der in der ganzen Stadt anfallenden Steuer auf
                                                                                     eingelagerten Wein aufzukommen, den er in seinem Wirtshaus, dem be-
                                                                                     rühmten Auerbachschen Keller, ausschenken ließ.54 Obwohl es den Ärzten
                                                                                     üblicherweise nicht erlaubt war55, betätigten sie sich auch als Apotheker:
                                                                                     Der Arzt Johannes Münsinger (1423-1502/1504) übernahm 1470 eine Apo-
                                                                                     theke in Tübingen56, und auch der Gründungsrektor und erste medizinische

                                                                                     51 Vgl. Albrecht Burckhardt (1917), S. 46. Auch die beiden Dozenten Johann Huber
                                                                                        (1506-1571) und Isaak Keller (1530-1596) konnten bei den Studenten wenig Begeiste-
                                                                                        rung wecken, wie zeitgenössische Briefe belegen.
                                                                                     52 Platter (1976), S. 519-536. Die Einkünfte summierten sich in Platters Rechnung auf
                                                                                        118.669 Pfund. Gerechnet werden kann für diese Zeit: 5 Pfund (= lb.) ≈ 4 Gulden
                                                                                        (= fl.).
                                                                                     53 Vgl. dazu Platter (1976), S. 505 (Anm. 95), sowie Lötscher (1975), S. 88.
                                                                                     54 Vgl. Wustmann (1902), S. 77.
                                                                                     55 Vgl. Schmitz (1982), S. 11f.
                                                                                     56 Vgl. Hofmann (2000), S. 21. Zuvor stand er als Leibarzt in Diensten von Graf Eber-

                                                                                                                           Franz Steiner Verlag
42                                                                      Tilmann Walter

                                                                                     Professor der Universität Wittenberg, Martin Pollich von Mellrichstadt (um
                                                                                     1455-1513), hatte als Gründer und Besitzer der ersten Apotheke am Ort
                                                                                     1513 eine Grundsteuer von 120 Groschen zu bezahlen57. Von der üblichen
                                                                                     Regelung, die Ärzten den Arzneihandel verbot, wurde abgewichen, wenn
                                                                                     andernfalls kein Medikamentenverkauf stattgefunden hätte. In Luzern stellte
                                                                                     der langjährige Stadtarzt Johann Oehen († 1657) im Jahr 1651 die Stadt-
                                                                                     oberen allerdings schlicht vor vollendete Tatsachen, als er eine Apotheke
                                                                                     im Ort erwarb. Auf Initiative der Apotheker wurde ihm die Führung des
                                                                                     Geschäfts zunächst verboten, dann aber doch gestattet, als der Rücktritt
                                                                                     vom Kaufvertrag misslang.58
                                                                                     Genossenschaftlich betriebene Bergwerksunternehmungen waren in der
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                                                                                     Frühen Neuzeit eine verbreitete Anlagemöglichkeit für freies Kapital; der
                                                                                     Münchener Arzt Sigismund Gotzkircher († 1475) notierte um 1460 womög-
                                                                                     lich mit diesem Hintergedanken die Namen mehrerer nahe gelegener Berg-
                                                                                     werksorte in sein Haushaltungsbuch.59 Dass Georgius Agricola (1494-1555)
                                                                                     seine ausgezeichneten Kenntnisse des Bergwesens auch für eigene Investi-
                                                                                     tionen nutzte, ist ebenfalls vermutet worden.60 Sicher ist, dass der Augsbur-
                                                                                     ger Arzt Ulrich Jung (1478-1548) 1537 Geld in eine Messinggießerei in
                                                                                     Mühlau bei Innsbruck am Inn investierte61 und dass sich Leonhard
                                                                                     Thurneisser (1531-1596) lange in Tirol als Metallurge und Berg-
                                                                                     bauunternehmer betätigt hatte, bevor er als Leibarzt in die Dienste von
                                                                                     Kurfürst Johann Georg von Brandenburg (1525-1598) trat62. Durch Geld-
                                                                                     verleih ließ sich freies Kapital ebenfalls in regelmäßige Zinseinkünfte ver-
                                                                                     wandeln63: Georgius Agricola lieh 1553 dem Rat der Stadt Chemnitz, wo er
                                                                                     als Stadtarzt tätig war, 500 Gulden, auf die ihm jährlich 5 % Zinsen zu zah-
                                                                                     len waren64. Der Wiener Medizinprofessor Johann Aicholz (1520-1588) bot
                                                                                     1579 über den Stadtarzt Joachim Camerarius d. J. (1534-1598) der Nürn-
                                                                                     berger Stadtkasse eine Anleihe von 1000 Gulden an, die er ebenfalls mit 5
                                                                                     % verzinst haben wollte.65 Auch Felix Platter verlieh, nachdem er zu Ver-

                                                                                          hard im Bart.
                                                                                     57 Vgl. Schlereth (2000), S. 125-131.
                                                                                     58 Vgl. Studer (1958), S. 172.
                                                                                     59 Vgl. Lehmann (1909), S. 14, 39.
                                                                                     60 Vgl. Engewald (1982), S. 73.
                                                                                     61 Vgl. Fleischmann (1955), S. 36.
                                                                                     62 Zur Gesamtdarstellung von Thurneissers Lebensweg vgl. noch immer maßgeblich
                                                                                        Moehsen (1783); weiter Boerlin (1976); Kühlmann/Telle (2004) mit weiterer Literatur;
                                                                                        Spitzer (1996).
                                                                                     63 Vgl. zu dieser Praxis jüngst Seggern/Fouquet/Gilomen (2008) mit einschlägigen Bei-
                                                                                        trägen von Hans-Jörg Gilomen, Bernd Fuhrmann und Michael Rothenberger.
                                                                                     64 Vgl. Georg Agricola (1992), S. 626, 641.
                                                                                     65 Vgl. Liberalitatis Eximiae (1803), S. 3f.: Brief vom 9. März 1579.

                                                                                                                          Franz Steiner Verlag
Ärztehaushalte im 16. Jahrhundert                                                   43

                                                                                     mögen gekommen war, erhebliche Summen an höhergestellte Personen,
                                                                                     darunter regelmäßige Patienten wie den Basler Fürstbischof Melchior von
                                                                                     Lichtenfels66, Herzog Friedrich von Württemberg67 und weiter an den
                                                                                     Markgrafen Friedrich von Baden bzw. den Landgrafen Moritz von Hes-
                                                                                     sen68.
                                                                                     Unternehmerisch besonders breit aufgestellt operierte in Berlin der paracel-
                                                                                     sistische Laienarzt Leonhard Thurneisser, ein Landsmann Platters: Der ge-
                                                                                     lernte Goldschmied und versierte Metallurge bezog als Leibarzt bei Hofe
                                                                                     nicht nur ein weit überdurchschnittliches Gehalt von 1352 Talern69, son-
                                                                                     dern verdiente an Ferndiagnosen (die er gegen eine Gebühr von zehn Ta-
                                                                                     lern erteilte)70 und am Versand von Medizinalien aus kostbaren minera-
Open Access Download von der Verlag Österreich eLibrary am 06.06.2022 um 18:52 Uhr

                                                                                     lischen Zutaten sowie Talismanen und Sigillen. Thurneisser besaß außer-
                                                                                     dem eine Druckerei, die für ihre Typensätze exotischer Sprachen bekannt
                                                                                     war71, und eine Schriftgießerei. Mit gutem Gewinn veröffentlichte seine Of-
                                                                                     fizin Jahreskalender und Almanache. Hinzu kamen Geldgeschäfte verschie-
                                                                                     dener Art.72

                                                                                     Sozialer Status
                                                                                     Neben beträchtlichem Reichtum gewann Thurneisser Ruhm als Modearzt
                                                                                     des europäischen Adels – wenigstens unter seinen hochgeborenen Patienten,
                                                                                     was andererseits Neid, Missgunst und Kritik der studierten Ärzteschaft pro-
                                                                                     vozierte73 und ihm seinen bis heute bleibenden Ruf als Scharlatan einbrach-
                                                                                     te: Was dem Emporkömmling und Autodidakten Thurneisser vor allem
                                                                                     fehlte (und andererseits seine Neigung zur Paracelsischen Medizin erklärlich
                                                                                     macht), war eine solide akademische Ausbildung. Obwohl er sich auch mit
                                                                                     »gelehrten« Schriften hervortat, machte sich seine fehlende formale Bildung
                                                                                     in selbstgefälligen, aber eher wirren Gedankengängen, die er darin ausbrei-
                                                                                     tete, bemerkbar.
                                                                                     Adlige waren die potentiell zahlungskräftigsten Abnehmer medizinischer
                                                                                     Dienstleistungen und damit die wohl vielversprechendste Klientel der Ärzte.
                                                                                     Medizinisches Wissen zum Zweck der Selbstversorgung gehörte zwar

                                                                                     66 Vgl. Platter (1976), S. 358 (Anm. 211).
                                                                                     67 Vgl. Platter (1976), S. 468 (Anm. 2).
                                                                                     68 Insgesamt betrug die verliehene Hauptsumme über 28.000 fl.: vgl. Lötscher (1975), S.
                                                                                        167-170.
                                                                                     69 Vgl. Moehsen (1783), S. 86.
                                                                                     70 Vgl. Moehsen (1783), S. 128.
                                                                                     71 Vgl. Moehsen (1783), S. 55-127; Spitzer (1996), S. 31-72.
                                                                                     72 Vgl. Moehsen (1783), S. 131-145.
                                                                                     73 Eine längere Liste kritischer Pamphlete gegen Thurneisser verzeichnet Moehsen
                                                                                        (1783), S. 7f. (Anm.).

                                                                                                                           Franz Steiner Verlag
44                                                                  Tilmann Walter

                                                                                     durchaus zum Bildungsschatz des Adels74, doch waren unter den Ärzten
                                                                                     praktisch keine von Geburt an adligen Personen zu finden75. Theophrastus
                                                                                     von Hohenheim oder Paracelsus war auch diesbezüglich ein Sonderfall;
                                                                                     seinem qua Geburt erhöhten Stand entsprachen jedoch keine gehobenen
                                                                                     Lebensumstände: Mit seiner vor Schmutz starrenden Kleidung und seinem
                                                                                     als ungehobelt verrufenen Auftreten verletzte er die an einen Arzt gestellten
                                                                                     sozialen Erwartungen; seine Zeitgenossen fühlten sich eher an einen Fuhr-
                                                                                     mann erinnert.76 Arzt war von Herkommen, Erleben und Selbstverständnis
                                                                                     her also ein »bürgerlicher« Beruf77, und die höfische Umwelt, in der sich
                                                                                     manche Mediziner bewegten und von der sie profitierten, wird von ihnen
                                                                                     nicht selten als eine feindselige Welt beschrieben78. Für ihre Verdienste ge-
                                                                                     adelt wurden am ehesten Ärzte, die in kaiserlichen Diensten standen: Ulrich
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                                                                                     Jung, Andreas Vesalius, Johannes Crato (dann: von Krafftheim, 1519-1585),
                                                                                     Carolus Clusius (1526-1609) oder Michael Maier (1568/69-1622).
                                                                                     Ein gewisses monetäres Startkapital gehörte wegen der hohen Kosten des
                                                                                     Studiums zu den unabdingbaren Voraussetzungen des Arztseins.79 Da die
                                                                                     Studien- und Prüfungsverordnungen eine Studiendauer von wenigstens sie-
                                                                                     ben Jahren vorsahen und zudem nicht geringe Prüfungsgebühren mit sich
                                                                                     brachten, studierten Mittellose eher die artes und verließen die Universitäten
                                                                                     zumeist ohne formalen Abschluss.80 Auf dem Feld der Heilkunst bot sich
                                                                                     die handwerkliche Ausbildung zum Chirurgen oder Apotheker als preiswer-
                                                                                     te Alternative an.81 Zu den Kosten des Studiums und der Lebenshaltung

                                                                                     74 Vgl. Schofer (1994), S. 121-124; Schumm (1964), S. 73-76.
                                                                                     75 Vgl. übereinstimmend Immenhauser (2007), S. 428.
                                                                                     76 Davon berichten übereinstimmend der ehemalige Famulus Johannes Oporinus (vgl.
                                                                                        Benzenhöfer (1989), S. 61f.) und der Reformator Heinrich Bullinger, der 1527 in Zü-
                                                                                        rich mit Paracelsus zusammengetroffen war: vgl. Erastus (1571/72), Tl. I, S. 239f.
                                                                                     77 Größer war die wechselseitige soziale Durchlässigkeit bei den Juristen: vgl. Füssel
                                                                                        (2006), S. 110; Immenhauser (2007), S. 224-226; Reinhard (2000), S. 189-196.
                                                                                     78 Vgl. etwa Boerlin (1976), S. 188: Brief Leonhard Thurneissers an Theodor Zwinger
                                                                                        vom 23. März 1579; Sambucus (1968), S. 241: Brief an Crato von Krafftheim vom
                                                                                        29. Juli [15]78.
                                                                                     79 Vgl. exemplarisch Ludwig (1997): Ludwig schätzt die Kosten für das fünfjährige
                                                                                        (1521-1525) Studium Zeno Reicharts (1507-1542/43) bis zum Magister artium an ver-
                                                                                        schiedenen Universitäten des deutschen Sprachraums auf 170 Gulden, für das Studi-
                                                                                        um in Italien bis zum Erwerb des Dr. med. auf weitere 100-115 Gulden (S. 685f.). Zu
                                                                                        Beginn des 17. Jahrhunderts schuldeten die Stipendiaten Onophrio Bürgi und Jakob
                                                                                        Gilg der Gemeinde Luzern 1863 bzw. 1273 Gulden: vgl. Studer (1958), S. 169f. Bürgi
                                                                                        hatte mit diesem Geld in Rom und Padua, Gilg in Montpellier studiert.
                                                                                     80 Vgl. Immenhauser (2007), S. 495, 513f.; Jütte (1991), S. 19f.
                                                                                     81 Vgl. Ludwig (1999), S. 179: Brief vom 12. August 1523, in dem Johannes Beischlag,
                                                                                        ein früherer Studienkollege, an den Studenten Zeno Reichart berichtet, er habe wegen
                                                                                        seiner beengten finanziellen Situation sein Medizinstudium aufgegeben und beschlos-
                                                                                        sen, Apotheker zu werden.

                                                                                                                         Franz Steiner Verlag
Ärztehaushalte im 16. Jahrhundert                                                  45

                                                                                     kam das mühselige oder, so man es von anderen erledigen ließ, teure Ab-
                                                                                     schreiben der wichtigsten Lehrbücher, in späterer Zeit die Anschaffung ge-
                                                                                     druckter Bände. Insofern war die väterliche Bibliothek ein sinnvolles Ar-
                                                                                     gument für die Aufnahme eines Medizinstudiums82 und erklärt so unschwer
                                                                                     die Tatsache, dass viele Ärzte ihrerseits Söhne von Ärzten waren. In
                                                                                     Schwäbisch Hall legte der Stadtarzt Johann Morhard 1617 testamentarisch
                                                                                     fest, dass seine medizinischen Bücher, deren Gesamtwert er mit 300 Gulden
                                                                                     veranschlagte, an seine Söhne aus zweiter Ehe gehen sollten.83
                                                                                     Für begabte Schüler aus ärmeren Familien hatten etliche Städte in der Ab-
                                                                                     sicht, ihren Ärztenachwuchs sicherzustellen, Stipendien eingerichtet, mit
                                                                                     denen Söhnen der Handwerkerschicht der Eintritt ins akademische Milieu
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                                                                                     ermöglicht wurde: Unter den prominenteren Ärzten profitierten Johann
                                                                                     Winter von Andernach (1505-1574), Konrad Gesner, Johann Hartmann
                                                                                     (1568-1631) und Daniel Sennert (1572-1637) davon.84 Studierten Ärzten
                                                                                     glückte andererseits leichter der Aufstieg in die politisch führenden Kreise:
                                                                                     Heinrich Stromer, Joachim Vadian (1484-1551), Georgius Agricola und
                                                                                     Johann Hartmann Beyer (1563-1625) wurden zu Bürgermeistern ihrer Ge-
                                                                                     meinden gewählt. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Übereinstim-
                                                                                     mung städtischer Interessen (an einer kontinuierlichen medizinischen Ver-
                                                                                     sorgung) mit dem Streben führender Familien nach gesichertem Einkom-
                                                                                     men und Status entwickelten sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts so re-
                                                                                     gelrechte Ärztedynastien: in Basel die Familien Platter, Bauhin und Zwin-
                                                                                     ger, in Zürich die Familien Gesner, Scheuchzer, Lavater und von Muralt, in
                                                                                     Luzern die Familien Cysat und Corragioni, in St. Gallen die Familien
                                                                                     Schobinger, Zollikofer und Hiller, in Augsburg die Familien Mettlinger,
                                                                                     Occo und Jung, in Nürnberg das Geschlecht der Camerarii, in Heilbronn
                                                                                     die Familien Eisenmenger und Reichlin von Meldegg und in Frankfurt am
                                                                                     Main die Familie Uffenbach.
                                                                                     Die Stipendien wurden nun zunehmend für die Ausbildung der Söhne füh-
                                                                                     render Familien zweckentfremdet – oder gleich ausdrücklich zu diesem
                                                                                     Zweck eingerichtet: Als der kurfürstlich sächsische Leibarzt Johann Neefe

                                                                                     82 Vgl. Ludwig (1999), S. 111: Brief des Arztes Wolfgang Reichart an seinen Sohn Zeno
                                                                                        vom 21. August 1522.
                                                                                     83 Vgl. Stadtarchiv Schwäbisch Hall, Sign. 6/88 1/2: Testament von Johann Morhard
                                                                                        vom 16. April 1617. Die Zubringensinventuren aus seinen zwei anderen Ehen zeigen,
                                                                                        dass zwei weitere Haller Ärzte gut 100 bzw. knapp 130 Bücher gesammelt hatten: vgl.
                                                                                        Stadtarchiv Schwäbisch Hall, Sign. 14/168: Zubringensinventur von Anna Brenz,
                                                                                        geb. Hiller von 1588; Sign. 14/449: Inventur der Catharina Winklerin zum Teilungs-
                                                                                        protokoll der Eheleute Morhard vom 22. Juli 1623. Vgl. dazu auch Lorenz (1983), S.
                                                                                        193-198: In ihren jeweiligen Bibliotheken hatten Hartmann Schedel etwa 630, Vadian
                                                                                        über 1259, Achilles Pirmin Gasser (1505-1577) in Augsburg etwa 2900, Georg Palma
                                                                                        (1543-1591) in Nürnberg allein 651 medizinische und Jeremias Martius (um 1535-
                                                                                        1585) in Augsburg etwa 500 Bände stehen.
                                                                                     84 Winters Vater war Schneider, Gesners Vater Kürschner, Hartmanns Vater Wollweber
                                                                                        und Sennerts Vater Schuhmacher gewesen.

                                                                                                                         Franz Steiner Verlag
46                                                                      Tilmann Walter

                                                                                     (1499-1574) 1570 eine Summe von 2000 Gulden veranlagte, sollten die vier
                                                                                     hiervon bestrittenen Stipendien bevorzugt an seine ärmeren Verwandten,
                                                                                     dann an arme Bürgerskinder der Stadt Wittenberg, wo Neefe lebte, und,
                                                                                     wenn sich niemand Derartiges fände, an Bewerber aus ganz Deutschland
                                                                                     vergeben werden.85

                                                                                     Praktiken der Repräsentation
                                                                                     Etablierte und wohlhabende Ärzte orientierten sich in ihrem Auftreten und
                                                                                     in der Ausstattung ihrer Wohnsitze am adligen Lebensstil: Der Münchner
                                                                                     Arzt Sigismund Gotzkircher, der als Berater der bayerischen Herzöge Hoff-
                                                                                     nungen auf einen Aufstieg in kaiserliche Dienste hegte86, legte um 1460 de-
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                                                                                     taillierte Notizen an, die in die Renovierung seines Münchner Stadthauses
                                                                                     Einblick geben87. Auch auf Erscheinungsbild und Auftreten des offenbar
                                                                                     sehr vermögenden Arztes erlauben diese Aufzeichnungen Rückschlüsse:
                                                                                     Gotzkircher hielt drei Pferde88 und bezahlte Rüstung sowie Waffen – Har-
                                                                                     nisch, Helm, Schwert, Streitaxt, Degen und Sporen –, die er mit Wappen-
                                                                                     und Heiligenmotiven bemalen ließ89. Einem ritterlichen Lebensstil ent-
                                                                                     sprach auch das Stiften mehrerer jährlicher Messen in den Kirchen und
                                                                                     Klöstern der Stadt, darunter nicht nur solche für die Ärzteheiligen Cosmas
                                                                                     und Damian, sondern auch für den Heiligen St. Georg als sanctus Georgius
                                                                                     equester.90
                                                                                     Dagegen steht der St. Gallener Stadtarzt und Bürgermeister Joachim Vadi-
                                                                                     an, der als Reformator seiner Heimatstadt bekanntgeworden ist, für den
                                                                                     sozialen Übergang vom zölibatär lebenden Gelehrten zum Hausvater und
                                                                                     homo politicus.91 Bevor Vadian 1521 in den kleinen Rat und 1526 erstmals
                                                                                     zum Bürgermeister gewählt wurde, hatte er an der Universität Wien Karrie-
                                                                                     re gemacht92: 1514 war er vom Kaiser zum Poeta laureatus gekrönt worden,

                                                                                     85 Vgl. Gößner (2003), S. 95, für weitere Bspe. vgl. Gößner (2003), S. 150, 155f., 164.
                                                                                     86 Vgl. Lehmann (1909), S. 13. Fest bestallt war er am herzoglichen Hof nicht. Wahr-
                                                                                        scheinlich wirkte er, wie viele Leibärzte, »von Haus aus« und wurde fallweise hono-
                                                                                        riert.
                                                                                     87 Vgl. dazu Lehmann (1909), S. 5-13.
                                                                                     88 Vgl. Lehmann (1909), S. 13.
                                                                                     89 Vgl. Lehmann (1909), S. 10-12.
                                                                                     90 Vgl. Lehmann (1909), S. 15f. Eher auf ein Gelehrtendasein verwies dagegen das
                                                                                        Sammeln von Handschriften, oft medizinischen, aber auch historischen und theologi-
                                                                                        schen Inhalts: vgl. Lehmann (1909), S. 6-9.
                                                                                     91 Wie Algazi (2007), S. 108-110, bemerkt hat, waren Frauen und Kinder in Gelehrten-
                                                                                        haushalten am Ausgang des Mittelalters noch eine Neuheit.
                                                                                     92 Immatrikuliert im Jahr 1501, hatte er unter dem Einfluss von Celtis, Cuspinian und
                                                                                        Hans Tichtl studiert, 1504 das Bakkalaureat abgelegt, 1508 den Magister artium er-
                                                                                        worben. Seit 1512 war er Professor der artes, zeitweise stand er der Universität als Rek-
                                                                                        tor vor: vgl. Näf (1936), S. 84-88.

                                                                                                                         Franz Steiner Verlag
Ärztehaushalte im 16. Jahrhundert                                                     47

                                                                                     und 1517 hatte er, wohl eher einem naturphilosophischen Interesse folgend
                                                                                     denn in der Absicht zu praktizieren, den medizinischen Doktorgrad erwor-
                                                                                     ben. Daraufhin kehrte er freilich in seine Heimatgemeinde zurück, wo er
                                                                                     1517 zum Stadtarzt ernannt wurde, Martha Grebel aus dem Züricher Stadt-
                                                                                     adel heiratete und das Haus »Zum tiefen Keller« erwarb. Der Kauf eines
                                                                                     Stadthauses entsprach einer fundamentalen Notwendigkeit des alltäglichen
                                                                                     Lebens.93 Konrad Gesner jedenfalls betonte, als er sich bei den Stadtoberen
                                                                                     Zürichs um eine Gehaltsaufbesserung bemühte, man dürfe ihn keineswegs
                                                                                     für reich halten, weil er am Ort als Besitzer eines Hauses und eines Gartens
                                                                                     bekannt war.94 Da die Akten der Städte, was Grundstücksverkäufe angeht,
                                                                                     früh sehr vollständig geführt wurden, ist gut nachvollziehbar, wie sich ihre
                                                                                     bestallten Ärzte in dieser Weise etablierten: Der Stadtarzt Johann Morhard
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                                                                                     kaufte in Schwäbisch Hall 1589 ein Haus in der Oberen Herrngasse für 750
                                                                                     Gulden von der Gemeinde95, wobei der niedrige Preis an ein Sonderange-
                                                                                     bot denken lässt, um dem Arzt eine dauerhafte Niederlassung schmackhaft
                                                                                     zu machen. Der Stadtarzt Johann Hartmann Beyer erwarb 1594 für 1900
                                                                                     Gulden ein Haus in Frankfurt, was, wie man annehmen möchte, ebenfalls
                                                                                     nicht unbedingt als Ausweis großen Reichtums gedeutet werden muss, denn
                                                                                     das Grundstück wurde dafür eigens geteilt.96 David Eisenmenger d. J. (um
                                                                                     1575-1626), seit 1606 als Stadtarzt Speyers aktenkundig97, erwarb dort 1624
                                                                                     für 1200 Gulden eine Eckbehausung auf dem Kornmarkt am Löffelsgäss-
                                                                                     chen. Belegt ist er außerdem als Besitzer eines Ackers von 3 1/3 Morgen,
                                                                                     was einen Hinweis auf naturalwirtschaftlichen Nebenerwerb, dem die Ärzte
                                                                                     nachgingen, liefert.98
                                                                                     Denn Gärten konnten, wie Konrad Gesner in seiner Schrift »De hortis Ger-
                                                                                     maniae« (Straßburg 1561) eingangs erläuterte, unterschiedlichen Zwecken
                                                                                     dienen: Als zweckmäßige Nutzflächen ermöglichten sie den Anbau von

                                                                                     93 Vgl. Fouquet (1998), S. 409-417.
                                                                                     94 Vgl. Hanhart (1824), S. 139-147, hier S. 141: Brief an Heinrich Bullinger von [1558].
                                                                                        Bullinger riet ihm daraufhin, sich brieflich an die Stadtoberen zu richten: siehe Anm.
                                                                                        32. Gesner hatte insofern recht, als Häuser, gemessen am Einkommen eines studierten
                                                                                        Arztes, wohl weniger kosteten als heute.
                                                                                     95 Stadtarchiv Schwäbisch Hall, Sign. 13/1538. 1596 kaufte er dem Arzt Johann Weid-
                                                                                        ner für 160 fl. einen Garten ab: vgl. Morhard (1962), S. 40.
                                                                                     96 Vgl. IfStG Frankfurt/Main, Bestand Hausurkunden, Sign. 1.007, Nr. 2.
                                                                                     97 Vgl. Paulus (1994), S. 350.
                                                                                     98 Vgl. Stadtarchiv Speyer, Sign. 1B15, fol. 41/3 bzw. fol. 40/6. Diesen Hinweis verdan-
                                                                                        ke ich der freundlichen Auskunft von Katrin Hopstock am 26. September 2007. Auch
                                                                                        der Lindauer Stadtarzt Abraham Mürgel wird 1571 und 1580 als Besitzer eines Gar-
                                                                                        tens bzw. Weingartens urkundlich erwähnt: vgl. Burmeister (2000), S. 40; zu dem
                                                                                        Haus »Zum Hirschen«, das er bewohnte, gehörten Stallungen, ein Hühnerhaus und
                                                                                        ein Kornkasten: siehe Anm. 109. Zur Einheit von »Wohnen und Wirtschaft«, Haupt-
                                                                                        und Nebengebäuden sowie Gärten bei Häusern der Frühen Neuzeit vgl. Hochstrasser
                                                                                        (1993), S. 46f.

                                                                                                                           Franz Steiner Verlag
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