Sagen um den Traunsee - Zobodat

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Sagen um den Traunsee - Zobodat
Sagen um den Traunsee

                                                        Theo Pfarr

Einleitung
Sind Sagen, diese über Jahrhunderte
mündlich weitergegebenen Erzählungen
mit ihren typischen Figuren, den Riesen
und Zwergen, den Wassermännern und
Nixen, dem immer wieder auftretenden
und immer wieder geprellten Teufel, den
Feen, Drachen und sonstigen Fabelwesen
für einen Menschen des 21. Jhdts. noch be-
deutungsvoll? Haben Sagen uns heutigen
Menschen noch etwas zu sagen? Oder sind
sie bloß Dokumente des „Magischen Zeit-
alters“ vor der Aufklärung, als der Mensch
noch an wirksame übernatürliche Zusam-                                                           Abb. 1: Die Rezeption
menhänge in der Natur glaubte? Ober-                                                             von altertümlichen
flächlich betrachtet, scheint es vielleicht so.                                                  Sagenmotiven in Kon-
Vor dem Leibhaftigen haben tatsächlich                                                           trast zur Moderne und
nur mehr sehr wenige Menschen Angst.                                                             der Technisierung der
Aber die aus den gleichen Quellen gespeis-                                                       Gesellschaft war ein
                                                                                                 beliebtes Thema in der
ten traditionellen Umzüge im Alpenraum
                                                                                                 Malerei des 19. Jhdts.
mit ihren Schirch- und Schönperchten, sie
                                                                                                 Gemälde: Carl Spitzweg,
haben ihre Anziehungskraft über das bloß                                                         Gnom, Eisenbahn betrach-
Folkloristische hinaus nicht verloren. Sie                                                       tend, 1848
reichen mit den von ihnen verkörperten
Ängsten und Hoffnungen im symbolischen            Grunde nichts anderes, nur in entspre-
Gewand in tiefere Schichten der menschli-         chend größerem Maßstab (Scherer, 2008).
chen Psyche, in ein weitgehend unbekann-          Die Beschäftigung mit Sagen, die Ver-           Theo Pfarr
tes, sozusagen „subterranes“ kollektives          schriftlichung von bis dahin zumeist            Karst- und höhlenkundliche
Unter-Bewusstsein.                                mündlich weitergegebenen Erzählungen            Arbeitsgemeinschaft, NHM Wien
Ähnliches mag auch für die Sagen gelten.          aus dem Volk ist im Wesentlichen ein Ver-       Museumsplatz 1/10, 1070 Wien
                                                                                                  theo.pfarr@aon.at
Es gibt in ihnen Versuche von Welterklärun-       dienst der Romantik im frühen 19. Jhdt.
gen im überschaubaren Bereich: Wie ist            Einmal mehr sind hier die Namen von
jener markante Berg entstanden? Welche            Jacob und Wilhelm Grimm zu nennen, die          Höh(l)enluft und Wissensraum
Bewandtnis hat es mit einer merkwürdigen          in den Jahren 1816 und 1818 zwei Bände          Die Gassel-Tropfsteinhöhle
Landschaftsform? Solche Entstehungsge-            „Deutsche Sagen“ herausgaben (Steig,            im Salzkammergut zwischen
                                                                                                  Alltagskultur, Naturkunde und
schichten, die den Ursprung nachzeichnen          1916) (Abb. 1).
                                                                                                  wissenschaftlicher Forschung
wollen, nennt die Forschung „ätiolische           Taucht man in die Welt der Sagen ein,
                                                                                                  (hrsg. v. J. Mattes & D. Kuffner),
Sagen“. Auch die Schöpfungsmythen der             eröffnet sich einem ein Einblick in die Vor-    Denisia 40, 2018: 091-102.
verschiedenen Weltreligionen sind im              stellungswelt früherer Epochen. Menschen

                                                                       Sagen um den Traunsee              91
Sagen um den Traunsee - Zobodat
in ihren unterschiedlichen Lebenssituatio-    Sagt das Fehlen solcher dominanten mar-
                          nen, ihren Abhängigkeiten und Hoffnun-        tialischen Figuren vielleicht auch etwas
                          gen tauchen auf, Glaubenswelten gewin-        über die Region und ihre Bewohner aus?
                          nen an Plastizität.                           Die Sagenwelt des Salzkammerguts und im
                          Jede Region hat ihre eigene Sagenwelt, die    Speziellen der Region um den Traunsee ist
                          ihren örtlichen Gegebenheiten und auch        eine äußerst vielgestaltige. Für diesen Bei-
                          ihren geschichtlichen Erfahrungen ent-        trag wurden einige Mythen mit typischen
                          spricht. Im Salzkammergut ist z.B. keine      Figuren und markanten Schauplätzen
                          Heldensage angesiedelt, es treten keine       ausgewählt, die im Folgenden besprochen
                          großen Kämpferfiguren hervor. Vergeblich      werden. Wer dadurch Lust auf mehr
                          sucht man auch nach dem im Berg schla-        „Sagenhaftes“ verspüren sollte, sei auf das
                          fend auf seine endzeitliche Intervention      Literaturverzeichnis am Ende verwiesen.
                          wartenden Herrscher, wie man ihn vom          Hier sind durchaus interessante und auch
                          Untersberg oder vom Kyffhäuser kennt.         unterhaltsame Entdeckungen zu machen.

                          Der Traunstein und die Schlafende Griechin
                          Berge werden in Volkssagen gerne perso-       wodurch sie als „Schlafende Griechin“ nun
                          nalisiert, wobei die höchsten in der Umge-    das südliche Ufer des Traunsees einnimmt
                          bung oft als Monarchen gelten. Das gilt       (Mittendorfer, 1981: 193). – Die „Schla-
                          auch für den Dachstein, der als König unter   fende Griechin“ ist eine gängige Bezeich-
                          seinesgleichen gilt. In einer Sage wird nun   nung für den Erlakogel, dessen Gipfel-
                          erzählt, dass der König Dachstein seinen      kamm, wenn man ihn von Norden ansieht,
                          Vasallen Traunstein wegen dessen Unge-        mit etwas Phantasie dem Profil einer lie-
                          horsam an die Grenze seines Reiches ver-      genden Frau ähnelt (Hitzenberger, 1989:
                          bannt habe, nämlich an die Gestade des        41-42).
                          Traunsees. In einer hellen Nacht habe sich    Erla ist aber auch in einer Volkssage der
                          nun ein „treuloses Weib“ aus dem Gefolge      Name eines Riesen, der im Gefels des
                          des Monarchen weggeschlichen, um sich         Traunstein gelebt haben soll. Er habe sich
                          dem verbannten Vasallen anzubiedern.          in die Nixe des Laudachsees verliebt und
                          Diese Treulose sei vom König mit Verstei-     für sie und ihn ein Schloss am jenseitigen
                          nerung und Exilierung bestraft worden,        Seeufer bauen lassen, das Schloss Orth.

Abb. 2: Traunseeufer
in Pühret (Gemeinde
Altmünster). Im Hinter-
grund die Silhouette
der „Schlafenden
Griechin“.
Foto: Sammlung
Walter Deixler

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Sagen um den Traunsee - Zobodat
Durch Hexerei hätten er und die Nixe           unter Wasser bekommen, sei schließlich
menschliche Gestalt angenommen und             wegen dieses Kummers verschmachtet,
nach ihrer Hochzeit einige Zeit glücklich im   worauf der Riese Erla sich wieder in die Fel-
Schloss verbracht. Die Nixe jedoch habe        sen des Traunstein zurückgezogen haben
immer stärkeres Heimweh nach der Welt          soll (Hitzenberger, 1989: 34-35) (Abb. 2).

Sieben Söhne, sieben Brünnlein
Eine weitere Ursprungssage hat die Ge-         Fluch und der König erkannte, dass er es
gend um den Laudachsee zum Schauplatz.         mit der mächtigen Hexe Kranawitha zu
Zwischen diesem und dem Grünberg bei           tun habe. Diese schlug nun mit einem
Gmunden habe ein herrschsüchtiger              Stock sieben Mal auf die Erde, bei jedem
König sein Jagdrevier gehabt. Seine gelieb-    Schlag entsprang ein Brünnlein. Daraufhin
ten sieben Söhne haben in einem nahen          sei die Hexe „im Berg verschwunden“.
Jagdschloss gelebt. Der König fand auf         Der König, der Unheil ahnte, eilte zu sei-
einem seiner Pirschgänge eine alte Frau,       nem Jagdschloss, das er aber leer vorfand.
die am Traunstein abgestürzt war und           Kranawitha hatte jeden seiner Söhne in
sich bis in die Gegend um den Laudachsee       eine Quelle verzaubert. Der bestrafte
geschleppt hatte. Als sie um Hilfe bat,        König sei ins Gefels des Traunstein hinauf-
attackierte der König sie mit seinem           gestiegen und verschollen, in Sturmnäch-
Jagdmesser, weil er niemanden in seinem        ten höre man ihn noch klagen. Sein Jagd-
Revier dulden wollte. In diesem Moment         schloss sei verfallen (Hitzenberger, 1989:
bebte die Erde, die alte Frau sprach einen     33-34).

Die Bergmanndln vom Gschliefgraben
Am Ostufer des Traunsees mündet zwi-           Behausungen der Menschen hinabgestie-
schen Traunstein und Grünberg der              gen und hätten freundlicherweise deren
Gschliefgraben, der in der jüngeren Vergan-    liegen gebliebene Arbeiten vollendet. Dafür
genheit durch seine Rutschungen Besorg-        wurde von ihnen kein Geld verlangt, sie
nis erregt hat. Von diesem Graben ist eine     bedankten sich sogar für die Möglichkeit zu
Bergmanndl-Sage überliefert. Sie besagt,       arbeiten und hinterließen auch Münzen
dass sich dort ein Felsturm namens „Rote       ihrer Währung, der Bergmanndl-Kreuzer.
Kirche“ befindet, wo untertags bei genaue-     Diese Geldstückchen in Form von runden
rem Horchen aus dem Bergesinneren Ge-          schwarzen und weißen Steinchen von der
räusche vernehmbar waren, die wie Häm-         Größe kleinerer Münzen seien auch im
mern oder Poltern klangen, hervorgerufen       Bach zu finden gewesen und von Kindern
durch die Arbeit der Bergmanndln. Bei Ein-     aus der Umgebung gesammelt worden
bruch der Dunkelheit seien diese zu den        (Hitzenberger, 1989: 39-40).

Baal auf der Flucht
Ein sehr eigenartiger Sagenkreis bezieht       Übernahme eines Kultplatzes ist in den
sich auf die südwestlichen Uferberge des       Alpen (und nicht nur dort) wahrlich keine
Traunsees. Die Johanneskirche von Traun-       Seltenheit.
kirchen soll nach einer Überlieferung auf      In Traunkirchen sei an einer Wand ein gro-
den „Ruinen eines heidnischen Tempels“ ste-    ßer, aus Stein gehauener Kopf zu sehen,
hen (Commenda, 1947: 67). Eine derartige       woraus in der sich daran knüpfenden Sage

                                                                    Sagen um den Traunsee      93
Sagen um den Traunsee - Zobodat
auf riesenhafte Körpergröße der vorchrist-     vokale Verballhornung des verbreiteten
     lichen Bewohner geschlossen wird. Diese        Bergnamens „Beilstein“ handeln könnte,
     sollen in der Lage gewesen sein, einen wil-    erscheint naheliegend. Jedenfalls habe der
     den Stier mit bloßen Händen niederzu-          bedrängte heidnische Dämon dort vor den
     zwingen (Gloning, 1912: 10). Das verehrte      ihm nachsteigenden Christen keine Ruhe
     Idol (der „Götze“), der aus dem Alten          gehabt, weswegen er weiter auf den Sonn-
     Testament als kanaanäischer Gewitter- und      stein geflüchtet sei. Auch dorthin seien ihm
     Fruchtbarkeitsgott bekannte Baal, der im       die Verfolger mit ihrem bannenden Instru-
     europäischen Christentum zu einer dämo-        mentarium – Weihwasser, Kruzifix etc. –
     nischen Figur unter dem Namen Beelzebub        nachgestiegen. In seiner bedrängten Lage
     „weiterentwickelt“ wurde, sei dort persön-     habe sich Baal in den See gestürzt, „dass
     lich anwesend gewesen. Er habe sich vor        dessen Wellen bis zum Gipfel des Sonnstein
     dem vordringenden Christentum in die           geschleudert wurden“ (Gloning, 1912: 10).
     Felsen der Geißwand geflüchtet. Ein Fels-      Der Sturz des Höllenfürsten (in der Dämo-
     kopf mit Steinritzungen trägt noch heute       nologie galt Baal auch als „Herzog des Teu-
     den Namen „Baalstein“. Die Vermutung,          fels“) habe eine tiefe Furche in den Berg ge-
     dass es sich bei diesem Namen um eine          rissen, den „Teufelsgraben“.

     Der Teufel spielt Karten und schmeißt Steine
     Mit der Ausbreitung des Christentums ge-       Der fremde Waidmann habe dann auch am
     langte auch die Figur des Teufels nach         Kartenspiel teilgenommen, sei mit seinem
     Europa. In den früheren polytheistischen       Geld äußerst freigebig umgegangen, habe
     Glaubenssystemen hatte es eine solche          aber im Spiel beständig verloren. Das habe
     Personifikation des Bösen als Prinzip nicht    die Lust der Mitspielenden nur gesteigert.
     gegeben (Metzger, 2012). Aus den Volkssa-      Als der Müllermeister sich einmal um eine
     gen ist der „Diabolus“ (wörtl.: der Ent-       Karte bückte, die ihm heruntergefallen war,
     zweier) nicht wegzudenken. Er tritt vor        sah er mit Schaudern die Bocksfüße des
     allem als „Seelenfänger“ auf, möchte Men-      vermeintlichen Jägers. Darauf habe er sich
     schen dazu bringen, ihm unter bestimmten       heimlich zu seiner bereits schlafenden Frau
     Bedingungen ihre Seele zu verschreiben. In     begeben, sie geweckt und ihr von dem un-
     diesem Bemühen ist er aber nicht selten der    heimlichen Besuch erzählt. Die fromme
     Übervorteilte. Eine seiner Verkleidungen, in   Müllerin kleidete sich an und nahm den
     denen er sich unter die zu verführenden        Weihwasserbehälter. In der Stube be-
     Menschen mischt, ist das Gewand des Jä-        sprengte sie dann den Fremden mit dem
     gers, so etwa in der Erzählung von der Teu-    heiligen Wasser, worauf dieser „auf einem
     felsmühle in Bad Ischl.                        Feuerschweif reitend“ durch den offenen
     Diesen inoffiziellen Namen trägt eine          Kamin das Weite suchte. Das Geld, das die
     schon im 15. Jhdt. beurkundete ehemalige       Gesellen dem unheimlichen Mitspieler ab-
     Bäckerei. In dieser hätten sich in einer       gewonnen hatten, habe sich bei seinem
     Weihnachtsnacht Meister und Gesellen           feurigen Abgang in Kieselsteine verwan-
     zum Kartenspiel zusammengefunden,              delt. Soweit diese Frevel-Sage mit glückli-
     wobei heftig gebechert, laut gelacht und       chem Ausgang (Haßlwander, 1981: 52-53).
     auch derb geflucht wurde – eine eklatante      Eine andere Teufelssage hat den Jainzen,
     Entweihung der Heiligen Nacht. Zu              den Hausberg von Bad Ischl, zum Schau-
     fortgeschrittener Stunde habe sich ein         platz. Von seinem Gipfel Ausschau haltend,
     dreimaliges lautes Klopfen vernehmen           habe der Höllenfürst mit Missfallen be-
     lassen, worauf der Müllermeister die Tür       merkt, dass im Ort die Zahl der Kirchgän-
     öffnete. Vor dieser stand ein fremder Jäger,   ger zugenommen hatte. Weiters nahm er
     der unter Verweis auf das dichte Schnee-       wahr, dass die Salzschiffer und Traunreiter
     treiben um Einlass und Rast in der Mühle       vor der Heiligkreuzkapelle ihre Kopfbe-
     bat.                                           deckungen abnahmen, sich bekreuzigten

94   KULTURRAUM
Sagen um den Traunsee - Zobodat
Abb. 3: Der Kreuzstein
                                                                                               in Bad Ischl. Kolorierte
                                                                                               Ansichtskarte.
                                                                                               Foto: Sammlung
                                                                                               Dietmar Kuffner

und Gebete zum Himmel schickten. Da-            einem größeren Stück umgesehen habe,
raufhin reifte im Leibhaftigen der Plan, den    hätten die Glocken der Kirche im Ort zur
Ort durch Hochwasser zu verwüsten. Das          Frühmesse gerufen. Dadurch an der Um-
sollte durch Aufstauen des Flusses mittels      setzung seines Vorhabens gehindert, habe
hinein geworfener Felsblöcke geschehen.         der Teufel brüllend den Jainzen verlassen
Am frühen Morgen sei er zur Tat geschrit-       und sei dort nicht mehr erblickt worden.
ten, habe einen großen Felsen vom Jainzen-      Auf den bereits in die Traun geschleuderten
Gipfel abgebrochen und ihn mit Wucht zu         Felsen ließ die Postmeisterin Julie Koch
Tal geschleudert. Jedoch stellte sich heraus,   1856 ein Kreuz setzen. In der Folge hat sich
dass der große Felsblock für die Verwirkli-     für den Block im Flussbett der Name
chung seines Plans doch noch zu klein ge-       „Kreuzstein“ eingebürgert (Haßlwander,
wesen war. Just als der Höllische sich nach     1981: 55-56) (Abb. 3).

Das Ungetüm in der Steinbachlklause
Eine beängstigende Sage um einen Oger           ten, wiederum in einer Neumondnacht,
(Menschenfresser) hat die Steinbachlklause      durch einen kühlen Lufthauch aufge-
südlich des Steinbergs bei Ebensee zum          schreckt. Sie bemerkten, dass sich eine
Schauplatz. Dort nächtigten an Wochenta-        große, unförmige Gestalt anschlich und
gen Holzknechte, deren Meister der Jöring-      schlugen mit ihren Äxten auf diese ein, wo-
Simmerl war. Nach einer Neumondnacht            rauf ein Schrei zu hören war und das Un-
sei einer der Holzarbeiter vermisst worden,     getüm aus der Hütte enteilte. Am Morgen
seine Kleidung und sein Werkzeug seien je-      folgten die Holzknechte der deutlichen
doch vorhanden gewesen. Sein Verschwin-         Blutspur und gelangten zu einer Höhle, wo
den blieb vorerst unaufgeklärt. Nach dem        sie das menschenähnliche, behaarte Wesen
nächsten Neumond fehlte wiederum ein            tot mit einer großen Wunde im Nacken
Holzknecht, der stärkste der Gruppe. Seine      auffanden. In der Höhle fanden sie auch
Kameraden vermeinten zwar, in der Nacht         Totenschädel, Kleider ihrer vermissten Ka-
Geräusche vernommen zu haben, eine              meraden lagen beim Ansatz eines tiefen
Suche nach dem Verschwundenen blieb             Schlunds. In diesen wurde auch der leblose
aber erfolglos. Daraufhin wurden Nacht-         Körper des Ungetüms geworfen. Damit
wachen aufgestellt. Nach etlichen Nächten       habe die unheimliche Mordserie ein Ende
erfolglosen Wachens wurden die zwei Pos-        gefunden (Depiny, 1932: 54).

                                                                     Sagen um den Traunsee              95
Sagen um den Traunsee - Zobodat
Des Traunsees und der Liebe Wellen
     Eine örtliche Variante des Mythos von Hero     geschwommen, wobei ihm ein Licht im
     und Leander, den Musaios im 6. Jhdt. n. Chr.   Söller des Klosters die Richtung gewiesen
     aufgezeichnet hat und der von Grillparzer      habe. Eines Nachts jedoch sei dieses Licht
     in „Des Meeres und der Liebe Wellen“ 1831      von einem heftigen Sturm ausgelöscht wor-
     auf die Bühne gebracht wurde, hat Traunkir-    den, und der kühne Schwimmer habe die
     chen zum Schauplatz. Diese Sage handelt        Richtung verloren und in den Wellen des
     von der Tochter eines verwitweten Grafen,      nächtlichen Traunsees den Tod gefunden.
     der die Seeburg von Orth bewohnte und zu       Sein Leichnam sei am Strand von Traunkir-
     einem Feldzug gerufen wurde. Seine Tochter     chen angeschwemmt und von der jungen
     habe er in die Obhut des Burggrafen von        Frau gefunden worden. Diese suchte in
     Wolfsegg übergeben. Als dieser bemerkt         ihrer Verzweiflung ebenfalls den Tod in den
     habe, dass die blühende Jungfrau in Liebe      Fluten. Die Stelle, von der sie sich in den
     zu einem Ritter von Wartenburg entbrannt       See stürzte, heiße seither der „Jungfern-
     war, habe er sie in das Nonnenkloster zu       sprung“.
     Traunkirchen gebracht.                         Diese romantische Sage mit tragischem
     Der ungestüme Wartenburg habe das              Ende wird auch mit einem etwas abwei-
     Schloss Orth erstürmt, dieses aber leer        chenden Ende erzählt, nach dem das Licht
     vorgefunden. Als er in Erfahrung gebracht      nicht von einer Windböe, sondern von
     hatte, wo das Objekt seiner Sehnsucht unter    einer eifersüchtigen Mitschwester gelöscht
     strenger Aufsicht gehalten wurde, habe er      worden sei (Abb. 4).
     ein Schlösschen am Seeufer gegenüber von       Der bekannte Orientalist Joseph von Ham-
     Traunkirchen erbauen lassen. Dieser Ort        mer-Purgstall, in späteren Jahren Präsident
     wurde laut der Quelle (Gloning, 1884: 94-      der Akademie der Wissenschaften in Wien,
     95) noch zur Zeit der schriftlichen Abfas-     verfasste 1814 ein 12-strophiges Gedicht
     sung der Sage als „Jungfernlueg“ bezeich-      über den „Leander der Traun“, dessen erste
     net. In der Nacht sei dann der Liebende        und letzte Strophe hier wiedergegeben
     zum Verwahrungsort seiner Angebeteten          seien:

                      „Was strömt für ein Fluss aus den Alpen hervor
                      Und mitten durch den See?
                      Was heben sich südlich für Gletscher empor,
                      Bedeckt mit ewigem Schnee?
                      Und welch‘ ist die Kirche, und welch‘ ist die Mühle,
                      Die gegen einander schau’n?
                      Der Strom und der See, und die Kirche und die Mühle,
                      Die Berge der steirischen Traun.

                      […]

                      Begünstigte Liebe waget sich leicht
                      Mit Lebensgefahr in die Fluth,
                      Doch auch dem Hoffnungslosen erbleicht
                      Vor Todesgefahr nicht der Muth!
                      Schön ist’s im Glücke der Göttin von Gnidos
                      Sich wogend dem Meer zu vertrau’n
                      Doch höheren Preis als dem Mann von Abydos
                      Gebührt dem Leander der Traun.“

                                                                       (Feurstein 1871: 51-54)

96   KULTURRAUM
Abb. 4: Das ehemalige
                                                                                               Kloster Traunkirchen
                                                                                               um 1890.
Schätze im Bergesinneren                                                                       Foto: Sammlung
                                                                                               Walter Deixler
Die Sagenfigur des Venedigermanndls            im Aufstieg. Er kam mit einem vollen
taucht im ganzen Ostalpenraum auf: Ein         Schleifsack (d.h. Höhlen-Rucksack) wieder
gesteins- und mineralkundiger Südländer,       ans verdämmernde Licht des Tages. Die
ein „Wälischer“, der Gold, Silber und Edel-    Untersuchung des Inhalts des prallen Sacks
steine aus den Bergen holt (Herrmann,          am Naturhistorischen Museum in Wien er-
2001). Der Verfasser dieses Beitrags ist mit   brachte den folgenden Befund: „bos tau-
einer solchen Erzählung noch in den            rus“ – Knochen von abgestürztem Weide-
1980er Jahren im oberen Mürztal konfron-       vieh.
tiert worden: Eine Pfarrersköchin teilte ihm   In der Umgebung des Traunsees rankt sich
in durchaus ernstem und dringlichem Ton-       eine Venedigermanndl-Sage um das soge-
fall mit, ihr Großvater habe selbst beobach-   nannte Goldene Gatterl. Eine Höhle mit
tet, wie ein Italiener des Öfteren in eine     diesem Namen befindet sich unweit des
schachtartige Höhle am Kamm des Berges         Hochleckenhauses im westlichen Höllen-
eingestiegen und später mit einem vollen       gebirge. Die Volkssage erzählt von einem
Sack wieder herausgekommen sei. – Es           italienischen Erzsucher, der sich einen
müsse sich also ein Schatz in der Höhle be-    armen Holzknecht als ortskundigen Führer
funden haben oder vielleicht noch immer        zur Grießalm gedungen habe. Bei einer tie-
befinden. Der Verfasser folgte den Spuren      fen Höhle angelangt, habe der „Wälische“
des „Wälischen“, stieg in den 80 m tiefen      den Einheimischen einen Eid schwören
Schacht ab, die letzten 30 m ohne Wandbe-      lassen, den Platz niemals zu verraten. Da-
rührung, was den Respekt für den athleti-      raufhin sei er am Seil in die Tiefe gestiegen
schen Südländer gehörig steigerte, zumal       und bald mit einem Sack voll Gold wieder

                                                                    Sagen um den Traunsee              97
bergen (Lechner, 1859: 54-59) (Abb. 5).
                                                                         Eine thematisch ähnliche Volkssage kommt
                                                                         ohne die Figur des Venedigermanndls aus.
                                                                         Sie erzählt von einem Wurzelgraber, der in
                                                                         den „höhlenreichen Felsen östlich der Lang-
                                                                         bathseen“ an ein geheimnisvolles Tor in
                                                                         einer Felswand gekommen sei. Ins Innere
                                                                         des Berges vorgedrungen, fand sich der
                                                                         Mann in einem Raum, in dem goldene
                                                                         Zapfen von der Decke hingen. Der Wurzel-
                                                                         graber habe aber die Reichtümer im Schoß
                                                                         der Erde für „Blendwerk der Hölle“ gehal-
                                                                         ten, sei eilends aus der Unterwelt geflohen
                                                                         und habe sein Abenteuer geheim gehalten.
                                                                         Als er eines Nachts von dem Gold in der
                                                                         Höhle träumte, habe er seiner alten Mutter
                                                                         davon erzählt und sich auf die Suche nach
                                                                         dem Tor im Berg begeben. Die Suche da-
                                                                         nach blieb jedoch ohne Erfolg.
                                                                         Ein weit verbreitetes Motiv in Sagen, die
                                                                         von Schätzen im Inneren der Erde erzäh-
Abb. 5: Eingang zum       zurückgekommen. Von Letzterem habe der         len, ist das der Gebundenheit an religiöse
Goldenen Gatterl          Holzarbeiter einen Anteil als Führerlohn       Lostage, etwa den Karfreitag, oder an den
Foto: Hermann Kirchmayr   erhalten. Bis zum Ende des Sommers habe        Umstand, dass die suchende Person ein
                          sich die Prozedur oftmals wiederholt, dann     Sonntagskind sein müsse (Mattes, 2015).
                          habe der Italiener den Rückweg in seine        Der klassische und weithin bekannte My-
                          Heimat angetreten. Der Holzknecht hinge-       thos des Bergs, der nur zu bestimmten Zei-
                          gen sei durch den regelmäßigen Führer-         ten seine Schatzkammer öffnet, ist der vom
                          lohn zwar zu Wohlstand gelangt, jedoch         Grimming-Tor, den die Schriftstellerin
                          von Goldgier erfasst worden. Als der Gold-     Paula Grogger (1892-1984) zum zentralen
                          sucher im folgenden Jahr zurückgekom-          Symbol ihres gleichnamigen Romans
                          men sei, habe ihn der Holzhacker eines         (1926) gemacht hat:
                          Tages gezwungen, ihn selbst in die Tiefe der   „Wo die Steinwand schroff über die Mulde
                          Höhle hinabzulassen. Als der Einheimische      aufsteigt, ist ein Tor. Und selten kann es ein
                          den Boden des Schachts erreicht hatte,         Mensch erschließen, es sei denn während der
                          habe ihm der Südländer das Seil nachge-        Prozession am hohen Fronleichnamstag
                          worfen, sodass der Goldgierige in der Tiefe    oder, wie andere wissen wollen, bei der
                          gefangen war. Der Holzknecht war mit Le-       Wandlung zu Peter und Paul.“ (Grogger,
                          bensmitteln ausgestattet und begann nun,       2014: 9)
                          sich mit bloßen Händen durch den Berg zu       Wer innerhalb der eng gesteckten Frist
                          graben. Weit entfernt vom Höhleneinstieg       nicht zurück ans Tageslicht kommt, ver-
                          sei er wieder ans Licht des Tages gelangt,     bleibt ein Gefangener des Bergs.
                          seine Hände jedoch waren „vom Graben           In der Sammlung von Adalbert Depiny
                          abgearbeitet bis zur Handwurzel“. Sein         findet sich eine örtliche Variation dieses
                          Gemüt war durch die Gefangenschaft im          Motivs der Schatzhöhle mit zeitlich be-
                          Schoß der Erde dauerhaft verwirrt. Seine       grenztem Zugang. Sie betrifft die Berg-
                          Erzählungen von einem goldenen Gatterl         weibellucke bei Ebensee, eine Felsnische am
                          im Hintergrund des Höhlenraums, hinter         Fuß des Kögerls in der Nähe des
                          dem ein Tisch mit Hammer und Schlägel zu       Traunseeufers. In dieser würden sich uner-
                          sehen war samt einem Raum, gefüllt mit         messliche Schätze befinden. Eine junge
                          gediegenem Gold, klang für die Nachbarn        Frau, die in die Tiefen dieser Höhle vor-
                          zwar verlockend. Keiner wollte jedoch an-      dringt, hört ihr Kind schreien, entsteigt der
                          gesichts des wohl schwachsinnigen Krüp-        Höhle und eilt nach Hause. Als sie später
                          pels den Versuch wagen, die Schätze zu         zum Eingang der Schatzhöhle zurückkehrt,

            98            KULTURRAUM
Abb. 6: Bergweibellucke
                                                                                              in Rindbach bei
                                                                                              Ebensee.
                                                                                              Foto: Dietmar Kuffner

hat sich dieser für immer verschlossen         mit Gold gefüllt war und von „altertümlich
(Depiny, 1932: 33) (Abb. 6).                   gekleideten Schiffsleuten bewacht wurde“.
Eine motivisch ähnliche Sage betrifft die      Als der Pfandler mit einer Beschwörungs-
Gegend der Zimnitz. Dort befinde sich in       formel begann, wurden seine Gefährten
der Trefferwand eine Höhle mit schlüssel-      von schwarzen Hunden angefallen, worauf
lochförmigem Eingang. Dieser öffne sich        sie das Bewusstsein verloren. Der Bursche
am Heiligen Abend um Mitternacht, aber         besprengte sie mit Weihwasser und schaffte
nur für eine Stunde. Ein Bursche aus Pfandl    sie aus der Höhle. – Keine Sekunde zu früh,
sei mit zwei Begleitern gerade um diese Zeit   denn sofort nach ihrer Ausfahrt schloss sich
in die Höhle eingestiegen. Die drei seien zu   das Tor zur Unterwelt der Trefferwand wie-
einem Boot gekommen, einer Salz-Zille, die     der (Depiny, 1932: 74).

Zwerge und Feen am Jainzen
Der Jainzen, Hausberg von Bad Ischl,           kindern in einer Lichtmessnacht möglich.
scheint in der Sagenliteratur als Wohn- und    Im Inneren des Berges gebe es als Mittel-
Werkstätte von Zwergen auf. Das kleine         punkt der Zwergenstadt einen riesigen
Volk habe hier ein geheimes Silberberg-        Raum mit einem weitgespannten Gewölbe,
werk, der Zugang in dieses unterirdische       das auf drei goldenen Säulen ruhe. In
Reich unterliege wiederum gewissen Be-         dieser Halle finde sich auch ein kristall-
schränkungen, denn er sei nur Sonntags-        klarer See mit himmelblauem Sand an

                                                                    Sagen um den Traunsee               99
seinen Ufern. Die Zwerge würden zum           Name bereits andeutet, am Sonnstein
      Waschen ihrer Wäsche ins Freie kommen,        nördlich von Ebensee. Eine arme Frau habe
      nämlich zum Jainzenbach. Zum Trocknen         einst die schönen Fabelfrauen bei ihrem
      und Bleichen der Wäschestücke würden          Tanz beobachtet. Sie sei dann aus ihrem
      diese in Vollmondnächten ausgelegt wer-       Versteck hervorgetreten und habe um ein
      den – sichtbar wiederum nur für am Sonn-      Almosen gebeten. Eine der Jungfrauen
      tag Geborene. Wer das Kunststück zuwege       habe der Bittenden daraufhin eine Strähne
      bringe, ein Zwergenmützchen zu erha-          Flachs zum Spinnen gereicht, die diese, von
      schen, der könne sich vom Besitzer            der vermeintlichen Armseligkeit der Gabe
      Wünsche erfüllen lassen (Haßlwander,          ergrimmt, zurückwies. Später bereute die
      1981: 54-56).                                 Frau aus dem Volk ihre leichtfertige Ableh-
      Nicht nur Zwerge bevölkern den Jainzen,       nung, als man ihr mitteilte, dass der Feen-
      auch die Sonnenjungfrauen würden ihn als      flachs beim Verspinnen kein Ende nehme,
      Tanzplatz aufsuchen. Ihr ständiges Domizil    somit Rohstoff für ein ganzes Leben gebo-
      hätten diese feenähnlichen Wesen, wie der     ten hätte (Haßlwander, 1981: 54-56).

      Rückkehr zum Dachstein
      Zum Abschluss unserer kleinen Rundreise       tes Bild präsentiert: Ein riesiger Gletscher –
      durch verschiedene mythologische Statio-      laut der Quelle ist es der Gosaugletscher –
      nen kehren wir noch kurz an den Aus-          bedeckte die einst satten, grünen Almwei-
      gangspunkt zurück. Der Dachstein als          den. Bei warmem Wetter fließt ein weißli-
      höchster Berg weitum ist ja gewissermaßen     ches Bächlein zu Tal, darin fließen die Reste
      der „Olymp“ des Salzkammerguts. Über          der Milch, in der die Almleute einst gebadet
      Almen unterhalb des „Monarchen“ ist eine      hätten.
      ähnliche Sage überliefert wie von der Über-   Ein anderer Mythos verlegt auch den
      gossenen Alm am Hochkönig. Ihr morali-        Wohnort des Teufels in die hohen Regionen
      scher Kern ist die Warnung vor Hochmut        des Dachsteins. Sündigen Mädchen
      und Verschwendung.                            schmiedet hier der Böse zur Strafe Hufei-
      Auf der besagten Alm habe ein derartiger      sen an die Knie, deren Spuren noch zu fin-
      Überfluss geherrscht, dass Almpersonal        den seien (Commenda, 1947: 58-59).
      und auch Tiere in Milch gebadet hätten, die   Dies erinnert an die Spuren der „unsicht-
      Spalten der Berge seien mit Butter verfüllt   baren Esel“, mit denen die Wällischen
      und die Küchen und Ställe mit Käse ge-        laut einem Bericht aus 1592 Schätze aus
      pflastert worden. Ob dieser Geringschät-      den Ötscherhöhlen abtransportierten (Fiel-
      zung und Verschwendung von Speisen            hauer, 1969: 62). Bei diesen vermeintlichen
      habe der Allmächtige beschlossen, die         Huf- und Hufeisenspuren im Kalk handelt
      Almer zu züchtigen. Massives Schlecht-        es sich um nichts anderes als die Megalo-
      wetter zog auf, es stürmte, schneite und      donten, die „Kuhtrittmuscheln“, spezifi-
      hagelte. Als sich die Unwetter wieder ver-    sche Versteinerungen, die typisch für den
      zogen, habe sich ein vollständig veränder-    Dachsteinkalk sind.

      Die Sagen und das 21. Jahrhundert
      Der magischen Welt, die den Nährboden         jenseits der Rationalität zu haben. Wie
      von Mythen bildet, eignet eine erstaunliche   sonst wäre der weit verbreitete Engels-
      Zähigkeit. Der Mensch scheint über seine      glaube zu erklären, der in unseren Breiten
      Kindheit hinaus und entgegen aller als kalt   den Gottesglauben übertrifft?
      empfundenen Aufklärung eine Sehnsucht         Im Bereich der Unterhaltungsliteratur hat
      nach Geborgenheit in Zusammenhängen           das Genre Fantasy, das sich ja des Figuren-

100   KULTURRAUM
und Vorstellungs-Repertoires der Sagen             zur Selbstgestaltung einer Gemeinschaft.
bemächtigt hat, einen beispiellosen Hö-            Die große alttestamentarische Sage vom
henflug erlebt. Tolkiens „Herr der Ringe“,         Exodus ist für Angehörige der mosaischen
eine weiterentwickelte Heldensage in einer         Glaubens- und Schicksalsgemeinschaft tra-
fiktiven „Mittelerde“, hat Millionen Leser         gende Säule der Identität und damit von
gefunden und in der Verfilmung ein noch            geschichtsformender Kraft.
weit umfangreicheres Publikum begeistert.          Der Mensch, so kann geschlossen werden,
Nein, die Sage ist nicht tot. Sie hat nur ihre     braucht Mythen, im Kleinen wie im Gro-
Gestalt verändert, man könnte sagen: an            ßen. Jeder formuliert für sich seine Privat-
die Zeit angepasst. Auch bei der Darstel-          Sagen zur Befestigung seiner Identität. Fa-
lung wirtschaftlicher Erfolgsgeschichten           milien und darüber hinausreichende Ge-
(„success stories“) spielen sagenhafte Ele-        meinschaften unterschiedlicher Größe
mente eine Rolle. Und die großen natio-            pflegen ihre Narrative, teils auch in Form
nalen und auch religiösen Narrative weisen         von Ritualen, um den inneren Zusammen-
Charakteristika von Sagen auf. Der Grün-           halt zu festigen, um ihren Mitgliedern Ori-
dungsmythos der Schweiz, die Tell-Sage,            entierung anzubieten und damit auch die
wird in der „Eidgenossenschaft“ jedes Jahr         Möglichkeit von Sinnstiftung.
am 1. August ausführlich beschworen.               Die Sagen sind nicht tot. Sie sind – in ver-
Auch wenn seine Historizität sehr oft an-          änderter Form – rund um uns. Wir leben
gezweifelt wird, so bleibt die motivierende        mit ihnen und in ihnen, sind in gewisser
Kernaussage von Freiheit und dem Willen            Weise selbst Sagen-Gestalten.

Literatur
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Gloning, K.A. (1912): Oberösterreichi-          55).
   sche Volks-Sagen. – Linz (Pirngruber).

                                                                          Sagen um den Traunsee                101
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