1/21 Titelstory Internationale Wasserpolitik Emscher-Umbau auf der Schlussgeraden - EGLV

Die Seite wird erstellt Levin Scholz
 
WEITER LESEN
1/21 Titelstory Internationale Wasserpolitik Emscher-Umbau auf der Schlussgeraden - EGLV
1/21

Titelstory
Internationale
Wasserpolitik

Emscher-Umbau auf
der Schlussgeraden

Welt aus dem
Gleichgewicht
1/21 Titelstory Internationale Wasserpolitik Emscher-Umbau auf der Schlussgeraden - EGLV
2   WASSERSTANDPUNKT

                                        		Programm                         		Forschung   und
                                          Lebendige Lippe                      Entwicklung
                                        28		 Welt aus dem Gleichgewicht    44		 Sonderforschungsbereich

                                                                           46		 Dissertation zur
                                                                                Klärschlammtrocknung
                                        		EGLV-Thema
                                        34		Interview mit                  48		 Coronaviren im Abwasser
     3
       Editorial                            Prof. Dr. Uli Paetzel

    		Schwerpunktthema                                                     		Kurzmeldungen/
    		 Internationale Wasserpolitik     		Städtebau                        		News
                                        38		Europäisches Bauhaus           50		 Eine Bergbaubrache wird zum
     4		Internationale Wasserpolitik                                            Umweltparadies
                                        39		Bilanz ein Jahr Projekt KRIS
    10 Soziale Verantwortung von                                           54		 Mein Lieblingsplatz an der Seseke
       Industrieländern                 40		Überflutungsfläche
                                            in Dinslaken                   55		 „Neustadt“ entsteht am
    14 Interview mit Barbara Gerhager                                           Emscherkunstweg

    16 Grüne Verbindung über
       Kontinente

    20		Interview mit Svenja Schulze

    		Emscher-Umbau
    24		Pumpwerk Oberhausen

    26		Regenwasserbehandlungs-
        anlagen
1/21 Titelstory Internationale Wasserpolitik Emscher-Umbau auf der Schlussgeraden - EGLV
EDITORIAL                                                                                                              3

„Heute stehen wir vor
 gewaltigen umweltpoli-
 tischen Herausforderungen.
 Neben der Bekämpfung
 des Klimawandels sind es
 vor allem auch Fragen
 des nachhaltigen Umgangs
 mit unseren Wasser-
 ressourcen.“
Prof. Dr. Uli Paetzel
                                                        Foto: Johannes Glinka

      am 24. Dezember 1968 nahm William       gang zu angemessenen Sanitäran-          der Abwasserfreiheit des Emscher-
      Anders, Astronaut der „Apollo 8“-       lagen und Trinkwasser.                   Systems feiern werden, und beschrei-
      Mission, bei einer Umkreisung des                                                ben, was Corona und Biodiversität
      Mondes ein Bild der aufgehenden         Wir widmen uns daher in dieser Aus-      miteinander zu tun haben.
      Erde über dem Mondhorizont auf. Die     gabe des Wasserstandpunkts der
      Aufnahme zeigte die Zerbrechlichkeit    internationalen Wasserpolitik, stellen   Wir wünschen Ihnen – wie immer –
      unseres Planeten und wurde im           Entwicklungen und Konfliktlinien vor     viel Freude beim Lesen der Ausgabe.
      Nachgang zu einem Symbol der begin-     und berichten über eigene Koopera-       Für Rückmeldungen und Fragen
      nenden Umweltbewegung.                  tionen unter anderem mit Namibia -       stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.
                                              wo wir vor Ort einen Beitrag zur
      Heute, mehr als 50 Jahre später,        Verbesserung der Abwasserentsor-         Mit besten Grüßen und einem herz-
      stehen wir vor gewaltigen umwelt-       gung und der Gewässersituation           lichen Glückauf
      politischen Herausforderungen.          leisten - sowie über ein Projekt unse-
      Neben der Bekämpfung des Klima-         rer Mitgliedskommune Dortmund.
      wandels sind es vor allem auch Fragen
      des nachhaltigen Umgangs mit unse-      Darüber hinaus baten wir Bundes-
      ren Wasserressourcen – noch immer       umweltministerin Svenja Schulze vor      Prof. Dr. Uli Paetzel
      wird weltweit nur ein Bruchteil des     der Bundestagswahl um eine Bilanz
      anfallenden Abwassers vor der Einlei-   der Legislaturperiode, geben einen
      tung in Flüsse und Meere geklärt und    Ausblick auf das weitere Jahr 2021, in
      Milliarden Menschen sind ohne Zu-       dem wir das lang erwartete Erreichen
1/21 Titelstory Internationale Wasserpolitik Emscher-Umbau auf der Schlussgeraden - EGLV
Schwerpunktthema

internation
Wasserpolit
viel getan¸
wenig errei
1/21 Titelstory Internationale Wasserpolitik Emscher-Umbau auf der Schlussgeraden - EGLV
EGLV.de    5

                                                                      Bei der nächsten Bundestagswahl
                                                                      wird die Umweltpolitik einen hohen
                                                                      Stellenwert einnehmen. Doch es gibt
                                                                      in Zeiten der Klimakrise viele wichtige
                                                                      ökologische Themen, die nicht im
                                                                      Licht der Öffentlichkeit stehen: Dazu
                                                                      zählen auch die Herausforderungen
                                                                      in der internationalen Wasserpolitik,
                                                                      die wiederum eng mit den Folgen des
                                                                      Klimawandels zusammenhängen.
                                                                      Eine Betrachtung.

 Autor: Alexander Knickmeier                                          Aktuelle Studien zeigen, dass das Umweltbewusstsein
 Fotos: Rupert Oberhäuser, EGLV-Archiv, clicksabhi/Shutterstock.com
                                                                      der Deutschen wächst. Auch wird der Zustand der Umwelt
                                                                      kritischer eingeschätzt und engagiertere politische Maß-
                                                                      nahmen gefordert. Im Zentrum steht dabei der Klimaschutz

nale
onale
                                                                      und die Sorge vor den Folgen der Klimaveränderungen,
                                                                      beispielsweise für die Biodiversität, den Zustand der Wäl-
                                                                      der oder mikroklimatische Bedingungen in den verdichte-
                                                                      ten Städten.

                                                                      Die Frage, welche Folgen dies für die eigenen Wasserres-

tik––
itik
                                                                      sourcen hat, kommt dabei bisher allenfalls im Sommer mit
                                                                      Blick auf Ernteausfälle oder dem besagten Trockenstress in
                                                                      den Wäldern auf. Jedoch fehlt in der Debatte eine globale
                                                                      und umfassende Perspektive auf das Thema Wasser und
                                                                      ein entsprechendes politisches Engagement, das den ab-
                                                                      sehbaren Problemlagen Rechnung trägt. Mehr noch: Auch

¸
                                                                      wenn sich in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten
                                                                      viel im Bereich Gewässerschutz getan hat, steht die Welt
                                                                      insgesamt gesehen hier noch am Anfang.

                                                                      Schätzungen gehen davon aus, dass mehr als 2 Milliarden
                                                                      Menschen weltweit keinen durchgehenden Zugang zu

icht?
eicht
                                                                      sauberem Trinkwasser haben. 4,3 Milliarden Menschen
                                                                      können keine sicheren und hygienisch einwandfreien Sa-
                                                                      nitäranlagen nutzen, mehr als 670 Mio. Menschen müssen
                                                                      sich gar im Freien erleichtern und täglich sterben mehr als
                                                                      800 Kinder an vermeidbaren Krankheiten, die durch ver-
                                                                      unreinigtes Wasser oder mangelnde sanitäre Bedingungen
1/21 Titelstory Internationale Wasserpolitik Emscher-Umbau auf der Schlussgeraden - EGLV
6   WASSERSTANDPUNKT    Schwerpunktthema

                                                                                    Flussrenaturierungen bieten zahlreiche Potenziale
                                                                                                     für eine nachhaltige Entwicklung.

    hervorgerufen werden. Insgesamt werden 80 Prozent          1972. In der „Deklaration von Stockholm“ verpflichteten sich
    der weltweiten Abwässer ungeklärt in die Flüsse            die Teilnehmerländer erstmals zu einer breit getragenen,
    und Meere eingeleitet, mit entsprechenden Folgen für       multilateralen Zusammenarbeit im Umweltschutz. Fünf
    die Ökosysteme.                                            Jahre später fand in „Mar de la Plata“ die erste eigene Was-
                                                               serkonferenz statt, die die „Internationale Wasserdekade“
    Blick zurück: Internationale Wasserpolitik                 1981 bis 1990 vorbereitete und die allen Menschen einen
    Die Regulierung der eigenen Wasserressourcen zählt         Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Anlagen
    zu den Aufgaben, die sich historisch bis an den Beginn     ermöglichen sollte.
    menschlicher Kulturen zurückverfolgen lassen. Entspre-
    chende Vorschriften finden sich zum Beispiel im alten      Mit Ende dieser zehn Jahre stellte sich eine gewisse
    Mesopotamien, bei den Inka, in den ägyptischen Hoch-       Ernüchterung ein und erste Paradigmenwechsel ließen sich
    kulturen oder in den verschiedenen Weltreligionen. Auch    beobachten. Unter anderem wurde klar, dass Wasserma-
    in den modernen Staatengebilden nahm die Wasserbe-         nagement integral zu erfolgen hat, d.h. auch Aspekte der
    wirtschaftung einen hohen Stellenwert ein und fiel tra-    Wassernutzung sowie soziale, Bildungs- und Governance-
    ditionell – mit wenigen Ausnahmen – der öffentlichen       fragen rückten in den Fokus der Entwicklungszusammen-
    Hand zu. Hier finden sich zum Beispiel auch im 19. Jahr-   arbeit. Auch wurde Wasser von da an stärker als öko-
    hundert in den rasant wachsenden Städten groß an-          nomisches Gut behandelt. Private Unternehmen und die
    gelegte Infrastrukturmaßnahmen zur Verbesserung der        Schaffung von Wassermärkten sollten weitere Investitionen
    Hygienesituationen, z. B. durch den Bau unterirdischer     in die Wasserinfrastruktur auslösen. Gleichzeitig wurden
    Kanalisationen oder, wie im Fall der Emscher, durch den    die Entwicklungsziele mit Bezug zum Thema Wasser in
    Ausbau oberirdischer Abwasserläufe.                        der auf dem Weltgipfel in Rio de Janeiro verabschiedeten
                                                               Agenda 21 und den im Vorfeld zur Konferenz vereinbarten
    Als Startschuss für eine moderne und globale Umwelt-       Sustainable Development Goals (SDGs) festgeschrieben.
    und Wasserpolitik gilt gemeinhin die „UNO-Weltkonferenz    Bis zum Jahre 2015 sollte die Zahl der Menschen ohne
    über die menschliche Umwelt“ in Stockholm im Jahre         Zugang zu sauberem Wasser halbiert werden.
1/21 Titelstory Internationale Wasserpolitik Emscher-Umbau auf der Schlussgeraden - EGLV
Deutsche Wasserwirtschaft
hilft auch in anderen Ländern
Die Herausforderungen im weltweiten
Gewässerschutz bleiben groß. Wasserwirt-
schaftsbetriebe in Deutschland bringen
ihr wertvolles Know-how dabei in die Ent-
wicklungszusammenarbeit ein.
1/21 Titelstory Internationale Wasserpolitik Emscher-Umbau auf der Schlussgeraden - EGLV
8   WASSERSTANDPUNKT      Schwerpunktthema

                                                                  Verbraucht ein Land jährlich
                                                                  mehr als 20 Prozent der
                                                                  erneuerbaren Wasser-
                                                                  ressourcen, spricht man von
                                                                  „Wasserstress“.

    Status quo und Blick nach vorn:
    Bescheidene Erfolge und Notwendigkeit zum Handeln
    Allen Anstrengungen zum Trotz ist die Zahl der Men-           lichen Haushalte zu entlasten. Mittlerweile wird jedoch der
    schen ohne Zugang zu Trinkwasser und Sanitäranlagen,          Schutz der Wasserressourcen wieder stärker als „soziales
    die Menge an entsorgtem Müll in den Gewässern und die         Gut“ definiert und sogar ein Menschenrecht auf Wasser
    Einleitung ungeklärter Abwässer unvermindert hoch.            formuliert. Diese – sicherlich richtigen – grundsätzlichen
    Die Erfolge, die die Entwicklungsprojekte auf den unter-      Überlegungen setzten dann jedoch eine deutliche Aus-
    schiedlichen Ebenen erreichen konnten, wurden durch           weitung der öffentlichen Investitionen voraus, die starke
    gegenläufige Einflussfaktoren – wie zum Beispiel Bevöl-       Institutionen und entsprechende Governance-Strukturen in
    kerungswachstum, militärische Konflikte oder Landflucht       den kooperierenden Ländern benötigen.
    – überkompensiert.
                                                                  Die Herausforderungen beim Schutz der Wasserres-
    Mit Blick auf die angebrochene Dekade bis zur nächsten        sourcen werden vor dem Hintergrund des Klimawandels
    Zielmarke der SDGs 2030, ergeben sich eine Reihe von          nochmals deutlich potenziert. Verschiebungen von Klima-
    Handlungsfeldern und Konfliktlinien. Klar ist, dass für die   zonen, die Ausbreitung von Wüsten und die Übernutzung
    notwendigen Infrastrukturinvestitionen zum Schutz des         von Grundwasserkörpern können die Erfolge vergange-
    Wassers gewaltige finanzielle Mittel mobilisiert werden       ner Jahre sogar wieder rückgängig machen. In Summe
    müssen. Noch immer bleiben jedoch viele der potenziel-        scheint es daher so, dass die internationale Gemeinschaft
    len Geberländer hinter ihren Zusagen zurück. Und auch         beim Thema Wasserschutz und bei der Versorgung mit
    Deutschland, dass Mitte der 2010er-Jahre die Ausgaben         sauberem Trinkwasser und sicheren Sanitäranlagen zwar
    für die Entwicklungszusammenarbeit deutlich ausgewei-         viel getan, aber bislang zu wenig erreicht hat. Es ist somit
    tet hat, liegt seit 2017 wieder hinter den avisierten         dringend an der Zeit, das aktuelle Jahrzehnt zu nutzen, um
    0,7 Prozent des BIP zurück.                                   die Investitionen in die nachhaltige Bewirtschaftung der
                                                                  Wasserressourcen auszubauen und das Thema Wasser-
    In der Vergangenheit wurde daher die Öffnung der Was-         schutz als zweite globale Generationenaufgabe – neben
    sermärkte für privates Kapital befürwortet, um die öffent-    dem Klimaschutz – gleichrangig anzugehen.
1/21 Titelstory Internationale Wasserpolitik Emscher-Umbau auf der Schlussgeraden - EGLV
Verbrauch des Wasservorkommens in Prozent

                   + 80 %                         + 40 %                                     + 21 %

extrem hoher                     hoher
Wasserstress                     Wasserstress                             Wasserstress

1/4 der globalen                 1/3 der globalen                          Deutschland
Bevölkerung                      Bevölkerung                               gilt als sehr wasserreiches Land,
                                                                           die verfügbare Wassermenge
17 Nationen, vorwiegend im       z. B. auch europäische Länder,
                                                                           schwankt jedoch dem Umwelt-
Nahen Osten und Nordafrika       wie Belgien, Griechenland,
                                                                           bundesamt zufolge jedes Jahr
                                 Spanien
                                                                           beträchtlich
Quelle: Focus

673 Millionen Menschen ohne Toilette
Anteil der Bevölkerung, der sich im Freien erleichtern muss (in %)

      50-100 %
      25-50 %
      5-25 %
      1- 5%
1/21 Titelstory Internationale Wasserpolitik Emscher-Umbau auf der Schlussgeraden - EGLV
10   WASSERSTANDPUNKT       Schwerpunktthema

     Industrieländer sollten soziale
     Verantwortung übernehmen
     Öffentliche Daseinsvorsorge ist nicht überall in der Welt
     eine Selbstverständlichkeit

        Die Kläranlage (hinten) in Outapi mit einem Wasserspeicher-
        becken im Vordergrund. Das aufbereitete Wasser dient
        der Bewässerung von Feldern.
EGLV.de   11

Autoren: Ilias Abawi, Silke Wienforth
Fotos: Silke Wienforth, Stefan Stegemann

Emschergenossenschaft und Lippe-                            dass alles im Fluss bleibt. Für die meisten Menschen ist
                                                            die öffentliche Daseinsvorsorge kaum sichtbar, weil
verband engagieren sich in Namibia –
                                                            sie sehr gut funktioniert. Erst wenn der Müll einmal nicht
weil sie aus eigener Erfahrung                              pünktlich abgeholt wird oder ein Pumpwerk ausfällt,
wissen, wie wichtig eine funktionie-                        bemerken die Bürgerinnen und Bürger das sonst kaum
                                                            wahrgenommene System, das wie ein guter Virenscanner
rende Abwasser-Infrastruktur ist.
                                                            immer im Hintergrund läuft und dafür sorgt, dass der all-
Vor gerade einmal 130 Jahren kam es                         tägliche Betrieb aufrechterhalten wird.
auch im Ruhrgebiet aufgrund von
                                                            Was für die Menschen in Deutschland Alltag selbstver-
verunreinigtem Wasser zu Krankheits-
                                                            ständlich dazugehört – die öffentliche Daseinsvorsorge –
ausbrüchen.                                                 ist für die Menschen in Entwicklungsländern purer Luxus.
                                                            Gerade weil es uns in Europa sehr gut geht – alles andere
                                                            ist Jammern auf sehr hohem Niveau – betrachten wir es
Wasser ist Leben – und der Zugang zu sauberem Wasser        als unsere gesellschaftliche Verantwortung, uns dort zu
von unschätzbarem Wert. Was für die Menschen im Ruhr-       engagieren, wo die Bevölkerung sich nicht mehr selbst
gebiet als alltäglich gilt, ist vor knapp 130 Jahren noch   helfen kann – so etwa in Afrika, wo der Zugang zu saube-
purer Luxus gewesen. Infolge der durch den Kohleabbau       rem Wasser alles andere als Alltag ist.
verursachten Bergsenkungen konnten die Flüsse und
Bäche der Region nicht mehr abfließen, vielerorts kam es    Vor knapp fünf Jahren haben Emschergenossenschaft
zu Überschwemmungen. Verschärft wurde die Situation         und Lippeverband (EGLV) begonnen, das Projekt EPoNa
dadurch, dass aufgrund der Bergsenkungen auch keine         (Enhancement of Wastewater Ponds in Outapi/Namibia)
unterirdischen Abwasserkanäle gebaut werden konnten.        der Technischen Universität Darmstadt zu unterstützen.
Die gesamte Schmutzwasserfracht wurde über die              Mit dem Vorhaben sollte in der Kleinstadt Outapi die
Gewässer entsorgt – folglich sorgten die Überschwem-        Abwasserreinigung so verbessert werden, dass das ge-
mungen zu Krankheitsausbrüchen und Epidemien                reinigte Wasser zumindest für die Landwirtschaft wieder
(z. B. Typhus und Cholera). Da Wasser – ob sauber oder      nutzbar ist.
schmutzig – an Stadtgrenzen nicht Halt macht, wurden
die Kommunen nicht Herr der Lage. Als Konsequenz des-       Der Ort Outapi liegt im Norden Namibias, rund 8.500
sen bestimmte der preußische Staat 1899 die Gründung        Kilometer vom Ruhrgebiet entfernt. Die rund 5.000 Ein-
der Emschergenossenschaft als Deutschlands erstem           wohner von Outapi teilen ein Problem, das alle Namibier
Wasserwirtschaftsverband.                                   kennen: Nicht alle Menschen haben Zugang zu einer
                                                            geregelten Abwasserentsorgung und wenn nach neun
Der Rest ist Geschichte: Die Emschergenossenschaft          Monaten Trockenheit kein ergiebiger Regen fällt, hun-
regulierte die Gewässer, baute zudem Pumpwerke und          gert das Vieh und es müssen Ziegen und Rinder not-
Kläranlagen. Die öffentliche Daseinsvorsorge hält heute     geschlachtet werden. Auch der Anbau von Getreide und
den Alltag der Bevölkerung am Leben und sorgt dafür,        Gemüse ist darüber hinaus gefährdet.
12   WASSERSTANDPUNKT        Schwerpunktthema

                                                 Silke Wienforth (li.), Ingenieurin bei EGLV, half
                                                 2017 in Afrika mit.

                                                 Das Projekt EpoNa – in dem sich neben der TU Darmstadt
                                                 weitere Hochschulen, Ingenieurbüros, Sozialforscher und
                                                 die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ)
                                                 engagierten – verfolgte seit 2016 einen interessanten
                                                 Ansatz, um den sensiblen Wasserkreislauf in der Region
                                                 zu stärken: Eine Abwasser-Infrastruktur in Form von Kana-
                                                 lisation und einer einfachen mechanischen Kläranlage,
                                                 war vor Ort vorhanden – allerdings waren die „Ponds“
                                                 genannten Betonbecken überlastet, stark verschlammt
                                                 und liefen in der Regenzeit immer wieder über. Sie sollten
                                                 wieder fit gemacht werden.

                                                 Um die vorhandenen Ressourcen nutzen zu können, wur-
                                                 den die Becken zunächst von getrocknetem Klärschlamm
                                                 der vergangenen zehn Jahre geräumt. Im nächsten Schritt
                                                 wurden sie umgebaut: Feststoffe sollten mit einfachen
                                                 Techniken herausgefiltert und das vorgereinigte Wasser
                                                 zur Bewässerung von Feldern eingesetzt werden.

                                                 Zahlreiche Beschäftigte von EGLV waren im Laufe der ver-
                                                 gangenen Jahre für jeweils mehrere Wochen in Namibia
                                                 tätig, um die einheimischen Kolleginnen und Kollegen
                                                 zu unterstützen. Die Arbeiten vor Ort gestalteten sich für
                                                 das eingesetzte Personal nicht immer sehr angenehm –
                                                 man bedenke, dass die Temperaturen tagsüber auf bis zu
                                                 40 Grad im Schatten steigen können. Neben der Bau-
                                                 überwachung für den Ausbau der Klärteiche unterstütz-
                                                 ten EGLV bei der Unterhaltung des Kanalsystems im Ort.
                                                 Die Verantwortlichen der Stadt Outapi beklagten zuvor,
                                                 dass während der Regenzeit massiv Fremdwasser durch
                                                 undichte Schächte eindringt und dadurch die Pumpen,
                                                 die das Abwasser zu den Klärteichen fördern, überlastet
     Die Elektroräume auf den Kläranlagen sind
     in Containern untergebracht.                sind. Das somit übermäßig anfallende Mischwasser dringt
                                                 aus dem Pumpwerk und aus offenen Schächten heraus
     Ein Speicherbehälter für Biogas.            und überflutet Wohnflächen. Eine Bestandsaufnahme
                                                 der undichten Schächte und Vorschläge zur Sanierung
                                                 waren daher vonnöten.

                                                 Bei dem Versuch einer Bestandsaufnahme des Kanal-
                                                 systems stellte sich schnell heraus, dass man nicht wie
                                                 gewohnt auf vorhandene Bestandsunterlagen zurück-
EGLV.de   13

Stefan Stegemann (2.v.l.), Leiter der Kläranlage Emscher-Mündung in Dinslaken,
begleitete die Entnahme von Wasserproben – hier in Ruacana.

greifen konnte. Das Kanalsystem wurde seit den 1990er-                Wem es gut geht, der hat die soziale Verantwortung,
Jahren stetig durch die Erschließung neuer Wohn- und                  anderen zu helfen. Das muss vor allem für die Zeit
Gewerbegebiete erweitert. Eine Erfassung des tatsächlich              nach der Corona-Krise gelten, denn die Pandemie hat
gebauten Kanalsystems (vermessungstechnisch und im                    das ehrenamtliche Engagement im Ausland nahezu zum
Plan) erfolgte nie, so dass lediglich einzelne analoge Pläne          Erliegen gebracht.
aus der Entwurfsplanung in der Stadtverwaltung zu finden

                                                                                               Info
waren. Eine Dokumentation und Archivierung nach den
Maßstäben, wie wir diese in Deutschland kennen, war zu-
mindest im Norden Namibias völlig unbekannt. Dasselbe
galt für die Unterhaltung der Schächte, Kanalhaltungen                    Namibia
und Pumpwerke, die nur sporadisch dort erfolgten, wo es                   Namibia ist ein Staat im südlichen Afrika zwischen
gerade Not tat.                                                           Angola, Botswana, Sambia, Südafrika und dem Atlan-
                                                                          tischen Ozean. Aufgrund des großen Flächenanteils
                                                                          der Namib-Wüste ist Namibia nur sehr dünn besiedelt.
Namibia hat ähnlich wie viele andere Länder Nachhol-
                                                                          Das Land hat etwa 2,3 Millionen Einwohner. Die
bedarf. Bedenkt man aber, dass das Land erst seit 1990
                                                                          namibische Wirtschaft ist stark durch die Bereiche
selbstständig ist, ist absolut nachvollziehbar, dass auch
                                                                          Landwirtschaft, Tourismus und Bergbau (Uran, Gold,
mit internationaler Unterstützung der Lernprozess und die
                                                                          Silber und unedle Metalle) geprägt. Von 1884 bis
Schaffung der strukturellen Voraussetzungen noch viel                     1918 stand Namibia unter deutscher Kolonialherrschaft,
Zeit in Anspruch nehmen werden. Ohne externe Hilfe wird                   die äußerst gewaltsam durchgesetzt wurde.
es wohl kaum gehen, weswegen das europäische Enga-
gement auch in Zukunft von großer Bedeutung sein wird.
14   WASSERSTANDPUNKT           Schwerpunktthema

     Interview
     mit Barbara Gerhager
     Leiterin des Kompetenzzentrums
     Wasser- und Sanitärversorgung bei der Gesellschaft
     für Internationale Zusammenarbeit

     Autor: Hendrik Huth
     Illustration: Julian Rentzsch

     Die Diplom-Ingenieurin Barbara
     Gerhager ist Leiterin des Kompetenz-
     zentrums Wasser- und Sanitärver-
     sorgung bei der Gesellschaft für Inter-
     nationale Zusammenarbeit. Seit 2019
     läuft das Pilotprojekt „Betreiberpart-
     nerschaften“, bei dem sich Organisati-
     onen wie Emschergenossenschaft und
     Lippeverband engagieren. Mit ihrem
     Know-how helfen sie Wasserversor-
     gern in Entwicklungsländern, effizien-
     ter zu arbeiten. Im Interview spricht
     Barbara Gerhager über die Bedeutung
     solcher Kooperationen.

     Bei den „Betreiberpartnerschaften“
     arbeiten Sie mit Unternehmen              einen Beitrag für die globale Weltge-   oder Energieeffizienz. Das sind Dinge,
     aus der Wasserwirtschaft zusam-           meinschaft.                             die ein Wasserwirtschaftsverband
     men. Welchen Nutzen hat diese                                                     ganz anders vermitteln kann.
     Kooperation?                              Können Sie ein Beispiel für so eine
     Unsere Aufgabe in den Entwicklungs-       Kooperation nennen?                     Vor welchen Herausforderungen
     ländern ist es meistens, die Organisa-    Ein Beispiel wäre die Lusaka Water      stehen die deutschen Partner,
     tionen weiter zu entwickeln und die       and Sewerage Company in Sambia.         wenn Sie sich in einem Projekt
     Personen vor Ort zu befähigen, den        Da bringen sich gerade Emscher-         engagieren?
     Betrieb gut zu führen. Was wir nicht      genossenschaft, Lippeverband und        Die Betreiber haben nicht unbegrenzt
     mitbringen, ist allerdings das Know-      Gelsenwasser ein. Das Projekt dreht     Mitarbeiter*innen, um sie in Projekten
     how von Betreibern. Deswegen sind         sich um Klärschlammmanagement.          in Entwicklungsländern vor Ort einzu-
     wir so daran interessiert, dass Partner   Meistens geht es darum, Betriebs-       setzen. Wie kann ich meine Leute aus
     wie die Emschergenossenschaft und         abläufe oder die Anpassung an den       dem eigenen Betrieb herausziehen,
     der Lippeverband dabei sind und sich      Klimawandel zu verbessern, also zum     sie zwei Wochen in Entwicklungslän-
     aktiv engagieren. Sie leisten damit       Beispiel durch Abwasser-Recycling       der schicken und wieder zurückholen?
EGLV.de   15

              „Wir sind daran interessiert,
               die Betreiberpartnerschaften
               auf solide und projekt-
               unabhängigere Finanzierung
               zu stellen.“
                  Barbara Gerhager

Das sind Fragen, die sich stellen. Ich   Versorgern in den Entwicklungslän-     zu stellen. Das ist ebenfalls Teil des
fand sehr spannend, dass viele Betrei-   dern gibt es auch viele Menschen mit   Projektes. Idealerweise sollen das
ber gesagt haben, dass sie darin         umfangreichen Kompetenzen.             Modell der Partnerschaften auch auf
auch eine Chance sehen, attraktiver                                             andere Bereiche, wie Abfall und Ver-
zu werden.                              Die „Betreiberpartnerschaften“ sind     kehr ausgeweitet werden.
                                        aktuell noch ein Pilotprojekt. Welche
Inwiefern?                              Rolle spielen die deutschen Partner     Wie könnte das aussehen?
Es ist eine super Chance, attraktiver   für den langfristigen Erfolg?           In den Niederlanden zum Beispiel
für den Nachwuchs zu werden. Der        Wir wollen die deutsche Wasserwirt-     runden Versorger die Wasserrech-
deutsche Wassersektor ist ein ge-       schaft hier stark einbinden und die     nungen auf, generieren damit die
wachsener Sektor. In den nächsten       Kooperation noch weiter ausbauen.       Grundfinanzierung und finanzieren
zehn bis zwanzig Jahren werden dort Das hat mehrere Komponenten. Auf            so die Arbeit in den Entwicklungslän-
viele Leute in Rente gehen. Dann stellt der einen Seite ist es wichtig, dass    dern mit bis zu 22 Millionen Euro.
sich die Frage, wie attraktiv sind wir  das Know-how transferiert wird. Auf
für potentielle Mitarbeiterinnen und    der anderen Seite ist es ein ganz
Mitarbeiter.                            entscheidendes Element, dass das
                                        „Betreiberpartnerschaften“-Projekt
Profitieren die deutschen Partner       eine langfristige Finanzierung be-
noch in anderen Bereichen?              kommt. Momentan ist es über das
Letztendlich ist es beiderseitiges      Bundesministerium für wirtschaftliche
Lernen und miteinander wachsen. Es      Zusammenarbeit und Entwicklung
ist eben auch eine Möglichkeit, gute    finanziert, also über Steuergelder.
Partnerschaften aufzubauen. Des-        Wir sind daran interessiert, die Be-
wegen ist mir auch der respektvolle     treiberpartnerschaften auf solide und
Umgang miteinander wichtig. Bei den projektunabhängigere Finanzierung
16   WASSERSTANDPUNKT       Schwerpunktthema

     Grüne Verbindung
     über Kontinente
                                                                                  Dortmund

     Autor: Denis de Haas

     Die Stadt Dortmund pflegt eine Klima-                        Die Probleme in der Metropole wollen die Bewohner
                                                                  Kumasis gemeinsam mit den Dortmundern in den Griff
     partnerschaft mit Kumasi in Ghana.
                                                                  bekommen. Seit 2011 existiert eine Klimapartnerschaft.
     Probleme wie Plastikmüll-Berge und                           „Engagement Global“ führte Dortmund und Kumasi zu-
     Überschwemmungen gehen die bei-                              sammen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
                                                                  sammenarbeit und Entwicklung rief dieses Programm vor
     den Kommunen gemeinsam an.
                                                                  zehn Jahren ins Leben. Dadurch entstanden 50 Partner-
                                                                  schaften zwischen deutschen Kommunen auf der einen
                                                                  Seite und Städten aus Afrika oder Lateinamerika auf der
                                                                  anderen Seite.
     Paa Kwesi Simmons war baff. 2013 besuchte er
     Dortmund – als Teil einer Delegation der Stadt Kumasi        Dass sich Dortmund und Kumasi fanden, war kein Zufall.
     in Ghana. Simmons schaute sich im Ruhrgebiet um              „Zu Ghana und speziell der Stadt bestanden schon
     und schilderte später den Gastgebern seine Eindrücke.        auf anderen Ebenen Beziehungen“, erklärt Leischner.
     „Es ist ja unglaublich, wie grün alles bei euch ist“,        Das Institut für Raumplanung an der Technischen Univer-
     schwärmte der Stadtplaner. „So sah es bei uns in             sität Dortmund und die Kwame Nkrumah University
     Kumasi vor dreißig, vierzig Jahren auch mal aus.“            of Science and Technology in Kumasi sind durch ein
                                                                  Hochschul-Netzwerk miteinander verbunden. Zudem
     Michael Leischner erzählt diese Anekdote gerne. Der          gibt es in der Ruhrgebietsstadt ein Honorarkonsulat von
     Abteilungsleiter Klima, Luft und Lärm vom Dortmunder         Ghana. Und schließlich pflegen das Land Nordrhein-
     Umweltamt wusste damals auch, wovon Simmons sprach.          Westfalen und der westafrikanische Staat freundschaft-
     Leischner war nämlich 2011 selber in Kumasi gewesen.         liche Beziehungen.
     Er hielt sich auf in einer Stadt, in der die Einwohnerzahl
     rasant in die Höhe geschnellt war. Anfang der 1980er-        Seine Partner aus Ghana lernte Leischner erstmals bei
     Jahre lebten dort circa 500.000 Menschen, mittlerweile       einem Treffen in Daressalam kennen. In der größten
     sind es mehr als drei Millionen. Das Bevölkerungswachs-      Stadt Tansanias kamen im November 2011 zehn Tandems
     tum hat negative Folgen. Die Flüsse sind vermüllt. Bren-     aus Deutschland und Afrika zu einem Auftakt-Workshop
     nende Holzreste verpesten die Luft. Und Überschwem-          zusammen. „Auf dem Rückweg habe ich noch einen
     mungen forderten in der Vergangenheit viele Todesopfer.      Abstecher nach Kumasi gemacht“, erzählt Leischner.
EGLV.de   17

         2011
         Beginn der Klimapartnerschaft

         500.000
         Einwohner in Kumasi 1980

         3 Mio.
         Einwohner in Kumasi 2021

Kumasi
18   WASSERSTANDPUNKT     Schwerpunktthema

     Eine konkrete Idee war, Bäume
     in Kumasi zu pflanzen. Die Stadt
     hatte durch die Bevölkerungs-
     explosion fast ihren kompletten
     Bestand verloren.

     Der Umwelt-Experte besuchte auch vor Ort den Kejetia          die ihn auch in Ghanas Hauptstadt Accra führte. Leischner
     Market – den wohl größten afrikanischen Markt südlich         blickte auf einen 100 Meter breiten Fluss und sah kein
     der Sahara. „Dort gibt es praktisch nichts, was es nicht      Wasser. Stattdessen trieb der Müll in Richtung Ozean.
     gibt“, berichtet Leischner. Gemüse, Obst, Kleidung,
     Elektroartikel, lebendige Tiere – diese Waren bieten die      Zurück in Dortmund blieb Leischner mit seinen Partnern
     Verkäufer an. Bei seinem Gang über den Markt begeg-           aus Kumasi in Kontakt. Sie sprachen über Strategien zur
     nete Leischner aufgeschlossenen Händlern. Er erkannte         Klimaanpassung. Eine konkrete Idee war, Bäume in Kuma-
     aber gleichzeitig große Probleme für die Bevölkerung.         si zu pflanzen. Die Stadt hatte durch die Bevölkerungsex-
     „Der Markt produziert tonnenweise Müll“, erklärt Leisch-      plosion fast ihren kompletten Bestand verloren. Mit neuen
     ner. Und der landet nicht nur auf den Deponien, sondern       Bäumen sollte Kumasi, einst als Gartenstadt bekannt, nun
     vermehrt in den Flüssen.                                      wieder grüner werden.

     Es gab Entscheidungen, die das Problem noch verschärft        Die Dortmunder berieten ihre Partner auch auf anderen
     haben. Einst liefen Getränkeverkäufer mit großen Kanis-       Ebenen. So gab es den Plan, in Kumasi einen Fluss zu
     tern auf dem Rücken durch die Straßen. Wer Durst hatte,       begradigen. „Wir haben den Leuten vor Ort gesagt, dass
     konnte seine Trinkschale bei ihnen füllen lassen – und das    es solche Konzepte bei uns vor hundert Jahren gab und
     immer wieder. „Irgendwann wurden die großen Kanister          diese mittlerweile korrigiert wurden“, erklärt Leischner.
     verboten“, sagt Leischner. Fortan gab es kleine Einweg-       Die Dortmunder zeigten die Nachteile auf – eine höhere
     beutel aus Plastik. Die Müllberge wuchsen. „Ich habe          Überschwemmungsgefahr und Beeinträchtigungen
     Bilder gesehen, die mich richtig schockiert haben“, erzählt   des Ökosystems. Von den Plänen nahmen sie in Kumasi
     Leischner. Er denkt an seine Rückreise nach Deutschland,      mittlerweile Abstand.
EGLV.de   19

Zwischenzeitlich lag die grüne Verbindung über Kontinen-
te brach – aus Haushaltsgründen gab es ein Moratorium.
Doch bald erkannten die Politiker, wie wichtig die glo-
bale Vernetzung ist. Neben dem Umweltamt der Stadt
Dortmund ist nun auch das Büro für Internationale
Beziehungen der Stadt Dortmund für die Klimapartner-
schaft zuständig. „Und den Austausch mit Kumasi
haben wir wieder aufleben lassen“, erklärt Mitarbeiterin
Claudia Schütz. Ende 2020 unterzeichneten beide
Parteien ein „Memorandum of Understanding“ – eine
Absichtserklärung. „Damit haben sich die Städte verpflich-
tet, sich wieder stärker auszutauschen“, erklärt Schütz.

Momentan hakt es allerdings etwas. Die Corona-Pande-
mie macht Vor-Ort-Besuche beim Partner unmöglich.
Da die Regierung in Kumasi gewechselt hat, wäre ein
persönlicher Austausch aber im Sinne der Beteiligten.
„Aktuell haben sich die Probleme etwas verlagert“, sagt
Schütz. Sie hilft mit ihrem Team nun auf einer anderen
Ebene – mit der Bereitstellung von Desinfektionsmitteln.

Wenn die Pandemie vorüber ist, soll es wieder zu einem
persönlichen Austausch kommen. Die Dortmunder wollen
sehen, wie die Baumpflanz-Aktion vorangeschritten ist.
Zu diesem Thema hat Leischner noch eine Geschichte
parat. „Die Bäume werden an den Schulen gepflanzt“, er-
klärt er. „Es kommt aber schon mal vor, dass Vieh auf die
Flächen getrieben wird und die Setzlinge auffrisst.“ Als
der neue Stadtplaner Joshua Nii Noye Tetteh-Nortey aus
Kumasi auf Deutschland-Besuch war, schlug Leischner
ihm vor, dem Problem mit Elektrozäunen zu begegnen.
                                                                                 Info
                                                             Kumasi
Der Gast war erstaunt. Er dachte an die Starkstromzäune,     Kumasi ist die Hauptstadt der Ashanti Region in
mit denen die Reichen in Afrika ihre Anwesen schützen.       Ghana und seit Anfang des Jahres 2014 die größte
Dass ein Elektrozaun an einer Weide für Menschen             Stadt des Landes. In der Region wohnen in einem
                                                             Radius von etwa 30 bis 35 Kilometern um die Stadt
ungefährlich ist, wollte Leischner Tetteh-Nortey beweisen.
                                                             rund 3 Millionen Menschen. Die Stadt liegt 27 Kilo-
Leischner ließ ihn ein Stück berühren. Tetteh-Nortey
                                                             meter nordwestlich des Sees Bosumtwi, des einzigen
zuckte kurz, war danach aber wohlauf. Jetzt überlegen
                                                             wirklichen Binnensees Ghanas.
sie in Kumasi, die Setzlinge mit einem Elektrozaun
zu schützen.
20   WASSERSTANDPUNKT          Schwerpunktthema

     Interview
     mit Svenja Schulze
     Bundesministerin für Umwelt,
     Naturschutz und
     nukleare Sicherheit

                       „Klimaschutz muss
                        solidarisch sein!“
                              Svenja Schulze

     Autor: Alexander Knickmeier               Frau Ministerin, die Energiewende,        werden. Gleichzeitig brauchen wir für
     Illustration: Julian Rentzsch             die Europäische Agrarpolitik, das         künftige Hitze- und Trockenphasen
                                               Insektenschutzgesetz oder die             wirkungsvolle Konzepte, und wir müs-
     Mit den Protesten von Fridays for         Novelle des Kreislaufwirtschaftsge-       sen den Artenschwund in Deutsch-
     Future und den zunehmend spürba-          setzes: die Umweltpolitik hat in den      land dringend stoppen. Es gibt also
     ren Folgen des Klimawandels nimmt         letzten Jahren mehr Aufmerksam-           noch viel zu tun.
     die Umwelt- und Klimapolitik einen        keit erfahren als in der Zeit davor.
     deutlich wichtigeren Stellenwert          Ein gutes Zeichen?                        Welche Bilanz der ablaufenden
     ein. Ein entsprechend höheres Ge-         Die neue Aufmerksamkeit freut             Legislaturperiode würden Sie
     wicht hat das Umweltressort in den        mich sehr. Denn ich beobachte, dass       ziehen?
     letzten Jahren innerhalb der Bun-         das Umweltbewusstsein bei den             Ich finde, wir haben schon eine
     desregierung bekommen. Viele der          Menschen in Deutschland wächst.           Menge erreicht. In Deutschland gibt
     Themen haben immer auch einen             Nachhaltigkeit wird für viele immer       es endlich ein Klimaschutzgesetz,
     direkten Bezug zur Wasserwirtschaft.      wichtiger. Gleichzeitig zeigen sich       das dafür sorgt, dass jeder Sektor
     Dies nahmen wir als Anlass, um die        die Folgen des Klimawandels immer         verbindliche CO2-Einsparziele er-
     Bundesumweltministerin kurz vor           klarer, zum Beispiel mit der derzeit      füllen muss. Der Kohleausstieg ist
     der Bundestagswahl um eine Bilanz         anhaltenden Trockenheit in Deutsch-       beschlossene Sache, und zwar im
     zu bitten.                                land. Die Menschen erkennen diese         Konsens. Wir haben ein Gesetzes-
                                               Warnsignale, der Druck von der            paket zum Insektenschutz beschlos-
                                               Straße wächst. Die Sorge um unsere        sen, das jetzt im Bundestag beraten
                                               natürlichen Lebensgrundlagen wird         wird. Es ist gelungen, die Luft sau-
                                               größer, vor allem bei jungen Men-         berer zu bekommen, ohne weitge-
                                               schen. Wir dürfen keine Zeit verlieren,   hende Fahrverbote zu verhängen.
                                               um bis 2050 wirklich klimaneutral zu      Die Elektromobilität hat dank unserer
EGLV.de   21

                                                                                Welche Rolle können hier Deutsch-
                                                                                land und Europa spielen?
                                                                                Es stimmt, noch immer haben mehr
                                                                                als 2 Milliarden Menschen auf der Welt
                                                                                keinen Zugang zu sauberem Trink-
                                                                                wasser, mehr als 4 Milliarden Men-
                                                                                schen keine würdigen und sicheren
                                                                                Sanitäranlagen. Weltweit gelangen
                                                                                80 Prozent der Abwässer noch immer
                                                                                ungeklärt in die Flüsse und Meere.
neuen Prämien den Durchbruch ge-        steigen und diese dann nach und         Zehn Flusssysteme – acht in Asien
schafft. Mit neuen Düngeregeln schüt-   nach erhöhen, damit sich jeder darauf und zwei in Afrika – befördern rund
zen wir unsere Gewässer und sichern     einstellen kann. Klimaschutz muss       90 Prozent des globalen Plastikein-
die Wasserqualität in Deutschland.      solidarisch sein! Insgesamt muss der    trags in die Weltmeere. Das zeigt, wie
Und das sind nur einige Beispiele.      Staat daher Alternativen schaffen und wichtig internationale Kooperationen
                                        in Infrastrukturen investieren, zum     bei Fragen der Umweltpolitik sind und
Sehr viele Maßnahmen, die im            Beispiel mit einem attraktiven Nahver- wie wichtig die globale Entwicklungs-
Bereich des Umweltschutzes disku-       kehr, mit gezielten Förderungen und     zusammenarbeit ist. Ich setze mich da-
tiert werden, führen zu höheren         mit fairen Regelungen, damit beispiels- für ein, dass Deutschland und Europa
Preisen. Wie kann man verhindern,       weise die Mieterinnen und Mieter        ihre Anstrengungen weiter ausbauen.
dass am Ende nur diejenigen ihr Ver-    nicht alleine für Klimaschutzmaßnah-    Für Deutschland werde ich im Juni
halten ändern, die sich die höheren     men an Gebäuden zahlen müssen.          eine Nationale Wasserstrategie vorle-
Preise – zum Beispiel an der Zapf-                                              gen. Sie soll Wege für einen zukunfts-
säule – nicht mehr leisten können?      Ein Thema, das neben der Frage des fähigen, nachhaltigen Umgang mit
Das kann in der Tat ein Problem wer-    Klimaschutzes etwas in den Hinter-      Wasser aufzeigen. Viele Akteure aus
den, vor allem beim neuen CO2-Preis.    grund der Aufmerksamkeit zu rücken der Wirtschaft, den Umweltverbänden
Daher war mir wichtig, dass wir mit     droht, ist die globale Herausforde-     und der Landwirtschaft haben dabei
einer moderaten Besteuerung ein-        rung des Gewässerschutzes.              ihre Ideen eingebracht.
Emscher-Umbau

emscher-
umbau
auf der
schluss-
geraden

Ende dieses Jahres wird die Emscher auf der gesamten Länge von ihrer Abwasserfracht be-
freit sein – zum ersten Mal nach rund 170 Jahren! Damit endet nach rund drei Jahrzehnten
das Generationenprojekt Emscher-Umbau, nicht aber die Transformation des Ruhrgebietes:
Zahlreiche Chancen und Potenziale hat das wasserwirtschaftliche Projekt bereits aufgedeckt.
Nun gilt es, sie zu nutzen. Die Zukunft dieser Region beginnt jetzt!

Fotos: EGLV-Archiv, Henning Maier-Jantzen
AKE

Kläranlage             Kläranlage
Emscher-Mündung        Bottrop                                  Kläranlage
Dinslaken                                                       Dortmund-Deusen

          Pumpwerk             Pumpwerk   Pumpwerk
          Oberhausen           Bottrop    Gelsenkirchen
24   WASSERSTANDPUNKT   Emscher-Umbau

                                   10 Pumpen
                                    befördern künftig rund 16.000 Liter Abwasser –
                                    pro Sekunde!
EGLV.de   25

Das Herzstück
des Emscher-
Umbaus
Arbeiten zur Fertigstellung des
Pumpwerks Oberhausen laufen                                      Das Pumpwerk Oberhausen entsteht zurzeit im Ortsteil Biefang.

auf Hochtouren

                                                                 Ansprechperson: Reinhard Ketteler, Gebietsmanager
Autor: Ilias Abawi | Fotos: Rupert Oberhäuser, Jörg Saborowski   Emscher-Hauptlauf, ketteler.reinhard@eglv.de

Über Jahrzehnte prägten offene Schmutzwasserläufe                Sommer die Emscher zu neuem Leben erwecken. Wieso
das Bild des Ruhrgebietes. Ein Bild, das nicht so recht          überhaupt Pumpwerke? Nun: Aufgrund des Gefälles von
passen wollte zum Image der modernen Metropole, die              1,5 Promille würde der Kanal Dinslaken ohne Pumpwerke
das ehemalige Kohlenrevier doch so sehr sein möchte.             in 80 Metern Tiefe erreichen – zu tief, um das Abwasser
Im Zuge des Strukturwandels nahm seit 1992 sein symbol-          anschließend in die Kläranlage Emscher-Mündung im
trächtigstes Vorhaben Fahrt auf: das Generationenprojekt         Städte-Dreieck Oberhausen, Duisburg und Dinslaken zu
Emscher-Umbau, mit dem der zentrale Fluss des Ruhr-              heben. Das Gefälle wird künftig stattdessen durch drei
gebietes komplett von seiner Abwasserfracht befreit              Pumpwerke ausgeglichen: in Gelsenkirchen, Bottrop und
werden sollte. 30 Jahre, versprach die Emschergenossen-          in Oberhausen. Die Anlagen in Gelsenkirchen und Bottrop
schaft beim Beschluss des Vorhabens im November                  sind bereits im September 2018 an den Start gegangen.
1991, würde diese Mammutaufgabe in Anspruch nehmen.
Voll im Zeitplan wird nun gegen Ende dieses Jahres,              Deutschlands größtes Schmutzwasserpumpwerk in Ober-
nach genau drei Jahrzehnten, die Abwasserfreiheit in             hausen wird nach aktueller Planung im August in den
der Emscher erreicht werden.                                     Vollbetrieb gehen. Aktuell finden noch Arbeiten an der
                                                                 Maschinen- und Elektrotechnik statt, ab dem späten Früh-
Die künftige abwassertechnische Hauptschlagader der              jahr beginnt der Probetrieb. Mit dem Start des Pumpwerks
Region ist der unterirdische Abwasserkanal Emscher               Oberhausen kann auch der Abwasserkanal Emscher als
(AKE), der 51 Kilometer weit von Dortmund bis Dinslaken          Gesamtsystem in Betrieb genommen werden: Bis Ende
reicht. Er ist bereits auf ganzer Länge verlegt. Im 35 Kilo-     2021 werden alle seitlichen Abwassereinleitungen in die
meter langen Abschnitt zwischen Dortmund und Bottrop             Emscher an den unterirdischen Kanal angebunden sein –
ist der AKE seit September 2018 bereits in Betrieb.              in das Gewässer wird künftig kein Tropfen Abwasser
Stück für Stück sind seitdem bereits große Nebenläufe            mehr fließen!
wie zum Beispiel der Hellbach in Recklinghausen an den
unterirdischen Sammler angeschlossen worden. Die Em-             Der Umbau der Emscher steht symbolisch für die nach-
scher führt dadurch bereits deutlich weniger Abwasser.           haltige Transformation der Region. Der Emscher-Umbau
Damit die „abwassertechnische Hauptschlagader“ auf der           ist aber nicht der Abschluss dieser Transformation –
Gesamtstrecke bis Dinslaken geflutet werden kann, ist            sondern erst der Auftakt für weitere Veränderungen in
ein sprichwörtliches Herzstück notwendig: das Pumpwerk           der Region! Der Strukturwandel muss weitergedacht
Oberhausen. Gemeinsam mit dem AKE wird es ab diesem              werden – weit über das laufende Jahr hinaus!
26   WASSERSTANDPUNKT   Emscher-Umbau

                                        Die neuen Stauraumkanäle, hier die Anlage an der
                                        Osterfelder Straße in Oberhausen aus der Vogel-
                                        perspektive, trennen Schmutz- und Regenwasser.
EGLV.de   27

Ökologisch
und ökonomisch
sinnvoll
Zahlreiche Regenwasserbehand-
lungsanlagen entstehen an
der Peripherie zwischen dem
Abwasserkanal Emscher und den                              Eine der zahlreichen Regenwasserbehandlungsanlagen an der
                                                           Emscher entsteht in Oberhausen direkt auf der Emscher-Insel
Nebeneinzugsgebieten                                       zwischen Fluss und Kanal.

                                                           Ansprechperson: Reinhard Ketteler,
Autor: Ilias Abawi | Fotos: Andreas Fritsche               Gebietsmanager Emscher-Hauptlauf, ketteler.reinhard@eglv.de

Die neue Emscher kommt! So stand es nicht nur Anfang       Das oben schwimmende, weitestgehend saubere und
des Jahres auf dem großen Megaposter der Emscher-          nicht-klärpflichtige Regenwasser dagegen kann nach
genossenschaft am Gasometer Oberhausen. Für die            Erreichen einer bestimmten Menge und Höhe über eine
Abwasserfreiheit in der Emscher arbeitet der Wasserwirt-   Entlastungsschwelle ins Gewässer „schwappen“. Mit Hilfe
schaftsverband derzeit auf Hochtouren. Einen Schwer-       der Regenwasserbehandlungsanlagen erhalten die Ge-
punkt bilden die Arbeiten an zahlreichen Regenwasser-      wässer also weitestgehend sauberes Wasser, während
behandlungsanlagen an der Schnittstelle zwischen dem       die Abwasserkanäle und insbesondere die Kläranlagen
Abwasserkanal Emscher (AKE) und den Nebeneinzugs-          entlastet werden. Das ist nicht nur ökologisch äußerst
gebieten. Die Anlagen sorgen für eine Trennung von         sinnvoll, sondern auch ökonomisch – denn die Abwasser-
Schmutzwasser und sauberem Regenwasseranteil. Diese        kanäle müssen nicht durchgängig übergroß dimensioniert
Technik ermöglicht, dass der AKE mit Innendurchmessern     werden, was die Baukosten erheblich senkt! Zudem
von 1,60 bis 2,80 Meter auskommt, denn er nimmt nur den    gehört sauberes Regenwasser ins Gewässer und nicht in
Schmutzwasseranteil auf. Das nicht-klärpflichtige Regen-   die Kläranlage, wo es unnötigerweise noch einmal für viel
wasser dagegen wird ins Gewässer eingeleitet.              Geld gereinigt würde.

Die Funktionsweise einer Regenwasserbehandlungsan-         Aktuell arbeitet die Emschergenossenschaft an zahl-
lage ist dabei recht simpel: In einem Stauraumkanal oder   reichen Regenwasserbehandlungsanlagen im Emscher-
Regenüberlaufbecken wird bei starken Niederschlägen        Einzugsgebiet, allein in Oberhausen gibt es dafür aktuell
das Mischwasser per Drosselanlage zunächst „angehal-       neun (!) Baustellen. Von der an der Osterfelder Straße
ten“ und beruhigt. Dabei kommt das physikalische Gesetz    hatten die am Bau Beteiligten Anfang des Jahres einen
der Schwerkraft zum Tragen. Die schwereren Schmutz-        hervorragenden Blick auf den Gasometer Oberhausen
sedimente setzen sich nach unten ab und können ge-         und das Megaposter der Emschergenossenschaft. Die
drosselt durch eine Ableitung in den Abwasserkanal und     neue Emscher kommt – auch dank dieser Regenwasser-
anschließend zur Kläranlage transportiert werden.          behandlungsanlagen!
Alles ha
Programm Lebendige Lippe

mit alle
zusamme
Pandemien und Seuchen stehen mit einem Ungleichgewicht zwischen Mensch und Natur in unmittelbarem
Zusammenhang. Maßnahmen zum Umwelt-, Klima- und Naturschutz können gegensteuern.
ngt
m
n

      Foto: Rupert Oberhäuser
30 WASSERSTANDPUNKT         Programm Lebendige Lippe

    Welt aus dem Gleichgewicht
    Wie Pandemien entstehen und was wir
    dagegen tun können

    Autorin: Anne-Kathrin Lappe | Fotos: Ute Jäger, Rupert Oberhäuser,
    EGLV-Archiv

    Seuchen sind zwar so alt wie die                                     Menschen machen Pandemien – und zwar nicht im
                                                                         Reagenzglas, sondern durch Raubbau an der Natur. Der
    Menschheit selbst, aber Corona ist
                                                                         überwiegende Teil der Erreger, die Pandemien heute aus-
    die erste globale (!) Pandemie, die                                  lösen können, sind Zoonosen von Wild- und Haustieren.
    unsere Gesellschaft in diesem                                        Von Zoonosen spricht man, wenn ein Erreger wechselsei-
                                                                         tig sowohl Mensch als auch Tier infizieren kann. Berühmte
    Ausmaß erlebt. Doch wie entstehen
                                                                         Beispiele: Pest, Ebola, Leishmaniose, Malaria. Allein die
    Pandemien? Die Idee, dass sich ein                                   Pest, eine bakterielle Zoonose, raffte im Mittelalter rund
    Erreger aus einem Labor heraus                                       ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahin. Der enge
                                                                         Kontakt zu infizierten Nagetieren, die Flucht der Menschen
    in die Welt verbreitet, mag durch ihre
                                                                         aus betroffenen Gebieten und erste globale Handels-
    Einfachheit bestechen. Doch diese                                    routen „halfen“ bei der Ausbreitung.
    Theorie greift zu kurz, wie zahlreiche
                                                                         Ausbreitung durch Globalisierung
    neue Studien belegen. Fest steht:                                    Drei von vier der neu entstehenden Infektionskrankheiten
    Naturschutz ist ein wichtiger Schlüs-                                auf der Erde haben ihren Ursprung in Tieren. „Durch Um-
    sel, um dem Ausbruch von Infektions-                                 weltzerstörung wie Rodungen und Siedlungsbau rücken
                                                                         Menschen und Wildtiere näher zusammen. Das erhöht die
    krankheiten künftig vorzubeugen.                                     Wahrscheinlichkeit, dass Nahrungsmittel mit Erregern zum
                                                                         Beispiel durch tierischen Kot kontaminiert sind“, führt der
                                                                         Biologe Dr. Mario Sommerhäuser aus. Die Globalisierung
                                                                         wirke dabei als Katalysator – ein Virus aus den Tropen
                                                                         könne so in 30 Stunden bereits auf einem deutschen
                                                                         Markt sein.
EGLV.de   31

                         Umweltzerstörung:
                         durch Rodung und
                         Siedlungsbau rücken
                         Menschen und Erreger
                                                               Artensterben:
                         zusammen
                                                               Stabilitätsverlust der
                                                               Ökosysteme

Menschen machen
Pandemien
durch Raubbau an                                                                    Klimawandel:
der Natur.                                                                          begünstigt
                                                                                    wärmeliebende
                                                                                    Arten und Erreger

         Bevölkerungsentwicklung
         & Urbanisierung:
         Überbevölkerung und
         Siedlungsdichte fördern
         schnelle Ausbreitung                                Gründe für die Verbreitung
                                                             von Zoonosen

                                                Globalisierung:
                                                Handel und Reisen
                                                begünstigen
                                                schnelle Ausbreitung
32   WASSERSTANDPUNKT     Programm Lebendige Lippe

                    13                                 150
                     Zunahme der Arten von Wasserinsekten von 1970 bis 2020

                                                        Rückkehr von Biber und Fischotter

                              1,2 Mio. qm
                               renaturierte Gewässer und Auenflächen

     Der Mensch als Wirt
     Umweltzerstörung und Artenverlust begünstigen also die       gradigungen, durch Entfernung des ufernahen Baumbe-
     Ausbreitung von Pandemien. Die Grundlage dafür hat der       standes und Abwasserbelastung in vielen Teilen Deutsch-
     Mensch geschaffen. Schaut man nach Brasilien, wurden         lands zur Plage geworden. „Heute wissen wir, dass sich
     in den 1990er-Jahren 94 Millionen Hektar Waldfläche          die Verbreitung der Schadarten durch Gewässer-Renatu-
     (2,4 Prozent der Gesamtfläche) gerodet, wovon 70 Prozent     rierung mit Ufergehölzen und Auen eindämmen lässt“,
     durch Agrarkulturen ersetzt wurden. Heute sind mehr als      erläutert Dr. Mario Sommerhäuser. Solche Renaturierun-
     die Hälfte aller ursprünglichen Wälder verschwunden.         gen haben das Ziel, die Biodiversität zu erhöhen – also
                                                                  möglichst vielen Arten einen Lebensraum zu bieten oder
     Untersuchungen zeigen, dass die Abholzung von nur vier       verlorene Lebensräume wiederherzustellen. Das wirkt sich
     Prozent (!) eines tropischen Waldes mit einer fast 50-pro-   positiv auf das natürliche Gleichgewicht aus.
     zentigen Zunahme der Malariafälle einhergehen kann.
     Der Grund: Die Malaria übertragenden Mückenarten ver-        Rasanter Verlust von Lebensräumen
     mehren sich vor allem an sonnenbeschienenen Wasser-          Und die Rolle rückwärts ist dringend geboten: Seit den
     flächen. Je weniger Bäume, umso weniger Schatten und         1970er-Jahren gibt es einen Verlust an Feuchtgebieten
     umso häufiger werden Menschen, die am Wasser leben           und Auen um 85 Prozent. Die Ursachen sind vielfältig: Ver-
     und arbeiten, zum Wirt für den Malariaerreger.               schmutzung, Rohstoffgewinnung oder Klimawandel sind
                                                                  nur einige Faktoren. Die Natur verschwindet in einer noch
     Die Rolle rückwärts ist möglich                              nie dagewesenen Geschwindigkeit von unserem Planeten
     Auch vor der eigenen Haustür lassen sich ähnliche Zu-        und eine Millionen Tier- und Pflanzenarten sind vom Aus-
     sammenhänge beobachten. Wer bereits von einer Krie-          sterben bedroht. Da für die „Überlebenden“ immer weni-
     belmücke gebissen wurde, weiß um die heftige Reaktion,       ger Platz zur Verfügung steht, erhöht sich die Wahrschein-
     die das flohgroße Insekt auslösen kann. Kriebelmücken        lichkeit, dass sie in engen Kontakt mit Menschen kommen,
     sind durch Umweltveränderungen in Form von Flussbe-          Viren überspringen und sich immer weiter anpassen.
EGLV.de   33

Natur- und Artenschutz als Chance                                           Info
Für den Biologen Dr. Mario Sommerhäuser ist klar: Maß-
nahmen zum Umwelt-, Klima- und Naturschutz können         Natur ist wertvoll, Pandemien sind teuer
Pandemien vermeiden. An der Lippe hat der Lippever-       Ökosysteme wie Regenwälder bieten einen
band in den 1970er-Jahren mit dem Ausbau der Kläran-      Benefit für Mensch und Natur, die als Öko-
lagen begonnen, um die Wasserqualität des biologisch      systemleistungen bezeichnet werden und
völlig verarmten Gewässers zu verbessern. Seit einigen    monetär bewertbar sind. Um einige Beispiele
Jahren setzen das Land NRW und der Wasserverband mit      zu nennen: Die Speicherung von CO₂ hat einen
dem Programm Lebendige Lippe Renaturierungsmaßnah-        Wert von 55 bis 78 Euro pro Hektar und Jahr.
men für den Fluss und seine Auen um.                      Die nachhaltige Gewinnung von Naturprodukten
                                                          wie Honig, Früchten oder Pilzen wird mit 40 bis
„Ein umfangreiches Monitoring zur Entwicklung von         80 Euro pro Hektar und Jahr bewertet. Rechnet
Wasserlebewesen belegt nun die Hypothese, dass sich       man diese und weitere Faktoren zusammen,
Renaturierungsmaßnahmen äußerst positiv auf die Bio-      bedeuten 9.166 Quadratkilometer abgeholzter
diversität auswirken und stabile Ökosysteme fördern.      Amazonas-Regenwald rund 324 Millionen
Maßnahmen zum Natur- und Artenschutz können unsere        Euro Schaden – allein im Jahr 2019.
Chance sein, der Welt zu ihrem Gleichgewicht zu verhel-
fen und so dazu beitragen, das Aufkommen von Pande-       Im Vergleich dazu hat die Coronakrise weltweit
mien zukünftig zu verringern.“                            allein bis September 2020 rund 9,3 Billionen
                                                          Euro Kosten verursacht. Dagegen lägen die
Ansprechperson:                                           Nettopräventionskosten zwischen 14,9 und 22,3
Dr. rer. nat. Mario Sommerhäuser
                                                          Milliarden Euro, was lediglich 0,25 Prozent der
Abteilungsleiter Fluss und Landschaft
sommerhaeuser.mario@eglv.de                               Kosten einer Pandemie entspricht!
34 WASSERSTANDPUNKT         Position EGLV

       „Es ist wichtig, Verantwortung für
        unser Gemeinwesen zu übernehmen,
        um sich Angriffen auf unsere
        Demokratie entgegenzustellen.“
         Prof. Dr. Uli Paetzel
EGLV.de   35

Interview
mit Prof. Dr. Uli Paetzel
Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft
und Lippeverband (EGLV)

Autor: Friedhelm Pothoff | Illustration: Julian Rentzsch

Er mischt sich gerne ein,                         Herr Prof. Paetzel, Sie sind Vor-        Aber nicht ausschließlich. Ich emp-
                                                  standsvorsitzender von Emscher-          finde es als sehr wichtig, dass wir als
wenn es um die wichti-
                                                  genossenschaft und Lippeverband          maßgeblicher Entwickler einer Region
gen Themen für die                                (EGLV) und damit der Chef des größ-      auch andere Impulse setzen, uns
Region geht. Impulse zu                           ten deutschen Wasserwirtschafts-         gezielt einmischen und entsprechend
                                                  verbandes. Was heißt das mit Blick       in unsere Verbandsgebiete wirken.
setzen und Diskussionen                           auf Ihre Rolle für Sie?
zu befördern, das ist                             Das ist eine sehr verantwortungsvolle    Sie waren zwölf Jahre Bürgermeister
Prof. Dr. Uli Paetzel (49),                       und spannende Aufgabe. Die Ver-          der Stadt Herten, ehe Sie Chef von
                                                  bände weiterzuentwickeln, organisa-      EGLV wurden. Wie wichtig ist es für
dem Vorstandsvorsitzen-                           torisch wie inhaltlich, steht im Fokus   Sie, klare Kante bei politischen und
den von Emschergenos-                             meiner Arbeit. Nach innen betrachtet     gesellschaftlichen Fragen zu zeigen?
senschaft und Lippe-                              heißt das vor allem, die Entscheidun-    Das ist für mich sehr wichtig. Nehmen
                                                  gen, die wir nach den Beratungen im      wir das Beispiel des immer stärker
verband, ein Bedürfnis.                           Vorstand treffen, so transparent und     werdenden autoritären Nationalradi-
Im Interview äußert er                            verständlich ins Haus zu kommunizie-     kalismus in Deutschland – bis in die
                                                  ren, dass alle Beschäftigten nachvoll-   bürgerliche Mitte hinein. Für mich
sich auch über seine
                                                  ziehen können, warum wir gerade          ist es von größter Bedeutung, dass
eigene Rolle, über den                            was und wie machen.                      nicht nur ich mich als Person da ein-
Klimawandel und das                                                                        deutig positioniere, sondern auch
                                                  Und nach außen? Als Impulsgeber          unsere Organisation insgesamt.
Superwahljahr 2021.
                                                  eines Hauses, das so stark in die Re-
                                                  gion wirkt, wie EGLV es tun, bewegt      Konkretisieren Sie das bitte.
                                                  man sich doch zumindest gefühlt auf      Es ist sehr wichtig, eine Rolle in der
                                                  dünnerem politischen Eis. Was ist        Gesellschaft wahrzunehmen, um sich
                                                  die Motivation für Ihr Handeln?          dem Angriff auf unsere Demokratie,
                                                  Die liegt für mich klar auf der Hand.    denn darum geht es hier, wirkungsvoll
                                                  Ich möchte als Repräsentant von          entgegenzustellen. Das mache ich
                                                  Emschergenossenschaft und Lippe-         als Person, in dem ich beispielsweise
                                                  verband für die bedeutenden Inhalte      am Holocaust-Gedenktag und zu
                                                  der Wasserwirtschaft stehen.             anderen Gelegenheiten
36   WASSERSTANDPUNKT     Position EGLV

     mit klaren inhaltlichen Botschaften     macht, die auf einem guten Zusam-       Stichwort Mehrwert: In einem
     Position beziehe.                       menspiel von ehren- und hauptamt-       Interview mit der Westdeutschen
                                             lichen Akteuren beruht.                 Allgemeinen Zeitung forderten Sie
     Emschergenossenschaft und Lippe-                                                vor einiger Zeit mehr Geld für Infra-
     verband haben unter Ihrer Regie ja      Für die Menschen ist die DWA aber       struktur. Nicht alle haben da Beifall
     auch ihre Geschichte während der        nicht stark wahrnehmbar.                geklatscht...
     NS-Zeit aufarbeiten lassen…             Ja, da ist so. Die Arbeit hat viele     (lacht) Ja, aber Reaktionen sind ja
     Ja, genau. Das war ein äußerst wich-    Nahtstellen zu Wissenschaft, Praxis     auch immer eine Frage der Perspek-
     tiger Prozess für uns. Wir haben eine   in Wirtschaft und Verbänden wie         tive. Wir zehren in Deutschland und in
     Geschichte und wollten sie offenle-     Politik. Die DWA versteht sich als      NRW von der Substanz der 60er und
     gen und nicht so tun, als gäbe es sie   Organisation der wissenschaftlich-      70er Jahre. Gute Infrastrukturen sind
     nicht. Man muss sich mit der eigenen    technischen Vernunft.                   Voraussetzung für den wirtschaftli-
     Vergangenheit auseinandersetzen,                                                chen Erfolg unseres Landes. Und hier
     um in der Zukunft ähnliche Fehler zu    Welche Nahtstellen sind das?            haben wir in Deutschland laut KfW
     vermeiden.                              Wir reden hier über Chancen und         bundesweit allein auf kommunaler
                                             Potenziale, die mit wasserwirtschaft-   Ebene ein Infrastrukturinvestitions-
     Herr Paetzel, Sie sind ja nicht nur     lichen Maßnahmen einhergehen,           defizit von fast 160 Milliarden Euro.
     Chef eines Doppel-Verbandes,            wie etwa für städtebauliche Planung.    Hier besteht dringender Handlungs-
     sondern seit Januar 2019 auch der       Die ökonomische Entwicklung von         bedarf, dem nur mit einem neuen
     Präsident der Deutschen Vereini-        Regionen kann durch den ökologi-        Pakt für nachhaltige Infrastrukturen
     gung für Wasserwirtschaft, Ab-          schen Mehrwert befördert werden.        zu begegnen ist.
     wasser und Abfall (DWA). Welche         Sauberes Wasser spielt dabei eine
     Möglichkeiten bieten sich Ihnen in      wichtige Rolle. Blau-grüne Infra-       Sie kritisieren beispielsweise die
     dieser ehrenamtlichen Tätigkeit?        strukturen etwa sind positive, harte    Straßenplanung im Ruhrgebiet und
     Schon sehr große auf nationaler         Standortfaktoren. Hervorragende         forderten in dem Zusammenhang
     Ebene. Die DWA formuliert die tech-     Beispiele für diese Mehrwert-Wir-       mal exemplarisch die Busspur auf
     nischen Standards, also das unter-      kung sind unser regionales Genera-      Autobahnen. Sie pflegen auch den
     gesetzliche Regelwerk der Branche.      tionenprojekt Emscher-Umbau und         Ruf, ein Kritiker des ÖPNV im Revier
     Sie unterstützt die Forschung und       die Lippe-Renaturierung.                zu sein. Ist das nicht zu themen-
     fördert die Aus- und Weiterbildung.                                             fremd mit Blick auf die Wasserwirt-
     Sie besitzt eine große Wirkungs-                                                schaft, in der Sie tätig sind?
Sie können auch lesen