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1/21 Titelstory Internationale Wasserpolitik Emscher-Umbau auf der Schlussgeraden Welt aus dem Gleichgewicht
2 WASSERSTANDPUNKT Programm Forschung und Lebendige Lippe Entwicklung 28 Welt aus dem Gleichgewicht 44 Sonderforschungsbereich 46 Dissertation zur Klärschlammtrocknung EGLV-Thema 34 Interview mit 48 Coronaviren im Abwasser 3 Editorial Prof. Dr. Uli Paetzel Schwerpunktthema Kurzmeldungen/ Internationale Wasserpolitik Städtebau News 38 Europäisches Bauhaus 50 Eine Bergbaubrache wird zum 4 Internationale Wasserpolitik Umweltparadies 39 Bilanz ein Jahr Projekt KRIS 10 Soziale Verantwortung von 54 Mein Lieblingsplatz an der Seseke Industrieländern 40 Überflutungsfläche in Dinslaken 55 „Neustadt“ entsteht am 14 Interview mit Barbara Gerhager Emscherkunstweg 16 Grüne Verbindung über Kontinente 20 Interview mit Svenja Schulze Emscher-Umbau 24 Pumpwerk Oberhausen 26 Regenwasserbehandlungs- anlagen
EDITORIAL 3 „Heute stehen wir vor gewaltigen umweltpoli- tischen Herausforderungen. Neben der Bekämpfung des Klimawandels sind es vor allem auch Fragen des nachhaltigen Umgangs mit unseren Wasser- ressourcen.“ Prof. Dr. Uli Paetzel Foto: Johannes Glinka am 24. Dezember 1968 nahm William gang zu angemessenen Sanitäran- der Abwasserfreiheit des Emscher- Anders, Astronaut der „Apollo 8“- lagen und Trinkwasser. Systems feiern werden, und beschrei- Mission, bei einer Umkreisung des ben, was Corona und Biodiversität Mondes ein Bild der aufgehenden Wir widmen uns daher in dieser Aus- miteinander zu tun haben. Erde über dem Mondhorizont auf. Die gabe des Wasserstandpunkts der Aufnahme zeigte die Zerbrechlichkeit internationalen Wasserpolitik, stellen Wir wünschen Ihnen – wie immer – unseres Planeten und wurde im Entwicklungen und Konfliktlinien vor viel Freude beim Lesen der Ausgabe. Nachgang zu einem Symbol der begin- und berichten über eigene Koopera- Für Rückmeldungen und Fragen nenden Umweltbewegung. tionen unter anderem mit Namibia - stehen wir Ihnen gern zur Verfügung. wo wir vor Ort einen Beitrag zur Heute, mehr als 50 Jahre später, Verbesserung der Abwasserentsor- Mit besten Grüßen und einem herz- stehen wir vor gewaltigen umwelt- gung und der Gewässersituation lichen Glückauf politischen Herausforderungen. leisten - sowie über ein Projekt unse- Neben der Bekämpfung des Klima- rer Mitgliedskommune Dortmund. wandels sind es vor allem auch Fragen des nachhaltigen Umgangs mit unse- Darüber hinaus baten wir Bundes- ren Wasserressourcen – noch immer umweltministerin Svenja Schulze vor Prof. Dr. Uli Paetzel wird weltweit nur ein Bruchteil des der Bundestagswahl um eine Bilanz anfallenden Abwassers vor der Einlei- der Legislaturperiode, geben einen tung in Flüsse und Meere geklärt und Ausblick auf das weitere Jahr 2021, in Milliarden Menschen sind ohne Zu- dem wir das lang erwartete Erreichen
EGLV.de 5 Bei der nächsten Bundestagswahl wird die Umweltpolitik einen hohen Stellenwert einnehmen. Doch es gibt in Zeiten der Klimakrise viele wichtige ökologische Themen, die nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen: Dazu zählen auch die Herausforderungen in der internationalen Wasserpolitik, die wiederum eng mit den Folgen des Klimawandels zusammenhängen. Eine Betrachtung. Autor: Alexander Knickmeier Aktuelle Studien zeigen, dass das Umweltbewusstsein Fotos: Rupert Oberhäuser, EGLV-Archiv, clicksabhi/Shutterstock.com der Deutschen wächst. Auch wird der Zustand der Umwelt kritischer eingeschätzt und engagiertere politische Maß- nahmen gefordert. Im Zentrum steht dabei der Klimaschutz nale onale und die Sorge vor den Folgen der Klimaveränderungen, beispielsweise für die Biodiversität, den Zustand der Wäl- der oder mikroklimatische Bedingungen in den verdichte- ten Städten. Die Frage, welche Folgen dies für die eigenen Wasserres- tik–– itik sourcen hat, kommt dabei bisher allenfalls im Sommer mit Blick auf Ernteausfälle oder dem besagten Trockenstress in den Wäldern auf. Jedoch fehlt in der Debatte eine globale und umfassende Perspektive auf das Thema Wasser und ein entsprechendes politisches Engagement, das den ab- sehbaren Problemlagen Rechnung trägt. Mehr noch: Auch ¸ wenn sich in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten viel im Bereich Gewässerschutz getan hat, steht die Welt insgesamt gesehen hier noch am Anfang. Schätzungen gehen davon aus, dass mehr als 2 Milliarden Menschen weltweit keinen durchgehenden Zugang zu icht? eicht sauberem Trinkwasser haben. 4,3 Milliarden Menschen können keine sicheren und hygienisch einwandfreien Sa- nitäranlagen nutzen, mehr als 670 Mio. Menschen müssen sich gar im Freien erleichtern und täglich sterben mehr als 800 Kinder an vermeidbaren Krankheiten, die durch ver- unreinigtes Wasser oder mangelnde sanitäre Bedingungen
6 WASSERSTANDPUNKT Schwerpunktthema Flussrenaturierungen bieten zahlreiche Potenziale für eine nachhaltige Entwicklung. hervorgerufen werden. Insgesamt werden 80 Prozent 1972. In der „Deklaration von Stockholm“ verpflichteten sich der weltweiten Abwässer ungeklärt in die Flüsse die Teilnehmerländer erstmals zu einer breit getragenen, und Meere eingeleitet, mit entsprechenden Folgen für multilateralen Zusammenarbeit im Umweltschutz. Fünf die Ökosysteme. Jahre später fand in „Mar de la Plata“ die erste eigene Was- serkonferenz statt, die die „Internationale Wasserdekade“ Blick zurück: Internationale Wasserpolitik 1981 bis 1990 vorbereitete und die allen Menschen einen Die Regulierung der eigenen Wasserressourcen zählt Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Anlagen zu den Aufgaben, die sich historisch bis an den Beginn ermöglichen sollte. menschlicher Kulturen zurückverfolgen lassen. Entspre- chende Vorschriften finden sich zum Beispiel im alten Mit Ende dieser zehn Jahre stellte sich eine gewisse Mesopotamien, bei den Inka, in den ägyptischen Hoch- Ernüchterung ein und erste Paradigmenwechsel ließen sich kulturen oder in den verschiedenen Weltreligionen. Auch beobachten. Unter anderem wurde klar, dass Wasserma- in den modernen Staatengebilden nahm die Wasserbe- nagement integral zu erfolgen hat, d.h. auch Aspekte der wirtschaftung einen hohen Stellenwert ein und fiel tra- Wassernutzung sowie soziale, Bildungs- und Governance- ditionell – mit wenigen Ausnahmen – der öffentlichen fragen rückten in den Fokus der Entwicklungszusammen- Hand zu. Hier finden sich zum Beispiel auch im 19. Jahr- arbeit. Auch wurde Wasser von da an stärker als öko- hundert in den rasant wachsenden Städten groß an- nomisches Gut behandelt. Private Unternehmen und die gelegte Infrastrukturmaßnahmen zur Verbesserung der Schaffung von Wassermärkten sollten weitere Investitionen Hygienesituationen, z. B. durch den Bau unterirdischer in die Wasserinfrastruktur auslösen. Gleichzeitig wurden Kanalisationen oder, wie im Fall der Emscher, durch den die Entwicklungsziele mit Bezug zum Thema Wasser in Ausbau oberirdischer Abwasserläufe. der auf dem Weltgipfel in Rio de Janeiro verabschiedeten Agenda 21 und den im Vorfeld zur Konferenz vereinbarten Als Startschuss für eine moderne und globale Umwelt- Sustainable Development Goals (SDGs) festgeschrieben. und Wasserpolitik gilt gemeinhin die „UNO-Weltkonferenz Bis zum Jahre 2015 sollte die Zahl der Menschen ohne über die menschliche Umwelt“ in Stockholm im Jahre Zugang zu sauberem Wasser halbiert werden.
Deutsche Wasserwirtschaft hilft auch in anderen Ländern Die Herausforderungen im weltweiten Gewässerschutz bleiben groß. Wasserwirt- schaftsbetriebe in Deutschland bringen ihr wertvolles Know-how dabei in die Ent- wicklungszusammenarbeit ein.
8 WASSERSTANDPUNKT Schwerpunktthema Verbraucht ein Land jährlich mehr als 20 Prozent der erneuerbaren Wasser- ressourcen, spricht man von „Wasserstress“. Status quo und Blick nach vorn: Bescheidene Erfolge und Notwendigkeit zum Handeln Allen Anstrengungen zum Trotz ist die Zahl der Men- lichen Haushalte zu entlasten. Mittlerweile wird jedoch der schen ohne Zugang zu Trinkwasser und Sanitäranlagen, Schutz der Wasserressourcen wieder stärker als „soziales die Menge an entsorgtem Müll in den Gewässern und die Gut“ definiert und sogar ein Menschenrecht auf Wasser Einleitung ungeklärter Abwässer unvermindert hoch. formuliert. Diese – sicherlich richtigen – grundsätzlichen Die Erfolge, die die Entwicklungsprojekte auf den unter- Überlegungen setzten dann jedoch eine deutliche Aus- schiedlichen Ebenen erreichen konnten, wurden durch weitung der öffentlichen Investitionen voraus, die starke gegenläufige Einflussfaktoren – wie zum Beispiel Bevöl- Institutionen und entsprechende Governance-Strukturen in kerungswachstum, militärische Konflikte oder Landflucht den kooperierenden Ländern benötigen. – überkompensiert. Die Herausforderungen beim Schutz der Wasserres- Mit Blick auf die angebrochene Dekade bis zur nächsten sourcen werden vor dem Hintergrund des Klimawandels Zielmarke der SDGs 2030, ergeben sich eine Reihe von nochmals deutlich potenziert. Verschiebungen von Klima- Handlungsfeldern und Konfliktlinien. Klar ist, dass für die zonen, die Ausbreitung von Wüsten und die Übernutzung notwendigen Infrastrukturinvestitionen zum Schutz des von Grundwasserkörpern können die Erfolge vergange- Wassers gewaltige finanzielle Mittel mobilisiert werden ner Jahre sogar wieder rückgängig machen. In Summe müssen. Noch immer bleiben jedoch viele der potenziel- scheint es daher so, dass die internationale Gemeinschaft len Geberländer hinter ihren Zusagen zurück. Und auch beim Thema Wasserschutz und bei der Versorgung mit Deutschland, dass Mitte der 2010er-Jahre die Ausgaben sauberem Trinkwasser und sicheren Sanitäranlagen zwar für die Entwicklungszusammenarbeit deutlich ausgewei- viel getan, aber bislang zu wenig erreicht hat. Es ist somit tet hat, liegt seit 2017 wieder hinter den avisierten dringend an der Zeit, das aktuelle Jahrzehnt zu nutzen, um 0,7 Prozent des BIP zurück. die Investitionen in die nachhaltige Bewirtschaftung der Wasserressourcen auszubauen und das Thema Wasser- In der Vergangenheit wurde daher die Öffnung der Was- schutz als zweite globale Generationenaufgabe – neben sermärkte für privates Kapital befürwortet, um die öffent- dem Klimaschutz – gleichrangig anzugehen.
Verbrauch des Wasservorkommens in Prozent + 80 % + 40 % + 21 % extrem hoher hoher Wasserstress Wasserstress Wasserstress 1/4 der globalen 1/3 der globalen Deutschland Bevölkerung Bevölkerung gilt als sehr wasserreiches Land, die verfügbare Wassermenge 17 Nationen, vorwiegend im z. B. auch europäische Länder, schwankt jedoch dem Umwelt- Nahen Osten und Nordafrika wie Belgien, Griechenland, bundesamt zufolge jedes Jahr Spanien beträchtlich Quelle: Focus 673 Millionen Menschen ohne Toilette Anteil der Bevölkerung, der sich im Freien erleichtern muss (in %) 50-100 % 25-50 % 5-25 % 1- 5%
10 WASSERSTANDPUNKT Schwerpunktthema Industrieländer sollten soziale Verantwortung übernehmen Öffentliche Daseinsvorsorge ist nicht überall in der Welt eine Selbstverständlichkeit Die Kläranlage (hinten) in Outapi mit einem Wasserspeicher- becken im Vordergrund. Das aufbereitete Wasser dient der Bewässerung von Feldern.
EGLV.de 11 Autoren: Ilias Abawi, Silke Wienforth Fotos: Silke Wienforth, Stefan Stegemann Emschergenossenschaft und Lippe- dass alles im Fluss bleibt. Für die meisten Menschen ist die öffentliche Daseinsvorsorge kaum sichtbar, weil verband engagieren sich in Namibia – sie sehr gut funktioniert. Erst wenn der Müll einmal nicht weil sie aus eigener Erfahrung pünktlich abgeholt wird oder ein Pumpwerk ausfällt, wissen, wie wichtig eine funktionie- bemerken die Bürgerinnen und Bürger das sonst kaum wahrgenommene System, das wie ein guter Virenscanner rende Abwasser-Infrastruktur ist. immer im Hintergrund läuft und dafür sorgt, dass der all- Vor gerade einmal 130 Jahren kam es tägliche Betrieb aufrechterhalten wird. auch im Ruhrgebiet aufgrund von Was für die Menschen in Deutschland Alltag selbstver- verunreinigtem Wasser zu Krankheits- ständlich dazugehört – die öffentliche Daseinsvorsorge – ausbrüchen. ist für die Menschen in Entwicklungsländern purer Luxus. Gerade weil es uns in Europa sehr gut geht – alles andere ist Jammern auf sehr hohem Niveau – betrachten wir es Wasser ist Leben – und der Zugang zu sauberem Wasser als unsere gesellschaftliche Verantwortung, uns dort zu von unschätzbarem Wert. Was für die Menschen im Ruhr- engagieren, wo die Bevölkerung sich nicht mehr selbst gebiet als alltäglich gilt, ist vor knapp 130 Jahren noch helfen kann – so etwa in Afrika, wo der Zugang zu saube- purer Luxus gewesen. Infolge der durch den Kohleabbau rem Wasser alles andere als Alltag ist. verursachten Bergsenkungen konnten die Flüsse und Bäche der Region nicht mehr abfließen, vielerorts kam es Vor knapp fünf Jahren haben Emschergenossenschaft zu Überschwemmungen. Verschärft wurde die Situation und Lippeverband (EGLV) begonnen, das Projekt EPoNa dadurch, dass aufgrund der Bergsenkungen auch keine (Enhancement of Wastewater Ponds in Outapi/Namibia) unterirdischen Abwasserkanäle gebaut werden konnten. der Technischen Universität Darmstadt zu unterstützen. Die gesamte Schmutzwasserfracht wurde über die Mit dem Vorhaben sollte in der Kleinstadt Outapi die Gewässer entsorgt – folglich sorgten die Überschwem- Abwasserreinigung so verbessert werden, dass das ge- mungen zu Krankheitsausbrüchen und Epidemien reinigte Wasser zumindest für die Landwirtschaft wieder (z. B. Typhus und Cholera). Da Wasser – ob sauber oder nutzbar ist. schmutzig – an Stadtgrenzen nicht Halt macht, wurden die Kommunen nicht Herr der Lage. Als Konsequenz des- Der Ort Outapi liegt im Norden Namibias, rund 8.500 sen bestimmte der preußische Staat 1899 die Gründung Kilometer vom Ruhrgebiet entfernt. Die rund 5.000 Ein- der Emschergenossenschaft als Deutschlands erstem wohner von Outapi teilen ein Problem, das alle Namibier Wasserwirtschaftsverband. kennen: Nicht alle Menschen haben Zugang zu einer geregelten Abwasserentsorgung und wenn nach neun Der Rest ist Geschichte: Die Emschergenossenschaft Monaten Trockenheit kein ergiebiger Regen fällt, hun- regulierte die Gewässer, baute zudem Pumpwerke und gert das Vieh und es müssen Ziegen und Rinder not- Kläranlagen. Die öffentliche Daseinsvorsorge hält heute geschlachtet werden. Auch der Anbau von Getreide und den Alltag der Bevölkerung am Leben und sorgt dafür, Gemüse ist darüber hinaus gefährdet.
12 WASSERSTANDPUNKT Schwerpunktthema Silke Wienforth (li.), Ingenieurin bei EGLV, half 2017 in Afrika mit. Das Projekt EpoNa – in dem sich neben der TU Darmstadt weitere Hochschulen, Ingenieurbüros, Sozialforscher und die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) engagierten – verfolgte seit 2016 einen interessanten Ansatz, um den sensiblen Wasserkreislauf in der Region zu stärken: Eine Abwasser-Infrastruktur in Form von Kana- lisation und einer einfachen mechanischen Kläranlage, war vor Ort vorhanden – allerdings waren die „Ponds“ genannten Betonbecken überlastet, stark verschlammt und liefen in der Regenzeit immer wieder über. Sie sollten wieder fit gemacht werden. Um die vorhandenen Ressourcen nutzen zu können, wur- den die Becken zunächst von getrocknetem Klärschlamm der vergangenen zehn Jahre geräumt. Im nächsten Schritt wurden sie umgebaut: Feststoffe sollten mit einfachen Techniken herausgefiltert und das vorgereinigte Wasser zur Bewässerung von Feldern eingesetzt werden. Zahlreiche Beschäftigte von EGLV waren im Laufe der ver- gangenen Jahre für jeweils mehrere Wochen in Namibia tätig, um die einheimischen Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen. Die Arbeiten vor Ort gestalteten sich für das eingesetzte Personal nicht immer sehr angenehm – man bedenke, dass die Temperaturen tagsüber auf bis zu 40 Grad im Schatten steigen können. Neben der Bau- überwachung für den Ausbau der Klärteiche unterstütz- ten EGLV bei der Unterhaltung des Kanalsystems im Ort. Die Verantwortlichen der Stadt Outapi beklagten zuvor, dass während der Regenzeit massiv Fremdwasser durch undichte Schächte eindringt und dadurch die Pumpen, die das Abwasser zu den Klärteichen fördern, überlastet Die Elektroräume auf den Kläranlagen sind in Containern untergebracht. sind. Das somit übermäßig anfallende Mischwasser dringt aus dem Pumpwerk und aus offenen Schächten heraus Ein Speicherbehälter für Biogas. und überflutet Wohnflächen. Eine Bestandsaufnahme der undichten Schächte und Vorschläge zur Sanierung waren daher vonnöten. Bei dem Versuch einer Bestandsaufnahme des Kanal- systems stellte sich schnell heraus, dass man nicht wie gewohnt auf vorhandene Bestandsunterlagen zurück-
EGLV.de 13 Stefan Stegemann (2.v.l.), Leiter der Kläranlage Emscher-Mündung in Dinslaken, begleitete die Entnahme von Wasserproben – hier in Ruacana. greifen konnte. Das Kanalsystem wurde seit den 1990er- Wem es gut geht, der hat die soziale Verantwortung, Jahren stetig durch die Erschließung neuer Wohn- und anderen zu helfen. Das muss vor allem für die Zeit Gewerbegebiete erweitert. Eine Erfassung des tatsächlich nach der Corona-Krise gelten, denn die Pandemie hat gebauten Kanalsystems (vermessungstechnisch und im das ehrenamtliche Engagement im Ausland nahezu zum Plan) erfolgte nie, so dass lediglich einzelne analoge Pläne Erliegen gebracht. aus der Entwurfsplanung in der Stadtverwaltung zu finden Info waren. Eine Dokumentation und Archivierung nach den Maßstäben, wie wir diese in Deutschland kennen, war zu- mindest im Norden Namibias völlig unbekannt. Dasselbe galt für die Unterhaltung der Schächte, Kanalhaltungen Namibia und Pumpwerke, die nur sporadisch dort erfolgten, wo es Namibia ist ein Staat im südlichen Afrika zwischen gerade Not tat. Angola, Botswana, Sambia, Südafrika und dem Atlan- tischen Ozean. Aufgrund des großen Flächenanteils der Namib-Wüste ist Namibia nur sehr dünn besiedelt. Namibia hat ähnlich wie viele andere Länder Nachhol- Das Land hat etwa 2,3 Millionen Einwohner. Die bedarf. Bedenkt man aber, dass das Land erst seit 1990 namibische Wirtschaft ist stark durch die Bereiche selbstständig ist, ist absolut nachvollziehbar, dass auch Landwirtschaft, Tourismus und Bergbau (Uran, Gold, mit internationaler Unterstützung der Lernprozess und die Silber und unedle Metalle) geprägt. Von 1884 bis Schaffung der strukturellen Voraussetzungen noch viel 1918 stand Namibia unter deutscher Kolonialherrschaft, Zeit in Anspruch nehmen werden. Ohne externe Hilfe wird die äußerst gewaltsam durchgesetzt wurde. es wohl kaum gehen, weswegen das europäische Enga- gement auch in Zukunft von großer Bedeutung sein wird.
14 WASSERSTANDPUNKT Schwerpunktthema Interview mit Barbara Gerhager Leiterin des Kompetenzzentrums Wasser- und Sanitärversorgung bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Autor: Hendrik Huth Illustration: Julian Rentzsch Die Diplom-Ingenieurin Barbara Gerhager ist Leiterin des Kompetenz- zentrums Wasser- und Sanitärver- sorgung bei der Gesellschaft für Inter- nationale Zusammenarbeit. Seit 2019 läuft das Pilotprojekt „Betreiberpart- nerschaften“, bei dem sich Organisati- onen wie Emschergenossenschaft und Lippeverband engagieren. Mit ihrem Know-how helfen sie Wasserversor- gern in Entwicklungsländern, effizien- ter zu arbeiten. Im Interview spricht Barbara Gerhager über die Bedeutung solcher Kooperationen. Bei den „Betreiberpartnerschaften“ arbeiten Sie mit Unternehmen einen Beitrag für die globale Weltge- oder Energieeffizienz. Das sind Dinge, aus der Wasserwirtschaft zusam- meinschaft. die ein Wasserwirtschaftsverband men. Welchen Nutzen hat diese ganz anders vermitteln kann. Kooperation? Können Sie ein Beispiel für so eine Unsere Aufgabe in den Entwicklungs- Kooperation nennen? Vor welchen Herausforderungen ländern ist es meistens, die Organisa- Ein Beispiel wäre die Lusaka Water stehen die deutschen Partner, tionen weiter zu entwickeln und die and Sewerage Company in Sambia. wenn Sie sich in einem Projekt Personen vor Ort zu befähigen, den Da bringen sich gerade Emscher- engagieren? Betrieb gut zu führen. Was wir nicht genossenschaft, Lippeverband und Die Betreiber haben nicht unbegrenzt mitbringen, ist allerdings das Know- Gelsenwasser ein. Das Projekt dreht Mitarbeiter*innen, um sie in Projekten how von Betreibern. Deswegen sind sich um Klärschlammmanagement. in Entwicklungsländern vor Ort einzu- wir so daran interessiert, dass Partner Meistens geht es darum, Betriebs- setzen. Wie kann ich meine Leute aus wie die Emschergenossenschaft und abläufe oder die Anpassung an den dem eigenen Betrieb herausziehen, der Lippeverband dabei sind und sich Klimawandel zu verbessern, also zum sie zwei Wochen in Entwicklungslän- aktiv engagieren. Sie leisten damit Beispiel durch Abwasser-Recycling der schicken und wieder zurückholen?
EGLV.de 15 „Wir sind daran interessiert, die Betreiberpartnerschaften auf solide und projekt- unabhängigere Finanzierung zu stellen.“ Barbara Gerhager Das sind Fragen, die sich stellen. Ich Versorgern in den Entwicklungslän- zu stellen. Das ist ebenfalls Teil des fand sehr spannend, dass viele Betrei- dern gibt es auch viele Menschen mit Projektes. Idealerweise sollen das ber gesagt haben, dass sie darin umfangreichen Kompetenzen. Modell der Partnerschaften auch auf auch eine Chance sehen, attraktiver andere Bereiche, wie Abfall und Ver- zu werden. Die „Betreiberpartnerschaften“ sind kehr ausgeweitet werden. aktuell noch ein Pilotprojekt. Welche Inwiefern? Rolle spielen die deutschen Partner Wie könnte das aussehen? Es ist eine super Chance, attraktiver für den langfristigen Erfolg? In den Niederlanden zum Beispiel für den Nachwuchs zu werden. Der Wir wollen die deutsche Wasserwirt- runden Versorger die Wasserrech- deutsche Wassersektor ist ein ge- schaft hier stark einbinden und die nungen auf, generieren damit die wachsener Sektor. In den nächsten Kooperation noch weiter ausbauen. Grundfinanzierung und finanzieren zehn bis zwanzig Jahren werden dort Das hat mehrere Komponenten. Auf so die Arbeit in den Entwicklungslän- viele Leute in Rente gehen. Dann stellt der einen Seite ist es wichtig, dass dern mit bis zu 22 Millionen Euro. sich die Frage, wie attraktiv sind wir das Know-how transferiert wird. Auf für potentielle Mitarbeiterinnen und der anderen Seite ist es ein ganz Mitarbeiter. entscheidendes Element, dass das „Betreiberpartnerschaften“-Projekt Profitieren die deutschen Partner eine langfristige Finanzierung be- noch in anderen Bereichen? kommt. Momentan ist es über das Letztendlich ist es beiderseitiges Bundesministerium für wirtschaftliche Lernen und miteinander wachsen. Es Zusammenarbeit und Entwicklung ist eben auch eine Möglichkeit, gute finanziert, also über Steuergelder. Partnerschaften aufzubauen. Des- Wir sind daran interessiert, die Be- wegen ist mir auch der respektvolle treiberpartnerschaften auf solide und Umgang miteinander wichtig. Bei den projektunabhängigere Finanzierung
16 WASSERSTANDPUNKT Schwerpunktthema Grüne Verbindung über Kontinente Dortmund Autor: Denis de Haas Die Stadt Dortmund pflegt eine Klima- Die Probleme in der Metropole wollen die Bewohner Kumasis gemeinsam mit den Dortmundern in den Griff partnerschaft mit Kumasi in Ghana. bekommen. Seit 2011 existiert eine Klimapartnerschaft. Probleme wie Plastikmüll-Berge und „Engagement Global“ führte Dortmund und Kumasi zu- Überschwemmungen gehen die bei- sammen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung rief dieses Programm vor den Kommunen gemeinsam an. zehn Jahren ins Leben. Dadurch entstanden 50 Partner- schaften zwischen deutschen Kommunen auf der einen Seite und Städten aus Afrika oder Lateinamerika auf der anderen Seite. Paa Kwesi Simmons war baff. 2013 besuchte er Dortmund – als Teil einer Delegation der Stadt Kumasi Dass sich Dortmund und Kumasi fanden, war kein Zufall. in Ghana. Simmons schaute sich im Ruhrgebiet um „Zu Ghana und speziell der Stadt bestanden schon und schilderte später den Gastgebern seine Eindrücke. auf anderen Ebenen Beziehungen“, erklärt Leischner. „Es ist ja unglaublich, wie grün alles bei euch ist“, Das Institut für Raumplanung an der Technischen Univer- schwärmte der Stadtplaner. „So sah es bei uns in sität Dortmund und die Kwame Nkrumah University Kumasi vor dreißig, vierzig Jahren auch mal aus.“ of Science and Technology in Kumasi sind durch ein Hochschul-Netzwerk miteinander verbunden. Zudem Michael Leischner erzählt diese Anekdote gerne. Der gibt es in der Ruhrgebietsstadt ein Honorarkonsulat von Abteilungsleiter Klima, Luft und Lärm vom Dortmunder Ghana. Und schließlich pflegen das Land Nordrhein- Umweltamt wusste damals auch, wovon Simmons sprach. Westfalen und der westafrikanische Staat freundschaft- Leischner war nämlich 2011 selber in Kumasi gewesen. liche Beziehungen. Er hielt sich auf in einer Stadt, in der die Einwohnerzahl rasant in die Höhe geschnellt war. Anfang der 1980er- Seine Partner aus Ghana lernte Leischner erstmals bei Jahre lebten dort circa 500.000 Menschen, mittlerweile einem Treffen in Daressalam kennen. In der größten sind es mehr als drei Millionen. Das Bevölkerungswachs- Stadt Tansanias kamen im November 2011 zehn Tandems tum hat negative Folgen. Die Flüsse sind vermüllt. Bren- aus Deutschland und Afrika zu einem Auftakt-Workshop nende Holzreste verpesten die Luft. Und Überschwem- zusammen. „Auf dem Rückweg habe ich noch einen mungen forderten in der Vergangenheit viele Todesopfer. Abstecher nach Kumasi gemacht“, erzählt Leischner.
EGLV.de 17 2011 Beginn der Klimapartnerschaft 500.000 Einwohner in Kumasi 1980 3 Mio. Einwohner in Kumasi 2021 Kumasi
18 WASSERSTANDPUNKT Schwerpunktthema Eine konkrete Idee war, Bäume in Kumasi zu pflanzen. Die Stadt hatte durch die Bevölkerungs- explosion fast ihren kompletten Bestand verloren. Der Umwelt-Experte besuchte auch vor Ort den Kejetia die ihn auch in Ghanas Hauptstadt Accra führte. Leischner Market – den wohl größten afrikanischen Markt südlich blickte auf einen 100 Meter breiten Fluss und sah kein der Sahara. „Dort gibt es praktisch nichts, was es nicht Wasser. Stattdessen trieb der Müll in Richtung Ozean. gibt“, berichtet Leischner. Gemüse, Obst, Kleidung, Elektroartikel, lebendige Tiere – diese Waren bieten die Zurück in Dortmund blieb Leischner mit seinen Partnern Verkäufer an. Bei seinem Gang über den Markt begeg- aus Kumasi in Kontakt. Sie sprachen über Strategien zur nete Leischner aufgeschlossenen Händlern. Er erkannte Klimaanpassung. Eine konkrete Idee war, Bäume in Kuma- aber gleichzeitig große Probleme für die Bevölkerung. si zu pflanzen. Die Stadt hatte durch die Bevölkerungsex- „Der Markt produziert tonnenweise Müll“, erklärt Leisch- plosion fast ihren kompletten Bestand verloren. Mit neuen ner. Und der landet nicht nur auf den Deponien, sondern Bäumen sollte Kumasi, einst als Gartenstadt bekannt, nun vermehrt in den Flüssen. wieder grüner werden. Es gab Entscheidungen, die das Problem noch verschärft Die Dortmunder berieten ihre Partner auch auf anderen haben. Einst liefen Getränkeverkäufer mit großen Kanis- Ebenen. So gab es den Plan, in Kumasi einen Fluss zu tern auf dem Rücken durch die Straßen. Wer Durst hatte, begradigen. „Wir haben den Leuten vor Ort gesagt, dass konnte seine Trinkschale bei ihnen füllen lassen – und das es solche Konzepte bei uns vor hundert Jahren gab und immer wieder. „Irgendwann wurden die großen Kanister diese mittlerweile korrigiert wurden“, erklärt Leischner. verboten“, sagt Leischner. Fortan gab es kleine Einweg- Die Dortmunder zeigten die Nachteile auf – eine höhere beutel aus Plastik. Die Müllberge wuchsen. „Ich habe Überschwemmungsgefahr und Beeinträchtigungen Bilder gesehen, die mich richtig schockiert haben“, erzählt des Ökosystems. Von den Plänen nahmen sie in Kumasi Leischner. Er denkt an seine Rückreise nach Deutschland, mittlerweile Abstand.
EGLV.de 19 Zwischenzeitlich lag die grüne Verbindung über Kontinen- te brach – aus Haushaltsgründen gab es ein Moratorium. Doch bald erkannten die Politiker, wie wichtig die glo- bale Vernetzung ist. Neben dem Umweltamt der Stadt Dortmund ist nun auch das Büro für Internationale Beziehungen der Stadt Dortmund für die Klimapartner- schaft zuständig. „Und den Austausch mit Kumasi haben wir wieder aufleben lassen“, erklärt Mitarbeiterin Claudia Schütz. Ende 2020 unterzeichneten beide Parteien ein „Memorandum of Understanding“ – eine Absichtserklärung. „Damit haben sich die Städte verpflich- tet, sich wieder stärker auszutauschen“, erklärt Schütz. Momentan hakt es allerdings etwas. Die Corona-Pande- mie macht Vor-Ort-Besuche beim Partner unmöglich. Da die Regierung in Kumasi gewechselt hat, wäre ein persönlicher Austausch aber im Sinne der Beteiligten. „Aktuell haben sich die Probleme etwas verlagert“, sagt Schütz. Sie hilft mit ihrem Team nun auf einer anderen Ebene – mit der Bereitstellung von Desinfektionsmitteln. Wenn die Pandemie vorüber ist, soll es wieder zu einem persönlichen Austausch kommen. Die Dortmunder wollen sehen, wie die Baumpflanz-Aktion vorangeschritten ist. Zu diesem Thema hat Leischner noch eine Geschichte parat. „Die Bäume werden an den Schulen gepflanzt“, er- klärt er. „Es kommt aber schon mal vor, dass Vieh auf die Flächen getrieben wird und die Setzlinge auffrisst.“ Als der neue Stadtplaner Joshua Nii Noye Tetteh-Nortey aus Kumasi auf Deutschland-Besuch war, schlug Leischner ihm vor, dem Problem mit Elektrozäunen zu begegnen. Info Kumasi Der Gast war erstaunt. Er dachte an die Starkstromzäune, Kumasi ist die Hauptstadt der Ashanti Region in mit denen die Reichen in Afrika ihre Anwesen schützen. Ghana und seit Anfang des Jahres 2014 die größte Dass ein Elektrozaun an einer Weide für Menschen Stadt des Landes. In der Region wohnen in einem Radius von etwa 30 bis 35 Kilometern um die Stadt ungefährlich ist, wollte Leischner Tetteh-Nortey beweisen. rund 3 Millionen Menschen. Die Stadt liegt 27 Kilo- Leischner ließ ihn ein Stück berühren. Tetteh-Nortey meter nordwestlich des Sees Bosumtwi, des einzigen zuckte kurz, war danach aber wohlauf. Jetzt überlegen wirklichen Binnensees Ghanas. sie in Kumasi, die Setzlinge mit einem Elektrozaun zu schützen.
20 WASSERSTANDPUNKT Schwerpunktthema Interview mit Svenja Schulze Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit „Klimaschutz muss solidarisch sein!“ Svenja Schulze Autor: Alexander Knickmeier Frau Ministerin, die Energiewende, werden. Gleichzeitig brauchen wir für Illustration: Julian Rentzsch die Europäische Agrarpolitik, das künftige Hitze- und Trockenphasen Insektenschutzgesetz oder die wirkungsvolle Konzepte, und wir müs- Mit den Protesten von Fridays for Novelle des Kreislaufwirtschaftsge- sen den Artenschwund in Deutsch- Future und den zunehmend spürba- setzes: die Umweltpolitik hat in den land dringend stoppen. Es gibt also ren Folgen des Klimawandels nimmt letzten Jahren mehr Aufmerksam- noch viel zu tun. die Umwelt- und Klimapolitik einen keit erfahren als in der Zeit davor. deutlich wichtigeren Stellenwert Ein gutes Zeichen? Welche Bilanz der ablaufenden ein. Ein entsprechend höheres Ge- Die neue Aufmerksamkeit freut Legislaturperiode würden Sie wicht hat das Umweltressort in den mich sehr. Denn ich beobachte, dass ziehen? letzten Jahren innerhalb der Bun- das Umweltbewusstsein bei den Ich finde, wir haben schon eine desregierung bekommen. Viele der Menschen in Deutschland wächst. Menge erreicht. In Deutschland gibt Themen haben immer auch einen Nachhaltigkeit wird für viele immer es endlich ein Klimaschutzgesetz, direkten Bezug zur Wasserwirtschaft. wichtiger. Gleichzeitig zeigen sich das dafür sorgt, dass jeder Sektor Dies nahmen wir als Anlass, um die die Folgen des Klimawandels immer verbindliche CO2-Einsparziele er- Bundesumweltministerin kurz vor klarer, zum Beispiel mit der derzeit füllen muss. Der Kohleausstieg ist der Bundestagswahl um eine Bilanz anhaltenden Trockenheit in Deutsch- beschlossene Sache, und zwar im zu bitten. land. Die Menschen erkennen diese Konsens. Wir haben ein Gesetzes- Warnsignale, der Druck von der paket zum Insektenschutz beschlos- Straße wächst. Die Sorge um unsere sen, das jetzt im Bundestag beraten natürlichen Lebensgrundlagen wird wird. Es ist gelungen, die Luft sau- größer, vor allem bei jungen Men- berer zu bekommen, ohne weitge- schen. Wir dürfen keine Zeit verlieren, hende Fahrverbote zu verhängen. um bis 2050 wirklich klimaneutral zu Die Elektromobilität hat dank unserer
EGLV.de 21 Welche Rolle können hier Deutsch- land und Europa spielen? Es stimmt, noch immer haben mehr als 2 Milliarden Menschen auf der Welt keinen Zugang zu sauberem Trink- wasser, mehr als 4 Milliarden Men- schen keine würdigen und sicheren Sanitäranlagen. Weltweit gelangen 80 Prozent der Abwässer noch immer ungeklärt in die Flüsse und Meere. neuen Prämien den Durchbruch ge- steigen und diese dann nach und Zehn Flusssysteme – acht in Asien schafft. Mit neuen Düngeregeln schüt- nach erhöhen, damit sich jeder darauf und zwei in Afrika – befördern rund zen wir unsere Gewässer und sichern einstellen kann. Klimaschutz muss 90 Prozent des globalen Plastikein- die Wasserqualität in Deutschland. solidarisch sein! Insgesamt muss der trags in die Weltmeere. Das zeigt, wie Und das sind nur einige Beispiele. Staat daher Alternativen schaffen und wichtig internationale Kooperationen in Infrastrukturen investieren, zum bei Fragen der Umweltpolitik sind und Sehr viele Maßnahmen, die im Beispiel mit einem attraktiven Nahver- wie wichtig die globale Entwicklungs- Bereich des Umweltschutzes disku- kehr, mit gezielten Förderungen und zusammenarbeit ist. Ich setze mich da- tiert werden, führen zu höheren mit fairen Regelungen, damit beispiels- für ein, dass Deutschland und Europa Preisen. Wie kann man verhindern, weise die Mieterinnen und Mieter ihre Anstrengungen weiter ausbauen. dass am Ende nur diejenigen ihr Ver- nicht alleine für Klimaschutzmaßnah- Für Deutschland werde ich im Juni halten ändern, die sich die höheren men an Gebäuden zahlen müssen. eine Nationale Wasserstrategie vorle- Preise – zum Beispiel an der Zapf- gen. Sie soll Wege für einen zukunfts- säule – nicht mehr leisten können? Ein Thema, das neben der Frage des fähigen, nachhaltigen Umgang mit Das kann in der Tat ein Problem wer- Klimaschutzes etwas in den Hinter- Wasser aufzeigen. Viele Akteure aus den, vor allem beim neuen CO2-Preis. grund der Aufmerksamkeit zu rücken der Wirtschaft, den Umweltverbänden Daher war mir wichtig, dass wir mit droht, ist die globale Herausforde- und der Landwirtschaft haben dabei einer moderaten Besteuerung ein- rung des Gewässerschutzes. ihre Ideen eingebracht.
Emscher-Umbau emscher- umbau auf der schluss- geraden Ende dieses Jahres wird die Emscher auf der gesamten Länge von ihrer Abwasserfracht be- freit sein – zum ersten Mal nach rund 170 Jahren! Damit endet nach rund drei Jahrzehnten das Generationenprojekt Emscher-Umbau, nicht aber die Transformation des Ruhrgebietes: Zahlreiche Chancen und Potenziale hat das wasserwirtschaftliche Projekt bereits aufgedeckt. Nun gilt es, sie zu nutzen. Die Zukunft dieser Region beginnt jetzt! Fotos: EGLV-Archiv, Henning Maier-Jantzen
AKE Kläranlage Kläranlage Emscher-Mündung Bottrop Kläranlage Dinslaken Dortmund-Deusen Pumpwerk Pumpwerk Pumpwerk Oberhausen Bottrop Gelsenkirchen
24 WASSERSTANDPUNKT Emscher-Umbau 10 Pumpen befördern künftig rund 16.000 Liter Abwasser – pro Sekunde!
EGLV.de 25 Das Herzstück des Emscher- Umbaus Arbeiten zur Fertigstellung des Pumpwerks Oberhausen laufen Das Pumpwerk Oberhausen entsteht zurzeit im Ortsteil Biefang. auf Hochtouren Ansprechperson: Reinhard Ketteler, Gebietsmanager Autor: Ilias Abawi | Fotos: Rupert Oberhäuser, Jörg Saborowski Emscher-Hauptlauf, ketteler.reinhard@eglv.de Über Jahrzehnte prägten offene Schmutzwasserläufe Sommer die Emscher zu neuem Leben erwecken. Wieso das Bild des Ruhrgebietes. Ein Bild, das nicht so recht überhaupt Pumpwerke? Nun: Aufgrund des Gefälles von passen wollte zum Image der modernen Metropole, die 1,5 Promille würde der Kanal Dinslaken ohne Pumpwerke das ehemalige Kohlenrevier doch so sehr sein möchte. in 80 Metern Tiefe erreichen – zu tief, um das Abwasser Im Zuge des Strukturwandels nahm seit 1992 sein symbol- anschließend in die Kläranlage Emscher-Mündung im trächtigstes Vorhaben Fahrt auf: das Generationenprojekt Städte-Dreieck Oberhausen, Duisburg und Dinslaken zu Emscher-Umbau, mit dem der zentrale Fluss des Ruhr- heben. Das Gefälle wird künftig stattdessen durch drei gebietes komplett von seiner Abwasserfracht befreit Pumpwerke ausgeglichen: in Gelsenkirchen, Bottrop und werden sollte. 30 Jahre, versprach die Emschergenossen- in Oberhausen. Die Anlagen in Gelsenkirchen und Bottrop schaft beim Beschluss des Vorhabens im November sind bereits im September 2018 an den Start gegangen. 1991, würde diese Mammutaufgabe in Anspruch nehmen. Voll im Zeitplan wird nun gegen Ende dieses Jahres, Deutschlands größtes Schmutzwasserpumpwerk in Ober- nach genau drei Jahrzehnten, die Abwasserfreiheit in hausen wird nach aktueller Planung im August in den der Emscher erreicht werden. Vollbetrieb gehen. Aktuell finden noch Arbeiten an der Maschinen- und Elektrotechnik statt, ab dem späten Früh- Die künftige abwassertechnische Hauptschlagader der jahr beginnt der Probetrieb. Mit dem Start des Pumpwerks Region ist der unterirdische Abwasserkanal Emscher Oberhausen kann auch der Abwasserkanal Emscher als (AKE), der 51 Kilometer weit von Dortmund bis Dinslaken Gesamtsystem in Betrieb genommen werden: Bis Ende reicht. Er ist bereits auf ganzer Länge verlegt. Im 35 Kilo- 2021 werden alle seitlichen Abwassereinleitungen in die meter langen Abschnitt zwischen Dortmund und Bottrop Emscher an den unterirdischen Kanal angebunden sein – ist der AKE seit September 2018 bereits in Betrieb. in das Gewässer wird künftig kein Tropfen Abwasser Stück für Stück sind seitdem bereits große Nebenläufe mehr fließen! wie zum Beispiel der Hellbach in Recklinghausen an den unterirdischen Sammler angeschlossen worden. Die Em- Der Umbau der Emscher steht symbolisch für die nach- scher führt dadurch bereits deutlich weniger Abwasser. haltige Transformation der Region. Der Emscher-Umbau Damit die „abwassertechnische Hauptschlagader“ auf der ist aber nicht der Abschluss dieser Transformation – Gesamtstrecke bis Dinslaken geflutet werden kann, ist sondern erst der Auftakt für weitere Veränderungen in ein sprichwörtliches Herzstück notwendig: das Pumpwerk der Region! Der Strukturwandel muss weitergedacht Oberhausen. Gemeinsam mit dem AKE wird es ab diesem werden – weit über das laufende Jahr hinaus!
26 WASSERSTANDPUNKT Emscher-Umbau Die neuen Stauraumkanäle, hier die Anlage an der Osterfelder Straße in Oberhausen aus der Vogel- perspektive, trennen Schmutz- und Regenwasser.
EGLV.de 27 Ökologisch und ökonomisch sinnvoll Zahlreiche Regenwasserbehand- lungsanlagen entstehen an der Peripherie zwischen dem Abwasserkanal Emscher und den Eine der zahlreichen Regenwasserbehandlungsanlagen an der Emscher entsteht in Oberhausen direkt auf der Emscher-Insel Nebeneinzugsgebieten zwischen Fluss und Kanal. Ansprechperson: Reinhard Ketteler, Autor: Ilias Abawi | Fotos: Andreas Fritsche Gebietsmanager Emscher-Hauptlauf, ketteler.reinhard@eglv.de Die neue Emscher kommt! So stand es nicht nur Anfang Das oben schwimmende, weitestgehend saubere und des Jahres auf dem großen Megaposter der Emscher- nicht-klärpflichtige Regenwasser dagegen kann nach genossenschaft am Gasometer Oberhausen. Für die Erreichen einer bestimmten Menge und Höhe über eine Abwasserfreiheit in der Emscher arbeitet der Wasserwirt- Entlastungsschwelle ins Gewässer „schwappen“. Mit Hilfe schaftsverband derzeit auf Hochtouren. Einen Schwer- der Regenwasserbehandlungsanlagen erhalten die Ge- punkt bilden die Arbeiten an zahlreichen Regenwasser- wässer also weitestgehend sauberes Wasser, während behandlungsanlagen an der Schnittstelle zwischen dem die Abwasserkanäle und insbesondere die Kläranlagen Abwasserkanal Emscher (AKE) und den Nebeneinzugs- entlastet werden. Das ist nicht nur ökologisch äußerst gebieten. Die Anlagen sorgen für eine Trennung von sinnvoll, sondern auch ökonomisch – denn die Abwasser- Schmutzwasser und sauberem Regenwasseranteil. Diese kanäle müssen nicht durchgängig übergroß dimensioniert Technik ermöglicht, dass der AKE mit Innendurchmessern werden, was die Baukosten erheblich senkt! Zudem von 1,60 bis 2,80 Meter auskommt, denn er nimmt nur den gehört sauberes Regenwasser ins Gewässer und nicht in Schmutzwasseranteil auf. Das nicht-klärpflichtige Regen- die Kläranlage, wo es unnötigerweise noch einmal für viel wasser dagegen wird ins Gewässer eingeleitet. Geld gereinigt würde. Die Funktionsweise einer Regenwasserbehandlungsan- Aktuell arbeitet die Emschergenossenschaft an zahl- lage ist dabei recht simpel: In einem Stauraumkanal oder reichen Regenwasserbehandlungsanlagen im Emscher- Regenüberlaufbecken wird bei starken Niederschlägen Einzugsgebiet, allein in Oberhausen gibt es dafür aktuell das Mischwasser per Drosselanlage zunächst „angehal- neun (!) Baustellen. Von der an der Osterfelder Straße ten“ und beruhigt. Dabei kommt das physikalische Gesetz hatten die am Bau Beteiligten Anfang des Jahres einen der Schwerkraft zum Tragen. Die schwereren Schmutz- hervorragenden Blick auf den Gasometer Oberhausen sedimente setzen sich nach unten ab und können ge- und das Megaposter der Emschergenossenschaft. Die drosselt durch eine Ableitung in den Abwasserkanal und neue Emscher kommt – auch dank dieser Regenwasser- anschließend zur Kläranlage transportiert werden. behandlungsanlagen!
Alles ha Programm Lebendige Lippe mit alle zusamme Pandemien und Seuchen stehen mit einem Ungleichgewicht zwischen Mensch und Natur in unmittelbarem Zusammenhang. Maßnahmen zum Umwelt-, Klima- und Naturschutz können gegensteuern.
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30 WASSERSTANDPUNKT Programm Lebendige Lippe Welt aus dem Gleichgewicht Wie Pandemien entstehen und was wir dagegen tun können Autorin: Anne-Kathrin Lappe | Fotos: Ute Jäger, Rupert Oberhäuser, EGLV-Archiv Seuchen sind zwar so alt wie die Menschen machen Pandemien – und zwar nicht im Reagenzglas, sondern durch Raubbau an der Natur. Der Menschheit selbst, aber Corona ist überwiegende Teil der Erreger, die Pandemien heute aus- die erste globale (!) Pandemie, die lösen können, sind Zoonosen von Wild- und Haustieren. unsere Gesellschaft in diesem Von Zoonosen spricht man, wenn ein Erreger wechselsei- tig sowohl Mensch als auch Tier infizieren kann. Berühmte Ausmaß erlebt. Doch wie entstehen Beispiele: Pest, Ebola, Leishmaniose, Malaria. Allein die Pandemien? Die Idee, dass sich ein Pest, eine bakterielle Zoonose, raffte im Mittelalter rund Erreger aus einem Labor heraus ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahin. Der enge Kontakt zu infizierten Nagetieren, die Flucht der Menschen in die Welt verbreitet, mag durch ihre aus betroffenen Gebieten und erste globale Handels- Einfachheit bestechen. Doch diese routen „halfen“ bei der Ausbreitung. Theorie greift zu kurz, wie zahlreiche Ausbreitung durch Globalisierung neue Studien belegen. Fest steht: Drei von vier der neu entstehenden Infektionskrankheiten Naturschutz ist ein wichtiger Schlüs- auf der Erde haben ihren Ursprung in Tieren. „Durch Um- sel, um dem Ausbruch von Infektions- weltzerstörung wie Rodungen und Siedlungsbau rücken Menschen und Wildtiere näher zusammen. Das erhöht die krankheiten künftig vorzubeugen. Wahrscheinlichkeit, dass Nahrungsmittel mit Erregern zum Beispiel durch tierischen Kot kontaminiert sind“, führt der Biologe Dr. Mario Sommerhäuser aus. Die Globalisierung wirke dabei als Katalysator – ein Virus aus den Tropen könne so in 30 Stunden bereits auf einem deutschen Markt sein.
EGLV.de 31 Umweltzerstörung: durch Rodung und Siedlungsbau rücken Menschen und Erreger Artensterben: zusammen Stabilitätsverlust der Ökosysteme Menschen machen Pandemien durch Raubbau an Klimawandel: der Natur. begünstigt wärmeliebende Arten und Erreger Bevölkerungsentwicklung & Urbanisierung: Überbevölkerung und Siedlungsdichte fördern schnelle Ausbreitung Gründe für die Verbreitung von Zoonosen Globalisierung: Handel und Reisen begünstigen schnelle Ausbreitung
32 WASSERSTANDPUNKT Programm Lebendige Lippe 13 150 Zunahme der Arten von Wasserinsekten von 1970 bis 2020 Rückkehr von Biber und Fischotter 1,2 Mio. qm renaturierte Gewässer und Auenflächen Der Mensch als Wirt Umweltzerstörung und Artenverlust begünstigen also die gradigungen, durch Entfernung des ufernahen Baumbe- Ausbreitung von Pandemien. Die Grundlage dafür hat der standes und Abwasserbelastung in vielen Teilen Deutsch- Mensch geschaffen. Schaut man nach Brasilien, wurden lands zur Plage geworden. „Heute wissen wir, dass sich in den 1990er-Jahren 94 Millionen Hektar Waldfläche die Verbreitung der Schadarten durch Gewässer-Renatu- (2,4 Prozent der Gesamtfläche) gerodet, wovon 70 Prozent rierung mit Ufergehölzen und Auen eindämmen lässt“, durch Agrarkulturen ersetzt wurden. Heute sind mehr als erläutert Dr. Mario Sommerhäuser. Solche Renaturierun- die Hälfte aller ursprünglichen Wälder verschwunden. gen haben das Ziel, die Biodiversität zu erhöhen – also möglichst vielen Arten einen Lebensraum zu bieten oder Untersuchungen zeigen, dass die Abholzung von nur vier verlorene Lebensräume wiederherzustellen. Das wirkt sich Prozent (!) eines tropischen Waldes mit einer fast 50-pro- positiv auf das natürliche Gleichgewicht aus. zentigen Zunahme der Malariafälle einhergehen kann. Der Grund: Die Malaria übertragenden Mückenarten ver- Rasanter Verlust von Lebensräumen mehren sich vor allem an sonnenbeschienenen Wasser- Und die Rolle rückwärts ist dringend geboten: Seit den flächen. Je weniger Bäume, umso weniger Schatten und 1970er-Jahren gibt es einen Verlust an Feuchtgebieten umso häufiger werden Menschen, die am Wasser leben und Auen um 85 Prozent. Die Ursachen sind vielfältig: Ver- und arbeiten, zum Wirt für den Malariaerreger. schmutzung, Rohstoffgewinnung oder Klimawandel sind nur einige Faktoren. Die Natur verschwindet in einer noch Die Rolle rückwärts ist möglich nie dagewesenen Geschwindigkeit von unserem Planeten Auch vor der eigenen Haustür lassen sich ähnliche Zu- und eine Millionen Tier- und Pflanzenarten sind vom Aus- sammenhänge beobachten. Wer bereits von einer Krie- sterben bedroht. Da für die „Überlebenden“ immer weni- belmücke gebissen wurde, weiß um die heftige Reaktion, ger Platz zur Verfügung steht, erhöht sich die Wahrschein- die das flohgroße Insekt auslösen kann. Kriebelmücken lichkeit, dass sie in engen Kontakt mit Menschen kommen, sind durch Umweltveränderungen in Form von Flussbe- Viren überspringen und sich immer weiter anpassen.
EGLV.de 33 Natur- und Artenschutz als Chance Info Für den Biologen Dr. Mario Sommerhäuser ist klar: Maß- nahmen zum Umwelt-, Klima- und Naturschutz können Natur ist wertvoll, Pandemien sind teuer Pandemien vermeiden. An der Lippe hat der Lippever- Ökosysteme wie Regenwälder bieten einen band in den 1970er-Jahren mit dem Ausbau der Kläran- Benefit für Mensch und Natur, die als Öko- lagen begonnen, um die Wasserqualität des biologisch systemleistungen bezeichnet werden und völlig verarmten Gewässers zu verbessern. Seit einigen monetär bewertbar sind. Um einige Beispiele Jahren setzen das Land NRW und der Wasserverband mit zu nennen: Die Speicherung von CO₂ hat einen dem Programm Lebendige Lippe Renaturierungsmaßnah- Wert von 55 bis 78 Euro pro Hektar und Jahr. men für den Fluss und seine Auen um. Die nachhaltige Gewinnung von Naturprodukten wie Honig, Früchten oder Pilzen wird mit 40 bis „Ein umfangreiches Monitoring zur Entwicklung von 80 Euro pro Hektar und Jahr bewertet. Rechnet Wasserlebewesen belegt nun die Hypothese, dass sich man diese und weitere Faktoren zusammen, Renaturierungsmaßnahmen äußerst positiv auf die Bio- bedeuten 9.166 Quadratkilometer abgeholzter diversität auswirken und stabile Ökosysteme fördern. Amazonas-Regenwald rund 324 Millionen Maßnahmen zum Natur- und Artenschutz können unsere Euro Schaden – allein im Jahr 2019. Chance sein, der Welt zu ihrem Gleichgewicht zu verhel- fen und so dazu beitragen, das Aufkommen von Pande- Im Vergleich dazu hat die Coronakrise weltweit mien zukünftig zu verringern.“ allein bis September 2020 rund 9,3 Billionen Euro Kosten verursacht. Dagegen lägen die Ansprechperson: Nettopräventionskosten zwischen 14,9 und 22,3 Dr. rer. nat. Mario Sommerhäuser Milliarden Euro, was lediglich 0,25 Prozent der Abteilungsleiter Fluss und Landschaft sommerhaeuser.mario@eglv.de Kosten einer Pandemie entspricht!
34 WASSERSTANDPUNKT Position EGLV „Es ist wichtig, Verantwortung für unser Gemeinwesen zu übernehmen, um sich Angriffen auf unsere Demokratie entgegenzustellen.“ Prof. Dr. Uli Paetzel
EGLV.de 35 Interview mit Prof. Dr. Uli Paetzel Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) Autor: Friedhelm Pothoff | Illustration: Julian Rentzsch Er mischt sich gerne ein, Herr Prof. Paetzel, Sie sind Vor- Aber nicht ausschließlich. Ich emp- standsvorsitzender von Emscher- finde es als sehr wichtig, dass wir als wenn es um die wichti- genossenschaft und Lippeverband maßgeblicher Entwickler einer Region gen Themen für die (EGLV) und damit der Chef des größ- auch andere Impulse setzen, uns Region geht. Impulse zu ten deutschen Wasserwirtschafts- gezielt einmischen und entsprechend verbandes. Was heißt das mit Blick in unsere Verbandsgebiete wirken. setzen und Diskussionen auf Ihre Rolle für Sie? zu befördern, das ist Das ist eine sehr verantwortungsvolle Sie waren zwölf Jahre Bürgermeister Prof. Dr. Uli Paetzel (49), und spannende Aufgabe. Die Ver- der Stadt Herten, ehe Sie Chef von bände weiterzuentwickeln, organisa- EGLV wurden. Wie wichtig ist es für dem Vorstandsvorsitzen- torisch wie inhaltlich, steht im Fokus Sie, klare Kante bei politischen und den von Emschergenos- meiner Arbeit. Nach innen betrachtet gesellschaftlichen Fragen zu zeigen? senschaft und Lippe- heißt das vor allem, die Entscheidun- Das ist für mich sehr wichtig. Nehmen gen, die wir nach den Beratungen im wir das Beispiel des immer stärker verband, ein Bedürfnis. Vorstand treffen, so transparent und werdenden autoritären Nationalradi- Im Interview äußert er verständlich ins Haus zu kommunizie- kalismus in Deutschland – bis in die ren, dass alle Beschäftigten nachvoll- bürgerliche Mitte hinein. Für mich sich auch über seine ziehen können, warum wir gerade ist es von größter Bedeutung, dass eigene Rolle, über den was und wie machen. nicht nur ich mich als Person da ein- Klimawandel und das deutig positioniere, sondern auch Und nach außen? Als Impulsgeber unsere Organisation insgesamt. Superwahljahr 2021. eines Hauses, das so stark in die Re- gion wirkt, wie EGLV es tun, bewegt Konkretisieren Sie das bitte. man sich doch zumindest gefühlt auf Es ist sehr wichtig, eine Rolle in der dünnerem politischen Eis. Was ist Gesellschaft wahrzunehmen, um sich die Motivation für Ihr Handeln? dem Angriff auf unsere Demokratie, Die liegt für mich klar auf der Hand. denn darum geht es hier, wirkungsvoll Ich möchte als Repräsentant von entgegenzustellen. Das mache ich Emschergenossenschaft und Lippe- als Person, in dem ich beispielsweise verband für die bedeutenden Inhalte am Holocaust-Gedenktag und zu der Wasserwirtschaft stehen. anderen Gelegenheiten
36 WASSERSTANDPUNKT Position EGLV mit klaren inhaltlichen Botschaften macht, die auf einem guten Zusam- Stichwort Mehrwert: In einem Position beziehe. menspiel von ehren- und hauptamt- Interview mit der Westdeutschen lichen Akteuren beruht. Allgemeinen Zeitung forderten Sie Emschergenossenschaft und Lippe- vor einiger Zeit mehr Geld für Infra- verband haben unter Ihrer Regie ja Für die Menschen ist die DWA aber struktur. Nicht alle haben da Beifall auch ihre Geschichte während der nicht stark wahrnehmbar. geklatscht... NS-Zeit aufarbeiten lassen… Ja, da ist so. Die Arbeit hat viele (lacht) Ja, aber Reaktionen sind ja Ja, genau. Das war ein äußerst wich- Nahtstellen zu Wissenschaft, Praxis auch immer eine Frage der Perspek- tiger Prozess für uns. Wir haben eine in Wirtschaft und Verbänden wie tive. Wir zehren in Deutschland und in Geschichte und wollten sie offenle- Politik. Die DWA versteht sich als NRW von der Substanz der 60er und gen und nicht so tun, als gäbe es sie Organisation der wissenschaftlich- 70er Jahre. Gute Infrastrukturen sind nicht. Man muss sich mit der eigenen technischen Vernunft. Voraussetzung für den wirtschaftli- Vergangenheit auseinandersetzen, chen Erfolg unseres Landes. Und hier um in der Zukunft ähnliche Fehler zu Welche Nahtstellen sind das? haben wir in Deutschland laut KfW vermeiden. Wir reden hier über Chancen und bundesweit allein auf kommunaler Potenziale, die mit wasserwirtschaft- Ebene ein Infrastrukturinvestitions- Herr Paetzel, Sie sind ja nicht nur lichen Maßnahmen einhergehen, defizit von fast 160 Milliarden Euro. Chef eines Doppel-Verbandes, wie etwa für städtebauliche Planung. Hier besteht dringender Handlungs- sondern seit Januar 2019 auch der Die ökonomische Entwicklung von bedarf, dem nur mit einem neuen Präsident der Deutschen Vereini- Regionen kann durch den ökologi- Pakt für nachhaltige Infrastrukturen gung für Wasserwirtschaft, Ab- schen Mehrwert befördert werden. zu begegnen ist. wasser und Abfall (DWA). Welche Sauberes Wasser spielt dabei eine Möglichkeiten bieten sich Ihnen in wichtige Rolle. Blau-grüne Infra- Sie kritisieren beispielsweise die dieser ehrenamtlichen Tätigkeit? strukturen etwa sind positive, harte Straßenplanung im Ruhrgebiet und Schon sehr große auf nationaler Standortfaktoren. Hervorragende forderten in dem Zusammenhang Ebene. Die DWA formuliert die tech- Beispiele für diese Mehrwert-Wir- mal exemplarisch die Busspur auf nischen Standards, also das unter- kung sind unser regionales Genera- Autobahnen. Sie pflegen auch den gesetzliche Regelwerk der Branche. tionenprojekt Emscher-Umbau und Ruf, ein Kritiker des ÖPNV im Revier Sie unterstützt die Forschung und die Lippe-Renaturierung. zu sein. Ist das nicht zu themen- fördert die Aus- und Weiterbildung. fremd mit Blick auf die Wasserwirt- Sie besitzt eine große Wirkungs- schaft, in der Sie tätig sind?
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