SEHNSUCHT GEMISCHTE GEFÜHLE - Magazin "leben!"
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MAGAZIN DER KATHOLISCHEN KIRCHE IM BISTUM MÜNSTER / Ausgabe #6 / Herbst 2020 GEMISCHTE G E F Ü HL E S EHN SUC H T www.magazinleben.de LANDLIEBE KINDERZEIT FERNWEH Junge Bauern und das Warum es wichtig ist, die Tamina Kallert über große Glück auf der prägendste Lebensphase Heimweh, Heimat eigenen Scholle wachzuhalten und heimliche Ziele
leben! Farmers Flirt Wie Leute vom Land ganz normal die große 8 Liebe suchen. Mutter- Suche Rainer Wrage erfuhr erst als junger Mann: 16 Ich bin adoptiert. Sehnsucht auf Reisen TV-Moderatorin Tamina Kallert über Heimweh 26 und Heimat. 2
#6 Herbst 2020 Liebe Leserin, lieber Leser! Was hatten wir gehofft, wir hätten es endlich hinter uns! Leichtes Dieses Virus, dieses Corona-Auf-und-Ab, mal hü, mal hott. Gepäck Kann das nicht bitte endlich alles vorbei sein und alles wieder normal? Covid 19 nervt. Macht doch wieder krank, Hans-Gerd Paus macht doch wieder Angst. Zumindest Sorge. Trotzdem: will sein Leben Dieses vermaledeite Virus lehrt uns auch einiges. Wie auf Rucksack- wertvoll Gesundheit ist. Oder wem wir trauen können, 28 zum Beispiel: eher den nüchtern-sachlichen Wissen- größe reduzieren. schaftlern als denen, die uns mit einfachen Lösungen oder undurchschaubaren Hirngespinsten vorgaukeln, uns unser „normales“ Leben zurückzugeben. Vergessen Sie's! Was klar ist: Lange nicht mehr waren wir so voll von Sehnsucht. Nach Nähe und Umarmung. Nach Leichtigkeit und maskenlosem Lächeln! Nach fernen Ländern und freiem Reisen. Diese Ausgabe von leben! erzählt in bewe- Klosterburg statt genden Geschichten und Bildern, warum die Sehnsucht Kalifornien so wichtig bleibt, wie sie uns zu tollstem, mutigem Einsatz für eine bessere Welt antreibt. Aber auch, wie weh sie tun Wie eine Frau kann, wo sie von Verlust erzählt. Weise Menschen sagen: aus den USA Die Sehnsucht braucht eine echte Perspektive, damit sie in Dinklage einen Ort findet, an dem sie zur Ruhe kommen kann. 30 glücklich wurde. Wir würden uns freuen, wenn diese Ausgabe von leben!, dem katholischen Magazin für Lebensfreude aus dem Bistum Münster, für Sie ein kleiner Wegweiser dorthin ist. Bleiben Sie gesund – und behütet! Herzliche Grüße! 3 x „Ruhe jetzt!“ 4 Herz-Experte Augustinus 5 Ihr Markus Nolte Redaktionsleiter Sorgentelefon für Landfamilien 11 Erfüllte Lebensträume 12 Magazin leben! Fünf reale Sehnsuchts-Tipps 15 Cheruskerring 19 Rosenkohl-Walnuss-Pesto 19 48147 Münster Wenn Eltern um Kinder trauern 20 Telefon 0251-4839-123 Das große Quiz der Sehnsucht 24 info@magazinleben.de Impressum 34 3
VOLL DAS LEBEN 3 „Ruhe jetzt!“ Irgendwas ist immer! Ständig wil Und dann noch die allgegenwärt l irgendwer etwas von uns. ige Lärmverschmutzung um , wie sie abschalten. uns herum. Drei Menschen zeigen VON MICHAEL BÖNTE DIE SIEBEN KILOMETER MIT DEM FAHRRAD von der Arbeit nach Haus sind wichtig, sagt Irina Thieme. Dann kann die Erzieherin die Ge- räuschkulisse aus dem Kindergar- ten hinter sich lassen. „Lebhafte und laute Kinder sind schön, aber UNRUHE IST ALLTAG bei Anästhesie-Pflegerin Sandra Ruhnau „MEINE RUHE IST Der Piepser, das Telefon, die Wege über die Flure KEINE STILLE“, im St. Marien-Hospital in Lüdinghausen. „Ich gehe sagt Allessandro Sardoux Santos. sofort von 0 auf 100, muss ständig damit rech- nen, dass es Notfälle oder Komplikationen gibt.“ Nach einem Arbeitstag im Garten- und Der Stress ist ebenso schnell vergessen, wenn sie Landschaftsbau setzt er oft den Gehör- Feierabend hat. Mit dem Kaffee auf dem heimi schutz ab und die Kopfhörer auf: Musik, schen Sofa, bei Spaziergängen am Kanal oder auf nicht laut, meist Klänge aus seiner Radtouren. Den Jakobsweg ist sie auch schon Heimat Brasilien. Und dann joggt er los einmal gegangen. Es bleibt eine andere Rastlosig- – fast immer zehn Kilometer um den keit, sagt sie: „Ich nehme das Leben der Patienten münsterschen Aasee, manchmal auch mit in mein Leben.“ All die Ängste und Sorgen. „Ich mehr. „Da kann ich abschalten, den will ihnen nahe sein – dafür liebe ich meinen Job.“ Kopf frei kriegen.“ Das ist seine Ruhe: Die Nähe schafft Emotionen, die sie antreiben. keine lautlose Stille, aber ein beruhi- Zur Ruhe kommt sie, wenn sie mit Freunden und gender Rhythmus. Arbeitskollegen darüber sprechen kann. „Sie haben Verständnis, können vieles nachvollziehen.“ 4
anstrengend.“ Ausgleich findet sie auch beim Spaziergang mit dem Hund durch den Wald. Und im Ur- laub: „Dann wähle ich Orte, an de- nen nicht viele Kinder sind.“ Das hat vor allem etwas mit innerer Ruhe zu tun. „Wenn ich ein Kind weinen höre, werde ich unruhig und möchte ihm helfen.“ DER HERZ-EXPERTE AU G U ST I NU S VON MARKUS NOLTE Was macht mein Leben rund? Was macht mich glücklich? Was gibt mir Sinn? Familie ganz bestimmt, die Liebe des Lebens, Freundinnen und Freunde auf jeden Fall. Geld auch? Erfolg? Aussehen? Einer, der viel von alldem hatte, trotzdem lange Zeit unzufrieden war und dessen Lebenslauf alles andere als gerade verlief – ausgerechnet der hat im Christen- tum den Ruf, ein Experte in Sehnsuchts-Erfüllung zu sein. Er heißt Augustinus, lebte im vierten Jahrhundert, unter an- derem in Mailand. Er hatte so ziemlich alles gelesen, was es von den klassischen Philosophen über den Sinn des Lebens zu lesen gab. Dann hörte er die Predigten eines Bischofs namens Ambrosius. Und Augustinus ging auf, dass es für die Erfüllung aller Sehnsucht in der Menschenseele einen Namen gibt: Gott. Er ließ sich taufen, wurde sogar Bischof und gilt als einer der wichtigsten Lehrer des Christentums. Sein bekanntester Satz (den er oben im Foto auf Latein in der Hand hält): „Herr, auf dich hin sind wir geschaffen. Und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“ 5
LEBENSWEISHEIT Traumlandschaft Irgendwann packt sie jeden: die Sehnsucht nach dem einen Ort, an dem wir Wurzeln schlagen, wo wir zuhause sind. Vielleicht malen wir uns ein solches Ziel zu traumhaft. Immer muss die S onne scheinen, immer muss alles blühen, alles außerordentlich und perfekt sein. Doch so ist das Leben nicht. Auf einmal geschieht es, frühmorgens an einem nebelumwaberten Feldweg. Auf einmal ist alles klar: Es ist alles da. Es ist alles gut. In diesem Augenblick fehlt nichts mehr. Angekommen. Wie schön. 6
LEBENSLUST Lena-Marie Niemann und Christoph Fortmann Farmers Flirt Partnersuche auf dem Land hat meist wenig zu tun mit RTL-Romantik à la „Bauer sucht Frau“. Sondern mit Erwartungen, Sehnsüchten und manchmal mit der ganz großen Liebe – genauso wie in der Stadt. VON MICHAEL ROTTMANN A uf dem Erntedankfest hat es dann gefunkt. goldenen Feldern, und der Vater des Jung-Landwirts Lena-Marie Niemann lächelt. „Wir kannten uns brummt mit einem Aufsitzmäher ums Haus. Einen Enkel vom Sehen. Ich bin mit Christophs Schwester hat er dabei auf dem Schoß. Idylle pur. zur Schule gegangen.“ Viel Kontakt hatten die beiden da noch nicht. „Guten Tag, guten Weg“ – das war‘s. Fragend Christoph Fortmann lächelt zufrieden. „Hier kann man es schaut sie den jungen Mann an. „Es war doch beim Ern- gut aushalten und dem Getreide beim Wachsen zusehen.“ tedankfest der Landjugend, oder?“ Christoph Fortmann Das gehört zu seinem Traum von der Zukunft. Der eigene nickt lächelnd. „Stimmt.“ Hof, eine Frau und irgendwann mal Kinder. Die zwei ha- ben sich gefunden. Die Zukunft kann kommen. Mittlerweile sind sie ein Paar: der 28-jährige Landwirt Glück gehabt, oder? Ist die Sache mit der Partnersuche aus der zum oldenburgischen Lohne gehörenden Bau- für Landwirte eigentlich schwerer als für andere? Nein erschaft Brockdorf und die 23-Jährige, die aus Bokern – so antwortete vor zwei Jahren die Mehrheit (64 Pro- stammt, einem anderen Lohner Ortsteil, und Landwirt- zent) der Teilnehmer einer Umfrage des Internet-Por- schaft studiert. Verliebt auf dem Erntedankfest – ein tals „agrarheute“. Etwas mehr als ein Drittel allerdings Klischee? Stimmt! Aber so war es eben bei den beiden, bestätigte, was auch die Flirt-Trainerin Annett Gaida im die auf der Terrasse des Fortmann-Hofes sitzen. Spatzen Interview mit dem Branchenblatt „top agrar“ als eines schauen kurz vorbei, die Sonne steht über den gelb- der Handicaps von Landwirten bei der Partnersuche 8
„ In Städten gibt es doch auch viele Menschen, die vergeblich nach einer Beziehung suchen. benennt: „Sie sind räumlich und zeitlich stark gebunden der Nähe von Dinklage. Die 32-Jährige führt ihren Betrieb und dadurch weniger mobil.“ gemeinsam mit den Eltern, einem Auszubildenden und einem Angestellten. Bullenmast, Sauenhaltung und Fer- Christoph Fortmann weiß, was sie meint. Sein Hof mit kelaufzucht im so genannten geschlossenen System. Sie 4000 Schweine- und 270 Bullenmastplätzen fordert ihn ärgert sich, wenn Landwirte pauschal abgestempelt und von früh (und manchmal auch) bis ziemlich spät. Urlaub zum Beispiel als rückständig dargestellt werden. „Dabei muss gut geplant werden. „Das muss eine Partnerin oder sind Landwirtinnen und Landwirte selbstständige und ein Partner wissen, der oder die auf einen Hof zieht.“ großartige Menschen, die mit ihren Ideen ihre Höfe wei- terentwickeln wollen, damit die nachfolgende Generation Der Tag zwischen Ställen, Weiden, Feldern und Büro ist sie weiter bewirtschaften kann.“ eben manchmal randvoll. Normalerweise steht Chris toph Fortmann um halb sieben auf. Ein Kaffee vorweg, Laptops und elektronisch gesteuerte Ställe gehören kurz mit dem Vater und dem Lehrling schnacken und im schon lange zum Standard. Für manche auch die Partner- Bullenstall übrig gebliebenes Futter auf die Buchten der suche per Internet. Schützen- oder Landjugendfeste sind Tiere verteilen. So beginnt der Tag. Um neun Uhr Früh- zwar immer noch Hotspots zum Anbandeln, jeder siebte stück, um halb eins Mittag. Feierabend ist immer unter- Single-Landwirt nutzt laut der „agrarheute“-Umfrage schiedlich. In den Hoch-Zeiten, etwa während Saat oder dafür aber auch soziale Netzwerke oder Internetportale. Ernte, wird es auch schon mal 23 Uhr. Durchaus erfolgreich. „Ich habe gestern noch einen Kol- legen getroffen, der seine Freundin auf Tinder kennenge- „Selbstständig heißt eben auch ,selbst‘ und ,ständig‘“, lernt hat“, sagt Christoph Fortmann. „Die sind schon eine meint der Junglandwirt achselzuckend. Und immer ganze Zeit lang zusammen.“ bleibt der Job auch ein Wagnis, abhängig vom Wetter, der Marktsituation, guten und schlechten Jahren. Sich Vorurteile und Klischees – dazu zählt auch der Scherz als Paar auf diese Unsicherheit einzulassen – auch dazu mit den karierten Hemden, die Landwirte angeblich be- muss eine Partnerin oder ein Partner bereit sein. vorzugen. An den Karos, so heißt es, lasse sich bei Schüt- Harte Wirklichkeit statt niedlicher Klatsch- mohn- und Kornblumenidylle. Dazu zählt auch jede Menge Schreibtischarbeit. Das habe nur wenig zu tun mit dem, was zum Beispiel bei der RTL-Kuppel-Show „Bauer sucht Frau“ vermittelt werde, sagt Christoph Fortmann. „Manche Stellen der Sendung sind kompletter Blödsinn“, sagt er. „Da werden Landwirte mit hundert Hühnern gezeigt und das sollen Vollerwerbsbetriebe sein. Davon kann doch kein Landwirt existieren. So ein Quatsch!“ Das zeige ein falsches Bild von dem, was auf Höfen heute geleistet werde. „Wir Landwirte wollen nicht in eine Schubla- de gesteckt werden und auch keine Klischees bedienen“, betont auch Stephanie Barlage aus Julius große Macke
LEBENSLUST zen- oder Landjugendfesten die Hektarzahl eines Hofes ablesen. Nach dem Motto: je kleiner die Karos, desto größer der Hof. Damit interessierte Damen und Herren schon mal wissen, woauf sie sich einlassen. Auch so ein Klischee. Denn Hektarzahl und Trecker-PS sind auch bei der Partnersuche eher zweitrangig. Auch das hat eine „top agrar“-Leser-Umfrage unter 600 Sing- les ergeben. Ihnen kommt es eher an auf Eigenschaften wie Ausstrahlung, Intelligenz, Aufgeschlossenheit, Um- gangsformen und Familiensinn. Dagegen spielen Her- kunft vom Hof oder gute Mitgift für mehr als 80 Prozent Stephanie Barlage überhaupt keine Rolle. Falsche Vorstellungen. Dass sie für viele Menschen das Bild der Landwirtschaft prägen, das sieht auch Julius Für Julius große Macke ist der Beruf Berufung. Mit große Macke so. Der 28-Jährige bewirtschaftet einen leuchtenden Augen kann er von den besonderen Mo- Legehennen-Betrieb in der Bauerschaft Addrup in der menten erzählen, wenn er frühmorgens über die Fel Gemeinde Essen bei Cloppenburg. Bis vor kurzem war der zu seinen Tieren geht. Aber auch er weiß um seine er zudem Landesvorsitzender der Katholischen Land besondere Verantwortung für Tiere und Betrieb. „Da jugendbewegung (KLJB) im Oldenburger Land. ist man dann zum Beispiel während der Ernte mit dem Kopf auch mal ganz woanders.“ Aber es sei ja nicht stän- Auch er warnt vor Klischees und Verallgemeinerungen. dig Erntezeit. „Und wenn man mal für ein Wochenende „Es gibt nicht die Landwirte“, betont er. Und viele aus gemeinsam wegfahren will, dann geht das meistens der neuen Generation führten ihre Betriebe anders auch.“ als früher: „Sie haben zum Beispiel gelernt, alles so zu organisieren, dass auch Urlaub möglich ist. Darauf legen Christoph Fortmann etwa findet regelmäßig die Zeit, die jungen, top ausgebildeten Leute Wert.“ Die meisten seine Freundin im Studium in Rostock zu besuchen. hätten deshalb auch keine Probleme bei der Partner- „Problem ist nur das Spontane“, sagt er. „Es muss gut suche, jedenfalls nicht mehr als Menschen aus anderen geplant werden. Aber dann lässt sich alles regeln.“ Und Berufen. Julius große Macke hat in Göttingen studiert. Er in den Wochen vor der Ernte ist er auch schon mal am sagt: „In den Städten gibt es doch auch viele Menschen, frühen Nachmittag mit seinem Tagwerk durch und kann die vergeblich nach einer Beziehung suchen.“ mit seiner Freundin zum Baden an einen See fahren. Spezielle Flirt-Nachhilfe bräuchten Landwirte jedenfalls Er ist froh, dass zum Hof auch ein Nebengebäude ge- nicht, ist sich auch Sandra Kramer sicher. „Es ist einfach hört, in dem er jetzt wohnt. „Ein eigener Bereich“, sagt eine Typfrage“, sagt sie. „Introvertierte Menschen und er, „damit man nicht zusammen mit den Schwiegereltern Eigenbrötler gibt es in der Stadt genauso wie auf dem in ein und derselben Küche miteinander wurschtelt.“ Dorf.“ Die 30-Jährige lebt mit ihrer Familie in Benstrup Rückzugsmöglichkeiten seien wichtig, unterstreicht auch in der Nähe von Cloppenburg. Sie wohnt gerne auf dem Julius große Macke. Zusammenarbeiten mit den Eltern, Land, schwärmt vom Zusammenhalt der Menschen, der ja. „Aber nicht als Paar noch abends mit Mama und Papa Weite, der Natur, den Spielmöglichkeiten für die Kinder. vor dem Fernseher sitzen. Das passt einfach nicht.“ „Ich bin überzeugt, dass es Landwirte bei der Part- Auch Christoph Fortmann hat sich keine Frau „für den nersuche nicht schwerer haben als andere“, sagt auch Hof“ gesucht. Seine Freundin studiert zwar Landwirt- Landwirt Christoph Fröhle (31) aus der Lastruper schaft, hat aber nicht im Sinn, später Bäuerin zu werden. Bauerschaft Hammel. Auch deshalb, weil junge Frauen „Das ist nicht mein Plan“, sagt sie selbstbewusst. „Auch, mit dem Umzug auf einen Hof nicht mehr automatisch um ein Einkommen neben den Erträgen vom Hof zu selbst auch Bäuerin werden müssten. „Das war vielleicht haben.“ Christoph Fortmann findet das gut. „Weil dann früher mal so.“ Seine Freundin ist Lehrerin. Und das soll die Gespräche nicht zu eintönig werden, wenn sie sich auch so bleiben. immer nur um Tiere, Acker und Futter drehen.“ 10
LANDWIRTSCHAFT ist nicht Bullerbü Was macht die Suche nach einem Partner für Landwirte manchmal kompliziert? Woran liegt das? Was kann helfen? Fragen an Constanze Brinkmann, Geschäftsführerin des Landwirtschaftlichen Sorgentelefons und der Ländlichen Familienberatung in Oesede. Frau Brinkmann, was macht die Partnersuche für Und was ist mit den Schwiegereltern? Landwirte und Landwirtinnen manchmal kompliziert? Sie bringen sich ja meist mit ihrer Arbeit noch stark Es kann an den besonderen Lebensumständen liegen. ein und haben oft ein Wörtchen mitzureden. Gerade Arbeiten und Privates sind eng verknüpft, und meistens zwischen Hofnachfolger und Schwiegermutter kann es leben und arbeiten mehrere Generationen zusammen eine starke Verbindung geben. Kommt eine junge Frau auf dem Betrieb. Eine Partnerin oder ein Partner müs- auf den Hof, steht der Sohn manchmal „zwischen den sen sich daher nicht nur auf einen Menschen einlassen, Stühlen“. Zudem hat der Hof oft eine große emotionale sondern auf die anderen Familienmitglieder auf dem Bedeutung für die Familienmitglieder. Er ist Lebens Hof gleich mit. mittelpunkt für alle Generationen. Auch Geschwister, die längst schon ausgezogen sind, fühlen sich noch wie Welche Rolle spielen falsche Vorstellungen? zu Hause. Das alles nachzuempfinden, fällt den hin- In der Presse entsteht, meiner Meinung nach, ein zukommenden Partnern manchmal schwer, wenn sie klischeehaftes Bild vom Bauern, der keine Frau findet. anders aufgewachsen sind. Dazu kommt: Landwirtschaft ist nicht „Bullerbü“, son- dern in erster Linie viel Arbeit rund um die Uhr. Insofern Wie kann es trotzdem gutgehen, wenn eine Sekretärin hat das Arbeitsleben des Partners einen großen Ein- aus der Großstadt einen Rindermäster vom Dorf heira- fluss auf das Privatleben. Landwirtinnen und Landwirte tet? Was raten Sie jungen Paaren? identifizieren sich stark mit ihrem Beruf und wünschen Wir geben grundsätzlich keine Ratschläge. Jede Familie sich Toleranz und Wertschätzung. Die auch der neuen muss ihren eigenen gemeinsamen Weg erarbeiten. Da Partnerin oder dem neuen Partner entgegenzubringen, gibt es kein Patentrezept. Wichtig ist ein ehrlicher Aus- ist ein wichtiger erster Schritt. Aber das hat eigentlich tausch über unterschiedliche Ansichten, Wünsche und gar nichts mit der Landwirtschaft zu tun, sondern das Vorstellungen. Möchte die Frau auf dem Hof miteinstei- sind menschliche Qualitäten, die beim Auf bau von Be- gen oder möchte sie ihren Beruf weiter ausüben? Klare ziehungen eine Rolle spielen. Absprachen helfen beim Zusammenleben. Und eine klare Positionierung des Hofnachfolgers zwischen der Her- Wer einen Bauern heiratet, heiratet Hof und Tiere – kunftsfamilie und der eigenen Familie. Getrennte Wohn- stimmt das? bereiche haben sich auf vielen Höfen als richtig erwiesen. Ja, da ist schon etwas dran. Jeder Landwirt, der seinen Hof mit Leib und Seele betreibt, übernimmt Verant- www.sorgentelefon-landwirtschaft.de wortung für die Tiere. Daran hat auch der technische Fortschritt nichts geändert. Wenn es Probleme im Stall gibt, muss alles andere liegen bleiben. Da muss dann die Einladung zum Geburtstag ausfallen, weil vielleicht ge- rade eine Kuh kalbt oder die Lüftungsanlage im Schwei- nestall streikt. 11
LEBENSBILDER Erfüllte VON MICHAEL BÖNTE, MARKUS NOLTE UND Endlich Bauer! Der eigen Elmar Wecks (56) +++ kaufte 1993 mit seiner Frau ei- nen Kotten in der Bauerschaft Sellen bei Steinfurt +++ sein Lebensweg ist durch drei „B“ gekennzeichnet: vom Bau zur Bank zum Bauernhof+++ Der studierte Archi- Helga Streffing (64) aus tekt arbeitete zuvor bei der Erschließungsgesellschaft Rheine +++ Machte vor für Bauland eines Geldinstituts +++ Beschloss, seine zwölf Jahren ein Sabbat- Freude an artgerechter Haltung landwirtschaftlicher jahr +++ Nutzt die Zeit, Nutztierrassen in die Tat umzusetzen +++ Sagt: „Mein um ihre geheime Sehn- gesamter Lebensweg ist nicht konform.“ +++ Anfangs sucht Wirklichkeit wer- wurde er zuweilen über seinen Entschluss belächelt den zu lassen: einmal und bemitleidet +++ war schon vor 30 Jahren über- einen Krimi schreiben zeugt von der Öko-Bewegung +++ Seine ersten fünf – nur für sich +++ Inzwi- Schafe kaufte er 1996 für insgesamt 100 DM +++ hatte schen hat sie sechs Bü- bald mehr als einen Meter Literatur über Schafhaltung cher veröffentlicht, das im Regal +++ züchtet und verwertet Moorschnucken, siebte kommt jetzt pas- eine vom Aussterben bedrohte Schafrasse +++ Seine send zu Weihnachten: Antwort auf die Frage, wie viele Schafe er zurzeit hat: „Tod im Nachbarhaus“ „Frage ich Sie nach Ihrem Kontostand?“ +++ hält auch +++ Alle Krimis spielen Hochlandrinder und Wollschweine +++ bezeichnet sei- im Müns terland, Schul- ne Lebenswende als „Glück“ oder „Schicksal“ +++ Seine psychologin Hannah Erkenntnis: „Irgendwann ist man Rentner, dann geht so etwas nicht mehr“ +++ 12
Sehnsucht ANNETTE SAAL Einmal ins Heilige Land! ne Krimi! Gertrud Loebke (73) aus Senden +++ Pilgerfahrt nach Rom und den Jakobsweg nach Santiago de Com- Schmielink ermittelt auf postela hatte sie schon lange hinter sich +++ Aber eigene Faust, Blut fließt sie hatte noch einen Traum: Israel +++ „Da musste in den Büchern nie +++ ich einfach hin“, weil sie das Land der Bibel erleben „Es macht mir riesigen wollte +++ 2014 und 2016 war sie dort +++ See Gene- Spaß, mir Figuren auszu- zareth, Bethlehem, Jerusalem +++ ein sinnliches Er- denken, Wendungen und lebnis +++ „Ich konnte sehen, hören und schmecken, Irrwege, auf die ich die wie das vor 2000 Jahren war“ +++ Die Highlights der Leser führen will“ +++ Die Reise spielten aber nicht in der Vergangenheit +++ besten Ideen kommen Sondern heute: Besuch des Caritas-Baby-Hospitals in ihr morgens zwischen Bethlehem +++ Und: Tanzen mit israelischen Solda- vier und fünf +++ Sie liebt ten vor der Klagemauer +++ „Das war purer Frieden“ es, für Lesungen durchs +++ Kreuz aus Olivenholz erinnert sie jeden Tag an Münsterland zu reisen das Erlebte +++ Wochen im Heiligen Land haben bis +++ Seit Kurzem ist sie heute Spuren hinterlassen, „sie waren intensiver für im Ruhestand, eine Idee meinen Glauben als jeder andere Impuls“ +++ für einen neuen Krimi hat sie schon ... 13
LEBENSGESTALTUNG Kind müsste man nochmal sein ... INTERVIEW: ANNETTE SAAL Frau Sicking-Schürmann, manche Menschen blicken als Erwachsene voller Sehnsucht auf ihre Kindheit zurück. Neigt der Mensch zum Idealisieren? Ich glaube, dass es sogar eine gute Eigenschaft ist, im Nachhinein etwas zu idealisieren. Es kann eine wichtige Ressource sein. Natür- lich gibt es aber auch Menschen, die in ihrer Kindheit Schlimmes erlebt haben. Die werden das ganz bestimmt nicht verklärt sehen. Kann aber bei denjenigen, die eine gute Kindheit hatten, der Gedanke daran helfen, schwierige Situationen auszuhalten? Auf jeden Fall! Sehnsucht hat ja immer etwas mit Bedürfnissen zu tun. Wie bei traumatisierten Menschen durch bestimmte Auslöser schlechte Gefühle hervorgerufen werden können, kann die Erin- nerung an schöne Situationen und an liebevolle Begegnungen auch das gute Gefühl von damals wieder wachrufen. Ist Sehnsucht für Sie generell mit etwas Unerreichbarem verbunden? Nein, überhaupt nicht. Sehnsucht ist auch nichts Schlimmes, das man vermeiden muss, sondern eine Ressource. Übrigens empfinden Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, keine Sehnsucht. Sehnsucht bringt eine bunte Farbe ins Leben, während die Depres- sion eher grau ist. Was verstehen Sie überhaupt unter Sehnsucht? Ich habe ein Zitat gefunden, das finde ich wunderschön. Sinnge- mäß lautet es: „Sehnsucht ist die Brücke zwischen Realität und Möglichkeit.“ Wie deuten Sie das? Wenn ich merke, dass ich mich nach etwas sehne, schaue ich auf mein Leben, wie es jetzt ist. Die Sehnsucht sagt mir, dass da auch etwas Ungelebtes ist, dass etwas fehlt, dass ich etwas brauche. Wenn ich dieser Sehnsucht nachgehe, komme ich vielleicht auch darauf, was es ist. Möglicherweise brauche ich mehr Lebensfreude, mehr Intensität in der Partnerschaft - oder es ist die Sehnsucht, endlich ein Kind zu haben. Wenn man sich mit der Sehnsucht aus- einandersetzt, öffnen sich Möglichkeiten. Sehnsucht strebt nach Realisierung. Das ist nicht nur etwas Nostalgisches, das in der Ver- gangenheit verankert ist, sondern es will umgesetzt werden. Christa Sicking-Schürmann ist Diplom-Psychologin Wie kann man sich Kindliches bewahren, ohne naiv zu wirken? sowie Ehe-, Familien- Ich glaube, man muss sich etwas Kindliches bewahren, um sich dem und Lebensberaterin bei der Leben stellen zu können. In der Lebensberatung arbeiten wir ja viel katholischen Kirche in Ahaus. mit dem Bild des inneren Kindes. Das innere Kind will gelebt wer- 14
den. Es schreit danach, dass ich intensive Erfahrungen Mutter. Und wenn wir gute Erfahrungen gemacht haben mache, dass ich mal den Alltag und seine Normen durch- – wenn wir uns gesehen, geliebt und bedingungslos an- breche, dass ich auch mit intensivem Gefühl reagieren genommen fühlen –, dann wird das auch unser Gottes- darf. Wenn es kindliche Sehnsucht nicht gäbe – wer bild prägen und uns eher befähigen, uns in Notlagen an würde denn dann tanzen gehen? Gott Vater oder auch die Gottesmutter zu wenden. Was sind die Fundamente aus der Kindheit, die uns im Worauf sollten Eltern achten, die ihrem Kind tragfähige späteren Leben widerstandsfähig machen? Fundamente fürs Leben mitgeben wollen? Eigentlich ist es dieser paradiesische Zustand, die Sym- Bei uns Menschen liegen zwei Bedürfnisse auf dem biose mit der Mutter – sowohl während der Schwanger- gleichen Strang: das Bedürfnis nach Bindung und das schaft als auch in der ersten Zeit nach der Geburt. Dann Bedürfnis nach Autonomie. Das bedeutet, sowohl den ist ein Kind ja absolut auf die stillende Mutter oder den sicheren Hafen zu haben als auch etwas ausprobieren zu versorgenden Vater angewiesen. Es erlebt, dass seine dürfen. Eltern, die entsprechend sensibel sind, spüren, fundamentalen Bedürfnisse befriedigt werden – nach ob das Kind jetzt das eine braucht oder das andere. Nahrung, Nähe, Berührung, Sicherheit, Liebe und Ge- borgenheit. Wichtig ist aber auch das Bedürfnis, aus sich Wie kann man mit unerfüllten Sehnsüchten umgehen? herauszuwachsen – etwas ausprobieren zu dürfen. Manche Frauen und Männer haben eine große Sehn- sucht danach, Kinder zu haben. Diese tiefe Sehnsucht Kann der von Ihnen angesprochene paradiesische Zustand kann ganz fest im Lebenskonzept verankert sein. Wenn des Vertrauens und der Geborgenheit auch eine gute sie merken: das geht nicht mehr, ist es wichtig, darum zu Grundlage für einen lebendigen, tragenden Glauben sein? trauern. Ja, auf jeden Fall! Ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass wir von Gott Vater und der Mutter Gottes sprechen. Würden Sie in solchen Fällen sogar dazu ermuntern? Unsere Sehnsucht nach Transzendenz und Spiritualität Unbedingt! Um möglicherweise zu schauen, wie man die verbinden wir mit unseren Erfahrungen von Vater und unerfüllte Sehnsucht nutzen kann. 5 MOMENTE in denen die Schätze der Kindheit lebendig werden von Christa Sicking-Schürmann GERÜCHE sind besonders effektiv. Denken Sie nur ich Pfannekuchen – natürlich wende ich sie mit an Zimt und Nelken – schon sind Sie in der Weih- Mutters Pfannendeckel. Oder das Glöckchen, das nachtsbäckerei. Sie sehen Ihre Mutter mit der gro- das Christkind benutzte, wenn es die Geschenke ßen Schürze vor sich, sich selbst als Kind Plätzchen gebracht hatte: wenn der zarte Klang einer solchen formen mit roten Wangen und die Rührschüssel Glocke ertönt, dann ist wieder Weihnachten als auslecken. Heimeligkeit pur. Oder der nasse Badean- Kind: Aufregung, Vorfreude, Staunen, pures Glück zug, den Sie vergessen haben aufzuhängen: Sommer, Freundinnen, Freiheit im Freibad oder am See. KNARZENDE KUNSTLEDERSITZE – wie in Vaters Auto. Im Sommer klebten die nackten Beine an den BESTIMMTE GERÄUSCHE: gackernde Hühner. Die warmen Sitzen. Ein Geheimnis mit Papi teilen: er gab es bei Opa und Oma im Garten oder auf dem Hof. sagt, er fährt tanken, ich darf mit, er kauft mir ein ge- Abenteuer, das durch fürsorgliche Großeltern gesi- heimes Eis in der Tankstelle. Geteilte Geheimnisse chert wurde. In den Hühnerstall gehen und selbst machen eine besondere Beziehungsqualität. An die nach Eiern suchen. Der Stolz, sich das zu trauen und werde ich erinnert, wenn ich auf Kunstleder sitze. tatsächlich welche gefunden zu haben. BLUMEN UND PFLANZEN. Wir hatten Löwenmäul- BESTIMMTE GEGENSTÄNDE: Mutters Pfannen- chen im Garten. Und riesigen Spaß daran, die Blüten deckel, hässlich und angegriffen. Den sie schon von zusammenzuquetschen – sah tatsächlich aus wie ihrer Mutter bekommen hat, immer beim Pfanneku- das Maul eines gefährlichen Tieres. Und ich war der chenbacken benutzt hat. Ein Pfannekuchen kann Löwenbändiger. Wenn ich Mut brauche, gehe ich in besser trösten als Schokolade. Und ich habe ihn meinen Garten, in dem es natürlich Löwenmäulchen von Mutter geerbt. Wenn ich Trost brauche, backe gibt. (Strategie klappt leider nur im Sommer.) 15
LEBENSWEG STUMMER SCHREI NACH MUTTERLIEBE VON MICHAEL BÖNTE Rainer Wrage war bereits 23, als er erfuhr, dass er ein Adoptivkind ist. Von seinen Wurzeln in Haltern am See hatte der Hamburger bis dahin nichts gewusst. Aber geahnt hatte er etwas – vage, unkonkret, quälend. Plötzlich machte vieles Sinn, aber auch wütend und traurig. 16
V om Elbstrand geht es die Auffahrt Erzählt von seinem guten Gedächtnis, das ihm hinauf zur prachtvollen Villa. Große erlaubte, ohne Computer kleinste Passagen aus Terrassen ermöglichen einen unver- alten Verträgen im Archiv zu orten. Von seiner bauten Blick auf die vorbeifahrenden Schiffe. kommunikativen, offenen und ehrlichen Art, die Der weitläufige Garten zieht sich hinunter bis ihm viele wichtige Kontakte brachte. Von seinem zum Fluss. Auch der angrenzende Mischwald guten Bauchgefühl für Wahrheit und Lüge. gehört zum Anwesen. Wer hier am Falkenauer Ufer im Hamburger Stadtteil Blankenese wohnt, Auf der anderen Seite war da von Anfang an ein hat etwas gemacht aus seinem Leben. Mit dem Gefühl der Unsicherheit. Eines, das ihn als Kind scheint es das Schicksal gut gemeint zu haben. schon nachdenklich und traurig machte. Das Der dürfte nicht zweifeln, ob sein Weg die rich- sich damals bereits in Fragen an seine Adoptiv- tigen Wendungen genommen hat. eltern Bahn brach, etwa warum sie eine andere Haarfarbe hatten als er. Das ihn nicht selten „Ich würde auf all das verzichten, wenn die stundenlang traurig in den Himmel schauen ließ. Dinge anders gelaufen wären.“ Rainer Wrage hat Ohne zu wissen, warum. „Mein Leben fühlte sich sich im Sessel vor dem Panoramafenster zurück- in vielen Momenten unecht an.“ gelehnt. Ein Containerschiff zieht vorüber und lässt das Gefühl der großen weiten Welt zurück. Der Tag, ab dem all das eine Erklärung finden Die Worte des 74-Jährigen zielen auf ein ent- sollte, kam abrupt und zufällig, im Bezirksamt scheidendes Ereignis in seinem Leben. Er war 23 in Eppendorf. Er brauchte ein Visum für Argen- Jahre, als er erfuhr, dass er ein Adoptivkind ist. tinien. „Wissen Sie, dass Sie adoptiert sind?“, „Alles, was vorher geschehen war, wurde damit fragte der Beamte. „Ja“, log Wrage. „Vor dem Amt auf den Prüfstand gestellt.“ sackten mir die Beine weg, ich ließ mich auf eine Bank fallen.“ Alles. Das waren Kindheit und Jugend mit seinen liebevollen Adoptiveltern, die alles taten, um Es war die Information, die ihm vieles erklären, ihren Sohn glücklich zu machen. Das waren die aber auch vieles in Frage stellen sollte. Seinen vielen Dinge, die er von ihnen mit auf den Weg Adoptiveltern stellte er die für ihn wichtigste bekam. Das waren Ehrgeiz, Disziplin und Ge- Frage noch am selben Tag: „Warum habt ihr mir schäftssinn, die er von ihnen lernte. Und damit nichts gesagt?“ Es habe nie den richtigen Zeit- war es auch der berufliche Erfolg, der ihn als punkt gegeben, sagten sie. Es dauerte lange, bis Banker zunächst nach Argentinien führte und er ihnen diese Antwort verzieh. Erst nach Jahren ihm später die Tür in den Vorstand einer großen nahm er wieder Kontakt auf. internationalen Bank öffnete. „Meine Adoptiveltern waren gute Lügner“, sagt Rainer Wrage hatte sich nach einer „chaotischen Wrage. Denn seinen diffusen Verdacht hatte er Schulzeit mit schlechten Noten“ über eine zuvor immer wieder geäußert. „Warum bin ich Banklehre in diese Position hochgearbeitet. Sein erst mit vier Jahren getauft worden?“, fragte er Wohlstand ist hausgemacht. „Das alles ist ma- als Jugendlicher einmal. „Weil deine Patentante teriell – es kommt und geht“, sagt er dazu. „Ich aus Berlin nicht früher anreisen konnte“, sagten würde es hergeben, wenn ich die schweren Ka- die Eltern. Die Wahrheit aber war eine andere. pitel meiner Geschichte dafür streichen könnte.“ Direkt nach der Geburt war er in eine Pflege Dann aber hält er inne. „Oder doch nicht“, sagt familie gekommen, erst vier Jahre später adop- Wrage bitter. „Steine können wenigstens nicht tiert worden. lügen oder einfach weglaufen.“ Sein Grundgefühl in all den Jahren beschreibt er Wieder geht sein Blick hinüber zum Fluss. Dieses im Rückblick so: „Ich hatte es bei meinen Adop- Mal zur Elbinsel auf der anderen Seite, auf die tiveltern wirklich gut, war aber irgendwie verun- er als Kind mit dem Boot zum Baden fuhr. Seine sichert.“ Als Heranwachsender hatte er nicht die Unentschiedenheit ist oft herauszuhören, wenn Möglichkeit, den Gründen dafür nachzugehen. er über seinen Weg spricht. Auf der einen Seite Um damit fertig zu werden, entwickelte er eine beschreibt er das „große Glück“, das er hatte. Strategie. „Ich habe immer freundlich gelächelt, 17
„ Es war mein ständiger Schrei nach Liebe, nach dem Gefühl, bedingungslos angenommen zu sein. Rainer Wrage als Kind mit seinen Adoptiveltern. wollte Liebkind von allen sein.“ Heute kann er das einord- nen. „Es war mein ständiger Schrei nach Liebe, nach dem Gefühl, bedingungslos angenommen zu sein.“ Nach dem Urvertrauen in eine Mutterliebe. bekannt vorkamen. „Sie trank Cappuccino“, weiß er heute Als er bewusst mit der Aufarbeitung dieses Gefühls noch, 20 Jahre danach. „Und trug eine Seidenbluse mit begann, waren etwa 25 Jahre vergangen, seitdem er vor kurzen Ärmeln.“ Ihr Gesicht sei ihm vertraut vorgekom- dem Amt in Eppendorf auf die Bank gesackt war. Er rang men. Und noch etwas: „Sie riecht gut“, erzählte er damals sich zum Schritt durch, Kontakt mit seiner leiblichen seiner Lebensgefährtin. „Es war dieser Geruch, den ich Mutter aufzunehmen. Die Sehnsucht war zu groß ge- bei meiner Adoptivmutter vermisst hatte.“ worden. Nur mit einem Trick gelangte er an ihre Adresse. „Ich besaß lediglich den Nachnamen und ihren Geburts- Viele Besuche folgten. In Haltern, im Seniorenheim in ort Haltern am See.“ Er gab vor, ein Konto auflösen zu Münster, im Pflegeheim. Wie wichtig diese intensive Zeit wollen und schrieb an das Einwohnermeldeamt. „Eine war, wurde bald deutlich. Seine Mutter erkrankte an Woche später stand ich vor ihrem Haus in Haltern.“ Alzheimer und verlor nach und nach die Erinnerungen, die für ihn so wichtig waren. Bei ihrer Beerdigung erlebte Stundenlang saß er damals mit ihr im Eiscafé, stellte eine Wrage noch einmal einen intensiven Moment. Sein Stief- Frage nach der anderen. Und bekam viele Antworten. Sie bruder hatte den Blumenschmuck besorgt. Auf einem war damals mit ihm schwanger geworden, ohne verheira- Gebinde stand „In Liebe, dein Sohn Rainer“. Unmissver- tet zu sein. Sie galt als „gefallenes Mädchen“ und musste ständlich. ihren Sohn abgeben. Der leibliche Vater heiratete eine andere Frau und starb früh bei einem Autounfall. Wrage Denn diese Liebe überragt alles. Alle Vorwürfe, alle Zwei- erfuhr auch, dass er einen Halbbruder und eine Halb- fel und allen Schmerz, der mit der Aufarbeitung verbun- schwester hat. Vom ersten Treffen blieben aber vor allem den ist. „Sie hat mir das Leben geschenkt, obwohl sie andere Dinge hängen. Er hatte seine Mutter bis in Details damit in große Schwierigkeiten kam“, sagt Wrage. „Und beobachtet. Hatte auf ihre Gestik und Mimik geachtet. dafür liebe ich sie.“ Zu einem wirklichen Vorwurf hat er Hatte nach Dingen gesucht, die ihm sich bis heute nicht durchringen können. „Du dumme Kuh, warum hast du mich weggegeben“, könnte er sagen. „Wie irgendeine Ware.“ Viel- Rainer Wrage: Nuckeldecke leicht wären solche Worte befreiend, ein Loslas- Die Geschichte einer Adoption sen von einer lebenslangen Auseinandersetzung (Leonardo-Verlag, 16,90 Euro). mit Schuld, Ängsten und Orientierungslosigkeit. „Nuckeldecke“ heißt das Buch, das Rai- Wrage schaut länger aufs Wasser, während er ner Wrage über sein Leben geschrieben hat. Dabei handelt es sich um eine dem Gedanken nachgeht. Gerade passiert kein alte Stoffwindel, die er als Kind zum Schiff sein Blickfeld. Der Wind treibt Regen Kuscheln nutzte. Er sagt, dass diese gegen die Fensterfront. Er atmet tief durch. Decke ihn bis heute begleitet. Sie ist für „Sie ist für mich wie eine Heilige, die ich mit ihn zum Bild für die Zerrissenheit und solchen Worten auch im Himmel nicht verlet- Verarbeitung seines Lebens als Adop- zen möchte.“ tivkind geworden. 18
LECKER LEBEN Rosenkohl- Walnuss-Pesto mit Schinkenchip VON THERESA BAUER ZUTATEN FÜR 4 PERSONEN: 130 ml Olivenöl 300 g Rosenkohl 1 TL Honig 30 g Walnusskerne 4 Scheiben luftgetrockneter 50 g Parmesankäse Schinken aus Ihrer Region 1 Knoblauchzehe Salz 1 EL Zitronensaft Pfeffer 1 Den Backofen auf 200 Grad Ober-/ kerne ohne Öl in einer beschichteten saft, Parmesan und 100 ml Olivenöl Unterhitze vorheizen. Rosenkohl Pfanne rösten. mit einem Pürierstab oder im Mixer waschen, welke Blätter entfernen, zerkleinern, bis eine cremige Masse halbieren und auf ein mit Backpapier 4 Schinkenscheiben nebeneinan- entsteht. Eventuell noch etwas Oli- ausgelegtes Blech verteilen. der auf ein Blech legen. Gerösteten venöl zugeben. Rosenkohl und Knoblauch aus dem 2 2 EL Olivenöl mit Honig und Zi- Ofen holen und diesen auf 160 Grad 6 Zum Schluss mit Salz und Pfeffer tronensaft vermischen und über den einstellen. Den Schinken 10 Minuten abschmecken. Rosenkohl geben. Die Knoblauchzehe darin trocknen. Das Pesto unter die Lieblingspasta he- mit Schale dazugeben. Für 15 bis 20 ben und mit dem knusprigen Schin- Minuten im Ofen rösten. 5 Den Knoblauch aus der Schale ken servieren. pressen und zusammen mit dem 3 In der Zwischenzeit die Walnuss- Rosenkohl, Walnusskernen, Zitronen- Guten Appetit! 19
LEBENSAUFGABE Das Licht der toten Kinder Ein totes Kind zerreißt die Welt. Uli Michel kennt das aus ihrer Arbeit mit Eltern von „Sternenkindern“, die vor, während oder kurz nach der Geburt starben. Sie hat sich zur Sterbeamme ausbilden lassen. Weil sie die große Sprachlosigkeit nicht akzeptieren wollte, die sie als Hebamme in diesen Situationen erlebt. VON MICHAEL BÖNTE 20
„ Die Eltern erleben eine Zerrissenheit, die kein Außenstehender mitfühlen kann. L uisa, Emma und Mattis sind dabei in die- kurz nach der Geburt gestorben sind. „Sie erle- sem Stuhlkreis. Ohne ihre Kinder wäre ben eine Zerrissenheit, die kein Außenstehen- es für die Eltern nicht möglich, dort der mitfühlen kann.“ Platz zu nehmen. Ohne ihre Kinder würden die Gespräche alle vier Wochen keinen Sinn Auch sie selbst nicht, sagt die 50-jährige Mut- machen. Ohne ihre Kinder würde die helfende ter zweier erwachsener Kinder. Sie kann den Zeit in dieser Runde zur großen Leere werden. natürlichen Reflex vieler Menschen nachvoll- Sie müssen dabei sein – in Gedanken, Erinne- ziehen, wenn sie mit einer solchen Situation rungen, in ihren Herzen. konfrontiert werden: „Wegsehen, weglaufen, nicht wahrhaben wollen.“ Für sie kam Weg Mattis starb im Bauch seiner Mutter, Emma ducken nie in Frage. Vielleicht weil sie so er- überlebte ihre Geburt nicht, Luisa starb wenige zogen wurde, als Tochter eines evangelischen Wochen nach ihrer Geburt. „Es ist ein stetiger Pfarrers. „Wenn es Not gab, wurde gehandelt Kampf für mein unsichtbares Kind“, sagt eine – Ignoranz gab es nicht.“ Ihre Freunde be- der Mütter. „Ich will dafür kämpfen, dass es schreiben sie so: „Du gibst dich nicht damit gesehen wird, dass es nicht totgeschwiegen zufrieden, wenn etwas nicht stimmt.“ Ein „Ist wird.“ In den alltäglichen Begegnungen ist diese halt so“ kennt sie nicht. Erinnerung einige Monate nach den Schicksals- schlägen längst nicht mehr der Normalfall. Im Not erlebte sie von Beginn an auch in ihrem Gespräch mit Verwandten, Freunden und Ar- Beruf als Hebamme, sagt Michel. „Mehr als beitskollegen muss sie oft eingefordert werden. viele weinen – da geht es nicht nur um das „Ich will aber, dass es selbstverständlich ist.“ große Glück der Geburt.“ Sie überlegt kurz und präsentiert mit einer abwägenden Hand- Die Wucht der Gefühle ist enorm und hat bewegung eine Hochrechnung: „Halbe, halbe. kaum etwas an Kraft verloren. Das ist in dieser Die Hälfte sind wunderbare Erfahrungen vom Runde deutlich zu spüren. Mal kommen die Anfang des Lebens, die andere Hälfte schwe- Worte gebrochen mit dem Blick zum Boden, re und traurige Ereignisse.“ Sie spricht vom mal energisch mit Wut in der Stimme, mal mit „ganzen Elend der Welt“, das auch vor dem einem Lächeln in Gedanken an die Zeit vor Kreißsaal nicht Halt macht. Von Gewalt-Erfah- dem Schicksalsschlag. Uli Michel kennt diese rungen, Schmerzen und Ängsten, mit denen Gemengelage aus ihren vielen Begegnungen die Frauen dorthin kommen. Von Behinde- mit Familien in dieser Situation. Sie ist Hebam- rungen, Krankheiten und Tod der Kinder. Und me, hat einige Zeit einen Hospiz-Dienst gelei- sie spricht energisch von einer großen Hilflo- tet und ist Trauma-Fachberaterin. Und sie ließ sigkeit vieler Menschen in dieser Situation. sich zur „Sterbeamme“ ausbilden, mit dem Ziel, Sterbende und ihre Angehörigen zu begleiten. Die war der Auslöser für den Weg, den sie Ihre Hauptzielgruppe dabei sind „Sternen- einschlug. Sie erinnert sich an ihr erstes kinder-Eltern“, deren Kinder vor, während oder Praktikum, das sie mit 22 Jahren in einem 21
LEBENSAUFGABE Die Hand auf dem Knie des Partners als wichtige Stütze: Eltern eines toten Kindes im Gesprächskreis von Uli Michel. Krankenhaus im Ruhrgebiet machte. Im Kreißsaal erlebte Kind nie aufhört“, sagt eine andere Mutter. „Auch wenn sie die Kaiserschnitt-Geburt eines Kindes, das uner- sie mit Tränen verbunden ist.“ Ihr Mann hält ihre Hand wartet mit schwerer Behinderung zur Welt kam. „Die und nickt. „Ich will einfach nicht akzeptieren, dass es Hebamme brach zusammen und verließ den Raum, der Dinge gibt, die wichtiger werden können als die Verbin- Arzt war überfordert, die Pfleger überlastet.“ Die Mutter dung zu meinem Kind.“ wurde sediert, keiner fand den Mut, die Situation mit ihr aufzuarbeiten. Als Michel in der Nacht am Bett der Frau In jedem Gedanken bleibt das Kind „ein wenig am Leben“, saß, dachte sie über diese Sprachlosigkeit nach. „Seitdem sagt Uli Michel. Sie weiß, dass dies Gedanken sind, die beschäftigte mich die Angst aller Beteiligten.“ ausgrenzen können. Nicht weil die Familie, die Nachbarn oder die Kollegen bewusst die Nase rümpfen. Sondern Eine solche Flucht oder ein Erstarren ist für die Eltern weil sie mit dieser ungeheuren Wucht der Situation in ihrer Gesprächsrunde besonders schmerzhaft. Weil überfordert sind. Wie die Hebamme im Kreißsaal bei der das weit weg ist von der ständig präsenten Sehnsucht, Geburt des Kindes mit Behinderung. mit der sie seit dem Tod ihrer Kinder leben. „Es ist wie ein unglaublicher Liebeskummer, nur viel existenzieller“, So verständlich das ist, so wenig wollte Michel das ak- sagt eine Mutter. Omnipräsent, in allen Gedanken und zeptieren. Gerade bei jenen, die in dieser Situation an der Gefühlen. „Alle anderen Wünsche, die ich hatte, sind Seite der Betroffenen stehen sollten. Dazu zählt sie auch verschwunden.“ sich selbst als Hebamme. Als sie einmal mit ihrem Vater über die Hilflosigkeit beim Tod eines Kindes sprach, sagte Kommen sie wieder, entstehen oft Schuldgefühle. „Ich er etwas, das ihr im Gedächtnis blieb: „Die schwersten habe die Sehnsucht, dass die Sehnsucht nach meinem Momente für mich als Pfarrer sind die, wenn ich hinter 22
einem kleinen weißen Sarg hergehen muss – für diese sind auch Momente, in denen sie erleben, dass andere Augenblicke habe ich nie eine Ausbildung bekommen.“ ihre verstorbenen Kinder eben nicht vergessen. Als Es geht um Professionalität – bei allen Emotionen, die der Cousin von Luisa zu Besuch war, sagte er, dass das auch für Michel dazu gehören. „Die sind wichtig und Rollo vom Dachfenster doch auf bleiben müsste. „Sonst müssen auch bleiben.“ Kein durchstrukturiertes Han- könne sie uns doch nicht sehen“, erinnert sich die deln ohne Herz, aber die Möglichkeit, mit der richtigen Mutter. „Dann spüre ich, dass sie noch lebt.“ Ansprache und geeigneten Methoden reagieren zu können. „Da gibt es in Deutschland wenig Angebote“, Es wird gelacht. Nicht ständig, aber immer mal wieder sagt sie. „Nur ein kleines Netzwerk engagierter Seel- – auch beim anschließenden Eiskaffee am Küchen- sorger, Hebammen und Ärzte.“ block. Völlig gelöst ist die Stimmung nie. Dafür müssten sich die Eltern von der Sehnsucht nach ihren verstor- Sie selbst suchte die Professionalität, bildete sich fort, benen Kindern lösen. „Darum geht es nicht“, sagt Mi- belegte Kurse. Ihre Berufserfahrung aus vielen Jahren chel. „Die Bindung wird sich nicht verlieren.“ Der Blick als selbstständige Hebamme ergänzte sie nach und darauf soll aber nicht schwarz bleiben. Das treibt sie nach mit dem Wissen aus der Palliativmedizin, Psy- an. Weil sie Wege durch das Leid erlebt, die gut enden. chologie, aus der Trauerbegleitung, Hospiz-Arbeit und Auf denen ungeahnte Kräfte entstehen, Mut wächst Traumatherapie. Das alles floss nach und nach zusam- und Lebensfreude zurückkehrt. Und weil sie dabei als men und mündete 2019 in die Leitung der Sternen- Sterbeamme genauso viele schöne Momente erleben kinder-Beratungsstelle Münster-Osnabrück. Getragen darf, wie sie als Hebamme im Kreißsaal erlebte. „Wenn wird die Einrichtung von der Bethanien-Diakonissen- Eltern ihre Traurigkeit endlich in Worte fassen können, Stiftung, die Angebote für die Klienten sind kostenlos. wenn sie weinen können oder wenn ich sehe, mit wie Sie reichen von der Vorbereitung auf eine Geburt, bei viel Liebe ein Paar die Situation meistert.“ der das Kind sterben wird, über Rückbildungsgymnas tik nach Totgeburten bis zu Einzel- und Gruppenge- www.uli-michel.de sprächen sowie Fortbildungen. www.bethanien-stiftung.de Ihr Arbeitsplatz ist ein Neubau in einem Wohngebiet von Lengerich. Die Wohnung ist sichtbar nicht als Be- ratungsstelle konzipiert worden. Sekretariat, Bespre- chungs- und Sitzungsräume haben Platz in Zimmern gefunden, die als Schlafzimmer, Büroraum oder Wohn- küche geplant waren. „Mir war so eine lebensnahe und lebendige Umgebung wichtig.“ Jetzt sitzt sie dort mit den Eltern im Kreis um ein Blumengesteck. Durch die bodentiefen Fenster scheint die Sonne auf das helle Parkett. Auf dem Küchenblock im Hintergrund stehen kühle Getränke. Passt diese lichtdurchflutete Wohnatmosphäre zum Thema? Was hat so viel Sonne mit der Tragik der Ster- nenkinder zu tun? „Sie sind Lichtpunkte, so schwarz der Hintergrund auch ist“, sagt Michel. Wie hell diese Punkte leuchten können, ist unübersehbar. Immer dann, wenn die Eltern sich an Momente erinnern, in denen sie die Schwangerschaft oder die ersten Wo- chen mit ihrem Kind unbeschwert genießen konn- ten. „Wenn wir über Land fahren und es nicht so toll riecht“, beschreibt die Mutter von Luisa einen solchen Augenblick. „Da hat sie immer die Nase gerümpft.“ Es Uli Michel spricht mit den Eltern verstorbener Kinder in einer Wohnküche der Sternenkinder-Beratungsstelle. 23
DAS GANZE LEBEN IST EIN QUIZ SEHNSUCHT DAS GROSSE QUIZ VON ANNETTE SAAL Es ist ein großes Gefühl, das Dichter, Denker und Komponisten zu den reinsten Höhenflügen inspiriert hat. Doch auch im täglichen Sprachgebrauch spielt die Sehnsucht eine Rolle. Kennen Sie sich aus? Machen Sie mit bei unserem Quiz und gewinnen Sie! Schicken Sie die Lösung an: quiz@magazinleben.de oder an: Magazin leben! Cheruskerring 19 48147 Münster Unter den richtigen Einsendungen verlosen wir folgende Preise: 1 x 200 €, 2 x 100 €, 4 x 50 €, 20 Buch-Gutscheine und 30 Thermo-Becher. Adresse nicht vergessen! Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Einsendeschluss: 1. November 2020 24
1. Wie heißt ein bekanntes Paar, dessen Sehnsucht 6. „Letztlich lieben wir die Sehnsucht, nicht das zueinander im Mittelpunkt einer Tragödie von Ersehnte“ – diese Erkenntnis stammt von William Shakespeare steht? ERS Friedrich Nitzsche VER Willi und Juli INF Augustin Wibbelt BRF Rodeo und Jennifer MTR Leo Tolstoi ALL Romeo und Julia ALC Sigmund Freud PRI Rolf und Jutta 7. Welcher Komponist hatte die Idee für das soge- 2. Wie hieß eine Sängerin, die mit rauchiger Stimme nannte Sehnsuchts-Motiv in „Tristan und Isolde“? das Lied „Sehnsucht heißt ein altes Lied der Taiga“ NHF Wolfgang Amadeus Mozart sang? EHN Richard Wagner ESB Alexandra UNT Robert Schumann FRI Anastasia STA Johannes Brahms BLO Alabasta TAK Apollonia 8. Wer sehnte sich in der Bibel danach, als Greis noch den neugeborenen Jesus zu sehen – was ihm 3. Wonach sehnte sich in der Bibel das Volk Israel? auch vergönnt war? AGOR Nach dem gefiederten Band SPO Simon Petrus BRELL Nach dem gelben Sand FRI Sirius EGIN Nach dem gelobten Land SUC Simeon ATRU Nach der greifenden Hand DAB Sion 4. In Johann Wolfgang Goethes Gedicht „Nur wer 9. Welches Wort passt vom Sinn her nicht in die die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide“ kommt Reihe? folgender Vers vor: Es schwindelt mir, es brennt … UC ersehnt AFK mein Goldgeschmeide LD erwartet NTM mein Eingeweide DB erhofft RJH meins Herzens Weide HT erbost DEP mein Samt und Seide 5. Welches Verb ist in Verbindung mit Sehnsucht gebräuchlich? EST Jemand verzerrt sich vor Sehnsucht TRI Jemand verrennt sich vor Sehnsucht BLA Jemand verkennt sich vor Sehnsucht ITD Jemand verzehrt sich vor Sehnsucht Tragen Sie die Buchstaben-Kombination, die zu der jeweils richtigen Antwort gehört, in die Kästchen ein. Die Lösung ist der Titel eines Gedichts von Nelly Sachs: LÖSUNG 25
LEBENSZIEL TAMINA KALLERT was ist Ihr Sehnsuchtsort? INTERVIEW: ANNETTE SAAL Das Fernweh ist ja sozusagen die kleine Schwester der Sehnsucht. Wie versuchen Sie in Ihren Sendungen, die Menschen auf Ihre Reisen mitzunehmen? Ich glaube, das Wichtigste ist: Was du aussendest, kehrt zu dir zurück. Die Be- geisterung, die Neugier und das authen- tische, unvoreingenommene Entdecken – das versuche ich in meinen Sendungen als Haltung mitzubringen. Ich bekomme sehr viele Rückmeldungen von unseren Zuschau- erinnen und Zuschauern, die sagen: Es ist so Haben Sie ein weiteres Beispiel für eine erfrischend, mit Ihnen unterwegs zu sein, solche Begegnung, die Ihnen in Erinnerung da kommt so eine Herzenswärme rüber. Sie bleiben wird? fühlen sich wirklich mitgenommen auf eine Kürzlich bei der Sendung über den Tau- Reise. Auch ich kann dabei viel entdecken ern-Radweg haben wir einen ganz faszinie- und habe mir meine Neugier bewahrt. Und renden Herrn besucht, der oberhalb eines ich darf bei meiner Arbeit tollen Menschen Sees in einer Hütte lebt und dort ab und zu begegnen. für Besucher große, sehr leckere Kaas-No- ckerln in einer riesigen Pfanne macht. Er hat Können Sie sich an jemanden erinnern, der auch in Amerika bei den Bart-Weltmeister- Sie bei den Dreharbeiten besonders beein- schaften gewonnen - ich durfte sogar in druckt hat? seinen flauschig-weichen Bart reinfassen! Da gibt es ganz viele Begegnungen. Zum Dann hat er mich in seinen Garten zum Beispiel diesen sympathischen Watt-Postbo- Schnittlauch-Holen geschickt. Zum Schluss ten, mit dem wir vor einigen Jahren hinaus- gab es noch einen Rachenputzer an seinem gewandert sind von der Insel Pellworm auf großen Holztisch in der gemütlichen Stube. die Insel Hallig. Morgens früh um halb fünf Er ist ein richtiges Original! Ich liebe sol- sind wir aufgestanden und haben uns dann che Begegnungen, wo ich eintauchen kann am Watt getroffen. Er stand da mit nacktem in eine andere Lebenswelt und von wo ich Oberkörper und sagte: „So, jetzt geht’s los.“ auch selbst etwas mitnehme. Immer wieder Er war erst ein bisschen schüchtern, doch es stelle ich fest: Menschen interessieren sich ist mir, glaube ich, gelungen, sein Herz zu er- für Menschen. Wenn sich meine Leiden- obern. Das Wandern durch das Watt mit den schaft vermittelt, dann habe ich gute Arbeit Gezeiten ist ein ganz elementares Erlebnis. geleistet. 26
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