SCHLOSS DES WISSENS - Jahresheft des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz Jahrgang 1
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Jahrgang 1|2020 SCHLOSS DES WISSENS Jahresheft des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz Berlin 2020
Inhalt Grußwort 4 EINBLICKE Editorial 6 Preußens Akten sind zurück. 25 Jahre Rückkehr der Archivalien 48—75 aus Merseburg nach Berlin. Erinnern und Aufbruch im Geheimen MOMENTE Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, 48 | James Simon und sein Vermächtnis – auf der Museumsinsel und im Zentralarchiv Enge Verbindungen | Schweizer Ex-Preußen | Überraschungsfund 8—9 der Staatlichen Museen zu Berlin, 51| Nachgefragt! Quellen im Magazin | Stadt, Schloss, Kloster | Zwei und zwei gesellt sich zur Geschichte Ostmitteleuropas im Geheimen Staatsarchiv gern | Preußische Staatskassen Preußischer Kulturbesitz – Forscher*innen berichten, 54 | „besser als gar keine deutsche Zeitung“ – Der Colonist in Brasilien, 56 | Briefgeheimnis endlich gelüftet. SPK-Stipendiatin entdeckt in THEMENSCHWERPUNKT „SCHLOSS DES WISSENS“ Akten einen über 200 Jahre verschlossen gebliebenen Brief, 60 | Korrespondierende Überlieferung. Vitrinen- und Online-Aus- Fotoreportage 12—17 stellung zu Leben und Schreiben des vielschichtigen Schriftstellers Heinrich von Kleist, 66 | Die lieben Kleinen … Dynastischer „Dieses Schloss stand immer in bestimmten Weltbezügen“ 18 Nachwuchs als Hoffnungsträger und Argument, 70 | Karrieren Wolfgang Neugebauer, Professor im Ruhestand für Preußische in Preußen. Frauen in Männerdomänen, 72 Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, und Ulrike Höroldt, Direktorin des Geheimen Staatsarchivs, über die Hohenzollern- Residenz zwischen Repräsentation, Politik und Verwaltung FAKTEN UND ZAHLEN — Ingrid Männl Im Fokus: Nutzung 2017–2019 78—83 Die „Geburtsurkunde“ des Berliner Schlosses 26 Nutzer*innen aus dem Ausland, 78 | Persönliche Nutzung vor Ein Archivale auf dem Weg ins Humboldt Forum Ort, 79 | Nutzung von Webauftritt und Online-Archivdatenbank, — Mathis Leibetseder 80 | Archivführungen und Einführungen in die Archivnutzung, 81 | Statistische Erhebung für die Jahre 2018 und 2019, 82 | Nutzung Zwischen „Reisekabinett“ und „Homeoffice“ 32 durch schriftliche Anfragen, 83 Die Tiefenerschließung der Kabinettsminüten aus der Regierungszeit König Friedrich Wilhelms I. — Denny Becker NACHLESE Vom „Fisch Guacucuja“ zu „Calvins Federmesser“ 38 Geschichte zum Ausleihen | An Dahlems Gestaden | Weltkriegs- 84—85 Ein Blick in die Kunstkammer des Berliner Schlosses ausstellung nach vier Jahren beendet, 84 | Akte mit Durchschuss. — Franziska Mücke Ostpreußische Folianten dokumentieren Revolutionsjubiläum, 85 Impressum 86
4 GRUSSWORT 5 Grußwort Prof. Dr. Hermann Parzinger, Stiftung Preußischer Kulturbesitz S chloss des Wissens – kann es eine schönere Umschreibung für das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz geben? Schon rein äußerlich zitiert die bis 1924 nach Plänen Eduard von Fürstenaus erbaute imposante Dreiflügelanlage barocke Herr- schaftsarchitektur. Tatsächlich sah die ursprüngliche Bauplanung die Errichtung weiterer Staatsbauten in unmittelbarer Nachbarschaft vor – mit dem Verwaltungsgebäude des Geheimen Staatsarchivs als Blickfang am Kopf einer breiten Prachtallee. Stattdessen wuchs das Archiv dann in die Dahlemer Wissenschaftslandschaft hinein, gemeinsam mit der Freien Universität Berlin, den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft, dem Botanischen Garten und den Staat- lichen Museen zu Berlin zwischen Lansstraße und Arnimallee, dem künftigen Forschungscampus Dahlem. Der Traum vom „deutschen Oxford“ im Südwesten Berlins, der so manchen zu Beginn des 20. Jahrhunderts umtrieb, fand so eine zeitgemäße Ausformung. Aber auch „innerlich“ ist das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz mit seinen archivalischen Überlieferungen zu über 800 Jahren brandenburgischer, preußischer, deutscher und euro- päischer Geschichte eine besondere Schatzkammer im Ensemble der Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz – von nationalem, ja internationalem Rang. Jedes Jahr kommen nicht nur aus ganz Deutschland, sondern auch aus Europa und der Welt Menschen nach Dahlem, um anhand der dort aufbewahrten Über- lieferungen ihre Forschungen zu betreiben. Aufgrund der gemeinsa- men historischen Wurzeln sind die Dahlemer Archivbestände aber auch mit den Sammlungen der verschwisterten Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufs engste verflochten. Nicht zuletzt deshalb begrüße ich nachdrücklich, dass das Archiv nun aus dem Schatten vornehmer Zurückhaltung hervortritt und die Öffentlichkeit mit einem neuen „Jahresheft“ an seinen Ideen und Projekten teilhaben lässt. Mögen dieser ersten Nummer zahlreiche Leser*innen beschieden sein und ihr viele weitere Ausgaben folgen. Ihr Hermann Parzinger Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Bild: Stiftung Preußischer Kulturbesitz / Herlinde Koelbl.
6 EDITORIAL 7 Editorial Prof. Dr. Ulrike Höroldt, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz W as hat das Berliner Schloss auf Das Geheime Staatsarchiv Preußischer dem Cover der ersten Nummer Kulturbesitz, als ein anderes Schloss des des „Jahreshefts des Geheimen Wissens, wird seine Dienstleistungen und Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz“ zu Ressourcen also auch künftig an seinem suchen, werden Sie sich vielleicht fragen. seit nunmehr knapp einhundert Jahren Steht etwa ein Umzug in den Neubau in angestammten Sitz in der Dahlemer Berlins Mitte bevor? Alle, die dies befürch- Archivstraße weiterentwickeln – auch ten, kann ich beruhigen. Das Geheime unter den Bedingungen der Pandemie, die Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz wird derzeit Einschränkungen erzwingt. Umso auch zukünftig ein integraler Bestandteil erfreulicher ist es, dass, Corona zum Trotz, der Forschungslandschaft im Südwesten nun diese erste Nummer des Jahresheftes Berlins sein. Wer aber den Blick in die Ver- erscheinen kann, mit dem künftig alle zwei gangenheit richtet, wird feststellen, dass Jahre über die Aktivitäten und – ja, ich das Berliner Stadtschloss lange Zeit Sitz wage es zu sagen – Fortschritte des Archivs des Geheimen Staatsarchivs war – länger hinein in eine chancenreiche Zukunft als irgendein anderes Gebäude. Die berichtet werden soll. Wie diese Ausgabe Geschichte des Archivs im Schloss begann werden auch die folgenden jeweils einen mit dessen Bau im 15. Jahrhundert – und aktuellen Themenschwerpunkt setzen, endete erst, als der im Schloss verfügbare und darüber hinaus Einblicke in Projekte, Raum für das Archiv mit seinen Beständen Arbeitsbereiche und Statistiken des Archivs und Menschen zu eng wurde. Dies hat das im jeweiligen Berichtszeitraum eröffnen. Archiv, das aus der Herrschaft der branden- Auf diese Weise möchte das Jahresheft ein burgischen Kurfürsten und preußischen Gespür dafür vermitteln, was Archive uns Könige hervorgegangen ist, gemein mit den allen zu sagen haben und wie sie ein leben- anderen Einrichtungen der Stiftung Preu- diges Gemeinwesen mitgestalten. Allen, ßischer Kulturbesitz – mit dem Ibero- die an diesem Heft mitgearbeitet haben, Amerikanischen Institut, dem Staatlichen möchte ich sehr herzlich danken. Allen, die Institut für Musikforschung, der Staats- diese erste Nummer in die Hand nehmen, bibliothek zu Berlin und den Staatlichen wünsche ich eine spannende, unterhalt- Museen zu Berlin. Angesichts der bevorste- same, aber hoffentlich auch instruktive henden Eröffnung des Humboldt Forums Lektüre, die anregt, auch einmal einen im Neuen Berliner Schloss ist das für uns Blick in das Archiv selbst zu tun – während Grund genug, um unter dem Titel „Schloss der Pandemie, und erst recht danach! des Wissens“ an die Vergangenheit dieser Einrichtungen im historischen Schlossbau Ihre am Lustgarten zu erinnern. Zugleich nimmt Ulrike Höroldt der Titel aber – wie Professor Parzinger Direktorin des Geheimen Staatsarchivs oben schon ansprach – spielerisch Bezug Preußischer Kulturbesitz auf die schlossähnliche Architektur des Geheimen Staatsarchivs in Dahlem. Bild: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz / Vinia Rutkowski
8 MOMENTE 9 Momente Eindrücke aus den Jahren 2018/ 19 ZWEI UND ZWEI GESELLT SICH GERN SCHWEIZER EX-PREUSSEN STADT, SCHLOSS, KLOSTER Das Geheime Staatsarchiv PK stellt sich und seine Bestände einmal anders vor: als Memo-Spiel. 32 Paare Schweizer Preußen gab es wirklich: Nachdem der Fürst Ungefähr ab 1745 zog der Königlich Preußische Sze- mit Abbildungen von Urkunden, Akten und Karten so- des Fürstentums Neuchâtel 1707 ohne Erben verstorben war, nograf Friedrich Bernhard Werner ausgerüstet mit geo- wie mit Impressionen des Archivgebäudes laden zu einer entschied man sich für den preußischen König als neuen Lan- dätischen Instrumenten durch Schlesien. Seine Mission: Entdeckungsreise durch das Archiv ein. Die erste Auf- desherrn – für knapp 150 Jahre. Mehr als 200 Jahre später die topografisch genaue Erfassung jener Provinz, die lage des Memo-Spiels war rasch vergriffen. Deshalb gibt war nun eine Delegation der Association Neuchâtel-Berlin Preußen erst jüngst erobert hatte. So entstand in meh- es jetzt eine zweite. zu Gast im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. reren Bänden eine „Topographia Silesiae“ (Topographie In einem Kooperationsprojekt soll die Berliner Überlieferung Schlesiens) mit Federzeichnungen von Städten, Schlös- zu Neuchâtel nun tief erschlossen werden. sern und Klöstern, die in Fachkreisen mittlerweile be- rühmt ist. Für alle Interessenten gibt es neuerdings auch eine Online-Version. ENGE VERBINDUNGEN ÜBERRASCHUNGSFUND IM MAGAZIN Seit 1991 erscheint zweimal jährlich die Neue Folge der For- schungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Bei Ordnungsarbeiten im Magazin des Geheimen im Berliner Verlag Duncker & Humblot. Mit dem Jahr 2019 tritt Staatsarchivs gelang ein überraschender Fund: Inmitten die Direktorin des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kultur- eines bislang nicht verzeichneten Bestands entdeckte eine besitz Frau Professor Dr. Ulrike Höroldt in den Kreis jener ein, Archivarin die seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen ge- welche die Herausgabe dieser traditionsreichen Zeitschrift be- glaubte Züllichauer Leichenpredigtensammlung. Frisch PREUSSISCHE STAATSKASSEN GEFLUTET sorgen. Die Hefte veröffentlichen Abhandlungen zur Geschich- gereinigt sowie neu verpackt und verzeichnet konnte die te Brandenburg-Preußens von den Anfängen bis zur jüngeren Überlieferung ihrem rechtmäßigen Besitzer, dem Evangeli- Sondermittel für den Originalerhalt aus dem Haus- Zeitgeschichte. schen Zentralarchiv in Berlin, zurückgegeben werden. Dort halt von Kulturstaatsministerin Monika Grütters machen kann die Sammlung nun eingesehen werden. es möglich: Mit einem neuartigen System werden die Aus- und Einnahmeregister der preußischen Staats- kassen des 19. und 20. Jahrhunderts aufwendig gerei- nigt. In einem nichtwässrigen Tränkverfahren werden die Papierfasern durchströmt und Schmutzpartikel entfernt. Danach sind die stark brandgeschädigten Archivalien erstmals wieder benutzbar. Bild: Duncker & Humblot Bild: GStA PK Bild: GStA PK/Christine Ziegler Bild: GStA PK Bild: GStA PK/Christine Ziegler Bild: GStA PK/Christine Ziegler
SCHLOSS DES WISSENS Mit dem Humboldt Forum im Berliner Schloss entsteht in der Mitte Berlins ein neues Schloss des Wissens. Ein solches Schloss des Wissens war bereits die historische Hohenzollern-Residenz – und das schon seit dem 15. Jahrhundert. Die Beiträge in dieser Rubrik erhellen die Geschichte der Wissenseinrichtungen im Berliner Schloss schlaglichtartig; vor allem jene des Geheimen Staatsarchivs, aber auch jene der landesherrlichen Sammlungen und Verwaltungsbehörden. Eine Fotoreportage und ein Interview führen in das Thema ein; drei Aufsätze bieten Möglichkeit zu vertiefender Lektüre. Gemeinsam erinnern sie an ein nahezu vergessenes Kapitel Berliner Schlossgeschichte.
12 FOTOREPORTAGE 13 Mit eigener Hand Kurfürst legt Grundstein für das Berliner Stadtschloss „Nach Gottes Geburt tausend vierhundert und im dreiundvierzigsten Jahr am Abend [vor] Sankt Peter ad vincula [das heißt am 31. Juli] zur Vesperzeit wurde der erste Stein gelegt am neuen Schloss zu Cölln, und tat [es] mein gnädiger Herr Marggraf Friedrich Kurfürst etc. mit seiner eigenen Hand.“ Das vermerkte ein kurfürstlicher Kanzlist unter dem genannten Datum in einem Registerband. Mit Cölln war Cölln (Spree) gemeint, der Kurfürst war Friedrich II. (1413–1471). Die Worte dokumentieren den Baubeginn des späteren Berliner Schlosses auf der Spreeinsel. Johann Gregor Memhardts (1607–1678) Berlin-Plan – der älteste überhaupt – zeigt das Schloss Mitte des 17. Jahrhunderts. Eintrag zur Grundsteinlegung für das Berliner Stadtschloss in einem Register des 15. Jahrhunderts. Bild: GStA PK/Christine Ziegler, I. HA Rep. 78, Nr. 9, Blatt 250a Schloss und Schlossinsel auf Memhardts Berlin-Plan in Martin Zeillers „Topographia Electorat[us] Brandenburgici et Ducatus Pomeraniae“ von 1652. Bild: GStA PK/Christine Ziegler, Dienstbibliothek, 2 M 23:14
Akten, Akten, Akten Das Geheime Staatsarchiv im Berliner Schloss Vier Jahrhunderte lang residierten die Vorläufer des heutigen Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz im Berliner Schloss – nämlich vom späten 15. bis zum späten 19. Jahrhundert. Bevor sich jedoch Pläne für einen speziellen Archivzweckbau konkretisierten, bezog das Archiv 1874 erst noch das Hohe Haus in der Berliner Klos- terstraße. 1924 wurde dann der von Eduard Fürstenau entworfene Neubau in der Dahlemer Archivstraße eingeweiht, wo sich noch heute der Sitz des Archivs befindet. Der Grundriss zeigt, wie Teile der ersten Etage des Berliner Schlosses zu Beginn des 19. Jahrhunderts belegt waren – genauer gesagt die Raumflucht zwischen Eosanderportal an der Schlossfreiheit und dem am Schlossplatz gelegenen Portal I; in unmittelbarer Nachbarschaft zur Generalmilitärkasse sowie zur Generalstaatskasse erkennt man auf dem Plan mehrere Gemächer, die das Geheime Staatsarchiv sowie das später mit diesem vereinigte Geheime Kabinettsarchiv beherbergten; gemeinsam belegten sie die Süd-Ecke der ersten Etage des Schlosses (siehe Umschlagbild). Räumlichkeiten des Geheimen Staatsarchivs in der ersten Etage des Berliner Schlosses, 1816. Bild: GStA PK/Christine Ziegler, I. HA Rep. 74, M IX Brandenburg, Nr. 41 Bd. 1, Blatt 41
16 FOTOREPORTAGE 17 Überlieferungsbildung Archivarbeit für Gegenwart und Zukunft Das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz verwahrt nicht nur Unter- lagen zur Geschichte des Berliner Schlosses in preußischer Zeit – es leistet auch einen aktiven Beitrag zur Erinnerungskultur dieses historischen Ortes. So ist die Dah- lemer Einrichtung in ihrer Funktion als zentrales Archiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zuständig für die Überliefe- rungsbildung der verschiedenen Arbeits- bereiche – einschließlich der Projekte und Bemühungen der Stiftung um den Wiederaufbau des Berliner Schlosses und die Errichtung des Humboldt Forums. Überlieferungsbildung ist eine zen- trale Aufgabe von Archiven und meint die Auswahl aussagekräftiger Unterlagen zu den Aufgaben und der Arbeitsweise einer Institution nach archivfachlichen Krite- rien. Das Geheime Staatsarchiv Preußi- scher Kulturbesitz trifft diese sogenannte Bewertungsentscheidung in Zusammen- arbeit mit den schriftgutbildenden Stellen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Erst diese archivische Grundlagenarbeit stellt sicher, dass die institutionelle Geschichte der Stiftung in Zukunft nach- vollzogen und erforscht werden kann. Archivarinnen des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz bei der Überlieferungsbildung. Bild: GStA PK/Christine Ziegler
18 INTERVIEW 19 „Dieses Schloss stand immer in bestimmten Weltbezügen“ Wolfgang Neugebauer, Professor im Ruhestand für Preußische Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, und Ulrike Höroldt, Direktorin des Geheimen Staatsarchivs, über die Hohenzollern-Residenz zwischen Repräsentation, Politik und Verwaltung Interview: Ingrid Männl Sie haben sich in Ihren Forschungen zu errichten. Sehr schnell kamen dann auch zur brandenburg-preußischen Geschich- festkulturelle Bestandteile dazu, denn Fest- te immer wieder mit dem Berliner kultur war in der frühen Neuzeit immer Schloss beschäftigt und Sie haben das auch Politik. Schloss, bislang vornehmlich ein Unter- suchungsobjekt der Bau- und Kunstge- Welche Überlieferungen umfasste das schichte, erstmals in seinen historischen Archiv um die Mitte des 15. Jahrhunderts? Funktionen beleuchtet. Welche Funk- tionen hatte der erste Schlossbau auf der U.H. Alles, was ein landesherrliches Spreeinsel in Cölln, als er um 1450 fertig- Archiv in dieser Zeit ausmachte, findet sich gestellt war? auch dort. Das waren insbesondere die Quellengattungen der Urkunden und Amts- W.N. Das ist eine strittige Frage. Man bücher. Unter den Amtsbüchern kann man hätte früher mit der These geantwortet, das vor allem die Register, sowohl Eingangs- Berliner Schloss sei eine Zwingburg gegen- als auch Auslaufregister, nennen, daneben über der Stadtgesellschaft gewesen. Das ist auch die sogenannten Landbücher, das sind inzwischen widerlegt worden. Es spricht Wirtschaftsführungsbücher, in denen die alles dafür, dass das alte Gebäude des Mark- Besitzungen und deren Schicksale darge- grafen in der Klosterstraße für die tagtäg- stellt waren. lichen Funktionen nicht mehr ausreichte, vor allen Dingen für die administrativen Bereits unter Kurfürst Joachim II., Funktionen. Die erste Urkunde im Neubau den Sie als einen typischen Fürsten des Schlosses wurde gleich im Frühjahr 1451 der Renaissance bezeichnen, fanden dort ausgefertigt und besiegelt. Sehr bald umfangreiche Neu- und Umbauten sehen wir im Schloss Gerichtsfunktionen, am Schloss statt. Inwieweit sind die auch Archivfunktionen, und so wird man baulichen Veränderungen auf ein sich sagen können, dass das der eigentliche änderndes Nutzungsprofil des Schlos- Grund gewesen ist, dieses neue Gebäude ses zurückzuführen? >>> Bild: GStA PK/Christine Ziegler
20 INTERVIEW 21 W.N. Zunächst einmal wurde ja seit Spandauer Straße in Berlin untergebracht Willen den Hof nicht auszubauen, ja ihn dass es eines Tages mit England in Verbin- den späten 1530er Jahren dem Schloss- war, sich seit 1938 in der Verwaltung des nach Möglichkeit sogar noch zu reduzieren. dung stehen würde – in den 1690er Jahren platz zu ein neuer Flügel errichtet, darin Brandenburgischen Provinzialverbandes Das war ein schwerer politischer Fehler. mit dem Ausbau des Berliner Schlosses ein großer Festsaal, der die gesamte Länge in Potsdam befand und heute im Branden- begonnen wurde und dieser Zusammen- Ein Festsaal als des Neubaus umfasste. Der Festsaal war burgischen Landeshauptarchiv aufbewahrt Lassen sich Elemente der Rückstän- hang ist nicht nur ein zeitlicher. Der Text, politischer Ort gleichzeitig auch ein politischer Ort, inso- wird. digkeit auch im Verwaltungswesen der den man in den Grundstein des Nordwest- fern als dort die Landtage – wenn man so Kurfürsten von Brandenburg erkennen? flügels einlegte im Jahre 1708, bezeugt den will, die vormoderne Partizipationsorga- Sie haben in Ihren wissenschaftlichen Zusammenhang von Schlossausbau und eng liiert: nisation – einen Platz hatten. Es kam ein Untersuchungen einmal geschrieben, U.H. Ja, es lässt sich durchaus erkennen, Kronpolitik ganz direkt als einen unmit- Schlossbau und weiterer Bestandteil hinzu: die frühere dass man in Berlin am Hof und Schloss dass das Kanzleiwesen in Brandenburg weit telbaren Konnex. Das heißt: Schlüter und Kronpolitik Dominikanerkirche wurde Dom. Der Dom im Vergleich zu anderen Fürstenresiden- hinter dem zurückstand, was in anderen Eosander hatten dieses Schloss nun zu wird Grablege der Hohenzollern, Zentrum zen bis in die Zeit des Großen Kurfürsten Territorien längst gang und gäbe war. Das einem barocken Ensemble umzuformen, kultureller Bestrebungen und kulturelles um einiges zurückblieb. Worin zeigt sich zeigt sich insbesondere in der erst spät ein- zunächst einmal auf der westlichen Front- eine gewisse Sammlungszentrum. Er wird ein religiöses diese Rückständigkeit? setzenden Registerführung, das heißt darin, seite Richtung des Berliner Schlossplatzes. Rückständigkeit Zentrum, aber in einer sehr eigentümli- wie man die eingehenden und ausgehenden Und dieses Königsgebäude war nun in der chen Weise, denn er ist auch weiterhin ein W.N. Erstens im Baubild und zwei- Schriftstücke in der Kanzlei überhaupt in Lage, mit den führenden europäischen prominenter Ort für Reliquien gewesen. tens in der Bausubstanz. Wenn man um Abschriften erfasst hat. Ein weiteres Prob- Dynastien mitzuhalten. Und wenn man Dies wirft die Frage auf, ob das wirklich so 1650 das Berliner Schloss sich ansah, dann lem lag in dem geeigneten Verwaltungsper- sich ansieht, wie dieses Schloss gehandhabt dezidiert protestantisch gewesen ist, was waren dort Renaissance-Bestandteile zu sonal, das eben in der Mark Brandenburg wurde, wie es tagtäglich praktiziert wurde: man dort am Berliner Schloss praktizierte. sehen gegenüber der Spree und der Stadt nicht in größerem Maße vorhanden war, so Die Treppenhäuser haben etwas zu tun mit Berlin. Allerdings war das alte mittelalter- dass die ersten Hohenzollern bei der Rekru- Rang, mit gelebtem, mit praktiziertem Rang, Aus welchen Quellen können wir liche Bild noch zu erkennen. Es war also tierung immer wieder auf ihre fränkischen Zimmerfluchten haben etwas damit zu tun, Näheres über die Verhandlungen erfah- alles andere als ein stilistisch geschlosse- Stammterritorien zurückgreifen mussten. die Majestät zu distanzieren. Das war nicht ren, die der Kurfürst mit den Ständen nes Ensemble. Und was die Bausubstanz privater Spleen, es war, wie man gesagt im Schloss führte? anbelangt, so war das Berliner Schloss in Kurfürst Friedrich III., der 1701 hat, Staatsbaukunst, das heißt Architektur einem solchen Zustand, dass der Große in Königsberg zum König in Preußen spielt nicht Politik, sie ist Politik in dieser unzumutbare U.H. Das geht sowohl aus Quellen, die Kurfürst seiner Gemahlin – er hat ja gekrönt wurde, folgte nicht dem Rat Zeit. Zustände zur kurfürstlichen Überlieferung gehören, zunächst einmal eine Oranierin geheiratet seines Vaters, des Großen Kurfürsten, als auch denen von der Gegenseite hervor. – dieses Schloss gar nicht zumuten konnte sondern er ließ das Berliner Schloss Was kann man aus den Akten des Die beim Kurfürsten erwachsene Über- und auch nicht zumuten wollte, insbe- zu einem modernen Barockschloss Geheimen Staatsarchivs über die Bau- lieferung befindet sich hier im Geheimen sondere deshalb, weil die Dächer nicht auf europäischem Niveau umgestalten. maßnahmen erfahren, die unter Andreas Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in dicht gewesen sind. Die Bausubstanz war Welche politische Botschaft war damit Schlüter am Schloss ausgeführt wurden? den Beständen zu den einzelnen Landestei- höchst miserabel, was vielleicht nicht nur verbunden? len, die eigene Landstände hatten, nämlich an mangelnden Finanzen, sondern auch U.H. Die Pläne Schlüters und seine neue Mauern – mit in Repositur 21 zur Mittelmark, Repositur an mangelnder Modernität der kurfürstli- W.N. Man sieht, dass zeitgleich zum Skizzen für die Umgestaltung des Schlos- Rissen 53 zur Altmark und Repositur 42 zur Neu- chen Politik lag. Der Große Kurfürst hat im Beginn der Kronpolitik – das heißt, dem ses sind leider nicht überliefert. Aber man mark. Die bei den Ständen erwachsene Jahre 1667, als die Hofburg in Wien bereits Versuch rangmäßig nachzuziehen gegen- kann den Archivalien Details über das Bau- Überlieferung auf der anderen Seite führ- prächtig erstrahlte und man in Paris schon über Konkurrenten, wie etwa Kursachsen, geschehen entnehmen, insbesondere dann, te dort zur Bildung eines eigenen Archivs, eine sehr moderne Hofkultur praktizier- das die polnische Krone in Sichtweite hat- wenn es Probleme gab, wie zum Beispiel bei was zunächst im alten Ständehaus in der te, seinem Nachfolger geraten, um Gottes te, oder Kurhannover, von dem man wusste, einem Riss in einer der neuen Mauern nach >>>
22 INTERVIEW 23 dem Lustgarten hin, oder wenn sich der betrieben, Finanzen, auch Siedlungspolitik. König eingemischt hat, wie zum Beispiel Die auswärtigen Entscheidungen, die fielen durch einen Befehl an die Maler der Akade- nicht im Schloss, und die hohe Politik wurde mie, vorrangig die Malereien in den neuen vom Monarchen gerade da getrieben, wo königlichen Gemächern zu betreiben. Es er sich befand, das heißt insbesondere von gibt auch Aufstellungen über Baumateria- Potsdam, in der Zeit Friedrich Wilhelms I. lien und Handwerkerkosten, so dass man auch von Königs Wusterhausen aus. einen gewissen Überblick über den Umfang dieser Baumaßnahmen und eine Vorstel- Im Berliner Schloss erhielt auch das lung von den großen Anforderungen für die 1723 gegründete Generaldirektorium Finanzen des Landes gewinnen kann. seinen Sitz. Es war für die Finanz-, Kriegs- und Domänenverwaltung Preu- Im 18. Jahrhundert hielten sich die ßens zuständig und wurde die wichtigs- preußischen Könige nur noch selten im te zentrale Behörde im 18. Jahrhundert. Berliner Schloss auf, da sie andere Resi- Von Anfang an führte seine Unterbrin- denzen als Aufenthaltsorte bevorzugten. gung zu großen Raumproblemen. Wie Wie veränderte sich durch die Abwesen- wirkte sich dies auf die Aufbewahrung heit des Monarchen das Funktionsprofil der Akten aus? des Schlosses? U.H. Ich denke, das muss man sich so Raumprobleme W.N. Die Distanzierung des Monarchen ähnlich vorstellen wie auch heute, wenn führen von seiner Hauptstadt haben wir nicht nur zu wenig Platz für Akten vorhanden ist. in Gebäuden außerhalb untergebracht. der neuesten Forschungen verbinden will, zu Unordnung in Berlin und Potsdam, wir haben sie auch Schon die Akten, die für die laufende Ver- Welche Funktionen kamen dem Berliner könnte man sagen, das Berliner Schloss zum Beispiel in Wien/Schönbrunn mit waltung benötigt wurden, waren nicht Schloss dann im 19. Jahrhundert zu? wird Zentrum einer monarchischen Emo- Monarchische einem ganzen Ensemble anderer Schlösser gut unterzubringen, wodurch es natürlich tionspolitik, einer Politik, die auf Integra- Emotionspolitik in der Umgebung und wir haben sie natür- immer wieder zu Verunordnungen kam. W.N. Das Berliner Schloss war Schau- tion und Visualisierung aus ist. Dabei wird lich auch in Versailles/Paris. Friedrich der Offensichtlich wurden auch Akten, wenn platz einer ganz eigentümlichen moder- das Publikum gebraucht auch als Betrachter Große hat im Karneval, und das war Ende sie nicht mehr benötigt wurden, einfach nen dynastischen Politik. Seit dem Jahre politischer Performanz. November/Anfang Dezember, bis zu seinem kassiert, ohne danach zu fragen, ob man 1810 – das ist das Datum, als der Hof aus Geburtstag am 24. Januar, in Berlin gelebt, sie nicht dauerhaft hätte aufbewahren sol- Ostpreußen nach Berlin zurückkehrt – Bis zu welchem Zeitpunkt waren im dazwischen nur so ab und zu, und er regier- len. Man kann das heute noch in der Über- beobachten wir in verschiedenen Phasen Berliner Schloss eigentlich Archivalien te nicht aus den Berliner Gremien heraus, lieferung des Generaldirektoriums daran eine bemerkenswerte Öffnung des Berliner untergebracht? sondern mit einem ganz kleinen Stab von erkennen, dass bei manchen Vorgängen Hofes für weitere Schichten. Das fängt mit Mitarbeitern, dem Kabinettspersonal, das tatsächlich nur die Schriftstücke mit den dem Ordensfest 1810 an, an dem nun bis U.H. Bis in die zweite Hälfte des 19. sich da aufhielt, wo sich der Monarch gera- Randverfügungen des Königs aufbewahrt hin zu kleinen Handwerkern, die irgend- Jahrhunderts. 1874 wurden die älteren preu- de befand. Das ist die berühmte preußische worden sind. welche Auszeichnungen bekommen haben, ßischen Verwaltungsakten aus dem Schloss Kabinettspraxis. Das heißt für das Schloss: Einladungen in das Schloss ergingen. Neue ausgelagert und in das sogenannte Hohe das Schloss war der Sitz der Kollegien, heute Die neuen im Zuge der Staatsreform soziale Schichten finden hier einen Ort in Haus in der Klosterstraße verbracht, in dem würden wir sagen Behörden. Es wurde 1807/08 geschaffenen Fachministerien einer monarchischen politischen Kultur. sich bereits andere jüngere Überlieferungen dort verwaltet, es wurde die innere Politik wurden nicht mehr im Schloss, sondern Wenn man das mit einem Begriff im Sinne des Generaldirektoriums und der Ministe- >>> Bild: GStA PK/Christine Ziegler
24 INTERVIEW 25 wie beispielsweise Italien, und Wilhelm II. Auf welche Weise sollte im Humboldt musste eine Politik betreiben, die Moder- Forum an die historischen Funktionen nität und Tradition, junges Kaisertum und des Berliner Schlosses, die Sie in Ihren altes Preußen miteinander verknüpfte, und Forschungen herausgestellt haben, erin- vielleicht ist ihm das gar nicht so schlecht nert werden? gelungen. W.N. Es sollte vor allen Dingen daran mehr als nur Wenn in dem neu errichteten Berliner erinnert werden, dass dieses Schloss immer Berlin Schloss das Humboldt Forum eröffnet mehr war als nur ein Berliner Schloss. Die- wird, von welchem Archivale aus dem ses Schloss stand immer in bestimmten Geheimen Staatsarchiv sollte dort unbe- Weltbezügen, wobei sich die Welt natürlich dingt ein Faksimile gezeigt werden? verändert hat vom 15. Jahrhundert bis zum Über die Autorin: 20. Jahrhundert. Es müsste also klarge- Dr. Ingrid Männl U.H. Die Nutzung des Schlosses als macht werden, dass dieser historische Ort ist Sachgebiets- Humboldt Forum heißt ja, dass dort eben immer über sich hinaus verwies, und des- leiterin am Ge- nicht die mit dem Schloss verbundene halb ist es problematisch, dass man ausge- heimen Staatsar- Geschichte weiter tradiert wird, sondern rechnet an dieser Stelle sich zu sehr auf die chivs Preußischer dass man eine neue Nutzung gefunden hat. Berliner Geschichte konzentriert. Dass die- Kulturbesitz und rien befanden. Das heißt, es fand jetzt eine W.N. Zunächst einmal hat Wilhelm II. Es gibt aber eine Ausstellungsebene, die se weiteren Bezüge hoffentlich nicht unter- außerdem Leiterin Hausarchiv in funktionale Trennung zwischen Archiv die Bedeutung dieses Schlosses ganz per- sich Geschichte des Ortes nennt und mit belichtet werden, das wäre mein Wunsch. der Kommunikation. Charlottenburg und der im Schloss verbleibenden Verwal- sönlich neu betont, indem er sich dort eine der an die Funktionen des Schlosses in den tung statt. Ein weiteres wichtiges Datum Wohnung einrichten ließ für sich und für vorhergehenden Jahrhunderten erinnert ist das Jahr 1895, in dem das Branden- seine Gattin. Und Betrachter dieser Woh- werden soll. Aus unseren Beständen ist dort burg-Preußische Hausarchiv in ein eigenes nung – sie wurde ab und zu gezeigt – hat- als wichtigstes Dokument die sogenannte Gebäude in Charlottenburg umzog. Das ten den Eindruck, das sei eine ganz normale Gründungsurkunde von 1442 zu nennen, in Hausarchiv ist erst im 19. Jahrhundert aus Berliner Großbürgerwohnung, also durch- der die Doppelstadt Berlin/Cölln Kurfürst älteren Überlieferungen begründet worden, aus nicht ausladend, besonders bestenfalls Friedrich II. Land auf der Spreeinsel Cölln als sich die Einheit von Herrscherfamilie wegen des Schlüterschen Deckenschmucks. zum Bau eines Schlosses abgetreten hat. und Staat auflöste und man der Meinung Aber wir müssen ein bisschen weiter- war, dass ein Königshaus ein eigenes Archiv schauen. Das Berliner Schloss war vor 1888 für das eigene Haus benötigte. Schauplatz eines, wie man sagte, zu partiku- laristisch-preußischen Betriebes, und dieser Das Schloss sei nie so sehr Schloss Betrieb wurde kritisiert, und Wilhelm II. hat des Monarchen gewesen, wie in den eine neue Dimension dabei betont, nämlich beiden letzten Jahrzehnten um 1900, so die des Reichischen. Es war ein preußischer haben Sie in einer wissenschaftlichen Hof, der aber gleichzeitig Reichsfunktio- Studie geschrieben. Warum hatte es für nen hatte. Das Berliner Schloss wird jetzt Wilhelm II., den letzten deutschen Kai- gebraucht, um die Konkurrenz aufzuneh- ser und König von Preußen, eine beson- men mit den großen europäischen Mäch- dere Bedeutung? ten, auch gerade mit den jungen Dynastien, Bild: GStA PK/Christine Ziegler
26 SCHLOSS DES WISSENS 27 Die „Geburtsurkunde“ des Berliner Schlosses Ein Archivale auf dem Weg ins Humboldt Forum Mathis Leibetseder — Urkunde zur Übertragung des Baugrundes an den A ls sich am 29. August 1442 Vertreter der Städte Berlin und Cölln Kurfürsten sowie ihrer acht Zünfte mit dem brandenburgischen Kurfürs- 1442 ten zusammenfanden, konnten sie die historischen Dimensio- nen ihrer Handlungen kaum abschätzen. Mit einer Urkunde, die unter diesem Datum ausgefertigt wurde, übertrugen die Städte und Zünf- te dem Kurfürsten Baugrund zur Errichtung eines Schlosses auf der Cöllner Spreeinsel. Tatsächlich ließ der Begünstigte innerhalb weniger Jahre ein erstes Gebäude errichten, das Wohn-, Repräsentations- und Verwaltungszwecke erfüllte. Spätere Generationen erweiterten den Bau um neue Flügel und andere Gebäudeteile. Als aus brandenburgi- schen Kurfürsten preußische Könige wurden, musste das alte Renais- sanceschloss dann aber weitgehend einer barocken Anlage weichen. Schlüters Neubau, der nach dem Zweiten Weltkrieg gesprengt wurde, dient dem als Humboldt Forum neu errichteten Schloss als histori- sche Vorlage. Was man 1442 schriftlich fixierte, war also nicht mehr und nicht weniger als die „Geburtsurkunde“ des Berliner Schlosses, das jahrhundertelang die Mitte Berlins prägte und nun als Teilrekons- truktion neu errichtet wird. Wer die Pergamenturkunde knapp 600 Jahre nach ihrer Entste- hung in Augenschein nimmt, wird sich zunächst einmal wundern, konservatorischen Maßnahmen unterzogen wurde. Bis in die jüngs- wie „frisch“ sie wirkt – als sei sie erst gestern ausgefertigt worden. te Zeit hinein wurde die Urkunde gefaltet aufbewahrt. Doch das Tatsächlich ist das wertvolle Einzelstück relativ unbeschadet über über die Jahrhunderte versteifte Pergament drohte bei der Nutzung die Jahrhunderte gekommen. Dieser gute Erhaltungszustand kommt Schaden zu nehmen, weshalb durch ein schonendes Befeuchtungs- 600 Jahre und freilich nicht von ungefähr – denn schon rein chemisch betrachtet verfahren nun die Spannung aus dem Material genommen und das gut erhalten ist Pergament ein sehr stabiles Material. Außerdem gab der Kurfürst Pergament anschließend vorsichtig geglättet wurde. Da Pergament sein Exemplar der Urkunde gewiss bald nach der Ausfertigung in das eine Art (Positions)gedächtnis hat, schloss sich eine mehrmonatige damals bereits vorhandene Archiv, das wenig später selbst ins Ber- Trocknungsphase unter Gewichten an. Mittlerweile ist die Urkunde liner Schloss verlagert wurde. Dort wurde die Urkunde jahrhunder- mit den zehn Siegeln der Aussteller in einem speziellen Karton ein- telang sicher verwahrt, überstand wohlbehalten Kriege und Krisen gebettet, was Lagerung und Nutzung erheblich verbessert. Gerade die und gelangte so letztlich auch ins heutige Geheime Staatsarchivs Siegel benötigen eine jeweils separate „Behausung“, um ein Aneinan- Preußischer Kulturbesitz, wo sie in den letzten Jahren aufwendigen derschlagen und Zerbrechen des Siegelwachses zu verhindern. >>> Übertragung von Baugrund an Kurfürst Friedrich II. von Brandenburg. Bild: GStA PK/Christine Ziegler, VII. HA, Allg. Urkundensammlung, Nr. 1035
28 SCHLOSS DES WISSENS 29 — Übertragung ins Wenn das Humboldt Forum seine Pforten öffnet, wird dort auch digitale Zeitalter eine Ausstellung zur Geschichte des Ortes zu sehen sein; darf die „Geburtsurkunde“ in dieser Schau fehlen? Eine dauerhafte Präsenta- tion wird aus konservatorischen Gründen freilich nicht möglich sein. Zu sehr würde die UV-Belastung den Erhalt der Urkunde gefährden. Die Lücke schließt ein detailgetreues Faksimile. Als Grundlage für die Faksimilierung dienen high quality Digitalaufnahmen, die von den Fotografinnen des Archivs mittels hochauflösender Digitalkamera- systeme angefertigt wurden. Dabei werden Großformate in der Regel in mehreren Teilen fotografiert und anschließend digital montiert. Auf diese Weise entstehen auch bei großen Formaten originalge- treue Detailabbildungen mit einer Zielauflösung von 300 dpi. Auch die Berliner Pergamenturkunde wurde auf diese Weise sorgfältig digitalisiert, wenngleich sie aufgrund ihrer geringen Größe nicht in mehreren Teilen abgelichtet werden musste. Eine besondere foto- grafische Behandlung war dennoch notwendig, und zwar wegen der Siegel. Grundsätzlich ist eine gleichmäßige Ausleuchtung für flache Dokumente optimal; dreidimensionale Wachssiegel hingegen müssen den Reflektionseigenschaften ihres Materials entsprechend sorgfältig ausgeleuchtet und einzeln aufgenommen werden – jedenfalls, wenn es, wie bei der Berliner Urkunde, auf jedes Detail ankommt. Übrigens kann durch eine individuelle Ausleuchtung sogar die Pergamentstruk- tur fotografisch herausgearbeitet werden. Wer einen zweiten Blick auf die Urkunde wirft, dem wird auffallen, dass sie an und für sich wenig spektakulär daherkommt. Weder ist sie besonders groß – sie misst inklusive Siegel ungefähr 57 × 57 cm – noch ist sie besonders prächtig ausgestaltet. Einziges Schmuckelement ist die Initiale W, die jedoch nicht einmal koloriert wurde. Am stärksten beeindrucken die Siegel, welche die Wappenbilder der Städte Berlin (Bär) und Cölln (Adler) sowie der Zünfte – Fleischer (Beile), Schuster (Ahle bzw. Leisten und Beil), Weber (Schiffchen bzw. Klöppel), Bäcker (Brezeln und Timpenbrot) – zeigen. Inhaltlich hat es die Urkunde dennoch in sich, denn das abgetretene Areal war ziemlich umfang- reich. Es umschloss „den ordt von der Closter porten na der langen brugge wente [= bis] an dy Sprew; dy Sprew langes nedder wente an dy Siegel und statt mure, wes in deme orde und winkele begrepen ist und darto den Siegelbilder Werder, dy an dem orde over dye stattmure und over dy graven wente an dy Sprewe lyt dartho dy Stattmure von der Sprew wente gegen dat Closter und die Closter mure langes wente an dy statt muren mit tor- men wigkhuseren und graven“. Die Beschreibung des Grundstückes orientierte sich also an wichtigen städtischen Landmarken, nament- lich an der Langen Brücke, die heute unter dem Namen Rathaus- brücke die Spree quert und Schloss- und Rathausplatz miteinander verbindet, aber auch am Dominikanerkloster und an der Stadtmau- er – beide existieren schon lange nicht mehr. Es ist, grob gesagt, das >>> Digitalisierung zur Herstellung eines Faksimiles. Bild: GStA PK/Vinia Rutkowski
30 SCHLOSS DES WISSENS 31 heutige Areal um das Neue Berliner Schloss, den Lustgarten und die fertigung also für den jüngeren Bruder Friedrichs II. gedacht? Vermut- Museumsinsel, welches der Kurfürst erhielt. Mit dem Schlossbau auf lich. Jedenfalls wird er – ganz im Sinne der damaligen gemeinsamen der Spreeinsel wurde übrigens nur wenige Monate nach Ausfertigung Herrschaftspraxis – in der Urkunde als Mitbegünstigter genannt, und der Urkunde begonnen. Einen ersten Spatenstich gab es damals nicht. als solchem stand ihm selbstverständlich eine eigene Ausfertigung zu. Aber der Kurfürst ließ es sich nicht nehmen, mit eigener Hand einen Erst 1447 kamen die Brüder überein, die Mark Brandenburg unterein- ersten Stein zu setzen (siehe Fotoreportage). Das geschah am 31. Juli ander aufzuteilen. Die Mittelmark, und damit auch das neue Schloss 1443. in Berlin-Cölln, verblieb bei Friedrich II. Der Kurfürst, der mit dem Baugrund begünstig wurde, war Die Gestalt von Friedrichs Schlossbau ist übrigens nahezu unbe- Landmarken Friedrich II. (1413–1471). Er ist heute weitgehend unbekannt – ganz kannt. Darstellungen haben sich nicht erhalten. Auf der ältesten Stadt- bezeichnen den Ort anders als sein königlicher Namensvetter, der drei Jahrhunderte ansicht Berlins-Cöllns im Reisetagebuch von Herzog Ottheinrich später lebte und der vielleicht berühmteste Hohenzollern-Fürst ist. von der Pfalz (1502–1559) aus dem Jahre 1537 sind vom Schloss ledig- Zu Friedrichs Lebzeiten bestanden neben der Spree-Metropole in der lich vier lang ausgezogene Zeltdächer zu erkennen. Erste Ansichten Über den Autor: Mark Brandenburg noch eine Reihe weiterer Residenzen, die Mehrzahl stammen aus dem späten 16. Jahrhundert und zeigen den Zustand Dr. Mathis in der Altmark. Unter ihnen war vor allem Tangermünde als ehema- nach der renaissancehaften Umgestaltung durch Kurfürst Joachim II. Leibetseder ist lige Kaiserpfalz reich an Tradition; Friedrich II. selbst hatte dort 1413 (1505–1571). Aus dem visuellen Gedächtnis der Stadt Berlin ist das Referent am das Licht der Welt erblickt. Doch Berlin-Cölln schickte sich bereits Entwicklung Schloss Friedrichs II. somit wohl endgültig getilgt. Umso wichtiger Geheimen Staats- an, die altmärkischen Residenzen sowohl wirtschaftlich als auch poli- Berlin-Cöllns ist es, dass die beiden Ausfertigungen der „Geburtsurkunde“ die archiv Preußischer tisch-herrschaftlich zu überflügeln. Trotzdem stand den Landesher- zur Residenzstadt Zeitläufte überdauert haben. Kulturbesitz. ren aus dem Hause Hohenzollern für Aufenthalte an der Spree lange mit Schloss nur das nicht ganz standesgemäße Hohe Haus in der Klosterstraße zur Verfügung. Über kurz oder lang musste also ein Schloss her. Es waren Zwistigkeiten innerhalb der Bürgerschaft, die Friedrich II. zugunsten der Landesherrschaft – und zum Erwerb des Baugrunds – zu nutzen verstand. Die städtische Autonomie wurde damit jedoch nicht, wie in der älteren Forschung immer wieder behauptet, gebrochen – auch nicht mit der Niederwerfung des bekannten „Berliner Unwillens“ von 1447/48. Damals fluteten die Bürgerschaft aus Protest gegen die lan- desherrliche Politik den Baugrund, errichtete Palisaden, vertrieb kur- fürstliche Amtsträger, stürmte die Kanzlei und vernichtete wertvolle Unterlagen. Der Kurfürst organisierte im Land rasch eine Koalition der Willigen, vor deren Übermacht die Aufständischen kapitulierten. Die Zukunft Berlin-Cöllns lag in ihrer Funktion als Residenzstadt. Das Verhältnis von Hof und Stadt prägte fortan ein Wechselspiel aus Gegen-, Mit- und Nebeneinander. Als die Urkunde 1442 ausgestellt wurde, war Friedrich II. keines- falls Alleinherrscher. Vielmehr teilte er sich die Herrschaft mit einem gleichnamigen jüngeren Bruder. Diesem Umstand dürfte es wohl zu verdanken sein, dass von der „Geburtsurkunde“ des Berliner Schlos- ses eine Zweitausfertigung erhalten ist, die sich heute im Branden- burgischen Landeshauptarchiv in Potsdam befindet. Sie ist mit dem Mehr über die Geschichte des Ortes im Exemplar im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz nicht Humboldt Forum erfahren Sie im Netz unter identisch, gleicht ihm aber in den wesentlichen Merkmalen (Maße, www.humboldtforum.org/de/programm/ ausstellungen/geschichte-des-ortes/. Schriftbild, Siegel). Auch die Initialen sprechen dafür, dass beide Urkunden einander möglichst stark ähneln sollten. War die Zweitaus- Neben der Urkunde soll dort auch ein Schränkchen aus dem Besitz des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz präsentiert werden. Das Schränkchen war vermutlich bereits im 19. Jahrhundert im Schloss – als Teil des Archivmobiliars.
32 SCHLOSS DES WISSENS 33 Zwischen „Reisekabinett“ und „Homeoffice“ Die Tiefenerschließung der Kabinettsminüten aus der Regierungszeit König Friedrich Wilhelms I. Denny Becker Ä hnliche Entdeckungen wie die Beschaffung von Arzneien für die Schlossapotheke und Schmuckstücke für die Prachträu- me des Berliner Schlosses können in der 129bändigen Amts- buchserie, die aus Abschriften ausgehender Kabinettsschreiben von 1728 bis 1809 besteht, immer wieder gemacht werden. Diese für das 18. Jahrhundert eher veraltete Methode der informationssi- chernden Schriftgutverwaltung war notwendig geworden, weil die Arbeitsorganisation des Kabinetts höchst flexibel und dezentral gestaltet war. Das Kabinett bestand neben dem König selbst aus drei Sekretären, die am jeweiligen Aufenthaltsort des Königs die Posteingänge zur Dekretierung vorlegten, Konzepte revidieren und Ausfertigungen unterzeichnen ließen sowie in ihren Privat- wohnungen die ausgehenden Schriftstücke fertigten und ablegten. Im Jahreszeitenzyklus bewohnte Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) die verschiedenen Schlösser in und um Berlin, befand sich auf Inspektionsreisen in den preußischen Ländern oder besuchte aus- ländische Höfe. Die Sekretäre begleiteten ihn und verwalteten König Friedrich Wilhelm I. an Kriegs- Säcke Voll Dannen oder Fichten Zapfen. die Geschäftsvorfälle. Diese Mischung aus „Reisekabinett“ und und Domänenkammer zu Berlin Dannenhero befehlen Sie dero Chur- „Homeoffice“ erforderte die Installation einer zentral zugänglichen Kabinettsdekretschreiben, geneh- märkischen et cetera Cammer hiermit Dokumentendatenbank. Bisher ist der Aufbewahrungsort der Kabi- migtes Konzept, Abschrift in Gnaden, die Verfügung zu machen, nettsminüten während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. daß die obige Quantität Regen Würmer, noch nicht identifiziert worden. Dass die Entstehung der Amts- Potsdam, 22. April 1728 so bald möglich auff denen Dörffern Amtsbücher buchserie zeitlich exakt mit der Fertigstellung der Königswohnung Seine Königliche Majestät in Preu- gesamlet und an den Hoff Apothequer als Quelle im Berliner Schloss, die sich im Erdgeschoss des Lustgartenflü- ßen. Unser allergnädigster Herr haben Neumann geliefert werden müßen. Im- gels in repräsentative Staatsgemächer, in eine Dienstwohnung mit resolviret, einen gewissen Spiritum gleichen auch die 12 Säcke Voll Ameisen Arbeits- und Vorzimmer und in private Schlafgemächer gliederte, machen zu laßen, darzu unter andern mit denen Eyern und vier Säcke Voll zusammenfällt, lässt eine dortige Aufstellung vermuten. Friedrich erfordert werden, 300 Maaß Regen Dannen oder Fichten Zapfen, welcher Wilhelm I. war ein hochaktiver Monarch, der sich in Ausübung sei- Würmer, 12 gute Säcke voll Ameisen mit dieses alles in Empfang nehmen laßen nes göttlich übertragenen Amtes über jedes Ereignis berichten ließ. denen Eyern und Weyrauch und vier und an gehörigen Orth abliefern wird. Die Kabinettsminüten enthalten daher sowohl die großen The- men der inneren und äußeren Regierung Preußens als auch intime Zeugnisse der Lebenswelt eines Landes- und Familienvaters. Sie >>> Bild: GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 1, Seite 20
34 35 König Friedrich Wilhelm I. an General- major Christian Nikolaus von Linger Kabinettsordre, Konzept, Abschrift Potsdam, 3. April 1732 Mein lieber Generalmajor von Linger. Ich bekomme die römischen Kayers und der Kayserin portraits in Lebensgröße, wie die so in dem weißen Saale sind, also sollet ihr mir dazu eine Zeichnunge zu denen Rahmen um diese portraits machen laßen, die Rahmen werde ich von Silber machen laßen, und muß die Zeichnunge nicht accordieren mit dem neuen Spiegelrahm, sondern es müßen ganz andere desseins seyn, die aber recht schöne und wohl inventiret seyn müßen, oben mit des Kaysers Crone und Cnopen, ingleichen mit der fama, ihr müßet die Historien schrei- ben mit zu rahte ziehen, die wißen was zu den kayserlichen ornat mit gehöret, und mit etlichen inventieusen Leute darüber sprechen, auch von den Mahler Pehnen und anderen mehr Zeichnunge machen laßen, welche nur ins kleine können gemacht werden und müßet ihr das beste daraus nehmen und ich bin Ewer wohlaffectionirter König. Bild: GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 5, Seite 238–239
36 SCHLOSS DES WISSENS 37 bilden den wichtigsten Wissensspeicher der Hohenzollerndynastie und gehören zur zentralen Rückgratüberlieferung Preußens, deren die Kombination von Extraktions- und Additionsmethode erlaubt Tiefenerschließung einer Grundlagenforschung nahekommt. die sachthematischen Beziehungen zwischen den Einträgen durch Indexierung herzustellen. Mit der Indexierung sind mehrere Bearbei- Wie viele andere Amtsbuchtypen zählen auch die Kabinettsminü- ter betraut, weswegen ein „teilkontrolliertes Vokabular“ verwendet ten zu den schwer auswertbaren Archivalien. Die rein chronologische wird. Diese Methode wird als sogenanntes „narrow tagging“ bei der Ordnung der Minüten-Einträge behindert eine inhaltliche Recherche. Crowdsourcing-Erschließung eingesetzt. Hierbei kann eine Gruppe „narrow tagging“ Das führte mitunter dazu, dass diese reichhaltige Quellengattung von von Indexierern aus einem vorgeschlagenen Wortkatalog den passen- und Crowdsourcing der Forschung kaum zur Kenntnis genommen wurde. Mit „Friedrich den Begriff auswählen. Dies verhindert eine synonyme oder homonyme Projekt „Friedrich Wilhelm digital“ startete im Jahr 2012 ein Projekt, das sich neben Indexierung und somit das Entstehen von Parallelindexen, sichert Wilhelm digital“ der Digitalisierung und Online-Präsentation auch mit der Tiefener- die Datenhygiene und sorgt für ein einheitliches Rechercheergeb- schließung der Minüten-Einträge beschäftigt. Ziel ist es, alle Daten nis. Zudem vereint diese Indexierungsmethode zusammengehörige in den Minüten-Einträgen durch Indexierung zu erheben, mit dem Materien und ordnet das Wortgut zu hierarchischen, semantischen Digitalisat zu verknüpfen und online recherchierbar und nutzbar zu Wortbeziehungen. Bei der Indexierung der Sachbetreffe hat sich ein machen. Hierfür entwickelte das Projekt eine relationale Datenbank, dreigliedriger Index von Ober- und Unterbegriff im Feld „Sache“ und die die formale und inhaltliche Verzeichnung sowie den Online-Zu- die Erfassung eines Verrichtungswortes im Feld „Sachergänzung“ als gang ermöglicht. Neben der Formalerfassung, in der die Metadaten sehr zweckmäßig erwiesen. Auf diese Weise wird die „einfache Inde- des Eintrags – Signatur, Nummer, Sprache, Klassifikation, Datum und xierung“ zu einer „dynamischen Indexierung“, die Minüten-Einträge Ort – verzeichnet und mit dem Digitalisat verknüpft werden, indexiert werden somit ähnlich einem Sachaktentitel verzeichnet. das Projekt alle Personen, Institutionen, Körperschaften, Geografika, Bauwerke und Sachbetreffe. Durch einen vorgegebenen Schlagwort- Die Indexierung in der Datenbank hat gegenüber der Edition Tiefenerschließung katalog werden die Minüten-Einträge zusätzlich übergeordneten mehrere Vorteile. Dazu gehört zu allererst, dass keine Selektion statt- durch Indexierung Sachgebieten zugeordnet. Für den Sachindex werden zwei verschie- findet. Es werden alle Daten erhoben, weswegen die Erschließung für dene Indexierungsmethoden verwendet. Die Extraktionsmethode Fragestellungen aller Art offenbleibt und nicht die Gefahr besteht, zieht zu indexierende Werte aus dem Eintrag, die Additionsmetho- Über den Autor: dass Erschließungsinformationen zu schnell altern oder Interpretati- de indexiert Begriffe, um den Eintrag präzise zu beschreiben. Erst Dr. Denny Becker onen, die dem Zeitgeist unterworfen sind, vorweggenommen werden. leitet das Stadt- Durch den gezielten Zugriff auf das Digitalisat mittels DFG-Viewer archiv Frankfurt kann der Nutzer die Minüten-Einträge selbst betrachten und aus- (Oder). Bis werten. In diesem Sinne wahrt die Erschließung weitgehend Wert- Februar 2019 wirkte neutralität und überlässt die Auswertung der Forschung. Neben der er am Geheimen alphabetischen Indexsuche kann die Datenbank im Volltext recher- Staatsarchiv Preu- chieren oder durch die Kombination oder das Ausfiltern von Index- ßischer Kultur- werten gezielte Abfragen tätigen. Ferner sind statistische Erhebungen besitz maßgeblich möglich, die per CSV-Export weiterverarbeitet werden können. Die am Portal Online-Datenbank erlaubt eine sehr vielseitige und komfortable „Friedrich Wilhelm Nutzung der Kabinettsminüten. Mit der diesjährigen Online-Stellung digital“ mit, von rund 30.000 Einträgen für den Zeitraum 1728 bis 1733 kommt das zuletzt als Projekt den Bedürfnissen der Medien- und Informationsgesellschaft verantwortlicher des 21. Jahrhunderts und deren Forderungen nach virtuellen For- Projektleiter. schungsumgebungen entgegen. Startseite der Projektdatenbank „Friedrich Wilhelm digital“. Bild: GStA PK
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