S e i April/Mai/Juni 2020 - VKZ 21196 - Kreuzbund DV Mainz
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Nr. 2/2020 April/Mai/Juni 2020 ISSN 1611-7565 VKZ 21196 nsch ! ut, Me Sei g KREUZBUND Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft für Suchtkranke und Angehörige
IMPULS Liebe Leserinnen und Leser! „Sei gut, Mensch!” Würden Sie von sich sagen, dass Sie kreise, die Flüchtlinge unterstützen. All ein „Gutmensch“ sind? Vermutlich diese Menschen sind bereit, Anderen Gu- nicht. Mindestens würden die meisten tes zu tun, sich zu engagieren und dort zu aber sagen, dass sie versuchen, gute helfen, wo Hilfe benötigt wird. Sie wollen Menschen zu sein. Was aber stört dann etwas bewegen und sind auch bereit auf am Wort „Gutmensch“? 2015 wurde es die Straße zu gehen, um gegen Unrecht immerhin zum Unwort des Jahres ge- zu protestieren oder beispielsweise für kürt. In der Begründung der Jury hieß eine konsequente Klimapolitik zu kämp- es, dass mit diesem Wort Toleranz und fen. Sie sind gute Menschen, weil sie nicht Hilfsbereitschaft als naives, dummes bei sich stehen bleiben, sondern ihr Han- Dr. Peter Neher oder weltfremdes Helfersyndrom dif- deln am Wohl anderer ausrichten. famiert werden. Was aber ist schlecht und weltfremd daran, tolerant und Dies gilt auch für die vielen, die aus ih- haben. Es geht ihm um den Menschen, hilfsbereit zu sein? rer inneren Haltung und Überzeugung nicht um dessen Leistung. heraus einen Beruf gewählt haben, sei es Unsere Gesellschaft wäre eine andere in der Kinder-, Jugend- oder Altenhilfe, Vor diesem Hintergrund will die Kam- ohne die sorgenden Nachbarn, die sich im Gesundheitswesen, in der Arbeit mit pagne dazu ermutigen, das zu leben, was um ältere Menschen nebenan kümmern; und für behinderte, suchtkranke oder ob- wir von Gott her sind: gut! „Sei gut, ohne die ehrenamtlichen Bürgermeister, dachlose Menschen. Mensch!“ lädt also dazu ein, genau das die ihr Dorf mitgestalten wollen; ohne die aktiv zu leben, was in uns Gutes angelegt Männer und Frauen, die sich in Selbsthil- Was also ist nun gut? „Jesus antworte- ist, d.h. Menschen beizustehen, die Un- fegruppen engagieren; ohne die Helfer- te: Warum nennst du mich gut? Niemand terstützung brauchen, ganz konkret und ist gut außer der eine Gott.“ auch politisch. Und sich entschieden ge- (Mk 10,18) Danach ist es gen Hass und Ausgrenzung zu wehren. ein göttliches Merkmal, gut Damit setzt die Kampagne ein Zeichen zu sein. Nicht nur mit dieser dafür, dass wir es nicht hinnehmen, dass Aussage stellt Jesus unsere „gutes Handeln“ herabgesetzt und diffa- Maßstäbe geradezu auf den miert wird. Kopf. Dies wird auch im Gleichnis von den Arbeitern Die Kampagne will aber auch deutlich im Weinberg (Vgl. Mt 20,1- machen, dass wir als Gesellschaft das En- 16) deutlich: Ein Gutsbesit- gagement und die „göttliche“ Perspekti- zer wirbt im Laufe des Tages ve brauchen, die darauf drängen, dass unterschiedliche Arbeiter der Mensch im Mittelpunkt steht. Zum an, damit diese in seinem Glück gibt es viele gute Menschen, die Weinberg arbeiten. Unab- genau das verkörpern und leben. Gerade hängig davon wie lange sie vielfältige Gesellschaften wie unsere sind gearbeitet haben, erhalten darauf angewiesen, dass Menschen be- am Abend alle den gleichen reit sind, Verantwortung zu übernehmen Lohn. Was in unserem Emp- und tatkräftige Antworten auf die Frage finden ungerecht wirken geben, wie wir zusammenleben wollen – mag, macht deutlich, dass sei es in ihrer Freizeit oder in ihrem Beruf. Gott zu allen Menschen gut Nicht zuletzt deshalb dürfen wir es uns sein will – unabhängig da- nicht nehmen lassen, gute Menschen zu von, ob einer nun das Glück sein – und das Gutsein schon gar nicht hatte, bei den ersten zu sein schlecht reden zu lassen. oder das Pech, erst am Ende des Tages die Chance auf Dr. Peter Neher, Präsident des Deutschen eine Arbeit bekommen zu Caritasverbandes
Zu dieser Z U D I E S E R A U S G A B E / I N H A LT Ausgabe Liebe Leserin, lieber Leser, unsere demokratische Gesellschaft Aus dem Inhalt Seite braucht das Engagement ihrer Bür- gerinnen und Bürger, die sich in guter Absicht für Andere einsetzen, IMPULS U2 Probleme wahrnehmen, anpacken und um menschenwürdige politi- sche Lösungen ringen. Viele Hun- derttausende engagieren sich ehren- ZU DIESER AUSGABE 1 amtlich in der Altenhilfe, begleiten Geflüchtete bei Behördengängen oder investieren ihre Zeit in Bürgerinitiativen oder in der Selbsthilfe. AUS DEM BUNDESVERBAND 2-5 Dass diese Hilfe auf Unverständnis und Ablehnung stoßen kann, haben die Debatten der vergangenen Jahre gezeigt. Unsere Botschaft verständlich und Menschen wurden als „Gutmenschen“ bezeichnet, um unterhaltsam verpacken ihre Überzeugungen und ihr Handeln als naiv und welt- fremd zu diffamieren. 2015 wurde „Gutmensch“ sogar Zur Veränderung motivieren zum Unwort des Jahres. Kandidaturen für den Bundesvorstand Einen deutlichen Akzent dagegen setzt der Deutsche Cari- tasverband (DCV) mit seiner diesjährigen Kampagne „Sei Der Kreuzbund-Chat ist online gut, Mensch!“. Wer Anderen Gutes tut und sein Handeln auf das Gemeinwohl ausrichtet, darf nicht verunglimpft werden. Helfen und solidarisch sein darf nicht zum Vorwurf werden, fordert der DCV. „Deshalb müssen wir Menschen, IM BLICKPUNKT: die bereit sind Gutes zu tun, ermutigen und ihnen verstärkt unsere Anerkennung aussprechen,“ so Dr. Peter Neher, „SEI GUT, MENSCH!“ 6-15 Präsident des DCV. Für den Zusammenhalt in der Gesell- schaft braucht es dringend „Gutmenschen“, die Verant- Ehrenamt muss auch Spaß machen wortung für die Nächsten und die Gemeinschaft überneh- men. Über die Hintergründe und Forderungen der Caritas- Viele Facetten des Ehrenamtes Kampagne haben wir mit Teresa Wieland gesprochen, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des DCV in Unverzichtbares ehrenamtliches Engagement Berlin. (S. 6-7) Das Netz, das die Gesellschaft zusammenhält Die meisten Menschen haben eine natürliche Neigung zu helfen, sagt Dr. Stefan Klein, Physiker, Philosoph und Wis- Ehrenamt schafft zwischenmenschliche senschaftsautor. Anderen zu helfen aktiviert das Beloh- Verbindungen nungssystem im Gehirn. In seinem Buch „Der Sinn des Gebens“ schreibt er, dass den Altruisten die Zukunft ge- Warum engagiere ich mich im Kreuzbund? hört. (S. 10-11) Über die Besonderheiten des ehrenamt lichen Engagements in der Sucht-Selbsthilfe spricht Jürgen Wie Nächstenliebe Gesellschaften gestalten Naundorff, Mitglied der erweiterten Geschäftsführung des kann Blauen Kreuzes in Deutschland (S.12-13) Und selbstver- ständlich haben wir auch zwei Funktionstragende im Kreuzbund, Marianne Leitsch und Michael Hülsen, gefragt, warum sie sich für unseren Verband engagieren. (S.14-15) HOBBY + FREIZEIT 16-17 Auf der nächsten Bundesdelegiertenversammlung wird ein neuer Bundesvorstand gewählt, wir stellen Ihnen die Kan- didatin und die Kandidaten vor. (S.4) Auch die Leitungen PERSÖNLICHE GESCHICHTEN 18 der Arbeitsbereiche und die Mitglieder der Finanzkommis- sion werden gewählt. AUS DEN DIÖZESANVERBÄNDEN 19-24 Über die Aktivitäten der Kreuzbund-Untergliederungen le- sen Sie in der Rubrik „Aus den Diözesanverbänden“. Und Neuigkeiten rund um das Thema „Sucht“ gibt es unter „Passiert – Notiert“. PASSIERT – NOTIERT 25-32 Viele gute Lesemomente, neue Erkenntnisse und ein frohes Osterfest wünscht Ihnen TERMINVORSCHAU / IMPRESSUM U3 Ihre Gunhild Ahmann
AUS DEM BUNDESVERBAND Unsere Botschaft verständlich und unterhaltsam verpacken W ie die Kreuzbund-Gruppen Kontak- te zu Rundfunksendern herstellen können und welche Anforderungen sich daraus für die Öffentlichkeitsarbeit erge- ben, haben die 20 Teilnehmenden des Bundesseminars „Wir sind auf Sendung – Der Kreuzbund in Funk und Fernsehen“ vom 14. bis 16. Februar 2020 in Köln dis- kutiert. Die Leitung des Seminars hatten Peter Kirianczyk (siehe Foto unten rechts), freiberuflicher Videojournalist aus Hal- tern, und Gunhild Ahmann, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des Kreuzbund- Bundesverbandes und nebenberufliche Rundfunkredakteurin. Zuerst berichteten die Teilnehmenden von ihren bisherigen Erfahrungen mit Ra- Das Sportschau-Studio war Teil der Besichtigung des WDR-Funkhauses in Köln dio und Fernsehen, die sich teilweise auf die Nutzung beschränkten. Am Samstag- morgen stellte Gunhild Ahmann dann in det. Es gilt das Gebot der Staatsferne 2. Staatlich und aus Steuergeldern finan- einem Grundlagenvortrag das Rundfunk- und der politischen und wirtschaftli- ziert werden die Deutsche Welle system in Deutschland, seine Entstehung chen Unabhängigkeit. Der Grundver- (deutschsprachiger Sender für das und Entwicklung vor. Es gibt drei Organi- sorgungsauftrag umfasst die Säulen Ausland) und der Deutschlandfunk. sationsformen des Rundfunks: Information, Bildung, Kultur und Un- terhaltung. Der öffentlich-rechtliche 3. Privatrechtlichen Rundfunk gibt es seit 1. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk Rundfunk finanziert sich über Rund- 1984 mit dem Sendestart von RTL und wurde nach dem 2. Weltkrieg von den funkbeiträge. Sat1. Sie finanzieren sich ausschließ- alliierten Besatzungsmächten gegrün- lich über Werbung. Im nächsten Schritt haben wir die we- sentlichen Unterschiede zwischen den Printmedien und Hörfunk bzw. Fernse- hen erarbeitet. So begegnen Fernsehzu- schauer Menschen mit Bild und Stimme, einschließlich Mimik und Gestik. Im Ge- gensatz zum Lesen können sie das Tempo der Informationsaufnahme nicht selbst bestimmen und müssen der Geschwin- digkeit folgen, mit der Text und Bild ver- mittelt werden. Auch haben Fernsehzu- schauer keinen Überblick über den ge- samten Beitrag, sind also abhängig von der Sendezeit. Was bedeutet das jetzt für unsere Öffentlichkeitsarbeit im Rundfunk? Wir brauchen einen „Aufhänger“, einen Anknüpfungspunkt, der den Anlass für Interwiew-Training mit Stehtisch, Mikrofon und Kamera den gewünschten Beitrag liefert, z.B. die 2 WEGGEFÄHRTE 2/2020
AUS DEM BUNDESVERBAND „Aktionswoche Alkohol“, der neue Dro- August 2020 an der Rheinkniebrücke in Seminarleitung und die Teilnehmenden genbericht der Bundesregierung, das so- Düsseldorf von 11 bis 22 Uhr das erste mitgebracht hatten. Am Sonntagmorgen genannte Komasaufen u.Ä. Grundsätzlich alkoholfreie Open-Air-Festival in Deutsch- schlossen wir das Seminar mit einem klei- gilt: Wenn wir uns an einen Sender wen- land. nen Interviewtraining ab. Auf alle mögli- den, sollte das immer im Zusammenhang chen Fragen rund um die Themen mit einem konkreten Thema stehen. Da- Am Samstagnachmittag stand eine ca. „Sucht“ und „Sucht-Selbsthilfe“ galt es, bei sind möglichst aktuelle Zahlen mitzu- zweistündige Führung durch das WDR- verständliche und prägnante Antworten liefern, die man im „Jahrbuch Sucht“ Funkhaus in Köln auf dem Programm. zu finden. Und das vor der Kamera von oder auf der Internetseite der Deutschen Dabei erfuhren wir u.a., dass der WDR als Peter Kirianczyk… Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) größte Landesrundfunkanstalt über 4000 findet. Mitarbeitende hat und ca. 25 Prozent des Es war übrigens sehr angenehm, dass Programms für „Das Erste“ produziert. niemand das „obligatorische Eisessen“ Anschlleßend haben die Teilnehmen- Neben den Studios für verschiedene Sen- am Samstagabend vermisst hat….Der den in Kleingruppen eine möglichst öf- dungen erhielten wir auch interessante Spaziergang zum Kölner Dom und über fentlichkeitswirksame Veranstaltung ent- Einblicke in das Hörspielstudio. die Hohenzollernbrücke auf die andere wickelt. Norbert Werner und Klaus Kuh- Rheinseite war viel schöner! len aus Düsseldorf konnten dabei eine Am Freitag- und Samstagabend haben Idee präsentieren, die sie bereits umset- wir uns mehrere Fernseh- und Radiobei- Gunhild Ahmann, zen: Sie organisieren am Samstag, 15. träge angesehen und angehört, die die Referentin für Öffentlichkeitsarbeit Zur Veränderung motivieren S o lautete das Thema der Multiplikato- ren-Tagung „Junger Kreuzbund“ vom 14. bis 16. Februar 2020 in Hamburg. 16 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren hatten sich zur jährlichen Tagung im St. Ansgar-Haus zusammengefunden. Die Teilnehmenden haben sich zu mo- tivierenden Gesprächstechniken und Hal- tungen informiert und gemeinsam deren Relevanz für den Arbeitsbereich der jun- gen Selbsthilfe überprüft. In Übungen zu dritt oder zu viert konnten Techniken des verstehenden Zu- hörens ausprobiert werden; Abwägungs- prozesse (Pro- und Contra-Argumente) sollten den „Hilfesuchenden“ in einer möglichst zieloffenen und akzeptieren- den Atmosphäre unterstützen; Ermuti- gung und Zuversicht sollte das Selbstver- trauen und die Veränderungsmotivation des vielleicht noch zweifelnden oder zö- gerlichen „Hilfesuchenden“ stärken. gige oft überfordert fühlen, sich für den tierten Haltung. Manche – besonders Rest ihres Lebens einer umfassenden junge – Gruppen funktionieren sehr gut Menschen ohne gefestigte Abstinenz- Suchtmittelabstinenz zu verschreiben. suchtbegleitend, wenn auch oft zu dem motivation mit einer akzeptierenden Preis einer erhöhten Fluktuation der Mit- zieloffenen Haltung zu begegnen, ist für Eine Gruppe braucht hinsichtlich ihrer glieder. Wie gut das viele Wege nach Rom Gruppen eine nicht immer zu stemmen- Ziele und Haltungen eine weitgehend führen. de Herausforderung. Viele junge Grup- gemeinsame Übereinkunft, um zu funkti- pen funktionieren jedoch bereits nach onieren. Die meisten Gruppen arbeiten Marianne Holthaus, Suchtreferentin des diesem Prinzip, zumal sich junge Abhän- erfolgreich mit einer klar abstinenzorien- Kreuzbund-Bundesverbandes WEGGEFÄHRTE 2/2020 3
AUS DEM BUNDESVERBAND Kandidaturen für den Bundesvorstand Auf der nächsten Bundesdelegiertenversammlung wird der neue Bundesvorstand des Kreuzbundes gewählt. Er besteht aus fünf Personen: Ein(e) Bundesvorsitzende(r), drei stellvertretende Bundesvorsitzende und dem Geistlichen Beirat, der von der Bischofskonferenz ernannt und deshalb nicht gewählt wird. Er ist gleichzeitig Leiter des Arbeitsbereichs „Seelsorge“. Hier werden die Personen vorgestellt, die bis jetzt für den Bundesvorstand kandidieren. Weitere Kandidaten können sich noch bis zur Wahl melden. Außerdem werden auf der Bundesdelegiertenversammlung die Arbeitsbereichsleitungen und die Finanzkommission gewählt. Die neuen Arbeitsbereichsleitungen werden in der nächsten Ausgabe des WEGGEFÄHRTE ihre Pläne und Ziele für die kom- menden drei Jahre erläutern. Andrea Stollfuß Wohnort: Bonn Diözesanverband: Köln e.V. Jahrgang: 1957 im Kreuzbund seit: 2000 Beruf/Tätigkeit: Krankenschwester- Angestrebte Funktion: Intensiv und Anästhesie a. D. Bundesvorsitzende Rüdiger Blomeyer Wohnort: Osnabrück Diözesanverband: Osnabrück e.V. Jahrgang: 1965 im Kreuzbund seit: 2004 Beruf/Tätigkeit: Angestrebte Funktion: Verwaltungsangestellter im Bischöflichen Stellvertretender Bundesvorsitzender Generalvikariat Osnabrück Gerhard Iser Wohnort: Heppenheim / Bergstraße Diözesanverband: Mainz Jahrgang: 1962 im Kreuzbund seit: 1999 Beruf/Tätigkeit: Angestellter bei einem Angestrebte Funktion: Maschinenbauverband, dort zuständig für Stellvertretender Bundesvorsitzender Statistik und das Erstellen von grafischen Aufbereitungen der Zahlen Franz E. Kellermann Wohnort: München Diözesanverband: München u. Freising Jahrgang: 1953 im Kreuzbund seit: 2003 Beruf/Tätigkeit: Versicherungskaufmann Angestrebte Funktion: Stellvertretender Bundesvorsitzender 4 WEGGEFÄHRTE 2/2020
AUS DEM BUNDESVERBAND Zur jährlichen Sitzung trafen sich am 29. Februar 2020 die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Diozesanverbände in der Bundesgeschäftsstelle in Hamm. In einem regen Austausch über viele organisatorische und inhaltliche Themen wurden Arbeitsabläufe miteinander abgestimmt und Vorhaben vorgestellt. Der Kreuzbund-Chat ist online A m 11. Februar 2020 hat der Kreuz- bund-Chat seine Testphase beendet und den öffentlichen Betrieb gestartet. Dazu kommen teilweise noch beste- hende Probleme bei der Registrierung und beim technischen Ablauf des Chats – stützen und Hilfen bieten können, dass sie ihren Weg finden! Wie zu erwarten, war die Beteiligung der aber das sind Dinge, die sich beheben In den nächsten Wochen werden wir Kreuzbund-Mitglieder sehr rege, alle wa- lassen. daran arbeiten, den Chat auch außerhalb ren neugierig. Die gute Nachricht ist: Es des Kreuzbundes bekannter zu machen. läuft gut! Allerdings hat sich nach dem Trotzdem ist die Gesamtbilanz sehr Damit erreichen wir auch jüngere Leute, ersten Ansturm das Interesse etwas ge- positiv. Es gab immer gute und anregen- die sich orientieren wollen und Hilfe su- legt. Bis auf einige treue Stammteilneh- de Gespräche, auch wenn nur wenige chen. Und die können wir leisten! mende haben wohl viele Gruppenmit- Teilnehmende, sprich „der harte Kern“ glieder wenig Interesse, sich zusätzlich zu anwesend waren, die Teilnahme am Alle Weggefährten, die sich beteiligen ihrer Gruppe vor Ort noch online auszu- Chat hat sich immer gelohnt, genau wie möchten, sind herzlich willkommen, und tauschen. die Teilnahme am Gruppenabend vor zwar montags und dienstags von 19 bis 20 Ort. Uhr und donnerstags von 11 bis 12 Uhr. Aus den Rückmeldungen der Grup- pen, die bei mir angekommen sind, habe Es gab auch tatsächlich schon Teilneh- Ich bin überzeugt, dass dieses Projekt ich den Eindruck gewonnen, die Haltung mende „von außen“, einige von ihnen ein Erfolg wird, die Erfahrungen der ers- vieler Weggefährten beschränkt sich auf sind jetzt auch regelmäßig dabei, was ich ten Wochen stimmen mich optimistisch! passive Zustimmung: „Ist ja ganz gut, äußerst erfreulich finde. Damit steht auf aber nichts für mich, brauche ich nicht, jeden Fall fest, dass wir auch online die Marie Bischoff, interessiert mich nicht.“ Betroffenen und Angehörigen gut unter- Steuerungsgruppe Kreuzbund-Chat WEGGEFÄHRTE 2/2020 5
Nr. 2/2020 April/Mai/Juni 2020 ISSN 1611-7565 VKZ 21196 IM BLICKPUNKT Mensch! t, Sei gu Ehrenamt muss auch Spaß machen F ür den Deutschen Caritasverband (DCV) ist ehrenamtlicher Einsatz enorm wichtig. Die Zahlen sind beein- druckend: 2016 hatte der Deutsche Caritasverband 340.000 ehrenamtliche Mitarbeitende und rund 659.000 hauptamtliche Mitarbeitende. Das ent- spricht 14 Ehrenamtlichen pro Einrich- tung. Sie leisten rund 24 Millionen KREUZBUND Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft für Suchtkranke und Angehörige Stunden ehrenamtliche Arbeit. Hinzu kommen noch rund 10.000 Menschen in den Bundesfreiwilligendiensten der Caritas. Dieses Engagement sollte ent- wortung zu übernehmen und sich für ein sprechend gewürdigt werden, Men- Theresa Wieland gutes Miteinander einzusetzen, sei es im schen zum Ehrenamt ermutigt wer- Beruf oder im Ehrenamt. Wir leben in ei- IM den. Gunhild Ahmann hat sich mit 2015 war der Begriff „Gutmensch“ ner offenen und vielfältigen Gesellschaft, Teresa Wieland, Referentin für das Unwort des Jahres, er wurde aber die jeder mitgestalten kann – und das soll- Presse- und Öffentlichkeitsar- schon Ende der 90er-Jahre herabwürdi- ten möglichst viele Menschen auch tun, BL beit beim DCV in Berlin, über gend gebraucht. Die negative Verwen- denn wir bewirken nur etwas, wenn wir ICKPUN die Caritas-Kampagne 2020 dung des Begriffs gibt es also schon län- zusammen aktiv werden und damit auch unterhalten. ger. Die Flüchtlingssituation im Jahr 2015 die Politik auffordern, aktiv zu werden. war dann jedoch der Auslöser, Toleranz WEGGEFÄHRTE: Wie ist es zu und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv Die Zahl der Menschen, die sich ehrenamt- KT der Caritas-Kampagne „Sei gut, und dumm darzustellen und eine helfen- lich engagieren steigt. Fast 44 Prozent der Mensch!“ gekommen? Was ist der de Haltung schlechtzureden. Zu Beginn deutschen Wohnbevölkerung im Alter ab Hintergrund, und was ist die Absicht kam diese Darstellung vielleicht aus dem 14 Jahren engagieren sich freiwillig (Frei- des DCV? rechten politischen Spektrum. Allerdings willigensurvey 2014 des Bundesfamilien- ist diese bestimmte Begriffsdeutung ir- ministeriums). Im Jahr 1999 waren es nur Teresa Wieland: In einer demokrati- gendwann in den allgemeinen Sprachge- 34 Prozent. Wie erklären Sie sich diesen schen Gesellschaft stärkt das Engage- brauch übergegangen – und das kann Zuwachs? ment von Bürgerinnen und Bürgern den und will die Caritas nicht hinnehmen und gesellschaftlichen Zusammenhalt und stehenlassen. Der Freiwilligensurvey wird tatsächlich nur ist deswegen von großer Bedeutung. Es alle fünf Jahre durchgeführt, die Zahlen ist eine ureigene Aufgabe der Caritas, Wie können wir dieser negativen Bewer- sind allerdings kritisch zu sehen, denn die sich für eine solidarische und demokra- tung begegnen und Menschen, die Gutes Fragestellungen und die Erhebungsme- tische Gesellschaft einzusetzen, in der tun, ermutigen? Was setzt der Caritasver- thoden haben sich zwischenzeitlich geän- freiwilliges Engagement auch wertge- band dem entgegen? dert – die Definition des freiwilligen Enga- schätzt wird. Anderen Menschen zu hel- gements wurde weiter gefasst. Ein weite- fen darf nicht zum Vorwurf werden. Wir Wir möchten grundsätzlich alle Menschen rer Punkt: Diese Zahlen berücksichtigen wollen mit der Kampagne allen, die sich einladen, aktiv zu werden und etwas Gu- noch gar nicht das gesamte Engagement engagieren, den Rücken stärken. Wir tes zu tun – und dafür braucht es gar nicht für Geflüchtete und für den Klimaschutz, fordern alle dazu auf, im Sinne einer so viel, denn es gibt viele unterschiedliche das in den vergangenen Jahren entstan- christlichen Perspektive den Nächsten Formen des Engagements, z.B. für Kinder, den ist. in den Blick zu nehmen. ältere Menschen oder auf der politischen Ebene. Allen, die sich freiwillig engagie- Auf jeden Fall sind grundsätzlich viele Seit wann wird der Begriff „Gutmensch“ ren, möchten wir Rückhalt geben und ih- Menschen bereit sich zu engagieren, das herabwürdigend gebraucht? Wie ist es Ih- nen das Gefühl vermitteln, dass sie das hat mehrere Gründe: Die Generation der rer Meinung nach dazu gekommen? Von Richtige tun. Sie sollen spüren und erle- Babyboomer geht inzwischen in Rente, welchen Gruppen und Organisationen ben, dass sie richtig handeln. In unserer und das sind gesundheitlich fitte und geht das aus, und was ist ihr Ziel? Gesellschaft ist jeder aufgefordert, Verant- auch gebildete Menschen, die häufig kei- 6 WEGGEFÄHRTE 2/2020
S E I G U T, M E N S C H ! ne finanziellen Sorgen haben. Hier gibt es gen damit für eine eigene Dynamik. Sie zu verändern und es einfacher und attrak- ein großes Potenzial für bürgerschaftliches wollen etwas bewegen. Wichtig ist dabei, tiver zu machen, sich dafür einzusetzen. Engagement. dass sie sich auch ernst genommen füh- Jeder soll etwas finden, für das er sich ein- len, ansonsten empfinden sie ihre ehren- setzen kann. Von daher fordern wir Barrie- Wir können feststellen, dass das bür- amtliche Tätigkeit nicht als erfüllend. refreiheit, und zwar nicht nur im konkre- gerschaftliche Engagement insgesamt ten Sinn, sondern auch sprachlich und bunter und vielfältiger geworden ist. Die Den höchsten Anteil freiwillig Engagierter gedanklich. Denn es soll z.B. auch Mig- Menschen passen es an ihre jeweilige Le- finden wir in den Bereichen Sport und Be- ranten möglich sein, sich zu engagieren – bensrealität bzw. ihre Lebensentwürfe an. wegung, gefolgt von Schule und Kinder- trotz sprachlicher Hürden. Ehrenamtliche Es gibt immer mehr temporäre Formen garten sowie Kultur und Musik. Warum ist wirken häufig wie Multiplikatoren, indem des Engagements, die zu den Interessen es so schwierig, Menschen zum Engage- sie auch andere dazu bewegen und ihnen der Menschen, zu den Themen, die sie ment für die Sucht-Selbsthilfe zu bewegen? dabei helfen aktiv zu werden. bewegen, und zum jeweiligen Zeitpunkt Und wie könnte der Kreuzbund dazu moti- in ihre Lebenswelt passen. Dass sich je- vieren? Das Ehrenamt trägt auch dazu bei, an- mand jahrzehntelang für einen Verein eh- dere Menschen zu verstehen – ihre Denk- renamtlich einsetzt, wird dagegen immer Bei der Suchtkrankheit spielt sicherlich die und Verhaltensweisen, d.h. es erhöht die seltener. Ursache dafür ist auch die zuneh- Scham eine Rolle, hier ist noch viel Über- Möglichkeiten, aus der eigenen „Filter mende berufliche Mobilität der Men- zeugungsarbeit zu leisten, um die Sucht blase“ herauszukommen. Es erweitert den schen. zu entstigmatisieren. Wichtig ist es sicher, Horizont, auch mal die eigene „Komfort- dass sich suchtkranke Menschen darüber zone“ zu verlassen und andere Menschen Wie wichtig ist ehrenamtlicher Einsatz für klarwerden, dass ihre Sucht sie zu dem und ihre Lebenswirklichkeiten kennenzu- die Gesellschaft? Warum brauchen wir frei- Menschen gemacht hat, der sie jetzt sind. lernen. williges Engagement? Aus dem eigenen Erleben heraus und auf- grund der eigenen Erfahrungen ist das Welche Rahmenbedingungen sind KT ICKPUN Das Ehrenamt ist ganz wichtig für den Zu- Verständnis für andere suchtkranke Men- wichtig, um das Ehrenamt zu sammenhalt in der Gesellschaft. Ehren- schen ein anderes als bei professionellen fördern? Wie kann die Politik amtliche werden mit ihren Fähigkeiten, Helfern bzw. Suchtberatern. Es gibt aber das Ehrenamt schützen und Kenntnissen und Erfahrungen anders aktiv sicherlich auch Phasen, wo sie sich einge- unterstützen? als hauptamtliche Mitarbeiter. Sie bringen stehen sollten, dass sie momentan ande- L andere Interessen und Talente ein und sor- ren nicht helfen können, um sich selbst zu Die Caritas hat einige sozialpoli- B schützen. Auch bei dem tische Forderungen, manchmal IM sehr ernsten Thema Sucht genügen aber auch schon kleine sollte das Ehrenamt nicht Stellschrauben. Z.B. sollten engagier- belasten, sondern Freude te Menschen kostenlos den ÖPNV nutzen bereiten – und das transpor- können. Bei Hartz IV-Empfängern sollte tieren die Ehrenamtlichen die Aufwandsentschädigung nicht auf ihre dann auch nach außen. Leistungen angerechnet werden, denn das Ehrenamt ist ja auch eine Form von Personen mit hoher Bildung Teilhabe an der Gesellschaft. Insgesamt engagieren sich zu einem darf sich das Ehrenamt nicht negativ aus- höheren Anteil, Menschen wirken, sondern es soll positiv erlebt wer- auf dem Land mehr als in den. Die Politik sollte hier entsprechende städtischen Gebieten und Signale setzen. Außerdem erwerben Eh- Menschen aus Westdeutsch- renamtliche viele Kompetenzen, das sollte land mehr als in Ostdeutsch- in der Ausbildung und im Studium auch land, Menschen ohne Migra- anerkannt werden. tionshintergrund mehr als Menschen mit Migrations- Weitere Informationen: hintergrund. Müssen wir das Deutscher Caritasverband e.V. so hinnehmen? Oder sollte Kommunikation und Medien man diese Tendenz aufhal- Teresa Wieland, Referentin für Presse- und ten – für den Zusammenhalt Öffentlichkeitsarbeit in der Gesellschaft? Wie Reinhardtstr. 13, 10117 Berlin könnte das gehen? Tel. 030 / 28 444-784 Fax 030 / 28 444-755 Die Caritas hat immer den E-Mail: teresa.wieland@caritas.de Anspruch, die Gesellschaft www.caritas.de WEGGEFÄHRTE 2/2020 7
IM BLICKPUNKT Viele Facetten des Ehrenamtes J eder will eigentlich ein guter Mensch sein. Aber hinter der Aufforderung „Sei gut, Mensch!” steckt eine politi- besserung der Löhne und der Arbeitsbe- dingungen in der Pflege zum Beispiel. sche Botschaft. Sie ist eine Reaktion Andere sind kleine Änderungen, die auf gesellschaftliche Entwicklungen, einen bedeutenden Unterschied machen die uns nicht gleichgültig sind. Wenn würden. Hartz IV-Empfängerinnen und beispielsweise ehrenamtliche Bürger- -Empfängern sollte zum Beispiel die Auf- meisterinnen und Bürgermeister zu- wandsentschädigung, die sie möglicher- rücktreten, weil sie immer häufiger mit weise für ein freiwilliges Engagement er- Stalking und Beschimpfungen bedroht halten, im SGB II und im SGB XII nicht als werden und die Zahl rechtsextremer Erwerbseinnahme angerechnet werden. Gewalttaten zunimmt, sehe ich dies mit Sorge. Wichtig sind hierbei auch die Freiwilli- gendienste. Alle, die einen freiwilligen Wir wissen, dass freiwilliges und beruf- Dr. Peter Neher Dienst leisten wollen, sollten das auch tun liches Engagement für den Zusammen- können. Dazu aber müssen die Mittel be- halt einer Gesellschaft eine wesentliche reitgestellt werden. Warum ihnen nicht Grundlage ist und diesen gleichzeitig nung einer Demo; für einen Ausflug mit auch kostenlose ÖPNV-Fahrten ermögli- IM befördert. Gesellschaftlicher Zu- einer geflüchteten Familie. Man kann sich chen? Eine relativ niederschwellige Forde- sammenhalt ist auf das solidari- auch engagieren und Anderen helfen, rung, die in den sozialen Netzwerken un- sche Handeln eines Jeden ange- wenn man selbst Hilfe erfahren hat, wenn ter dem Hashtag „Freie Fahrt für Freiwilli- BL wiesen: Umsorgende Nach- man nur wenig deutsch spricht oder ge“ Karriere macht. Für die Engagierten ICKPUN barn, junge Frauen und Män- wenn man eine Behinderung hat. wäre das ein willkommenes Zeichen der ner im Freiwilligendienst, Anerkennung. Oder eine Anrechnung auf Menschen, die Berufe wie Pfle- Die Gesellschaft und insbesondere Studienvoraussetzungen und ein einheit- ger, Sozialarbeiter oder Men- auch wir Wohlfahrtsverbände sind auf liches Taschengeld von 400 € monatlich? KT schenrechtsanwalt wählen und diese verschiedenen Formen von Engage- Die Beschlüsse dazu wären jedenfalls hilf- mit Begeisterung ausüben, Trainer ment angewiesen. Laut einer Erhebung reicher als die Debatte um einen Pflicht- im Sportverein, Jugendliche, die frei- zum Thema „Ehrenamt bei der Caritas“, dienst. tags auf der Straße ihr Recht auf einen die im Jahr 2018 durchgeführt wurde, zukunftsfähigen Planeten einfordern – ging in den Jahren zuvor beinahe 50 Pro- In puncto Ermutigung und Anerken- alle diese Menschen handeln solidarisch, zent der von uns geleisteten Arbeit im nung müssen auch wir besser werden. sie zeigen: Die Anderen sind mir nicht Bereich Migration auf Ehrenamtliche zu- Indem wir den Zugang zum Engagement egal. Und sie übernehmen Verantwor- rück. Im Bereich Hospiz war es rund ein vereinfachen, zum Beispiel über digitale tung für ein gutes Miteinander. Drittel. Etwa 340.000 Menschen enga- Angebote. Der Caritasverband der Diöze- gieren sich ehrenamtlich bei der Caritas. se Osnabrück zeigt mit seiner „Anpacker- Meine kurze Aufzählung hat keinen Ohne diese Menschen wäre unsere Arbeit App“, wie das gehen kann. Wir müssen Anspruch auf Vollständigkeit. Denn, und nicht zu bewältigen. Wege finden, um mehr junge Menschen das ist eine wichtige Botschaft unserer und mehr Menschen mit Migrationshin- Kampagne, Engagement kann viele For- Engagierte verdienen Ermutigung und tergrund für ein Engagement bei uns zu men annehmen. Die pensionierte Lehre- Anerkennung. Das gilt für Ehrenamtliche gewinnen. Und wir müssen unsere Ehren- rin, die einmal in der Woche benachtei- genauso wie für Menschen, die sich für amtlichen besser begleiten. Sie leisten un- ligten Kindern Nachhilfeunterricht gibt, Berufe entscheiden, bei denen die Ande- heimlich viel – ihr Einsatz fordert aber oder der Kollege, der sich in der kommu- ren im Mittelpunkt stehen. Hier komme auch sehr viel von ihnen ab. Wir dürfen sie nalen Flüchtlingshilfe engagiert, sind ver- ich zur ersten politischen Dimension unse- damit nicht alleine lassen. mutlich Bilder, die manchen von uns in rer Kampagne: Wir wollen, dass die Rah- den Sinn kommen, wenn wir an ein Eh- menbedingungen für freiwilliges Engage- Aber müssen wir ausgerechnet mit renamt denken. Aber freiwilliges Engage- ment und für die Menschen, die soziale dem Begriff „Gutmensch“ für diese Bot- ment geht auch, wenn man wenig Zeit Verantwortung übernehmen und entspre- schaften und Forderungen werben? Das zur Verfügung hat oder ein wenig plan- chende Tätigkeiten ausüben, verbessert geht ja gar nicht, werden die einen sa- bares Leben – zum Beispiel als Studentin werden. Dafür kann an verschiedenen gen. Schließlich wurde er 2015 zum Un- oder Student. Man kann sich nämlich Stellschrauben gedreht werden. Manche wort des Jahres gewählt. Wir meinen auch punktuell engagieren: Für die Pla- sind ein größeres Unterfangen – die Ver- aber, dass er sich gerade deshalb beson- 8 WEGGEFÄHRTE 2/2020
S E I G U T, M E N S C H ! ders gut als Motto für unsere Kampagne beleidigt und verunglimpft. Im Bistum vergangenen Jahr veröffentlichte Umfra- eignet. Denn wir wollen und dürfen die Essen hat der Caritasverband deshalb be- ge „Kommunal“ ergeben hat. Deutungshoheit darüber, was „gut“ ist reits im Jahr 2016 ein Programm aufge- und was „gute Menschen“ sind, nicht setzt, das Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter Wir wehren uns dagegen, dass helfen denen überlassen, die den Begriff lächer- und Ehrenamtliche dafür wappnet, auf und solidarisch sein, zum Vorwurf wird. lich und verächtlich machen. Es gibt in „Hate Speech” zu reagieren. Vermutlich wäre es zu ehrgeizig, wollten Deutschland – wie übrigens in Europa wir mit unserer Kampagne den Begriff und weltweit – immer lauter werdende, Es sind aber bei weitem nicht nur wir „Gutmensch“ umdrehen und zum Kom- menschenverachtende und intolerante bei der Caritas von der Verrohung be- pliment werden lassen. Es wäre aber Gruppen und Organisationen. Von ihnen stimmter Debatten und einem insgesamt schon viel gewonnen, wenn er nicht mehr ernten viele Menschen, die sich bei uns zunehmend aggressiven Klima betroffen. als Beleidigung verstanden würde. Wenn insbesondere in der Flüchtlingshilfe enga- Ein kurzer Blick in die sozialen Medien diejenigen, die ihn in den Mund nehmen, gieren, Unverständnis und Ablehnung. reicht, um sich davon ein Bild zu machen. einen Moment innehalten und sich fra- Ehrenamtliche berichten von den „locke- Leider bleiben die Angriffe und Anfein- gen, was daran verwerflich sein soll, ein ren Sprüchen“, die beim Friseur oder am dungen oft nicht virtuell, wie einige Vor- guter Mensch zu sein. Bierstand beim Schützenfest fallen. „War- fälle in jüngster Vergangenheit gezeigt um machst Du das eigentlich?“, heißt es haben. In jeder zwölften Kommune in Statement von Dr. Peter Neher, Präsident dann – „Du bist ganz schön blöd und Deutschland wurde schon mal ein Mitar- des Deutschen Caritasverbandes, zum naiv“, schwingt in der Frage mit. Ehren- beiter der Verwaltung oder ein Gemein- Auftakt der Jahreskampagne 2020 amtliche wurden und werden vielerorts derat körperlich angegriffen, wie die im KT Unverzichtbares ehrenamtliches ICKPUN Engagement L „Ohne das ehrenamtliche Engagement gen und Diensten wäre die Caritas Stunden projektbezogen und B der Menschen in unseren Einrichtun- in Deutschland nicht die Institution, knapp 100.000 Stunden in IM die wir heute kennen“, sagt einmaligem Engagement. Hinzu Caritas-Präsident Dr. Peter kommen 10.000 Freiwilligendienst- Neher zum Internationalen leistende, die sich jedes Jahr in FSJ und Tag des Ehrenamtes am 5. BFD engagieren. Dezember 2019. „Der Ein- satz der vielen Menschen ist „Die Motivation und Begeisterung unverzichtbar für unsere Ar- beispielsweise der Freiwilligendienstleis- beit und den gesellschaftli- tenden ist eine Kraftquelle für unsere Ar- chen Zusammenhalt - daher beit. Freiwillige und Ehrenamtliche soll- möchte ich mich bei allen ten daher ihr Engagement bei der Bewer- Ehrenamtlichen herzlich be- bung um eine Ausbildung oder einen danken.“ Studienplatz anerkannt bekommen. Auch kostenlose und vergünstigte ÖPNV- Die 2019 veröffentlichte und Bahntickets wären eine Wertschät- Ehrenamtserhebung der Cari- zung“, so Neher. tas macht dieses Engagement konkret: Mehrere hundert Das Engagement und die Ehrenamtli- tausend Ehrenamtliche enga- chen selbst sind vielfältig: Die Engagier- gierten sich 2016 bei der ten sind alt, jung, berufstätig, in Rente, Caritas, darunter 340.000 gehen zur Schule, studieren, leben mit Ehrenamtliche direkt in den einer Behinderung, haben einen Flucht- Einrichtungen und Diensten hintergrund oder wurden in Deutschland der Caritas. Dabei wurden geboren. rund 22 Millionen Stunden durch regelmäßiges Engage- Aus: Pressemitteilung des Deutschen ment erbracht, zwei Millionen Caritasverbandes vom 5. Dezember 2019 WEGGEFÄHRTE 2/2020 9
IM BLICKPUNKT Das Netz, das die Gesellschaft zusammenhält F ür andere zu sorgen, schützt uns nicht nur vor Einsamkeit und Depres- sion. Vielmehr macht uns Selbstlosig- ren Menschen verbunden – und das wirkt lebensverlängernd. keit glücklicher und erfolgreicher – und In Ihrem Buch „Der Sinn des Gebens“ beschert uns sogar ein längeres Leben. schreiben Sie, dass den Altruisten die Denn nicht nur Wettbewerb, sondern Zukunft gehört. Was genau meinen Sie auch Kooperation ist eine Triebkraft der damit? – Ist diese Einschätzung ange- Evolution. Menschliches Miteinander sichts der weltweiten Krisenherde nicht zu und das Wohlergehen anderer gehören schön, um wahr zu sein? zu unseren tiefsten Bedürfnissen – dar- über schreibt Stefan Klein in seinem Das ist eine längerfristige und bedeutsa- Buch „Der Sinn des Gebens. Warum me Entwicklung: Wir sind heute viel stär- Selbstlosigkeit in der Evolution siegt ker mit anderen Menschen vernetzt und und uns Egoismus nicht weiterbringt“ Dr. Stefan Klein von anderen Menschen abhängig als (erschienen bei S. Fischer 2010). zum Beispiel die Generation unserer (Ur-) IM Großeltern. Unser Umfeld wird auch Dr. Stefan Klein, geboren rieren unter bestimmten Umständen, zei- durch unsere Mobilität und die sozialen 1965 in München, ist Physiker, gen also einen bedingten Altruismus, und Medien immer größer, dadurch erweitert BL Philosoph und einer der erfolg- weitere 20 Prozent haben die Einstellung, sich auch unser Netz der Abhängigkei- ICKPUN reichsten Wissenschaftsauto- dass die anderen etwas tun sollen. ten. Das bedeutet, dass immer mehr ren deutscher Sprache. Er lebt Menschen einen Einfluss auf mein Leben in Berlin und ist Gastprofessor Wir wissen relativ wenig darüber, was haben. Das führt wiederum dazu, dass für Kulturwissenschaft an der altruistische Menschen auszeichnet. ich mich fair und großzügig verhalte. KT dortigen Universität der Künste. Grundsätzlich sind sie eher imstande, sich Denn wir haben die Erfahrung gemacht, Gunhild Ahmann hat sich mit in andere Menschen hineinzuversetzen. dass es sich lohnt, in einer vernetzten Ge- dem Wissenschaftsjournalisten über Und helfende Menschen sind angstfreier sellschaft fair und großzügig zu sein. Die- Egoismus und Altruismus unterhalten. als Egoisten, sie gehen mit vielen Dingen se Entwicklung erweist sich als relativ sta- gelassener und pragmatischer um. bil, wir stellen sie durch alle Zeiten und WEGGEFÄHRTE: Wie definieren Sie Altru- auf der ganzen Welt fest. ismus? Gibt es eine altruistische Persön- Welche Bedeutung hat altruistisches Ver- lichkeit, also Menschen, die charakterlich halten für die freiwilligen Helfer/-innen? Das bedeutet aber nicht, dass alle eher zum Helfen neigen als andere? Wie wirkt es sich aus? Wieso tut Helfen Menschen Engel sind, sie haben auch auch den Helfenden gut? hässliche Neigungen. Das zeigt sich zum Stefan Klein: Altruismus ist das Handeln Beispiel in der Ablehnung von Menschen zum Nutzen anderer auf eigene Kosten Wir fühlen uns gut, wenn wir anderen anderer Herkunft, Religion oder Hautfar- und ohne eine Gegenleistung. Dabei Menschen helfen. Ähnlich wie bei gutem be. Rechte Gruppierungen sprechen ge- kommt es nicht auf die Motivation an, Essen, Sex oder auch Suchtmitteln wird nau diese Eigenschaften bzw. die häufig sondern der Aufwand und die Ergebnisse das Belohnungszentrum im Gehirn akti- dahinterstehenden Ängste an und nut- stehen im Vordergrund. Die meisten viert. Es fühlt sich einfach gut an, und das zen das für ihre Zwecke aus. Menschen haben eine natürliche Nei- ist nicht nur ein kurzfristiger Effekt. Altru- gung zu helfen. Dennoch gibt es natür- istische Menschen sind langfristig zufrie- Die Zahl der Menschen, die sich ehren- lich Unterschiede: Einige Menschen sind dener und haben eine bessere psychische amtlich engagieren steigt. Fast 44 Pro- von Natur aus altruistischer als andere. und physische Gesundheit, das haben zent der deutschen Wohnbevölkerung im Experimente haben gezeigt, dass die internationale Studien ergeben. Im statis- Alter ab 14 Jahren engagieren sich frei- meisten Menschen ihr Verhalten abhän- tischen Mittel ist das ein relativ starker willig (Freiwilligensurvey 2014 des Bun- gig machen vom Verhalten anderer. 60 Effekt, der sich auch auf die Sterblichkeit dessozialministeriums). Im Jahr 1999 wa- Prozent der Menschen sind grundsätzlich auswirkt. Altruistische Menschen haben ren es nur 34 Prozent. Wie erklären Sie zur Kooperation bereit, denn sie profitie- eine geringere Stressbelastung, sind sich diesen Zuwachs? Was haben Men- ren ja unmittelbar davon, wenn es ihrer angstfreier, fühlen sich weniger bedroht. schen davon, sich ehrenamtlich zu enga- Gruppe besser geht. 20 Prozent koope- Sie fühlen sich gebraucht und mit ande- gieren? 10 WEGGEFÄHRTE 2/2020
S E I G U T, M E N S C H ! Dahinter stecken gesellschaftliche Verän- Und welche Bedeutung hat ehrenamtli- ehrenamtliche Helfer/-innen unterschied- derungen, wie z.B. die Bildungsexpansi- cher Einsatz für die Gesellschaft? liche Aufgaben. on und die gestiegene Thematisierung des freiwilligen Engagements in Politik Die Gesellschaft würde ohne das Ehren- Welche Rahmenbedingungen sind wich- und Öffentlichkeit. Im Jahr 2015 haben amt nicht funktionieren – und das gilt für tig, um das Ehrenamt zu fördern? Wie wir dann einen weiteren Zuwachs an eh- jede Gesellschaft. Das Ehrenamt bildet kann die Politik das Ehrenamt unterstüt- renamtlichem Einsatz in der Flüchtlings- ein Netz, das die Gesellschaft zusammen- zen, schützen und nicht etwa ausbeuten? krise beobachtet. Grundsätzlich ist die hält, denn der Staat kann nicht alle Un- Erklärung dafür ziemlich einfach: Viele terstützungsleistungen übernehmen. Ganz wichtig ist es, Anerkennung zu zei- Menschen haben Zeit, haben keine wirt- gen und ehrenamtlich tätige Menschen schaftlichen Nöte, haben auch im höhe- Es stellt sich die Frage, ob der Staat öffentlich zu würdigen. Damit schafft ren Alter noch eine gute Gesundheit teilweise das Ehrenamt als willkommene man Beispiele und sorgt dafür, dass Men- und leben länger. Damit steigen auch Gelegenheit nutzt, sich aus bestimmten schen sich gegenseitig wahrnehmen und die Möglichkeiten und die Zeitspanne Bereichen zurückzuziehen. Das lässt sich merken, wie viele sie sind. Es ist immer sich ehrenamtlich zu engagieren. Außer- nicht pauschal beantworten, man muss leichter, etwas in einer Gruppe zu tun. dem ist ehrenamtliches Engagement an- sich jeden Bereich genau ansehen. In den steckend und findet Nachahmer. meisten Fällen haben professionelle und Die Kommunen können beispielswei- se Veranstaltungen als Plattformen an TO i c bieten, wo sich Ehrenamtliche begeg- ✘ TO ic nen. In vielen Kommunen gibt es eine Ehrenamtskarte, damit haben die enga- nnon gierten Menschen z. B. freien Eintritt in Schwimmbäder oder Museen. on Aber nicht nur die Politik schafft KT ICKPUN die Rahmenbedingungen, son- dern auch Unternehmen. Sie können z.B. ehrenamtlich täti- but I like it! ge Mitarbeitende freistellen. but I like it! L Heute wird der Begriff „Gut- B Erstes alkohol- und drogenfreies mensch“ oft herabwürdigend IM Erstes alkohol- Festival und drogenfreies in Deutschland. Eintritt frei. gebraucht. Wie ist es Ihrer Mei- nung nach dazu gekommen? Wie Festival in Deutschland. Eintritt frei. können wir dieser negativen Bewertung 15. August 2020 begegnen? 15. August 11-22 Uhr 2020 Wer mit dem Begriff „Gutmensch“ ande- re Menschen herabwürdigt, zeigt die 11-22 Caritas-Platz Uhr / Hubertusstraße eigene Dummheit. Der Begriff hat eine bestimmte Funktion und wird von Grup- Caritas-Platz / Hubertusstraße Düsseldorf Line Up: pierungen gebraucht, die die Ängste der Menschen ausnutzen und davon profi Bad Assumption Line Up: Japanese Junkfood tieren. bilk 13 Joseph Boys Bad Assumption Japanese Junkfood Ich plädiere dafür, den Spieß einfach Conyo Kallen & Mainz bilk 13 Joseph Boys umzudrehen und sich dazu zu bekennen, Emerald Edge Underdog Diva Conyo Kallen & Mainz ein guter Mensch zu sein. Indem wir den James‘ Mum tba... Emerald Edge Underdog Diva Begriff umdenken, schaffen wir andere • GRAFIK-DESIGN James‘ Mum tba... Vorbilder – das ist ja auch Ziel der Caritas- Jahreskampagne. Wir brauchen ein ge- GRAFIK-DESIGN sellschaftliches Klima der Geduld und KREUZBUND Unbeirrbarkeit – denn wir wissen alle, H. •Schulte unsere Ressourcen sind eben nicht knapp. KREUZBUND Schulte Kreuzbund Kreisverband Düsseldorf e.v. Fachverband des Deutschen Caritasverbandes Grafik: H.Grafik: Hubertusstraße 3, 40219 Düsseldorf, Mail: festival@kreuzbund-duesseldorf.de Weitere Informationen: Kreuzbund Kreisverband Düsseldorf e.v. Fachverband des Deutschen Caritasverbandes Hubertusstraße 3, 40219 Düsseldorf, Mail: festival@kreuzbund-duesseldorf.de www.stefanklein.info WEGGEFÄHRTE 2/2020 11
IM BLICKPUNKT Ehrenamt schafft zwischenmenschliche Verbindungen S chon mit 15 Jahren hat Jürgen Naundorff, Mitglied der erweiter- ten Geschäftsführung des Blauen am Tanzen zu haben und sich mehr zu bewegen. Es macht ihr Spaß, und sie hat das Gefühl: Ich tue etwas Gutes, etwas, Kreuzes in Deutschland (BKD), seine das sinnvoll ist. ersten Erfahrungen mit dem Ehrenamt gemacht. Er hatte bei einer zehntägi- Heute zählt meines Erachtens in vielen gen Sommerfreizeit mitgeholfen; da- Berufen Leistungsmaximierung und Er- bei waren 20 Jungen im Alter von 9 bis folg. Ich glaube, dass mehr Menschen als 13 Jahren aus suchtbelasteten Familien früher begreifen, dass die Berufskarriere – halb Kind, halb Helfer packte er mit nicht alles ist. In ihrem sozialen Engage- an und organisierte Spiele u.Ä. Was er ment erfahren sie darüber hinaus etwas dort aus dem Leben der Jungen erfah- Sinnstiftendes, was sie heute häufig im ren hat, hat ihn nachhaltig beeinflusst Beruf nicht mehr so erleben. – und ihm den Weg in die berufliche Jürgen Naundorff Sucht- und Selbsthilfe gewiesen. Den höchsten Anteil freiwillig Engagierter IM Gunhild Ahmann hat sich mit ihm finden wir in den Bereichen Sport und Be- unterhalten. station würde nicht gemacht, das Hoff- wegung, gefolgt von Schule und Kinder- nung weckende und Kraft spendende garten sowie Kultur und Musik. Warum ist BL WEGGEFÄHRTE: Welche Bedeu- Gespräch nicht geführt, die Spirale der es so schwierig, Menschen zum Engage- ICKPUN tung hat das ehrenamtliche Vereinsamung vieler Menschen nicht ment für die Sucht-Selbsthilfe zu bewe- Engagement für die freiwilligen durchbrochen! Viel Zwischenmenschli- gen? Helfer/-innen in der Sucht- ches würde wegfallen. Berufliche Arbeit Selbsthilfe? Wieso tut Helfen im sozialen Bereich wird immer mehr Erst einmal gilt es festzuhalten, dass sich KT auch den Helfenden gut? „kostenoptimiert“. Wenn dann nicht z.B. mindestens jeder sechste Besucher einer der Ehrenamtliche mit seinem Akkordeon Sucht-Selbsthilfegruppe auch in dieser Jürgen Naundorff: Erwartungsge- ins Altenpflegeheim kommt und sich den oder darüber hinaus ehrenamtlich enga- mäß hat es eine hohe Bedeutung! Ich Pflegebedürftigen zuwendet, ihnen et- giert. Da liegen wir deutschlandweit im will es konkret machen: Langjährig absti- was vorspielt, fehlt etwas ganz wichtiges fünfstelligen Bereich, was die absoluten nent lebende Suchtkranke sagen mir im- Zwischenmenschliches, etwas Unbezahl- Zahlen der Engagierten betrifft. Zugleich mer wieder „Ich werde ,geerdet’, wenn bares! Da hilft dir jemand, nimmt sich für arbeiten viele von ihnen bereits seit Jahr- ich der Gruppe mit noch ,nassen’ oder dich Zeit, nicht selten ein Fremder bzw. zehnten mit. Da muss das Engagement in gerade aus der Sucht ausgestiegenen eine Fremde, einfach so, weil du ihm der Sucht-Selbsthilfe ja etwas haben, dass Suchtkranken zusammen bin“. Und wichtig bist. die Leute so lange motiviert bleiben! Menschen, die – wie ich – selbst nicht suchtkrank wurden, aber mithelfen, hat Die Zahl der Menschen, die sich ehren- Dennoch ist Ihre Frage berechtigt. Eh- es vor Gleichgültigkeit und Überheblich- amtlich engagieren steigt. Fast 44 Pro- renamtliches Engagement zeigt sich in keit bewahrt. Sie haben tiefen Respekt zent der deutschen Wohnbevölkerung im unseren Sucht-Selbsthilfeverbänden häu- vor Suchtkranken, die schwere Brüche in Alter ab 14 Jahren engagieren sich freiwil- fig in Gruppenleitung bzw. –moderation, ihrer Biografie durchlitten haben und sich lig (Freiwilligensurvey 2014 des Bundesfa- Vereinsvorstandstätigkeiten und Netz- doch ein neues, befreites Leben aufbau- milienministeriums). Im Jahr 1999 waren werkarbeit, z.B. im Vorstellen der Gruppe en konnten. Es ist der stete Blick über den es nur 34 Prozent. Wie erklären Sie sich in der Suchtfachklinik. All das ist für viele persönlichen Tellerrand hinaus – im bes- diesen Zuwachs? Menschen heutzutage wenig attraktiv. ten Sinne des Wortes ein Segen. Sie wollen sich kreativ, sportlich, flexibel, Ich bin kein Soziologe, deshalb sind das selbstbestimmt und zugleich im Team Wie wichtig ist ehrenamtlicher Einsatz für nur fragmentarische Gedanken von mir. engagieren. Und da haben wir einfach die Gesellschaft? Warum brauchen wir Meine Tochter tanzt leidenschaftlich in zurzeit noch nicht die passenden Ange- freiwilliges Engagement? einem Karnevalsverein und ist dort Trai- bote, bis auf wenige Ausnahmen. nerin. Sie macht das, weil sie dadurch Weil sonst vieles und viele auf der Strecke ihre Talente und Gaben entfalten kann. Personen mit hoher Bildung engagieren bleiben. Der Besuch auf der Entgiftungs- Zugleich kann sie Kindern helfen, Freude sich zu einem höheren Anteil, Menschen 12 WEGGEFÄHRTE 2/2020
S E I G U T, M E N S C H ! „Vor Gott gilt kein Ansehen Heute wird der Begriff „Gutmensch“ oft der Person.“ (Römer 2,11) Was herabwürdigend gebraucht. Wie ist es heißt: Jeder ist gleich wertge- Ihrer Meinung nach dazu gekommen? schätzt, angenommen und Von welchen Gruppen und Organisatio- wichtig! Das soll neu erfahrbar nen geht das aus, und was ist ihr Ziel? werden. In mancher Selbsthil- fegruppe spielt es aber dann Als „Gutmenschen“ werden meines Wis- doch eine große Rolle, wie lan- sens diejenigen verunglimpft, die einfäl- ge du abstinent bist und zur tig, übertrieben und nervig irgendwie Gruppe gehörst – oder ob du helfen, auch wenn es eigentlich nichts den Hut aufhast. Das ist ein bringt oder nicht nötig ist. Wie es dazu Jammer! kam und ob so eine Verunglimpfung von Gruppen gesteuert wird, weiß ich nicht. Welche Rahmenbedingungen Ich weiß nur, dass es Menschen braucht, sind wichtig, um das Ehrenamt die Gutes im Sinn haben und es tun. Auch zu fördern? Wie kann die Politik auf die Gefahr hin, dass es negativ bewer- das Ehrenamt schützen und tet wird. Ich bin froh, dass ich in der unterstützen? Sucht-Selbsthilfe viele Menschen kennen- lernen durfte, die mir Gutes getan haben. Meines Erachtens wird das Eh- Das hat mich häufig maßgeblich ermu- renamt – finanziell gesehen – tigt. schon gut gefördert. Ich habe in Polen, Rumänien, Brasilien Wie können wir dieser negativen Be- und Russland punktuell Selbst- wertung begegnen und Men- KT ICKPUN hilfe unterstützt. Da sieht es schen, die Gutes tun, ermutigen? wesentlich schlechter aus. auf dem Land mehr als in städtischen Ge- In dem wir Geschichten erzäh- bieten und Menschen aus Westdeutsch- Hier geht es für mich um noch Grund- len! Geschichten von Men- land mehr als in Ostdeutschland, Men- sätzlicheres. Es braucht auf allen Ebenen schen, die Gutes taten – und L schen ohne Migrationshintergrund mehr – Politik, Wirtschaft, Gesellschaft – ein was es bewirkt hat. Die Sucht- B als Menschen mit Migrationshintergrund. Umdenken. Weg von dem „immer mehr, Selbsthilfe ist voll davon. Ich fän- IM Müssen wir das so hinnehmen? Wäre es immer schneller, größer, effektiver“, und de es Klasse, wenn Menschen aus für den Zusammenhalt in der Gesellschaft ich darf dabei nicht zu kurz kommen. Es dem Kreuzbund, aus dem Blauen wichtig, diese Tendenz aufzuhalten? Und braucht – wie der Jenaer Soziologe Hart- Kreuz und den anderen Verbänden diese wie könnte das gehen? mut Rosa betont – eine Abwendung von Geschichten aufschreiben würden. der nun bereits Jahrhunderte andauern- Das ist eine schwierige Frage. Hinnehmen den Steigerungslogik. Eine gemeinsame Nächstes Jahr feiern Sie Ihr großes Ju- müssen wir erst mal gar nichts. Und ja, für Neuausrichtung auf das Wesentliche, un- biläum 125 Jahre Kreuzbund. Wäre das den Zusammenhalt in der Gesellschaft sere Menschengemeinschaft. Schon vor nicht ein Anlass, Geschichten zu sammeln wäre es wichtig, diese Tendenz aufzuhal- zweieinhalb Jahrtausenden hat das der von Menschen, die Gutes taten, dem ten. Ich mache mal einen selbstkritischen Prophet Jesaja in der Bibel sinngemäß an- Kreuzbund ein Gesicht gaben? Kleine Ge- Versuch. gemahnt: „Gott hasst eure maximierten schichten! Viele! Keiner wird besonders Fastenzeiten und Gottesdienste; was bei herausgestellt. Alle Geschichten zusam- Ich als beruflich Engagierter in der ihm zählt ist, ob ihr Hungernde speist, men geben ein vielfältiges Bild von dem, Sucht-Selbsthilfe habe den Ehrenamtli- Waisen aufnehmt, Gefangene freilasst was es heißt, ehrenamtlich im Kreuzbund chen häufig sehr „Verkopftes“ zugemu- und Obdachlosen eine Bleibe verschafft.“ mitzuhelfen. Was für ein Schatz! tet: Vorträge, Arbeitsblätter usw. Viel zu (Jesaja 58, 6+7) wenig habe ich Anreize geschaffen, sich Weitere Informationen: kreativ, praktisch und mit allen Sinnen Das Ehrenamt wird am besten unter- Jürgen Naundorff einzubringen. Ich habe zu viel vorgetra- stützt, wenn alle Ebenen umdenken. Wir Hauptbereichsleitung Ideelles gen und zu wenig mit ihnen gemacht. sind nicht der Nabel der Welt! Wir sollen Blaues Kreuz in Deutschland (BKD).e.V. Für mich sind caritative bzw. diakonische achthaben aufeinander und auf den von Bundeszentrale Mitmachprojekte ein Vorbild, in denen es Gott uns anvertrauten Lebensraum. So Schubertstr. 41, 42289 Wuppertal keine Rolle spielt, wie gebildet du bist wird uns gemeinsam noch mehr bewusst, Tel. 0202 / 62003-0 und welche Biographie du hast. Jeder wie bedeutend das ehrenamtliche Enga- Mail: juergen.naundorff@blaues-kreuz.de kann sich einbringen! Und es braucht gement ist. www.blaues-kreuz.de das, was in der Bibel so beschrieben wird: WEGGEFÄHRTE 2/2020 13
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